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Autor: Mies van der Rohe, Ludwig
In: G. - (1924); 3. - S. 18 - 20
 
Industrielles Bauen
 
Die Notwendigkeit einer Industrialisierung des Bauwesens wurde noch vor kurzer Zeit von fast allen beteiligten Kreisen bestritten und ich betrachte es als einen Fortschritt, daß diese Frage jetzt von einem größeren Kreise ernsthaft erörtert wird, wenn auch wenige hiervon wirklich überzeugt sind. Die fortschreitende Industrialisierung auf allen Gebieten hätte auch das Baugewerbe ohne Rücksicht auf veraltete Anschauungen und Gefühlswerte ergriffen, wenn hier nicht besondere Umstände hindernd den Weg versperrten. In der Industrialisierung des Bauwesens sehe ich das Kernproblem des Bauens unserer Zeit. Gelingt es uns, diese Industrialisierung durchzuführen dann werden sich die sozialen, wirtschaftlichen, technischen und auch künstlerischen Fragen leicht lösen lassen. Die Frage, wie die Industrialisierung durchzuführen ist, läßt sich vielleicht dann beantworten, wenn wir festzustellen versuchen, was hier hindernd bisher im Wege stand. Die Vermutung, daß rückständige Betriebsformen Ursache hierzu seien, trifft nicht zu. Sie sind nicht Ursache, sondern Wirkung eines Zustandes und sie stehen in keinem Gegensatz zu dem Charakter der alten Bauwirtschaft. Der Versuch zu neuen Betriebsformen ist wie¬derholt unternommen worden und hat nur die Teile des Bau¬wesens erfaßt, die eine Industrialisierung zuließen. Auch wird der Montagecharakter des heutigen Bauens zweifellos überschätzt. Er ist fast nur bei Hallenbauten für die Industrie und die Landwirtschaft durchgeführt worden und zwar waren es zuerst die Eisenbaufirmen, die ihre Konstruktionsteile in ihren Betrieben montagefertig herstellten. Neuerdings ist auch die Holzindustrie bestrebt, ihre Konstruktionsteile industriell zu bearbeiten, um einen reinen Montagecharakter für den Bau zu erzielen. Bei fast allen anderen Bauten werden der gesamte Rohbau und große Teile des Innenausbaues seit undenklichen Zeiten in derselben Weise ausgeführt und tragen einen rein handwerklichen Charakter. Dieser Charakter ist weder durch Wirtschaftsformen noch durch Arbeitsmethoden zu verändern und gerade er sichert den Kleinbetrieben ihre Lebensfähigkeit. Man kann natürlich durch die Verwendung größerer und anderer Steinformate Material und Arbeitslöhne ersparen, wie die neuen Bauweisen zeigen, doch auch das verändert in keiner Weise den handwerklichen Charakter des Bauens; wobei noch zu beachten ist, daß das Ziegelmauerwerk gegenüber diesen neuen Bauweisen unbestreitbare Vorzüge aufweist. Es kommt nicht so sehr auf eine Rationalisierung der bisherigen Werkmethoden an, als auf eine grundlegende Umgestaltung des Bauwesens überhaupt.

Solange wir im Wesentlichen dieselben Materialien verwenden, wird sich der Charakter des Bauens nicht ändern und dieser Charakter bestimmt, wie ich vorhin schon erwähnte, letzten Endes die Betriebsformen. Die Industrialisierung des Bauwesens ist eine Materialfrage. Deshalb ist die Forderung nach einem neuen Baumaterial erste Voraussetzung. Es muß und wird unserer Technik gelingen, ein Baumaterial zu erfinden, das sich technisch herstellen und industriell verarbeiten läßt, das fest; wetterbeständig, schall- und wärmesicher ist. Es wird ein Leichtmaterial sein müssen, dessen Verarbeitung eine Industrialisierung nicht nur zuläßt, sondern erfordert. Die industrielle Herstellung aller Teile läßt sich erst im Fabrikationsprozeß wirklich rationalisieren und die Arbeit auf der Baustelle wird dann ausschließlich einen Montagecharakter tragen und auf eine ungeahnt kurze Zeit beschränkt werden können. Das wird eine bedeutende Verbilligung der Baukosten zur Folge haben. Auch werden die neuen baukünstlerischen Bestrebungen ihre eigentlichen Aufgaben finden. Ich bin mir klar, daß das Baugewerbe hierdurch in seiner bisherigen Form vernichtet wird; wer aber bedauern würde, daß das Haus der Zukunft nicht mehr von Bauhandwerkern hergestellt werden kann, möge bedenken, daß auch das Automobil nicht mehr vom Stellmacher erbaut wird.