Ein Klick auf das Druckersymbol startet den Druckvorgang des Dokuments Drucken
 
Autor: Stier, Hubert
In: Deutsche Bauzeitung - (1884); 72. - S. 426 - 429
 
Die deutsche Renaissance als nationaler Stil und die Grenzen ihrer Anwendung
 
Vorgetragen auf der VI. General-Versammlung des Verbandes deutscher Architekten- und Ingenieur-Vereine zu Stuttgart am 26. August 1884 von Professor H.  S t i e r

H o c h g e e h r t e  V e r s a m m l u n g!
D i e  d e u t s c h e  R e n a i s s a n c e  a l s  n a t i o n a l e r  S t i l  u n d  d i e  G r e n z e n  i h r e r  A n w e n d u n g'  so lautet das Thema, auf welches ich in dem folgenden Vortrage versuchen will, Ihre Aufmerksamkeit für einige Zeit zu lenken. Wenn ich  e n t g e g e n  der in den letzten Jahren auf diesen Versammlungen eingebürgerten Gewohnheit, nur Gegenstände aus der eigentlichen Praxis des Technikers und für diese von unmittelbarer Bedeutung zu behandeln, es unternehme, eine der in früheren Zeiten hier so beliebten sog. Stilfragen anzuregen, so geschieht dies, wie ich von vorn herein hervor heben will, nicht deshalb, um etwa bestimmte Sätze über diese Frage aufzustellen und einen Beschluss der Versammlung darüber herbei zu führen. Meine noch so mächtige und noch so erleuchtete Versammlung vermag durch Beschlüsse auf diesem Gebiete eine im Fluss befindliche künstlerische oder geistige Bewegung und Entwickelung in bestimmte Richtungen zu leiten oder auf einmal eingeschlagenen Wegen aufzuhalten; wohl aber ist hier der geeignete Ort, um den Beginn und die Richtung einer solchen Bewegung sich wieder einmal in größerem Kreise zu vergegenwärtigen und sich, so weit dies möglich, über das muthmaaßliche Endziel derselben klar zu werden. Ein Versuch in diesem Sinne soll der nachfolgende Vortrag sein, der ja zunächst nur meine persönlichen Ansichten über den Gegenstand wieder geben kann, von dem ich indessen hoffe, dadurch in dieser Versammlung und auch darüber hinaus eine Anregung zu geben zu Nachdenken und zu Anwendung auf dem eigenen Gebiete des künstlerischen Wirkens. Zweifellos steht ja die Frage der  W i e d e r b e l e b u n g  d e r  d e u t s c h e n  R e n a i s s a n c e  gegenwärtig fast im Vordergrunde unseres künstlerischen Tagesinteresses und erstreckt sich die Einwirkung dieser Wiederbelebung mit einer Lebhaftigkeit, wie dies bei ähnlichen Anregungen kaum je zuvor der Fall war, geradezu auf alle Gebiete des künstlerischen Schaffens. Ich beschränke mich hier natürlich auf dasjenige der Baukunst und der mit dieser zusammen hängenden Gewerbe.

Wenn wir für den Entwickelungsgang, welchen die Baukunst unseres Vaterlandes in den letzten 50 Jahren genommen hat, einen kurzen  G e s a m m t a u s d r u c k  suchen wollen, so würde man etwa sagen können: wir sind in diesem Zeitraum beschäftigt gewesen, die Geschichte der Baukunst, in den verschiedenen seither innerhalb derselben aufgetretenen Stilarten kennen zu lernen und ihre Ergebnisse uns zu eigen zu machen. Der ganze ausgedehnte Stoff, welcher sich während einer Entwickelung von fast 2500 Jahren gesammelt hat, ist in diesem Jahrhundert in seinen Denkmalen zum Theil, man darf dies aussprechen, neu entdeckt. Fast jeder der geschichtlichen Stile ist in seiner Formenwelt, seiner Herstellungsweise, in der Art, wie er die ihm gewordenen Aufgaben zu lösen versucht hat, von uns nicht nur erforscht worden, man ist auch thatkräftig bestrebt gewesen, ihn auf Grund jener Forschungen für die eigene Zeit in Neuschöpfungen wiederum verwendbar zu machen. Wir haben in Berlin mit dem Griechenthum begonnen, in München mit den Versuchen zur Wiederbelebung der romanischen Stilweisen, in Köln und Hannover mit der Kenntniss der Gothik und ihrer Wiederbelebung; wir sind der italienischen Renaissance durch alle ihre Abarten gefolgt bis in die Zeit des Rokkoko hinein, ja auch den fern liegenden Orient haben wir in seinen Bauschöpfungen heran gezogen und wenn unsere Neubauten im Geiste jener geschichtlichen Bauweisen auch anfänglich von einem gewissen oberflächlichen Liebhaberthum nicht frei zu sprechen waren, so sind wir doch heute bereits allenthalben bei einem vollen und eingehenden Verständniss, bei einer gründlichen Vertiefung in die jeweilige Formenwelt angelangt und wenn auch die Arbeit der geschichtlichen Erforschung der Baudenkmale noch lange nicht als abgeschlossen betrachtet werden kann, so darf ich es doch mit voller Berechtigung aussprechen, dass wir dem Endziel dieser Bestrebungen,  d e r  v o l l e n  u n d  a l l g e m e i n e n  B e h e r r s c h u n g  d e s  g e s a m m t e n  u n s  g e w o r d e n e n  S t o f f e s  uns nähern; nichts giebt hierfür einen besseren Maaßstab ab, als das auch schon in die nicht künstlerischen Kreise unseres Volkes übergegangene Verständniss für Stilrichtigkeit. Damit aber scheint mir eine erste wichtige Vorbedingung für die weitere Entwickelung unserer Kunst gegeben. M. E. nach wird diese Entwickelung zunächst in einer gewissen Gleichberechtigung der verschiedenen Stilarten und in einem gegenseitigen Abgrenzen derselben auf bestimmte, vorzugsweise für jeden einzelnen Stil geeignete Gebiete bestehen, während diejenigen Bestrebungen, welche einseitig eine Richtung mit Ausschluss und Anfeindung der übrigen verfolgen nach und nach zurück treten werden. Ihren natürlichen und berechtigten Grund haben diese letzteren Bestrebungen übrigens in der Art und Weise der Aneignung des geschichtlichen Stoffes, die dem Einzelnen und auch dem Begabtesten nur immer einzelne Theile des großen Gebietes zu beherrschen gestattet; aber rühmend müssen wir es hervor heben, dass gerade auf diesen einseitig gesteigerten Bestrebungen auch allein die gründliche und immer weiter gehende Vertiefung unserer allgemeinen Fachkennisse beruht und beruhen kann.

Das Gebiet der deutschen Renaissance erscheint als das jüngste, welchem  w i r  unsere Aufmerksamkeit und unsere Forschungen zugewendet haben und die Versuche neuerer Schöpfungen in diesem Stile zählen erst seit wenigen Jahren; ja sie haben wohl einen besonderen Antrieb erst durch die großen nationalen Ereignisse der siebziger Jahre gewonnen. Ich will an dieser Stelle erwähnen, dass es meines Wissens mein Vater, der Professor Wilhelm Stier war, der im Winter 1853/54 in Berlin den ersten zusammen hängenden Vortrag über Geschichte und Formenlehre der deutschen Renaissance hielt. Wenn ich aber wohl auch im Stande wäre, die Einwirkung jener Vorträge im Einzelnen Falle noch heut nachzuweisen, so hatten dieselben im ganzen doch damals keine Folge; jene uns so nahe liegende Zeit war weder für ein Verständniss noch für eine Würdigung dieser Stilart angethan, man betrachtete dieselbe mit seltenen Ausnahmen damals noch als nicht der Beachtung werth, man zerstörte ihre Denkmale ohne Gewissensbisse und höchstens die Werke ihrer Kleinkunst wurden von Malern und Liebhabern gesucht. Ja während das benachbarte Gebiet des gothischen Stils schon allseitig mit liebevollem Verständniss erforscht, erhalten und neu belebt wurde, verhielt man sich gerade von jener Seite nur um so ablehnender gegen das Gebiet der deutschen Renaissance, trotzdem das letztere in vieler Hinsicht ja nur als eine Weiterführung und Ergänzig gothischer Gedanken, wenn auch in anderem Formenkleide, zu betrachten ist.

Es ist in der That ein merkwürdiger und in gleicher Weise auf künstlerischem Gebiete kaum schon dagewesener Umschwung der Anschauungen der sich in wenigen Jahren bei uns dieser Kunstweise und ihren Leistungen gegenüber vollzogen hat. Nicht nur, dass die Baudenkmale dieser Zeit aus ihrer Vergessenheit hervor gezogen, dass sie erforscht, dass sie gezeichnet, gemessen und in trefflichen Veröffentlichungen allgemein zugänglich gemacht wurden, ja dass alle mit dem Kulturzustande jenes Zeitalters überhaupt nur irgend wie in Beziehung stehenden künstlerischen Leistungen, wie z. B. das ganze Gebiet der Kleinkunst und des Kunstgewerbes sich einer gleichen liebevollen Bearbeitung zu erfreuen hatten, so wurden des weiteren alle jene Aufnahmen und Sammlungen auch die Grundlage zu umfassenden Neuschöpfungen auf allen jenen Gebieten und fast den gesammten Bedürfnissen und Anforderungen unserer Zeit und Gesittung wurde versucht Ausdruck zu geben in der Formensprache jenes XVI. Jahrhunderts.

Der Nachdruck und die Allgemeinheit, mit dem dies erfolgte, beruht wohl zum Theil zuerst auf dem in der That überraschenden Umfange des Stoffes, der sich uns mit einem Male bei Verfolg jener Forschungen darbot, in der Erkenntniss der Bedeutung einer Gesammtleistung jener Zeit, wie wir sie bis dahin kaum geahnt hatten, und deren Vergessenheit sich nur erklären lässt durch das furchtbare Unglück des dreißigjährigen Krieges, welches auch die Erinnerung an jene bedeutsame und reiche Vergangenheit, wie mit einem Schwamme im Volke hinweg getilgt hat. Es ist in der That nicht zu viel gesagt, wenn man es ausspricht, dass wir in dem Zeitraume der letzten zwei Jahrzehnte für die Geschichte unseres Volkes eine ganze Kultur-Epoche wieder neu entdeckt haben, in welcher wir mit wachsender Freude und mit berechtigtem Stolze uns nicht nur  e r k e n n e n  als ein reiches und eines glänzenden Wohlstandes sich erfreuendes Volk, sondern uns auch in einer bisher in diesem Umfange kaum vermutheten, alle Gebiete des Lebens umfassenden  k ü n s t l e r i s c h e n  Thätigkeit wieder finden. Nicht nur in dem Bereiche der eigentlichen Baukunst treten hervor ragende Denkmale auf, tauchen die Namen ihrer Meister wiederum aus der Vergessenheit hervor, die kunstreichen Gitter- und Panzerschmiede von Augsburg, die Goldschmiede von Warburg und Soest, die Tischler und Schnitzer von Nürnberg und Ulm, die Töpfer von Siegburg und Raeren zeigen uns, dass jene Meinung irrig sei, die alles Gute dieser Zeit nur von Außen, von Italien oder Frankreich herleiten wollte; sie beweisen uns im Gegentheil, dass wir damals auch eine auf eigenem Boden gewachsene kunstgewerbliche Industrie besaßen, die mit ihren Erzeugnissen jene fremden Gebiete beeinflusste. Ja ich möchte behaupten, dass der Höhepunkt der künstlerischen Leistung der deutschen Renaissance mehr auf jener vollen Beherrschung des  k u n s t g e w e r b l i c h e n  Gebietes als auf dem der eigentlichen Baukunst beruht, dass die ganze Bewegung zu gunsten dieses Stils nicht jenen allgemeinen Grundzug angenommen hätte, den wir ihr heute unbestreitbar zuerkennen müssen, wenn sie sich auf die Baudenkmale und ihre Formen allein beschränkt hätte. Es will mir scheinen als ob sie ihre  H a u p t b e w e g k r a f t  vor allem aus der durchgeführten künstlerischen Ausbildung aller Gebrauchs-Gegenstände des täglichen uns umgebenden Lebens herleite und dass ihre Wiederbelebung gerade mit unserem Aufschwung auf dem kunstgewerblichen Gebiete in engem Zusammenhang stehe. Denn hierbei haben wir ja nicht nur in jener Zeit eine Fülle eigenartiger stilvoller Vorbilder gefunden; wir haben auch eine überraschende Menge vergessener technischer Herstellungsweisen wieder kennen und üben gelernt, die auch über die ihnen in dem beregten Stile gewordenen Formen hinaus einer künstlerischen Weiterentwicklung fähig sind. Und auch dies ist m. E. bei den baukünstlerischen Leistungen jener Zeit nicht in ganz gleichem Maaße der Fall.

Es ist vor allen Dingen die  V o l l s t ä n d i g k e i t  des großen uns wieder erweckten Kulturbildes, welche uns fesselt. Denn wir sehen nicht nur, wie ein gemeinsamer künstlerischer Grundzug die Hervorbringungen jener Zeit durchdringt, wir erkennen nicht nur, wie alle Erzeugnisse derselben in künstlerischem Geiste aufgefasst und behandelt werden, vom stilvollen Holzhause des Bauern bis zum Fürstenschloss, das die alten Burgmauern durchbricht und sich zum freien Genusse mit Erkern und Bogenhallen öffnet, vom schlichten Stuhl und der Truhe des Bürgers bis zum aufwandvollen Prunkschrank, von der Handstickerei des Leinentuches bis zur farbenreich gewirkten Gobelin-Tapete. Wir sind vor allem durch das noch Vorhandene auch in die Lage versetzt, dieses künstlerische Gesammtbild ohne Lücken vor uns aufleben und in uns lebendig werden zu lassen, und dass ist in gleichem Maaße bei keiner der voran gegangenen Kunstweisen der Fall. Denn bei jeder derselben, auch bei der Gothik, sind wir immer aus Mangel an Ueberkommenem genöthigt, weite Gebiete durch eigene Schlussfolgerungen zu fällen. So ist es uns denn wahrlich nicht zu verdenken, wenn wir mit der vollen Freude der Wiederentdeckung nicht nur  a l l e n  künstlerischen Hervorbringungen jener Zeit nachgehen, sondern wenn wir sie für uns auch nach  a l l e n  Richtungen hin nutzbar zu machen suchen.

Es ist ja auch nicht zu bestreiten, dass der ganze Bildungszustand jenes XVI. Jahrhunderts uns verwandter ist, als derjenige einer anderen früheren Zeit, einmal in  g e i s t i g e r  Beziehung durch das Auftreten jener Gedanken, die noch heute für unsere Bildung und unsere gesellschaftlichen Einrichtungen die grundlegenden sind, und die damals ihren ersten Ausdruck im Humanismus der Wissenschaften, im Loslösen der Persönlichkeit von den Schranken der mittelalterlichen Genossenschaften, im Aufblühen der Fürstenmacht und vor allem des bürgerlichen Standes gegenüber der Herrschaft der Kirche erhalten haben, und ferner in stofflicher Beziehung durch Verwandtschaft in Sitten, Lebensgewohnheiten und Rücksichten auf besondere volksthümliche Eigenschaften und auf die Witterungs-Verhältnisse des Landes. Dass stolze Ritterschloss eines Sère de Coucy ist uns eine fremde Welt, in die wir uns erst durch Reflexion wieder hinein versetzen können; aber in den Rathssaal eines deutschen Stadthauses, wie in die tannengetäfelte Stube des Tyroler Bauern können wir noch heut einziehen und uns behaglich fühlen ohne unseren Lebensgewohnheiten wesentlichen Zwang anzuthun. Fast für alle Gegenstände und Einrichtungen die unser  h e u t i g e s  bürgerliches Leben erfordert, hat jene Zeit Vorbilder geschaffen, die wenigstens immer den Werth einer  v e r s u c h t e n  k ü n s t l e r i s c h e n  Lösung der jeweiligen Aufgabe besitzen und sie hat ferner auch ihren Hervorbringungen einen bestimmten Stempel aufzudrücken vermocht, welcher dieselben von vornherein als  d e u t s c h  erkennen lässt. Es ist der deutschen Renaissance unbestreitbar gelungen, alle ihre Werke mit einem derartigen unterscheidenden Merkmale zu versehen, sie dadurch von den Leistungen anderer Völker in der gleichen Zeit abzusondern, kurz ihrer Kunstweise in der That einen gemeinsamen  n a t i o n a l e n  Grundzug zu geben. In der Gothik wenigstens fallen die Leistungen der deutschen Kunst beispielsweise weit enger mit denjenigen der französischen zusammen.

In der Nachahmung der Vorbilder jener Zeit hätten wir also ganz unbestreitbar ein Mittel gefunden zu einer Ausprägung einer uns eigenen nationalen Kunstweise und es ist ja auch vornehmlich diese nationale Beziehung, welche als Ausschlag gebend auch da immer wieder betont wird, wo wir in der Nacheiferung jener Vorbilder wohl schon etwas stark über das allgemein gültige künstlerische Maaß hinaus gehen.

Wenn aber die  E r f o r s c h u n g  und  A n e i g n u n g  des uns überkommenen geschichtlichen Stoffes der Baukunst, wie ich vorher hervor gehoben habe, eine  P f l i c h t  unserer Zeit geworden ist, so wird dieselbe doch auch zugleich begleitet von einem  R e c h t  auf die Sichtung des Ueberkommenen bezüglich des Werthes sowohl, welchen die einzelnen Schöpfungen einem allgemeinen künstlerischen und stilistischen Standpunkte gegenüber besitzen, wie bezüglich der Verwendungsfähigkeit derselben für unsere Zeit und deren Bedürfnisse. Nicht die  A n e i g n u n g  des geschichtlichen Stoffes allein genügt für eine lebensvolle Weiterentwicklung unserer heutigen Kunst; dieselbe muss auch begleitet sein von der  K r i t i k  und der  W e r t h s c h ä t z u n g  des Hervorgebrachten. Denn nicht Alles geschichtlich Gewordene ist gut und folglich auch nachahmenswerth, wenn auch wohl alles geschichtlich Gewordene der Erforschung und schon darum der Erhaltung werth ist. Es wird nicht allein genügen, die einzelne Kunstweise, wie wir es bezeichnen, vollkommen stilgerecht wiedergeben zu können, wir werden dazu gelangen müssen, die geschichtlichen Baustile als eben so viele mehr oder weniger gelungene Entwickelungs-Stufen einer Gesammtkunst zu betrachten, deren einheitliche Gesetze wir aus der Vielheit jener Erscheinungen uns werden ableiten und dann wieder auf die Sichtung der letzteren werden anwenden lernen müssen. Ist  j e n e  A n e i g n u n g  schon schwierig und noch keinesweges Allgemeingut geworden, so ist diese Arbeit der  k r i t i s c h e n  W ü r d i g u n g  noch schwieriger und wohl erst in ihren Anfängen vorhanden, aber nothwendig ist sie und in ihrer dereinstigen Bewältigung wird der hervor ragendste Unterschied liegen, durch welchen sich das künstlerische Schaffen unserer Zeit von der künstlerischen Thätigkeit früherer Jahrhunderte absondert. Besonders schwierig aber wird jene Kritik einem Gebiete gegenüber, welches wie dasjenige der deutschen Renaissance uns noch so neu gegenüber steht und auf welchem bei uns so viele Beweggründe, ich möchte sagen des Herzens und der Liebe, für eine unbedingte Anerkennung  a l l e r  ihrer Leistungen mitsprechen. Mit jener leicht erklärlichen Begeisterung, wie sie aus den engen volksthümlichen Beziehungen allein schon sich genügend erklärt, wie sie aber jeder neuen und lebhaften Bewegung inne zu wohnen pflegt, ist man in dieser unbedingten Anerkennung und in Verbindung damit in der unmittelbaren Nachahmung der Formen jener Kunstweise ohne Bedenken bis an die letzten Grenzen gegangen. Meines Erachtens aber ist auch durch diese ausschließliche Hingabe an die deutsche Renaissance und durch ihre rücksichtslose Nachbildung keineswegs, wie wohl behauptet worden ist, das letzte Wort für die Kunstentwicklung unseres Volkes gesprochen. Wie außerordentlich fruchtbar auch die Anregung sein mag, die uns aus der Beschäftigung mit jener Kunst geworden ist, wie hervor ragend deutsch und volksthümlich das Gepräge sein mag, welches sie an sich trägt, das befreit sie nicht von der  B e r e c h t i g u n g  und uns nicht von der  V e r p f l i c h t u n g  jener eben erwähnten Kritik. Ich will versuchen, in letzterer Hinsicht einige Punkte in knappster Form hervor zu heben, die mir bei dem Studium dieser Epoche, bei der eigenen Beschäftigung mit derselben aufgefallen sind und nun zu diesem Zwecke den Grundzug der ganzen Stilform, wie ich ihn wenigstens verstehe, darlegen.

Meiner Ueberzeugung nach ist es eine unbestreitbare Thatsache, dass die deutsche Renaissance das  e r s t e  g e s c h i c h t l i c h e  B e i s p i e l  einer Berührung und einer gegenseitigen Durchdringung der beiden großen Gegensätze der bisherigen geschichtlichen Erstwickelung unserer Kunst darbietet, der Formensprache der antiken Welt und des konstruktiven Systems der mittelalterlichen. Freilich sind die beiden Quellen, die hier zum ersten Male in ein Bett zusammen geleitet werden, weit genug von ihrem Ursprung entfernt und mannichfaltig getrübt. Die Formensprache der Antike tritt in jenem Ausdruck auf, welchen sie in der Ueberlieferung der späteren italienischen Renaissance erhalten hatte, und die nun bei ihrer Uebertragung auf das deutsche Gebiet noch eine zum Theil nichts weniger als verbessernde Umwandlung erleidet, dagegen der Konstruktionsbau des Mittelalters in jener handwerksmäßig verknöcherten Form, wie dies letzte Vierteljahrhundert jenes Stiles sie darbietet. Trotz dieser soweit vom Ursprung entfernten Ableitung ist jene Berührung offenbar vorhanden und deutlich zu erkennen. Man betrachte nur eines jener Bürgerhäuser, wie die Straßen und Plätze unserer alten Städte sie ja glücklicher Weise noch immer in genügender Zahl darbieten. Die Anordnung und Anlage des gothischen Hauses bleibt, es bleiben die niedrigen Geschosshöhen zahlreich übereinander gehäuft, die dicht gereihten, durch schmale Pfeiler geschiedenen Fenster und das Steinmaaßwerk in denselben. Es bleiben die Vorbauten, die Erker, der hohe nach der Straße gewendete Giebel, es bleibt die Art der Ausführung in ausgemauertem Holzfachwerk oder in solidem Steinbau für die Außenwände, in dem sichtbaren Holzwerk der Decken, in den Holzbekleidungen der Wände, in den gemusterten Scheiben der bleiverglasten Fenster - kurz, es bleibt das ganze gothische Gerüst nur umkleidet mit den aus der Antike abgeleiteten Formen des Gebälks, der Säulen und der Pilaster, die sich in die neuen Verhältnisse fügen und ihr Lehrmaaß daher mannichfaltig verändern müssen. Und wo in den Formen jener Kunst Vorbilder nicht zu finden sind, wie für die Absätze der steilen Treppengiebel, versucht man es mit eigenen Erfindungen in Gestalt ansteigender Schneckenwindungen. Derselbe Vorgang kehrt beispielsweise auch bei dem Schranke wieder, wo die  S t o l l e n  des gothischen Gerüstes sich statt mit Fialen mit Pilastern und Hermen beleben, in die Füllungen an Stelle des Maaßwerks das schwungvolle Ranken-Ornament mit Putten und Thiergestalten, mit flatternden Bändern und Fruchtgehängen einzieht und dem Bedürfnisse nach lebensvollerem Schmucke wiederum Genüge leistet. So verstehe ich die Entwicklung und den Anfang dieses Stils und seinen eigentlichen Grundzug und wenn man, wie viele es aussprechen, von der Verschmelzung jener beiden  S t i l p o l e  der Antike und der Gothik eine neue Entwicklung unserer Baukunst voraus sagt und erwartet, so finden wir hier in Wirklichkeit die ersten ins Leben getretenen Versuche auf diesem Gebiete, die um so beachtenswerther dastehen, je bedeutender jede künstlerische That über bloße theoretische Erörterungen hinaus ragt, mag dieselbe auch in vieler Hinsicht weder durchaus mustergültig noch vollständig gelungen sein. Und wie viel Liebenswürdiges und Beachtenswerthes bieten diese Lösungen der deutschen Renaissance nicht insbesondere in jener ersten Zeit des Stils, wo, wie bei der italienischen Früh-Renaissance, noch der Reiz des Naiven und die unerreichbare Poesie des unbewussten Schaffens über ihren Werken ausgegossen erscheint.

Hat sich denn nun aber dieser Vorgang nur in Deutschland vollzogen und haben wir darum ein Recht, seine Hervorbringungen als unser besonderes nationales Eigenthum ausschließlich in Anspruch zu nehmen? Ich glaube, dass dies nicht ganz der Fall ist. Denn derselbe kehrt wieder auf dem ganzen ehemaligen Herrschgebiete der Gothik, im skandinavischen Norden, wie in England, in den Niederlanden und vor allen Dingen in Frankreich. Ziehen wir aber, wie dies doch eigentlich nothwendig ist, die Leistungen jener Länder auf diesem Gebiete mit in den Kreis unserer Betrachtungen, so ergiebt sich leicht der weitere Begriff einer alle diese Erscheinungen im Gegensatz zu Italien umfassenden  n o r d i s c h e n  R e n a i s s a n c e,  von der auch die deutsche nur eine Abzweigung bildet und deren hervor stechender Unterschied der italienischen Renaissance gegenüber eben in jener engen Beziehung zur Gothik besteht. Für eine volle Beherrschung dieses Gebietes haben wir diese Werke jedenfalls mit zu berücksichtigen. Ja wenn wir die dahin gehörigen schönen und anziehenden Schöpfungen, wie sie beispielsweise die Flussthäler der Loire, des Cher und der Vienne in ihren Schlössern und den Bürgerhäusern ihrer Städte darbieten, durchwandern, so fällt ein Vergleich, namentlich was die baukünstlerische Einzelheit anlangt, nicht immer zu unseren gunsten aus. Der unmittelbarere Einfluss Italiens vielleicht auch ein etwas höher entwickeltes Kunstgefühl ist in der edleren Behandlung der Einzelheiten, in der schöneren und belebteren Zeichnung und Modellirung der Verzierungen oftmals unverkennbar; dagegen fehlt es neben manchem Prachtstück an der sinnigen Anlage und dem durchgeführten Schmuck wie der Ausstattung der Innenräume, zumal in jenen bei uns so anziehenden Anlagen kleineren und bescheideneren Maaßstabes.
(Schluss folgt.)


Die deutsche Renaissance als nationaler Stil und die Grenzen ihrer Anwendung
(Schluss.)

Die geschilderte Art der Entstehung der nordischen Renaissance, um sich hier der weiteren Bezeichnung zu bedienen, beschränkt nun aber m. E. diese Stilform auf ein bestimmtes Gebiet, auf die bauliche Aufgabe nämlich, welche das XVI. Jahrhundert im Anschluss an die bereits eine gleiche Richtung verfolgende Spätgothik vorzugsweise behandelt hat, auf den  W o h n h a u s b a u.  Dem gesteigerten Bedürfnisse nach Errichtung und Ausbildung des Wohnhauses - dieser Begriff ist hier im weitesten Sinne zu verstehen - hat diese Renaissance im Norden in erster Linie zu genügen; an dieser Aufgabe entwickelt sie ihr Formensystem und der mittlere Maaßstab, die kleinen und engen Verhältnisse, wie sie dieser Baugattung nach den Lebensgewohnheiten jener Zeit und nach den äußeren Bedingungen des Bauens in den alten mauerumschlossenen Städten nothwendig beiwohnen mussten, und zum größten Theil auch heute noch beiwohnen, sie verleihen dem Stile vorzugsweise sein charakteristisches Gepräge. Auch der aufwandvollere Monumentalbau jener Zeit, das fürstliche Schloss, entfernt sich von diesem Grundzuge nicht; die Masse des Baues im ganzen wird wohl größer, nicht aber der Maaßstab des einzelnen Bautheils an sich; auch das Heidelberger Schloss bildet z. B. nur eine Gruppe einzelner stattlicher Bürgerhäuser. Auf dem Gebiete des Kirchenbaues aber hat der Stil sich durch keine nennenswerthen Leistungen hervor gethan und war meiner Meinung dazu auch nicht im Stande. Will man den Stil über dieses ihm natürlich gewordene Maaß hinaus verwenden, so thut man ihm Gewalt an und schon die Uebertragung aus den mittelalterlichen Geschosshöhen in unsere höher bemessenen und mit weiteren Fenstern geöffneten Räume bedingt eine gewisse allerdings zulässige Umbildung seiner Erscheinung.
M a n g e l  a n  j e n e r  M o n u m e n t a l i t ä t,  wie sie in der Geschichte der Baukunst stets für die  g r o ß e n  Aufgaben verlangt worden ist, haftet dem Stile von jenem Ursprung her an, Mangel an jener Kraft und Fülle der Masse, an dem einfacheren aber desto gewichtiger wirkenden Baugliede, welches für diesen Zweck durch keine noch so geistreiche Fülle von Einzelheiten ersetzt werden kann. Es scheint, dass die denkenden Künstler jener Zeit dies auch selber gefühlt haben, denn wo ihnen solche große monumentalen Aufgaben zu Theil wurden, haben sie sich ersichtlich wiederum enger an die in dieser Beziehung so mustergültigen Leistungen der italienischen Renaissance angeschlossen. Die Außenseiten der Rathhäuser zu Nürnberg und Augsburg scheinen mir wenigstens hierfür einen entscheidenden Beweis zu bieten. Auch unsere Zeit hat diesen Mangel, trotz aller Begeisterung für die deutsche Renaissance, erkannt; denn kaum einer der zahlreichen Bewerber um das Deutsche Reichshaus hat es versucht, diesen ersten Monumentalbau des Volkes in das Gewand dieses Stils zu kleiden.

Was der nordischen Renaissance aber an  M o n u m e n t a l i t ä t  verloren geht, das ersetzt sie wiederum durch ihre ebenfalls noch auf der mittelalterlichen Ueberlieferung beruhenden Fähigkeit zu  m a l e r i s c h e r  G e s t a l t u n g.  Wir werden schwerlich je geneigt sein, die letztere etwa nach Art der Engländer für unsere großen Aufgaben zu verwenden, aber im Wohnhausbau ist sie an ihrer Stelle und wir können nur wünschen, dass sie zu gunsten eines erfreulicheren Aussehens unserer neueren Städte auch die Grundform unseres modernen Miethshauses entschiedener durchbrechen und beleben möge. Dass diese Renaissance es verstanden hat, die antike Formenbildung zu gunsten einer solchen freieren, dem strengen Schema entrückten malerischen Behandlung umzugestalten, das erscheint mir als einer ihrer beachtenswerthesten Vorzüge. Man erinnere sich nur, um hier ein Beispiel anzuführen, an die anmuthige Art und Weise, wie die große Form der italienischen Bogenhalle übertragen wird in die Verhältnisse und die Gestalt des deutschen Laubenganges.

Durch den Wohnhausbau und seinen mittleren Maaßstab wird der nordischen Renaissance ihr natürliches Gebiet vorgeschrieben, und auch auf diesem scheinen mir die brauchbarsten und nachahmungswerthesten Vorbilder weniger in der Gestaltung des  A e u ß e r e n,  als vielmehr vorzugsweise in der Anlage und Durchbildung der  I n n e n r ä u m e  zu liegen, in jener erwähnten vollen künstlerischen Beherrschung und Durcharbeitung der gesammten baukünstlerischen Form und ihres Schmuckes, wie des gesammten Geräthes im weitesten Sinne des Worts zu einem stilvollen und stimmungsvollen Ganzen, in dessen Rahmen denn auch die Werke der Malerei und Bildhauerkunst sich entsprechend und ergänzend einfügen. Hier befindet sich das eigentliche Herrschgebiet, insbesondere der deutschen Renaissance. In der anmuthigen und behaglichen Ausbildung und Ausstattung unserer Wohnräume verdanken wir der Beschäftigung mit dieser Kunst unserer Vorfahren den  e i g e n t l i c h  e n t s c h e i d e n d e n,  einen wirklich  n a t i o n a l e n  Fortschritt. Durch sie ist auf diesem Gebiete der Begriff des  d e u t s c h e n  H a u s e s  als einer Besonderheit, auf die wir stolz sein können, wieder zu Ehren gebracht, als einer Stätte, wo Kunst gepflegt und verstanden wird, und hier sind meiner Empfindung nach auch die besten Leistungen der neueren Wiederbelebung des Stiles zu finden.

Ich suche die letzteren auch nicht gerade immer an jenen Stellen, wo man sich an die  P r a c h t r ä u m e  und  P r a c h t g e r ä t h e  jener Zeit oft mit überladener Fülle anschließt - hier geht der überschwängliche Reichthum oft genug mit dem Mangel an Formenschönheit Hand in Hand, - sondern in jener stilvolleren Einfachheit, wie die schlichteren Ausführungen jener Zeit, wie sie in beachtenswerther Weise uns unter anderem die Reste der süddeutschen Bauernstuben bieten und wie sie uns insbesondere durch die liebevolle Hingabe unserer Münchener Kunstgenossen wieder erweckt worden sind. Hier liegen gesunde Vorbilder für das so lange und so schwer vernachlässigte  K u n s t - B e d ü r f n i s s  u n s e r e r  M i t t e l k l a s s e n.  Denn wenn die Kunst, wie es zu allen großen Zeiten war und wie wir alle dies ja in gleichem Maaße anstreben, nicht blos Genussgegenstand der Reichen, sondern  a l l g e m e i n e s  V o l k s b e s i t z t h u m  sein soll, dann muss sie vor allem auch diesen einfachen Aufgaben wieder genügen lernen. Dazu gehört aber zuerst jene künstlerische Liebenswürdigkeit, Schlichtheit und jenes Maaßhalten, wie wir es in diesen Vorbildern wieder finden.

Richten wir indessen unsere Blicke auf die  G e s a m m t h e i t  der Kunstschöpfungen jener Zeit, so werden wir uns doch kaum der Wahrnehmung verschließen können, dass dieselbe in  u n b e d i n g t e r  A l l g e m e i n h e i t  keineswegs den Anforderungen unseres heutigen, berechtigten und wohlerworbenen Stilgefühls entspricht, ja dass jene oben erwähnte sichtende Kritik, vielleicht keinem anderen Stil gegenüber in gleichem Maaße erforderlich ist. Bei aller  V e r w a n d t s c h a f t,  welche wir der Bildung und Gesittung jenes XVI. Jahrhunderts und den Kunstformen, in welchen dieselben sich aussprechen, gegenüber empfinden, dürfen wir doch auch die  w ü s t e  und  a b s t o ß e n d e  K e h r s e i t e  nicht verkennen, die in den Gräueln des großen Krieges nachher ihren vernichtenden Ausdruck findet und auch in einer großen Zahl der künstlerischen Hervorbringungen durch Rohheit der Form und durch Mangel an Stilgefühl und Schönheitssinn sich kund giebt.

Auch auf den  k ü n s t l e r i s c h e n  Leistungen aus der letzten Zeit der deutschen Renaissance liegt es wie eine gewitterschwüle Luft, unter derem Athem auch die Besten auf lebenskräftiges Vorwärtsstreben verzichten und sich in abenteuerlichen Versuchen erschöpfen. Nicht nach  a u f w ä r t s  geht die Richtung dieser Kunstbestrebungen, sondern leider nach kurzem und glückverheißenden Anfange nach  a b w ä r t s  und nicht nach  V e r e d e l u n g  und auf  g l e i c h m ä ß i g e  A u s b i l d u n g  des noch unvollkommenen Formensystems ist ihr Bemühen gerichtet, sondern auf Häufung des Reichthums an verwirrendem Schmuck und auf  U e b e r t r e i b u n g  der Einzelform. So werden schließlich die klaren Gestaltungen von Gebälk und Säule, ja die menschliche Figur selbst in willkürlicher Weise durch Vorsprünge und kantige Bänder zerschnitten, so  l ö s t  sich jedes wirkungsvolle Architekturglied in eine Fülle von unruhigen Einzelheiten auf, so tritt das harte, dem Leder oder dem Eisenbeschlage nachgeahmte Bandgeflecht an die Stelle der weichen Pflanzenform, die übertriebene Fratze an die Stelle der Herme oder des schön phantastischen Thierleibs, als ebenso viele zwar gewiss nationale aber doch keineswegs nachahmenswerthe Eigenschaften der Kunstweise. Um nur ein Beispiel heraus zu greifen: ist denn nicht einer der Hauptvertreter dieser Richtung, der vielgenannte Straßburger Wendel Dieterlin, im Grunde genommen ein ganz wüster Geselle und wirkt nicht schließlich der auf diese Renaissance folgende Barokstil, in welchem bei aller Willkürlichkeit doch die Sprache einer großen Kunst wieder zum wirkungsvollen Ausdruck gelangt, wie eine Erlösung? Und doch sind wir frisch fröhlich thätig, unter der nationalen Flagge jener Kunst auch auf diesen letzten Wegen zu folgen. - Schwerlich allzu lange, denn die Fratze kann wohl interessiren, aber sie fesselt nicht! - und dort hinaus scheint mir die Zukunft unserer nationalen Kunst nicht zu liegen.

Ich habe als den Ausgangspunkt der Kunstweise der  d e u t s c h e n  oder in weiterem Sinne der  n o r d i s c h e n  Renaissance die Verbindung des antiken Formensystems mit dem mittelalterlichen Baugerüst hingestellt, und ich muss es hier als meine Ueberzeugung aussprechen, dass ich auf dieser Grundlage eine Weiterentwicklung dieses Stiles für möglich halte. Nur muss diese Weiterentwicklung folgen unter dem Festhalten an denjenigen unveränderlichen Gesetzen des baukünstlerischen Schaffens, wie wir sie uns aus den großen vollkommen und gleichmäßig entwickelten Baustilen ableiten können, unter Anwendung eines gesunden, klar zum Ausdruck gelangenden baulichen Organismus, der Gesetzmäßigkeit der Einzelform, wirkungsvoller und zweckentsprechender Verhältnisse und eines formschönen und herzerfreuenden Schmuckes. Wenn der deutschen Renaissance in ihrer bisherigen Geschichte ein solcher gleichmäßiger Abschluss nicht geworden ist, so beweist dies meines Erachtens noch nichts gegen die Möglichkeit der Erreichung eines solchen Zieles; denn wir können an diese Aufgabe anders heran treten als das XVI. Jahrhundert, mit einer ungleich erweiterten Fach- und Stilkenntniss, mit einem durch den Ueberblick über die Gesammtheit der uns überlieferten baulichen Gestaltungen gesteigerten und geklärten Formengefühl. Gebührt aber uns und unserer Zeit ein solcher weiter Gesichtspunkt, und ich glaube dies entschieden bejahen zu müssen, so dürfen wir denselben auch nicht aufgeben in der bloßen Nachahmung des geschichtlich Gewordenen, selbst wenn enge nationale Beziehungen zu dem letztern bestehen, so bald dasselbe eben diesem Gesichtspunkte nicht mehr entspricht. Ich halte, wie gesagt, eine solche Weiterbildung jener Renaissance in höherem Sinne für möglich; ja ich behaupte, dass wir uns bereits innerhalb der Bewegung für eine solche befinden, dass manches Werk schon um uns entstanden ist, welches diese Möglichkeit in erfreulichster Weise darlegt, und Beiträge zu ihrer Lösung geliefert hat. Es fehlt hier die Zeit, um diese Behauptung eingebender zu begründen; denn dazu wäre eine umfangreiche Erörterung über eine Fülle von Einzelwerken nothwendig, allein für ein anderes Mal behalte ich mir dieselbe vor.

Nur eins will ich hier noch zum Schluss in Bezug auf den Ausdruck  n a t i o n a l e  Kunst hervor heben. Soll für uns Deutsche dieser Begriff verstanden werden, als ein einseitiges Hervorkehren, Festhalten und Weiterverfolgen von Besonderheiten, die ihren letzten Grund in bestimmten Eigenschaften, sei es des ganzen Volkscharakters, sei es der einzelnen geschichtlichen Entwickelungsperiode derselben besitzen? Oder sollen wir uns ein offenes Auge und Aufnahmefähigkeit für das Schöne, welches andere Zeiten und andere Völker vor und neben uns geschaffen, bewahren, zugleich mit dem Erkenntniss über nationale Schwäche, die bei jedem Volke auf dem künstlerischen Gebiete so gut hervor treten, wie auf dem politischen und sittlichen?

Wer möchte diese Frage anders als im letzteren Sinne bejahend beantworten, vor allen Dingen in der Stadt, in welcher wir uns heute zusammen gefunden haben, durch deren Straßen und Plätze wir heut gewandert sind. Eine treffliche Kunstgenossenschaft hat es in wenigen Jahrzehnten vermocht, ihrer Stadt ein künstlerisch mustergiltiges Gepräge zu verleihen, sie hat es verstanden, den Namen Stuttgarts in kurzer Frist einzureihen unter diejenigen Pflegestätten unserer Kunst, auf welche unser ganzes Volk mit freudigem und berechtigtem Stolze hinzuweisen im Stande ist. Und sie hat dies in einer vornehmen und geadelten Formensprache gethan, die uns doch darum nicht weniger deutsch und eigen zum Herzen spricht! Entstanden unter der Einwirkung der großen Vorbilder des Alterthums, des sonnigen Italiens, des gothischen Mittelalters, liegt doch auch über diesen Werken ein unverkennbarer Grundzug ausgegossen, der sie alle als Schöpfungen unseres Volkes und unserer Zeit kennzeichnet. Kann denn, so frage ich mit Recht, diesem Beispiel gegenüber der Begriff national für die Kunst unseres Volkes nicht noch in einem höheren Sinne erfasst, und durch die That ins Leben gerufen werden? Wie wir mit Recht stolz sind auf unsere umfassende Bildung, die wir der gesammten vor uns liegenden Zeit entnommen haben und aus immer neu erforschten Quellen noch heute entnehmen, wie unsere Litteratur wie die keines anderen Volkes  A n r e g u n g e n  aus den Schöpfungen aller Zeiten und Länder in sich aufgenommen, wieder verarbeitet und sich zu eigen gemacht hat, sollten wir da nicht vielleicht auch auf dem Gebiete der Kunst jener höchsten Aufgabe gewachsen sein, welche ich in meiner Rede andeutete,  d a s  u n s  ü b e r k o m m e n e  M a t e r i a l  d e r  G es c h i c h t e  z u  s i c h t e n,  e s  i n  u n s  a u f z u n e h m e n,  ihm den Stempel unseres eigenen Geistes aufzuprägen und auf dieser weitesten Grundlage der neuen Zeit eine neue Kunst zu geben? Mögen wir uns wenigstens mit dem Gedanken einer solchen Aufgabe vertraut machen - das sei der Wunsch, mit dem ich diese Worte schließe!