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Autor: Taut, Bruno
In: Sozialistische Monatshefte - 20 (1914); S. 355 - 357
 
Das Problem des Opernbaus
 
FÜR jeden Architekten hat die Aufgabe als solche etwas kolossal Verlockendes: gemeinsamer Kunstgenuß vieler festlich gestimmter Menschen als Rahmen und Niveau einer großartigen Repräsentation höfischen Gepränges. Hierfür den passenden Bauorganismus zu schaffen erschien uns allen als eine köstliche Aufgabe. Woran liegt es aber, daß die Berliner 0pernhausangelegenheit so viel Peinliches, für alle Teile Verstimmendes bekommen hat: ein Eindruck, der nicht auf die Mitarbeitenden beschränkt bleibt, der sich gerade auch den erwartungsvoll zuschauenden Architekten mitgeteilt hat? Die dreimaligen Wettbewerbe mit ihren Opfern an Energie und Phantasie Š besonders der allgemeine ohne jede Preisverteilung‹ , die zahllosen Resolutionen und Kundgebungen für und wider, alle Begeisterung und Kampfesfreude, alles scheint zur Klärung des Problems umsonst vertan. Die allgemeine Verworrenheit der Anschauungen über die Opernhauslösung ist heute eine vollendete.

Wir haben keinen Architekten, der uns die Lösung bescheren kann: So hört und liest man. Das ist immer wahr, solange die Zeit, das heißt das Gros ihrer Menschen keine ausgesprochene Tendenz zu irgendeiner Lösung hin hat. Wie soll sich da auch eine solche ergeben, die als reines und treues Abbild ihrer Zeit dasteht! Worin liegen denn die besonderen Voraussetzungen, die dieser Aufgabe durch die Zeit gestellt werden? Modernes Kaisertum, Kastenwesen und Volkstum: diese drei Begriffe sollen gleichzeitig verkörpert werden. Das ginge, wenn die Zeitvorstellungen es nicht verbieten würden diese drei Begriffe ganz klar herauszuschälen. Man fürchtet dann wieder, irgendwelche Härten möchten sich zeigen. Heiterer Kunstgenuß soll geboten werden, und doch soll der Mann des 3. Ranges nicht in das selbe Vestibül wie der des 1. Ranges. Die Kaiserloge soll inmitten des Publikums liegen, ebenso der dazu gehörige Salon mitten in der Haupttreppenhalle, damit hier von dem Balkon aus der Kaiser mit dem Publikum in Konnex treten kann. Aber nur ja nicht mit den Besuchern der oberen Ränge. Trotzdem soll das Ganze seiner Bestimmung nach ein Massenfesthaus mit 2500 Plätzen sein. Damit will nicht gesagt werden, daß eine große Oper für Fürsten und Volk eine unlösbare Aufgabe sei. Wie es früher möglich war Š Paris, Wien, Dresden, Alt Berlin‹ , so müßte es auch heute sein — wenn nicht die Unklarheit der Zeilverhältnisse eine Formung dieser Dinge ausschließen würde.

Wir k ö n n e n keinen Architekten haben, der uns die Lösung beschert: Vielleicht müßte es nun so heißen. Wenn aber ein Architekt doch den Mut hat sich über das Kleinliche den Zeitgemäßen hinwegzusetzen und das Wesentliche in bedeutungsvoller Form zu geben, wird eine so geartete Zeit dann dieses eigene Kind begreifen? Nach der dritten allgemeinen Konkurrenz um das Opernhaus wurde das Resultat festgestellt: kein Entwurf hat das erlösende Wort gesprochen. Und doch gab es einen, nur ganz wenig anerkannten, der sich vor allen übrigen abhob. Es war die Arbeit des Architekten Hans Poelzig Š Breslau‹ , die als einzige die Freiheit von aller säulendekorativen Architektur zeigte und wirklich einen Klang gab. Im Äußern ein unvergeßlicher Aufbau, bei dem die Steigerungsmöglichkeiten, die der Bühnenaufbau dem modernen Theater geben kann, wirklich begriffen waren; im Innern ein fest geschlossenes Grundrißgefüge, das allerdings unseren allzu peniblen Zeitbegriffen dadurch unbequem war, daß die Leute aller Ränge in ein Vestibül gehen, und alle den Kaiser in der Haupthalte sehen konnten, der darin als Fürst unter dem Volk erscheint. Die Gesamtheit hat diesen Entwurf nicht in der Weise entgegengenommen, wie man ein kostbares Geschenk zu empfangen hat. So kann man schließlich sagen: Nicht die architektonische Produktion unserer Zeit ist schwach, sondern die empfangende Zeit selbst.

Das Widerstreitende in den Zeitverhältnissen spiegelt sich deutlich in unserm Ringen um eine neue Architektur wider. Wenn wir bei allen Schichten unserer Zivilisation das produktive, vorwärtsstrebende Element in der Verwirklichung des sozialen Gedankens sehen dürfen, in der Unterordnung des Individuums unter eine große Allgemeinheit, woraus wieder eine neuartige Steigerung des individuellen Bewußtseins hervorgehen soll Š Walt Whitman‹ , so finden wir bei der Architektur das Analoge in der Tendenz zum organischen Gestalten eines Gebäudes. Den Bau zu einem lebendigen Organismus zu machen, zu allererst seine funktionellen und konstruktiven Voraussetzungen zu erkennen und daraus in notwendiger Konsequenz und Unterordnung des eigenen Individuums wie von selbst die passende Form entstehen zu lassen, die gleichsam atmet und lebt: das ist das Ziel. Es zeigt den allein gangbaren Weg, der jenseits der bisherigen Ästhetik, sei es der des Raumes oder der plastisch-baulichen Form, uns zur künstlerischen Bewältigung der vielen neuen Probleme unserer Zeit führen kann. Dieser Weg, auf dem Poelzigs Entwurf sich befindet, steht im bestimmtesten Gegensatz zu der konventionellen Architekturauffassung, die sich auf Palladio stützen will und durch seine Schaffensweise besonders klar verkörpert worden ist. Palladio forderte ausdrücklich: Der Beschauer soll nur die Teile meines Hauses auf sich wirken lassen, die ich besonders heraushebe. Daher bei ihm die Betonung dieser Teile durch festliche Säulenstellungen, während das übrige ganz schlicht blieb. Da es nun nicht möglich ist einfach ein historischer Mensch statt eines modernen je nach Willkür zu sein, so ergeben sich die Zwittergebilde, denen wir eben auch im Opernhausfall bis zuletzt begegnet sind: Das unweigerliche Gebot unseres Seins fordert die organische Gestaltung, vom Traditionellen in der erwähnten Form kann man nicht weg; und so kommt es dann, daß Säulenstellungen und festliche Fassadensysteme mit organischen Zwecken verquickt und dazu degradiert werden sich um den Bau, um seine Seiten- und Hinterfronten, um Bühnenhaus und Magazine herumzuziehen, überall da, wo nichts Festliches zu sagen ist.

So muß jede Grazie verloren gehen, die die allen Bauten mit den gleichen äußeren Formen erreicht haben: eben weil wir diese Art Grazie nicht in uns tragen. Es bleibt jene aus den unzähligen Schöpfungen der letzten Zeit bekannte Trockenheit und Nüchternheit, die infolge der einmal begangenen Inkonsequenz zu schwach ist die formbildenden Voraussetzungen unserer eigenen Tage zu begreifen. Das Verdeckenwollen des Bühnenaufbaus ist hierfür das Typische bei vielen Opernhausprojekten. Unwillkürlich regt sich der praktische Sinn des modernen Menschen, der sich den Mehraufwand, der durch das Vorziehen der Bühnenhaushöhe über das Zuschauerhaus entsteht, mit 1½ Millionen ausrechnet und sich fragt, welche sozialen Wünsche sich mit diesem in unorganischer Architektur verlorenen Geld erfüllen ließen.

Jede Epoche bringt ihre typischen Bauaufgaben hervor, die den keimtragenden Zeitgedanken entsprechen und das Neue in der Architektur schaffen. Als typische Idee unserer Tage, als die Idee, die von jedermann heute mitempfunden wird, wird man den sozialen Gedanken ansehen müssen. Nicht die Hofopern können uns die neue Architektur bescheren, sondern die Volksbühnen, die neuen Gartenstädte und alle die aus sozialem Idealismus hervorgehenden Bauwerke.

Klarheit und Konsequenz der Begriffe sind die einfachsten Voraussetzungen des architektonischen Ausdrucks. Verschwommenes, Labiles kann sich nicht in großartigen Architekturgebilden krystallisieren. Der aufs Organische gerichtete Weg des Architekten, dessen Parallelen man in den neuen Bestrebungen alles heutigen Kunstschaffens findet, kann ohne Klarheit gar nicht begangen werden: mit ein Beweis für seine Richtigkeit.