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Autor: Rosenthal, Carl Albert
In: Romberg`s Zeitschrift für praktische Baukunst - 4 (1844); S. 23 -27
 
In welchem Style sollen wir bauen? *)
 
(E i n e  F r a g e  f ü r  d i e  M i t g l i e d e r  d e s  d e u t s c h e n  A r c h i t e k t e n v e r e i n s)
Von Rosenthal
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*) Unter Baustyl wird hier weder die Manier des Künstlers, noch der Charakter des Gebäudes in Bezug auf eine Bestimmung, sondern das gemeinsame Gepräge aller Gebäude desselben Volkes, desselben Landes und derselben Zeit verstanden.


Die Frage, welche ich der ernsten Prüfung aller Baumeister, und namentlich der deutschen Baumeister vorlegen möchte, ist keineswegs neu, sie ist jedoch als die eigentliche Lebensfrage unsrer Kunst wichtig genug, um sie immer und immer wieder aufs Neue in Anregung zu bringen. Für viele Baumeister ist sie allerdings schon überflüssig geworden; so lange aber die Bestrebungen Aller noch nicht nach Einem Ziele hin gerichtet sind, - so lange der Eine diesen, der Andere jenen, ein Dritter verschiedene Baustyle gleichzeitig anwendet, ein Vierter ganz ohne Styl bauet, und nicht selten sogar zu demselben Gebäude mehrere Entwürfe in verschiedenen Stylen zur beliebigen Auswahl vorgelegt werden: - so lange ist es dringende Pflicht, unsre Frage ernster und ernster ins Auge zu fassen und nicht eher zu schweigen, bis sie entschieden ist. Vielleicht ist sie gerade jetzt, wo die Baukunst einen erfreulichen Aufschwung genommen hat, dabei aber, trotz der Bemühungen Einzelner, noch immer nach allen Richtungen auseinander geht, am nöthigsten und ersprießlichsten, und sicherlich hat es noch nie einen competenteren Richterstuhl für sie gegeben, als einen Verein deutscher Baumeister, für dessen Mitglieder der gegenwärtige Aufsatz zunächst bestimmt ist. -

Ist es nicht sonderbar?! - Wenn Jemand auf die obige Frage kurzweg antworten wollte: "In allen Stylen oder in gar keinem," - so würden sicher alle Baumeister eine solche Antwort für Scherz oder für baren Unsinn erklären, und - dennoch sehen wir ruhig zu, wie die Baukunst selbst die Frage täglich durch die That nicht anders beantwortet. Sonach sehen wir uns denn, was an sich freilich sehr überflüssig erscheinen möchte, zuvörderst zu der Vorfrage genöthigt: "Ist es denn wirklich nothwendig oder wünschenswerth , daß wir uns aus Einen Baustyl in dem oben angedeuteten Sinne beschränken ?" - Man könnte etwa sagen, daß, so wie wir keinen Anstand genommen haben, die Erfindungen früherer Völker im Gebiete der Wissenschaft zu benutzen, wir auch ihre Kunstschöpfungen uns aneignen dürfen. Haben wir denn aber alles für wahr an- und aufgenommen, was die Alten für wahr hielten, oder nicht vielmehr nur das, was auch jetzt noch wahr ist? Jedenfalls werden wir daher auch nur dasjenige Schöne aus der frühern Kunst ausnehmen dürfen, was auch jetzt noch und für uns schön ist. Nun aber verhält es sich anders mit der Kunst als mit der Wissenschaft, und wieder anders mit der Baukunst wie mit den andern Künsten. In der Wissenschaft giebt es einzelne absolute Wahrheiten, die für alle Zeiten und Völker Gültigkeit haben; auch in den übrigen Künsten können, wenngleich nur unter sehr beschränkenden Bedingungen, Einzelnheiten jetzt wie im hohen Alterthum schön sein. Nicht so mit der Baukunst. Die Geschichte lehrt, daß nur diejenigen Völker wahrhaft Tüchtiges geleistet haben, welche neben der Erfüllung der allgemeinen Schönheitsgesetze ihren Werken den ihnen eigenthümlichen Geist einzuhauchen wußten. Die Nothwendigkeit davon folgt aus dem Wesen der Baukunst selbst; sie entlehnt ihre Ausgaben unmittelbar aus den Sitten und Gebräuchen, dem ganzem Leben und innern Sein des Volks, sie muß dabei aus das Klima und die Art der vorhandenen Materialien Rücksicht nehmen; ihre Werke werden daher das Gepräge vom Charakter des Volks, der Zeit und des Landes deutlicher tragen, als die Werke an derer Künste, die oft fremdartige Gegenstände gut Darstellung wählen. Zwar wird jeder Künstler vom Geiste seines Volkes ergriffen sein, und seinen Werken neben dem Charakter, den der Gegenstand erfordert, den Stempel desselben unwillkürlich aufdrücken; wo indeß, wie in der Baukunst,  n u r  nationale Gegenstände vorkommen, und der Charakter nur eine Unterabtheilung des Styls ist, da muß dies in einem weit höhern Grade der Fall sein, und die Kunst kann ohne bestimmten Nationalbaustyl auch den Charakter nicht genau treffen, die Bestimmung des Gebäudes nicht scharf ausdrücken; es fehlt ihr mithin ein sehr wesentliches Element des Schönen, der richtige  A u s d r u c k,  die  W a h r h e i t.

Allerdings haben sich die Verhältnisse wesentlich geändert. Die ältern Völker waren sich mehr selbst überlassen, sie wuchsen allmälig aus der Kindheit hervor und namentlich entwickelte sich ihre Religion, als die Trägerin der Kunst, mit und aus dem Volkscharakter; die christliche Religion dagegen hat von ihrem erhabenen Standpunkte aus weit weniger Einwirkung vom Volkscharakter empfangen, als auf ihn ausgeübt, nicht selten ihn wesentlich umgewandelt; eine allmälige geistige Entwickelung, bei welcher sich in Folge des ursprünglichen Gleichgewichts der Seelenkräfte die Uebereinstimmung der einzelnen Geistesthätigkeiten und Culturrichtungen von selbst findet, ist nicht mehr möglich, und der allgemeiner gewordene Völkerverkehr hat die Unterschiede in der Nationalität mehr und mehr verwischt. Daraus aber folgt doch nur, einerseits, daß es jetzt schwieriger als sonst sein wird, den richtigen Styl zu finden, andrerseits, daß die Baustyle der neuere christlichen Völker sich nahe verwandt sein werden, oder vielmehr; daß - wie es ja schon im Mittelalter der Fall war - für das gesammte Volk der Christen nur  e i n  e i n z i g e r,  je nach Land und Volk; verschieden nüancirter, mehr aber noch in den kirchlichen und profanen getrennter christlicher Baustyl erforderlich sei; keineswegs aber läßt sich daraus folgern; daß uns ein jeder Baustyl recht sein dürfe, oder gar, daß wir verschiedene Baustyle gleichzeitig anwenden könnten; im Gegentheil wird eine um so schärfere Unterscheidung zwischen dem christlichen und dem Baustyl nicht christlicher, namentlich älterer Völker sich geltend machen müssen. Gewiß! Es kann nur Einen Baustil geben, der für uns am angemessensten ist; es kann, aus einem höhern Gesichtspunkte betrachtet, nur Einen Baustyl geben, der überhaupt dem Schönen in der Baukunst auf dem geradesten Wege entgegenführt, wie es nur Eine Culturrichtung geben kann, welche der unendlichen Vollkommenheit ohne Umwege zuführt!

Sollte es nun aber nicht vorzuziehen sein, der Baukunst selbst es zu überlassen, den richtigen Baustyl auf praktischem Wege zu suchen? Gewiß würde das an sich das Beste sein, wenn es nur möglich wäre, die Kenntniß der vorhandenen Baustyle aus unserm Gedächtniß zu verwischen und von vorn anzufangen, wenn es den neuern Völkern nur nicht zu sehr an der Jugendfrische des Gefühls fehlte, ohne welche ein günstiger Erfolg nicht erwartet werden kann. Zudem soll auch das Wesentlichste, die demnächstige Ausbildung des Styls, der Praxis überlassen bleiben, wohl aber mag es erlaubt und dienlich sein, zuvor durch  F o r s c h u n g  die richtige  B a h n  auszusuchen. Ob es nun nothwendig wird, einen ganz neuen Styl zu erfinden, oder ob sich einer der vorhandenen, gleichviel mit welchen Modificationen, anwenden lassen möchte - diese Frage kann uns hier gleichgültig sein; so wie die Sachen stehn, werden wir jedenfalls zuerst auf die zweite Alternative eingehen müssen. Wir beschränken uns dabei indeß, da von einer Wiederanwendung der Baustyle der ältesten Völker schwerlich die Rede sein kann, auf eine kurze Betrachtung des griechischen, römischen, romanischen, arabischen und germanischen Baustyls. Die neueren Baustyle können begreiflicher Weise gar nicht in Frage kommen, da sie es gerade sind, welche wir als styllos oder als Abart der genannten Baustyle bezeichnet haben; der einzige bedeutende wäre der Renaissancestyl, der zugleich mit dem römischen verhandelt werden mag.


1) DER GRIECHISCHE BAUSTYL

Hier leuchtet nun vor Allem durch innere Vortrefflichkeit der griechische Styl hervor. Wozu also noch weiter forschen? Was können wir, da anerkanntermaßen kein Volk es in der Kunst so weit gebracht hat, dem Gipfel der Vollendung so nahe gekommen ist, - was können wir Bessres thun, als den Griechen nachahmen?! - Ganz gut; allein was heißt das: "den Griechen nachahmen?" Heißt es, ihren Baustyl ohne Weiteres bei uns einführen, oder heißt es nicht vielmehr für  u n s r e  Verhältnisse eben so zweckmäßig und schön bauen , wie sie für die  i h r i g e n  gebauet haben, uns einen eben so eigenthümlichen Baustyl bilden, wie sie ihn hatten, und eben so fest daran halten, wie sie? - Oder hätten wir etwa dieselben baulichen Bedürfnisse, wie die Griechen, wäre unser Klima, unser Volksleben dasselbe, vor Allem wäre unsre Religion dieselbe wie bei den Griechen? - Oder endlich war etwa die griechische Kunst so wenig innerlich vollendet und abgerundet, daß wir sie so wesentlich verändern könnten, wie es von vorn herein nöthig scheint, ohne sie gänzlich zu verderben? - Wahrlich, das Letztere findet in so hohem Grade statt, daß die Abänderung selbst der kleinsten Details an den Meisterwerken aus der Periklei'schen Zeit eine Verunstaltung genannt werden muß, und das Erstere ist so wenig der Fall, daß mir den griechischen Baustyl, um ihn anwenden zu können, im wörtlichsten Sinne aus allen Fugen reißen müßten. Nein, nein ! Wir können nicht  g r i e c h i s c h,  wir könnten nur  m o d e r n  mit griechischen  D e t a i l s  bauen, und auch diese würden bei uns ihre ursprüngliche Bedeutung verlieren. - Vielleicht aber könnten wir auf die Elemente des griechischen Styls zurückgehen, und aus ihnen einen für uns passenden Bausstyl entwickeln, wie ihn etwa die Griechen in unsern Verhältnissen entwickelt haben würden? Wir wollen einmal über den Widerspruch, der in dieser Frage liegt, daß nämlich die Griechen in unsern Verhältnissen keine Griechen mehr sein würden, fortgehn, und nach dem Grundprincip des griechischen Baustyls fragen. Es ist öfter ausgesprochen: die Griechen waren heitre, glückliche Naturkinder, die Freude war der Pulsschlag ihres Daseins, die  S c h ö n h e i t  war das vorherrschende, wo nicht das einzige Ziel ihres Strebens, ebendeshalb war sie nur sinnlicher Natur, die höhere geistige Schönheit mußte ihnen fremd bleiben, das unendlich Schöne und seine innige Verbindung mit dem unendlich Wahren und dem unendlich Guten konnten sie nicht ahnen. Sie liebten im Empfinden des Schönen nicht die Erregung, sondern die Befriedigung , und daraus entwickelte sich  "h e i t r e  R u h e"  als Grundzug ihres Charakters und dem entsprechend "vollkommenes Gleichgewicht" als Grundprincip ihres Baustyls, wie sich solches unter strenger Vermeidung jeden Scheins irgend eines Strebens in der unmittelbaren Unterstützung einer wagerechten Last durch lothrechte Stützen (Gebälke und Säulen) unverkennbar und auf die einfachste, sinnlich fühlbarste Weise ausspricht. Wie sollte nun wohl die sinnliche Schönheit der Griechen dem zum Unendlichen emporblickenden Christen, wie sollte das Gleichgewicht und die damit verbundene Einfachheit, ja Einförmigkeit des griechischen Styls dem lebendig strebenden Geiste der Gegenwart entsprechen können? - Nein, nein! Auch das Grundprincip des griechischen Baustyls kann uns nicht genügen! - Mehr noch: die sinnliche Schönheit, wie alles Sinnliche,  i s t  erreichbar, die Griechen  h a b e n  sie erreicht, und so muß jeder weitere Schritt nothwendig zum Verfall führen, ja, es war dieser schon im Grundprincip vom Anfang an bedingt, und so dürfen wir es im Bezug auf die Gegenwart kaum einmal bedauern, daß die griechische Kunst untergegangen ist. - Bei alledem hat der griechische Baustyl  e i n e  Eigenschaft, welche ihm, oberflächlich betrachtet, die Anwendbarkeit zu allen Zeiten sichern zu können scheint. Es ist dies die so scharf und zart ausgesprochene statische Bedeutung der Formen, der so strenge architektonische Charakter. Man fühlt aus der Form des Ganzen wie des geringsten Details augenblicklich den jedesmaligen Zweck der Construction heraus, und zwar deutlicher und bestimmter, als der Verstand ihn aus der Construction selbst zu erkennen vermag. Allein die Versinnlichung der Constructionen ist eine allgemeine Aufgabe der Baukunst, sie kann und muß in jedem Style erreicht werden, und wenn dies im griechischen vorzugsweise der Fall ist, so liegt der Grund mit in der großen Einfachheit der griechischen Constructionen, wie diese des Grundprincips wegen nöthig war, er liegt mit darin, daß dem griechischen Styl die höhere geistige Schönheit, welche sich durch mannigfaches Streben kund giebt, fehlt. Mit wenigen Worten: die Schönheit des griechischen Baustyls ist in ihrer Art, d. h. innerhalb der sinnlichen Beschränktheit eine vollendete; diese Beschränktheit indeß macht sie total unfähig, das Kunstziel christlicher Völker zu werden; die Kunst der Griechen hat alle übrigen Elemente des Schönen im vollkommensten Grade, es fehlt ihr nur das Eine, das Unendliche im Schönen, und somit müssen wir uns überzeugen, daß ihre Zeit vorüber ist, und daß aus ihrer Wiedererweckung weder für sie noch für uns Heil erwachsen könnte. -


2) DER RÖMISCHE BAUSTYL

Ungleich mehr als der griechische entspricht der römische Baustyl unserm Bedürfniß, hauptsächlich aber nur darum, weil ihm selber die innere Consequenz und eine eigenthümliche Ausbildung fehlt. Wohl hätten sich die Römer aus der ursprünglich angenommenen, aus das früheste Alterthum zurück weisenden hetrurischen Bauweise einen Baustyl bilden können, der mit seinen breiten scharfkantigen Massen, mit den kühnen, weitgespannten Bögen und Kuppeln, mit der mannigfachen Gruppirung der einzelnen Theile ihren strengen kriegerischen Geist sehr wohl ausgesprochen haben würde; allein, obwohl ein praktisch tüchtiges Volk, das die Bauwissenschaft wesentlich gefördert hat, und obwohl sie später ungemein prachtvoll und großartig bauen, fehlte es ihnen doch an wahrem Kunstsinn; sie trugen kein Bedenken, den später angenommenen griechischen Säulenstyl mit ihrem heimischen Bogenstyl zu vermischen, und riefen dadurch einen Kampf zwischen beiden hervor, welcher mit dem Untergange des griechischen Säulenstyls endete; es blieb zuletzt von ihm fast nichts übrig, wie die Säule als unzweckmäßige Bogenstütze. Gerade dieser unwillkürliche Kampf gegen die griechische Kunst und Cultur als Vorbereitung für die später aufstrebende christliche Bildung scheint die weltgeschichtliche Aufgabe der Römer gewesen zu sein. - Der Rundbogen mit deutlich markirten Kämpfern, trägt unter allen Bogenformen am mehrsten den Charakter der Ruhe, er eignete sich mithin vorzugsweise dazu bei einem so wenig künstlerisch fein fühlenden Volke dem Verdachte der nachtheiligen Folgen seiner Einführung in den Säulenstyl zu entgehen; dem letzteren gegenüber entfaltet er aber dennoch ein viel zu bedeutendes Streben, so daß beide schlechterdings unvereinbar sind, und jeder eine ganz verschiedenartige Entwickelung fordert. Wollten wir daher, trotz seiner Unvollkommenheit, den römischen Baustyl zu dem unsrigen machen, so würden wir uns von vorn herein zu entscheiden haben, welche von den beiden in ihm liegenden Richtungen wir bei der weitern Ausbildung, die doch nothwendig eintreten müßte, verfolgen wollten. Zum griechischen Styl, nach dem die eine Richtung weist, dürfen wir nicht zurück; die fernere Entwickelung des Bogenstyls aber würde uns vorwärts zum romanischen Style führen, und da hätten wir es leichter, gleich mit diesem anzufangen. Wollen wir uns überzeugen, was aus dem römischen Baustyl unter dem Einfluß christlicher Ideen und mit Umgehung des romanischen Styls wird, so dürfen wir nur auf die Renaissance einen Blick werfen: sie hat zum Perrückenstyl geführt, und würde auch jetzt wieder zu ihm hinführen; denn die widerstreitenden Richtungen im Bogen- und Säulenstyl und mehr noch im antiken und christlichen Geiste lassen sich unmöglich vereinigen, ohne baren Unsinn zu Tage zu fördern, und hier mitmag über die Renaissance, welche ohnehin nur möglich war, so lange man die reinen griechischen Muster nicht kannte, genug gesagt sein.


3) DER ROMANISCHE BAUSTYL

Der romanische oder eigentlich die verschiedenen romanischen Baustyle (einschließlich des byzantinischen) zeigen sämmtlich das mehr oder weniger deutliche Bestreben, den durch das Christenthum geweckten neuen Geist in der Baukunst auszusprechen; da man sich aber anfänglich und lange Zeit mit den armseligen Resten der letzten römischen Bauweise behelfen mußte, so konnte der Versuch nicht gelingen, und es mußten Jahrhunderte vergehen, bis die ganz erstorbene Kunst sich wieder erholte, und noch mehrere, bis sie einen eigenthümlichen Charakter annehmen konnte. Zwar werden die antiken Formen mehr und mehr verdrängt; die Gesimse werden weniger dominirend und erhalten andere Profile, es werden die eigenthümlichen zierlichen Bogenfriese eingeführt, die Pilaster werden zu Lisenen, die scharfen Ecken werden gekehlt, die Säule erhält zuerst ein Würfelcapitäl, später weicht sie dem gegliederten Pfeiler, der Rundbogen verwandelt sich bereits theilweis in den Spitzbogen, und es findet sich ein belebender Ornamenten- und Sculpturenschmuck ein; immer aber sieht man den neuen Formen den fremdartigen antiken Ursprung an, man sieht, daß sie nicht frei entwickelt, sondern blos umgewandelt sind; und wenngleich zuletzt das Ganze eine mannigfachere, lebendigere Gestaltung und einen ganz verschiedenen Charakter annimmt, so fehlt es doch an der gehörigen Durchbildung und, wie das dabei gewöhnlich ist, an einem streng architektonischen Charakter: während die Massen bereits ein gewisses Emporstreben zeigen, bleiben ihre Formen doch schwerfällig, die Details sind theils plump, theils überzierlich, die Verzierungen willkürlich und die Formen ohne statische Bedeutung. Dabei zeigt sich ein fortwährendes Schwanken, und neben der bald langsamer, bald rascher fortschreitenden Ausbildung gewahrt man arabischen Einfluß und zuletzt findet sich eine starke Wiederannäherung an die Antike ein. Andrerseits wurde im frühern Mittelalter das Christenthum zwar warm und innig, aber auch zu finster und einseitig, zu geistlos aufgefaßt, es schmachtete zu sehr unter dem Drucke der Priesterherrschaft, um sich künstlerisch frei aussprechen zu können. Man fühlt bei den spät romanischen Bauwerken wohl, daß hier ein neuer, auch wohl, daß ein christlicher Geist waltet, allein es ist noch kein freier Geist, und noch weniger kann die Architektur, wie sie aus den Resten der Antike hervorgegangen ist, ihn frei aussprechen. Man überzeugt sich, daß die Aufgabe nicht gelöst war, und ohne gänzliche Veränderung der Form nicht gelöst werden konnte, und wir werden wiederum vorwärts nach dem germanischen Styl gewiesen. War der romanische Styl schon für das 13te Jahrhundert zu streng und finster, zu gezwungen und schwer fällig, zu willkürlich und architektonisch bedeutungslos, so muß er dies noch weit mehr für unsre Zeit sein.


4) DER ARABISCHE BAUSTYL

Mehr, als man glauben möchte, und mehr vielleicht als einer der vorangegangenen durfte der arabische Baustyl für uns anwendbar sein, mindestens insofern der buntbewegte, rastlos strebende Geist der Zeit in den reichen phantastischen Bildungen einen entsprechenden Ausdruck finden würde; aber der Baustyl der Araber hat, abgesehen von dem, ihm fehlenden christlichen Element, einen Fehler, der ihn ganz allgemein zur Anwendung nicht empfiehlt: die fast gänzlich fehlende statische Begründung der Formen, der mangelnde architektonische Charakter. Als die freien Söhne der Wüste, durch Muhammed zum fanatischen Eifer erweckt, hervorbrachen, die Welt zu bekehren und zu erobern, hatten sie noch keine eigene Baukunst; sie mußten daher in wissenschaftlicher Beziehung zu der vorgefundenen Bauweise greifen. Nicht so mit der Kunst, zu welcher ihre angeborne Poesie sie hinzog; mit übersprudelnder Phantasie überhäuften sie den einfachen byzantinischen Baustyl, mit dem sie zuerst in Berührung kamen, mit einer solchen Menge neuer, zwar geistreicher, aber willkürlicher Bildungen, daß man die Wunder ihrer Feenmährchen verwirklicht glaubt. So konnte eine systematische Entwickelung und die Ausbildung einer eigentlichen Baukunst nicht erwartet werden, der arabische Styl beschränkt sich mehr auf die bloße Decoration, und diese nimmt sich um so wunderlicher aus, da die Anwendung von Bildwerken durch die Religion verboten war; er ist ein  l i e b l i c h e s,  immer aber nur ein  S p i e l  der Phantasie. Ihre weltgeschichtliche Bestimmung hat die Baukunst der Araber, wie ihre Cultur überhaupt dadurch erfüllt, daß sie, nachdem in Folge der Kreuzzüge abend- und morgenländische, christliche und muhammedanische Bildung in nähere Berührung gekommen waren, die langsamere und ernstere christliche Cultur und Kunst zu einem höhern geistigen Aufschwung weckte und erregte.


5) DER GERMANISCHE BAUSTYL

Das Grundprincip des germanischen Baustyls besteht, den schweren niederdrückenden Massen des alten ägyptischen und dem Gleichgewichte des griechischen Styls gegen über,  i m  E m p o r s t r e b e n  u n d  i m  V o r h e r r s c h e n  d e r  F o r m  v o r  d e r  M a s s e,  als Ausdruck vom Vorherrschen des Geistes vor der Materie, des Geistigen vor dem Sinnlichen. - Wir stehn hier wieder still, und fragen: Wozu weiter forschen? Was können wir Besseres thun, als einen Baustyl annehmen, dessen Grundprincip so voll kommen für uns paßt?! - Wer fühlte sich je in den hohen, ernsten Hallen eines der einfachen mittelalterlichen Dome zur Andacht erweckt und zugleich mit Demuth erfüllt und zur freudigsten Hoffnung erhoben, und wollte leugnen, daß diese Hallen der Geist des reinsten Christenthums durchweht? - Wer bewunderte je die reichen Gliederungen, die eigenthümlichen in einander verschlungenen Rosetten und Durchbrechungen und die auseinander emporsteigenden Pfeiler und Thürmchen, alles rein architektonische Formen, ohne Nachbildung der Natur, und den noch einen so wunderbaren Organismus entfaltend, daß man glauben möchte, der Stein sei zur Pflanze geworden; wer könnte dies sehn, ohne sich geistig angeregt zu fühlen? - Wer gewahrt das kräftige Streben jener Bögen und Gewölbe, jener Strebepfeiler und Strebebögen, beherrscht vom Gleichgewichte und sich auflösend in ein mächtiges harmonisches Emporstreben aller Massen und Formen, - und wollte nicht einsehn, daß der gewaltig strebende Geist unsrer Zeit sich hier nicht allein deutlich ausspricht, daß er auch hier lernen kann, sich das höchste, erhabenste Ziel aus zusuchen?! -

Wir haben gesehn, daß die zwischenliegenden Baustyle, wir mögen anfangen, wo wir wollen, in der weitern Entwickelung uns entweder zum griechischen Styl zurück, oder aber vorwärts zum germanischen hinführen, und wir müssen uns nothwendig zu einem von beiden entschließen. Der griechische Baustyl hat sich als unbrauchbar gezeigt; mit dem germanischen ist es in jeder Beziehung entgegengesetzt. Er steht uns der Zeit wie dem Volkscharakter und der Religion noch näher, wir haben, wenn nicht dieselben, doch ganz ähnliche bauliche Bedürfnisse, wir bauen für dasselbe Klima und mit denselben Materialien; - wir haben nicht nöthig ein in sich abgeschlossenes Ganze zu zerstückeln, denn es ist wohl zu beachten; daß der germanische Baustyl im Mittelalter seine systematische Vollendung nicht gefunden hat und mitten in seiner Entwickelung gestört wurde; wir dürfen daher mit Sicherheit hoffen, daß wir die wenigen nöthigen Abänderungen ohne Beeinträchtigung seiner Eigenthümlichkeit und Schönheit werden ausführen können; - dabei fehlt dem germanischen Styl auch die statische Formenbedeutung nicht, wenn sie auch in Folge der überwiegenden geistigen Eigenschaften sich weniger bemerklich macht als im griechischen; das statische Gleichgewicht ist hier eben so vollkommen erreicht, wenn auch nicht auf jene einfachste Weise, wie es im griechischen Style nothwendig war, um zum Ausdruck des geistigen Gleichgewichts zu werden; - dann aber hauptsächlich: wir haben nicht wie beim griechischen Styl den künftigen Untergang vor Augen; denn die geistige Schönheit, welche sich der germanische Styl zum Ziele gesetzt hat, ist nicht erreichbar, es ist mithin ein unendlich fortdauerndes Streben nach Vervollkommnung möglich, und kein  i n n e r e r  Grund des Verfalls vorhanden!

Allerdings ist der germanische Baustyl ebensowohl verlassen und vergessen worden, aber nur in Folge zufälliger äußerer Umstände. Vielleicht war seine zeitweise Unterdrückung nothwendig, um ihn der begonnenen Entartung zu entziehn, daß er dereinst unter günstigern Verhältnissen reiner und schöner wieder aufblühe! Können wir dies nachweisen, so muß vollends jeder Zweifel über seine Wiederanwendbarkeit schwinden; ja! es wäre möglich, daß er geradezu  f ü r  u n s  u n d  d i e  F o l g e z e i t  e r f u n d e n  w ä r e!  Dadurch würde es sich denn zugleich erklären, warum die aus dem Mittelalter herrührenden Bauwerke noch so lebenswarm dastehen, und warum wir in ihrer Architektur so manche Anklänge an die Gegenwart finden konnten. -

Wir haben gesehen, wie in der ganzen romanischen Periode das Bestreben verwaltet, die Idee des Christenthums in den Bauwerken, namentlich natürlich in den Kirchen auszusprechen, daß dies Bestreben jedoch mit den römischen und den aus ihnen entwickelten Bauformen und unter dem Drucke der Hierarchie nicht gelingen konnte. Da wurde, durch das stille Fortschreiten der Geistesbildung schon lange vorbereitet, zunächst durch die Kreuzzüge und deren Folgen, namentlich durch die Bekanntschaft der so rasch vorangeschrittenen, wunderbar blüthenreichen arabischen Cultur ein neuer Geist geweckt, welcher ganz Europa zu einer erhöheten geistigen Thätigkeit aufregte, gegen die Fesseln der Hierarchie erst leise, dann lauter, zuletzt siegreich ankämpfte und zu einer reinen und geistigen Auffassung der Lehre Jesu führte. Derselbe Geist nun hat unleugbar den germanischen Baustyl ins Leben gerufen , und zwar (wenn auch in Folge der frühere Betheiligung bei den Kreuzzügen einzelne Formen in Frankreich eher hervortreten) als ein durchbildetes Ganzes zuerst in Deutschland, wo das Christenthum vom Anfang an tiefere und gesundere Wurzeln geschlagen, wo die langen Kämpfe zwischen Kaiser und Papst vorbereitet hatten, und wo endlich später ebenfalls die Reformation ins Leben trat. Daß die neuen Ideen sich in der Kunst bei weitem früher geltend machten, als im Leben, kann nicht befremden; die Gefühlsthätigkeit wirkt rasch und unwillkürlich, sie erregte keinen Zwiespalt und fand keinen Widerstand; vielmehr ergriffen die Geistlichen, ohne die deutlichen Winke in den sie verspottenden Bildern der Steinmetze zu beachten, mit Begierde die Gelegenheit, durch den neuen reichern Styl die Pracht des äußern Gottesdienstes zu erhöhen. Durch dieses Mißverständniß wurde der germanische Baustyl, anstatt ihm die nöthige Zeit zu einer allmäligen consequenten Entwickelung von innen heraus zu gestatten, fast von vorn herein, und bevor er sich von allen Reminiscensen aus dem bisherigen romanischen Styl hatte befreien können, durch ein Uebermaß von Reichthum gefährdet und sein eigentliches Wesen verdunkelt, so daß nur die hohe Vortrefflichkeit und die tiefe Wahrheit des ihm in wohnenden Geistes den völligen Untergang verhinderte, und dieser durch allen Formen-Wirrwarr der spätern Bauwerke siegend hervorleuchtend uns vertraulich und heimisch anspricht. Ein solches Verständniß aber war zur Zeit der ersten Aufregung im heftigen Kampfe der Parteien nicht zu erwarten, und es war ganz natürlich, daß damals, als nach vielen vergeblichen Anstrengungen und Versuchen, nach vollen 4 Jahrhunderten die Reformation endlich hervortrat, der, seiner geraden Bahn entrissene und durch Reichthum fast verdorbene germanische Baustyl trotz der verschwisterten Abstammung nicht erkannt, und als ein scheinbares Erzeugniß des Katholicismus verdammt und verlassen wurde; zumal in der Reformation leider sehr bald die kalte Verstandesthätigkeit ein Uebergewicht gewann, welches aller wahren Kunst und namentlich der phantasiereichen germanischen durchaus ungünstig war. -  D i e  R e f o r m a t i o n,  d i e  u n m ö g l i c h  e i n e  S p a l t u n g  u n d  T r e n n u n g  d e r  K i r c h e  z u m  e n d l i c h e n  Z i e l e  h a b e n  k a n n,  i s t  n o c h  n i c h t  v o l l e n d e t;  -  e b e n s o w e n i g  i s t  e s  d e r  g e r m a n i s c h e  B a u s t y l.  B e i d e  n a c h  i h r e r  e i g e n t l i c h e n  e r h a b e n e n  B e s t i m m u n g  n e u  a u f z u f a s s e n  u n d  i h r e r  V o l l e n d u n g  e n t g e g e n  z u  f ü h r e n,  s c h e i n t  d e m  l e b e n d i g e n  S t r e b e n  d e r  j e t z i g e n  u n d  d e r  n ä c h s t e n  F o l g e z e i t  v o r b e h a l t e n  z u  s e i n!  Möchte es der Kunst, die ja überall versöhnend und vermittelnd wirkt, gelingen, auch hier den rechten Weg zu finden und zu zeigen.

Also nicht den germanischen Baustyl, wie er sich historisch wirklich entwickelt hat, wohl aber, wie er sich unter günstigern Verhältnissen, d. h. ohne den störenden Einfluß des damaligen schroffen Katholicismus und Hand in Hand mit der Reformation, wenn diese nicht auch zu einem falschen Extreme übergegangen wäre, entwickelt haben und noch entwickeln würde, wollen wir zu dem unsrigen machen! - Den Anfangspunkt der einzuschlagenden Bahn und ihre erste Richtung auf eine gute Strecke hinaus brauchen wir nicht erst zu suchen; beide sind uns, namentlich für den Kirchenbaustyl, von unsern Vorältern hinterlassen. Von hier ausgehend, das Grundprincip fest im Auge, erwärmt von lieben heimathlichen Gefühlen, umwehet vom heiligen Odem der Vorzeit, aber auch durchdrungen von der neuen, kräftig vorstrebenden Gestaltung der Welt und der Völker wollen wir Schritt vor Schritt weiter, und dem unendlich fernen, aber auch unendlich erhabenen Ziele entgegengehn!