Patronierter Fries vom Architekten Oskar Felgel
Der Kampf um die
"Moderne".
Ein Rückblick.
Gemaltes Glasfenster. Entwurf vom Architekten F.
v. Krauß
Als vor bald acht Jahren der erste Jahrgang
des "Architekt" beendet war, da konnte ich in einem dem Bande
nachträglich
gewidmeten Vorworte citieren: "Ernst ist das Leben, heiter die Kunst" -
und
damit in heimlicher Ironie mich über so manche Seltsamkeit
trösten, die in dem fertigen
Bande, in dem der "neuen Richtung" Rechnung getragen wurde, enthalten
war. Und
nicht viel später konnte in einem vom "Architekten"
veranlaßten
Preisausschreiben über das Thema: "Die alte und die neue
Richtung in der
Baukunst" unter den drei als besten anerkannten Arbeiten diejenige an
erster Stelle
genannt werden, die entschieden konservativen Ansichten huldigte und
zur Moderne lediglich
in dem Verhältnisse einer kühlen
Objektivität stand. Ja - um das, was ich sagen will,
nachdrücklich hervorzuheben, und nicht etwa um eine Beichte
abzulegen - muß ich
hinzufügen, daß in einer Reihe spitzer Aphorismen im
selben ersten Jahrgang der
Zeitschrift so mancher Pfeil wider die neue Kunst vom Bogen flog -
vielleicht ab und zu
auch das Ziel traf, jedenfalls ein solches aber zu treffen gesucht hat.
Wie sehr hat sich das alles geändert! Unser "Architekt" -
heute weit davon
entfernt, nach den Schwächen, den Angriffspunkten der neuen
Richtung zu spähen - hat
sich allmählich, getragen von der Strömung der Zeit,
zum Vertreter der Moderne
herangebildet, er erblickt nicht zum wenigsten gerade darin seine
Berechtigung als
fachliches Organ, die ihm denn auch (das kann ja ohne
Überhebung gesagt werden) in diesem
Sinne heute zuerkannt wird. Das alles wäre ohne Bedeutung, oder
höchstens von der
untergeordneten Bedeutung eines
persönlichen Gesinnungswechsels, vielleicht gar mit dem
leidigen Beigeschmack der
geschäftlichen Opportunität versetzt,wenn
es w i l l k ü r l i c h
und b e w u ß t g e m a c h t, wenn es
das Ergebnis freier Wahl, mit einem
Worte etwas wäre, dem nicht der Stempel einer zwingenden - ich
will das Wort ruhig
aussprechen: einer historischen Folgerichtigkeit aufgeprägt
ist. Anders unter eben dieser Voraussetzung. Ist eine Zeitung wirklich
ein
Abbild der Zeit, ist
sie - dem Sekundenzeiger einer Uhr vergleichbar - ein Maßstab
des in der Zeit
pulsierenden Lebens, des Fortschreitens oder doch wenigstens des
Weiterrückens jenes
unbekannten Etwas in ihr, das das Objekt aller Geschichte ist: dann
muß logischerweise
jeder Strecke, die jener Sekundenzeiger zurückgelegt hat, auch
eine Strecke entsprechen,
die im gleichen Verhältnisse, nur in
vergrößertem Maßstabe, die Menschheit in
derselben Zeit gewandelt ist. Nun haben wir gar keinen Grund, daran zu
zweifeln, daß eben
dieser Zusammenhang zwischen einer Zeitschrift und dem historischen
Geschehen wirklich
obwaltet, wir haben keinen Grund, anzunehmen, daß eine
Zeitschrift unabhängig und
sozusagen gesetzlos eine ihr und nur ihr eigentümliche Bahn
durchläuft, während daneben
die Geschichte ihren eigenen Weg dahinschreitet. - Zwar "irren ist
menschlich" -
wie man banal, aber treffend zu sagen pflegt - und von dieser
Selbsterkenntnis erfüllt,
werden wir wohl auch jede Art von literarischer Feststellung mit einer
gewissen Skepsis zu
betrachten haben und die Publizistik als eine Art der literarischen
Feststellung, ja nicht
einmal der vornehmsten eine, nicht ausnehmen. Was aber - von einer
Seite betrachtet -
gerade der Journalistik nicht ohne Grund vorgehalten zu werden pflegt
und sie in ihrer
Rangstellung in der Literatur schmälert, das wird - von der
anderen Seite betrachtet -
ihr im Sinne unserer Betrachtung nur zum Vorteil gereichen:
Nämlich eben ihre
vollständige Abhängigkeit von der täglichen
historischen Windrichtung. Und in der Tat sind die eigentlichen, die
großen
Irrtümer, die lapidaren Schnitzer in
der Beurteilung der Zeitereignisse stets da unterlaufen, wo man nicht
dem Sekundenzeiger
des Tages, sondern den großen Pendelschwingungen der
Jahrzehnte gefolgt ist - in der
Buchliteratur. Nicht die Zeitung also dürfte so leicht irren, wenn
sie,
getragen vom Strome ihrer Zeit,
für eine Meinung kämpft, die noch von heftiger
Gegnerschaft verfolgt wird, sondern aller
Wahrscheinlichkeit nach weit eher diejenigen, die auf vermeintlich
hoher Warte stehend,
diesem Strome gebieten zu können glauben. Nicht die Zeitung
wird dereinst vor dem Urteile
der Geschichte beschämt in den dunkelsten Winkel sich
zurückziehen müssen mit dem Makel
des Unrechts auf der Stirne, sondern diejenigen, die eine ganze Epoche
zu verurteilen
wagten, indem sie sie verkannten. Die Zeitung, die da ist und bleibt,
was zu sein ihre stete Aufgabe
bedeutet: N i c h
t K r i t i k - s o n d e r n C h r o n i
k (und dieses Diktum aus dem
eingangs erwähnten Vorworte zum ersten Jahrgange "Architekt"
bleibe aufrecht),
wird freilich Wandlungen mitmachen und am Ende einer Epoche n
i c h t mehr
sagen, was sie am Anfang dieser Epoche vielleicht gesagt hat, weil sie
es sagen mußte.
Aber in dieser "Inkonsequenz" des Wortes liegt nur die "Konsequenz"
der Geschichte, der Entwicklung, liegt nur ausgesprochen, daß
das Heute nicht mehr das
Gestern ist, daß die Zeit nicht vorbeifließt an den
Dingen, die sich ewig gleichen,
sondern daß die Zeit in den Dingen ist und diese Dinge mit
ihr sich verändern. Dies vorausgesetzt, also vorausgesetzt,
daß eine Zeitung in
der Tat im verkleinerten
Maßstab ein Abbild, gleichsam ein Diagramm der Kulturbewegung
im großen ist, können wir
- die vorliegenden acht Jahrgänge unserer Zeitschrift
überblickend - wirklich
ausrufen: W e l c h e i n W a n d e
l i n d e n K u n
s t a n s c h a u u n g e n d e r l e t z t e n J a
h r e! Was vordem noch schüchtern, tastend, scheu, gelegentlich,
mit
einer höflichen
Entschuldigung im Angesichte, so zwischendurch neben dem
"anderen" zu Tage
kam - das tritt heute frei (die Gegner sagen: frech),
selbstbewußt - nein:
selbstverständlich und durchaus nicht zwischendurch, sondern
führend hervor. Eine neue
Erscheinung hat sich im wahren Sinne des Wortes "durchgesetzt". Daran
ist nun
einmal nicht mehr zu zweifeln. - Und zweifelt denn noch jemand daran?
Gibt es noch welche,
die da den Vogel Strauß spielen und mit affektiert
überm Auge gehaltener Hand blinzeln
und blinzeln und schließlich sagen. Nein! Wir sehen nichts! -
Ob es noch solche gibt,
frage ich. - Aber nein! Die gibt es freilich nicht mehr. Denn
schließlich verstummt vor
der eindringlichen Gewalt des Tatsächlichen auch der
dreisteste Leugner. Mit einem:
"Es ist nichts" wagt also heute doch niemand mehr zu kommen.
Heizkörperverkleidung
aus grüner Majolika und Kupfer. Vom Architekten
Prof.
Aber freilich, in Umkehrung des billigen
Grundsatzes: Was nicht ist, kann noch werden, sagt man dafür:
Es w i r d
nichts! Also man sagt: Zwar können wir nicht bestreiten,
daß gegenwärtig etwas da ist,
das sich höchst ungeniert und uns zum Trotze als neue Kunst
gebärdet, aber das wird
nicht lange dauern und sehr bald in sich selbst zerfallen. Recht lange
prophezeit man
schon dergleichen! Die Selbstzersetzung der neuen Kunst wäre
ein ungewöhnlicher Prozeß,
wenn er wirklich bestände. A priori ist es nun allerdings möglich. Es ist ebenso
möglich, daß die neue Kunst,
indem sie auf einer falschen Voraussetzung gründet, wieder
vergeht, als es möglich ist,
daß diese Kunst, auf einer richtigen Voraussetzung
fußend, bestehen bleiben wird. Das
ist, wie gesagt, a priori beides möglich. Aber welcher
Unterschied in der a posteriori
darauf angewendeten Wahrscheinlichkeit! Was ist denn wahrscheinlicher:
Daß eine Bewegung,
die ersichtlich mit allen Merkmalen des Revolutionären, des
sich über das Alte
Hinwegsetzenden ausgestattet ist, die nicht das letzte Aufleben eines
altgewordenen
Kulturgedankens ist, sondern offenbar mit einem solchen bricht (es ist
der Gedanke der
konventionell gewordenen Renaissance), was ist wahrscheinlicher, frage
ich, daß eine
solche Bewegung eine auf- oder eine absteigende Kulturwelle ist? Darauf
können wir,
gestützt auf die Erfahrung der Geschichte, also a posteriori
nur antworten: Es ist
hundert gegen eins zu wetten, daß eine solche Bewegung eine
aufsteigende ist. Überall in
der Geschichte finden wir den Verfall nur da, wo die Ergebnisse einer
langwährenden
Kultur zusammengefaßt, gleichsam in einem tiefen Athemzuge
noch einmal aufgesaugt und
dann in einem großen, aber letzten Worte der Welt nochmals
laut verkündet werden. So
geschah es zu Perikles' Zeiten, so im kaiserlichen Rom, so unter den
französischen
Ludwigen, so überall, wo eine glänzende Kultur sich
auszuleben anschickte. Nicht Kampf
also gegen das Althergebrachte, nicht Ekel vor dem Bestehenden - nein!
- Durchdrungenheit
von der Größe und Macht eines alten Kulturgedankens
löst jene Erscheinungen aus, die
wir gemeinverständlich mit dem Worte dekadent bezeichnen.
Nicht das bis zu einem gewissen
Grade asketische Prinzip des Vonsichwerfens veraltet anmutender
Kulturfetzen, wie es auch
unsere neue Richtung aufweist, sondern, ganz im Gegenteil das Schwelgen
im Altgewohnten,
Hochentwickelten - das bedeutet Verfall. Dagegen haben wir es da, wo
Verzicht auf ererbte
Kulturwerte, auf gesicherte Güter zum Prinzipe geworden, stets
mit starken inneren
Kräften zu tun, die unter der Oberfläche der
Erscheinung liegen und diese tragen. So z.
B. am Anfang der Gotik, die sich mächtig genug
fühlte, den Errungenschaften einer
welterfüllenden Kultur, wie die Antike, in stolzem Trotze den
Rücken zu kehren. Und ähnlich liegen ja die Dinge auch heute. Denn es ist der
Gedanke der konventionell
gewordenen Renaissancekultur, gegen den im letzten Grunde die neue
Richtung in Widerspruch
sich heute aufbäumt. "Neue Werte" werden gesucht und sollen
gefunden werden;
jenseits von Rom und Athen. Ein Jenseits, das freilich auch wieder ein
Diesseits ist. Ein
Diesseits nicht minder im geographischen als im geschichtlichen, im
räumlichen und im
zeitlichen Sinne. Neuzeitliche Kulturwerte, die allmählich in
unseren Tagen und unseren
Breitegraden herangereift sind, ein Stück modernen
Seelenlebens, west-, nord- und
mitteleuropäische Sozialerrungenschaften und zu alledem der
entscheidende Einschlag eines
hochgesteigerten nervösen Reizbedürfnisses: das sind
die Elemente, die ablösend an die
Stelle mancher alten und - sit venia verbo: veralteten Renaissancewerte
zu treten berufen
sind. Und sie werden an ihre Stelle treten. So ist es im Grunde bloß das Ergebnis eines mehr oder weniger
sicheren historischen
Gefühls, wenn wir die Prognose der neuen Kunst in dem einen
oder dem anderen Sinne
stellen. Sicherlich wird, wer die Geschichte befragt und wer zudem den
Blick für das
Tatsächliche der Gegenwart besitzt, die stärkste
Präsumtion zu Gunsten der neuen Kunst
in eben ihrem Wesen erblicken. Sicherlich aber auch ist die tiefe
Gegensätzlichkeit eines
Teiles der Kulturmenschen zur Moderne dem "Renaissancefühlen"
zuzuschreiben,
dessen letzte Ausläufer durch die neue Richtung bedroht sind.
- Achten wir die Bitternis,
die denjenigen überkommen muß, der,
unzerreißbar verknüpft mit einer Tradition, in
ihrem Untergange auch den seinen zu beklagen hat: aber werden wir nicht
weich - denn das
Recht steht auf unserer Seite.
F. v. Feldegg |