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Autor: Taut, Bruno
In: Frühlicht  - (1921); 2. - S. 39 - 41
 
Gefallenendenkmal für Magdeburg
 
Die Denkmalsbewegung für die Gefallenen des großen Krieges scheint sich unaufhaltsam überallhin zu verbreiten. Bei Autofahrten findet man schon in den meisten Dörfern irgendeinen Stein oder ein steinähnliches Gebilde, sei es nun, daß es eine Figur darstellt, der nur noch die Engelsfittiche fehlen, oder daß ein Findlingsblock unmittelbar von den Eisbergen angeschwemmt ist. Ja, es soll sogar Firmen geben, welche "eisenarmierte Betongranithohlfindlinge" offerieren und bei der sentimentalen Bevölkerung Erfolg damit haben. Viel anders verhält es sich aber mit den werkbundgerechten Versuchen auch nicht, die Kriegergedenksteine in eine "geschmackvolle" Form zu bringen, eine Form, die gewöhnlich einem Briefbeschwerer ähnlich sieht. An diesen Versuchen, mögen sie nun künstlerisch oder unkünstlerisch sein, zeigt sich die Wahrheit des Spruches: Laßt die Toten ihre Toten begraben. Man muß erkennen, daß man Denkmäler schlechthin, also bloße Erinnerungssteine oder -tafeln nicht ohne weiteres schaffen kann, und daß diese Dinge leer und deshalb künstlerisch unlösbar sind, weil ihnen jede Verbindung mit dem Leben abgeht. Über die Denkmalsfrage im Ganzen hat sich widerspruchslos diese Erkenntnis herausgestellt: Ein Denkmal kann möglich sein, wenn es sich um eine Idee handelt, deren Symbol restlos und klar allgemeine Gültigkeit hat, wie z. B. gewisse buddhistische Bauten Indiens. Sonst aber bleibt es ein unerfüllbarer Wunsch.
Die Einstellung des deutschen Volkes zum vergangenen Kriege ist aber eine so verschiedenartige, daß man eine Allgemeingültigkeit irgendeines Symbols dafür nicht entfernt feststellen kann. Die einen wünschen eine Heroisierung der grausigen Vorgänge und die Vergöttlichung ihrer Opfer, die anderen grausige Zeichen zur Erinnerung an dieses Geschehen, Zeichen, welche die Erinnerung an seine Furchtbarkeit niemals erlöschen lassen sollen. Künstlerisch wäre die Aufgabe als solche lösbar, wenn eine dieser beiden Anschauungen zweifelsfrei überwiegen würde. Das ist aber nicht der Fall; vielmehr gibt es zwischen diesen beiden Auffassungen die verschiedenartigsten Mischungen und Zwischenstufen, ein Zeichen dafür, daß unsere Zeit kein solches Denkmal formen kann, außer einen Bau, der aus der gleichen Gefühlswelt heraus bewußte Verbindungen mit der Gegenwart und ihren Bedürfnissen eingeht. Möglichkeiten dafür gibt es zahllose, entsprechend den verschiedenartigen gemeinschaftlichen Bedürfnissen, die sich besonders in einer Stadtgemeinde einstellen. In einem solchen Falle würde endlich einmal das erreicht sein, was sonst heute so ungeheuer schwer ist, nämlich die Überwindung des Einzelinteresses und seiner politischen und sonstigen Ziele von Gruppen und Grüppchen, welche deshalb ihren besonderen Gedenkstein für i h r e Kameraden allein beanspruchen. Eine Anregung nach dieser Richtung hin enthält mein Entwurf. In Magdeburg muß die Frage des Domplatzes, welche durch den Neubau der Reichsbank leider schon sehr gestört ist, eine endgültige Form finden. Der Domvorplatz vor dem Westportal ist heute und besonders nach der Fertigstellung des Reichsbankneubaues eine städtebauliche Monstrosität, weil man immer noch nicht von dem Freilegungsgedanken loskommen konnte, aber auch nicht den Mut hatte, sich wenigstens in aller Eindeutigkeit dazu zu bekennen. Die Zugangsstraße zum Dom, die Domstraße, bildet danach eine ungeheuer weite Öffnung, die dem Maßstab des Domes schaden muß. Dazu kommt, daß der Domvorplatz gerade an der Stelle, wo er früher durch die Stadtmauer eng abgeschlossen war, weit aufgerissen ist, mit der Wirkung, daß die Größe des vor der Nordfront des Domes vorgelagerten Platzes eine ungeordnete und im künstlerischen Sinne unsaubere Konkurrenz erfährt. Eine Möglichkeit zur Verbesserung liegt zunächst darin, daß bei einem späteren Neubau an Stelle der heutigen Artilleriekaserne auf der Nordseite der Domstraße die Bauflucht bis auf ein Minimalmaß an Straßenbreite gegen die Reichsbank hin vorgeschoben wird, eine Korrektur, welche zwar die alte Straßenrichtung ändert, aber nicht schadet, da sie unmittelbar auf das Portal des Domes hinführt.

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Der Dom würde dann mit seiner großen Wand über die beiderseitigen Häuser hinausragen und Maßstab erhalten. Danach bleibt noch die Schließung des Domvorplatzes nach Süden zu lösen übrig. Dies soll durch meinen Vorschlag des hier als Gefallenendenkmal bezeichneten Baues geschehen. Es wäre nicht denkbar, hier einen Bau aufzuführen, welcher die Höhe der sonstigen Bauten in der Umgebung hat, abgesehen davon, daß die Grundfläche sich praktisch gegen eine solche Lösung wehrt. Hier ist der gegebene Platz für ein niedriges Bauwerk, das von Bäumen, die zum Teil schon bestehen, und von den dahinter liegenden Häusern überragt wird und das andererseits durch seine geringe Höhe die Größe des Domes steigert. Die Einzelheiten veranschaulichen der Plan und das Modell. Zu erwähnen wäre nur, daß ein unmittelbares Anbauen dieses Gebäudes an den Dom selbst, etwa in mittelalterlichem Sinne, sich hier aus dem Grunde verbietet, weil die dynamische Richtung des Vorplatzes einmal auf das Westportal des Domes und sodann direkt nach Süden zu weist, eine Bewegung, welche durch die vorhandene Allee auf dem Domplatz noch besonders betont wird, als Gegenstück gewissermaßen zu der gegenüberliegenden Allee, welche auf das Paradiesportal führt. Durch die neue Gruppierung wird der offene Platz vor der Südwestecke des Domes in zwei in sich abgeschlossene Plätze gegliedert, welche dem Dom in seiner architektonischen Wirkung in bestem Sinne dienen. Diesem Gedanken des Dienens gibt das geplante Gebäude dadurch Ausdruck, daß es sich gegen den Dom hin, dort wo es sich unterordnen muß, neigt, während seine Rückseite steil und frontal auftritt, da sie frei unter den Bäumen gesehen wird. Hier kann ein solches Gebäude ohne Schaden Denkmalscharakter haben. Seine Form ist ganz aus seiner Bestimmung entwickelt. Es ist natürlich unmöglich, etwas hinzubauen und dann zu sagen: Mit dieser Sache wollen wir uns an die Gefallenen erinnern. Man muß auch etwas mit einer solchen Sache beginnen können. Der Zweck dieses Gebäudes soll der einer öffentlichen Lesehalle sein, so profan diese Zweckbestimmung zunächst auch manchem erscheinen wird. Man möge mir einen anderen Zweck nennen, zu dem sich heute eine Stadtgemeinde in diesem Falle einigen könnte! Früher brauchte man darüber nicht lange nachzudenken; man baute dann eine Kapelle an einer Kirche und übertrug einem Heiligen die Vertretung gegenüber dem lieben Gott. In katholischen Gegenden wäre dies vielleicht auch heute noch die einfachste Form. - Wenn man aber nicht die Mittel für ein Kriegsbeschädigtenheim und dgl. aufbringen kann, so verliert bei näherer Überlegung vielleicht doch der Gedanke der Lesehalle den Vorwurf des Profanen.

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Die wesentliche Vorbedingung für alles Feierliche ist das Schweigen, und dieses Schweigen dürfte heute in keinem anderen Raum mehr zu finden sein als in einem solchen, der zum Lesen bestimmt ist. Das Gebäude enthält im wesentlichen einen solchen Raum, dessen Form sich völlig aus seiner Bestimmung ergibt. Ein großer Tisch und weiterhin Plätze für Einzelne und für Gruppen von Lesenden. Die letzteren werden durch kapellenartige Nischen gebildet, die Einzelplätze durch die Knickung der großen Rückwand. Diese sowie ihre Bogenform ist aus der Orientierung zur Sonne entstanden. Da die Nord-Südrichtung wie beim Dom genau senkrecht zur Längsrichtung liegt, so tritt die Mittagssonne infolge der Fensterlaibungen nicht unmittelbar in den Raum, dagegen nur die Vormittags- und Nachmittagssonne, und zwar in einzelnen Strahlen durch mattgetönte Fensterscheiben (etwa Rohglas). Die hohen Fenster beleuchten die auf den gegenüberliegenden Wänden befindlichen Namensinschriften aller Gefallenen Magdeburgs, welche nach mehreren Tausenden zählen. Die Inschriften sollen gold auf schwarz gemalt sein, die Fensterpfeiler innen weiß und die Decke auf Holzverschalung grün und rot in den magdeburgischen Wappenfarben. Das Haus enthält sodann Garderoben, Räume für den Bibliothekar und im Kellergeschoß die notwendige Bibliothek, welche hier wegen der hohen Lage des Baugrundes ohne Bedenken unterzubringen ist, die Architektur ergibt sich als einfache Folge des Grundgedankens. Sie liegt am deutlichsten im Grundriß ausgesprochen. Die Ausführung könnte als Backstein-Rohbau geschehen, welcher nach dem Vorbilde alter Bauten überstrichen wird, und zwar in einer starken Farbe Schwarz mit Vergoldung. "Unseren gefallenen Brüdern" lautet die einzige Aufschrift, welche vom Maurer durch Vor- und Zurücksetzen von Backsteinen hergestellt wird.