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Autor: Reichensperger, August
In: Trier; Fr. Lintz'schen (1845) 115 S.
 
Die Christlich-germanische Baukunst und ihr Verhältniß zur Gegenwart
 
von August Reichensperger

Nebst einem Berichte Schinkel's aus dem Jahre 1816 den Cölner Dombau betreffend, als Anhang.
Trier, 1845.
Druck und Verlag der Fr. Lintz'schen Buchhandlung.



E r s t e r A r t i k e l.

Wer nicht absichtlich vor den Dingen, die sich in unserer Mitte begeben, sein Auge verschließt, wird den großartigen Impuls nicht übersehen können, wodurch die Gemüther zu den Schöpfungen des christlichen Mittelalters mehr und mehr hingedrängt werden. Die bornirte Anschauungsweise, welche insbesondere die Baudenkmäler jener Periode für Verirrungen einer barbarischen Phantasie hielt, und in ihrem unerschöpflichen Formenreichthume nur ein Spielwerk für Riesenkinder zu erkennen vermochte, - diese Anschauungsweise hat meist einer stillen, scheuen Ehrfurcht Platz gemacht, oder sie wagt es doch schon nicht mehr, am hellen, lichten Tage sich betreten zu lassen. Immer dichter sieht man die civilisirten Nationen sich um jene Monumente, die Wegweiser ihrer Geschichte, schaaren, bemüht, ihre Räthsel zu deuten; die Männer der Wissenschaft aber haben bereits ihr Gedankennetz ausgeworfen, um, was sie "System" nennen, in die vereinzelten Bestrebungen und Resultate zu bringen. - Auch unsere deutsche Gelehrtenwelt ist endlich, nachdem sie sich lange genug besonnen, fast mißmuthig mit an's Werk gegangen und hat ihre Aufmerksamkeit den so lange schon verschollenen Herrlichkeiten zugewendet, deren Verehrer sie vordem, von der Höhe ihres klassischen Scherbenberges herab, kaum eines Blickes gewürdigt hatte. Und wie denn der Deutsche, was

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er einmal beginnt, gleich gründlich zu betreiben gewohnt ist, so hat er auch auf diesem Gebiete in kurzer Frist schon recht Namhaftes zu leisten gewußt. Ehre den fleißigen, scharfsinnigen Forschern, welche zum Ruhme des deutschen Namens hierzu mitgewirkt haben!

Wenn in solcher Art die wissenschaftliche Reputation so ziemlich gewahrt erscheint, so ist damit in den Augen Vieler Alles gethan, was billiger, ja was vernünftigerweise nur irgend verlangt werden kann. Selbst die große Mehrzahl derjenigen, welche mit Griffel und Feder jenes schöne Resultat herbeigeführt haben, sehen offenbar ihre Aufgabe als eine rein theoretische an, oder doch als eine Aufgabe von nur sehr untergeordneter praktischer Bedeutung. Das Mittelalter mit seiner Kunst, wie überhaupt mit seiner Kultur und allen seinen Tendenzen und Thaten ist ihnen ein hinter uns liegendes Durchgangsstadium, ein abgeschlossenes Ganzes, in dessen Dunkel die Wissenschaft eben nur um ihrer selbst willen ihre Leuchtkugeln werfen soll. Will es nur der deutschen Gründlichkeit gelingen, dem Vaterlande die Ehre der Erfindung, vielleicht auch noch der höchsten Ausbildung, des Spitzbogenstyles zu sichern und die in diesem Style aufgeführten Bauten genau zu inventarisiren und in allen ihren Eigenthümlichkeiten zu Papier zu bringen, so mögen die spitzbogigen Bauwerke immerhin ruhig zusammenstürzen, falls die Polizei nur Vorkehr trifft, daß solches nicht unmittelbar über unseren Köpfen geschieht!

Aus dem umfassendsten Prachtwerke wie aus der kleinsten Abhandlung weht es Einen in der That immerfort an, als ob es sich nun darum handle, einer großen Kunstperiode die letzte Ehre zu erweisen - daß sie dahin geschieden sei für

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immer, darüber wird auch nicht der leiseste Zweifel laut. Nicht Wenige erklären es sogar rund heraus für baaren Unsinn, an eine Wiederbelebung der mittelalterlichen Kunstweise auch nur denken zu wollen.

Man halte uns in dieser Beziehung nicht die Vereine entgegen, welche in neuerer Zeit im Interesse der ächt deutschen Kunst sich gebildet; oder dasjenige, was durch dieselben für die Erhaltung und selbst für den Weiterbau der Denkmäler dieser Kunst geschieht. Alle diese Bestrebungen sind, soweit ihre Richtung eine praktische ist, entweder von hochgesinnten Fürsten, oder von der Masse des Volkes, oder endlich von beiden zugleich ausgegangen, keineswegs aber von unserem Gelehrtenstande. Was haben z. B. die deutschen Universitäten und Akademien bis jetzt für den Bau des Kölner Domes, dieses Kanons der deutsch-mittelalterlichen Baukunst, gethan? Ist von allen diesen hohen Schulen auch nur ein Schrei der Indignation über den Vandalismus ausgegangen, der, zerstörend oder restaurirend, nach allen Richtungen hin fortwährend sein Unwesen treibt? - Doch man braucht nur die Hörsäle, die Bibliotheken und Museen dieser gelehrten Anstalten zu durchwandern, um sich sofort davon zu überzeugen, daß jener Kunstweise hier keine Zukunft blüht, daß man da viel zu viel mit dem Eie des Hesiod, mit egyptischen Mumien, etruskischen Vasen und römischen Legionensteinen zu schaffen hat, um an gothische Cathedralen denken zu können.

Solcher Indolenz gegenüber ist es doppelt erfreulich zu sehen, wie Einzelne muthig gegen den Strom ankämpfen und durch Wort und That den Beweis zu führen bemüht sind, daß nur die Rückkehr zu diesem, vor Kurzem noch so tief verachteten "gothischen" Style unserer Urväter die Kunst aus

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dem kläglichen Verfalle zu retten vermöge, in welchem wir dieselbe sich fortschleppen sehen. Vor Allen ist hier des wackern F. Hoffstadt zu gedenken, der unermüdlich ist, "des Zirkels Kunst und Gerechtigkeit" zu ergründen, zu deuten und wieder in's Leben einzuführen 1), sodann des Engländers Pugin, der fast für sich allein eine Kunstperiode bildet, dessen Feuereifer für die heilige Sache der ächtchristlichen Kunst bereits Resultate zu danken sind, die an das Wunderbare gränzen. 2) - Doch solche Erscheinungen, stehen hier wie allerwärts noch sehr vereinzelt da.

So Großes auch in Frankreich z. B. für die christlich-germanische Kunst bereits geschehen ist und täglich geschieht, 3)

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1) S. dessen "Gothisches A-B-C-Buch" bei Schmerber in Frankfurt 1840 u. d. folg. Jahre, ein Werk, welches wir allen denen, die einen tieferen Bleck in die Constructionsgesetze des germanistischen Styls werfen wollen, dringend empfehlen.

2) Welby Pugin entwickelt als Baumeister eine unermüdliche Thätigkeit. Er hat allein schon mehr Kirchen im Style des Mittelalters errichtet oder doch begonnen, als vielleicht alle heutigen deutschen und französischen Achitekten gusammengenommen. (Die "bulletins du comité des arts et monuments" haben ein Verzeichniß derselben mitgetheilt, aus welchem sich ergibt, daß derselbe bis zum Jahre 1843 schon 35 größere und kleinere Kirchen in gothischem Style theils vollendet, theils begonnen hatte). Zugleich tritt Pugin auch als Schriftsteller für die Prinzipien der christlichen Kunst in die Schranken. Es liegen uns folgende von ihm verfaßte Schriften vor: The true principles of pointed or christian Architecture. London, J. Weale 1840. Sodann ferner: An Apology for the revival of christian Architecture in England. London. Weale 1843. Vergl. noch die Schrift von Gondon: "Die religiöse Bewegung in England" Mainz 1845. (Uebersetzung aus dem Französischen).

3) Vergl. zwei Artikel des Verfassers unter der Ueberschrift: "Die Wiederbelebung der christlichen Kunst in Frankreich" im Domblatt Nr. 84 und Nr. 91, Jahrg. 1844.

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so scheint doch noch Vieles an ihrer vollständigen Rehabilitation in dem Lande zu fehlen, in welchem diese Kunst zuerst in's Leben getreten ist. Die stets sich erneuernden Hindernisse, die sich der Erbauung einer, unserem Landsmanne Gau aufgetragenen, gothischen Kirche für Paris entgegenstellen, liefern schon allein den Beweis, daß der Afterklassizismus noch keineswegs in der Madelaine seinen letzten Seufzer verhaucht hat.

Noch weniger kann man, im großen Ganzen genommen, den ausübenden Künstlern Deutschlands nachsagen, daß sie der "Reaction" sich angeschlossen hätten. Höchstens sehen sie sich die hübschen Bilderchen in den Werken über mittelalterliche Kunst mit demjenigen Interesse an, welches sie etwa einer chinesischen Porzellanfigur oder einer ächten Rokoko-Kommode zu schenken pflegen. Im Uebrigen aber bevölkern sie in ungetrübtester Seelenruhe unsere Städte mit den zum hundertsten und tausendsten Male dagewesenen uniformirten Mustergebäuden, die sie in ihren Mappen von der Akademie nach Hause gebracht haben und zu welchen das Recept im Wesentlichen dahin lautet, daß die eine Seite genau so aussehen muß wie die andere, daß Alles in geraden Linien fortläuft und in rechten Winkeln sich durchschneidet, daß die Thüre wo möglich in der Mitte angebracht ist, und daß zum Schlusse endlich die stets fertige Tüncherquaste das Ganze mit dem Reize der Einheit und der höchsten technischen Vollendung zu überhauchen hat.

Obgleich diese Art der Kunstübung nicht wenig dazu beitragen mag, daß die große Mehrzahl der Forscher über mittelalterliche Kunst mit dem Leben nichts zu thun haben will, und der Praxis hoffnungslos den Rücken kehren, so glauben

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wir doch, daß hierin eine Entschuldigung nicht gefunden werden kann; wir sind vielmehr der Ansicht, daß dadurch die Aufforderung nur um so dringender wird, die moderne Verkommenheit wieder in die Bahnen der ächten Kunst hineinzudrängen. Ja, wir tragen kein Bedenken es auszusprechen, daß wir es für ein schmähliches Verkennen ihres hohen Berufes ansehen, wenn die Kenner dieser Kunst vermeinen, es sei genug, das Erforschte sich selbst und Andern zur Anschauung und zur Erkenntniß gebracht zu haben, um es demnächst schwarz auf weiß in den Katakomben der Wissenschaft beisetzen zu dürfen; wenn sie, jene directe Einwirkung auf das Weben und Leben der Gegenwart verschmähend, nur nach dem Lorbeer die Hand ausstrecken, welchen die Gelehrtenzunft reicht. Das bloße Einbalsamiren der Todten wäre wahrlich des Schweißes so vieler Lebenden nicht werth: wenn es sich um weiter nichts handelt, so möge man lieber "die Todten ihre Todten begraben" lassen.

"Aber das Mittelalter ist nun einmal dahin und keine Macht kann dasselbe in's Leben zurückrufen; was soll also Anderes geschehen, falls man es nicht ganz und gar unbeachtet auf sich beruhen lassen will"? - So hören wir mehr als eine Stimme uns entgegenrufen, und, sonderbar, es sind dieß gerade vorzugsweise die Stimmen derjenigen, welche nicht genug applaudiren können zu den Versuchen der Flamänder, Friesen, Schleswiger, Waliser und Bretonen, ihre längst verschütteten Nationalitäten wieder auszugraben; es sind die Männer, die das vom Staub zerfressene Reichspanier wieder entrollt und die deutsche Flagge wieder auf allen Meeren flattern sehen möchten; die sich überall voran drängen, wo es sich um die Herstellung der uralten Volksrechte handelt,

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um Schwurgerichte, Oeffentlichkeit und Mündlichkeit; die mit Entsetzen dem Rühren und Regen des Slaventhums und des Magyarismus, gegenüber den germanischen Elementen, zusehen, und die Denjenigen sofort des Hochverraths am Vaterlande anklagen, der die furchtbare Realität dieser Regungen zu leugnen oder auch nur zu bezweifeln wagt; es sind jene Patrioten, welche die Axt an die letzte Wurzel legen möchten, die eine "wälsche" Hand in deutschen Boden eingesenkt; die das Elsaß und Lothringen ohne Unterlaß auffordern, ihre verschollenen Erinnerungen an des römisch-deutschen Kaiserthumes Macht und Herrlichkeit aufzufrischen und neu zu beleben - sie Alle machen Chorus gegen jeden Versuch, Deutschland und die christliche Welt auch wieder in das so schmählich verzettelte Erbe der angestammten, glorreichen, ächtnationalen und zugleich ächtchristlichen Kunst einzusetzen und das Unkraut auszujäten, womit dasselbe im Laufe der drei letzten Jahrhunderte überwuchert worden. Die alte Sprache, das alte Gesetz will man uns gestatten, dem neuen "jungen" (?) Leben wieder einzuimpfen, aber bei Leibe nicht die alte Kunst mit ihren Traditionen, Regeln und Formen. Die gehört ein für allemal unter die Rubrik der "überwundenen Zustände", über welche die Geschichte definitiv den Stab gebrochen hat!

War es noch auch schon dahin gekommen, daß Friedrich II. dem ehrlichen Gellert gegenüber sich nicht genug verwundern konnte, daß ein Mann wie Er sich dazu verstehe, deutsch zu schreiben; hatten doch die höheren Stände allerwärts durch mehrere Generationen hindurch nur französisch lesen, schreiben, sprechen, sich kleiden, kochen und tanzen wollen; und dennoch nahm die Geschichte keinen Anstand, den Schritt zurückzuthun, und deutsche Sprache, Art und Sitte in Deutsch-

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land wieder zu Ohren zu bringen. Wenn durch den Gang der Weltereignisse und das natürliche Uebergewicht, welches die höhere Intelligenz stets verleiht, die Satzungen des römischen und canonischen Rechts allmählig unsere angestammten Volksrechte verdrängten; wenn der englische Dreizack unsere Industrie und unsere Küsten sich dienst- und zinsbar zu machen gewußt hat; wenn der deutsche Kaisermantel in Stücke zerrissen worden und dieselben in, wer weiß wie viele Hände gefallen sind - so muß das Alles als heillose Verirrung, als eine Todsünde gegen den heiligen Geist des Volksthums betrachtet und in kürzester Frist unfehlbar abgestellt werden. Nimmer darf es sich auf die Sanction der Geschichte, auf sein Verwachsensein mit allen unseren sozialen Verhältnissen, noch auch endlich auf die Schwierigkeit berufen, die so lange verlorenen Fäden wieder aufzufinden und an die Gegenwart anzuknüpfen. Die "Träger der öffentlichen Meinung" haben befohlen, und Himmel und Erde müssen gehorchen! - Wenn dagegen die herrliche, staunenswerthe Kunst unserer Vorzeit, an welche dieselbe ihr Höchstes und Bestes gesetzt, die bis zu den äußersten Gränzen der Civilisation als Vorbild gedient, wenn diese Kunst, das Wunder aller Zeiten in Größe, Schönheit und Tiefsinn, seit dem Beginne des 16. Jahrhunderts durch dasselbe Franzosenthum, mehr aber noch durch das zu einer Art von Scheinleben wiedererweckte Heidenthum, besudelt, zerstört, verhöhnt, weggeschwemmt worden; wenn die stattlichen Thurmkronen unserer Städte in den Staub geworfen, die Tempel des Herrn dem Boden gleichgemacht oder zu Mißgeburten umgestaltet worden; wenn jedes Erzeugniß des Mittelalters, von der niedrigsten Hütte an bis herauf zur himmelanstrebenden Cathedrale, mit einem Worte, wenn Alles, was im Gebiete der Kunst und der Architektur insbesondere, nur immer das Gepräge des im Christenthum auferzogenen Volksthums trug,

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unter den Streichen des brutalsten Vandalismus erlegen ist; dann darf hier von Sünde, Verirrung und unbegreiflicher Verblendung ja keine Rede seyn - mit stummer Resignation soll man darin den allgemeinen, unabweislichen weltgeschichtlichen Prozeß erkennen, gegen den jede Berufung an eine höhere Instanz durchaus unzulässig ist. Die "romantischen Querköpfe" mögen in den verlegenen Kram sich einnisten und ihn in Gottesnamen zu Gedichten und Erzählungen verarbeiten, unter der ausdrücklichen Bedingung jedoch, daß sie das "Leben" damit ungeschoren lassen!

Wir können nicht umhin, im Vorbeigehen hier darauf hinzudeuten, wie eine ganz ähnliche Folgerichtigkeit der Grundsätze und Gesinnungen in diesem Augenblicke sich bei der öffentlichen Debattirung der Unterrichtsfrage herausstellt, in welcher gerade die "liberalen" Wortführer in unserer Tagespresse, die Männer, so sich stets gebehrden, als ob sie, und nur sie allein der Freiheit Obdach und Schirm böten, den wüthendsten Krieg gegen diese Freiheit führten, wo das katholische Frankreich, seinen Klerus an der Spitze, dieselbe zum Schutze seiner heiligsten Interessen für sich anruft. Der tiefere Grund solcher Erscheinungen dürfte aber nicht allzuschwer zu entdecken sein.

Bei so bewandten Umständen können wir es uns freilich leider nicht verhehlen, daß, wenn man Umfrage im deutschen Vaterlande halten wollte, ob neben der angestammten Nationalität und Sprache und dem heimlichen Rechte auch die angestammte, aus dem Kerne des Volkes erwachsene, mit seinem Marke genährte Kunst wieder neu zu beleben, zu hegen und zu pflegen sei, sofort die ungeheure Mehrzahl der Stimmenden,

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oder doch derer, die in solchen Dingen ihre Stimme am lautesten abzugeben pflegen, Zeter über "die Gothik" rufen und ihr Weisthum dahin formuliren würden, daß ihr Wasser und Feuer auf immer zu versagen, daß ihr Untergang als eine vollendete Thatsache zu erachten, eine solche aber, wie bekannt, von jedermänniglich zu respektiren sei. Wisse die Gegenwart auch noch nicht so ganz recht, woran sie in dieser Beziehung zu halten und wohin sie zu steuern habe, so möge sie doch nur immer getrost auf der Eisenbahn zufahren; endlich werde man schon im Eldorado der Kunst "des modernen Weltbewußtseins" ankommen und nicht bereuen, daß man ausschließlich und unbedingt auf die Kraft der Lokomotive getraut und gebaut - kurz, alle Wurzeln der Nationalität mögen wieder ausschlagen und neue Schößlinge treiben, nur der kunstbildende Keim in derselben muß fortwährend in Erstarrung gehalten, oder doch lediglich dem Zufalle preisgegeben werden. So der Bescheid der Majorität.

Zu allem Glücke lehrt uns indeß die Erfahrung, daß das endliche Schicksal solcher Fragen in dieser Art durch arithmetische Majoritäten nimmer entschieden wird. Die Majoritäten stehen ihrerseits unter einem höheren, weltgeschichtlichen Gesetze, nach welchem die Stimmen gewogen und nicht gezählt werden. Magna est veritas et praevalebit. - Ja, wir vertrauen fest auf die siegende Kraft der Wahrheit! Dies Vertrauen aber begründet für uns zugleich die zuversichtliche Hoffnung, daß dieselbe auch hier sich bewähren werde, wie anderwärts; daß, allen Widersachern zum Trotz, jene Kunst des Mittelalters sich wieder Bahn brechen wird in das Leben: denn sie ist ja, wie die göttliche Religion, welche

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sie in tausendfachen Brechungen zurückstrahlt vor Allem und ihrem innersten Wesen nach wahr.

Es sei uns gestattet, zum Zwecke der näheren Erläuterung und Begründung dieses, vielleicht etwas vag und abstrus klingenden, Ausspruchs, in Kürze die leitenden Prinzipien darzulegen, die sich in den Strukturen des Mittelalters zu erkennen geben, so wie die Beziehungen der Kunstrichtung dieser Epoche zum Leben und die Art und Weise, wie sie den Bedingungen und Bedürfnissen desselben zu entsprechen geeignet ist.

Wenn auch hier nur andeutungsweise verfahren werden kann, so glauben wir doch, daß sich damit zugleich genügende Anhaltspunkte ergeben werden, um sich auf dem Gebiete zu orientiren, von welchem die Völker seit dem Beginne des 16. Jahrhunderts sich mehr und mehr haben hinweg verlocken lassen, bis sie endlich auf der "dürren Haide" der Gegenwart angelangt sind.

Es würde gleich zu weit vom Ziele abführen, wollten wir hier, der Gründlichkeit zu Liebe, vorerst auf die, so schwierige als bestrittene, Frage über das Verhältniß der Architektur und der Künste überhaupt zum Geiste und zur Natur, oder gar auf den letzten Grund alles ästhetischen Fühlens und Urtheilens näher eingehen. Unabhängig von den Antworten, welche die Philosophie auf diese, ihrer Natur nach, in tiefes Geheimniß gehüllte, Fragen geben mag, hat der, in solchen Dingen weit zuverlässigere praktische Sinn, der sog. gesunde Menschenverstand, sein Urtheil von jeher durch das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein gewisser Eigenschaften bestimmen lassen, über deren relative Bedeutung freilich im Einzelnen wieder vielfache Bedenken obwalten mögen,

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die indeß, im Ganzen genommen, gewiß den bei weitem sichersten Maßstab an die Hand geben.

Hiernach aber möchte wohl dasjenige Bauwerk dem Ideale am nächsten kommen, in welchem die zweckmäßigste Einrichtung mit der dauerhaftesten Ausführung und bedeutungsvollsten Anordnung, in welchem Klarheit und Einfachheit mit Reichthum und lebenvollem Wechsel, Folgerichtigkeit mit Freiheit in der Art sich verbunden und geeint finden, daß eine harmonische Gesammtwirkung entsteht, worin das Einzelne, wenn auch in sich noch so vollendet, doch immer dem Ganzen sich unterordnet, das Ganze aber seine Bestimmung, so wie überhaupt die ihm zu Grunde liegende Idee in unzweideutiger, charakteristischer Weise zu erkennen gibt.

Sehen wir nunmehr zu, ob und in wie weit diese Unterscheidungszeichen der Classizität, welche sich zum Theil auf die bauliche Mechanik, zum Theil auf die formelle Erscheinung beziehen, in unseren mittelalterlichen Bauwerken sich vorfinden , so begegnen wir in denselben vor Allem einem Gesetze, welches ihren gesammten Organism durchwaltet, und denselben überall, wenigstens negativ, bedingt. Dieses Gesetz aber lautet dahin, daß an einem Bauwerke kein Glied vorkommen darf, welches nicht durch die Grundkonstruktion bedingt ist und einen bestimmten Zweck in derselben zu erfüllen hat.

Indem wir auf diese Regel ein ganz besonderes Gewicht legen, sind wir weit entfernt davon, denjenigen beizustimmen, welche in der Zweckmäßigkeit das hauptsächlichste Element der architektonischen Schönheit erkennen. Wir wollen viel-

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mehr damit nur so viel sagen, daß ohne solche Rationalität der genetischen Entwickelung die bauliche Schönheit eben so wenig denkbar ist, als eine wahrhaft schöne Rede ohne gefunde Logik. - Jede willkürliche Zuthat, jede angeflogene Verzierung, jedes nicht schon im Keime der Conception wurzelnde Glied muß nothwendig die Einheit und die Klarheit der Erscheinung trüben und auf den ästhetischen Sinn den widrigen Eindruck einer Superfötation hervorbringen.

Man trete nunmehr vor einen irgend bedeutenderen mittelalterlichen Bau, dessen ursprünglicher Plan nicht durch spätere Einschiebsel alterirt worden ist, und man wird sofort gewahren, wie der Grundriß in allen seinen Dispositionen nach dem Zwecke und der Idee des Ganzen um einen festen Kern herum sich gestaltet; wie sodann der Aufriß mit logischer Nothwendigkeit aus dem Grundrisse erwächst und wie jede Gliederung und jedes Ornament nur als eine höhere Entwickelung der nothwendigen Konstruktionstheile erscheinen, gleichsam als deren konsequente Fortbildung in das freie Gebiet der Schönheit. Wie die Blätter eines Baumes in lebenvoller, unendlicher Manchfaltigkeit den Aesten entwachsen und doch immer Gesetz und Wesen des Stammes an sich tragen, so das Stab- und Maßwerk, die Spiere und Rosetten, die Blätter und die Blumenkronen einer Cathedrale des Mittelalters. Da ist nichts wahrzunehmen, was nicht auf eine innere Nothwendigkeit oder doch auf einen bestimmten Zweck hindeutete, während es zugleich den Adel des Kunstschönen an der Stirne trägt. So die Strebepfeiler mit ihren Gesimsen, Wetterschlägen, Spitzsäulen und Wasserspeiern, so die freistehenden Fialen, die Strebebogen und die Arkaden, so die Bogen und die Gewölbe mit ihren Kappen und ihrem

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Gurtwerke - kurz Alles, von den Neigungswinkeln der Thurmspitzen und Dächer an, bis zu den Beschlägen der Thore herab, zeigt das Bestreben, das Technische und Mechanische zum Vehikel der Kunst zu machen und das Schöne aus dem Nothwendigen erwachsen zu lassen.

Jene hochgethürmten Strebepfeiler, welche den gothischen Kirchenbau umragen, erfüllen durch ihre stolze Höhe zugleich einen praktischen Zweck, indem dadurch der Druck auf die Gewölbewiderlagen verstärkt und folgeweise deren Wirkung erhöht wird; die Strebebogen, welche die Bestimmung haben, den Schub der Gewölbe auf die Strebepfeiler zu übertragen, sieht man zugleich zum schönsten, originellsten Schmuckwerke sich gestalten; die Brechungen, Vorsprünge und Abfaserungen dienen gleichfalls nicht minder dem Schönheitszwecke durch das wechselnde, phantastische Spiel von Licht und Schatten, welches sie hervorbringen, als dem technischen Bedürfnisse, indem sie theils als Stütze dienen, theils die Massen in unmerklicher Weise beseitigen, wie dieselben bei zunehmender Höhe überflüssig werden, oder gar im Wege stehen. Die steilen, spitzwinkeligen Bedachungen erwecken durch ihre Form die Idee der Vergeistigung, des steten Aufschwunges nach Oben; sie entsprechen aber auch zugleich den climatischen Verhältnissen unseres Himmelsstriches am meisten und bieten den Angriffen der Elemente am wirksamsten Trotz. Der, überall wiederkehrende, Spitzbogen gestattet, indem er den Druck auf die Stützen möglichst lothrecht wirken läßt, die größte Höhe bei geringster Masse und Spannung und bringt zugleich, in Verbindung mit den auf- und abpulsirenden Gurten und den auf den

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schlanken Pfeilern schwebend gehaltenen Wölbungen, jene magische Perspektive hervor, die uns bei'm Eintritt in die Tempelhalle an den Boden fesselt; das mannigfaltige Sprossenwerk in den Fenstern zeigt die schönste Abwechselung wie das sinnvollste Formenspiel; es kommt aber zugleich nicht minder einem praktischen Bedürfnisse entgegen, indem es den weitgespannten, kühnen Fensterbogen als Stütze und den lichtdurchwirkten Prachtteppichen aus Glas als Rahmen dient. - Wohin wir auch immer schauen mögen, aller Orten begegnen wir Zweckmäßigkeit und Schönheit im engsten Verbande und in lebendigster Durchdringung; überall reflektirt die äußere Erscheinung das innere Gesetz und man bleibt nicht selten unschlüssig, ob man der Weisheit der Anordnung, dem praktischen, alle Anforderungen und thatsächlichen Verhältnisse ruhig abwägenden Verstande, oder ob man der freibildenden Phantasie eine größere Bewunderung zollen soll.

So sehr wir auch das Mißliche fühlen, die Einzelheiten so vielgestaltiger Massen ohne die Beihülfe von Abbildungen zu besprechen, so ist uns doch allzuviel daran gelegen, unsern Gegenstand dem Gebiete der Gemeinplätze und der vagen Phrasen, mit welchen sich am Ende auf alles mögliche ein Loblied singen läßt, zu entrücken, als daß wir uns durch jene Schwierigkeit sollten abhalten lassen, noch einige nähere Belege zu den obigen Ausstellungen hier folgen zu lassen. Wir wollen hoffen, daß der Leser Gelegenheit findet, durch die unmittelbare Anschauung sich über etwa verbleibende Dunkelheiten nähere Aufklärung zu verschaffen.

Alle Profilirungen sind an den größeren mittelalterlichen Bauwerken stets mit Rücksicht auf die Gesetze des Sehens

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so angelegt, daß möglichst viele Punkte in's Auge fallen; alle Gliederungen tiefen sich in die Wandflächen ein, um nicht als nutzlose Auswüchse zu erscheinen; sie sind aber auch wieder nicht so tief eingelassen, daß sie den betreffenden Konstruktionstheil schwächen, oder denselben auch nur scheinbar aus seinem Zusammenhange reißen könnten. Die Vorsprünge sind der Regel nach abgeschrägt, um dem Wasser freien Ablauf zu gestatten; die Gesimse sind so angebracht, daß sowohl die Fugen des Mauerwerks, als die Fundamentirung des Baues gegen die Einwirkung des Regens durch sie geschützt werden; die einzelnen Werkstücke erscheinen in einer Art geordnet, daß die Fugenlinien mit den architektonischen Linien nicht in Konkurrenz treten, vielmehr sofort als etwas rein Zufälliges sich zu erkennen geben, aus welchem Grunde denn auch, so wie wegen der größeren Solidität des Mauerwerkes, niemals besonders große Steinblöcke verwandt wurden; die Fenster- Pfosten und - Gewände zeigen eine ähnliche Verbindung des praktischen mit dem ästhetischen Zwecke, indem ihre Konstruktion und zierlich bewegte Gliederung sowohl auf das Einfallen des Lichtes, als auf die möglichste Durchbildung und Belebung der Masse berechnet sind.

Diese Bemerkungen lassen sich noch in's Unendliche vervielfältigen, wenn man die großen Denkmäler des Mittelalters in ihren einzelnen Bestandtheilen und ihrem innern Zusammenhange durchgeht, und es wäre sehr zu wünschen, daß solches mehr als bisheran der Fall war, von ausübenden Architekten geschähe.

Insbesondere gilt das Gesagte auch noch von der Auswahl des Baumaterials. Heutzutage weiß man durch Mörtel und Tünche aus Allem Alles zu machen. Der gebrechlichste

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Ziegelbau wird unter ihrem Beistande in einen florentinischen Felsenpalast verwandelt; der Gyps zaubert jede Mauer und jeden Balken in eine strahlende Wand oder Säule von Marmorstein und Porphyr um; die Steinpappe (neuester Erfindung!) und das Papier mâché wissen den Bildnermeißel durchaus entbehrlich zu machen, wie die Tüncher-Chablone die sichere Hand des Meisters!

Solches Schauspielern, Kokettiren und Schwindeln, solches Pappen, Flicken und Klatschen, solcher hohle Bettelstolz, wie er sich allerwärts, bis hinaus zu den Mörtelpalästen unserer Hauptstädte aufbläht, mit einem Worte, eine solche Lügen hantierung war tief unter der Würde jener großen Meister des Mittelalters, deren innerstes Wesen vor allem das Gepräge der Wahrhaftigkeit und der Gesetzmäßigkeit an sich trug und die dasselbe allen ihren Schöpfungen aufdrückten. Wo die Natur bloß die Ziegel bot, da wußte das Genie dieser Meister dieselben nicht weniger künstlerisch zu ordnen und zu gestalten, als anderwärts den Tuff und den Quaderstein. Die Backsteinbauten des nördlichen Deutschlands und Italiens sind in ihrer Art eben so bewundernswerth und künstlerisch vollendet, als die kolossalsten Marmorkonstruktionen Griechenlands, eben weil sie nicht mehr scheinen wollen, als sie wirklich sind.

Soviel einstweilen über die Tektonik des Mittelalters; genug hoffentlich, um sich die Frage beantworten zu können, ob es sich wohl der Mühe verlohnte, daß die "intelligente Heutzeit" noch ein wenig bei demselben in die Schule ginge und eine Zeitlang ihre akademischen Vorlegeblätter bei Seite legte.

Und doch bezog sich das bisher Ausgeführte nur auf die

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Gestaltung des Einzelnen, auf die Aeußerlichkeiten der Konstruktionsmethode. Unendlich bewundernswerther aber ist der in den fraglichen Denkmalen bekundete überaus feine Sinn für Verhältnisse und Massenvertheilung im Großen, namentlich aber der allgemeine Ausdruck aller Einzelheiten in ihrem Zusammenwirken, der Gedanke, welcher über dem Ganzen ruht. Die so wohl gefügten und so weise geordneten Steine jener Riesenbauten erscheinen nicht bloß als ein Musterbild vollendeter Technik; die Formen, zu welchen sie sich gestalten, strahlen zugleich einen Geist aus, wie ihn keine andere Sprache, selbst die Musik nicht ausgenommen, zu verkünden vermag; diese kalten Quadern haben ein warmes Herz, in welchem ein höheres Leben pulsirt - es ist die Sprache, es ist der Geist des Christenthums.

Das Werk der Erlösung hat auch die Künste, und vor allen ihre gemeinsame Mutter, die Baukunst, von den Banden frei gemacht, mit welchen dieselben das Heidenthum an die Erde gefesselt hielt; es hat der Materie Flügel verliehen, auf denen sie sich, wie der Laut einer Stimme, himmelwärts schwingt und keinen Sturz mehr fürchtet. Die Zweige, die der Polytheismus versteinert hatte, ergrünen wieder unter dem belebenden Hauche der neuen Offenbarung; man sieht sie Blätter und Blüthen treiben und zu einem heiligen Haine sich wölben, in dessen Schatten der Altar für Denjenigen ausgerichtet steht, in dem wir den Inbegriff des Wahren, Guten und Schönen anbeten.

Man würde sich sehr irren, falls man etwa glauben wollte, daß die mittelalterliche Kunst nur in ihren dem Cultus gewidmeten oder mit demselben im Zusammenhang stehenden Hervorbringungen so musterhaft und groß erscheine.

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Wenn auch die bauliche Mechanik und die Formensprache dieser Kunstperiode, wie überhaupt ihre wesentlich christliche Geistesrichtung in den kirchlichen Bauten den klarsten, kräftigsten und vielgestaltigsten Ausdruck gefunden haben, so walten doch auch in allen sonstigen Schöpfungen aus jedwedem Materiale dieselben leitenden Prinzipien: überall, vom kolossalen Befestigungsthurme an, bis herab zur schlichten Wohnung des Landmannes, begegnen wir derselben Wahrheit, derselben Zweckmäßigkeit und gediegenen Schönheit.

Ein vergleichender Blick aus die Vergangenheit und die Gegenwart wird auch hier den besten Aufschluß gewähren.

Wie schon oben bemerkt, übt noch immer die von den Italienern wieder in's Leben gerufene und demnächst vielfältig zugestutzte Antike die Alleinherrschaft. Die vaterländische Kunst, welche durch die Dome von Mailand, Florenz, Orvieto, Siena, die Kirche des heil. Franziskus zu Assissi und viele andere größere und kleinere Werke bereits festen Fuß in Italien gefaßt, wie sie durch die Cathedralen von Burgos, Barcelona, Toledo, Segovia, Sevilla und die Klosterkirchen von Belem und Batalha schon Besitz von Spanien und Portugal genommen hatte, diese jugendfrische, heilige Kunst sollte, als sie eben im Begriffe stand, dem deutschen Geiste die Welt zu erobern, den Hofarchitekten und den Stubengelehrten als Opfer fallen, die unter dem Schutte des Heidenthums den Stein der Weisen entdeckt zu haben vermeinten, nachdem schon das Riesengenie Michel Angelo's an dem Versuche gescheitert war, die antike Form mit dem christlichen Geiste des Mittelalters zu verschmelzen 1).

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1) Man ist gewöhnt, die Blüthe der italienischen Kunst nicht bloß, sondern überhaupt aller Kunst, an den Namen der Medici's zu knüpfen. Es ist unbegreiflich , wie diese Tradition,


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Da die aus dem Alterthume überkommenen Muster fast nur nach einem streng abgeschlossenen Systeme konstruirte Tempelbauten waren, auch überhaupt die bürgerliche Baukunst, in Griechenland wenigstens, keine besondere Ausbildung erhalten hatte, so mußten Erstere zu allem Möglichen die Vorbilder und Motive hergeben.
Man kümmerte sich wenig darum, daß gerade das Säulensystem mit seinem horizontalen Gebälke, welches den Grund-

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welche die Classikomanen aufgebracht haben, und die von den Touristen noch immer emsig fortgepflanzt wird, bei irgend Jemanden Glauben finden kann, der Gelegenheit hatte, die Kunstherrlichkeit des alten republikanischen Florenz mit den Zuthaten der Mediceer zu vergleichen. In der That und Wahrheit datirt, im Gegensatze zu der früheren lebendigen, schöpferischen Kunstperiode, das goldne Zeitalter der Sammler und Antiquare, von der Zeit der, allerdings äußerlich sehr glänzenden, Herrschaft jener Familie. Die zärtliche Vorliebe der Gelehrtenzunft für dieselbe erscheint daher als eine Art von Dankbarkeitstribut, den ersten Mäzenaten und Restauratoren der klassisch-heidnischen Richtung in Kunst und Wissenschaft gezollt. Sehr bezeichnend scheint uns, was Roscoe in seinem "Leben Leo's des Zehnten" (Cap. l) von der gelehrten Umgebung des Lorenzo von Medici berichtet, daß dieselbe nämlich besser in den heidnischen Dichtern und Philosophen, als in den Lehren und Dogmen des Christenthums bewandert gewesen sei. Nicht weniger charakteristisch in Bezug auf Cosmus von Medici ist die Thatsache, daß er, um den frostigen modernlangweiligen Palast degli Uffizj durch den bekannten Basari aufrichten zu lassen, ungeachtet des nachdrücklichsten Einspruches der Geistlichkeit, die alte Kirche San Piero Seheraggio niederreißen ließ. Was Wunder, daß derselbe das Ideal unserer heutigen "Verschönerer" geworden ist.

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zug jener Architektur bildete, am allerwenigsten zu den neueren Verhältnissen und Bedürfnissen passen wollte. Aber nicht bloß die christliche Kirche wurde nach dem heidnischen Tempel-Typus zurecht gefoltert; Theater und Börse, Schlacht- und Wachthaus, Casino und Posthaus mussten sich dorisch, jonisch oder korinthisch geberden; höchstens ließ man noch einen leisen Anflug von egyptischem Style, als dem vermeintlichen Urahne des griechischen, passiren. - Die Paläste der Fürsten zogen dieselbe Straße, wie die Tempel Gottes, und die Wohnungen der Privaten säumten natürlich nicht, nachzufolgen. Die wunderlichsten Masken drängten sich in solcher Art mehr und mehr in unseren Städten, und allgemach schoben die Eindringlinge die alten Insassen vornehm zur Seite, so daß dermalen von Petersburg bis nach Genf, von Philadelphia bis nach Triest uns aller Orten fast dieselbe "klassische" Langeweile angähnt.

Der Weltumsegler Cook erzählt uns irgendwo von der burlesken Erscheinung einiger Häuptlinge wilder Südseeinsulaner, die, in europäischen Uniformsfräcken mit Epauletten auf den Schultern und dreieckigen Hüten auf den Köpfen, Audienz gegeben, während ihr übriger Körper sich im heimathlichen Naturzustande gezeigt habe. Eines nicht minder ergötzlichen Eindruckes würden sich zweifelsohne die Baumeister des Parthenon und der Propyläen zu erfreuen haben, wenn dieselben vor die Travestien ihrer Schöpfungen hinträten, mit welchen das wieder aufgewärmte Hellenenthum unsere modernen Straßen, denen der Polizeistock die Schönheitslinie vorgeschrieben, fort und fort bevölkert: wenn sie die Schornsteine

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und Dachfenster über die Frontons von plattgedrückten Tempelfacaden hervorlugen sähen, die Säulen, die nichts zu tragen, die angeklebten Gesimse, die nichts zu stützen haben; wenn sie die drei bis vier Reihen viereckiger Fensterhöhlen übereinander in den Mauermassen erblicken, welche die schlanken Säulenschafte gefangen halten; wenn sie sich endlich gar davon überzeugten, daß alle diese angeblich "in ihrem Geiste" geschaffene Herrlichkeit zumeist aus Tannenbrettern, Backsteinen, Mörtel und Oelfarbe componirt ist.

Und wenn auch nicht gerade alle Nachbildungen der Antike ohne Ausnahme diesem Bilde entsprechen, wenn auch hier und da einmal ein glücklicherer Wurf geschieht und es einem Kinde der Gegenwart in Folge der äußersten Anstrengung seines Abstraktionsvermögens und mancher anderer zusammenwirkender Verhältnisse, gelingt, Werke hinzustellen, die vielleicht bis zur Illusion an das perikleische Zeitalter erinnern, so sind das doch, ihrer Statur und innersten Wesenheit nach, nur ephemere Erscheinungen, taube Blüthen, aus denen weder Früchte noch Samen jemals zu erwarten stehen. Es ist, als ob man ein Lorbeer- oder Palmenreis in unseren deutschen Boden einpflanzte: eine Zeitlang hält dasselbe sich wohl aufrecht und grünet fort in scheinbarem Lebenstrieb; aber der Zusammenhang mit der Muttererde wie mit den meisten übrigen Bedingungen seines Daseins fehlt, und so kann denn der endliche Erfolg nicht zweifelhaft seyn. - Wer wird durch diese Betrachtung nicht unwillkürlich an das Wirken Schinkel's und an die Erfolge dieses Wirkens erinnert? Von ihm hat der Director der Berliner Gemälde-Gallerie, Herr Dr. Waagen, in seiner neulich zu Berlin am Schinkelsfeste

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gehaltenen Rede 1) gesagt, daß "die griechische Architektur seine eigendliche Heimath" gewesen sei, und man kann dem begeisterten Lobredner gewiß vollkommen darin beistimmen, daß Schinkel nach allen Kräften und soweit als nur immer die Natur es gestattet, seine Wurzeln aus der Erde seiner wahren Heimath herausgezogen hat, um sie in die fremde einzusenken. Wohin aber haben alle die Anstrengungen eines so unermüdlich thätigen Lebens geführt, was haben sie gefruchtet? - Man lese hierüber nur die in derselben Lobrede ertönenden Klagen, und schaue um sich, in Berlin und anderwärts. "Wer sollte z. B. (so ruft u. A. Herr Dr. Waagen aus) bei dem Betrachten der plumpen Mißformen der meisten Möbel und Silbergeräthe auf der Gewerbeausstellung des vorigen Jahres glauben, daß seit dem Tode Schinkel's, welcher die Prinzipien des edelsten, auf das Studium der ächtklassischen, griechischen Kunst begründeten Geschmackes in so unzähligen Formen ausgeprägt, noch nicht vier Jahre verflossen sind!" - Und dennoch will man noch immer nicht das frucht- und hoffnungslose des Bestrebens anerkennen, die christlich-deutschen Naturen in heidnisch-griechische gewaltsam umzuwandeln!

Daß man in Italien wieder auf die Antike gerathen ist, erklärt und entschuldigt sich noch einigermaßen, wenn man die Geschichte und das Klima dieses Landes, die Lebensweise seiner Bewohner und die großartigen, vorchristlichen Denkmäler in Betracht zieht, welche sich den Blicken der Letzteren stets darboten. Im Grunde war hier die Antike zu keiner Zeit gänzlich verdrängt, sondern nur allmälig
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1) S. Kunstblatt, Jahrg. 1845, Nr. 28.

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dem Geiste des Christenthums angepaßt worden, weshalb denn auch die italienische s. g. Renaissance immer eine gewisse Wahrheit und Naturwüchsigkeit an sich trägt und ein Palladio z. B. sich wie ein Riese über die frostigen Manieristen erhebt, die bei uns zu Lande in seine Fußtapfen getreten sind.

Für Italien also, so wie für die romanischen Länder überhaupt, läßt sich der Rückfall in die Antike, oder das was man dafür auszugeben für gut findet, noch, wenn auch nicht mit zureichenden Gründen, motiviren; daß aber auch die nordischen Nationen, germanischen Ursprungs, ihre Prachtgewande gegen solche Harlekinsjacken, wie wir sie jetzt vor uns sehen, vertauschen konnten, das erklärt sich nur durch die maßlose Verblendung, in der man Alles, was mit der angestammten Tradition, namentlich aber mit dem alten Glauben zusammenhing, anfeinden und umstürzen zu müssen vermeinte, dann aber noch durch jenen hohlen Gelehrtendünkel, der mit seiner esoterischen Weisheit und seinem todten Buchstabenkram nach und nach die lebendige, schöpferische Energie des Volksgeistes in seine Kreise zu bannen und zu ertödten oder aufzusaugen gewußt hat - in der Kunst wie überall.

Die gelehrten Examina haben die Meisterstücke verdrängt; statt in der Bauhütte werden unsere Architekten vor dem Katheder gebildet; die mitten aus dem Leben erwachsenen Zunftgenossenschaften sind zersprengt und ihre Standesehre wie ihre Disziplin zu Grunde gegangen; die Lehrjungen und Gesellen sind zu Eleven und Konduktoren avancirt und damit alle sammt und sonders "Herren" geworden. Diese Herren wissen dann eine Unzahl griechischer und lateinischer Wörter

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auswendig; sie verstehen Physik, Chemie, Mineralogie und Botanik, Hydraulik und Hydrostatik, Pneumatik, Mechanik und Perspektive, Algebra, ebene und sphärische Trigonometrie, kurz Alles, Alles, nur nicht - die Kunst des Bauens. Die aber gerade verstanden die schlichten, alten, ungelehrten Meister im Schurzfell, die nicht von der Baustelle wichen, die ihren Zirkel zu einem Risse stets mit einem frommen Spruche ansetzten, die kein Haus baueten, ohne Gott und seinen Heiligen die Ehre zu geben, deren einziger Stolz darin bestand, das was sie waren, ganz zu sein und durch das was sie schufen, das Ansehen der Genossenschaft zu erhöhen: nur Meisterhaftes wollte und durfte der Meister liefern.

Will heutzutage Jemand sich ein Wohnhaus hinstellen, so sagt er einem Baumeister die Zahl der Pieçen, die er wünscht; und die Summe, die er daraus zu verwenden gedenkt. Darauf entwirft der Baumeister seinen Plan, und zwar immer die Façade zuerst, in der Art, daß, je nach dem Betrage der zu verwendenden Summe, drei, vier, fünf oder auch noch mehr viereckige Fensteröffnungen zwei, drei oder vier Mal übereinander, immer hübsch symmetrisch, und ja in gleicher Entfernung von einander, in eine glatte Wand rechtwinkelig eingeschnitten werden, und die Thüre in der Mitte der unteren Fensterreihe angebracht wird, während oben ein aus Vignola kopirtes, meist aus Brettern zusammengenageltes, antikisirendes Gesims die geniale Conception würdig krönt, und endlich einige Reihen von Dachfenstern und Schornsteinen den untern Fensterreihen gewissenhaft korrespondiren. Soll ein sog. Prachtbau daraus werden, so wird außerdem über die Eingangsthüre noch ein Balkon auf Modillione von Holz oder Gußeisen gelegt und die kahle Wand durch einige Gypsschnörkel

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belebt. - Demnächst geht der Meister daran, ein, dieser grandios gedachten Außenseite entsprechendes, Inneres zu schaffen. Zu diesem Ende werden mit dem Lineale so viele Vierecke (denn der Philister begreift, wie Cl. Brentano sagt, nur viereckige Sachen, und selbst diese sind ihm nicht selten zu rund), als gesonderte Räume nothwendig sind, in die verschiedenen Stockwerke eingezeichnet, zwischen welchen dann die Treppe und die Kamine sich Platz suchen und sich einklemmen, so gut es eben gehen will. Da unsere Architekten wohl den Zugwind für ein sehr willkommenes Erfrischungsmittel ansehen, so nehmen sie auch immer sorgfältig darauf Bedacht, daß die Thüren und Fenster auf den entgegengesetzten Seiten sich stets einander genau korrespondiren, während der Tischler es über sich nimmt, dafür zu sorgen, daß weder die einen noch die andern schließen.

Das sind, ihren Grundzügen nach, die Kunstschöpfungen, mit welchen unsere Städte prangen, das sind die Werke, welche Zeugniß geben sollen von der "unendlichen Freiheit", von der "hohen Bildung", von der "geistigen Durchdringung des Stoffes", worauf in unsern Zeitungen so gewaltig gepocht wird. Dem ruhigen, unbefangenen Beobachter möchte es wohl eher bedünken, als ob solche Behausungen, was Plan und Anordnung betrifft, von Geschöpfen und für Geschöpfe errichtet wären, die, wie der Biber und die Biene, lediglich unter der Herrschaft des blinden Instinktes und der eisernen Nothwendigkeit wirken, weben und leben, nicht aber für freie Menschen, von denen jeder seine besondere Individualität, seine besondern Wünsche und Bedürfnisse hat, am allerwenigsten für höhere Intelligenzen, welchen das Reich der Idee und die Tiefen des Daseins erschlossen sind, und die es drängt,

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ihr inneres Leben in entsprechenden Bildungen äußerlich zu bekunden.

Wenn die so eben charakterisirte Methode der ungeheuern Mehrzahl unserer heutigen Architekten die richtige ist, so war die der alten Meister allerdings eine durchaus verwerfliche: denn sie verfuhren in gerade entgegengesetzter Weise.

Vor Allem bauten dieselben ihre Häuser nicht von außen hinein, sondern von innen heraus, so daß die Façade das Produkt des Innenbaues wurde, wie der Aufriß das Produkt des Grundrisses. Obgleich diesen Meistern eben so gut wie unsern drei- und vierfach examinirten Bauinspektoren und Bauräthen bekannt war, daß die Symmetrie eine hübsche Sache sei, und obgleich sie zur Noth auch wohl noch im Stande gewesen wären, eine flache Wand in stets gleichen Distanzen mit stets gleich großen Fenstern zu durchbrechen, auch etwa noch die Mitte dieser Wand für die Thüre ausfindig zu machen, so glaubten dieselben doch ein noch höheres Gewicht auf eine andere Art des Einklanges, als den der nüchternen, starren Symmetrie legen zu müssen, auf den Einklang des Wesens mit der Erscheinung nemlich und auf jene geistigere Harmonie in den Proportionen und Konstruktionstheilen, die freilich mit dem bloßen Lineale und Maßstocke weder zu schaffen, noch zu fassen ist. Ueber die todte Symmetrie stellen sie als ein höheres die Eurythmie, und durch die äußere Unregelmäßigkeit ihrer Konstruktionen leuchtet stets eine tiefer begründete Regel hindurch.

Was schon von den öffentlichen Bauwerken bemerkt worden, gilt auch im Wesentlichen für die Privatgebäude des Mittelalters, natürlich mit denjenigen Modifikationen, welche die

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Verschiedenheit des Zweckes wie der Mittel von selbst herbeiführen. Da entwickelt sich Alles durchaus natürlich, gleichwie nach einem organischen Gesetze; jeder Theil, der größte wie der kleinste, gibt durch seine Erscheinung sofort seine Bestimmung und den Grad seiner Bedeutung zu erkennen, nichts ist verkleistert und maskirt; endlich aber gestaltet ein natürliches Kunstgefühl die Einzelheiten zu einem malerischen, ausdrucksvollen Ganzen, welches überdies möglichst mit der Umgebung in Einklang gesetzt wird.

So mußten sich z.B., umgekehrt wie solches die heutige Baukunst lehrt, die Fenster in Bezug auf Gestalt, Größe, Zahl und Anordnung nach der Raumvertheilung im Innern richten; die Treppen lagen in besondern, den ganzen Bau überragenden Thürmen, sowohl geschützt gegen Feuersgefahr, als wohlerleuchtet und die freie Bewegung im Innern nicht hemmend; die Kamine traten kräftig und entschieden aus den Wänden und Dächern und brachen so, wie die eben gedachten Treppenhäuser, nicht bloß die Monotonie der großen Flächen, sondern sie boten auch einen weiten Spielraum für ornamentale Motive aller Art dar. Während auf unseren, dem Wind und Wetter preisgegebenen Balkonen Niemand, wenigstens Niemand vom schönen Geschlechte, sich blicken lassen darf, ohne Gefahr zu laufen, hinweggezischt zu werden, gereichte dem mittelalterlichen Wohnhause der Erker zur schönsten Zierde von Außen und von Innen, wie zur höchsten Annehmlichkeit und Bequemlichkeit. Die Decken der Gemächer wurden nicht durch allerhand Kleisterwerk zu einer monotonen Fläche gestaltet, vielmehr blieben auch sie dem obersten Grundsatze der Wahrheit getreu, indem die Balkenlagen, klar hervortraten und das Gerippe zu der Vertäfelung bildeten

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welche das angenehmste Spiel von Licht und Schatten zeigte, und dem Holzschnitzer und Kunstschreiner Gelegenheit zur Bethätigung seines Talentes bot. Alles, von der phantastisch gestalteten Wetterfahne an, bis herab zum Klopfer an der Hausthüre und zur Vergitterung über derselben, zeigte sich entschieden als das was es sein sollte, nur immer durch Ausführung und Anordnung in das freie Reich der Kunst gehoben. So gestaltete sich, im Gegensatze zu unsern modernen Häusern, die eigentlich nur wie Häuserfutterale aussehen, ein lebendiges, bedeutungsvolles, in sich einiges, organisch gegliedertes Ganzes, aus welchem die Abstammung, die äußere Stellung, die Lebensweise, ja - durch die fast nie fehlenden Heiligenbilder 1), Sprüche und Embleme - der Glaube seines Erbauers und Inhabers sich erkennen ließ. Die keck
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1) Natürlich vertragen sich die Heiligenbilder, die früher an keinem Christenhause fehlen durften, mit der heutigen Aufklärung nicht. Statt derselben wendet man daher Thierbilder aus der altgriechischen, persischen oder egyptischen Mythe an und wirft die Heiligenbilder fleißig herunter, wo sich solche noch finden. Ja, selbst bis in das Innere unserer Gebäulichkeiten drängen sich jene fabelhaften Bestien, die Niemand zu deuten versteht, ein. So liegen z. B. in dem Assisensaale der heiligen Stadt Köln, zu beiden Seiten der Estrade, auf welcher das Gericht seinen Platz hat, zwei großmächtige Sphynxe (!!), wahrscheinlich um das an solchen Orten sonst gewöhnlich vorfindliche Cruzifix zu ersetzen. Wie befremdend mag es diesen Sphynxen nicht vorkommen, wenn vor ihnen die Geschworenen und die Zeugen bei dem Gotte der Christen und dessen Evangelium, statt bei Isis und Osiris verwarnt und vereidet werden. - Zwei egyptische Sphynxe als Genien der öffentlichen, mündlichen Strafrechtspflege! Da, dächten wir, könnte doch die "fortgeschrittene Erkenntniß" noch eher ein Heiligenbild über der Hausthüre gestatten.

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aufgegiebelten oder zinnengekrönten Reihen solcher Behausungen, von welchen eine jede, bei aller Uebereinstimmung im Grundtypus, doch stets ein entschieden individuelles Gepräge trug, überragt von den öffentlichen Bauwerken, den Versammlungsorten freiheitsstolzer Bürger, und von den lustigen, um die Wette aufsteigenden Thürmen, bildeten dann die unvergleichlichen Städte, mit denen besonders unser Vaterland prangte 1), bevor jener heillose, brudermörderische Religionskrieg und die
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1) Ein Blick in des treuherzigen Matthias Merian Topographien gibt uns noch eine Ahnung von der hingeschwundenen Herrlichkeit. Es sei uns gestattet, aus der eben vor uns liegenden Topographia Alsatiae (Frankf. a. M. 1644) eine auf das oben Gesagte bezügliche Stelle wörtlich hier anzuführen: - "Und obwoln etwan bißweilen ein Orth schöner vorgestellt wird, als er durch das Kriegswesen, leyder, in Neulichkeit gerathen: So haben doch theils gerne, wann ihnen und andern die vorige Gestalt, so ein Platz vor dem Verderben gehabt, fürgemahlet wird, damit sie und ihre Nachkommen erkennen und bedenken mögen, was es für einen Unterscheid zwischen dem Krieg und dem Frieden habe: Item, was die übermachte Land- und Stadtsünden nach sich ziehen, und wie ein grausamb und erschrockenlich Ding es seie, in deß lebendigen Gottes Hände fallen: und daß daher sich ein jeder in dem höchst vorgestellten Spiegel unsers allgemeinen Vaterlands ersehen, und vor schweren Sünden, so viel ihnen möglich, hüten: auch Gott ohn Unterlaß demüthigst ersuchen solle, daß er die gefaßte Zorns-Ruthe in das Fewer werfen, und uns den edlen und güldenen Frieden wieder auß Gnaden bescheren wolle." - Der gute Merian ließ sich in seiner "Beschränktheit" nicht träumen, daß die Herrlichkeiten, welche das Kriegsfeuer verschont gelassen, später dem "Lichte der Aufklärung" als Opfer fallen sollten.

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wilden Schaaren Ludwig's des Vierzehnten mit Feuer und Schwert darüber hingefahren waren.

Aber nicht bloß die mächtigen Städte, Klöster und Burgen sind es gewesen, an deren Herrlichkeit, wie ein gleichzeitiger Reisebeschreiber sagt, "das Auge sich nicht satt sehen konnte"; auch die aus Holz zusammengefügten schlichtesten Bauernhäuser zeigten in ihrer Weise, wie rege und bewußt in damaliger Zeit der Sinn für das Kunstschöne im gesammten Volke, bis zu dessen untersten Schichten herab, war, wie sofort das höhere Bedürfniß sich geltend machte, sobald nur eben das niedrige, materielle seine Befriedigung hatte. Auch aus diesen Holzkonstruktionen springen die allgemeinen, leitenden Prinzipien der christlich-germanischen Architektur in die Augen. Die ganze Anordnung paßt auch hier überall sich dem Materiale an; das Gefüge tritt stets unverholen hervor; die Balken, Sprossen und Riegel gestalten sich, indem sie zugleich ihre konstruktiven Zwecke erfüllen, zu sinnvollem Ornamente, welches noch durch mannigfaches originelles Schnitzwerk gehoben wird. Wie bei'm Steinbau nahm man stete Rücksicht auf die Gesammtwirkung und ließ jeder Einzelheit ihre individuelle Geltung und Bedeutung, so jedoch, daß sie dem Charakter des Ganzen sich unterordnete.

Während bei uns zu Lande, wo man von der Volksbildung so viel Rühmens macht, diese malerischen Holzbauten stets mehr und mehr verschwinden und die modernen saft- und kraftlosen Häuserkarikaturen auch in die Dörfer einwandern, lebt im Schwarzwalde und dem "zurückgebliebenen" Schweizer- und Tyroler-Hochlande diese Kunst des Holzbaues noch in aller Frische im Volke fort, und staffirt die grandiosen Naturscenen auf die anmuthigste und malerischste

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Weise. - Zwar werden auch bei uns, selbst in den größten Städten, wohl zuweilen Holzbauten ausgeführt, aber du lieber Himmel, welche?! Vor Kurzem noch konnte man in Köln z. B., und zwar an Hauptstraßen dieser Stadt, einige solche Holzungeheuer zu einer Höhe von fünf Stockwerken aufsteigen sehen. Das unterste Stockwerk zeigte Wände von Glas 1), auf welche sodann das in horizontaler und vertikaler Richtung sich durchkreuzende Gerüste von roh zugeschnittenen Pfosten zu ruhen kam. Demnächst wurde dieses Gerippe von unten bis oben mit glattgehobelten Tannenbrettern überkleidet, denen, vermittelst quadratisch gezogener Einkerbungen, das Ansehen von großen Werkstücken gegeben war. Um die Illusion eines Palastbaues vollständig zu machen, bestrich man endlich die turmhohen Bretterwände mit einer klebrigten Flüssigkeit, welche der dekorirende Tünchermeister erst mit einem leichten Sandstaube, der das Korn der Quadersteine nachbilden sollte, bewarf, und dann mit Oelfarbe überstrich. Das Ganze aber überragt ein gleichfalls aus Brettern componirtes akademisches Prachtgesims korinthischer Ordnung. Und so steht denn jetzt, im Angesichte des Domes,
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1) Die jedes statische und ästhetische Gefühl empörende Unsitte, die zu Boutiken bestimmten Erdgeschosse vermittelst Eisenstangen zu ganz durchsichtigen Glaskasten zu machen, und sodann die schwersten Massen darauf zu thürmen, scheint überhaupt in unseren Städten immer mehr überhand nehmen und die so schönen und zugleich feuerfesten Wölbungen gänzlich verdrängen zu wollen. Man muß in der That wenigstens die Consequenz anerkennen, mit welcher die moderne Architektur aller Orten und bei jeder Gelegenheit das unterste zu oberst und das oberste zu unterst kehrt.

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in der Metropole der altdeutschen Baukunst, der fettglänzende, sandbeworfene Quaderbau aus Tannenholz auf seinen gläsernen Füßen da, als ein Musterbild heutiger Architektur und zugleich als eine stets fertige Brandfackel für das ganze Viertel! - Glaube ja Niemand, daß solche Zerrbilder isolirte Erscheinungen seien! Dieses Haschen nach Effekt, diese Lust am bloßen Scheine, diese kindische Nachäfferei, diese gänzliche Prinzipienlosigkeit, diese maßlose Geschmacks-mengerei - das Alles sind die wesentlichen Unterscheidungszeichen fast unserer sämmtlichen Tagesschöpfungen. - Ueberall ist das Machen an die Stelle des Schaffens getreten; man arbeitet auf Bestellung in allen Stylen, selbst in Allen zu gleicher Zeit und an demselben Werke; das höchste Ziel ist jene seichte "Vielseitigkeit " ohne Mittel- und ohne Schwerpunkt, die auf allen Gebieten stets mehr und mehr überhand nehmen zu wollen scheint.

Wie überall im Ganzen die durchgehende, zusammen haltende Idee, so fehlt im Einzelnen die künstlerische Vollendung. Während das Sinnen und Trachten unserer heutigen Handwerker lediglich dahin geht, möglichst schnell fertig zu werden, und etwas zu machen, was sich eben sehen lassen kann, war es in der alten Zeit ihr höchster Stolz, nur kunstreiches, meisterhaftes zu fertigen, oder es waren vielmehr damals Handwerk und Kunst noch nichts von einander Getrenntes, sie ruheten auf einem und demselben Boden. Der Glaser (sehr bezeichnend Gla swirker genannt) wob jene kunstreich verschlungenen, musivischen, mit farbigem Bildwerk durchblitzten Fenster; der Tischler fertigte keine Thüre, der Schlosser kein Schloß und keine Beschläge dazu, ohne diesen ihren Arbeiten das Gepräge

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ihrer Individualität und damit zugleich das der freischaffenden Kunst aufzudrücken; kein Wohnhaus wurde errichtet, ohne daß der Steinmetze, sei es nun durch die Gliederung der Thür- und Fenstergewandung, sei es durch sinnreich combinirtes Maßwerk oder durch ein kräftig profilirtes Gesims, oder doch durch einige kunstgerechten Zirkelschläge seine Originalität und seine Meisterschaft in der Handhabung des Zirkels wie des Meißels bekundet hätte. 1) - Dermalen ist
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1) Wir können nicht umhin, den Alterthumsfreunden die nähere Beachtung der mittelalterlichen Privatbauten hier um so dringender anzuempfehlen, als dieselben gerade vorzugsweise dem Untergange bloßgestellt sind und bisheran meist nur die großartigeren Monumente eine sorgfältigere Beachtung gefunden haben. Unter unseren rheinischen Städten zeichnet sich in dieser Hinsicht Trier noch immer aus, obgleich selbst in den letzten Jahren noch einige der schönsten und bedeutungsvollsten alten Häuser dem Wachparadenstyl haben weichen müssen, die noch übrig gebliebenen aber zum größten Theile schrecklich entstellt oder vernachlässigt sind. Die Zartheit, die Grazie und die Vollendung der Profilirungen, selbst an den unbedeutendsten Wohnhäusern, deren Errichtung vor das 17. Jahrhundert fällt, ist wirklich oft wunderbar; besonders aber sind die halberhaben gearbeiteten Maßwerk-Skulpturen, auf welchen die aus der Façade heraustretenden Kamine vorgekragt sind, wegen der Mannigfaltigkeit und Reinheit ihrer Formen bemerkenswerth. Auch in Köln zeichnen sich die wenigen, aus der klassischen Zeit des deutschen Baustyles noch geretteten Wohngebäude aus, und mancher der Fratzenköpfe, wie sie dort gewöhnlich über den Schrotgängen angebracht wurden, verräth mehr Kunstgefühl und technische Bravour, als Alle die modernen Kolossalbauten dieser Stadt zusammengenommen, die kaum etwas mehr sind als bloße Conglomerate aus Mörtel und Backstein.

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die Kunst vornehm geworden und das Handwerk verbauert. Seitdem aber diese lebendige Durchdringung der Kunst und des Handwerks nicht mehr stattfindet, entbehren die gewöhnlichen Erzeugnisse des künstlerischen Elementes ganz und gar; höchstens hilft man sich noch mit einer geistlosen Nachahmung gewisser conventioneller Kunstformen, die Einen dann überall hin verfolgen, wie die Nietenblätter unserer Kunstvereine. Soll aber einmal irgendwo in allem Ernste und um jeden Preis ein grosses Bauwerk durch die Kunst gehoben werden, so tritt jener Zwiespalt erst recht an's Licht, indem die allseitig reflektirten, sorgfältig abgewogenen, schulgerechten Arbeiten der herangezogenen Künstler sich mit dem Ganzen, welches überall den alltäglichen Handwerksschlendrian zur Schau trägt, nimmer vertragen wollen, vielmehr stets als Schaugerichte, als fremdartige Zuthaten erscheinen, und durch den Contrast die Flachheit und Nüchternheit alles Uebrigen nur um so greller in die Augen springen lassen. Wir brauchen in dieser Hinsicht nur an die Museen, Schauspielhäuser, Paläste und sonstigen öffentlichen Bauten neueren Ursprungs zu erinnern, deren Vorderseiten, wie sich von selbst versteht, ein griechisches Pronaos oder sonst etwas Hellenisches der Art, darstellen und mit Basreliefs in den Friesen und Giebelfeldern, oder gar mit freistehenden Bildsäulen geschmückt sind, während die drei andern Seiten des Parallelogramms nichts als glatte, gelblich übertünchte Wände mit so und so viel senkrecht eingeschnittenen, stets gleich von einander entfernten Fenstern zeigen, und sich von einem Gasthofe, einem Fabrikgebäude, einem neumodischen Centralgefängnisse oder einer Kaserne auch nicht im Mindesten unterscheiden.

Das sind die Folgen davon, wenn die Idee und die

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That eine jede ihre besondere Straße zieht, wenn das Wissen und das Können, statt sich zu ergänzen, Wall und Graben zwischen sich aufwerfen und fehdegerüstet einander gegenüberstehen.

Einen derartigen Gegensatz kannte das Mittelalter, wie schon bemerkt, nicht, weßhalb denn auch die Werke aus dieser Periode stets ein lebendfrisches, organisches Ganzes bilden, dessen einzelne Glieder demselben Grundgedanken entwachsen sind.

Diese Spontaneität der Erzeugung liegt vorzugsweise dem tieferen Interesse zum Grunde, welches die gedachten Werke in uns erregen, so mangelhaft sie auch theilweise in Bezug auf ihre formelle Durchbildung sein mögen, während die moderne, auf der Akademie einstudirte Fehlerlosigkeit uns meist kalt und unbefriedigt läßt, weil ihr die Weihe der höheren Intention wie die Unmittelbarkeit der Anschauung fehlt.

Seitdem die Kunst hoffähig, dekorirt und graduirt ist, will sie natürlich den Zwecken des gewöhnlichen Lebens nicht mehr dienen: sie arbeitet nur noch für Ruhmeshallen, Fürstenkabinette, Museen und allenfalls noch für Kunstvereine, die dreimal den Werth bezahlen. Es kümmert sie nicht im Mindesten, wie unsere öffentlichen Plätze dreinsehen, ob die Thore, die Bauwerke, die Brunnen unserer Städte, ob, mit einem Worte, Alles was um und an uns ist, dem ästhetischen Gefühle Hohn spricht oder nicht; ob die kunstreichen, alten Monumente stehen oder fallen, ob sie dem Brecheisen oder der Tüncherquaste preisgegeben werden. Die Stadtmagistrate und die Stadtbaumeister haben denn auch nichts lieber, als wenn man sie mit den "Alterthümern" ungeschoren läßt, da dieselben ja ohnehin nicht mehr in "unsere Zeit" passen und überdieß ihre Erhaltung und Wiederherstellung "so gar viel Geld

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wegfrißt". - Der letztere Grund klingt nun freilich am allerbefremdlichsten, wenn man die Summen in Betracht zieht, die Jahr aus Jahr ein in Theatereffekten, Feuerwerken u. dgl. m. verpufft werden. Doch, wir nehmen unsern Faden wieder auf.

Es konnte nicht anders sein, als daß in dem Maße, in welchem das tiefere Kunstgefühl und die feste, traditionelle Unterlage schwand, auch die Technik erlahmte und die Pfuscherei an die Tagesordnung kam.

Allerdings nahm in den beiden letzten Jahrhunderten, nachdem schon längst die höhere, leitende Idee dahin war, der formbildende Trieb noch manchen verzweifelten Anlauf, bevor er in den Krämpfen des Roccoco verschied und der baare Nihilism der Revolution und des Kaiserreichs die, längere Zeit hindurch unbestrittene, Alleinherrschaft antreten konnte. Sobald aber einmal das Bewußtsein fehlt, für ein Ganzes zu arbeiten und wesentlich zur Erreichung eines höheren Zweckes beizutragen, fehlt dem Arbeiter auch jeder Impuls, etwas mehr zu leisten, als gerade der Augenblick gebieterisch erheischt; er arbeitet, um das liebe Brod für sich und die Seinigen in's Haus zu bekommen - für weiter sonst nichts. Und wie würde auch in der That ein kunstreiches Schnitz-, Steinmetzen-, oder Schlosserwerk zu unseren leeren, nüchternen Bauwerken passen, die gerade die Negation jeder Kunst darstellen! Würde nicht die Plattheit, die Gehaltlosigkeit des Ganzen durch solches Detail nur um so bemerkbarer und widerlicher werden!

Man muß endlich aber auch noch einräumen, daß der Sinn für das Kunstschöne in allen Klassen bereits so sehr erstorben ist, daß der Arbeiter, welcher nach denselben hin streben wollte, bei dem Besteller auf wenig Dank zu rechnen

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hätte, besonders wenn damit nur irgendwie eine Preiserhöhung in Verbindung stände. Höchstens weiß man noch die Solidität und die Brauchbarkeit der Arbeit zu würdigen. Während in der alten "finstern" Zeit auch der schlichte Privatmann ein Opfer, selbst ein bedeutendes, nicht scheute, um durch ein schönes, untadelhaftes Werk zur Belebung des Kunstsinnes und zur Verherrlichung seines Wohnortes etwas beizutragen, trägt man dermalen sein Geld lieber in die Oper, oder gar an die Pharao-Tische, oder läßt es in leerem Tande, in Prunkschwelgereien und schaalem, bedeutungslosem Luxus draufgehen.

Zu dieser Verkommenheit, zu diesem Versiegen des guten Geschmackes trägt endlich auch noch unser Fabrik- und Maschinenwesen sein gutes Theil mit bei.

Es sei ferne von uns, den gewaltigen Aufschwung beseufzen zu wollen, den das Maschinenwesen in unseren Tagen genommen, oder die unermeßlichen Eroberungen zu beklagen, welche der Geist der Zeit, hauptsächlich mit Hülfe der Naturwissenschaften, nach allen Richtungen hin gemacht hat. Möge die Industrie von ihrem goldenen Throne herab immer mehr Wohlthaten unter das Menschengeschlecht, das deren noch gar sehr bedarf, ausspenden; möge sie ihre Herrschaft über die Elemente immer fester begründen und weiter ausbreiten; nur wolle sie nicht ihr Regiment auch über das wesentlich Freie ausdehnen, nicht auch die höchsten Seelenkräfte des Menschen ihrem despotischen Zepter unterwerfen! Die Nützlichkeit ist nicht das einzige Bedürfniß unserer Natur, sie ist nicht der einzige Gesichtspunkt, auf welchen alle Thätigkeit unserer Intelligenz sich zurückführen läßt. Zum Ruhme unserer Natur wurzeln noch andere Bedürfnisse in ihr, die

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einer höheren Ordnung angehören, die, so zu sagen, im Gegensatze zu dem bloß Nützlichen sich geltend machen. Die Idee des Wahren und Schönen ist dem Menschengeiste nicht weniger angeboren, als die des Nützlichen; welche von beiden ihn aber am meisten adelt, und seinem Ursprunge, wie seiner endlichen Bestimmung am meisten entspricht, diese Frage kann wohl im Ernste nicht aufgeworfen werden, oder es wäre der Frager doch jedenfalls keiner Antwort werth.

Und wenn "die Wissenschaft" so oft nicht ohne bittere Ironie auf das Gebiet der Wirklichkeit hinverweist, auf welche der "Weltgeist" uns immermehr hindränge und auf dem alle Kunst und Poesie nur Fremdlinge seien, so können wir dagegen nur fragen, was denn eine tiefer begründete Wirklichkeit in sich trägt, als eben die Werke der ächten Kunst, welche die höchsten Ideen zurückspiegeln, und ob nicht das Kunstschöne eben so wesenhaft ist, als der Geist, aus welchem dasselbe stammt?

Die in Frage stehenden Richtungen sind übrigens nur scheinbar sich entgegengesetzt und sie schließen keineswegs einander aus. Ein gesundes, klares, praktisches, auf materiellen Fortschritt abzielendes Streben (auf welches wir, bei- läufig gesagt, recht großen Werth legen) kann ganz füglich Hand in Hand mit der Entwickelung der höheren Seelenkräfte gehen; es wird dieser Entwickelung in der Regel sogar förderlich sein, falls es nur richtig geleitet wird und sich bescheidet, innerhalb seiner natürlichen Gränzen zu bleiben. Diese seine Gränzen hat aber der Industrialismus wie uns scheint, schon längst überschritten und damit die freithätige Kunstübung fast gänzlich annullirt; er hat einen krankhaften

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Kulturzustand hervorgerufen, indem er alle Säfte nach einer Seite, und zwar nach den niederen Organen hintrieb. Nur diese Einseitigkeit, die nichts Anderes gelten lassen will, als was sich messen, wägen und zählen läßt, gilt es zu bekämpfen. 1)

Mitten in dem Gepolter, dem Rasseln und Zischen der
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1) Wie weit die Prätentionen des Industrialismus gegenüber der freien Kunstübung sich schon verstiegen haben, und wie sehr er darauf aus ist, dieselbe ganz und gar zu knechten und zu absorbiren, mag man aus einem Passus entnehmen, welchen wir aus der Nationalökonomie von J. B. Say (einer Art Bibel in den Augen der Industrie- und Finanzmänner) unsern Lesern mittheilen wollen, um zugleich jeden Vorwurf der Uebertreibung von uns ferne zu halten.

Es heißt in jenem Werke (Uebersetzung von Morstadt, 3. Ausg. Bd. I. S. 437) wie folgt: "Das Modellirsystem wäre auf den Häuserbau anwendbar; - - Nun könnten aber die meisten Kunst - (!) Produkte unseres Bedarfs auf diese Weise modellirt werden. Herr Christien (in seinen Idées sur les arts industrielles) bemerkt sehr richtig, daß man in einem Dutzend Modellen für jeden der verschiedenen Gegenstände, welche zur Ausführung eines Hauses gehören, je nach der Größe des Gebäudes und dem Vermögen des Hausherrn alle vernünftigen Bedürfnisse befriedigen könnte, und alsdann ließe sich die Fabrikation von allen diesen Stücken in Großmanufakturform ausführen " u. s. w. Demnächst eifert Say gewaltig über die Baumeister, welche "ihren Erfindungsgeist wollen glänzen lassen" , und empfiehlt auf das dringendste, alle Fenster, Thüren, Zimmer an allen Häusern gleich hoch und gleich breit zu machen, "um die Ingredienzstücke dazu, in großer Menge, nach dem nämlichen Modelle fertigen zu können". - Das wird wohl genügen! -

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Maschinen steht die Kunst als dienende Magd, der vom Frohnvogte ihr bestimmtes, einförmiges Tagewerk zugewiesen ist, wie den übrigen Fabrikarbeitern. Alles, was sie schafft, trägt daher auch den Charakter der Chablone an sich und verräth die unbedingt zwingende mechanische Gewalt. Das "Zeitalter der Intelligenz" weiß nur todte Automate zu schaffen, während die Jahrhunderte, die man so oft "die finstern" zu nennen beliebt, Allem und Jedem ein individuelles Leben einhauchten und damals jedweder Stoff, den die Mensche nhand berührte, die Herrschaft des Mensche ngeistes bekundete. Wo ist die Kunst des Schmiedens, des Treibens, Eiselirens, Durchbrechens hingerathen? Wo finden sich die Filigranarbeiter, die Holz- und Elfenbein-Schnitzer, wo die Gold- und Seidenwirker, wo die Emailleurs, deren Prachtwerke wir kaum noch zu enträtseln wissen? - Sie sind sammt und sonders kleingestampft von unsern Maschinen und zu einem Breie zusammengekocht, aus welchem all' das stumpfe, einförmige, charakterlose Zeug gegossen, gebacken und geknetet wird, womit wir das Innere unserer, in demselben Geiste geformten, Kirchen, Paläste und Wohnhäuser ausschmücken. In dieser Beziehung läßt sich allerdings eine gewisse Einheit und Planmäßigkeit nicht verkennen. Alles Beiwerk und Ornament ist durchaus im Geiste der Gesammtkonstruktion gehalten, d. h. es entspricht so wenig wie möglich dem ästhetischen sowohl als dem praktischen Bedürfniß. So sind z. B. die Fenstervorhänge aufgestapelt, als ob sie nur zum Aufsammeln des Staubes da wären und etwa noch um das Oeffnen der Fenster möglichst zu behindern; die parkettirten Fußböden erscheinen so kunstreich gefärbt und schattirt, daß man abwechselnd auf zuge-

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spitzte Kanten und eingetiefte Winkel zu treten vermeint; unsere Prunktapeten zeigen, mit ihren historischen und landschaftlichen Darstellungen, die sinnloseste Verwirrung aller perspektivischen Linien; kein Möbelstück verräth Originalität in der Erfindung oder auch nur eine consequente Entwickelung irgend eines Motivs; das Holz wird zu Bronze, das Eisen zu Stein und der Stein zu beidem angestrichen, altsächsische Porzellangruppen, chinesische Vasen drängen sich mit modernem Pariser Roccoco und Saynerhütten-Gothik in einem Raume zusammen - überall ist falscher Prunk, Anarchie und babylonische Verwirrung. -

Selbst das Kirchengeräthe hat sich dieser raffinirten Barbarei nicht zu entziehen vermocht, obgleich hier noch die trefflichsten alten Muster in großer Zahl sich vorfinden und die heiligsten, dringendsten Rücksichten solchem Verkommen sich entgegenstellten. So werden die Monstranzen meist aus gestampften Metallstücken zusammengefügt, die ganz eben so gut als Komodenbeschläge dienen könnten; die Kronleuchter in unseren Kirchen sehen aus, als ob sie zugleich aus einem Ballsaale zu figuriren hätten; die Rauchfässer, die Kelche und die Kreuze werden nach Möglichkeit mit allerhand Mode-Schnickschnack verbrämt, ja sogar die priesterlichen Gewänder, so viel als nur immer thunlich, "dem Geiste der Zeit" angepaßt. Sah doch Schreiber dieses mit eigenen Augen an dem Laden einer Paramentenhandlung in Köln ein Pluviale für den Trauergottesdienst ausgehängt, auf dessen Rückseite ein heidnischer Sarkophag abgebildet war, über welchen eine gar sentimentale Trauerweide "ihre grünen Haare" herabhängen ließ, während zur Seite einige pausbäckige Genien eine ganze Janit-

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scharen-Musik aufführten! Es fehlte eben nur noch die Pyramide des Cestius im Hintergrunde. - Unterdessen wandern dann die altehrwürdigen Stickereien und die kunstreichen Spitzen zum Trödler.

Die byzantinische Kunst hatte in ihrer mumienhaften Verknöcherung doch wenigstens den Takt für das Schickliche nicht verloren, und daneben einen wunderbaren Sinn für Anordnung und Farbe und eine ausgezeichnete Technik sich zu bewahren gewußt. Der jetzigen Kunstübung gehen - wenigstens im Gebiete der Architektur - alle diese Vorzüge nicht weniger ab, als die belebende, leitende, durchherrschende Idee.

Man gewöhnt sich so leicht an das, was man doch einmal nicht umgehen kann, und endlich lernt man das Gewohnte sogar lieb gewinnen. So wird es denn auch gewiß Manchem scheinen, als ob es mit der Gegenwart doch nicht so gar schlimm bestellt sei, als ob wir uns in der Uebertreibung gefallen und die Farben zu grell aufgetragen hätten. Doch bei der ruhigsten Gewissenserforschung glauben wir diesen Vorwurf von uns abweisen zu dürfen; wir glauben, daß wir eher hinter der Wahrheit zurückgeblieben sind, und daß bei einem noch näheren Eingehen auf die Spezialitäten und einer umsichtigen, allseitigen Vergleichung des Sonst und Jetzt, die Wagschale noch weit tiefer zu Gunsten des Ersteren herabsinken würde. Es wäre im Uebrigen freilich nicht sehr zu verwundern, wenn der Schmerz über die Umwandlung die Sprache der heftigen, ja der leidenschaftlichen Anklage redete, wenn, der heutigen Verkommenheit gegenüber, die Liebe für das Alte zur Geißel griffe, um die Masse der Gleichgültigen in Bewegung zu setzen!

Aber es handelt sich nicht bloß darum, einen Damm

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gegen die Fluth zu errichten, die schon so viel Herrliches, Unersetzliches hinweggeschwemmt hat; die Reaktion gegen den modernen Vandalismus muß so viel Stärke gewinnen, daß nicht bloß dem Schlechten gewehrt wird, sondern daß auch das Gute und Rechte aus den alten Wurzeln wie der frische, lebenskräftige Triebe ausschlägt. Das Letztere wird freilich, so wie der Acker zur Zeit noch bestellt ist, auf nicht geringe Schwierigkeiten stoßen, und auch uns fällt dabei der alte Satz wohl ein: daß Tadeln leichter ist, als Bessermachen, die Kritik leichter als die Kunst.

Doch so schwer im gegebenen Fall die Umkehr zum Besseren auch sein mag, so darf doch Niemand, der das Uebel erkannt zu haben glaubt, durch diese Schwierigkeit sich abhalten lassen, nach Kräften das Seinige zu thun, um demselben zu steuern. In dem folgenden Artikel werden wir uns daher näher über die Mittel verbreiten, welche wir für geeignet erachten, die betrübende Lage zu verbessern, in welcher namentlich die Architektur und die mit ihr in nächster Verbindung stehenden Künste sich befinden, und die Auflösung abzuwenden, welcher dieselben mit Schnellschritten entgegenzueilen scheinen. Insbesondere aber werden wir auch näher auf die Frage eingehen, ob und in wie weit in dieser Beziehung eine Rückkehr zum Mittelalter möglich und räthlich sein möchte.

Die Bedeutung der Sache ist größer, als es vielleicht den Anschein hat. Die Kunst, diese höchste und allgemeinste Sprache, ist, wie überhaupt alle Sprache, ein Ausstrahlen des Geistes, welches, je nach dem Standpunkte, aus welchem derselbe sich befindet, belebend und veredelnd, oder aber verwirrend und umnebelnd auf denselben zurückfällt. Wie

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die Entartung der Sprache, so ist auch die Entartung der Kunst stets ein untrügliches Zeichen des Hinschwindens, der Auflösung einer Nation - und umgekehrt.

Der Zustand der Künste ist aber auch nicht bloß ein Symptom des jedesmaligen gesellschaftlichen Zustandes; es besteht vielmehr eine Wechselwirkung in's Unendliche zwischen ihnen, so daß man kaum zu sagen vermag, auf welcher Seite das Bedingte, auf welcher das Bedingende ist. Insbesondere aber ist der Zusammenhang zwischen der Kunst und der gesammten Literatur von der höchsten Bedeutung, und vielleicht zu keiner Zeit ist derselbe klarer hervorgetreten, als eben in der unsrigen. Man fasse nur einen Augenblick unser Journalisten- und Theaterwesen, unsere Novellen-, Heller- und Pfennigmagazine, unsere illustrirten Zeitungen und Conversationslexika, unsere kühle Poesie und unsere eiskalte, unfruchtbare Philosophie in's Auge, und man wird erstaunen, wie sehr das oben über den heutigen Zustand der Künste Gesagte auch auf die literarische Betriebsamkeit Anwendung findet. Ueberall fast, wenigstens auf dem großen Markte, Frivolität neben Geistesarmuth, unerquickliche Schaugerichte statt stärkender Seelennahrung, ein gewisses äußeres Geschick ohne Einheit und Gediegenheit, ein unstetes Tappen und Haschen nach allen Richtungen hin, überall viel Geschrei und wenig Wolle! -

Am Schlusse bittet der Unterzeichnete noch, ihm die Dreistigkeit zu verzeihen, mit welcher er, ein Laie, sich in das Heiligthum der Kunst gedrängt hat. Zu seiner Entschuldigung wird auch wohl er sich auf den vielbelobten Geist des Fortschrittes berufen dürfen, der die Innungen gesprengt und die Zunftlade dem profanen Blicke offengelegt hat.

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Jedenfalls aber darf er diejenige Nachsicht in Anspruch nehmen, welche jede aufrichtige, wohlerwogene Ueberzeugung zu fordern ein Recht hat.

Endlich wünscht er nichts sehnlicher, als von den Meistern vom Fache, welche sein Wort etwa verletzend getroffen haben könnte, auf das Vollständigste und Bündigste widerlegt zu werden - durch die That.

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Zweiter Artikel.

Im Vorhergehenden glauben wir gezeigt zu haben, wie das heutige Bauwesen fast in keiner Beziehung mehr dem Begriffe einer Kunst entspricht; wie vielmehr es überall das Bild einer, an völlige Anarchie gränzenden, Auflösung darbietet.

Wir haben gesehen, wie an die Stelle einer einheitlichen, principienhaften, mit schöpferischer Kraft ausgestatteten Kunstübung ein Umhertappen in konventionellen, aus allen Geschichtsperioden und Himmelsstrichen zusammengelesenen Formen getreten ist und wie alle kosmetischen Mittel nicht zureichen wollen, um die immer mehr um sich greifende Hinfälligkeit zu verbergen. Wir haben endlich gesehen, wie die Architektur in ihrem Sturze von der glorreichen Höhe, auf welche das Mittelalter sie gestellt, auch die Technik und das Handwerk mit sich herab in den Abgrund gerissen hat.

Es bleibt uns die Frage zu untersuchen, ob und wie da wieder geholfen werden könne und insbesondere, ob von einer Rückkehr zum Mittelalter etwa Heil zu erwarten sei.

Schon das bloße Aufstellen einer solchen Frage wird in den Augen Vieler ein Verbrechen sein und zwar eines der

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schwärzesten Art - ein Verbrechen gegen den "Geist der Zeit," und es werden die Schreckensworte: "Reaktion, Rückschritt" schon allein für hinreichend erachtet werden, um dieselbe für immer zu erledigen.

Wir sind indeß unsererseits nicht gewillt, in solcher Weise uns abfertigen zu lassen. Nur allzugründlich hat uns die Erfahrung darüber belehrt, und von Tag zu Tag belehrt sie uns noch immer gründlicher, welche Bewandtniß es mit diesen und ähnlichen Stichwörtern hat, was alle die schönklingenden Worte, wie Freiheit, Fortschritt, Duldung, Humanität, Aufklärung u. s. w. in dem Sinne derjenigen bedeuten, welche sie vorzugsweise im Munde führen. Wir gedenken daher unbefangen und ungeirrt durch solches Schellengeläute im Folgenden etwas näher auf jene Frage einzugehen.

Gewiß gibt es Dinge, die im Strome der Geschichte untergegangen sind und welche es nicht verlohnt, aus der Tiefe wieder an's Tageslicht heraufzuziehen; auch sind wir vollkommen damit einverstanden, daß es kaum, ein mißlicheres, unfruchtbareres Experiment geben kann, als über die Köpfe der Menschen hinweg Geschichte machen zu wollen nach vorgefaßten Ideen oder abstrakten Principien. Nicht weniger abgeschmackt und zugleich weit herabwürdigender und verderblicher als diese Ansicht, welche darin fehlt, daß sie die Kraft des Menschen gegenüber den Planen der Vorsehung und der Wucht der Geschichte überschätzt, ist aber jene andere, fatalistische Anschauungsweise, nach welcher alles Werden, Wachen, Blühen und Vergehen dem eisernen Gesetze der Nothwendigkeit unterworfen sein soll.

In der Geschichte der Völker, wie in der Geschichte der Individuen, gibt es ein Moment der Nothwendigkeit und ein

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Moment der Freiheit: sie verhalten sich zu einander wie Stoff und Geist, und es herrscht das eine oder das andere vor, je nachdem der Zug nach Oben oder der Zug nach Unten überwiegt. Mit dem Begriffe der Freiheit ist aber zugleich die Möglichkeit ihres Mißbrauchs, der Begriff der Verirrung, und folgeweise auch der Rückkehr aus selbsteigenem Antrieb und Entschluß nothwendig gesetzt. Darin unterscheidet sich indeß das Collectivleben der Völker von dem Einzelleben der Individuen, daß bei jenen der Kreis ihrer Laufbahn erst dann sich schließt, wann die moralische Kraft schwindet, indem sie sich physisch fort und fort zu verjüngen im Stande sind. So lange diese moralische Lebenskraft und damit die dieselbe wesentlich bedingende Richtung nach dem Höchsten, dem Urquelle alles Seins, andauert, geht die Strebung als Spirale weiter in's Unendliche, und nur scheinbar zieht die fortschreitende Kreisbewegung wieder zurück auf ihren Ausgangspunkt.

Viel bequemer in mehr als einer Hinsicht machen es sich freilich diejenigen, welche ihr Credo kurz dahin formuliren, daß sie im menschlichen Geiste zwei sich wesentlich entgegengesetzte Bewegungen annehmen, von denen die eine ihn vorwärts treibe auf neuen Bahnen zu neuen Welten, während die andere ihn zurück schleudere, um in den modernden Ueberresten der Vergangenheit kümmerlich sein Leben zu fristen: daß man nun sich entscheiden müsse zwischen diesen beiden Strebungen, zwischen der Vergangenheit und der Zukunft, womit denn zugleich die Wahl getroffen sei zwischen freudigem Gedeihen und unheilbarer Schwindsucht.

So gang und gäbe diese und ähnliche Phrasen über die "Männer des Vorwärts" und die des "Rückwärts" besonders

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in unsern aufgeklärten Zeitungen auch sind, und so großen Credit dieselben auch bei einem Theile des Publikums erlangt haben mögen, so weisen sie sich doch bei einer nur etwas näheren Prüfung bald als eine leere Sophisterei aus, die nur darauf berechnet ist, dem verderbten Triebe zu dienen, so wie das Werk der Revolution zu fördern und zu beschönigen; die aber auch nicht die mindeste Gewähr oder den kleinsten Keim von Zukunft in sich trägt.

Was es insbesondere auf dem Kunstgebiete für eine Bewandtniß um diese Lehre vom "unbedingten Fortschritte" hat, darüber sind nachgerade wohl Erfahrungen genug gemacht worden, um sich veranlaßt zu sehen, wenigstens einmal für einen Augenblick stille zu stehen und sich die Sache in neue, reifliche Erwägung zu ziehen.

Auf die oben gestellte Frage zurückkommend, bemerken wir, daß aber auch in gewissem Sinn selbst das magische "Vorwärts" für die Bejahung derselben in die Wagschale fällt.

Indem wir nämlich zur mittelalterlichen Bauweise zurückkehren, schreiten wir in der That und Wahrheit vorwärts: wir schreiten vorwärts vom Heidenthume zum Christenthume, von der alten Welt zur neuen, vom Griechen- und Römerthume zum Deutschthume, vorwärts von der anarchischsten Verwirrung zur höchsten Einheit und Gesetzmäßigkeit, vorwärts von blinder Nachahmung zu bewußter Selbstständigkeit - wir machen einen Riesenfortschritt von mindestens anderthalb Jahrtausenden! Denn darüber waltet kein Streit ob, daß die heidnische Kunst es war, welche die christlich-mittelalterliche verdrängte, und wer solches etwa noch bezweifeln könnte, den brauchen wir nur auf das erste beste Handbuch

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über Baukunst und auf die architektonischen Hervorbringungen der letzten Jahrhunderte zu verweisen.

Also auch wir kämpfen, indem wir für das Mittelalter eintreten, unter dem Banner des Fortschrittes, wenn auch nicht des "unbedingten", und wir können daher um so unbedenklicher uns zur Rückkehr zu demselben rüsten. Diese Rückkehr wird noch dadurch um ein Bedeutendes erleichtert, daß nichts verlassen zu werden braucht, was uns zu fesseln besonders geeignet wäre, wir vielmehr Alles ganz füglich mit uns führen können, was von unserem dermaligen Besitzthum nur irgend des Aufhebens und Mitnehmens werth ist 1). Das Stück Weges aber, welches wir bis hierhin gemacht
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1) So weit hat uns der "Zeitgeist" nachgerade schon gefördert, daß unser allerjüngster Kunsthistoriker, Herr G. Kinkel, die Einleitung zu seiner "Geschichte der bildenden Künste," mit dem Ausspruche schließt: "Wir sind auf den Punkt gekommen, wo wir das Bauen, Bilden, Malen aufgeben, oder einen neuen unserem Zeitgeiste verwandten Styl auffinden (!) mögen" Etwa 30 Zeilen vorher hatte Herr K. freilich in einem unbewachten Augenblicke noch von dem "Erblühen der jüngsten, jetzt noch lebendigen Kunst" gesprochen, so wie er auch auf derselben Seite in e i n e m Athem sagt, der Reaktion der romantischen Schule gegen die Antike sei ihr Recht widerfahren, indem die Mode und der Kunstgeschmack "wie mit bitterem Hohne auf deren verrottete Bestrebungen, nur die allerschlechteste Vergangenheit, Renaissance und Roccoco, nachgeahmt" habe, und gleich darauf, 7 Zeilen weiter: die Mode habe a l l e Formen der Vergangenheit, einschließlich der mittelalterlichen, uns noch einmal abgespiegelt, und es sei der "Guckkastenspaß" nunmehr zu Ende u. dgl. m. Doch eine etwas eigenthümliche Art, Geschichte zu schreiben!

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haben, ist darum keineswegs vergebens gemacht. Wir sind auf demselben um manche Erfahrung reicher und - was vielleicht noch höher anzuschlagen ist - um manche Illusion ärmer geworden. Insbesondere haben wir Gelegenheit gehabt, uns gründlichst darüber zu belehren, wie viel leichter es ist, mit der Vergangenheit zu brechen, als eine Zukunft zu gründen, wohin es führt, wenn man aller Positivität den Dienst aufkündigt, und wie es keine drückenderen Fesseln gibt, als die, welche der Dünkel und die Gesetzlosigkeit schmieden.

Aber - so wird vielleicht Mancher bedenklich fragen - steht nicht zu befürchten, daß wir, bei der Kunst des Mittelalters endlich wieder angelangt; bloß noch eine schöne Leiche vor uns sehen, bei der alle Wiederbelebungsversuche nur verlorene Zeit und Mühe sein werden? - Wir beantworten diese Frage vorläufig durch die weitere Frage, ob denn die Ideen, ob der Glaube, deren Trägerin jene Kunst ist, als deren lebendigster Ausdruck, als deren erhabenste Sprache sie sich herausgebildet hat, nicht mehr dem Reiche der Lebendigen angehören? Und wer wird diese Frage zu verneinen wagen, besonders zu dieser Stunde!

So lange jener Glaube aber noch in den Herzen wurzelt, so lange das Kreuz noch siegreich dasteht und seinen Schatten über die Menschheit hinwirft, so lange wandelt auch der Genius jener Kunst, die am Fuße des Kreuzes aufgesproßt ist, wenn gleich ungesehen, unter uns. Soferne wir nur dem innern Antriebe nicht widerstreben, wird das gewaltsam zurückgedrängte Bedürfniß der Manifestation des geistigen Lebens durch entsprechende äußere Bildungen sich von selbst wieder geltend machen; die dreihundertjährige Erstarrung wird alsbald sich lösen und die gebundene Lebenskraft

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der schlummernden Keime sich frei machen, um unter der Einwirkung der Sonne der Sonnen eine neue Vegetation hervorwachsen zu lassen.

Jenes Wort Napoleon's: "On ne détruit que ce qu'on remplace" findet auch in Bezug auf die Kirche seine volle Anwendung. Wie wüthend auch die Einen auf ihren Bau eingestürmt und wie emsig und wohlbedacht die Andern ihn zu unterminiren versucht haben, wie viel Schutt man von allen Seiten über ihn hingeworfen, - durch einen andern Bau ihn zu ersetzen, ist kaum noch jemals im Ernste versucht worden, geschweige denn, daß ein solcher Versuch irgendwie gelungen wäre, falls man nicht etwa behaupten wollte, man hätte einen neuen Bau hingestellt, indem man sich einige Bruchstücke des alten zusammenschob. Sie steht noch unerschüttert da, diese Kirche, und sie vermag noch, was sie jemals vermocht hat. Alle die griechischen und römischen Gespenster ohne Herz und ohne Lebenswärme, die so lange Zeit hindurch unter uns umhergespukt haben, wie bald würden sie nicht vor dem Wehen ihres Geistes verschwinden und auch aus dem Gebiete der bildenden Kunst hinweggescheucht sein, so wie sie schon längst in dem der Poesie sich nicht mehr blicken lassen dürfen, falls nur erst einmal die unzähligen künstlichen Hindernisse beseitigt wären, welche der Ausbreitung dieses Geistes sich entgegenstellen!

Es wird, falls nur unsererseits der gute Wille nicht fehlt, der Heilkraft der Natur schon gelingen, der eingedrungenen Verwirrung Herr zu werden und die fremdartigen, störenden Elemente wieder auszuscheiden.

Wenn man durch Reizmittel aller Art einestheils und durch Polizei- und Schulzwang anderntheils es so weit bringen

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konnte, daß die Schöpfungen des Heidenthums im 17., 18. und 19. Jahdhunderte nach Christi Geburt, mit einem Scheinleben angethan, sich wieder unter uns einbürgern konnten, so liegt doch wahrlich keine Veranlassung vor, an der Möglichkeit der Wiedererweckung der mittelalterlichen Kunst zu verzweifeln. So ferne uns auch die gothischen Cathedralen und Rathhäuser bereits gerückt sein mögen, jedenfalls liegen sie uns doch noch unendlich näher, als die Monumente von Pästum, Eleusis, Milet und Korinth, als das Parthenon, die Tempel des Jupiter Olympius, der Ceres, der Sibylle, des Theseus, des Pandrosus und auch wohl als die Dreifußstraße zu Athen, die ganz neuerlich noch Professor J. Mauch den jungen Architekten als Muster zur Nachahmung vorgeführt hat 1).

Man trete beispielsweise einmal vor die Cathedrale von Metz und beantworte sich ehrlich die Frage, ob denn das Portal, welches der Klassizismus an dessen westlichem Schaugiebel aufgerichtet hat, unserer Verstandesrichtung oder den innersten Regungen unseres Gemüthes und unserer Phantasie mehr zusagt, als der übrige gothische Bau, oder als die entsprechenden gothischen Portale an den Domen von Amiens, Rheims, Chartres, Freiburg, Straßburg, Köln - man prüfe sich, welches von beiden kälter läßt, ob Notre-Dame in Paris, oder die nach dem Vorbilde des Parthenon daselbst erbaute Magdalenenkirche mit ihren akademischen Modell-Statuen; ob der restaurirte Schönbrunnen zu Nürnberg
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1) S. dessen "Neue system. Darstellung der architektonischen Ordnungen der Griechen, Römer und der neueren Baumeister." 3. Aufl. Potsd. 1845,

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mit seinen Rosetten, Fialen, Blumenknäufen, Statuen, oder das vorläufig auf dem Papier, restaurirte Monument des Lysikrates; ob die Gensdarmen-Markts-Kirchen zu Berlin oder der Stephansthurm zu Wien.

Nur für denjenigen kann die Antwort zweifelhaft sein, dem auch der letzte Funke von christlichem Bewußtsein in der Brust erloschen und dem nichts unheimlicher ist, als eine ernste Mahnung an die Tiefe, die Bedeutung und die gewaltige Schöpferkraft der Religion seiner Väter.

Die ehrlichen Feinde der mittelalterlichen Kunst sprechen es denn auch wohl ganz aufrichtig aus, daß die Zeit derselben dahin sei, weil die Zeit des Glaubens dahin sei, weil nur noch "der Gedanke" auf einen Tempel wahrhaft Anspruch zu machen habe, mit einem Worte: weil die Religion Jesu Christi ihre Mission erfüllt habe.

Und, wir wollen es nur einräumen, wenn diese "Stimmen der Zeit" wahr redeten, so wäre auch ihr Einspruch gegen die Repristination der mittelalterlichen Baukunst insofern vollkommen begründet, als diese Kunst allerdings eine wesentlich christliche ist , und sie nur im Glauben das rechte Leben und Gedeihen findet. Aber auch selbst dann würde sie uns doch noch unendlich näher liegen und in jeder Beziehung unendlich werthvoller sein, als das Surrogat, welches man an ihre Stelle gesetzt hat , und wenn denn einmal kopirt sein müßte, so würde doch noch immer eine Kopie des Mittelalters bei weitem schöner, zweckmäßiger, vernünftiger und wahrer sein, als eine Kopie der vorchristlichen Werke.

Aber zu allem Glücke sind wir auch so weit noch lange

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nicht. Noch haben die Phalanstèren 1) die Tempel nicht hinweg geschoben, noch stehen die Altäre in demselben aufrecht; noch gibt es gläubige Völker, Bekenner und Märtyrer und - der alte Gott lebt noch und streckt seine mächtige Hand über die von ihm der Menschheit geoffenbarte Religion! -

So ist es denn keineswegs eine todte Sprache, die wir wieder sprechen lernen sollen; es ist eine Sprache, deren Wurzelwerk zugleich mit dem Glauben, dessen eigenster Ausdruck sie ist, still und unvermerkt in unserm Geiste fortlebte, und die dem Kerne des Volkes fortwährend verständlich blieb, wenn auch die Zungen mühsam ein aufgedrungenes Rothwälsch lallten, welches; so wie es nicht aus dem Leben erwachsen ist, auch mit dem Leben niemals verwachsen konnte. Diese Kunst der letzten Jahrhunderte, sie ist nicht von Innen an uns gekommen, sie ist uns von Außen angeflogen und, trotz aller aufgewendeten Mühe, ist sie ihrem Wesen nach unseren Sitten, unseren Bedürfnissen, unserem innersten Sein durchaus fremd geblieben. Man werfe nur einmal den aufgestapelten Dekorations-Apparat aus der Heidenzeit über den Haufen und man wird sofort die junge
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1) Die "Phalange" ist nach dem Fourier'schen Sozialsystem, welches sich zur Aufgabe gestellt hat, alle unsere sozialen Verhältnisse radikal umzugestalten, die sozietarische Einheit oder Gemeinde, das Grundelement des für den ganzen Erdball zu schaffenden harmonischen Regime's das "Phalanstère" dient den Mitgliedern einer Phalange als gemeinschaftliche Wohnung, Werkstätte, Erholungsart u. s. w. Daß bei einem so weit "fortgeschrittenen" Systeme von einem Andachtsorte nicht mehr die Rede ist, versteht sich von selbst.

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Saat, welcher er bis dahin Licht und Luft geraubt, von selbst wieder ergrünen sehen.

Auch von der höheren bildlichen Sprache der Kunst gilt dasjenige (und es ist zu allen Deutschen gesprochen), was J. Grimm von der eigentlichen Sprache des gewöhnlichen Lebens zu seinen Schülern vor nicht langer Zeit geredet hat: "Bei Ihnen, bei der Zukunft steht es, unsere Sprache zu ihrer Würde zurückzuführen und sie von den fremden buntgefärbten Lappen zu befreien, mit welchen man sie behängt hat. Wir erforschen unser Alterthum, um die Gegenwart, der wir unsere Kräfte, Liebe und Sorge schuldig sind, wahrhaft zu erkennen und durch diese Erkenntniß zu fördern. Die Gelehrsamkeit soll nicht hinter einem Gitter stehen, um dem Leben aus der Ferne zuzusehen."

Auch wir wollen mitnichten eine untergegangene Zeit wieder heraufbeschwören und ein wesenloses Gespenst unter uns umgehen machen - vielmehr ist im geraden Gegentheile unser Bestreben darauf gerichtet , das Scheintodte zu erwecken und das Scheinlebendige an dessen Stelle in's Grab zu legen.

Auch wir wollen, daß die Kunst wieder in eine innige Wechselbeziehung zum Volke und zur Gegenwart trete, daß die Wissenschaft "nicht hinter dem Gitter stehe" und ihre Fäden lediglich um der Freude des Spinnens willen spinne. Gerade deshalb aber erachten wir es vor allen Dingen nothwendig, das von der Abstraktion und der Bücherweisheit ausgelegte Joch des sog. Classizismus abzuwerfen und wieder an die Brunnen schöpfen zu gehen, die der Schulwitz mit seinen antiken Scherben verschüttet hat - mit andern, bestimmteren Worten; daß die Kunsttradition der mittelal-

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terlichen Bauhütten wieder aufgenommen und in ihrem Geiste, nach ihren Principien weiter gewirkt wird.

Zweifelsohne werden nicht Wenige den Anachronismus einer derartigen Zumuthung belächeln, oder doch jedenfalls an der Möglichkeit der Durchführung einer solchen Idee verzweifeln. Diesen Kleingläubigen geben wir zu bedenken; ob sie denn wirklich den germanischen Volksstamm bereits alles Nationalgefühls und aller Schwungkraft so gänzlich baar und ledig erachten, daß sie von demselben annehmen können, es falle ihm dermalen schwerer, zu der aus seinem innersten Marke herausgebildeten, echt-volksthümlichen Anschauungs- und Ausdrucksweise zurückzukehren; als es demselben früher angekommen ist, dieses nationale Element und alles Herrliche, was es hervorgerufen hatte, zu verläugnen und sich auf die servile Nachahmung der Antike zu werfen? Es falle ihm schwerer, eine neu zu erbauende katholische Kirche einer katholischen Kirche des Mittelalters nachzubilden, als einem Tempel der Minerva oder des Poseidon? Es falle ihm schwerer, die Häupter der Säulen wieder mit Eichenlaub und den Blättern und Blüthen der Heimath zu umwinden, als mit Akanthus und Lotos und Gott weiß, was für Ranken und Blumen aus Kleinasien und Egyptenland, die niemals einer unserer Baumeister in Wirklichkeit zu Gesicht bekommen hat? - Ja, wenn es möglich war, ein so geistreiches und geisteskräftiges Volk, das seiner Kunst schon fast die ganze gebildete Welt erobert hatte, um mehr als ein volles Jahrtausend zurückzuschrauben, und wieder zu Iktinos, Stopas, Hermogenes, Kallimachos und gar zum Vitruvius in die Schule zu schicken, so wird es doch hoffentlich mindestens

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nicht schwerer halten, das lebende Geschlecht, welches überdies wohl zur Genüge erfahren hat, wie weit es in dieser Schule zu bringen ist, dahin zu vermögen, daß es sich wieder zu den Meistern Gerhard, Erwin, Hültz, Ensinger, Arler, Roriczer hinverfüge, um sich von ihnen des Achtortes Geheimniß deuten, in der Handhabung des Richtscheites und Winkelmaßes und in "des Zirkels Kunst und Gerechtigkeit" unterweisen zu lassen !

Wenn das Christenthum das Heidenthum überwinden konnte, als dasselbe noch am Leben war, so wird es wohl auch jetzt noch mit dessen Mumie fertig werden !

Damit sollen aber keineswegs die Schwierigkeiten und Hindernisse geläugnet oder auch nur gering angeschlagen werden, die sich einer vollständigen Wiederbelebung der mittelalterlichen Kunstweise in den Weg stellen.

Schon das Gesetz der Trägheit und die Macht verjährter Vorurtheile werden nicht so bald und so leicht zu überwinden sein, ganz abgesehen davon, daß die Principlosigkeit auch weit bequemer ist, als die Principienhaftigkeit. Was während eines Zeitraums von vollen drei Jahrhunderten, wenn auch in noch so abnormer, widernatürlicher Weise, seine Existenz behauptet hat, das läßt sich binnen wenig Tagen nicht fällen und ausrotten. Dem Epheu vergleichbar, hat dieses pseudoheidnische Gewächs an dem gewaltigen Baue des Mittelalters sich hinaufgerankt, ganz unscheinbar zuerst und ihm fast zur Zierde dienend. Nicht allzulange aber dauerte es, und die schmarotzende Schlingpflanze hatte alle Bildungen umstrickt und in jede Fuge sich eingebohrt, bis endlich der Bau beinahe gänzlich dahinter verschwand und es schier den Anschein gewinnen wollte, als ob das unfruchtbare Ast- und

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Laubwerk ihn allein noch aufrecht erhalte und ihm erst das rechte Leben gebe, während es insgeheim und allmählig ihn nur lockerte, untergrub und sprengte. -

In der That gibt es kaum eine staatliche oder gesellschaftliche Einrichtung unter uns, die von diesem Geiste oder Ungeiste des modernisirten Heidenthums (auch wohl hie und da euphemistisch schlechthin "Humanität" genannt) nicht infizirt wäre, und in welcher nicht erst eine Umbildung eintreten müßte, bevor die Kunst wieder ihren angestammten Thron wird besteigen und ihre alte Herrschaft über die Materie und den Geist wird ausüben können. Denn, wir wiederholen es, die Kunstübung ist mitnichten eine isolirte Thätigkeit, die Kunst, als Ganzes genommen, ist zu keiner Zeit das Produkt einzelner Individuen; in ihrem tiefsten Grunde schlingen vielmehr die Wurzeln aller Verhältnisse und Richtungen sich ineinander, welche die betreffende Periode überhaupt bedingen und charakterisiren. Insbesondere aber hängt die Baukunst durch die stärksten Bande mit der Kultur und dem Streben einer Nation zusammen und hält der jedesmaligen Zeitrichtung den getreuesten Spiegel vor, sowohl weil alle Künste in ihr sich begegnen und ihre gemeinsame Grundlage in ihr finden , als auch weil sie ihrer Natur nach das Erzeugniß allseitigerer, reiflicherer Erwägung ist, gleichsam wie ein zweites Kleid sich um den ganzen Menschen legt und allen seinen Bedürfnissen und Wünschen sich anzupassen hat.

So vielfältig und mannigfach daher bei dieser Kunst die Ursachen des Verfalles sind, so mannigfaltig sind auch die Mittel und Wege, ihr wieder aufzuhelfen. Indessen bedarf es wohl kaum einer Erwähnung, daß die einzelnen Momente, welche hier das Steigen und Fallen bedingen, sowohl an sich,

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als je nach Zeit, Ort und Umständen von sehr verschiedenartiger, wechselnder Bedeutung sind.

Da die natürlichen Gränzen gegenwärtiger Abhandlung ein Weiteres nicht gestatten, so werden wir uns nur darauf beschränken, diejenigen Momente hervorzuheben, welche in dieser Hinsicht von besonders hervorragendem Einflusse sind, und selbst in Bezug auf diese werden wir nur andeutungsweise verfahren können, Näheres und Ausführlicheres einer spätern Gelegenheit vorbehaltend.

Wenn es sich darum handelt, einem krankhaften Zustande ein Ende zu machen und die gestörten, irre geleiteten Thätigkeiten und Kräfte auf das rechte Maß und in die rechte Bahn zurückzuführen, so thut wohl vor Allem eine gründliche Diagnose Noth, das heißt, eine klare Erkenntniß der Natur und des Grundes der Störung, was denn weiterhin das Erkennen des normalen Zustandes nothwendig voraussetzt.

In beiden Beziehungen bleibt, wie uns scheint, für die vorliegende Frage noch gar Vieles zu wünschen übrig. Wie Wenige haben auch nur eine Ahnung von der Boden- und Principlosigkeit unserer heutigen Architektur; wie Wenige nehmen die Todesmattigkeit wahr, in der sie nach allen Richtungen um sich greift, ohne doch irgendwo einen Halt finden zu können; wie noch weit geringer aber ist die Zahl derjenigen, welche die Tiefen des frischen, kräftigen und reichen Lebens zu durchschauen vermögen, in dem diese Kunst vor wenigen Jahrhunderten noch über unseren Boden einherschritt, welche sich Rechenschaft zu geben wüßten von der einklangvollen Mannigfaltigkeit und der bewundernswürdigen Einfachheit ihres Organismus, von dem Gesetze, welches Alles, das Größte wie das Kleinste, gestaltet und durchdringt!

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Vor Allem thut es daher wohl Noth, daß das Studium des mittelalterlichen Bauwesens, mehr als bisheran der Fall war, auf dieses generirende Gesetz sich werfe, daß man das Netzwerk der Construktionslinien , die geometrische Grundfor- mel, gleichsam das Kristallisationsgesetz der großen Bauwerke jener Periode mehr in's Auge fasse, als ihre äußere Erscheinung, daß man sich endlich nicht mit Stylübungen befassen wolle, bevor man mit den Regeln der Grammatik sich gehörig vertraut gemacht hat 1).

Weil man aber gewohnt ist, die Vernunft im Mittelalter sich nur am Gängelbande zu denken, darum hat man sich in seine Erzeugnisse meist auch nur nothdürftig hineinz ufühlen gesucht und es nicht der Mühe werth gefunden, sich auch in dieselben hineinz udenken. In der That und Wahrheit hat nun aber kaum jemals ein anderes Zeitalter auf einem positiveren Grunde geruht, als das Zeitalter, welches vor Aristoteles fast das Knie beugte, welches die unbedingte Herrschaft des Syllogismus in allen Gebieten des Wissens proclamirte und die Scholastik in's Leben gerufen hat, welches nur mit dem Zirkel in der Hand seine Bildungen schuf - das Zeitalter des h. Thomas von Aquin und des Hildebrand, der Städtegründer und der Domen-Erbauer. Nur waren die damaligen Menschen groß und stark genug, um die lebhafteste Empfindung und den glühendsten Glaubensdrang mit dem schärfsten, sichersten Urtheile in sich vereinen zu können, während heutzutage meist nur das Herz auf Kosten des
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1) Der Verf. hat ausführlicher über diesen Punkt gehandelt in der Einleitung zu der Schrift: "Das Büchlein von der Fialen Gerechtigkeit" (Trier bei Lintz 1845), auf welche er in dieser Beziehung den Leser zu verweisen sich erlaubt.

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Kopfes und mehr noch umgekehrt der Kopf auf Kosten des Herzens zu höherem Leben sich zu entwickeln vermag.

Statt also, wie bisheran meist geschehen, manierirte Effektbilder und blühende Schilderungen der Denkmäler des Mittelalters zu liefern, nehme man lieber einmal das anatomische Messer zur Hand, lege man uns das Geheimniß ihrer Textur dar und analysire uns ihre Bildungsgesetze. Damit wäre denn auch zugleich am wirksamsten der modernen Phantasiegothik entgegengearbeitet, welche vielleicht mehr als alles Andere geeignet ist, ein Vorurtheil gegen die mittelalterliche Kunst zu begründen.

An unseren Bauschulen wäre es freilich, in dieser Beziehung den ersten Impuls zu geben. Aber leider ist von daher am allerwenigsten zu hoffen. Gerade vorzugsweise in diesen Anstalten hat das unselige Griechen- und Römerthum sich am festesten eingewurzelt und die gelehrten Herren, die dort doziren, glauben schon wunders, welche Concession sie machten, wenn sie von ihrer lichten klassischen Höhe für ein Paar Stunden zu dem "finstern" Mittelalter herabsteigen und dessen Hervorbringungen etwa die Aufmerksamkeit schenken, deren sich die indischen Pagoden und der Porzellanthurm zu Nanking wohl zu erfreuen haben. So kommt es denn, daß unsere Architekten, die von nichts als Parthenon und Erechteion träumen, eine gothische Profilirung kaum richtig aufzufassen, geschweige denn zu entwerfen im Stande sind, und daß selbst ein Schinkel die Verunstaltungen des Kölner Domchores durch den früheren Dombaumeister gutheißen, ja beloben konnte! Mehr noch: Gegenüber der Centralbauschule in Berlin hat man in der allerneuesten Zeit die Vorhalle des Museums mit Fresco-Gemälden, nach Entwürfen desselben

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Schinkel, versehen, welche in allegorisch-symbolischer Auffassung das Licht in seiner Entstehung, Wirkung und Verbreitung darstellen. Da das auszuschmückende Baudenkmal sich in der Hauptstadt eines christlichen Staates befindet, so wird von vornherein Niemand bezweifeln können, daß das, überdies auch zunächst für das Volk bestimmte, Werk in christlich-nationalem Sinne aufgefaßt und ausgeführt worden sei. Dem ist aber keineswegs also. Das: "Ich bin das Licht der Welt" unseres Herrn Jesu Christi ist dabei vielmehr ganz und gar als nicht gesagt und nicht geschrieben betrachtet (vielleicht gestützt auf eine deßhalbige Beweisführung der "modernen Kritik"); statt des Welterlösers und seiner Sendboten sieht man da Uranus, Titon, Jupiter, Selene, Prometheus, Venus, Eros, Phosphoros als die Spender und Träger des wahren Lichtes verherrlicht. Darf man sich da noch wundern, wenn unsere "Lichtfreunde" von dem Lichte des Evangeliums nichts mehr wissen wollen? - Solche Vorkommnisse sind allzu charakteristische Belege für das oben Aufgestellte, als daß wir sie hätten unerwähnt lassen dürfen 1).
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1) Der Verfasser fühlt sich gedrungen, ausdrücklich dagegen eine Verwahrung einzulegen, als solle mit Obigem dem Andenken des eben so edeln, als geistvollen Schinkel irgendwie zu nahe getreten werden, wie es sich denn hier überhaupt nur um Principien und Richtungen handelt. Wir haben vielmehr gerade darum des, in mehr als einer Hinsicht so hochstehenden Mannes in jener Verbindung erwähnt, um dadurch so viel klarer zu zeigen, wie tief die rückläufige Strömung, die uns wieder jenseits der christlichen Zeitrechnung versetzen will, bereits alle Fundamente unterwühlt hat. Als Persönlichkeit verdient Schinkel gewiß nur Lob: er hat wahrlich für unsere

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Daß an unseren Gewerbeschulen von christlicher Kunst auch nicht im entferntesten die Rede ist, braucht wohl nicht erst bemerkt zu werden. Ist doch sogar dem Vernehmen nach bei einer nahe gelegenen Schule nicht einmal ein Lehrer für die christliche Religion angestellt!

Bevor also von dieser Seite her eine Reform zu erwarten ist, muß dort erst alles gründlichst reformirt werden. Und zwar muß nicht bloß in die Bauschulen ein anderer Geist einziehen, sondern in Alles, was unmittelbar oder mittelbar mit denselben im Zusammenhang steht.

Zunächst und im Allgemeinen wäre auch auf dem Gebiete der Kunst die Muttersprache, d. h. die deutsche Kunst in ihr unveräußerliches Recht wieder einzusetzen und der Rang ihr einzuräumen, welchen dermalen die Antike usurpirt, während letztere etwa auf dem Fuße zu behandeln sein möchte, auf welchem man bisheran die vaterländische Architektur zu behandeln gewohnt war. Von demselben Gesichtspunkte müßte natürlich bei den Prüfungen, Concursen und Preisauf-
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Zeit Alles aus der Antike zu machen gewußt, was sich in unserer Zeit nur immer aus derselben machen lies, und gewiß würde er, unter andern Zeitverhältnissen geboren und gebildet, noch unendlich Größeres in der Kunst der vaterländischen Vorfahren geleistet haben. Zum Beweise dafür, wie sehr Schinkel auch für die erhabenen Schöpfungen und die Eindrücke der christlichen Kunst empfänglich war, lassen wir unten als Anhang einen, den Kölner Dom betreffenden Bericht desselben folgen, welcher uns überhaupt, wie für die Geschichte des Dombaues, so auch für die Charakteristik Schinkel's ein mehr als gewöhnliches Interesse darzubieten scheint. Der Verfasser verdankt denselben der Güte seines geehrten Freundes, des Herrn Regierungsbaurathes und Dombaumeisters Zwirner.

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gaben 1) (die vielleicht am zweckmäßigsten die Prüfungen gänzlich verdrängten) ausgegangen werden, und überdieß dabei die Tüchtigkeit über die Gelehrsamkeit, das Können über das Wissen stets den Preis davon tragen.

Um diese Umkehr zu vermitteln, sollte man die Catheder in die Bauhütten verpflanzen, wo denn Kopf und Hand zu gleicher Zeit beschäftigt und die vagen Theorien und Schulpedantereien sofort auf die Probe gestellt werden könnten. Man sollte ferner den alten Corporationsgeist und das in demselben wurzelnde Standesehrgefühl wieder in's Leben zu rufen sich bestreben, was freilich nur dadurch geschehen kann, daß die Polizei den betreffenden Genossenschaften auch ein gewisses Unabhängigkeitsgefühl gestatten will.

Da eine solche Umgestaltung indeß, allem Anscheine nach, so bald noch nicht zu erwarten steht, so bleibt einstweilen nichts anderes übrig, als daß man die sogenannten Leute vom Fache ihren Weg durch die "klassischen" Trümmerhaufen ruhig fortwandeln läßt und daß diejenigen, welchen die Wiederbelebung der nationalen Weise am Herzen liegt, ihrerseits - den gerade entgegengesetzten einschlagen. Alles wird dann darauf ankommen, auf welche Seite die öffentliche Meinung sich stellt, die am Ende doch immer, wenn sie anders Recht hat, auch Recht behalten wird.
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1) Was soll man z. B. davon halten, wenn ganz neuerlich noch die Akademie der Künste zu Berlin wörtlich folgendes Thema als Preisaufgabe für Sculptur aufgestellt hat?
"Merope, Königin von Messene, im Begriff ihren Sohn Aegyptos zu tödten, wird von dem alten Erzieher desselben zurückgehalten. Der Erzieher (τροφνζ) ist als Mann geringen Standes zu bezeichnen. Ein Opferknabe ist gegenwärtig und drückt Entsetzen aus." S. Pr. Staatsztg. Jahrg.1841. Nr. 299.

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Hat nur erst das Volk seine Vorzeit wieder verstehen und lieben gelernt und den Kern seines Wesens in derselben wiedergefunden, so wird es auch demjenigen, was dieselbe groß und herrlich gemacht hat, allen künstlichen Dämmen zum Trotz, schon wieder Bahn zu brechen wissen.

Diese Betrachtung führt uns von selbst auf die Kunst- und Alterthums-Vereine, deren stets wachsende Zahl schon für sich allein den Beweis liefert, wie allgemein und wie tief die Nothwendigkeit gefühlt wird, von unten herauf zu helfen, da von oben herunter, aus den Höhen der Wissenschaft, die Hülfe nun einmal nicht kommen zu wollen scheint.

So schön und löblich die meisten zur Zeit bestehenden Vereine dieser Art, den ihnen zum Grunde liegenden Motiven nach, auch sein mögen, so dürfte deren Organisation und Wirksamkeit doch noch gar Vieles zu wünschen übrig lassen. Die Hauptzielpunkte, auf welche diese Vereine ihre Thätigkeit hinrichten müßten, wären unserer Ansicht nach:
1) die Denkmäler der Vorzeit aufzusuchen, zu inventarisiren und zu erklären, sie zu beschützen und in würdiger Weise zu erhalten; 2) die Kunstproduktion auf das Gediegene, Ernste und wahrhaft Nationale hinzulenken; endlich 3) den öffentlichen Geschmack zu bilden und zu läutern, namentlich auch den Sinn für solche künstlerische Unternehmungen zu wecken, die ihrer Natur nach von Einzelnen nicht füglich ausgehen und ausgeführt werden können.

Halten wir einmal diese Anforderungen fest und vergleichen wir damit die Art, in welcher die bestehenden Alterthums- und Kunstvereine wirken, und die Zwecke, welche dieselben verfolgen, so ist nicht zu verkennen, daß kaum ein einziger jenen Anforderungen auch nur zum Theile entspricht, nicht

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Wenige sogar denselben geradezu entgegenarbeiten. Während bei den Einen die wissenschaftliche, rein theoretische Richtung unbedingt vorherrscht und es nie zu eigentlichen Resultaten kommen läßt, dienen die Anderen, so mit dem Leben und der Wirklichkeit in unmittelbare Berührung treten, meist nur der Flachheit und Mittelmäßigkeit als Stützpunkte und befördern die Produktion in einer Gattung, in der man sie eher sollte zu hemmen suchen.

Wer den an so vielen Orten periodisch wiederkehrenden, hier und da auch wohl permanent erklärten, sogenannten Kunstausstellungen nur einige Aufmerksamkeit zugewendet hat, wird dem vorstehend Gesagten, wenigstens im Allgemeinen, beipflichten müssen. Statt den Sinn des Volkes für die monumentale Kunst zu wecken und zu nähren, eröffnet man lieber der Kleinkrämerei mit Alltagsprodukten einen Markt, auf welchen denn alle Mittelmäßigkeiten sich hindrängen und in dessen buntem Wirrwar kein Auge und kein Urtheil sich bilden kann, wo höchstens die Splitterrichterei und der oberflächliche Dilettantismus einige Nahrung finden, während der Sinn für das Einfache und Erhabene, der hier und da in den Massen noch instinktartig fortlebt, an sich selbst irre werden und allmälig ganz und gar erlöschen muß. Hierzu kommt sodann noch, daß, so wie der Zufall diese Ausstellungs-Kunstwerke zusammenwürfelt, der Zufall sie meist auch wieder auseinanderweht, und einem jeden seinen Bestimmungsort anweist, wobei derselbe denn oft gar wunderliche Einfälle hat. An Würde gewinnen die Künstler wie die Kunst aber wohl schwerlich dadurch, daß man über ihre Hervorbringungen das Loos wirft und ihnen, je nach der Entscheidung desselben, Zwangspässe ausstellt!

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Vom Düsseldorfer Kunstvereine ("für Rheinland und Westphalen") ist indeß rühmend zu erwähnen, daß er der monumentalen Kunst, und damit der ächten Volks - Kunst, doch wenigstens dadurch einen Tribut der Anerkennung dargebracht hat, daß ein Theil seiner Einkünfte grundsätzlich auf Werke dieser Gattung verwendet werden soll. Und es ist schon viel Schönes und Tüchtiges auf diesem Wege zu Stande gekommen, auf welchem die andern Vereine hoffentlich mehr und mehr nachfolgen werden. - Was soll man z. B. dazu sagen, wenn man in Köln Tausende und aber Tausende zum Ankaufe von belgischen, französischen und vaterländischen Genrebildchen und gemalten Architekturen verwenden sieht, während die geschichtlichen Architekturen, so in natürlicher Größe die Straßen und Plätze der Stadt zieren, und - wenigstens in den Augen jedes Nicht-Kölners - ihren höchsten Ruhm ausmachen, dem Verderben Preis gegeben wurden 1), obgleich
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1) Wir erinnern beispielsweise an den ausgezeichnet schönen Rathhausthurm und seine Umgebung, an die, nach und nach verschwundenen, herrlichen Kirchen und Kreuzgänge, an den Zustand der Mehrzahl der noch geretteten, ja an den Zustand des Gürzenichs selbst, in welchem so viele Kunstbestrebungen des Tages sich concentriren! Die Gerechtigkeit erheischt es übrigens, dem Gesagten sofort hinzuzufügen, daß in neuester Zeit sowohl in der Stadtverwaltung, als in der Bürgerschaft Köln's ein ganz anderer Geist sich kräftig zu regen begonnen hat, wie solches namentlich die Martins- und die Cuniberts-Kirche, ganz besonders aber der Dom bezeugen, welcher letztere wohl zunächst den Impuls zu diesem höchst anerkennungswerthen Umschwunge gegeben hat. Wir wollen hoffen, daß es den neuerdings in genannter Stadt, glücklicherweise zumeist auf religiöser Grundlage, erstandenen Vereinen zur Erhaltung und würdigen Herstellung der in der-

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doch wahrlich die öffentlichen so wenig als die Privat-Bauten, welche die Gegenwart dort schafft, geeignet erscheinen, auch nur entfernt einen Ersatz für solche Verluste zu bieten.

In das entgegengesetzte, nicht weniger unersprießliche, Extrem fallen diejenigen Alterthums-Vereine, welche sich lediglich einen geschichtlichen, oder sonst wissenschaftlichen Zweck vorgesetzt haben und darüber sowohl die Sorgen für die Erhaltung der Werke des Alterthums aus dem Auge lassen, als auch auf jede praktische Einwirkung auf die Leistungen der Gegenwart Verzicht leisten 1).

Das Vorherrschen solcher rein theoretischer Bestrebungen ist nicht minder ein untrügliches Symptom des geistigen Verfalles einer Nation. Es beweist, daß dieselbe sich nicht mehr in ihrer Totalität erkennt und fühlt, daß eine partielle Läh-
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selben noch vorhandenen Baudenkmäler, gelingen werde, einigermaßen dem Wolfshunger der Häuserspekulanten ein Ziel zu setzen, welche auf dem besten Wege sind, eine der schönsten und interessantesten Städte des Mittelalters in eine der häßlichsten und langweiligsten der Gegenwart umzuwandeln.

1) In diese Kategorie gehört u. A. der "Rheinische Verein von Alterthumsfreunden", welcher in Bonn seinen Sitz hat. Während derselbe mit vieler Gelehrsamkeit und großem Aufwande von kritisch-philologischem Scharfsinn, Alles was nur von römischen Fragmenten irgend aufzutreiben ist, verarbeitet, würdigt er die großartigen christlichen Kunstwerke und Denkmäler des Rheinlandes kaum eines Blickes. Ohne auch nur eine Hand zur Hülfe aufzuheben, sah er z. B. dem so nahe drohenden Untergange der im Angesichte von Bonn gelegenen, ausgezeichnet schönen Ramersdorfer Kirche entgegen, die wohl ein ganzes Museum römischer Alterthümer aufwiegen könnte, oder doch mindestens die sämmtlichen, in den Jahrbüchern des Vereins bisher in Abbildung mitge-

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mung des Organismus eingetreten ist, in deren Folge die Lebensthätigkeit auf krankhafte Weise sich im Gehirne accumulirt, während die übrigen Organe allmälig absterben. Ganz insbesondere findet das eben Gesagte auf jenes spezifischdeutsche Gelehrtenthum Anwendung, welches auf den unwirthlichen Höhen der Spekulation wurzelt und nur für die Bibliotheken und Studierzimmer seine Blüthen treibt.

Damit soll indeß keineswegs gegen das theoretische Forschen und principienmäßige Erkennen an sich etwas eingewendet sein, sondern nur dagegen, daß solches Spekuliren sich als Selbstzweck setzt und in dünkelhafter Abgeschlossenheit von den Bedürfnissen und Gestaltungen des Lebens keine, oder doch nur nebenbei, Notiz nehmen will.

Wenn daher - um auf den Gegenstand, welcher uns zunächst beschäftigt, zurückzukommen - allerdings die erste Sorge darauf gerichtet sein muß, durch Erforschen, Klassifiziren und Inventarisiren der Denkmäler unserer Vorzeit wieder entschieden Besitz von denselben zu ergreifen, so muß dieß jedoch keineswegs bloß zu dem Ende geschehen, um geistreiche Bücher darüber zu schreiben oder schöne Zeichnungen davon in den Kunsthandel zu bringen; vielmehr muß der hauptsächliche und letzte Zweck dahin gehen, die schaffende Kraft, welche jene Kunstwerke hervorgetrieben, wieder zu wecken und die Künstler und Handwerker durch Vorhaltung guter Muster auf den rechten Weg zurückzuführen. 1)
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theilten antiken Curiositäten. (Vergl. im Domblatt, neue, Folge Nro. 2. einen auf die genannte Kirche bezüglichen Artikel von Hrn. u. Lassaulx.)

1) Falls es überhaupt für unsere Gewerbtreibenden gegenüber der Concurrenz der Fabriken, noch eine Hülfe gibt, so kann

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Aus diesem Grunde darf denn auch nicht vorzugsweise auf die bedeutendsten und imposantesten alten Kunstwerke das Augenmerk hingerichtet werden, sondern vielmehr zunächst auf die guten Ueberreste bürgerlicher Baukunst und auf die öffentlichen Gebäude von geringerem Umfange, indem die Gegenwart an solche Bauwerke am leichtesten wieder anknüpfen kann, während vor der größeren schon die Schwierigkeit und Kostspieligkeit zurückschreckt. Aus demselben Grunde dürfte auch keinerlei Detail und Zubehör unbeachtet gelassen werden, was der Zeit des guten, deutschen Kunststyles angehört, damit wir dasselbe unsern Tischlern, Zimmerleuten, Glasern, Schlossern u. s. w., denen allen das künstlerische Element auf den Irrwegen, worauf man sie hingeleitet, fast gänzlich abhanden gekommen ist, statt des Durcheinanders aus allen Stylperioden der heidnischen Welt, mit welchen sie von unsern Akademikern bedacht werden, als Muster für den täglichen Gebrauch vorlegen können. Hauptsächlich um deßwillen hat das Sammeln und Wirken der vielen Freunde mittelalterlicher Kunst bis jetzt nur so geringe Früchte getragen, weil man fast systematisch alles dasjenige unbeachtet gelassen hat, was sich auf das gewöhnliche Lebensbedürfnis bezieht und sich zur unmittelbaren Benutzung eignet.

Sodann ist aber auch gerade das Unscheinbare, Vereinzelte alltäglich vom Untergange bedroht, während die großen Werke sich nicht so leicht alterieren oder bei Seite schaffen lassen und sich gleichsam schon selbst schützen.
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dieselbe jedenfalls nur in der weiteren Ausbildung des individuellen Kunstsinnes und der Handfertigkeit gefunden werden, da die Maschine wesentlich generalisirt und verflacht.

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Keine Kapelle, kein Heiligenhäuschen, kein Wohnhaus dürfte hiernach unberücksichtigt bleiben, sobald dieselben nur in irgend einer Beziehung das Gepräge eines ächten Kunstwerkes an sich tragen; die davon aufzunehmenden Zeichnungen aber müßten, um vor Allem dem angedeuteten praktischen Zwecke zu dienen, mit möglichster Treue und Genauigkeit, jedoch ohne allen Luxus, angefertigt und ihnen namentlich genaue Maße und Durchschnitte beigegeben werden.

Endlich hätte ein solcher Kunstverein, wie wir ihn im Auge haben, sich auch noch die Aufgabe zu stellen, durch Rath und That überall zu helfen, wo es irgend Noth thut; bei Restaurationen alter Baudenkmäler sich zu betheiligen, durch Geldzuschüsse zur Erhaltung bedrohter Werke von Kunstwerth mitzuwirken und, wo die eigenen Mittel nicht anschlagen oder ausreichen wollen, die öffentliche Meinung zu Hülfe zu rufen.

Da ein solcher Verein Kräfte aller Art nützlich verwenden kann, so müßte ein Jeder, der nur in irgend einer, vorherzubestimmenden Weise bei den Zwecken desselben sich betheiligen zu wollen erklärte, in demselben Aufnahme finden, vorbehaltlich, diejenigen wieder von den Listen zu streichen, welche bei vorkommender Gelegenheit es unterlassen sollten, auch durch die That ihre Erklärung wahr zu halten.

Es ist hier natürlich nicht der Ort, einen in's Einzelne gehenden Organisationsplan zu einem derartigen Vereine zu entwickeln; nur auf Eines glauben wir indeß noch Gewicht legen zu müssen, daß man sich nämlich sorgfältig davor zu hüten habe, von vornherein für die Wirksamkeit desselben ein allzugroßes Terrain in räumlicher Beziehung abzustecken.

So wünschenswerth auch das Zustandekommen eines all-

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gemeinen vaterländischen Kunst- und Alterthums-Vereines gewiß an und für sich ist, so möchte es doch wohl nicht räthlich sein, sofort an die Ausführung eines so weit aussehenden Planes zu gehen. Es gilt vorerst, die Maschen anzufertigen, welche demnächst sich zu einer Kette zusammenreihen mögen, die das deutsche Volk in allen seinen Stämmen umschlingt.

Mögen die einzelnen Länder sofort Hand an's Werk legen und jedes in seiner Weise den Weg bahnen und ebnen, welcher endlich zu dem gemeinsamen Ziele hinführen soll 1). In naturgemäßer Fortentwicklung wird das ursprünglich Vereinzelte sich allmälig schon von selbst zu einem organischen, festgeschlossenen Ganzen gestalten, und so das Richtige und Wahre sich weit sicherer herausstellen, als wenn gleich von Anfang an Alles nach einem abstrakten Schema sich fügen sollte. Ohnehin können die verschiedenen deutschen Vereine ja so leicht mit einander in Verbindung treten, ihre Erfahrungen und Ergebnisse austauschen und sich so allmälig immer enger aneinander schließen. "Too swift arrives as tardy as too slow" 2).

Von allen deutschen Ländern ist aber gewiß keines mehr dazu berufen, voranzugehen als unser Rheinland. Kein
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1) Eine besonders rühmliche Erwähnung scheint, nach seinen bis jetzt erschienenen Jahresberichten zu urtheilen, der "Verein für Kunst und Alterthum in Ulm und Oberschwaben" zu verdienen, insofern sich bei demselben nicht bloß ein gediegen-wissenschaftliches, sondern auch ein entschieden praktisches Bestreben kund gibt.
2) Zu hastig und zu träge kommt gleich spät. (Shakspeare, Rom. und Jul. II. 6.)

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Theil des Vaterlandes ist reicher an Monumenten aus fast allen Perioden der christlichen Zeitrechnung, deren Größe und Bedeutung der Rolle entsprechen, welche demselben in der Geschichte zugetheilt worden, an der Spitze jener wunderbare Dom, welchem kein anderes Kunstwerk der Welt zur Seite gestellt werden kann. Ueberdieß scheint das Rinnsaal des Rheinstromes immer mehr die große Straße werden zu wollen, auf welcher die civilisirten Völker aller Zungen sich begegnen, weßhalb es denn als eine um so dringendere Ehrenpflicht erscheint, durch die That den Beweis zu führen, daß die Eroberungen der Gegenwart uns die Leistungen der Vergangenheit nicht vergessen machen; daß vielmehr der so edle fränkische Volksstamm noch in innigem, lebendigem Zusammenhange mit seiner großen Vorzeit lebt.

Während die improvisirten Hauptstädte und die Staaten neueren Datums, um nicht ganz auf den Ruhm verzichten zu müssen, welchen die Pflege der Künste verleiht, darauf angewiesen sind, mit ungeheuerm Kostenaufwande sich Museen einzurichten, in welchen sie denn, gleich wie in Beinhäusern, die aus allen Weltgegenden zusammengerafften Kunstwerke aufhäufen, liegt es nur an uns, mit verhältnißmäßig geringen Opfern aus unserem ganzen Lande eine Kunsthalle ganz anderer Art zu schaffen, deren Schätze unter Gottes freiem Himmel, vor aller Welt Augen an den Stellen stehen, welche die Geschichte ihnen angewiesen hat.

Großes und Durchgreifendes kann aber, unserer innigen Ueberzeugung nach, in dieser Beziehung nur dann geleistet werden, wenn die Staatsregierung ihre Beihülfe dazu leiht, und gleichsam die festen Punkte darbietet, um welche die Einzelbestrebungen sich concentriren können.

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Was namentlich die materiellen Mittel anbelangt, welche zum ersten Angriffe erforderlich sind; so erscheinen dieselben einestheils viel zu bedeutend und anderntheils ist das Interesse für die geschichtliche Kunst und das Verständniß derselben noch bei weitem nicht tief genug in die Massen 1) eingedrungen, um für's Erste eine dem Bedürfnisse entsprechende Theilnahme erwarten zu lassen.

An der Bereitwilligkeit der Regierung, ihre Beihülfe zu leihen, ist aber wohl um so weniger zu zweifeln, als sich hier ein mächtiger Vehikel zur Hebung der Volkskultur und insbesondere zur Stärkung des historischen Bewußtseins und des traditionellen, ächt conservativen Elementes, gegenüber den centrifugalen Bestrebungen, welche immer drohender hervortreten, darbietet. Endlich kommt auch noch die Rücksicht auf
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1) Wie es selbst bei einem großen Theile der gebildeten Classe noch um die historische und ästhetische Bildung bestellt ist, zeigt der, fast einstimmig gefaßte, Beschluß des letzten Rheinischen Provinzial-Landtags, eine auf die bessere Beaufsichtigung und Erhaltung der rheinischen Geschichtsdenkmäler abzielende Petition von Bürgern der Städte Koblenz und Trier - unberücksichtigt zu lassen. Einige Monate später hat die französische Deputirtenkammer mit 235 gegen vier Stimmen eine Summe von 2,650,000 Franken zu Wiederherstellungs-Arbeiten an der Pariser Cathedrale votirt. Zudem werden regelmäßig jedes Jahr ungefähr 12 Millionen Franken für die historischen Monumente Frankreichs aufgewendet. Welche Betrachtungen ist ein solcher Gegensatz nicht geeignet hervorzurufen! - Hat doch sogar in dem zerrissenen, erschöpften Spanien sich unter dem Schutze und der Beihülfe der Regierung ein großartiger Verein zur Erforschung und Erhaltung der Monumente der pyrenäischen Halbinsel gebildet.

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Recht und Billigkeit insofern hinzu, als das Vermögen, an welches die nunmehr hülflos dastehenden Bauwerke gewiesen waren, großentheils dem Staatsgute einverleibt worden ist, während letztere meist Corporationen zufielen, deren Mittel in keinem Verhältnisse zu den also überkommenen Unterhaltungskosten stehen.

So darf es denn der Regierung eines großen Staates mit allem Fuge angemuthet werden, den ersten Impuls zu geben, und zugleich durch die Beschaffung der unumgänglich nothwendigen Mittel demselben einen dauernden Erfolg zu sichern. Nur wenn die offizielle Thätigkeit der Organe der Staatsgewalt 1) und das freiwillige, unabhängige Wirken der Privaten sich wechselseitig anregen und ergänzen, wird, wie überhaupt für alle großen, weitaussehenden Unternehmungen, so auch für die in Rede stehende, das erwünschte Resultat sich ergeben.

Es könnte indeß leicht noch eine geraume Zeit darüber
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1) Leider lehrt die Erfahrung, daß in diesen Organen der Staatsgewalt sehr häufig der Beamte und Geschäftsmann den Künstler und Kunstkenner gänzlich absorbirt, oder doch gefangen hält. An dem grünen Tische wird von dem vortragenden höheren Baubeamten (der vielleicht noch überdieß seine ganze Carrière zufällig im Wasserbaue gemacht hat) der Neubau einer Kirche oder eines Stadthauses ganz auf demselben Fuße behandelt, wie die Errichtung von Laternenpfählen und Wegweisern oder wie die Herstellung eines Leinpfades - es ist eben nur eine Nummer, die abgewickelt werden muß. Sobald die Oberbaudeputation nichts einzuwenden findet, muß es ja auch wohl Allen recht sein. - Es wäre aber auch gar zu hart, wenn die Kunst allein an den Segnungen der Bureaukratie keinen Theil haben sollte!

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hingehen, bevor eine solche Vereinigung aller Kräfte zu Stande kommt, obgleich manche Anzeichen allerdings dafür sprechen, daß von mehr als einer Seite das innere Bedürfniß dazu hindrängt, und obgleich auch die Umstände gar sehr die Eile anempfehlen.

Hoffentlich wird aber darum die Zwischenzeit dem großen Zwecke doch nicht gänzlich verloren gehen, zumal Vieles späterhin nicht mehr nachgeholt werden könnte. Ein Wort gibt das andere, und wenn es erst an vielen Orten sich zu regen beginnt, so werden die Bewegungen allmälig schon von selbst in einen Ring zusammenlaufen.

Hoffen wir, daß vor allem die Staatsregierung mit Lehre und Beispiel voran geht. Erstlich durch die Lehre, indem sie Fürsorge trifft, daß in den öffentlichen Unterrichtsanstalten, namentlich den Universitäten und Bauschulen, die christlich-deutsche Kunst besser, als bisheran der Fall war, vertreten wird; die Lektions-Verzeichnisse und die Kataloge der Bibliotheken sprechen in dieser Hinsicht nur allzu klar. Höchstens findet sich da noch für die vaterländische Siegel- und Wappenkunde ein bescheidenes Plätzchen - die Symbolen- und Monumenten-Sprache des Christenthums, die heiligste, tiefsinnigste, erhabenste von allen, hat dagegen nirgendwo einen Dolmetscher und Fürsprecher; für sie steht auch nicht ein einziger Lehrstuhl aufgerichtet!

Während nicht leicht eine Ausgabe zu groß befunden wird, um unsere hohen Schulen mit egyptischen Mumien, verkohlten Papyrusrollen, versteinertem Ungeziefer, Fragmenten von antediluvianischen Ungethümen, und was sonst noch Alles da hinein schlägt, zu "bereichern", wird man in ihren Bibliotheken sich zumeist vergebens nach jenen Prachtwerken

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umsehen, in welchen die versteinerten Gedanken unserer Vorfahren, die großen Schöpfungen der christlichen Kunst, in Wort und Bild uns entgegen treten.

Möge diese Lücke, die wahrlich dem so viel belobten "historischen Geiste" der Deutschen wenig entspricht, recht bald ausgefüllt, und die christlich-nationale Kunst in ihr unveräußerliches Recht wieder eingesetzt werden!

Ein geeigneterer Anknüpfungspunkt dürfte sich in dieser Beziehung aber wohl schwerlich finden lassen, als der Dom zu Köln, an dessen Fuße sich auf dem rein empirischen Wege bereits der Grund zu einer Bauhütte, im alten, edlen Sinne des Wortes, gelegt hat. Man brauchte hier mit der lebendigen Praxis, zu welcher überdieß die tägliche Anschauung des unübertroffenen Meisterwerkes hinzukommt, nur noch für den Unterricht in der Theorie und Geschichte der deutschen Kunst Vorkehr zu treffen, um Köln wieder zu dem zu machen, was es Jahrhunderte hindurch gewesen ist, zu einem Hauptsitze deutscher Baukunst; und um es an die Spitze der großen Bewegung zu stellen, welche dieser Kunst ihr angestammtes Reich zurückerobern soll. Es würde hiermit zugleich die Controlstelle für die Ueberwachung der sämmtlichen rheinischen Denkmäler, wie der oberste Vorstand eines rheinischen Alterthumsvereines gegeben sein.

Aber nicht bloß durch die Lehre, sondern auch, und zwar hauptsächlich, durch die That und das Beispiel muß in dem angedeuteten Sinne von oben nach unten gewirkt werden.

Kein Plan zu einem irgend bedeutenden öffentlichen Gebäude dürfte genehmigt werden, wenn er nicht eine genaue Bekanntschaft mit den Prinzipien des deutschen Baustyles und zugleich eine gewisse Geschicklichkeit in der Handhabung seiner

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Elemente und Formen bekundete. Und, man darf es kühn behaupten, unsere Zeit kennt kein bauliches Bedürfnis, welchem die mittelalterliche Kunst, mit ihrer Fügsamkeit und ihrem unendlichen Reichthum, nicht vollkommen gewachsen wäre, während die abgeschlossene, durchaus fertige, antike Architektur sogar Hemmnisse künstlich schafft, oder doch jedenfalls, unbeschadet ihrer Wesenheit, den Ansprüchen der Gegenwart und der modernen Civilisation zu genügen schlechterdings nicht im Stande ist 1). Auch der Gesichtskreis der Kunst
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1) Da unsere Gräcisten allmälig einsehen, daß sie gegen die Evidenz ankämpfen würden, wenn sie die hohen Vorzüge der christlichen Baukunst, gegenüber der heidnischen, länger bestreiten wollten, so sind, besonders in neuester Zeit, mehrere Stimmen für eine Verschmelzung beider Weisen laut geworden. Aber wenn irgendwo der Eklektizismus unstatthaft ist, so ist dieß sicherlich hier der Fall, und wir wollen hoffen, daß ein solcher Versuch, wie er im sog. Jesuitenstyle schon einmal verunglückt ist, nicht wieder in anderer Weise angestellt und viel Kraft und Zeit nutzlos vergeudet wird. Die Grundprinzipien stehen sich allzu schroff und ausschließend einander gegenüber, als daß ein solcher Verschmelzungsversuch jemals auf etwas Anderes hinauslaufen könnte, als auf eine wechselseitige Corruption. Es würde zweifelsohne den heidnisch-christlichen Baukünstlern in ähnlicher Weise ergehen, wie es dem Verfechter jener Verschmelzungstheorie (Bötticher, die Tektonik der Hellenen, Potsdam 1844. I. S. 26 ) schon in sprachlicher Hinsicht ergangen ist, indem er sich bestrebte, zugleich deutsch und griechisch zu schreiben. Wir brauchen in dieser Beziehung unsere Leser nur auf die Dedication vor dem eben bezeichneten Werke zu verweisen. - Nein, so bewunderungswürdig das Griechenthum in seiner Kunst auch ist und so Vieles bei derselben auch immer zu lernen bleibt, von einer "die beiden Gegensätze zusammen-

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ist durch das Christenthum in's Unendliche erweitert worden, während das Heidenthum, so Großes in seiner Art es auch geleistet hat, doch immer der Erde parallel lief und in der Natur und dem Sinnenthume befangen blieb.

Wie im Entwerfen der Pläne, so müßte auch im Ausführen derselben auf das alte Verfahren zurückgegangen werden. Vor allem wäre das System der Vergantung von Bauunternehmungen an den Mindestfordernden aufzugeben, welches meistentheils dem Unternehmer sowohl als dem Werke selbst zum Verderben gereicht und die Pfuscherei und Schwindelei so zu sagen gewaltsam an die Stelle der Solidität und Gewissenhaftigkeit hindrängt. Es haben das die alten Meister mit ihrem richtigen Takte gar wohl gefühlt, und es galt daher auch in allen Hütten der Grundsatz, daß nur gegen Tagelohn gearbeitet werden dürfe.

Das Allerbeste wäre freilich, wenn man alle Neubauten und bedeutenderen Restaurationen um etwa ein Jahrzehend hinausschieben könnte, um den Bauleuten Zeit zur Orientirung und zum Hinüberlenken in die rechte Bahn zu gewähren. Da das nun aber natürlich nicht angeht, so muß man sich schon darauf gefaßt machen, selbst im besten Falle, noch eine geraume Zeit hindurch die Oberflächlichkeit und die Pfuscherei ihr Unwesen forttreiben zu sehen.

Zum wenigsten wird man aber doch wohl das Ansinnen stellen können, daß mit den noch existirenden öffentlichen Bauwerken aus der guten Zeit schon dermalen etwas schonender
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führenden und versöhnenden Synthese" muß auf immer Abstand genommen werden. Heidnisch oder christlich, ungläubig oder gläubig - tertium non datur.

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verfahren werde, und man dieselben nicht ohne die äußerste Noth zerstöre oder umgestalte.

Ein kleiner Umweg, ein Winkel in einer neu anzulegenden Straße oder eine sonstige derartige Inconvenienz sollten doch wahrlich nicht in Betracht kommen dürfen, wenn es sich darum handelt, einem alten, irgend charakteristischen Bauwerke das Dasein zu fristen. In der Regel aber läßt sich das Lineal unserer Herren Stadt- und Wegebaumeister auch nicht zu der allerunbedeutendsten Conzession herbei: mit einer Rücksichtslosigkeit gehen dieselben auf ihr Ziel los, daß man dabei unwillkürlich an jene Mäusegattung erinnert wird, die, nicht anders als gerade ausgehend, den höchsten Thurm überklimmt, um auf die entgegengesetzte Seite desselben zu gelangen.

Statt vieler Belege zu dem Vorstehenden, die wir leicht beibringen könnten, nur Einiges im Vorbeigehen.

Wer jemals das altehrwürdige Andernach, zur Zeit noch eine der monumentalsten Städte am Rheine 1), gesehen hat, wird sich zweifelsohne der imposanten Wirkung erinnern, welche eine, gleich beim Eingange in den Ort von Koblenz her befindliche, Gruppe von alten Bauwerken hervorbringt. Es besteht diese Gruppe namentlich aus einem stattlichen Thore, dessen Profilirungen von der seltensten Schönheit sind, und
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1) Leider sieht es gerade um die bedeutendsten Monumente von Andernach sehr bedenklich aus. Die schöne gothische Franziskanerkirche ist bereits in einen Militär-Pferdestall umgewandelt; der großartige Thurm am untern Stadtende trägt eine tiefe klaffende Wunde in der Seite; die Pfarrkirche endlich, eines der trefflichsten Denkmäler des romanisch-byzantinischen Styles in der Provinz, ist an ihrer westlichen Thurmfaçade so stark beschädigt, daß das Schlimmste zu befürchten ist, wenn nicht bald Hülfe kommt.

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den, einen nicht minder vortrefflichen Styl bekundenden und zugleich höchst malerischen Ueberresten einer früheren erzbischöflichen Pfalz. Ueber alles dieses nun war die Vernichtungssentenz bereits gefällt - das Thor sammt seinen Umgebungen sollte dem Erdboden gleich gemacht werden, und zwar warum? - damit die Chaussee etwas geradliniger, regelrechter und ungenirter da vorüberziehen könnte. Nur dem unausgesetzten, eifrigen Bemühen eines, um die Erforschung und Erhaltung unserer Alterthümer vielfach verdienten Mannes, des Herrn Bauinspektors von Lassaulx, ist es endlich gelungen, diesen bedroheten Denkmälern in den höheren Regionen jenen Schutz zu erwirken, der in den niederen ihnen auf das hartnäckigste verweigert wurde. So sind denn diese merkwürdigen Ueberreste einer geist- und gesinnungsvollern Zeit noch einmal gerettet und auch die Chaussee fährt sich da, nebenbei bemerkt, leicht und bequem und läßt überhaupt nichts zu wünschen übrig.

Wir können uns um so mehr Glück zu diesem guten Ausgange wünschen, als gerade die Denkmäler jener Art den Kindern der Zeit am meisten im Wege zu stehen scheinen und in ihrer Existenz am gefährlichsten bedroht sind. Wurde doch, dem Vernehmen nach, in der großmächtigen freien Reichsstadt Frankfurt, nachdem eben die Holz-Pforte und das Fahrthor, zwei in ihrer Art recht schöne, ächt-reichsstädtische Bauwerke aus Alignements-Rücksichten bereits niedergerissen worden waren, das prächtigste von allen Thoren Frankfurts, das Eschenheimer, nur durch die Interzession des französischen Gesandten bei hochweisem Magistrate vor dem gleichen Schicksale bewahrt. Hätte auch das im Jahre 1840 abgerissene Heilige-Geist-Hospital einen solchen Für-

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sprecher gefunden, so wäre der vielleicht glücklicher gewesen, als jene kunstliebenden und patriotischen deutschen Bürger waren, die so zu sagen auf den Knien um die Erhaltung dieses, in mehr als einer Beziehung ehrwürdigen Kunstdenkmales, wenn auch äußerten Falles nur als Fleischhalle, flehten 1)!

Die rheinische Rivalin dieser Mainkönigin, unsere heilige Stadt Köln, hat zwar ihren Mauergürtel und ihre Thurmkrone noch aufzuweisen; aber leider gewinnt man schon gleich auf den ersten Blick die Ueberzeugung, daß nicht die Rücksicht auf das künstlerische und historische Interesse, welches sie darbieten, sondern lediglich militärische Zwecke ihnen das Dasein bis hierher gefristet haben, indem man diesem Zwecke alles Andere auf das rücksichtsloseste untergeordnet hat.

Die Thore Köln's gehören unstreitig zu den besten Mustern mittelalterlicher Kriegsarchitektur. Ihr strenger, trotziger Ernst und ihre schönen mannigfaltigen Verhältnisse zeigen den Geist eines deutschen Michel Angelo. Aber, mit tiefem Bedauern müssen wir es sagen, die Werke dieses deutschen Michel Angelo werden bei uns nicht so in Ehren gehalten, wie die des italienischen in seinem Vaterlande. Auf Veranlassung der betreffenden Behörden sind die Zinnen, die Fenster, die Scharten und Bogenstellungen meist vermauert oder gewaltsam geändert worden; aller Orten hat man geflickt und
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1) Man sehe das Nähere über diesen brutalen Akt des modernen Vandalismus in dem, zu jener Zeit in Offenbach erschienenen interessanten Schriftchen: "Fürsprachen für die Halle des Heiligengeisthospitals zu Frankfurt am Main." Eine Abbildung des Innern dieser Halle ist dem Schriftchen beigegeben.

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angeplackt und zwar nicht einmal mit dem Materiale des Baues (Tuffstein), sondern mit ordinärem Backstein, in der Art, daß es den Anschein gewinnt, als ob es so recht auf eine Verunstaltung abgesehen gewesen wäre. Diese kleinen Sünden kommen aber kaum in Betracht neben der großen, welche man dadurch beging, daß man unter alle die hohen, majestätischen Thorwölbungen nach einer und derselben Chablone in einem ganz heterogenen, ultramodernen Style, gleichfalls aus röthlich angestrichenen Ziegelsteinen, errichtete kleinere rundbogige Thorwölbungen einschob, welche zu dem Ganzen natürlich im schreiendsten Mißverhältnisse stehen. Bei der Lage aller dieser Thore können die fraglichen Aenderungen nicht wohl durch fortifikatorische Rücksichten geboten gewesen sein, jedenfalls aber wäre eine so arge Verunstaltung zu vermeiden gewesen, welche den mächtigen Staat von jetzt neben der mächtigen Stadt von ehemals gar sehr in den Schatten stellen. In ganz ähnlicher Weise ist man mit dem altreichsstädtischen Zeughause umgesprungen, welches man u. A. seiner steinernen Fensterkreuze beraubte, noch schlimmer mit der alten Pforte am Eingange der Dominikanerkaserne, dem einzigen Ueberbleibsel des gleichnamigen, durch den Namen "Albertus Magnus" geheiligten Klosters, die man, ihrer besonderen Schönheit ungeachtet, ganz und gar abriß u. s. w.

Man braucht übrigens fast nirgendwo weit zu gehen, um Seitenstücke zu dem Angeführten zu finden. So haben u. A. in Kyllburg (Kreis Bittburg) vor einigen Jahren die betreffenden Behörden die Anordnung getroffen, daß das Dach des dortigen Kreuzganges, eines der ausgezeichnetsten Werke dieser Art im gothischen Baustyle, zur Ersparung der Unterhaltungskosten desselben abgetragen

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wurde, zufolge welcher Operation denn natürlich die Gewölbe einstürzten, so daß dermalen bereits die Hälfte des Bauwerkes in Trümmern daliegt. Wir haben nicht gehört, das man jene Beamten angehalten hätte, den in so unverantwortlicher Weise angerichteten Schaden wieder gut zu machen. Es ist dieß auch schon um deßwillen nicht sehr wahrscheinlich, weil dieselben, wenigstens mit einem gewissen Schein, auf die höheren Ortes befolgte Praxis sich beziehen könnten. Welches Gewicht man da überhaupt auf das Bauwesen legt, geht schon aus dem Umstande hervor, daß Communalbaubeamten in nicht geringer Zahl angestellt werden, welche sich durch keinerlei Prüfung zu einer solchen Stelle qualifizirt haben; der Adreßkalender für den Regierungsbezirk Trier (Jahrg. 1845, S.64) weist sogar aus, daß ein Chausséewärter nebenbei auch als Communalbaubeamter figurirt. Und doch befinden sich fast alle Restaurationen unserer alten Denkmäler, ebenso wie die Neubauten der Gemeinden, zunächst in den Händen dieser Beamten, weßhalb es denn auch nicht befremden kann, daß die Ersteren so häufig in wahre Verunstaltungen ausarten, während die Letzteren großentheils nicht einmal lebensfähig an's Licht der Welt treten.

Wie kann man, dürfen wir wohl fragen, von dem schlichten Bürgersmanne fordern, daß er die öffentlichen Denkmäler in Ehren, und den Art. 257 des Rheinischen Strafgesetzbuchs, beziehungsweise den §. 211 des Allg. Preußischen Landrechtes Thl. II, Tit. 20 1) im Auge halte,
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1) Die oben citirte Gesetzesstelle lautet wie folgt: "Eine gleiche Strafe (nämlich körperliche Züchtigung, Strafarbeit, Gefängniß von 4 Wochen bis zu einem Jahre oder verhältnißmäßige Geldstrafe, je nach der Beschaffenheit des verübten Muthwil-

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wenn die obersten Behörden mit solchem Beispiele vorangehen? -

Was so eben von den Staatsbehörden gesagt worden, findet im Allgemeinen auf die Gemeindebehörden Anwendung; nur sieht es in diesen Regionen noch bei weitem bedenklicher für unsere Kunstdenkmäler aus: nicht bloß jeder Stadtbaumeister, sondern jeder einzelne Philister, der auf das, was man gemeinhin "Aufklärung" nennt, Anspruch macht, glaubt sein "Fiat lux" über das Weichbild seines Wohnortes ergehen lassen zu müssen. Es verschwören sich da mit der Seichtigkeit und Geschmacklosigkeit sehr häufig noch Rücksichten des Privatinteresses gegen die Ueberbleibsel der Vorzeit. Dem Einen steht ein Stadtthor im Wege und hemmt ihm die Aussicht aus seinen Fenstern; der Andere ärgert sich über ein dunkelfarbiges altes Bauwerk, weil es das Licht nicht gehörig auf seine Wohnung reflektiren läßt; ein Dritter möchte gerne die schönen Steine, ein Vierter den sich ergebenden Bauplatz an sich bringen. - Alle ohne Ausnahme schwärmen endlich für kerzengerade, rechtwinkelige Straßen, in denen sämmtliche Häuser gräulich oder gelblich angestrichen sind und sich einander so ähnlich sehen wie ein Ei dem andern. Von solchen ästhetischen Gesichtspunkten aus
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lens, des Alters, Standes und Vermögens des Thäters, cf. §. 210 ibidem) trifft denjenigen, welcher öffentliche Denkmäler, Statuen, Stadtthore, Meilenzeiger. Warnungstafeln, Spaziergänge oder andere zum Gebrauche des Publici bestimmte Werke und Gebäude verunstaltet oder beschädigt." - Das Landrecht hat mit Recht vorstehende Bestimmung unter die Rubrik: "von Verletzung der Ehrfurcht gegen den Staat" gestellt.

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entwickelt denn auch die Polizei in Verbindung mit den betreffenden Verschönerungskommissionen ihre Thätigkeit. Mit der Gartenschnur werden die imaginären Straßenlinien durch die Städte und Flecken gezogen und dieselben nach Art der Gemüsefelder eingetheilt. Alle Thätigkeit geht sodann dahin, die wirkliche Stadt dem also vorgebildeten Ideale immer näher zu bringen, und es ist ein Jubel bei Alt und Jung, wenn wieder einmal so ein alter, unmanierlicher Bau, der noch dazu vielleicht gar mit einer Ecke über jene Gartenschnur herauszuspringen wagte, glücklich gefällt ist und einem Produkte in der bekannten Manier unserer heutigen Baukünstler Platz macht. Wo aber weder mit List, noch mit Gewalt einem solchen Riesen der Vergangenheit beizukommen ist, da muß wenigstens die Tüncherquaste ihren Zauber aufbieten, um ihn dem "Geiste der Zeit" doch in etwas näher zu bringen. In der That wird in den meisten Gemeinden gegen die Alterthümer mit einem Geschicke, einem Muthe und einer Ausdauer, zuweilen sogar mit einem Geiste der Aufopferung 1) operirt, welche einer bessern Sache werth wären.

Hier kann nur durch ein entscheidendes, mit derben Strafdrohungen begleitetes, "Quos ego" von Oben herab etwas ge-
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1) In Trier z. B. hat man bereits seit längerer Zeit nicht unbedeutende Beiträge subscribirt, um das alte Neuthor, welches ein höchst merkwürdiges Basrelief in byzantinischem Style an der Stirne trägt, bei Seite zu schaffen und durch ein modernes Gitterthor zu ersetzen. Jenes Basrelief hat freilich das Anstößige, daß es dem Wanderer sofort bei seinem Eintritte in Trier diese Stadt als eine christliche und historische ankündigt, so daß der Eine oder Andere leicht auf den Gedanken kommen könnte, Trier sei hinter seiner Zeit zurückgeblieben.

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ändert und geholfen werden, denn diese Bürgermeister, Stadträthe, Polizei- und Verschönerungs-Commissäre sind über jede Belehrung wie über jeden Angriff Seitens der Kunstfreunde hoch erhaben; besten Falles zucken sie die Achsel über dieselben und bemitleiden sie wegen ihres "ungereiften Selbstbewußtseins" und ihrer fixen Ideen, die ihnen nicht gestatten, in das "Zeitbewußtsein" aufzugehen.

Unverzüglich müßte man aber daran gehen, eine genaue Aufnahme des noch vorhandenen Erhaltungswerthen zu veranstalten, damit fernerhin nicht meuchlings geschieht, was offen am hellen Tage nicht mehr vollführt werden kann, so wie ferner damit bei sich ergebendem Bedürfnisse die meist vernachlässigten alten Gebäude von Kunstwerth wieder eine entsprechende Bestimmung erhalten und so dem Leben zurückgegeben werden 1).

Nichts würde uns erfreulicher sein, als wenn wir in allen diesen Beziehungen den Verwaltungen der Civilgemeinden die Verwaltungen der Kirchengemeinden und die Vorsteher derselben als Muster hinstellen könnten; leider soll uns aber diese Freude nicht zu Theil werden.

Wir können und dürfen es uns nicht verhehlen, daß auch der Clerus den auflösenden, verflachenden Einflüssen der
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1) Fast in allen ältern Städten finden sich noch solche Kunstbauten, welche leicht wieder zu Ehren gebracht werden könnten, oft sogar mit großer Ersparniß, indem dadurch die Errichtung kostspieliger Neubauten (auf welche freilich die Herren Baubeamten nur höchst ungerne verzichten) unterbleiben könnte. Besonders reich in der gedachten Beziehung ist noch die Stadt Trier, soviel auch in neuerer Zeit hier bereits demolirt worden ist.

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letzten Jahrhunderte sich nicht zu entziehen gewußt hat, und zwar gerade am allerwenigsten auf dem Gebiete der Kunst.

Wie bei den Laien, so wurde auch hier von den Obenstehenden das Signal gegeben zur Umkehr aus der glorreichen Bahn. Als nach dem vierzehnten Jahrhundert die Ereignisse, die Entdeckungen, die Genies sich häuften und drängten, da begann es den Menschen zu schwindeln, und immer mehr der eignen Kraft vertrauend, verloren sie die Leitsterne aus den Augen, die sie auf dem weiten gefahrvollen Wege bis dahin so sicher geführt hatten. Insbesondere wollte die christliche Demuth und Selbstverläugnung, in der alle wahre Religiosität wie überhaupt alles Höhere wurzelt, nicht mehr recht behagen. Ein Tropfen Heidenthum nach dem Andern wurde in den Mischkelch eingeträufelt, aus welchem man sich dann zu den neuen Inspirationen berauschte. Nachdem die christliche Peterskirche mit dem heidnischen Pantheon sich gekrönt und die schwülstigen Hofarchitekturen Bernini's als Schmuck sich ihr angehängt, begann der neue Geist seine Runde, und durch alle Länder und Städte erhob sich ein förmlicher Wettkampf, wer in der wieder auferstandenen Art es dem andern zuvor zu thun und von dem Ueberkommenen sich am weitesten zu entfernen vermöge. Während so die Neuerungssucht auf dem Gebiete der Kunst und der Wissenschaft vom Süden ausging, begegnete ihr, vom Norden herkommend, die Neuerungssucht auf dem Gebiete des Glaubens; in dem eisigen Wirbelwinde aber, der demzufolge sich erhob, ging die lebendige, bildende Kraft immer mehr in Erstarrung über 1).
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1) Selbst die kräftigsten, edelsten Geister jener Zeit vermochten der herrschenden Influenza sich nicht zu entziehen; wurde doch sogar der kerndeutsche Dürer von den Bauhütten, aus denen

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Da die gothischen Dome sich nicht so leicht beseitigen oder durch andere Bauwerke im Zeitgeschmacke ersetzen ließen, so zerschlug, änderte und modelte man vorläufig wenigstens nach Möglichkeit in und an denselben, um doch jedenfalls zu beweisen, daß man des neuen Geistes theilhaftig geworden und nur nothgedrungen die Schöpfungen des alten noch dulde.

Zu den inhaltsschweren Worten, welche der Cardinal Pacca wenige Tage, bevor er in's Grab gestiegen ist, über die Schicksale der Kirche und insbesondere bezüglich auf das Verderben gesprochen, welches über dieselbe durch die Verweltlichung ihrer Würdenträger und das Ueberwiegen des politischen Elementes gekommen ist, liefert die kirchliche Kunst den besten Commentar, wie sie denn überhaupt der klarste und vielseitigste Ausdruck des kirchlichen Lebens ist.
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alle die Weltwunder hervorgegangen, hinweg zu der neuen Manier verlockt, welche durch die Schriftgelehrten ausposaunt worden war. Wir können nicht umhin, aus seinem Werke: "Underweisung der Messung mit dem zirkel und richtscheyt" u. s. w. aus dem Jahre 1525 folgende charakteristische Stelle hier mitzutheilen: "So man aber von dem gantzen bauwerk oder seinen Teylen reden will, acht ich es sey keynem berümbten baumeister oder werckmann verborgen wie künstlich der alt Römer Vitruvius in seinen bücheren von der bestendigkeit, nutzbarkeit, und zierden der gebeu geschrieben hab, derhalb jene auch vor anderen zu folgen und sich seiner ler zu brauchen ist. - So ich aber ytzo fürnym ein seulen oder zwo leren zu machen, für die jungen gesellen sich darinn zu üben, so bedenk ich der deutschen gemüt, dann gewonlich alle die etwas newes bauen wöllen, wolten auch, gerne eine newe fatzon darzu haben, die for nye gesehn wer. Darumb will ich etwas anderes machen, daraus nehm ein ytlicher (jeglicher) was ihm gefall und mach nach seinem Willen."

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Nachdem die Kraft der Völker durch die Religionskriege gebrochen war, fehlte eben nur noch, daß ihre gottgesetzten Hirten des lebendigen Wechselverkehres mit ihnen sich entschlugen und in die Bahnen einlenkten, deren Centralpunkt Versailles war. Immer mehr wurden die kirchlichen Traditionen verlassen und dem von dort herüberwehenden Geiste gehuldigt. Die Chore der altehrwürdigen Cathedralen wurden in Marmor und Täfelwerk ausstaffirt, so daß es fast den Anschein gewann, als ob, wo früher der Kirchenfürst den Gottesdienst gefeiert, nur noch der Reichsfürst sein Lever abhalten wollte; die Bischofshöfe wandelten sich in lachende Schnörkel-Paläste à la Marly und Trianon um; nach den Wohnsitzen der Prälaten modelten sich natürlich die Abteien 1), die Klöster und selbst die Pfarrhäuser so lange, bis auch der letzte Rest von Kirchlichkeit abgestreift war und nicht einmal mehr ein Heiligenbild über der Thüre sich zeigen durfte, dessen Stelle sogar nicht selten durch Embleme menschlicher Eitelkeit, wie Wappen u. dgl. eingenommen wurde.
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1) Ein höchst interessantes und belehrendes Bild der Blüthe, der allmäligen Entartung und des endlichen Verfalles der klösterlichen Architektur gewährt in ihren verschiedenen Theilen die ehemalige Abtei Rommersdorf unweit Coblenz. An den, im schönsten byzantinischen Style gehaltenen, ältesten Flügel reiht sich ein Flügel in gothischem Styl, der dann seinerseits in den französischen Zopf ausläuft. Damit aber auch die allerneueste Zeitrichtung nicht unvertreten sei, hat man in den achtzehnhundertzwanziger Jahren die alte werthvolle Kirche (im J. 1351 eingeweiht) in eine Branntweinbrennerei umgewandelt. Da dieses Denkmal in neuester Zeit das Eigenthum des edlen Herzogs von Aremberg geworden ist, so darf man wohl zuversichtlich hoffen, daß solcher Schmach bald ein Ende gemacht werden wird.

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Das schwere Gericht, welches, wie über so viele andern, so auch über unsere rheinischen Kirchenfürsten ergangen ist, erklärt sich schon vollkommen, wenn man nur ihre Paläste in Mainz, Coblenz, Trier, Bonn oder gar Brühl sich ansieht. Klarer kann es Einem nirgendwo in die Augen springen, wie die Herren dieser Behausungen, ihres Ursprunges und ihres Berufes vergessend, statt auf den alten kirchlichen Grund, auf den Flugsand des Tages gebauet. Hoffen wir, daß die Lehre nicht verloren geht, daß mit dem altkirchlichen Sinne auch die altkirchliche Form wieder feierlich bei uns einzieht, daß mit dem Geiste auch der ihm entsprechende Leib zu neuem Leben erwache.

Wollte man etwa einwenden, daß zur Zeit weit höhere Interessen zu wahren seien, als ästhetische, und daß die Geistlichkeit ihre Kräfte auf schwerere und entscheidendere Kämpfe zu verwenden habe, als der Kampf gegen den Ungeschmack sei, so bemerken wir, daß die Kirche im Diesseits zu aller Zeit eine streitende war und sein wird, und daß nimmer sich die Dome über die Katakomben erhoben hätten, wenn dazu die Zeit des allgemeinen Kirchenfriedens hätte abgewartet werden sollen; wir verweisen auf jene Tempelerbauer des alten Bundes, die das Schwert in der einen, die Kelle in der anderen Hand führten.

Erwartungsvoll schauen die Verehrer der großen christlichen Kunst auf den Clerus, unter dessen Hand sich die ungeheure Mehrzahl der zu uns noch herübergeretteten Schöpfungen derselben befindet. Und, in der That, der Clerus braucht nur zu erkennen und zu wollen, um nicht bloß die Vergangenheit dieser Kunst wieder zu vollen Ehren zu bringen und letzterer die frühere Popularität und Gemeinver-

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ständlichkeit wieder zu verschaffen, sondern um ihr zugleich eine glänzende Zukunft zu bereiten. Seine wunderbare Einheit und Allgemeinheit, wie sein Zusammenwirken als Körperschaft, seine Stellung zum Volke, seine große Vergangenheit, der Cultus, dessen Diener er ist, die Sympathien, die er in allen edleren Gemüthern so leicht durch Wort und Beispiel erwecken kann, die Studien, auf welche er durch seinen Stand angewiesen ist - alles dies würde den einzig wahren Principien einen baldigen Triumph sichern, wenn nur erst einmal diese Principien zur Erkenntniß seiner Glieder gekommen wären.

Welch' ein Wandel der Zeiten! Dieselbe Kunst, deren Wiege neben dem Altare gestanden, deren Gesetze und Regeln in den Klöstern ersonnen, deren Wunderwerke von Priestern geschaffen, oder doch unter ihrem Impulse und ihrer Leitung ausgeführt worden 1), diese heilige, hoheitstrahlende Kunst ist unter den Nachfolgern jener Priester ein Fremdling geworden, dem man kaum noch die Wegsteuer reicht!

Klopft doch selbst der Dom zu Köln, in dem die
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1) Für die nähere Ausführung und Begründung des oben Gesagten verweisen wir auf Kreuser's treffliche "Kölner Dombriefe" S. 126 u. ff. und insbesondere auf dessen Abhandlung: "Die christlichen Künste in ihren Ursprüngen" in der Bonner katholischen Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst. Jahrg. II. Bd. 3. Es ist unglaublich, was oft ein einzelner Orden auf dem Kunstgebiete geleistet hat. Für Italien leuchtet in dieser Beziehung besonders der Dominikaner-Orden hervor, aus welchem u. A. ein Fiesole und ein Fra Bartolomeo hervorgegangen sind. Vgl. die von dem Dominikanermönche Marchese verfaßte Schrift: "Memorie dei piu insigni pittori, scultori e architetti Domenicani. vol. I. Firenze 1845. 8.

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Herrlichkeit der alten Priesterkunst ihren Gipfelpunkt erreichen sollte und neuerdings wieder zu erreichen strebt, vergebens an manchem Pfarrhause um ein Almosen an. Nicht einmal ein Wort wird ihm oft dazu Theil, geschweige denn etwas Weiteres.

Wie viele von allen den katholischen Zeitschriften, die sich die Aufgabe gestellt haben, am Ruhme der Kirche mitzuarbeiten, kann man nicht zur Hand nehmen, bevor man auch nur eine findet, die in tüchtiger und entschiedener Weise für die Kunst einträte, welche diesen Ruhm gerade am lautesten und überzeugendsten verkündet 1)!

Diese Abgestorbenheit der Träger des katholischen Glaubens von dessen schönster Blühte, der katholischen Kunst, thut vielleicht mehr als alles andere dar, welche Katastrophen die Kirche in den letzten Jahrhunderten zu bestehen hatte. Glaubte man etwa, sich auf dem Gebiete der Wahrheit um so stärker verschanzen zu können, indem man das der Schönheit Preis gab?

Der Augenblick ist aber gekommen, wo die auf die inneren Organe zurückgeworfene Lebenskraft wieder heraustreten und, ihrer Natur gemäß, sich wieder schaffend und gestaltend verhalten muß. Wenn jemals, so ist es jetzt an der Zeit, daß die Kirche dem civilisirten Chaos entgegentrete, wie
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1) Das einzige Blatt Deutschlands, welches sich der christlichen Kunst widmet, das "Kölner Domblatt," wie wenig Abnehmer findet es selbst unter der rheinischen Geistlichkeit, obgleich dasselbe jährlich nur 10 Sgr. kostet und der Gesammtertrag noch überdieß dem Dombaue zufließt! - Seit einiger Zeit hat auch das "Düsseldorfer Kirchenblatt" eine Rubrik für Kunst.

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sie früher Maß und Regel in das barbarische gebracht hat. Sie muß abermals nach allen Richtungen hin den Beweis führen, daß das Christenthum nicht bloß ein höheres Schauen und Wissen, sondern auch ein höheres Können ist. - Die Anarchie der Formen entspricht der Anarchie der Geister, und die Schönheit in der höheren Bedeutung des Wortes ist nur der Widerschein der Wahrheit. Das hat die Kirche gar wohl gefühlt, als sie alle Elemente der Kunst ihrem Kultus dienstbar machte, die Völker mit ihren Zauberkreisen umwob und die Stadt Gottes in strahlender Herrlichkeit auf den Felsen hinbaute.

Die Kunst muß wieder beten lernen; auf wen anders wird sie aber zu diesem Ende zunächst ihre Blicke richten, als auf diejenigen, deren ganzes Leben, wie der h. Bernard sagt, ein Gebet sein soll? Von ihnen muß vorzugsweise der Impuls zur Rechristianisirung der Kunst ausgehen.

Der Weg, welchen der Clerus einzuschlagen hat, um auf die glänzende Spur zurückzukommen, die er nie hätte verlassen dürfen, ist gar leicht zu finden. Er braucht sich eben nur umzusehen nach seiner Vergangenheit und in ähnlicher Art wieder zu beginnen, in welcher er vor einem Jahrtausend begonnen hat.

Wie damals und später bei vielen Domkirchen und Klöstern Stiftungen bestanden 1), um Geistliche zu Kunstkennern
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1) Schon Gregor d. G. verordnete, daß der Clerus in den schönen Künsten unterrichtet werden solle. Im 11. Jahrhundert stiftete u. A. Geoffroy de Champ-Aleman, Bischof von Auxerre an seiner Domkirche Präbenden für drei Geistliche, von denen der Eine zum Goldschmied, der Andere zum Maler, der Dritte zum Glasarbeiter heranzubilden sei. Der Name

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und Künstlern heranzubilden, so wäre auch jetzt wieder damit der Anfang zu machen, daß bei jedem Seminare und Domkapitel wenigstens einige Priester angestellt würden, welche eine gründliche Kenntniß der christlichen Kunst in allen ihren Verzweigungen besäßen, so wie daß in den erstgedachten Anstalten die christliche Kunst zu einem besonderen Lehrgegenstande erhoben würde.

Zur Zeit mag es freilich nicht gerade ein Leichtes sein, solcher Anforderung entsprechende Persönlichkeiten ausfindig zu machen. Allein es würde diese Schwierigkeit gewiß bald schwinden, sobald nur erst einmal Seitens einiger Bischöfe der entschiedene Wille kund gegeben wäre, die kirchliche Kunst in ihr altes Recht wieder einzusetzen. Das Privatstudium wie das Reisen, diese beiden hauptsächlichsten Bildungsmittel, sind dermalen so sehr erleichtert, daß, wenn anders nur der rechte Trieb sich einstellen will, schon in kurzer Frist große Resultate gewonnen werden können. Die christliche Kunst hat aber auch so viel Anziehendes und Erhebendes, daß es so zu sagen nur eines Oeffnens der Bahn bedürfen wird, um sofort allerwärts den schönsten Wetteifer zu erwecken.

Schon der Umstand, daß die Bischofssitze, und somit auch die geistlichen Pflanzschulen, sich an Orten befinden,
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des heiligen Abtes Wilhelm zu Hirschau erglänzt als einer der hellsten Sterne des früheren Mittelalters. Erst Meister der Bauhütte zu St. Emmeran in Regensburg, später Gründer einer solchen in Hirschau, galt er durch Frömmigkeit wie durch Gelehrsamkeit und durch seine Meisterschaft in jeder Kunst als ein Wunder seiner Zeit. S. Näheres über ihn bei Heideloff "die Bauhütte des Mittelalters in Deutschland" S. 5 u. ff.

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welche doch fast immer das eine oder andere bedeutende Kunstdenkmal besitzen, bietet einen Anhaltspunkt für das Studium dar. Dem einmal erwachten Sinne kann aber leicht durch zweckmäßig ausgewählte Bücher und Abbildungen Nahrung ertheilt und ein tieferes Verständniß eröffnet werden 1).
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1) So reich auch die deutsche Kunstliteratur sein mag, so kann doch zu dem obigen Zwecke kaum e i n deutsches Buch als Handbuch von uns empfohlen werden, da fast alle entweder zu umfassend sind, oder zu sehr vom theoretischen Gesichtspunkte aus ihre Aufgabe behandeln und philosophiren, wo sie einfach belehren sollten. Für das Technische und die Bildungsgesetze des gothischen Styles leistet das "gothische A. B. C. von F. Hoffstadt (Frankfurt bei Schmerber)" Ausgezeichnetes. Die größeren, mit Abbildungen versehenen Werke von Moller, Buisserée, Schmidt, Puttrich, Müller, Heideloff, Popp, Callenbach u. A. m. dürften in keiner geistlichen Bildungsanstalt fehlen. Zur allgemeinen Orientirung auf dem Kunstgebiete ist die Kunstgeschichte von Kugler (Stuttg. 1842) zu empfehlen. Nach einem größeren Maßstabe schon ist das im Erscheinen begriffene, gedankenreiche Werk: "Geschichte der bildenden Künste von Carl Schnaase, Düsseldorf bei Buddeus" angelegt. Die Franzosen, welche sich überhaupt in neuester Zeit mit einem wahren Feuereifer der christlichen Kunst annehmen, zeichnen sich auch hier wieder durch ihren praktischen Sinn und ihren richtigen Takt aus, und es wäre zu wünschen, daß die Werke eines de Caumont (insbesondere seine histoire de l'architecture réligieuse), Didron (Manuel complet d'Iconographie chrétienne. Paris 1845. pr. 10 frcs. 8 ), Bourassè (archéologie chrétienne. Tours 1842. 8.) recht bald bei uns heimisch gemacht würden, letzteres jedoch mit gelungeneren Abbildungen. Ganz besonders glauben wir aber hier auf die von Didron in Paris herausgegebenen "Annales archéologiques" aufmerksam machen zu müssen, welche bei einem höchst mäßigen Preise (25 Franken der Jahrgang zu 12 Heften mit vielen Abbildungen) in Bezug auf Form wie auf Inhalt gleich vortrefflich sind und

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Wenn man solche Studien auch nur aus dem Gesichtspunkte der individuellen Geistesausbildung und als Erholung von den schweren, ernsten Pflichten des priesterlichen Standes betrachten wollte, so würde schon darin allein ein hinreichen-des Motiv zur Anregung derselben zu finden sein. Sie erscheinen aber selbst als eine Pflicht, im vollen Sinne des Wortes, wenn man bedenkt, wie innig die Verbindung des historischen Christus und seiner Religion mit der historischen Kunst ist, welch' einen mächtigen Hebel dieselbe bildet, um auf die Geister zu wirken, welche Gewährschaft endlich die Erhabenheit der Form für die Erhabenheit des Inhaltes darbietet und wie bedeutungsschwer die Wechselbeziehungen sind, in welchen beide zu einander stehen. Wie verbleichen in der That nicht alle zum Preise des Katholicismus geschriebenen und gedruckten Worte neben einer Cathedrale des Mittelalters, und wer würde wohl den Muth haben, in einem Kölner Dome die Religion zu schmähen oder gering zu achten, welche denselben ersonnen und aufgerichtet hat!

So wenig man erwarten kann, daß die Versäumniß von Jahrhunderten binnen kurzer Frist wieder nachgeholt und gutgemacht werde, so darf man doch mit allem Fug und Recht das Ansinnen stellen, daß die Ueberreste aus der Blüthezeit der Kirche und ihrer Kunst, welche der Zerstörungswuth und der Profanation glücklich entgangen sind, in Ehren gehalten und mit derjenigen Pietät umgeben werden, auf welche sie einen so vielfach begründeten Anspruch haben.
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sich vorzugsweise mit der christlichen Kunst des Mittelalters, in allen ihren Beziehungen, beschäftigen. Möchte recht bald ein ähnliches deutsches Unternehmen dieser Zeitschrift den Rang streitig machen!

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Und so unendlich fruchtbar hat sich die kunstbildende Kraft in jener Periode erwiesen, als sie im vollen Lichte des Glaubens stand, daß trotz der ungeheuren Verluste, welche wir zu beklagen haben, doch noch die reichste Ernte zu machen ist, wenn man sich anders nur einmal der Mühe des Suchens, Sammelns und Ordnens unterziehen wollte. Nicht bloß in den mächtigen Cathedralen hatte die Kunst ihren Thron aufgeschlagen; über Alles, was nur irgendwie dem Cultus diente, bis zu dem schlichtesten Dorfkirchlein und seinem Mobilare herab, ergoß sie ihren Zauber und ihre Weihe. Die untergeordneteren Bauwerke liefern häufig sogar zur Zeit noch eine unverhältnißmäßig reiche Ausbeute für den Kunstkenner und vieles ist in ihnen gerettet worden, entweder weil man es in seiner Unscheinbarkeit übersah, oder weil die Geldmittel fehlten, um eine brillante Absurdität an die Stelle zu setzen.

Um wenigstens ferneren Verschleuderungen und Verstümmelungen des noch Erhaltenen nach Möglichkeit vorzubeugen, wäre vor allen Dingen die genaueste Inventarisation der ämmtlichen, zu kirchlichen Zwecken bestimmten, unbeweglichen wie beweglichen Gegenstände zu veranlassen. Am zweckmäßigsten ließe sich dieselbe wohl in der Art bewerkstelligen, daß einem jeden Pfarrer ein Formular mit detaillirten Fragestücken übergeben würde, auf welches er dann präcise Antworten zu verzeichnen hätte.1). Zur obersten Controlirung der pflichtmäßigen Genauigkeit dieser Verzeichnisse sowohl,
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1)Diese, von dem Comité des arts et monuments in Paris zur Anwendung gebrachte, Methode hat sich als ganz vorzüglich bewährt und ist auch bereits von vielen Bischöfen Frankreichs in ihren Diözesen angenommen worden.

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als auch zur Constatirung des Zustandes und des relativen Werthes der einzelnen Gegenstände aber würden die periodisch statthabenden bischöflichen Rundreisen die beste Gelegenheit darbieten.

Es versteht sich von selbst, daß auf das entschiedenste jede Umgestaltung und Veräußerung Alles dessen, was zum Cultus bestimmt ist, ohne vorherige bischöfliche Genehmigung, verboten und jede Uebertretung dieses Verbotes streng geahndet werden muß. Es ist nicht zu sagen, was noch alles tagtäglich durch die Eigenmacht der Kirchenvorstände zu Grunde gerichtet wird, wie man denn überhaupt fast zweifelhaft darüber sein könnte, welcher von beiden verderblicher auf dem Gebiete der christlichen Kunst gewirkt hat, ob der Zerstörungs- oder der Restaurations-Vandalismus. Solchem Unfuge muß unverzüglich Einhalt gethan werden; nicht länger darf es jedem Pfarrer oder Fabrikrath anheimgestellt bleiben, das Gepräge seines individuellen Geschmackes den Bauwerken aufzudrücken, welche unter seine Obhut, keineswegs aber unter seine Diskretion gestellt sind. Es muß Vorkehr getroffen werden, daß unsere ehrwürdigen Gotteshäuser ferner nicht dem ersten besten Wasser-, Wege- oder Communal-Baumeister preisgegeben werden, welcher natürlich kein höheres Ideal kennt, als absolute Symmetrie, kahle, frischgetünchte 1) Wände und schachbretterartige Fußböden, und der nichts eiligeres zu
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1) Die Tüncherei ist, wenn nicht alle Zeichen trügen, noch immer im Zunehmen begriffen. Zwar ist die antiquarische Bildung schon so weit fortgeschritten, daß man nur selten schneeweiß, rosen- oder pfirsichblüth-farbig anstreicht; man bemüht sich vielmehr meist, aus Grau, Grün und Gelb eine Art von Schmutzfarbe zu componiren, die den Schein des Alterthüm-

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hun hat, als die allmäligen Schöpfungen vieler Generationen nach seinen Compendien und akademischen Vorlegeblättern zuzustutzen und zu uniformeren. Wie viele betrübende Belege könnten wir nicht zu dem Gesagten liefern! Auch behalten wir uns vor, einmal ausführlicher darauf zurückzukommen, indem wir hier nur im Vorbeigehen der zwei prachtvollen romanischen Kirchen zu Boppard und Oberwesel Erwähnung thun wollen, als der jüngsten Schlachtopfer des modernen Restaurations-Vandalismus.

Wenn man sich vorläufig nur den e i n e n Satz einprägen wollte: daß in der Regel die beste Restauration diejenige ist, welche am wenigsten in die Augen fällt, so wäre schon gar viel gewonnen 1).
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lichen retten soll. Aber ob es leichtfertige oder ehrwürdige Schminke ist, es bleibt doch immer Schminke, und jedenfalls scheint uns doch der historische Schmutz vor dem neuaufgelegten den Vorzug zu verdienen. Ein altersgraues Haupt soll man weder schwarz färben, noch weiß pudern.

1) Der Cardinal Baronius, der seinen Titel von der Kirche der Heiligen Nereus und Achilleus führte, befreite diese Kirche von den unpassenden Zuthaten geschmackloser Neuerer und stellte sie wieder in ihrer ursprünglichen Schönheit hin. Um dieselbe auch für die Folgezeit möglichst zu wahren, ließ er folgende Inschrift in der Chornische anbringen:

Presbyter card. successor quisquis fueris
Rogote per gloriam Dei et
Per merita horum martyrum
Nihil demito nihil minuito nec mutato
Restitutam autiquitatem pie servato
Sic te Deus martyrum suorum precibus
Semper adjuvet.

Wie unendlich viele und große Verluste würden diese, vor 200 Jahren gesprochenen Worte des großen Cardinals:

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Sehr wünschenswerth erscheint es ferner, daß für diejenigen Fragmente und zerstreuten Einzelheiten, denen in einem größeren Ganzen eine Bestimmung nicht angewiesen werden kann, falls sie für die Kunst oder die Geschichte nicht ganz ohne alle Bedeutung sind, in dem Hauptorte einer jeden Diözese ein Sammelplatz angewiesen würde, woraus denn allmälig eine Art von Museum für die christliche Kunst leicht erwachsen könnte.

Aber nicht bloß auf das Vorhandene und zu Erhaltende muß ein stets wachsames Auge gerichtet sein, sondern auch auf die durch das Bedürfniß gebotenen neuen Anlagen und Erwerbungen.

Wir haben schon in dem ersten Artikel beiläufig angeführt, wie die Geschmacksmengerei und Effekthascherei, welche sich schon längst in unseren Wohnungen häuslich niedergelassen, mehr und mehr auch in das Innere unserer Tempel eindringen. Die Altäre, Orgeln, Beichtstühle, Kanzeln, Taufsteine, Monstranzen, Kelche, Leuchter - alles ohne Unterschied, bis zu den Kirchengewändern hin, ist der geschmacklosen Willkür der Fabrikanten und Handwerksleute überliefert; alles bläht sich daher in nichtigem Scheine und barocker Principlosigkeit. Daß da von Rücksichten auf Liturgie und Tradition, sobald solche über das handgreiflichste hinausgehen, nicht mehr die Rede sein kann, braucht nicht erwähnt zu werden.

Es hat Jemand die, leider nur zu richtige, Bemerkung
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Nihil demito, nihil minuito nec mutato von dem Gebiete der christlichen Kunst abgewendet haben, wenn der Clerus sich dieselben seither hätte zu Herzen nehmen wollen!

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gemacht, daß die Zeit nicht mehr sehr ferne sei, wo man in die Oper und in die Conzerte gehen müsse, um ächte Kirchenmusik, in die Kirche aber, um Theater- und Conzert-Musik zu hören; - wenn es so wie bis heran fortgeht, wird auch nicht weniger der Augenblick kommen, wo man nur noch bei den Antiquaren und in den Kunstkabinetten ein ächtkirchliches Geräthe oder Meßbuch wird ansichtig werden können.

Die Würde der Religion und ihres Kultus, so wie die Ehre ihrer Diener erfordern es gebieterisch, daß dem Unwesen ein Damm entgegengesetzt werde, und diese modernen Travestien und Karikaturen des Heiligen ferner nicht den schönsten und erhabensten Gottesdienst verunzieren 1). Wäre es nicht etwa räthlich, daß vor der Hand, bis daß die Zeit des Schaffens wieder gekommen sein wird, unter kirchlicher Autorität aus den vielen hierhin gehörigen, trefflichen Sammlungen, wie aus dem noch im Gebrauche befindlichen, eine Zusammenstellung guter Muster zu kirchlichen Gebäuden und Geräthschaften angefertigt und an die Pfarrer ausgetheilt
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1) Nur ein Beispiel, für viele, welche wir leider anführen könnten. In Verviers ist die Hauptkirche, ganz dem "Geiste der Zeit" angemessen, in einer Art, oder vielmehr Abart von dorischem Styl gebaut und durch Gas erleuchtet. Als Schreiber dieses sie sah, war ihre Vorhalle mit Plakaten von den grellsten Farben bedeckt, auf welchen in Riesenlettern zu lesen war: Racahout des Arabes . . . Bateaux à vapeur... Guérison complète etc. . .. Maux de dents . . , u. dgl. m. Wenn der Klerus sich seine Gotteshäuser in dorischem, statt in katholischem Style aufbauen und mit Gas illuminiren läßt, so hat er freilich kein Recht, sich darüber zu beklagen, daß dieselben auch "zeitgemäß" tapezirt werden.

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würde? Jedenfalls muß man wünschen, daß durch eindringliche Rundschreiben die hohe Wichtigkeit der Sache der Geistlichkeit nahe gelegt und ihr die größte Umsicht, namentlich aber die größte Achtung und Ehrfurcht vor dem christlichen Alterthum und dessen Schöpfungen anempfohlen werde. Sollte nicht endlich, nach dem Satze "vis unita fortior" eine größere Anzahl von Bischöfen sich vereinigen, um gemeinsame Maßregeln zu Nutz und Frommen der kirchlichen Kunst, im weitesten Sinne des Wortes, zu treffen, und möchte nicht etwa der erste desfallsige Schritt am zweckmäßigsten der sein, daß dieselben auf das Zustandekommen eines gediegenen Handbuches über christliche Alterthumskunde, besonders zum Gebrauch für den Klerus, hinwirkten? - Es ist noch gar viel auf diesem Gebiete zu thun und dringend nothwendig damit im Ernste zu beginnen. Die Bestellung der Aussaat ist vielleicht mühsam, aber die Erndte ist groß.

Zum Schlusse dieser Abhandlung sei noch eine Betrachtung gestattet.

Vor etwas mehr als drei Jahrhunderten ging ein Beben durch die civilisirten Nationen hindurch und es begann jene neue Aera, die man die Aera der Wiedergeburt genannt hat 1). Und in gewissem Sinne war es allerdings eine Wiedergeburt - die Wiedergeburt des Heidenthums, oder, richtiger gesprochen, des Antichristenthums, im Schooße der christlichen Gesellschaft. Die Wechsel, welche sich darauf einstellten, waren nicht etwa bloß Wechsel in der äußeren Erscheinung; es waren die Symptome und Ergebnisse eines Kampfes auf
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1) Es ist bedeutungsvoll, daß die deutsche Sprache das französische Wort (Renaissance) bei sich eingebürgert hat.

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Leben und Tod zwischen den heidnischen und den christlichen Ideen, der fast auf allen Gebieten geführt ward. Die Vorsehung hatte das Antlitz abgewendet, und schon war es dahin gekommen, daß ein Voltaire - das incarnirte Neuheidenthum - sich frevelnd vermessen konnte, "mit Christus und seinen Aposteln es aufnehmen zu wollen und für sich allein zu vernichten, was die dreizehn in's Leben gerufen;" und wirklich, ein halbes Jahrhundert später ward der Atheismus zum Grundgesetze d e s Staates erhoben, dessen Bürger jener Voltaire war und seine Asche feierlichst im Pantheon beigesetzt!

Da hielt die Hand der Vorsehung die Völker vor dem Abgrunde fest, der sie eben verschlingen wollte. -

Auch in unsern Tagen geht wieder ein solches zuckendes Kreisen durch die Christenwelt und, wenn nicht alle Zeichen trügen, so stehen wir am Vorabende einer abermaligen Wiedergeburt, im entgegengesetzten Sinne des Wortes, die indeß vielleicht unter nicht minder heißen Kämpfen von Statten gehen wird, als jene erste. Alle die, welchen die Zeit nicht auch zugleich ihre Ewigkeit ist, mögen daher sich rüsten und unter dem Schatten des Baumes sich sammeln, der aus dem unscheinbaren Senfkörnlein erwachsen ist und der, wie auch die Art daran gewüthet, noch immer seine prächtigen Aeste über die ganze Erde hinstreckt!

Vertrauen wir auf Gott, thue Jeder was er vermag, und der Ausgang des Kampfes kann nicht zweifelhaft sein.
Multa renascentur quae jam cecidere.

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A n h a n g.
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A u s z u g


aus dem amtlichen Bericht über den baulichen Zustand des Kölner Doms, vom damaligen Geheimen Ober-Bau-Rath, später Ober-Landes-Bau-Director
Schinkel.

Bei zweimaliger genauer Untersuchung des Doms, mit Zuziehung des Herrn Regierungsraths Redtel, des Bau-Inspectors Buschius, des Domschieferdeckers und -Zimmermanns, fand sich derselbe in einem Zustande, welcher die allerschleunigste Hülfe verlangt.

Wenn gleich niemand mit Gewißheit bestimmen kann, wann ein bedeutendes Unglück am Dome geschehen könne, so liegt doch Jedem klar vor Augen, daß die Veranlassungen dazu in der größten Menge vorhanden sind, wodurch die Möglichkeit in jedem Augenblick herbeigeführt werden kann.

(Hierauf folgt nun eine genaue Beschreibung des mangelhaften Zustandes der wichtigsten Construktionstheile und namentlich eine Schilderung der sehr fehlerhaften alten Wasserleitungen, wodurch eine nahe Zerstörung des ganzen Ge-

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bäudes zu fürchten stand, und nach den nöthigen Anordnungen zur augenblicklichen Abhülfe des gefahrdrohenden Zustandes, so wie nach Ertheilung der weitern Vorschläge zur gründlichen Herstellung des Gebäudes, fährt Herr Schinkel fort:)

Die großen Zerstörungen an den schon freistehenden Seitenwänden des Kreuzes am Dome, sind nur durch einen Fortbau ganz zu heben, indem das ganze Gebäude auf das Gegeneinanderwirken der Gewölbe berechnet ist. Ebenso ist eine zweckmäßige Anordnung der Dächer über den jetzt schon gewölbten Theil der Seitenschiffe in der langen Vorkirche nur durch die Vollendung des Ganzen zu treffen.

Hiernach wäre es höchst wichtig, wenigstens das Gebäude im Innern ganz zu vollenden und die dazu nothwendigen äußeren Theile vorläufig nur ganz roh und so zu sagen im Block aufzuführen, damit bei günstigen Zeiten die Ausarbeitung der einzelnen Theile durch die Steinhauer nach und nach vom Gerüst aus bewirkt werden könnte, das Innere aber schon vollkommen Wirkung machte. Eine Ausführung dieser Art wird gar nichts Unerschwingliches für die Zeit, wenn man bedenkt, daß das Gebäude, wenn die Fundamente mitgerechnet werden, in diesem Theile weit über 2/3 (?) vollendet ist; die einfachen Kreuzgewölbe aber, wenn die Grundpfeiler da sind, und das darauf zu bringende Dach bei weitem den leichtern Theil der Ausführung ausmachen.

Was man übrigens über den Beruf unserer Zeit zum Fortbau des Domes in Köln und über die Zweckmäßigkeit eines solchen Unternehmens, abgesehen von der Nothwendigkeit desselben in Beziehung auf die Erhaltung des Vorhandenen,

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in Betrachtung ziehen mag, so bleibt es doch gewiß, daß es der neuen Zeit an großen Kunstaufgaben dieser Art, wodurch doch allein die wahre Kunst bestehen kann, gänzlich mangelt; überall hat uns die Vorzeit zu viel überlassen, und nach dem die Bestimmungen dieses Erbtheils verloren gegangen, arbeiten wir schon seit einem halben Jahrhundert auf's eifrigste an der Vernichtung desselben mit einer so barbarischen Planmäßigkeit, daß wir die planlose Barbarei von Attila's Zeit im großen Wetteifer schon längst hinter uns zurückgelassen haben.

Wenn aber die Aufgaben für die Kunst zufällig sich fänden, so würden wir in dem Zustande, wie wir noch sind, höchstens uns als gute und verständige Nachahmer der Vorzeit zeigen können, und noch keineswegs gewürdigt sein, von einem Genius begünstigt zu werden, der uns wahrhaft schöpferisch machte, wie es die Griechen waren und die Vorfahren in unserm Vaterlande.

In einem solchen Zustande scheint die würdigste Bestimmung des Menschen, mit aller Sorgfalt dasjenige zu erhalten, was die Kraft eines frühern Geschlechts uns hinterließ, und welches wir nicht ohne Ehrfurcht betrachten können; zumal in einer Zeit, die so wenig Veranlassung zu einer genügenden Wirksamkeit dieser Art gibt. Was sich übrigens an technischer Geschicklichkeit bei einem solchen Unternehmen entwickelt, und ob nicht während der Beschäftigung mit einem so würdigen Gegenstande ein neues Licht am ersten aufgehen könnte, wäre be-

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sonders in Ueberlegung zu ziehen; daß uns aber die Nachwelt für das Bemühen, ein groß angefangenes Werk ihr vollständig zu überliefern, Dank wissen wird, ist nicht in Zweifel zu ziehen; sie würde uns aber weit mehr noch als die Gegenwart verdammen, wenn durch unsere Fahrlässigkeit ein Werk dieser Art zu Grunde gehen sollte.

Welch' eine Stimmung würde es für Preußen machen, nicht allein in Köln und den Rheinprovinzen, sondern in ganz Deutschland und selbst in den benachbarten Ländern, wenn unter seiner Herrschaft an diesem Hauptwerke der Baukunst ein großes Unglück sich zutrüge, welches bei dem gegenwärtigen Zustande täglich zu befürchten ist. Das Ministerium hat erst ganz kürzlich durch die Bewilligung einer Summe für die Erhaltung der alten Kirche von Altenberg den Beweis gegeben, daß die Alterthümer und Denkmäler ihm werth sind; um wie unendlich viel wichtiger muß ihm die Wohlfahrt des ersten Werkes dieser Art sein, und es ist keinem Zweifel unterworfen, daß die selbst vor Winters noch eingeleitete Herstellung des Domes nach allen oben aufgeführten Zweigen von obenher mit vollkommener Anerkennung aufgenommen werden würde.

Bei den fortgesetzten Arbeiten am Dome ist es von der höchsten Wichtigkeit, daß ein besonderer Baumeister der Sache vorstehe und den Bauplatz nie verlasse, damit besonders im Anfange der Arbeit, bei den noch ungewohnten Arbeiten, kein bedeutender Fehler vorgehe und überall mit möglichster Vorsicht verfahren werde. Zu dem Zwecke ist es auch nothwendig, daß wieder ein vollständiger Bauriß des Gebäudes, zum Gebrauch beim Weiterarbeiten, im Archiv des Domes nie-

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dergelegt würde. Zum letzteren kann ich keine Hülfe mehr empfehlen, als die des Herrn Sulpiz Boisserée, welcher mit einem tiefen Ernst diesen Gegenstand ganz erschöpft hat und gewiß bei dem regen Eifer für das Wohl seiner Vaterstadt alles thun wird, wodurch der Sache Nutzen entstehen kann.

Köln, den 3. September 1816.
(gez.) Schinkel

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