Ein Klick auf das Druckersymbol startet den Druckvorgang des Dokuments Drucken
 
Autor: Mielke, Robert
In: Kunstgewerbeblatt - 5 (1889); S.134 - 135
 
Noch ein Wort zur Stilfrage *)
 
___
*) Der Aufsatz auf S. 74 des Kunstgewerbeblatts hat uns eine Anzahl Artikel zugeführt, denen wir mit Rücksicht auf die Wichtigkeit der Frage allmählich Raum geben, um verschiedene Anschauungen zu Worte kommen zu lassen. Die Red.


Es ist schon viel über dieses Thema geschrieben und gesprochen worden, ohne daß je doch diese theoretischen Erörterungen irgend welchen Erfolg aufzuweisen hätten, es sei denn den negativen, daß wir, resp. auch die Zukunft auf die Schöpfung eines eigenen Stiles zu verzichten hätten. Erst in neuerer Zeit scheint die Erkenntnis durchzubrechen, daß man dem schaffenden Künstler selbst die Initiative zu überlassen hätte, der dann schon den richtigen Weg bei unserer solchen Bestrebungen entgegenkommenden Zeit finden würde. Dann werden auch alle auf Hebung des Kunstgewerbes gerichteten Maß regeln den Zug der Zeit berücksichtigen, vorzugsweise aber die Schulen sich mit ihm befreunden müssen. Je eher dies geschieht, um so besser für das Kunstgewerbe, und erfreulich ist es, zu bemerken, daß sich die Stimmen mehren, welche Abänderung der bisher geübten Methode zur Aneignung von Stil- und Formensinn dringen.

Es soll nicht der Zweck dieser Zeilen sein, die Materie hier eingehend zu behandeln; dazu fehlt es hier an Raum, und ich verweise auf eine demnächst erscheinende Schrift, *) die dieselbe ausführlicher untersucht. Vielmehr wollen wir aus der Fülle der Erscheinungen auf kunstgewerblichem Gebiet einige heraussondern, welche uns einerseits den Beweis liefern, daß die Gegenwart sich durchaus nicht bloß auf das Nachahmen beschränkt, andrerseits aber Anhaltspunkte für die künftige Gestaltung des Unterrichts geben.
___
*) R. Mielke: Die Münchener Kunstgewerbe-Ausstellung in Bezug auf Stil- und Zeichenunterricht. Berlin 1889. Claesen & Co.


Unser Kunsthandwerker ist Eklektiker, er kennt alle Stile und weiß sie zu verwenden: aber in diesem zuerst planlosen Durcheinander vollziehen sich bestimmt Gruppirungen um einen Mittelpunkt, der durch die Blüte eines Gewerkes repräsentirt wird. So gehen der Tapezieren und der Dekorateur, die Porzellan- und Rahmenfabrikation mit Vorliebe auf ihre höchste Blüte, d. h. auf das Rokoko zurück, während der Tischler die Renaissance, die Textilkunst den Orient bevorzugt. Wir können noch weiter gehen und behaupten, daß selbst der einzelne Gegenstand im allgemeinen den Vorbildern seiner Blütezeit folgt. So der Fächer, der Schmuck denen des Rokoko, der Krug denen der Renaissance, der Theetisch den japanischen u. s. w. Umgekehrt finden wir, daß Gegenstände, welche unsere bedürfnisreiche Zeit erst hat entstehen lassen, sich allen Stilgesetzen (im engeren Sinne) zu entziehen bestreben und auf das ursprünglichste Vorbild, die Natur zurückgehen, z. B. elektrische Kronleuchter als leuchtende Blumen, Früchte, Sterne u. s. f.

Betrachten wir hingegen die Ausführung solcher Stücke, gleichviel in welchem Stile sie auch beabsichtigt war, so ergeben sich hier Abweichungen von den ursprünglichen Vorbildern, die nicht nur durch das Material und den veränderten Herstellungsprozeß bedingt werden, sondern auch bezeugen, wie sehr sich die Ideenwelt des schaffenden Künstlers verändert hat; und die so ganz neue Werke erzeugen.

Es ist zunächst zu betonen, daß der Einfluß der Japaner auch bei uns die Vorliebe für realistisches Ornament gesteigert hat. Selbst beim stilisirten Ornament kommt hin und wieder das Zurückgehen auf die Natur zum Druchbruch und äußert sich in der mehr oder minder realistischen Durchbildung der Details. Warum dabei aber unsere heimische Pflanzenwelt unberücksichtigt bleibt, ist um so unerklärlicher, als diese gerade an charakteristischen Typen so reich ist. Man wird nicht fehlgehen, wenn man neben der nationalen Eigentümlichkeit, das in der Ferne zu suchen, was man so nahe hat, auch die verkehrte Unterrichtsmethode dafür verantwortlich macht. - Sodann wird aber die formale Erscheinung von zwei Faktoren beeinflußt, die nur unseren Tagen eigen sind: das ist ästhetisches Empfinden und malerische Komposition.

Die Ästhetik ist eine verhältnismäßig junge Wissenschaft, aber Einfluß auf die formale Gestaltung im Kunstgewerbe gewann sie erst seit einigen Dezennien. Das Wirken Karl Böttichers und Jakobsthals ist noch heute maßgebend dadurch, daß eine systematische Ornamentlehre das Geheimnis der Wirkung dem keimenden Talente enthüllt. Die Verteilung der Massen, die Bewegung und der Schwung der Linien, die Harmonie der Farbe werden so mehr von dem wägenden Verstande geregelt. Trotz der alten Formengrammatik ist die neue Komposition doch etwas wesentlich Fremdes im Gegensatz zu den Werken der Vorfahren. Es ist wie in der Sprache; auch hier haben wir noch die alten Buchstaben, aber die Schreibweise ist nicht mehr die alte, neue Wortverbindungen und Flexionen verleihen der jetzigen Schrift ein verändertes Aussehen. Der Hauch unserer Zeit liegt sowohl auf dem geschriebenen oder gedruckten Wort, wie auf dem Werke der Kunst. - Die Kenntnis der Meisterwerke aller Stile, verbunden mit dem kritischen Studium derselben, hat die Gegenwart mit einem hochentwickelten Formen- und Farbensinn ausgestattet, der aber bei der verstandesgemäßen Anwendung meist kühl und nüchtern wirkt. Wo früher Liebenswürdigkeit und Anmut, Gemütstiefe und naive Unvollkommenheit zu den reizvollsten Schöpfungen sich verbanden, da erzeugt heute bewußtes Wollen und Kenntnis der Ursachen des Schönen eine scharf ausgeprägte Proportion der Teile, die in letzter Linie wieder auf mathematische Deduktionen zurückgehen, während in der Farbenwirkung zu dem natürlichen Gefühl dafür noch bestimmte Farbentheoreme sich gesellen. Tritt zu diesen Voraussetzungen noch der Betrieb der Maschine, die Massenfabrikation, so erzeugt diese Verbindung Werke, welche in ihrer eleganten Trockenheit und starren Gesetzmäßigkeit selbst unserer durchaus nicht sentimentalen Zeit zu dürftig erscheinen. Der moderne Hellenismus hat solche Schöpfungen auf dem Gewissen.

Glücklicherweise jedoch hat man sich gegen solche Kunst aufgelehnt und in der "malerischen Komposition" ein Mittel gefunden, solche starren Gebilde zu beleben und genießbar zu machen. Sie beruht hauptsächlich auf dem Reiz, den die unmotivirte Störung des Gesetzmäßigen ausübt, und der immer wohlthuend wirkt, wenn eine weise Beschränkung damit Hand in Hand geht. Es ist ein fast unübersehbares Gebiet, welches sich hier dem Künstler darbietet: der Maler, Bildhauer, Architekt und Kunsthandwerker benutzen es. Wo der eine Erker, Türme, Rampen u. dergl. anwendet, braucht der andere exotische Pflanzen, Waffen ec., um die Komposition zu bereichern. Die moderne Innendekoration giebt hier ein treffendes Beispiel; Makartbouquets, Waffen, Ampeln, Bücher, hängende Teppiche, China- und Japanwaren vereinigen sich hier zu einer Wirkung von hohem Reiz. Wir überlassen es dem einzelnen hier weitere Beispiele zu finden; sie bieten sich auf allen Gebieten des künstlerischen und gewerblichen Lebens dar.

Aus dem Gesagten ergiebt sich, daß unter gegenwärtiges Kunstgewerbe von drei Faktoren beeinflußt wird, die seine Erzeugnisse von denen der Vergangenheit unterscheiden und zugleich die Bildung eines neuen, auf  e k l e k t i s c h e r  G r u n d l a g e  b e r u h e n d e n  Stiles vorbereiten. Diese Erkenntnis führt von selbst darauf, zu untersuchen, wieweit unsere Kunstgewerbeschulen diesem Zeitgeist entgegenkommen. Wenn das Resultat dieser Untersuchung auch noch wenig befriedigt, so wird eine Reorganisation des Unterrichts nur eine Frage der Zeit sein. Für den letzteren ist besonders das Studium der Natur und der Stilgesetze von Wichtigkeit, auf deren kausalen Nexus vor einigen Wochen an dieser Stelle hingewiesen ist.