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Autor: Feldegg, Ferdinand von
In: Der Architekt - 9 (1903); S. 27 - 29
 
Monumentalität und moderne Baukunst
 
Feldegg_Monumentalität1.gif (57709 Byte)
Das neue Gebäude der k. k. Kunstakademie auf dem Belvedere in Prag.
vom Architekten V. Rostlapil.

Monumentalität und moderne Baukunst.
Feldegg_Monumentalität2.gif (61699 Byte) Schnitt durch das Gebäude der k. k. Kunstakademie in Prag

In der zumeist recht trüben Flut der Polemik, die sich aus Anlaß des Museumswettbewerbes in den Spalten der öffentlichen Presse ergossen hat, fand sich doch ab und zu der helle Silberfaden eines wertvollen Gedankens. Dazu ist auch die Frage zu zählen, die durch  C a m i l l o  S i t t e  in dem Feuilleton: "Monumentalkunst und Sezession" *) aufgerollt wurde, nämlich die Frage nach dem Begriffe Monumentalität in der Kunst, im besonderen der Baukunst.

*) Neues Wiener Tagblatt.


S i t t e  seinerseits setzt diesen Begriff eigentlich als gegeben voraus. Er fragt nicht nach seiner ästhetischen Wurzel, nicht darnach, ob dieser Begriff ein feststehender oder wie so viele Begriffe in der Ästhetik  ein entwicklungsmäßiger ist, sondern wendet ihn lediglich an, um zu zeigen, daß der modernen Baukunst - die hierbei unter dem Generaltitel "Sezession" zusammengefaßt wird - das Merkmal des Monumentalen mangelt. Ich will nun versuchen, das Wesen des Monumentalen festzustellen, und mich dabei einerseits an die diesem Begriffe adäquate Vorstellung der künstlerischen Praxis halten, anderseits aber auch jede uneigentliche, gleichsam in diesen Begriff hineingeschmuggelte Nebenvorstellung zu bannen trachten. Zunächst: Unterschätzen wir nicht die Popularvorstellung irgend eines Wortes, indem wir vergessen, daß die sublimste wissenschaftliche Definition eines Begriffs nichts als eine verknöcherte, der Entwicklung unfähige, tote Formel ist. Nirgends mehr als auf dem Gebiete des menschlichen Schaffens, zumal der Technik gilt dies. Ein Beispiel für viele mag das Gesagte erläutern. Was ist eine Stiege? Bauwissenschaftlich kann man ja sagen: Eine Konstruktion des Hochbaues, die den Verkehr übereinanderliegender Geschosse vermittelt. Gut. Aber diese Definition war genau so lange zutreffend bis - der Lift erfunden wurde. Nach der Erfindung des Lift, noch mehr nach dessen allgemeiner Einführung muß jene Definition der Stiege eine Abänderung, eine Einschränkung erfahren (die freilich jedermann leicht treffen wird), mit einem Wort, gilt sie nicht mehr, ist sie entwicklungsgeschichtlich überwunden. Eine solche durch die Zeit herbeigeführte Widerlegung wir nun stets nur die wissenschaftliche Definition, niemals die Popularvorstellung treffen, die ja unbekümmert um "Inhalt" und "Umfang" eines Bergriffs einfach stillschweigend das anschauliche Objekt, und zwar ganz konkret und einzeln gefaßt, begreift. Das ist zweifellos eine Überlegenheit der Popularvorstellung gegenüber der wissenschaftlichen Definition, die wir nicht unterschätzen dürfen. Und ich möchte daher zunächst und an dieser ersten Stelle festlegen, daß - populär genommen - Monumentalität durchaus im Sinne von Großartigkeit vorgestellt wird. Eine tiefergehende Unterscheidung dieser beiden Worte kennt der gewöhnliche Sprachgebrauch nicht. In diesem Sinne sagt man: Ein monumentales Werk, - und man kann dabei ebensogut an ein Werk konkreter als abstrakter Art, an ein Kunstwerk, an ein wissenschaftliches Werk denken, ja, wer wollte uns hindern, z. B. selbst Bismarcks Schöpfung des Deutschen Kaiserreiches zutreffend ein monumentales Werk zu nennen? Was wir aber damit und in zahllosen anderen Fällen sagen wollen, ist nichts weiter, als daß wir das in Rede stehende Ding großartig finden. Also monumental in populärem Sinne ist solcherart gar vielerlei. - Beethovens Eroica und Kants Kritik der reinen Vernunft: Goethes Faust und Helmholtz Tonlehre: Hannibals Alpenübergang und Bismarcks Schöpfung u. s. w. Neben der Popularvorstellung eines Begriffs scheint mir zuvörderst von Wichtigkeit seine rein sprachliche Bedeutung zu sein. In diesem Sinne bedeutet monimentum alles, was das Andenken einer Person oder Sache enthält: monitio das Erinnern: monitus die Erinnerung: monimentarius das Denkmal: moneo ins Gedächtnis bringen. Gemeinsam ist allen diesen Begriffen eines: Nämlich, daß sie sich auf etwas Bleibendes, die Zeit Überdauerndes beziehen, daß in ihnen das Gedenken über das Vergessen obsiegt und, in monimentarius, daß, diesen Sieg ausdrücken, ein Sinnbild gesetzt wird. Kurz gefaßt also ließe sich Monument mit Merkzeichen des Dauernden, des Überzeitlichen definieren, monumental aber bedeutete darnach das solchem Überzeitlichen eigentümliche Wesen. Monumentalität endlich ist bloß die substantivische Umbildung des Merkmalbegriffs. Zusammengehalten mit der Popularvorstellung, zeigt sich sofort eine Verwandtschaft des Sprachbegriffs: denn allem Großartigen ist wohl unbestritten wesentlich, daß es - bis zu einer gewissen Grenze wenigstens - auch den Wandel der Zeit überdauert, daß es, wie man zu sagen pflegt,  "unvergänglich" ist. Wir werden demnach, den Vorstellungsinhalt des Popularbegriffs und des Sprachbegriffs zusammenfassend, wohl sagen können: Monumental ist ein Ding, daß durch seine Großartigkeit - seine Bedeutung, seinen Wert - Dauer erlangt, in unserer Erinnerung bleibt, unvergänglich ist: Monumentalität aber ist das einem solchen Dinge zukommende Wesen.

Feldegg_Monumentalität3.gif (27181 Byte) Das neue Gebäude der k. k. Kunstakademie auf dem Belvedere in Prag. Vom Architekten V. Rostlapil

Feldegg_Monumentalität4.gif (78648 Byte) Modell des Kaiser Franz Joseph-Stadt-Museums samt der Platzanlage. Vom Architekten k. k. Baurat Fr. Schachner

Was uns hier interessiert, ist nun die Anwendung des also gefundenen Begriffs Monumentalität auf das Gebiet der Baukunst. Deutlicher gesagt, die Untersuchung, inwieferne auch auf diesem Gebiete ein Monumentales zum Unterschiede und im Gegensatze zu einem Nichtmonumentalen als bestehend angenommen werden kann.  S i t t e  sucht - in dem eingangs citierten Feuilleton - diesen Gegensatz zwischen Monumentalem und Nichtmonumentalem in dem Gegensatz zwischen der hohen Baukunst (wozu er bloß den Kirchenbau gezählt wissen will) und der Kleinkunst: - in der Tat ist damit zwar nicht der Gegensatz schlechtweg aber wohl einer der Gegensätze bezeichnet. Wir brauchen uns ja bloß des Merkmals der Dauer zu erinnern, um sofort einzusehen, daß alles, was Kleinkunst ist, dieses Merkmals entbehrt. Freilich nicht, als ob Gegenstände der Kleinkunst, also vor allem des Kunstgewerbes von - rein physisch genommen - kurzer Dauer sein müßten. Im Gegenteil, wir wissen, daß die Überbleibsel z. B. in der Keramik sogar zu den ältester aller erhaltenen zählen. Aber diese Dauer ist eben hier nicht gemeint. Dauer in unserem Sinne kommt doch wohl einem Kunstgegenstande nur zu, der in Übereinstimmung mit seiner Umgebung bleibt, nicht aber, losgelöst von ihr, ein sozusagen bloß museales Dasein fristet. Dauer also trägt als Merkzeichen z. B. ein Bauwerk an sich, das, Jahrhunderten trotzend, sich neben - ja oft trotz seiner geänderten Umgebung erhält. Dauer kommt einer Dichtung, einem schriftstellerischen Werke im allgemeinen zu, das trotz des Wechsels des Geschmacks, ja selbst der Gesamtkultur, Sprache und lebenden Völker sich in der Literatur erhalten hat. Dauer hat auch eine historische Tat erlangt, die vor dem Urteile der Geschichte auch nach Jahrhunderten noch bestehen kann. Also diese Dauer, die geschichtliche Dauer oder die Dauer des geistigen Wesens eines Dinges ist gemeint, wenn ich sage, daß eben sie die Monumentalität dieses Dinges teilweise bestimmt. Und in diesem Sinne können wir denn auch mit  S i t t e  sagen, daß die gesamte Kleinkunst - unbeschadet ihres sonstigen artistischen Ranges - auf das Merkmal des Monumentalen keinen Anspruch hat. Allein, ich glaube nicht, daß damit schon ein erschöpfender oder gänzlich einwandfreier Begriff für das Monumentale gefunden ist. In der Tat: Monumentalkunst bloß synonym mit großer Baukunst gebraucht, schränkt unseren Begriff einesteils willkürlich ein und erweitert ihn andernteils zu sehr. Denn wahrhaftig, wie vieles, das nicht der großen Baukunst angehört, ist dennoch monumental, und wie vieles in der großen Baukunst, wiewohl es selbst in dem oben dargelegten Sinne von Dauer sein mag, ist nicht monumental. Niemand wird z. B. behaupten, daß Werke wie die große chinesische Mauer zur großen Kunst gehören, und doch sagen alle, die diese Mauer gesehen haben, daß sie in hohem Maße den Eindruck dessen macht, was man monumental nennt. Und wiederum: Die Trümmer des Heidelberger Schlosses, die bis vor kurzem in ihrem Urzustande wohlerhalten waren, also Jahrhunderte, "mit ihrer Umgebung im Einklange", überdauert haben und gewiß der großen Baukunst angehören, können - bei aller künstlerischen Schönheit - wohl nicht eigentlich zu den monumental wirkenden Werken gezählt werden.

Feldegg_Monumentalität5.gif (26854 Byte) Das Gebäude der k. k. Kunstakademie auf dem Belvedere in Prag. Vom Architekten V. Rostlapil

Woran liegt das? Da muß wohl etwas dazukommen, das in dem Begriffe große Kunst nicht enthalten ist. Bleiben wir einen Augenblick bei den gewählten zwei Beispielen der Baukunst stehen: der chinesischen Mauer und dem Heidelberger Schlosse. Außer ihrer völligen Ungleichheit in der künstlerischen Wertigkeit wird uns wohl zweierlei auffallen. Einesteils die Verschiedenheit im Maßstabe ihrer Verhältntisse, anderseits in dem Grade der Detaildurchbildung. Dort nichts als die ungegliederte rohe und in ihrer Schlichtheit im Maßstabe riesig anwachsende Masse, hier die überreich skulpturierte, feine und in ihrer Formenfülle zierlich wirkende Architektur. Dann wieder: Dort eine einzige, große, ruhige, sozusagen Himmel und Erde trennende Linie: hier ein Gewirr von Linien, vom Größeren ins Kleinere, vom Kleineren ins Kleinste führend. Während also dort dem Auge und dem durch das Auge bestimmten Gemüte ein Bild von höchster Einfachheit geboten wird, wird ihm hier ein Bild von größter Mannigfaltigkeit vorgeführt. Während dort eine einzige Parallelempfindung, aber diese mit aller Wucht, in der menschlichen Seele ausgelöst wird (welcher Art sie ist, bleibe unbezeichnet), wird es hier eine ganze Reihe von Parallelempfindungen. Und nun ist es ein Eigentümliches des menschlichen Geistes, daß er lediglich den einzelnen starken Eindruck, nicht aber eine Summe im einzelnen schwächerer, wenn auch in der Gesamtheit gleich starker Eindrücke als etwas spezifisch Großartiges empfindet, als etwas, das ihn, je nachdem es angenehme oder unangenehme Mittöne bei ihm auslöst, begeistert oder zerschmettert, erhebt oder erdrückt. Es ist hier nicht der Ort, den Gründen dieser psychologischer Tatsache nachzuspüren: aber erinnern wollen wir uns dafür hier des eingangs Gesagten, wonach die Popularvorstellung von Monumentalität wesentlich mit der von Großartigkeit zusammenfällt, und wir werden einsehen, daß - da die Empfindung der Großartigkeit, wie wir eben erkannten, ihrerseits durch das Einfache vornehmlich ausgelöst zu werden pflegt - auch alle Monumentalität wesentlich mit Einfachheit verknüpft sein wird. Zu den Begriffsbestimmungen großartig und dauernd kommt somit als dritte die der Einfachheit hinzu, und wir können, was das gegenseitige Verhältnis dieser drei Bestimmungen betrifft, wohl sagen, daß die beiden letzteren der ersteren subordiniert sind, d. h. das Großartige wesentlich eben durch die zwei Merkmale des Dauernden und Einfachen zum Monumentalen wird. Die Untersuchung unseres Begriffes haben wir bisher ganz unabhängig davon geführt, wie er sich zu dem in der Ästhetik so viel umstrittenen Grundbegriff des Schönen oder des Künstlerischen verhält. Mit gutem Grunde. Denn abgesehen davon, daß das Schöne - oder wie wir uns synonym zu sagen getrauen wollen: das Künstlerische - zu den trotz Ästhetik und Kunstphysiologie noch undefinierten Begriffen gerechnet werden muß - abgesehen davon leitet uns das Gefühl, daß das Monumentale kein dem Kunstgebiete ausschließlich Eigentümliches, vielmehr ein einem weiteren Bereiche Angehöriges ist. In der Kunst freilich wird es häufig auch mit dem "Schönen" verbunden sein: aber nicht als ein aus diesem selbst Abgeleitetes, sondern vielmehr als ein neben dem Schönen Bestehendes. Monumentalität und Schönheit schließen somit lediglich einander nicht aus - ja gewiß nicht; aber Schönheit schließt Monumentalität weder in sich, noch wird sie selbst von ihr eingeschlossen. Diese Feststellung erscheint mir von Wichtigkeit; von Wichtigkeit insbesondere deshalb, weil dadurch Monumentalität aus den Fesseln einer gewissen Subjektivität, die trotz allem und allem den Schönheitsbegriff oder den Begriff dessen, was man als künstlerisch bezeichnet, umfangen, befreit erscheint. Ganz deutlich werden wir das empfinden, sobald wir unseren Begriff auf die Baukunst anwenden oder eigentlich aus ihr zu abstrahieren suchen. - Gleich auf den ersten Blick: Welcher Fülle von Monumentalität ohne Kunst oder Schönheit (in ästhetischem Sinne) begegnen wir hier! Jeder Damm, der einen brausenden Strom in sein Bett bannt - ein Monument: jede Brücke, die in hohem Bogen oder langgestrecktem Gitterträger zwei Ufer verbindet - ein Monument: ein Monument auch - ganz zweifellos - der Eiffelturm: ein Monument die Pyramiden; ein Monument noch so vieles, vieles andere - das doch, seien wir nur besonnen - ins Reich des "Schönen" einzubeziehen, vorerst eine Unbedachtsamkeit und Übereilung wäre. Monumentalität hat also, das wird wohl als feststehend gelten können, an und für sich mit Schönheit nichts zu tun. Ihre Wirkung auf das Gemüt, so groß sie ist, kann nicht als eine Auslösung dessen angesehen werden, was wir ästhetisches oder schönes Empfinden nennen.

Feldegg_Monumentalität6.gif (74854 Byte) Modell des Kaiser Franz Joseph-Stadt-Museums samt der Platzanlage. Vom Architekten k. k. Oberbaurat und Professor Otto Wagner

Aber, wird man wohl einwenden, was soll dann das Monumentale in der Kunst? Ist es in ihr noch berechtigt, ja überhaupt noch zuständig? - Und nun weiß ich wohl, daß ich vor einem Paradoxon stehe, wenn ich es so hinstelle: In der Kunst ist das Schöne nicht der Anfang, sondern das Ende, nicht das Erste, sondern das Letzte. In der Kunst ist nicht das oder das so oder so, weil es, um "schön" zu sein, so sein muß; nicht ein objektives Etwas, das irgendwo (im Wolkenkuckucksheim) ist, soll in der Kunst "erreicht" werden, und nicht ist die Kunst mehr Kunst, indem sie diesem Etwas näher kommt, und weniger Kunst, indem sie ihm ferner bleibt. Nein: zuerst ist die Kunst - aber um keines "Schönen" willen ist sie, das selbst noch gar nicht "ist", sondern sich bildet als Reflex des menschlichen Geistes auf die Kunst: das Schöne ist somit das Letzte. Dieses Schöne ist auch kein objektives Etwas von irgendwoher, kein Ziel und Zweck  v o r  unserem Auge, sondern der Niederschlag dessen, was hinter uns den Weg bezeichnet, den wir zurückgelegt. "Schön" ist also das Objekt der Kunst nicht a parte ante oder von vornherein, sondern a parte post oder rückschauend betrachtet; schön ist nicht ein feststehender "Grenzwert", den, wenigstens annähernd, zu "erreichen" die Aufgabe (sozusagen die verfluchte Pflicht und Schuldigkeit) der Kunst ist, sondern schön ist ein der Kunst immanentes, mit ihr sich entwickelndes, sich abwandelndes Etwas, ein beständig Wechselndes und keineswegs Feststehendes. Ich kündigte vorhin an, eine paradoxe Behauptung aussprechen zu müssen. Aber in der Tat ist sie garnicht so paradox: heute, da der Entwicklungsgedanke unsere sämtlichen Vorstellungen so tief und nachdrücklich umgestaltet hat! Aber freilich: die Ästhetik als absolute Wissenschaft muß abdizieren: die Ästhetik darf sich nicht länger mehr einbilden, ein Kanon aller Zeiten zu sein. Sie muß vielmehr einsehen, daß sie nicht Wissenschaft (oder Lehre) vom Schönen überhaupt ist, daß es eine solche gar nicht gibt, sondern daß es nur gibt z. B. eine Ästhetik des XV. Jahrhunderts und dann wieder eine des XX. Jahrhunderts, und daß diese Wissenschaften oder Lehren sich genau ebenso voneinander unterscheiden, genau ebenso auf teilweise neuer Grundlage ruhen als die Kunst in diesen zwei Jahrhunderten. Wenn wir nur einmal einsehen - und die Geschichte sagt es uns ja mit tausend Stimmen - daß die anthropologische Grundlage zu allem dem, daß, einfach gesprochen, der Mensch selbst ein beständig im Wechsel begriffenes Wesen ist, daß der Mensch des Cinquecento ein teilweise ganz anderer war, als es der des XX. Jahrhunderts ist - wie wollen wir dann noch einen Augenblick an der Fiktion festhalten, daß unbeschadet dieses Wandels dennoch der Begriff des Schönen heute und im XV. Jahrhundert ein und derselbe sein muß? Freilich, wenn dieser Begriff ein transcendenter, im Himmel schwebender wäre (so eine Art Gottbegriff, dem beständig sich zu nähern das traurige Los der Kunst wäre), dann vielleicht, aber nur dann enthält der Gedanke, daß dieser Begriff heute noch genau derselbe ist wie im XV. Jahrhundert, keinen Widerspruch (das Schöne wäre nämlich heute genauso unerreichtes Ideal, als es dies im XV. Jahrhundert war). Sobald wir aber inne werden, daß diese ganze Vorstellung eines Transcendent- Schönen, eines nicht in der Kunst selbst liegenden, sondern außerhalb ihr schwebenden Begriffes eine tolle Fiktion ist, sobald wir inne werden, daß, wie ich oben sagte, das Schöne bloß der psychische Niederschlag des Wirklichen, des Gewesenen oder doch des Gesetzten in der Kunst ist: dann können wir keinen Augenblick länger zweifeln, daß das Schöne ein historisch sich abwandelndes Etwas ist, das - und hier berühre ich wieder unser Hauptthema - nicht  v o r,  sondern lange, ja lange  n a c h  dem Monumentalen in der Kunst entsteht.

Feldegg_Monumentalität7.gif (75703 Byte) Entwurf für eine einfache Kirche auf dem Lande. Vom Architekten Hans Mayr

Also monumental kann etwas sein, das deshalb noch nicht schön zu sein braucht. Ich nannte schon etliche Beispiele, die dies belegten. Haben wir aber einmal erkannt, daß Monumentalität unabhängig ist vom Schönheitsbegriff, haben wir erkannt, daß Monumentalität diesem Begriff voraufgeht, daß sie sozusagen psychisch tiefer, primärer gelagert ist als Schönheit, so werden wir auch ruhig die unmittelbar sich daraus ergebende Folgerung aussprechen: Monomentalität ist unabhängig von einem bestimmten Kunststil. Denn was ist Stil? Doch nur das Schöne im einzelnen Kanon - das kanonisierte Schöne. Ist aber Monumentalität vom Schönen im allgemeinen unabhängig, dann gewiß auch vom im einzelnen Kanon gebannten Schönen. - O, wie unscheinbar, wie selbstverständlich ist diese Folgerung! - Aber, man merkt doch wohl, daß damit ein ganzes, großes Gebiet erobert ist? Von wem erobert? Und welches Gebiet? - Von der modernen Kunst und das Gebiet der modernen Technik! Das war ja der Vorwurf, der beständig den Errungenschaften der modernen technischen Konstruktionen gemacht wurde, daß sie nicht schön sind, mit der "Kunst" nichts zu tun haben. Aber freilich sind sie das nicht! Sie sind es nicht, wenn wir (wieder einmal) Schönheit im Sinne unserer Ästhetik als transcendentalen Grenzbegriff auffassen und zugleich - wie widerspruchsvoll - an die Formen vergangener Kunststile denken, als die bereits anerkannt "schönen". Aber fragen wir lieber gar nicht mehr darnach, ob schön oder nicht schön, katzbalgen wir uns nicht mehr mit dem albernen Unbegriff - sagen wir es doch einfach und gerade heraus: Monumental im stärksten Maße sind alle diese großartigen technischen Konstruktionen, der Eiffelturm und die Brücken, die Dämme und Hallen und was sonst noch auf dem Gebiete unserer Ingenieurkunst entstanden ist. Und wahrlich, damit ist eine tiefere, primärere Empfindung unserer Seele ausgelöst, eine kräftiger tönende Saite unseres Gemüts angeschlagen, als es je das "Schöne" oder "Künstlerische" im Sinne unserer historischen Vorstellung dieser Begriffe vermöchte. Indem also die moderne Technik der Baukunst das Gebiet des Monumentalen erschlossen hat, braucht uns - uns ängstlichen Philisterpriestern im Tempel der Stilschönheit - um das Schöne und Künstlerische nicht bange zu sein. Es wird sich einstellen. Es wird sich so gewiß einstellen, als es nichts anderes ist als die Ratifikation des einmal Gesetzten (des Gewordenen) durch den daran erbildeten Geschmack, nichts anderes als der psychische Reflex auf eine Anzahl nach und nach zu festen Empfindungen verdichteter neuer Reize, - vulgo: die Anerkennung des Gewohnten. So hätten wir denn erkannt, indem wir in der Monumentalität ein dem festgelegten Schönen, dem Schönen im stilistischen oder historischen Sinne voraufgehendes Merkmal der Baukunst aufdeckten, daß es einerseits ebensosehr falsch ist, für die Stilkunst Monumentalität als eines ihrer Privilegien in Anspruch zu nehmen, als es anderseits gewiß ist, daß jede Kunst - und also auch die moderne - den Keim des Monumentalen in sich schließt - in sich schließt, soferne nur jene Elemente in ihr gelegen sind, die wir als die Grundlage der Monumentalität wahrnahmen. Ganz besonders sogar werden wir die Prognose der modernen Kunst dahin stellen können, daß ihr - ihren Elementen nach zu schließen - Monumentalität in hohem Maße eignet. Aber freilich wollen wir, dies einzusehen, nicht vergessen, daß in der Baukunst stärker vielleicht als auf einem anderen Gebiete menschlichen Schaffens das Entwicklungsgemäße, Werdende ihres Wesens den Ausschlag gibt, daß mit dem Fertigen das Kommende, mit Gewordenem das Werdende messen, dieses nach jenem beurteilen zu wollen, ein verhängnisvoller Fehler ist, der Ungereimtes anstrebt und uns an die sonderbaren Kapriolen jenes Mannes erinnert, welcher sich abmühte, seinen Schatten gegen das Licht zu werfen.

F. v. Feldegg