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Autor: Gurlitt, Cornelius
In: Die Durchgeistigung der deutschen Arbeit: Wege und Ziele in Zusammenhang von Industrie, Handwerk und Kunst. - 1. - 10. Tsd. - Jena: Diederichs (1912) - Ill., 116, 109 S.: zahlr. Ill. (Deutscher Werkbund: Jahrbuch des Deutschen Werkbundes; 1912)
 
Wechselrede über ästhetische Fragen der Gegenwart
 
AUF DER JAHRESVERSAMMLUNG 1911
Cornelius Gurlitt, Dresden

Herr Geheimrat Muthesius hat in seinem Vortrage auf Rembrandt als Erzieher hingewiesen, ein Buch, das vor etwa 25 Jahren erschienen und damals von den meisten als ein Herumfahren mit der Stange im Nebel bezeichnet worden ist, weil sein Verfasser die Aufgabe, die er sich stellte, weit über dem sogenannten praktischen Leben suchte, und weil er viel tiefer, als das praktische Leben gewöhnlich eingreift, in die Dinge hineingegangen ist. Wenn wir uns hier mit ästhetischen Fragen beschäftigen wollen, wenn wir nicht nur die praktischen Fragen von heute auf morgen behandeln, sondern unsere Stellungnahme zur Zukunft berücksichtigen, so glaube ich, werden wir damit Fundamente legen, die, ähnlich wie jenes Buch, für die Zukunft anregend und bedeutungsvoll sind. Es ist ein neuer Zug ästhetischen Denkens in unsere Nation gekommen, eine praktische Ästhetik, die überall von der Erkenntnis der realen Dinge und nicht von den Schlüssen ausgeht. Ich fand im Vortrag des Herrn Muthesius eine Reihe von Punkten, die zur Debatte gestellt zu werden verdienen. Zunächst hat er darauf aufmerksam gemacht, daß jetzt fast ausschließlich die Qualität in den Vordergrund gestellt wird. Die Qualitätsfrage allein könne nicht entscheidend sein, sondern neben dem Worte Qualität verdiene das Wort Form an die Spitze unserer Bestrebungen gestellt zu werden. Sodann wurde eine andere wichtige Frage berührt, die Frage: Typus oder Individualität? Das ist die Frage, die Sie, wenn Sie nach Hellerau kommen, zwar nicht gelöst, aber überall angeschnitten finden, und das in geistreicher und interessantester Weise. Dort sehen Sie im Hause, wie in der Hauseinrichtung neben der individuellen Ausgestaltung oft den Typus, das erstere nach dem Geschmack des Künstlers, das zweite nach dem Geschmack desjenigen, der das Haus bewohnt. Da liegt eine ganze Reihe von Zwischenfragen, die wir heute gewiß nicht erschöpfen werden, die uns aber mancherlei Gesprächsstoff bieten. Dann möchte ich hinweisen auf die Heimatschutzbewegung, die gerade in der jüngsten Zeit Angriffe erfahren hat, von denen ich den Eindruck habe, als wenn sie auch im Muthesiusschen Vortrage einen Nachklang gefunden hätten. Ich glaube aber, auch hier wird sich bei einer Aussprache zeigen, daß wir auf eine gemeinsame Formulierung unserer Wünsche herauskommen werden.

siehe auch:
Osthaus, K. E.
Fuchs, C. J.
Schäfer, Karl
Schmid, Max
Fischer, Theodor
Avenarius, Ferdinand
Muthesius, Hermann