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Autor: Osthaus, K. E.
In: Deutscher Werkbund: Jahrbuch des Deutschen Werkbundes (1912); Die Durchgeistigung der deutschen Arbeit: Wege und Ziele in Zusammenhang von Industrie, Handwerk und Kunst - 1. - 10. Tsd. - Jena: Diederichs (1912);  - Ill., 116, 109 S.: zahlr. Ill.
 
Wechselrede über ästhetische Fragen der Gegenwart
 
AUF DER JAHRESVERSAMMLUNG 1911

K. E. OSTHAUS, HAGEN i. W.:
VON Geheimrat Gurlitt wurde die Frage angeführt: Typ oder Individualität. Welche Stellung kann man vom Standpunkte einer geklärten Ästhetik zu dieser Frage einnehmen? Ich glaube das so beantworten zu können: Ein Typ kann überall entstehen, wo ganz gleichmäßige Bedürfnisse da sind. Der Typus hat überhaupt nur mit der Pflege des Bedürfnisses etwas zu tun, und nicht mit der Pflege der Kunst. Da, wo gleiche Bevölkerungsmengen gleiche Bedürfnisse haben, ist es möglich und selbstverständlich, daß Typen sich herausbilden. Ich komme gerade aus Frankreich. Dort habe ich zu meiner größten Überraschung eine Reihe von Städten gefunden, die fast ganz aus einem künstlerischen Plan hervorgegangen sind. Ich möchte besonders Rennes nennen. Diese Stadt ist um die Mitte des 18. Jahrhunderts vollständig abgebrannt und dann nach einem einheitlichen architektonischen Plan wieder aufgebaut worden. Es gibt dort eigentlich nur Typen. Es ist fast unmöglich, ein Haus vom anderen zu unterscheiden. Und trotzdem gibt diese Stadt ein so eindrucksvolles Bild, wie vielleicht wenige Städte in der Welt es geben. Man gewinnt aus dem Stadtbild den Eindruck des stärksten künstlerischen Lebens, trotz der vollständigen Gleichheit des Äußeren. Der Typ, wie er dort in Erscheinung tritt, hat sich eben durch die Ausgleichung und Abschleifung der persönlichen Bedürfnisse herausgebildet. So braucht also der Typ nicht notwendig ein Hinderungsgrund für künstlerische Gestaltung zu sein. Es handelt sich nur darum, daß der Typ künstlerisch bewältigt wird.
Dann die Frage: Heimatkunst oder moderne Kunst. Ich möchte betonen, daß das eigentlich Künstlerische in der Architektur dem Wandel der Zeit in gewisser Beziehung unterworfen ist. Es ist klar, daß, wenn die Konstruktion sich ändert, dann sich auch der Stil und die Bauweise der Zeit ändern muß. Nicht in dem Sinne, daß die Kunst eine andere wird, sondern in dem Sinne, daß die Kunst sich mit anderen Konstruktionen beschäftigt. Es kann ja sein, daß auch da, wo neue Konstruktionsmöglichkeiten gefunden werden, gewisse heimische Traditionen ihr Recht behalten. Aber unter allen Umständen würde es verkehrt sein, wenn man die Heimatkunde und den Heimatschutz zum Hemmnis des konstruktiven Fortschrittes und damit des Stilfortschritts einer Zeit machen wollte.

siehe auch:

Gurlitt, Cornelius
Fuchs, C. J.
Schäfer, Karl
Schmid, Max
Fischer, Theodor
Avenarius, Ferdinand
Muthesius, Hermann