AUGUST
ENDELL-BERLIN: »BUNTES THEATER«. Büffet im
Foyer des ersten Ranges
Bis zum Überdruss wird gegen die neueren
Kunst-Bestrebungen der Vorwurf erhoben, dass ihre Vertreter alle
Traditionen missachten,
dass sie unternähmen, ganz von vorn und ohne jedes Vorbild zu
beginnen, dass sie auf alle
vergangene Kunst-Übung mit Verachtung herabblickten und aus
Grundsatz verschmähten, aus
früheren Erfahrungen Nutzen zu ziehen. Immer wieder wird von
neuem gesagt, es habe doch
auch vor unseren Zeiten Kunst und Können gegeben und es sei
lächerliche
Originalitäts-Sucht, Hochmut und grenzenlose
Selbstüberhebung, sich prahlerisch über
alle diese vergangene Kostbarkeit hinwegzusetzen. Nun, ganz so schlimm
sind die bösen
Modernen nicht, aber das eine lässt sich nicht wegleugnen,
dass sie in der That den
Ehrgeiz besitzen, die Formen, die sie verwenden, selber zu erfinden,
nicht aber sie aus
Büchern oder gar mit Hilfe von Photographien oder
Abgüssen zusammenzustellen. Ist das
nun wirklich etwas so Unerhörtes? Einen Dichter, einen
Komponisten, einen Maler oder
Bildhauer würde man ohne weiteres auslachen, besässe
er die Naivität, vorhandene
Kunst-Werke ganz oder stückweise zu kopieren und dann
für seine eigenen Werke
auszugeben. In der Architektur aber soll das nicht nur erlaubt, sondern
die einzig
mögliche Form der künstlerischen Arbeit sein. Es ist
ja zuzugeben, dass architektonische
und kunstgewerbliche Arbeit eher zur Benutzung fremder Formen
führt, als das auf anderen
Gebieten der Fall ist; denn einmal ist der Bedarf an solchen Arbeiten
vergleichsweise
unendlich gross und wirklich originale Künstler hier wie
überall selten.
AUGUST
ENDELL-BERLIN. »Buntes Theater«,
Treppen-Haus
Dazu kommt die technische Schwierigkeit und
die grossen Kosten der Ausführung, die ein Ausprobieren von
Fall zu Fall stark
beschränken oder fast unmöglich machen und es liegt
nahe, dass wenn jemand einmal die
künstlerische Lösung für die
Überwindung einer technischen Schwierigkeit gefunden hat
- beispielsweise für einen Thürsturz oder ein
Gewölbe - leicht andere denselben Weg
gehen. Und so findet sich in der That eine grössere
Stabilität der Formen in der
Architektur wie in anderen Künsten. Darum spricht man auch von
Stilen im eigentlichen
Sinne nur in Architektur und Kunstgewerbe. Aber schon eine eingehendere
Betrachtung zeigt,
dass diese Stabilität nur eine scheinbare ist, und dass in den
Zeiten lebendigen
Kunst-Geistes innerhalb des Stiles unzählige Variationen
angetroffen werden. So wissen
wir, dass noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts der einzelne
Tischlermeister seinen
Ehrgeiz daran setzte, für jeden neuen Besteller eine neue
Stuhl-Form zu geben. Das war
eine durchaus gesunde Art des kunstgewerblichen Betriebes und gegen
diese Art von
Nachschaffen wird man niemals etwas ernstliches einwenden
können, es liegt in der Natur
der Sache. Aber nicht dagegen richtet sich die Polemik der Modernen,
sondern gegen die
abscheuliche »wissenschaftlich exakte« Nachahmung
alter Stil-Formen. Denn einmal wird
die Reproduktion selten genau werden und dem aufmerksamen Auge wird der
Mangel an Liebe
für das Geschaffene schwerlich entgehen. Es ist eben ein
Unterschied, ob man Eigenes gibt
oder Fremdes stiehlt. Das Stehlen ist keine mit Schaffensfreude
verbundene Thätigkeit.
Aber selbst wenn die Nachahmung exakt gelingt mit Hilfe »der
vervollkommneten Mittel der
Neuzeit«, so bleibt immer noch die Inkongruenz zwischen dem
Gestohlenen und dem
Selbstentworfenen, denn bedauerlicherweise waren frühere
Zeiten nicht so liebenswürdig,
für die Bedürfnisse der Enkel Häuser und
Schränke in Muster-Beispielen zu bauen. Und
so bleibt uns schon nichts anderes übrig, als wenigstens die
Form der Räume und ihre
Aufeinanderfolge selber zu entwerfen. Schon unser äusseres
Leben ist von dem früheren
tausendfältig verschieden durch die andere Art unseres
Verkehrs, des Geschäftslebens und
nicht zum wenigsten unserer entwickelten Beleuchtung. Wichtiger sind:
die gänzlich andere
soziale Schichtung, das eigentümliche Tempo unseres Lebens und
die grundverschiedene Art
unserer Lebens-Bilanz und unseres Glückes.
AUGUST
ENDELL-BERLIN. Heizkörper-Verkleidung aus dem Foyer des I.
Ranges
All das verlangt nach eigenem Ausdruck und es
ist wahrlich besser, unbeholfen und ungeschickt dem eigenen Sehnen und
Wünschen Ausdruck
zu geben, als mit gestohlenen Formen Kunstfertigkeit
vorzutäuschen, prahlerische Gebäude
zu errichten, die durch ihre Verlogenheit nur von den traurigsten
Eigenschaften unserer
Zeit Kunde zu geben geeignet sind. Es hilft also nichts, wir brauchen
wirklich neue
Formen.
AUGUST
ENDELL-BERLIN. Thür im »Bunten
Theater«
Früher antwortete man darauf, die Formen seien
erschöpft, Neues zu schaffen sei
schlechterdings unmöglich. Das wagt man heute nicht mehr. Aber
die ehemaligen Anhänger
dieser Ideen erklären Einfachheit, vornehme Schmucklosigkeit
für das einzig
erstrebenswerte Ziel. Ornamente seien Nebensache, ja rohe Barbarei.
Leider bringen die
Verkünder dieser Lehre nicht viel Erfreuliches zustande, und
das Wenige ist leider
gestohlen, dem Biedermeier-Stil, den Engländern und den
Amerikanern. Natürlich
verblüfft die glatte Eckigkeit dieser Formen im Verein mit dem
kostbaren Material. Doch
empfindet man nach einiger Zeit diesen blasierten Skeptizismus, der im
Grunde genommen zu
feig zum leben und zum schaffen ist, als eine unfruchtbare Verirrung.
Es ist eben gar
nicht leicht, einfache Formen zu erfinden, und solche Formen
können nicht Anfang, sondern
nur Frucht langer und intensiver Bemühung sein. Erst
müssen wir lernen, durch
komplizierte Gebilde zu wirken, bis wir sicher genug sind, auch mit
einfachen Mitteln viel
zu sagen. Natürlich machen die Anhänger jener
Richtung den Neueren Effekthascherei und
Aufdringlichkeit zum Vorwurf. Nun ist ganz klar, dass jedes Neue, das
ohne Vorbilder und
auf Grund bis dahin nicht befolgter Prinzipien entstanden ist,
überraschend wirkt, von
allem Künstlerischen ganz abgesehen. Das Ungewohnte
fällt eben auf und dem Betrachter
fehlen alle Voraussetzungen und Kriterien, mit deren Hilfe er die
Folgerichtigkeit des
Einzelnen zu beurteilen vermöchte, da eben prinzipiell ein
Neues gewollt ist und dieses
Prinzip weder erkannt noch anerkannt ist. Doch ist es eine ziemlich
schnöde Taktik,
diesen Umstand den Neueren als niedrige Gefallsucht auszulegen.
Natürlich will jeder
Künstler beachtet sein, aber man darf nicht vergessen, dass
auch ein wenig Mut dazu
gehört, ein fremdes neues Prinzip sich als Gesetz für
das eigene Schaffen aufzuerlegen,
trotzdem Niemand den Effekt im voraus beurteilen kann und alles dadurch
in Frage gestellt
wird, der künstlerische Ruf und auch - das materielle
Auskommen. Im übrigen sollte man
aber diese Fragen von vornherein nicht immer gleich mit moralischen
Erörterungen
verquicken wollen.
AUGUST
ENDELL-BERLIN. Thür im »Bunten
Theater«
Natürlich wird den Modernen vieles missraten, sie der
Spottsucht älterer Kollegen blossstellen. Das liegt in den
enormen Schwierigkeiten
begründet, auf einem neuen Wege sein Heil zu versuchen. Es
fehlt uns eben all und jede
Hülfe und vor allem jede Tradition. Denn in Wirklichkeit liegt
die Sache so: Nicht die
Modernen haben die Tradition zerstört, sondern die Tradition
war zerstört schon seit
langer Zeit durch die bewussten Kopisten des 19. Jahrhunderts, durch
die Hellenen- und
Renaissance-Epigonen, die Gotiker und die anderen historischen Schulen.
Denn Rezepte, wie
man aus Zeichnungs-Vorlagen, Photographien und Abgüssen neue
Bauten in endloser Variation
zusammenstellt, haben mit künstlerischer Tradition wahrhaftig
nichts gemein, es gibt nur
eine Tradition für den Künstler und das ist die
Tradition des künstlerischen
Schaffens. Man muss durch persönliches Zusammensein gesehen
haben, wie ein Künstler
Probleme und Hindernisse überwindet. Nur durch solche direkte
Überlieferung kann
künstlerischer Sinn und künstlerisches
Können von Generation zu Generation übertragen
werden und sich im Laufe der Zeit zu immer grösserem Reichtum,
grösserer Schärfe und
Sicherheit entfalten. Überlieferung der handwerklichen Regeln
und Gesetze, eine voll
kommene und genaue detaillierte Handwerks-Tradition, denn Kunst ist
Handwerk,
zwar ein sehr kompliziertes, aber doch eines, das sich durch Unterricht
vollständig
lehren und erlernen lässt. Es ist nötig, das heute
ganz besonders zu betonen, wo immer
wieder Kunst als eine mystische Leistung, als ein Wunder in den Himmel
gehoben und -
verachtet wird, eine Anschauung, die unserem ganzen Kunst-Leben den
allerärgsten Schaden
zugefügt hat. Kunst ist ausschliesslich Arbeit und setzt
einzig und allein eine
vollständige detaillierte Kenntnis der künstlerischen
Wirkung voraus, sie verlangt
unbedingte leidenschaftliche Hingebung und Ehrfurcht. Sie ist aber
nicht das Produkt
fahrigen Genietums oder gar unverhofft hereinbrechender
»Stimmungen«. An dem Bedürfnis
nach Stimmung kann man den Dilettanten totsicher erkennen.
AUGUST
ENDELL-BERLIN. Bureau-Möbel der Firma Schiffer
& Sohn
AUGUST
ENDELL-BERLIN. Lehn-Stuhl
Freilich ist die Erlernung des Kunst-Handwerks sehr erschwert dadurch,
dass wir eben keine
überlieferten Regeln und Gesetze haben, und es muss darum
unser ernstestes Bestreben
sein, dieselben zu gewinnen und für ihre allgemeine
Verbreitung zu sorgen. Dazu gehört
vor allen Dingen eine genaue Darstellung der Hilfsmittel und Methoden,
wie man Natur
studiert, wie man Anregung bei vergangenen und fremden Kulturen zu
suchen hat, und vor
allem eine systematische Formen- und Farben-Kenntnis.
Natürlich keine allgemeine
Sentenzen, auch nicht die bis zum Überdruss wiederholten
ästhetisierenden Sprüchlein
von der »Konstruktion«, von der
»Einfachheit«, von der
»Material-Echtheit«, von der
»Zweckmässigkeit«, vom goldenen Schnitt
und ähnlichen schönen Sachen mehr. Auch keine
Philosopheme von männlicher und weiblicher Kunst, von der
Darstellung der Ideale oder der
Verkörperung welthistorischer Ideen oder gar des Kosmos selber
und der Weltschöpfung
überhaupt. Wir brauchen vielmehr klare, nüchterne
Antwort auf die Fragen, die die Arbeit
uns bringt. Wie macht man eine Linie hart, wie macht man sie weich,
ruhig, vornehm, glatt,
elegant, wie lässt man ein Ornament leichter erscheinen oder
wie macht man es schwer. Wie
sind die schweren Stellen in's Gleichgewicht zu bringen. Wie kann man
eine
Vertikal-Richtung in eine Horizontal-Richtung verwandeln. Wie kann man
es erreichen, dass
ein vorwärts fliegendes Ornament nach der entgegengesetzten
Seite hinschwebt. Wie
bereichert man eine Linie, wie verästelt man sie, wie hat man
Linienbündel anzusetzen,
wie weit darf man im Detail gehen, ohne die Gesamt-Wirkung aufzuheben
u. s. w. Kurz, eine
sichere Schulung des Auges für Formen- und Farb-Wirkungen. Nur
systematische Übung,
strenge Schulung kann dahin führen. Natürlich
können wir Modernen zunächst nur unsere
eigenen Erfahrungen weitergeben.
AUGUST
ENDELL-BERLIN. Schreib-Tisch im Bureau des Hauses Schiffer
& Sohn
AUGUST
ENDELL-BERLIN. Schreib-Tisch
Aber wenn aus unserer Bewegung dauernder Gewinn und dauernde Kultur
hervorgehen soll, so
ist ein lehrendes Weitergeben unserer Erfahrungen eine unbedingte
Notwendigkeit, und es
ist kein Wunder, dass fast alle neueren Künstler sich in
dieser Richtung zu bethätigen
suchen. So Eckmann und Gross in staatlichen Stellungen. In
München bahnen verschiedene
Künstler, wie ich höre, privatim derartiges an, ich
selbst gedenke meine kleine
bisherige Schule kommenden Sommer zu vergrössern.
AUGUST
ENDELL-BERLIN. Bureau-Möbel
Natürlich finden die Gegner das lächerlich, es ist
ihnen
der Gipfel des Hochmuts, nicht nur die alten Formen zu
verschmähen, sondern obendrein
eine eigene Tradition künstlich schaffen zu wollen. Doch kann
das uns in unserem Wege
nicht beirren. Wir wissen auch ohne fremde Belehrung, dass wir die
Sicherheit der durch
Jahrhunderte lange Tradition gefestigten Volks-Kunst der Japaner,
Chinesen und Indier nie
erreichen können. Die Mühelosigkeit und
Selbstverständlichkeit asiatischer Arbeiten ist
uns versagt, das Persönliche und Suchende unserer Arbeiten
muss als Ersatz dienen, die
nach uns kommen, mögen Sichereres und Reinereres bringen.
AUGUST ENDELL; BERLIN |