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Autor: Taut, Bruno
In:  2. Aufl. - Leipzig: Klinkhardt & Biermann (1924); - 106 S.: zahl. Ill.
 
Die neue Wohnung
 
DIE FRAU ALS SCHÖPFERIN
Den Frauen gewidmet!

Der Jahrhundertpendel ist auf dem Tiefstand angelangt, um aufwärts zu schwingen. Was bis dahin Verneinung war, wird jetzt Bejahung mit einem neuen Ziel. Die Frau mußte bisher dem Hause den Rücken kehren und wendet sich ihm jetzt wieder zu. Aus bloßer Kritik wird Schöpfertum. Nicht mehr Vorwurf und Tadel ist die Kritik, sondern Blick auf den neuen Weg.
Berlin, den 1. Januar 1924.


I     DIE HEUTIGE WOHNUNG

Was wird nicht alles an Gedanken, Hoffnungen, Wünschen, aber auch an Abwehr, Erinnerungsresten und Scheu vor Verletzung heiligster Güter wach, wenn man die heutige Wohnung kritisch betrachtet und sie verändern will! Unzählige Architekten haben sich den Kopf zerbrochen, um eine bessere Möbelstellung im neuen Grundriß zu erreichen. Es sind auch viele gute Häuser gebaut - aber wenn sie die Leute dann einziehen sahen mit ihren Massen an Möbeln, mit dem unendlichen Krimskrams und Gerümpel, so mußten sie resignieren und sich schließlich damit zufrieden geben, daß ihre Bauten und Siedelungen wenigstens außen ein gutes Gesicht hatten. Aber wie das gute Aussehen eines Menschen schließlich verloren geht, wenn seine Ernährung, Verdauung und Reinigung nicht in Ordnung ist, so geht es auch mit der Architektur. Das Innere des Hauses, das Leben seiner Bewohner muß ebenso in Sauberkeit und Klarheit verlaufen, sonst kann es nie zu einer wirklichen Architektur kommen. Die Frauen, an die sich in erster Linie diese Schritt wendet, mögen nun aber nicht fürchten, daß ihnen hier wieder eine der vielen Architekturtheorien und -thesen vorgesetzt wird. Es soll vielmehr eine ganz einfache schlichte Klarstellung der heutigen Wohnverhältnisse sein und das bescheidene Andeuten der Richtung, nach welcher eine Erleichterung ihres Hausfrauenloses geschehen kann. Es ist ja kein Zweifel, daß sie diese Frage am meisten angeht; denn sie sind die eigentlichen Schöpferinnen des Heimes, und alles, was an ihnen vorbeigeht, bleibt restlos verloren: "der Architekt denkt, die Hausfrau lenkt." Heute ist es so, daß die Frau selbst nicht weiß, wie sehr sie durch die heutige Wohnung versklavt ist. Sie opfert ihr ganzes eigenes Leben der täglich und stündlich nie aufhörenden Arbeit des Kochens, Abwaschens, Putzens, Reinigens, Nähens usw. usw., und doch ist es ein Irrtum zu glauben, daß allein mit der Lösung der praktischen und wirtschaftlichen Fragen eine Besserung ihres Loses erreicht wird. Im Gegenteil scheint es, daß die Gefühlsdinge eine viel größere Rolle spielen als die praktischen. Sie will es sich und ihrem Manne "gemütlich" machen und tut es gewohnheitsgemäß mit Bildern aller Art, Spiegeln, Decken und Deckchen, Vorhängen über Vorhängen, Kissen über Kissen, Teppichen, Vorlegern, Uhren, aufgestellten Photos und Souvenirs, Nippes über Nippes auf Etageren, Konsolen und dgl. mehr. Das mag alles schon besser geworden sein, aber die Wand ohne Bilder gilt nun einmal als kalt und das Zimmer in restloser Einfachheit und klarer Übersichtlichkeit nun einmal als kahl. Und selbst wenn der beste Wille am Anfang des neuen Hausstandes da ist, selbst wenn die junge Frau sich den Umtausch von unpraktischen Hochzeitsgeschenken (Bilder, Büsten, Säulen usw.) gegen praktische (Kochkiste, Eisschrank, Abwaschmaschine usw.) erbittet - welche Frau und welcher Mann bringt aber den Mut auf, das im Lauf der Jahre und Jahrzehnte sich Ansammelnde an Kleinkram immer wieder zu vernichten! Eben so selten, wie Briefe verbrannt und Gelegenheitsgeschenke nur für die Gelegenheit gelten gelassen, d. h. bald als wertloses Zeug vernichtet werden. Es wird ein Fetischismus mit den Gegenständen getrieben, man hat Aberglauben vor ihrer Vernichtung, und gibt ihnen damit Macht und Herrschaft, unterwirft sich der Tyrannei des Leblosen, anstatt in seinem Gehäuse selber der unanfechtbare Herrscher zu sein. Dieses Sichselbstaufgeben unterhöhlt unmerklich das beste Zusammenleben, die beginnende und alle Familienmitglieder mitschwächende Nervosität und Kränklichkeit der Frau wird dann auf das Übermaß der Arbeit geschoben. Aber niemand, sie selbst nicht, will im Grunde die Erleichterung der Arbeit; denn niemand ahnt, daß es Atavismen, Erinnerungsreste der Großvaterzeit und der Fetischismus der Gegenstände, der Überflüssigkeiten sind, die, wie sie alle, so am meisten die Mutter matt und elend machen. Diese Erscheinungen sind nicht zu leugnen, und deshalb muß man zunächst die Gefühlsmomente mit ihren ästhetischen Neigungen und Erscheinungen unter die Lupe nehmen, um Schutt wegzuräumen und dann erst die wirtschaftlichen, praktischen Elemente und damit den Aufbau der neuen Wohnung zu zeigen. Es ist bekannt genug, daß der Krimskrams und Tingeltangel des Vielerlei mit dem "Aufschwung" der 70er, 80er Jahre seinen Einzug in die Wohnungen hielt. Aber es ist noch keineswegs in das Bewußtsein der Allgemeinheit eingedrungen, daß wir jenen "Aufschwung" immer noch mit uns herumschleppen, ganz gleich, ob Jugendstil, Neubiedermeier, Expressionismus darüber hingegangen sind, ganz gleich, ob die Einzelstücke künstlerisch gut oder Kitschware sind. Es handelt sich vielmehr grundsätzlich um das Überflüssige der Wohnung, seine Duldung, Schonung und Pflege. Und dabei ist es völlig gleich, welchen Stil die Möbel haben, ob Stücke von höchstem Museumswert zusammengestapelt sind oder ob sich der kleine Mann mit billigem Warenhausschund behilft. In beiden Fällen handelt es sich um das gleiche Prinzip, das aus den "Ensembles" seinen Ursprung genommen hat, von denen die erste Abbildung eins zeigt. Dieses, das Titelbild eines Buches vom Jahre 1883, kommt uns wie eine Ironie vor, ist aber im Ernst ein "künstlerisches" Idealbild der damaligen Wohnungswünsche.

NeueWohnung1.gif (84283 Byte) Abb. 1 Wohnungsvorbild von 1883 ("Die Erfindungen der neuesten Zeit"), Verlag Otto Spamer, Leipzig 1883)

Und ebenso ernst begeistert sind die dazu gehörigen Worte geschrieben:
"Jahrzehntelang blieb das Hausgerät noch plump und glatt; Armut an Stoffen und Formen, an Verzierungen, die ein künstlerisches Auge schafft, eine geschulte Hand durchführt, Armut nicht nur an Schmuck, sondern auch an schmückenden Techniken charakterisiert den Anfang der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts; ein Menschenalter ist seitdem vorübergegangen und - machtvoll und glänzend erscheinen die Leistungen der europäischen Industrie auf den Weltausstellungen als Wirkung einer gewaltigen Idee, der kunstgewerblichen Bewegung der Gegenwart." Gottfried Semper spielt die historisch-tragische Rolle, durch seine in den 50er Jahren entstandene Schrift "Wissenschaft, Industrie und Kunst, Vorschläge zur Anregung nationalen Kunstgefühls" mit seinem darin erfundenen Wort "Kunstindustrie" auch die dazu gehörige Sache im wesentlichen eingeleitet zu haben. Und wie begeistert wurde die Kunstindustrie gefeiert: "Wie der Frühling in der Natur überall lebenspendend seinen Einzug hält, nach und nach den Winter mit seiner Starrheit und Öde besiegt, so zeigt sich beim Einzug der Kunst im Hause gleiches Leben, dieselbe Vielseitigkeit. Die Erde wird durchwühlt, und was Priamus entzückte, muß(!) heute zur Veredlung unserer Geräte das Muster bilden; des Agamemnon Schatz beeinflußt des Börsianers Schmuck - - - usw." "Reicht das Geld nicht hin zum Erwerb von Echtem, so schafft die Industrie Surrogate; sowohl für die Stoffe als das Verfahren. Kann sich der Reiche ein Original anschaffen, so ist es dem Minderbemittelten möglich, eine galvanische Kopie zu erwerben: was der Eine in Marmor, besitzt der Andere in Gips: das Ölbild des bedeutendsten Meisters im Prunksaal des Fürsten schmückt als Ölfarbendruck die Zimmerwand des Arbeiterheims. Auf diese Weise wirkt die Kunst, wirkt das Schöne überall als erziehendes Element. Ist auch die Mode die erste Veranlassung des Erwerbes und gibt der bloße Besitz Befriedigung, bald kommt die Erkenntnis, der Genuß und mit diesem der Einfluß auf Geist und Gemüt " Soweit der Verfasser von 1883. Wir möchten hinzufügen: auf Gesundheit, Lust und Laune der Hausfrau! Es wird von seriösen, durchaus glaubwürdigen älteren Damen berichtet, daß in jener Zeit durch Zeitungsannoncen junge Mädchen aus "besserer" Familie zum - Staubwischen und -pinseln gesucht wurden. Und der Salon mußte möglichst nach Norden liegen, damit die Plüschpracht nicht zu rasch unter der Sonne dahinschwindet. Wie ganz anders klingen die Grundsätze, welch Mrs.Richards, die Mutter der hauswissenschaftlichen Bewegung in Amerika, formuliert:

1. Das Leben im modernen Heim, das durch keine Traditionen der Vergangenheit belastet ist;
2. Die Verwertung der uns durch die Wissenschaften gegebenen Kenntnisse und Hilfsmittel,um das Leben im Hause zu heben und zu verbessern;
3. die Befreiung des Heimes von der Herrschaft des Materiellen, derSache,und deren entsprechende Unterordnung unter die gepflegten Ideale;
4. größte Einfachheit in der materiellen, d. h. äußeren Umgebung, die am besten dazu angetanist, den Geist für die weit wichtigeren Interessen des Heims und der Allgemeinheit frei zu machen. (The new housekeeping, efficiency studies in home management by Christine Frederick, übersetzt unter dem Titel "Die rationelle Haushaltführung"  von Irene Witte, Verlag Julius Springer, Berlin 1921).

Freilich ist deshalb in Amerika noch keineswegs "derUrväter Hausrat" überwunden; gerade dort schleppt man sich noch mit recht vielen sentimentalen Kinkerlitzchen herum. Der Herr im Jahre 1883 hatte wohl schon Recht, wenn er meinte, daß jene "gewaltige Bewegung" zwei Generationen anhalten würde. Nun bröckelt sie ab, hat vielleicht schon ihren Todesstoß erhalten und nach und nach wird sich die Industrie der Überflüssigkeiten zu wichtigerer Produktion umstellen, ebenso wie die Frau lernen wird, ihre Muße besser auszufüllen als mit gesundheit- und nervenzerstörender Handarbeit zur Vermehrung des Ballasts im Haushalt. Wie schon erwähnt, man soll nur ja nicht glauben, daß durch die "künstlerischen" Einrichtungen etwas wesentliches verändert sei, wie es sich späterhin deutlicher zeigen wird. Man sehe sich nur einmal die neueren Schöpfungen der Innenarchitektur, der daran beteiligten expressionistischen Maler und Bildhauer an: Ich will keinem meiner Freunde dabei nahetreten; denn wir alle waren ja im rein Formalen stecken geblieben. Aber es ist immer dasselbe Bild: Die "Dinge" ringsherum zu übermäßiger Wichtigtuerei aufgeplustert, alles rein museumshaft nur zum Ansehen, das Ganze ein "Bild" und der Mensch, der doch die Hauptsache sein sollte, nicht bloß überflüssig, sondern störend. Der Eifer zur Erlösung der Form vom Stilwust ist gewiß notwendig gewesen, die Leistungen der Macintosh, Whrigt, Olbrich, Behrens, van de Velde usw. griffen oft genug in das Reich der Reinheit und letzten Einfachheit hinein. Aber in den letzten Jahren scheinen auch diese wenigen Lichtscheine erlöscht zu sein, und es entsteht jetzt eine neue Hoffnung von einer ganz anderen Seite her, von der Seite der Erkenntnis über das Schicksal der Frau. -- Bei der sehr berechtigten Skepsis gegen die formalen Versuche der Künstler flüchtete man ins Museum, um an den dort mit dem Anspruch der Richtigkeit aufgebauten historischen Zimmern einen Halt zu finden. Dies fand im Wesentlichen seine Auswirkung in der mit dem Namen Schultze-Naumburg verbundenen Bewegung. Wie verwirrten aber die Museen noch mehr die allgemeine Geistesverfassung! Man versuche nur einmal, soweit das möglich ist, sich ein altes Zimmer, barock oder rokoko, mit allem vorzustellen, was die Zeit damals hatte: die schlechte Luft infolge fehlender Lüftung, fehlenden Badens, ganz entsetzlicher übelriechender Anlage der "Nachtstühle", infolge der deshalb nötigen starken Parfümierung, dazu Schnupftabak, Puder und - nicht zu vergessen - Ungeziefer (man denke z. B. an die Stängchen zum Läusekratzen unter den Frisuren der Damen!). Würde man alles sozusagen naturgetreu vorfinden können, so würde man bald alle Schwärmerei für die "schönen" alten Sachen vergessen. Und nun die letzte antiquarische Mode: fast jedes Heimat- und Ortsmuseum hat auch ein sogenanntes Biedermeierzimmer. Da sind immer im engen Raum viele Möbel aufgestellt und die Wände dicht voll Bilder gehängt, Stücke, die alle unweigerlich "echt" sind. Aber die Zusammenstellung ist alles andere. Man vergleiche die Biedermeierdarstellung einer Abendgesellschaft (Abb.2) mit einem solchen Museumszimmer! Keine Bilder, die Möbel kaum in Erscheinung tretend, keine Tischdecke, ein sehr einfacher Teppich, ebenso einfacher Vorhang am geschlossenen Fenster und keine Tapete - alles in größter Einfachheit, nach unseren Begriffen kahl und ungemütlich, gar nicht traut und hübsch und gar nicht "künstlerisch".

NeueWohnung2.gif (41617 Byte) Abb. 2 Schoppe, Abendgesellschaft in Berlin 1825


II     HISTORISCHER RÜCKBLICK

Der Blick ins Geschichtliche, der mit der Erwähnung der Museen eröffnet ist, mag noch ein wenig fortgesetzt werden. Man muß ja heute alles und jedes historisch beweisen. Allerdings wird man das nicht immer tun und einmal zu der Einsicht kommen, daß sich mit der Historie tatsächlich alles beweisen läßt, auch das Gegenteil von dem, was man für das unbedingt richtige hält, und daß das geschichtliche Bild eben unser Bild ist, d. h. ein Produkt unserer Wünsche und Neigungen, eben deshalb, weil es eine objektive Vorstellung vergangener Zeiten nicht gibt, so wenig wie es ein Verständnis für einen Menschen alter Zeiten gäbe, der plötzlich zu uns ins Zimmer träte. Hört das doch schon bei dem eigenen Großvater auf. Unsere abendländische Pietät ist eine eigene Sache: wir glauben, daß unser Leben mit dem Tode verschwindet, und so nehmen wir die Toten für tot, für erledigt. O nein, so simpel ist das Weltgeschehen nicht. In uns kreist das Blut unserer Vorfahren und in uns lebt auch ihr Geist, zwar alles dies auch nicht so sehr simpel. Und dieser Geist will nicht abstrahiert, nicht auf Flaschen gezogen sein, sondern er will leben, weiterleben, das will heißen: sich immer wieder wandeln. Die folgenden historischen Beispiele wollen also nur die Reinheit der Raumgestaltung zeigen, soweit sie ohne spätere Zutaten noch erkennbar ist. Wobei man ganz gewiß behaupten kann, daß keine Zeit so rein war, daß sie nicht auch alten Wust mit sich herumschleppte, was man leicht mit der Mehrzahl alter Bilder und Räume "beweisen" kann. Doch das geht uns nichts an; denn wir sind uns selbst die Hauptsache.

NeueWohnung3.gif (17469 Byte) Abb. 3. Fürstlicher Saal, franz. Miniatur, 15. Jahrh.

Abb. 3, eine französische Miniatur aus dem 15. Jahrhundert stellt einen fürstlichen Saal dar. Der Raum ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Nichts, die Menschen allein Alles, die vollendete Umkehrung unserer heutigen Behandlung des Innenraumes. Es soll nun hiernach nicht die große Reihe derartiger restlos "kahler" Innenräume fortgesetzt, sondern zu einer Zeit übergangen werden, die schon offensichtlich einen Niedergang der Raumausbildung bedeutet, der mit der italienischen Renaissance begonnen hat. Trotzdem zeigen z. B. die holländischen Interieurs noch eine große Einfachheit, eingestellt nach der damaligen malerischen Auffassung auf die Wirkungen des Lichtes, das die Menschen in den Vordergrund rückte.

NeueWohnung4.gif (137074 Byte) Abb. 4. Janssens, Wohnraum um 1650

Das bekannte Bild von Janssens (Abb. 4) ist interessant, weil dort die Bilder an den Wänden in Harmonie mit dem Fußboden und den Fenstern nicht als Naturausschnitte (wofür sie zu hoch hängen), sondern als Aufteilung der Wände durch Rechtecke verwendet worden sind. Selbst die Spiegelung des Fußbodenmusters im sonst schlecht angebrachten Wandspiegel, sowie die Form der Stühle läßt dies erkennen, Momente, die in der neueren holländischen Innenarchitektur zu finden sind, wovon später die Rede ist.

NeueWohnung5.gif (59443 Byte) Abb. 5. Adam-Raum in Adelphi, London

Wenden wir uns zur Empirezeit, so zeigt sich selbst dort noch meisten, daß in dieser sonst schon etwas unklaren Periode der Raumauffassung doch der Raum selbst mit seiner architektonischen Ausbildung die Hauptsache war. Die Möbel treten immer zurück und trotz mancher Kleinlichkeiten im Schmuck wird die Person des Menschen noch nicht unterdrückt.
Die zierlichen altenglischen Adammöbel begreift man aus der Aufstellung, wie sie Abb. 5 aufweist. Die völlige Bildlosigkeit der Wand und die helle klare Tönung der Wand und Decke unter Zurücktreten des Schmuckwerks stellt an das einzelne in diesem Milieu aufgestellte Möbel die höchsten Ansprüche, welche jene Zeit mit großer Finesse zu erfüllen wußte.

NeueWohnung6.gif (17498 Byte) Abb.6. Zimmer in Rothenburg o. d. T.
NeueWohnung7.gif (34898 Byte) Abb. 7. Ansitz Reineck im Sarntal (Südtirol) Ende 15. Jahrh

Abseits von dieser überfeinerten Kultur zeigt das Mittelalter eine äußerst kräftige, fast derbe Gestaltung des Raumes, die jedes Möbel zu einer Winzigkeit herabdrückte und deswegen eine Möblierung in unserem Sinne ausschloß. Bei Abb. 6 ist sozusagen die Außenarchitektur an den Fenstern in das Innere des Zimmers verlegt, eine Erscheinung, die oft in alten Zeiten zu finden ist. Vor diesen Fenstern würde die moderne Hausfrau bei der Anbringung von Gardinen, Übergardinen, Lambrequins usw. in Verzweiflung geraten. Die Bauernstube (Abb. 7) ist in ihrer Holzarchitektur so kräftig zusammengefaßt, daß alle die Kleinigkeiten des täglichen Gebrauchs in dieser Einheit aufgehen und ebenfalls die Person des Menschen nicht vernichtet wird. Auch die Bauernbetten haben vielfach eine äußerst strenge Gebundenheit der Holzarchitektur, welche die Ornamentik restlos zu einem unlösbaren Bestandteil in sich verschmilzt. Es ergibt sich daraus, daß die Frage des Ornaments überhaupt nicht als eine besondere Frage zu betrachten ist. Abb. 8, ein Hausflur, soll die für unsere Begriffe brutal kräftige Raumbehandlung der Gotik zeigen, die oft auch durch die gewölbten Wohnzimmer und -säle in Klöstern und Ordensschlössern stark übertrumpft wird.

NeueWohnung8.gif (28648 Byte) Abb. 8. Flur, Mitte 14. Jahrh.

Wenn die nächsten Beispiele zum Orient übergreifen, so ist es selbstverständlich, daß die Wohnsitten infolge des Klimas, der Religion usw. auf die Gestaltung der Räume eingewirkt haben. Aber es ist hier nicht meine Aufgabe, eine Kulturgeschichte zu schreiben, sondern lediglich kurz zu zeigen, wie trotz verschiedenartiger Gewohnheiten des Lebens und trotz der verschiedenen Formen, Größen und Höhen der Wohnräume doch die eigentliche Raumauffassung überall gleich ist. Die noch erhaltenen Räume alter Kultur in Mesopotamien z. B. mit jenen für das dortige Klima notwendigen Höhen, lassen darauf schließen, daß auch hier wie im abendländischen Mittelalter eine Möblierung in unserem Sinne unmöglich ist, weil sie kleinlich und nüchtern gegenüber dieser Größe der Raumauffassung erscheinen muß. Höchstens Gelegenheitsmöbel, Divane und dergl. sind hier denkbar. Aus der vorwiegend liegenden Körperhaltung des Orientalen im Zimmer ergibt sich eine besonders reiche Ausstattung der Decke. Sie wird selbst in einfacheren Häusern aus Holzvertäfelung hergestellt, in der oft aufgesetzte Ornamente mit Spiegelstückchen in Sternen und anderen Formen angebracht sind. Hierin spiegeln sich die farbig verglasten Fenster, und das Auge des Ruhenden wird nicht abgelenkt, sondern durch kahle weißgetünchte Wände gesammelt. In diesen Wänden befinden sich einfache Nischen zum Abstellen von Geräten, die Wände selbst haben oft eine nur dezente Bemalung und die fast einzigen Möbel stellen die Divane dar. So sind die Räume noch heute z. T. in Klein-Asien, Palästina, Nordafrika, Mesopotamien, Arabien, so weit sie sich erhalten haben. Eine solche reichere Deckenausbildung zeigt Abb. 9, Abb.10 die Wand einer Oda, eines Wohnzimmers in Bagdad, das zum Innenhof geht. Diese Wand sieht ebenfalls genau wie eine Außenwand aus und auch hier wäre wie bei den gotischen Beispielen das Anbringen von Gardinen und Bildern eine ungeheure Absurdität.

NeueWohnung9.gif (26194 Byte) Abb. 9.Wohnzimmerdecke
NeueWohnung10.gif (20700 Byte) Abb. 10. Wohnzimmer in Bagdad (nach Reuther, Das Wohnhaus in Bagdad und Iran)
NeueWohnung11.gif (46667 Byte) Abb. 11. Palazzo Davanzati in Florenz, Zimmer im 2. Stock

Eine Einteilung in Schlaf- und Wohnzimmer kennt das orientalische Haus wie das japanische nicht: man wohnt und schläft je nach der Jahreszeit in den verschiedenen Stockwerken oder auch auf dem Dach, in Bagdad früher sogar in Kellerräumen, wenn es sehr heiß war. Diese Wohnräume waren mit Gewölben übermauert, die streng architektonisch und konstruktiv, aber mit äußerster Feinheit ausgebildet waren, jedenfalls so, daß sie alles andere als "gemütliche" Wohnräume darstellten. Auch hier wird die Ausstattung mit heutigen Überflüssigkeiten zur Unmöglichkeit. In den osmanischen Wohnhäusern des Balkans findet man heute noch die weitgehendste Verwendung großer eingebauter Schränke in den Wänden. Die italienische Renaissance kannte im Wohnraum ganz und gar nicht das, was man später aus ihr gemacht hat. Man muß heute geradezu ihre Ehrenrettung vornehmen. Abbildung 11 ist ein Wohnzimmer im zweiten Stock des Florentiner Palazzo Davanzati, also kein Hauptraum der Wohnung. Aber welche Größe und Einfachheit des Ganzen, wie einfach und frei stehen dort die Möbel. Das Bild spricht ohne Erklärung für sich. Man beachte die einfache Eingangstür, die kleine Wandnische.

NeueWohnung12.gif (29290 Byte) Abb. 12.Italienischer Klappenschrein

Im mohammedanischen Orient ist die Bilddarstellung verboten; deshalb taucht die Frage des Bildes dort gar nicht auf. Hier aber kann sie mit Recht aufgeworfen werden, da die italienische Renaissancekunst überreich an bildhaften Darstellungen in der Plastik und Malerei war. Die Antwort gibt Abbildung 12. Derart war am Anfang der Renaissancezeit das einzige Bild im Wohnzimmer. Die Mutter Gottes als großes umfassendes Symbol (Erde und aufgehende Sonne) genügte dem Italiener der Frührenaissancezeit. Er wird es nur geöffnet haben, wenn er davor betete; sonst ließ er die geistigen Ströme nicht auf sich einwirken, damit sie ihm nicht unheilvoll werden konnten. Vielleicht lag in der Unkontrollierbarkeit bildlicher Einwirkungen die Ursache für das Verbot Mohammeds und Moses von bildlichen Wiedergaben überhaupt. Und hierin liegt ein Faktor, der auch uns zu denken geben muß. Es ist allein mechanisch durch Pendelversuche erwiesen, daß von jeder künstlerischen Darstellung, auch von Reproduktionen ganz bestimmt differenzierte Strömungen ausgehen. Und es ist recht blamabel für uns, daß wir es erst glauben, wenn es uns mechanich augenscheinlich wird. Unsere Nerven sind dadurch, daß uns überall Bilder aller Art anstarren, daß wir sie vor uns, im Rücken und zu den Seiten an den Wänden, ja auch auf dem Schreibtisch haben, und dort dazu noch Puppen aus Bronze und sonstigem Material, so abgestumpft, daß wir ihre Wirkungen nicht mehr spüren. Das Abbild muß als eine aktive Geistesäußerung angesehen werden; deshalb müssen wir ihm immer aktiv gegenüberstehen und dürfen uns im passiven Zustand nicht seinen Wirkungen aussetzen, da diese dann unheilvoll werden können. (Es wird, nebenbei gesagt, von gewissen tibetanischen Malereien behauptet, daß sie grob physisch krank machen, Magenleiden hervorrufen und dergleichen.) Jedenfalls leuchtet der Zusammenhang, des Bildes mit dem Gebet aus allen diesen Gründen ein und, wo man ihm nicht in gesammelter Haltung wie in Kirchen und Tempeln entgegentritt, dort ist größte Vorsicht am Platz; deswegen der Klappenschrein im italienischen Zimmer, und weiterhin entsprechend der größeren Nachlässigkeit gegen die Wirkungen der Bilder die zunehmende Unklarheit des Wohnraumes und der Wohnsitten, d. h. der Gesamthaltung des Menschen. Heute gibt es jene religiösen Ursachen zum Anbringen von Bildern nach diesem Vorbild nur selten; man braucht deshalb nicht auf Bilder, Photos, Plastiken usw: zu verzichten, aber man soll sie unsichtbar verwahren und nur dann hervorholen, wenn man sie betrachtet, wobei es ganz gleich ist, welchen künstlerischen Wert sie haben. Aber abgesehen von solchen psychischen Gründen ist es durchaus barbarisch, die geglättete, gestrichene oder sonstwie behandelte Wand eines Raumes zu vernageln und sie durch Bilder ihrer Eigenschaft des Raumabschließens zu berauben, auch wenn man solche Bilder an Schnüren hängt. Auch hieraus ergibt sich ein Moment, das nicht bloß die Kosten des Haushalts, sondern auch die täglichen Arbeiten der Hausfrau ganz wesentlich einschränkt. --

NeueWohnung13.gif (3059 Byte) Abb.13. Venezianisches Schlafzimmer um 1450(Abb. 11-18 nach F. Schottmüller,
Wohnungskultur und Möbel der italienischen Renaissance,Verlag J. Hoffmann, Stuttgart)

NeueWohnung14.gif (2613 Byte) Abb.14. Venezianisches Wohnzimmer um 1450

Abb. 13 u. 14, ein venezianisches Schlaf- und ein Wohnzimmer um 1450, zeigt noch deutlicher die einfache Wohnungseinrichtung jener Zeit. Im Wohnzimmer nur ein Heiligenbild, sonst an den Wänden wie zu beiden Seiten des Bettes die Truhen, worin damals Kleider und Wäsche aufgehoben wurden, die Fenster ganz schlicht mit Ausblick auf die Landschaft, im übrigen die Räume ganz leer und der Mensch das Wesentliche in ihnen. Abb. 15, eine Wunderheilung in einem einfachen Schlafzimmer: der Raum so schlicht, daß wirklich nichts anderes in ihm ist als das Bett und unter ihm die Truhen, und alles dies in rein zweckmäßiger und klarer Ausbildung, die Wände völlig nackt. Man möchte meinen, daß sich nur in einem solchen Raum eine Wunderheilung vollziehen könnte.

NeueWohnung15.gif (54678 Byte) Abb. 15. F. Pesellino, Schlafzimmer in Florenz um 1450(Wunderheilung)

Wie zweckmäßig und gut jene Zeit die Möbel gestaltete, sieht man beispielsweise aus Abbildung 16: der bekannte Scherenstuhl, äußerst selbstverständlich in der Form und sehr praktisch für den Gebrauch, leicht wegzustellen und bequem. Abb. 17, Arbeitstisch und Arbeitsraum von Theologen und Gelehrten: ebenso selbstverständlich und klar gebaut ohne jeden formalen Aufwand. Der Hieronymus auf dem Hochsitz inmitten architektonischer Hallen, streng konzentriert und er selbst mit der äußeren Haltung, die seiner geistigen entspricht. Das Podium seines Arbeitsplatzes löst sich durch Bogen vom Boden ab, vielleicht ein weiterer Hinweis auf seine geistige Haltung.

NeueWohnung16.gif (13409 Byte) Abb.16. Ital. Scherenstuhl um 1500
NeueWohnung17.gif (32590 Byte) Abb.17. Antonello da Messina, S. Hieronymus im Studierzimmer,1479
NeueWohnung18.gif (47957 Byte) Abb. 18. Paolo Ucello, Kaufladen um 1450 (Predellenbild)

Abb.18 ist ein einfacher Kaufladen um 1450, der mit äußerster Strenge nur räumlich mit Fußboden, Decke und Wänden gestaltet ist. Diese räumliche Strenge einer vergangenen europäischen Epoche verbindet sich mit einer noch lebendigen Wohnkultur im Fernen Osten, in Japan, wo sie hoffentlich nicht durch den neuen Aufbau des Landes nach dem Erdbeben verloren geht. Man sollte wünschen, daß die Japaner versuchen, die Kultur ihres Wohnhauses auf die neuen feuerfesten Materialien wie Eisenbeton zu übertragen und weiter zu entwickeln. Gewiß liegen hier Sitten und Verhältnisse vor, die uns sehr fremd sind; trotzdem können wir aber für die Raumauffassung, man möchte sagen, alles von ihnen lernen. Das japanische Wohnhaus wird bekanntlich ohne Mauern errichtet, d. h. nur auf Pfosten, zwischen die in Rillen auf dem Boden und oben die Wände je nach Bedarf eingeschoben werden, und zwar nicht bloß die Innenwände, sondern auch die Außenwände. Es gibt keine Fenster, sondern die Außenwände sind zum Teil mit Papier bespannt, das ein sehr mildes diffuses Licht in die Räume bringt. Das Haus kann in viele Räume geteilt werden, ebenso wie es im Sommer in eine völlig offene Halle verwandelt werden kann. Dies ist für uns nicht das Wesentliche, wohl aber die Tatsache, daß der Japaner grundsätzlich gar keine Möbel in seinem Wohnraum hat, wenn er sie nicht braucht.

NeueWohnung19.gif (51195 Byte) Abb. 19. Raum des "Shinden von Sanboin", Daigoji

Sie sind dann in besonders eingebauten geräumigen Wandschränken verwahrt, ähnlich wie vielfach auch im osmanischen Orient. Da er auf dem mattenbelegten Boden sitzt und dort auch die Matratzen zum Schlafen hinlegt, so beschränkt sich der Möbelbedarf aufs Äußerste und es bleibt der schlichte, leere Raum frei. Daß er sich aber nicht verleiten läßt, diesen Raum durch Dekoration zu zerstören, zeigt z. B. Abbildung 19, ein Interieur eines reicheren Hauses: die offizielle Bildnische (Tokonoma, Hausaltar) für das einzige im Raum bei besonderen Anlässen aufgehängte Bild, daneben die Nische für das Teegerät. Die Wände im übrigen zwischen äußerst gewähltem Holz ganz zart, und höchstens mit leicht hingehauchter Malerei. Abb. 20, ein kleiner Wohnraum, nach den gleichen Prinzipien, aus dem 17. Jahrhundert. Die Zartheit und Zurückhaltung der Farbe und die Verschmelzung der zarten Farben mit den großen, aber milden Licht flächen steht in Einheit zu der Keidung des Japaners.

NeueWohnung20.gif (46966 Byte) Abb. 20. Wohnzimmer des Tempels Shinju-an, Yamashiro

Wie er leuchtend farbige Kissen auf den Boden legt, so sind seine Gewänder von farbiger Seide. Dieser Mensch ist in seinem Raum vollkommen er selbst und betont dies aufs nachdrücklichste durch Schlichtheit der Formen und Farben des Raumes und durch Hervorhebung seines Gewandes. Nach der Taoistischen Philosophie bleibt das Wohnhaus nichts weiter als eine Hütte für vorübergehenden Aufenthalt, worunter das Leben zu verstehen ist, in Erinnerung an die einfache Bambushütte, die sich der Vorfahr schuf. Deswegen zur Mahnung daran im Teehaus der bestimmt ausgewählte und unbearbeitete Baumstamm als Pfosten. Hierbei wäre zu fragen, ob wir für uns das Gleiche hinsichtlich der Farbe anwenden können. Die Voraussetzung wäre die farbige Kleidung; da diese aber nicht plötzlich zu schaffen ist und deswegen eine Maskerade bliebe, so würde für uns aus dem japanischen Vorbild analog zu schließen sein, daß zu unserer vorwiegend unfarbigen Kleidung farbige Wände gehören. Und es ist Tatsache, daß ein grau oder schwarz angezogener Mensch vor einer reinen Farbenfläche körperhafter erscheint als vor einer grauen, und das noch mehr bei unserer Verwendung des Glases anstelle von Papier. Es wird hinsichtlich der Farbe sozusagen die Umkehrung der japanischen Verhältnisse für uns richtig sein und das klare Zusammenstoßen von Farbenflächen der Decke, der Wände und des Bodens entsprechend dem Flächencharakter unserer Gehäuse, die nicht als Rahmenbau wie in Japan errichtet sind. Aus diesem Zusammenklang von Mensch und Baum wird sich das Gleichgewicht ergeben, das psychisch zu wünschen ist.


III     DIE NEUE BEWEGUNG

Im ersten Abschnitt wurde erwähnt, daß die neue Gestaltung der Wohnung von einer anderen Seite als der rein ästhetischen herkommt, und es ist Tatsache, daß alle diejenigen, welche in dieser Richtung arbeiten, ob es Architekten oder Maler sind, in erster Linie an das Wirtschaftliche und Praktische denken, für die Maschine ein besonderes Interesse haben und im übrigen das Ästhetische ganz als Nebensache ansehen. Da aber die ausschließliche Beschäftigung mit dem Praktischen besonders für die Hausfrau auf die Dauer öde wird, so soll hier noch ein wenig bei den Gefühlsdingen verweilt werden. Eins, meine Damen, ist jedenfalls Tatsache: wenn aus einer Wohnung nach strengster und rücksichtslosester Auswahl alles, aber auch alles, was nicht direkt zum Leben notwendig ist, herausfliegt, so wird nicht bloß Ihre Arbeit erleichtert, sondern es stellt sich von selbst eine neue Schönheit ein. Der Mensch muß immer die Einheit schaffen, die seiner natürlichen Anlage entspricht, und dabei ist es selbstverständlich, daß es ein bloß Praktisches oder ein bloß Schönes eigentlich nicht gibt; man spricht nur getrennt von jedem, um sich eines sprachtechnischen Hilfsmittels zu bedienen. Im Grunde genommen gibt es nur eine Sache, die nicht verschiedene Seiten hat, sondern deren jede Seite wie bei einer Kugel gleichzeitig alles enthält. Wenn man also von der zweckmäßigsten Einrichtung der Küche sprechen würde, so würde man schon zu gleicher Zeit eigentlich auch von der Klarheit und Übersichtlichkeit des Schlaf- und Wohnzimmers reden. Danach braucht man also auch keine Furcht zu haben, daß hier, wie leider schon sonst zu viel, wieder einmal eine Formel oder ein Dogma aufgestellt werden soll, dessen Verallgemeinerung diktatorisch verlangt wird. Das Generalisieren wird hier überhaupt abgelehnt. Es wird darnach die Leserin angenehm berühren, daß keiner einzelnen Wohnung etwa wieder ein neuer Stil aufgezwungen werden soll, sondern daß für alle persönlichen Neigungen der weiteste Spielraum offen bleibt. Im Grunde wäre das Ästhetische eigentlich erledigt und man könnte nun nur von den wirtschaftlichen Dingen sprechen. Es soll aber nach dem historischen Rückblick noch ein wenig fortgesetzt werden, um auch in der äußeren Erscheinung das heutige Wollen anzudeuten. Im Wesentlichen lag dies in der Auswahl und der Schilderung der alten Beispiele schon eigentlich enthalten. Man kann wie bei allen guten Dingen dabei nur von den Eigenschaften sprechen, die sie nicht haben; positiv läßt sich, wenn eine Sache für gut gehalten wird, eigentlich nicht viel mehr sagen, als daß sie eben gut ist. Die Begründung dafür bleibt immer negativ: d. h. man kann nur das aufzählen, was nicht zur Sache gehört, also fortfallen soll. Die neue Bewegung, die wir der "Gewaltigen Bewegung" seit dem Aufkommen des Kunstgewerbes in den 50 er, 60 er Jahren gegenüberstellen wollen, kennt nichts, was dem Raum seine Eigenschaft als Raum nimmt, läßt also danach fast alles fort, was die Kunstgewerbezeit herbeigeführt hat: Gardinen, Stores, Übergardinen, also Vorhänge, die über den Zweck des Vorhanges an Menge und Umfang hinausgehen, ferner alles, was die Wand in ihrer Eigenschaft vernichtet, wie in der Hauptsache Bilder, Spiegel und plastischer oder sonstiger angeschraubter oder aufgesetzter Schmuck. Die Tapete mit ihrer Borte wird sehr kritisch angesehen, einmal weil es barbarisch ist, ein Muster willkürlich abzuschneiden was bei der Tapetenkleberei nicht zu vermeiden ist, und sodann, weil jede Wand im Raum zum Licht, zur Tür und auch sonst nach ihrem Aufbau eine verschiedene Bestimmung hat, die ein schematisches Herumkleben der gleichen Tapete und der gleichen Borte ausschließt. Die übliche Tapete mit der weißen Decke über der Borte tritt etwa so auf, als wäre sie ein ringsherumlaufender Zaun; daß das hineinschneidende Fenster, die Tür und dergl. sie zerstört, wird uns erst heute klar. Sehr sonderbar ist noch das Vorstellen von großen und kleinen Kastenmöbeln vor eine reiche Tapetenmusterung. Wenn solche Möbel nicht zu vermeiden sind, so liegt es nahe, die Wand in Verbindung mit ihnen auszubilden, da sie ja wegen ihrer Unbeweglichkeit ein Teil von ihr sind (entartete Wandschränke). Bei den Möbeln wird jede Verzierung abgelehnt, jede Profilierung, die nicht aus der Funktion des Möbels, seiner Bestimmung abgeleitet ist. Das Ornament wird mit größter Vorsicht betrachtet, man kann sagen: mit Ehrfurcht, weil wir heute wissen, daß die Ornamentik Symbolsprache sein muß, in gewissem Sinne eine heilige Schrift. Diese läßt sich nicht ersinnen und erfinden, sondern sie ist immer die Schöpfung der menschlichen Gemeinschaft, die sich im Ornament eine allgemeingültige und allgemeinverständliche Sprache schafft. Die überlieferten Symbole sind für uns auf ein winziges Minimum von Verständlichkeit zusammengeschrumpft; es wird vielleicht nicht allzulange dauern, bis sich neue Symbolzeichen bilden. Das Wesen der Maschine, die Industrie ist schon in gewissen Zeichen (Fabrikmarke u. a.) ausgedrückt - man darf bei diesen Dingen aber nicht drängen, sondern muß ihnen den Boden bereiten, weil sie von Stellen auftauchen, von denen man sie gewöhnlich nicht erwartet. Daher ist für uns heute der anständigste Zustand unserer Umgebung die vollkommene Klarheit und Fleckenlosigkeit; denn beispielsweise ist ein auf ein Kissen gesticktes Ornament, mag es noch so künstlerisch und sorgfältig ausgeführt sein, vorläufig nur ein bloßer Fleck, der sich eigentlich von selbst abwischt, da mit diesem Zeichen für uns nichts auch nur über den kürzesten Moment hinaus Bleibendes ausgedrückt wird, ganz abgesehen von der Frage, ob überhaupt ein Kissen oder ein Pantoffel oder ein Teewärmer oder Decken und Deckchen für Tische und Tischchen der geeignete Platz für eine wirkliche Symbolik sind. Die Handarbeiten des Stickens, Häkelns mit all den tausend nervenruinierenden Abarten sind nicht bloß überflüssig, sondern angesichts der sauberen maschinellen Produkte oft sogar von geringerem Wert als diese, soweit diese nicht im Sinne der Kunstindustrie das Handwerk nachahmen. Handgewebte Stoffe u. dergl. sind hierbei nicht zu Handarbeiten zu rechnen, da sie eine Angelegenheit des Gewerbes darstellen; über die Vorzüge handgewebter Stoffe vor den maschinellen ist natürlich nicht zu streiten. Das Gleiche läßt sich auf viele andere Betätigungen von Kindern und jungen Mädchen anwenden, auf die Schnitz-, Laubsäge-, Kleb-, Flecht-, Malarbeiten usw., die alle nichts weiter als atavistische Spielereien sind und dazu noch das Gerümpel des Haushalts vergrößern. Das Gleiche gilt auch von dem disziplinlosen Anwachsen des Kinderspielzeuges, das mit gutem Grund einen Hauptärger der Hausfrau bildet. Man sollte die Kinder durch Belohnung mit einem neuen Spielzeug selber dazu bringen, jährlich die Hälfte des alten selbst zu beseitigen. Das bei diesem Punkt vielleicht getroffene Mutterherz mag bedenken, daß die Mutter die Kinder von einem höheren Gesichtspunkt aus als dem des Weinens über eine alte verbrannte oder verschenkte Puppe zu mancherlei zwingen muß, was den Kindern auch nicht sofort gefällt, z. B. das tägliche Waschen. Und Aufräumen ist nichts anderes als eine andere Form der Reinigung.

NeueWohnung21.gif (70452 Byte) Abb: 21. Klaarhamer: Schlafzimmer

Die Reihe alles dessen, was aus der Wohnung verschwinden kann, wird die Leserin aus ihrer reichen Erfahrung beliebig Fortsetzen können; der Verfasser selbst ist, was diese Erfahrung betrifft, nur ein Mann. - Die aufbauenden Elemente ergeben sich daraus ganz von selbst: die Auswahl der Materialien je nach ihrer besten Zweckerfüllung für Boden, Wände und Decke, die eventuelle Verwendung einer Tapete, wenn sie besondere Vorteile bringt, z. B. als Wachstuchtapete, die man abwaschen kann, die Frage des Anstrichs, der bei größerer Billigkeit aus der geputzten Fläche schöner wirken kann als eine Unitapete, und alles Weitere, was der vernünftige Architekt verwendet, um den Raum als solchen zur Geltung zu bringen. Auch die Möbelfrage erledigt sich dann sehr leicht; jedenfalls tritt die Frage des Stils und der Form sehr in den Hintergrund.

NeueWohnung22.gif (70743 Byte) Abb. 22.Klaarhamer: Schlafzimmer

Einige Beispiele mögen ungefähr die gemeinte Richtung angeben. In Deutschland war es vor dem Kriege wohl hauptsächlich Heinrich Tessenow; dessen Absichten auf Vereinfachung und Übersichtlichkeit der Räume ungefähr nach dieser Richtung gingen. Gewisse lyrisch-novellistische Elemente müssen als Nebenschwingungen jener Zeit mit in Kauf genommen werden. Heute ist in Holland, dem augenblicklich fortschrittlichsten Lande des architektonischen Schaffens, einiges Wertvolle zu finden. Im Schlafzimmer von Klaarhamer (Abb. 21 u.22) ist der Waschtisch besonders gut gelöst, der Raum selbst wie eine Kabine auf das geringste Maß zurückgeführt. Der Maler V. Huszar, welcher die Wandbehandlung dieses Raumes sowie die Studie für die Umgestaltung eines vorhandenen Zimmers (Abb.23) entworfen hat, benutzt zur Herbeiführung der Harmonie von Möbeln und Decke und Wänden die nach Bewegungsmomenten verteilten verschiedenfarbigen Rechtecke, ein Motiv, das, wie schon erwähnt, in den altholländischen Interieurs (Abb. 4) bei der Hängung der Bilder vorherrschend war.

NeueWohnung23.gif (78861 Byte) Abb. 23 V. Huszar: Umgestaltung eines vorhandenen Zimmers

In dem Sprechzimmer eines Arztes in Maerssen bei Utrecht von Rietveld vertieft sich der Raum durch eine einzige Kreisform an der Wand (Abb.24.). Die Möbel (wie die Lampe) zeigen höchst einfach die Elemente ihres besonderen Aufbaues; vorn eine Stellage mit Glasplatten für die ärztlichen Instrumente. Abb. 25, ein Klubzimmer des Verfassers aus dem Ledigenheim in Schöneberg (1920), gibt den Versuch zur Einheit von Raumform und Raumfarbe, indem sich aus der Deckenspirale Farben in dezenten Abstufungen über Decke und Wände hinausbreiten. Abb. 26 u. 27 ist die Umgestaltung eines Doppelschlafzimmers von Otto Bartning, derart, das die Ruhelager zur Vermeidung von gegenseitigen Störungen durch längeres Lesen usw. zwar auseinanderliegen, ohne daß aber der räumliche Zusammenhang gestört wird; deshalb eine durchsichtige Glaswand und -tür zwischen beiden Raum, teilen. Die Räume aus dem Hause am Horn, das das Weimarer Staatl. Bauhaus im Jahre 1923 erbaut hat, zeigen Elemente, welche denen der holländischen Einrichtungen verwandt sind (Abb. 28-31). Das photographische Atelier Berssenbrugge im Haag (Abb. 32) vom Architekten Jan Wils ist ein Beispiel für eine streng sachlich-konstruktive Lösung des Raumes, der eine sehr schöne Fassung für die sich darin aufhaltenden Menschen bildet. Gewisse japanische Einflüsse (Tokonoma) sind äußerst geschickt verarbeitet. Abb. 33, 34 u: 35 geben die Ausstattung von Räumen eines einfachen Landhauses nach Angabe des Verfassers in einem vorhandenen Hause. Es handelt sich dabei um die schlichtesten einfachsten Räume, die dem in der Nähe der Stadt befindlichen ländlichen Leben der Bewohner völlig entsprechen. Die Räume enthalten nicht mehr als hier dargestellt ist, außer, daß bei dem Arbeits- und Wohnzimmer zur deutlichen Wiedergabe des Raumes die Lampen weggelassen sind. Diese bestehen wie die Lampe im Schlafzimmer, das wegen der danebenliegenden Ankleide- und Kleiderkammer ebenfalls als Arbeitszimmer benutzt wird, aus einfachen selbstgefertigten Drahtrahmen mit farbigem Seidenpapier. Die Wände und Decken sind in klaren ungebrochenen Elementarfarben gestrichen, die Tönung in ihrer Stärke etwa in dem Verhältnis wie auf den Zeichnungen angegeben, welche nach der Natur angefertigt sind. Die Möbel sind nicht neu; sondern stammen aus einem Haushalt der Familie aus den 80er Jahren; sie sind lediglich ihres Beiwerks aus jener Zeit der Troddeln, Muschelaufsätze u. dergl. entkleidet, das Holz ist; trotzdem es Naturholz war, überstrichen worden, teils schwarz, teils in anderen Tönen.

NeueWohnung24.gif (32355 Byte) Abb. 24. Rietveld: Sprechzimmer Dr. med. H. in Maerssen b. Utrecht
NeueWohnung25.gif (123888 Byte) Abb. 25. Bruno Taut: Klubzimmer im Ledigenheim der Siedelung Lindenhof in Berlin - Schönberg Ausmalung von Franz Mutzenbecher
NeueWohnung26.gif (3288 Byte) Abb. 26. Otto Bartning: Umgestaltung eines Doppelschlafzimmers
NeueWohnung27.gif (3345 Byte) Abb. 27. Grundriß zu Abb. 26.
NeueWohnung28.gif (63390 Byte) Abb. 28. Staatl. Bauhaus Weimar: Wohnzimmer im Haus am Horn

Man könnte fragen, wie in einer solchen schlichten Umgebung die Möbel sein sollen. Diese Frage beantwortet ungefähr Abb. 36 - 39 mit einigen Möbelzeichnungen des Verfassers aus dem Jahre 1920, welche nicht etwa die Möblierung der ldealwohnung bedeuten sollen, sondern die Anpassung an die bis jetzt unveränderten Verhältnisse der gewöhnlichen Mietswohnung. Der Stuhl (Abb. 38) ist lediglich auf Festigkeit und Bequemlichkeit des Sitzes (auch Leiste für Hocksitz) sowie leichte Handhabung berechnet worden. Für das Wohnzimmer (Abb. 36) ist das Büfett so konstruiert, daß der obere leichte Teil, der die gleiche Höhe hat wie der untere, auch als Anrichte auf den Boden gestellt werden kann. Der Bücherschrank mit herausschiebbaren Seitenfächern, wenn die Bibliothek anwächst und das Sofa in einfachster Weise als Ruhebett benutzbar.

NeueWohnung29.gif (65240 Byte) Abb. 29. Bauhaus Weimar: Arbeitsnische im Wohnzimmer

Zu erwähnen ist noch, daß das schwierigste Möbel, der große Schlafzimmerschrank (Abb. 37), aus zwei Teilen konstruiert ist, dem einen für die Kleider, dem anderen für die Wäsche, womit eine leichtere Anpassung an etwa schwierige Raumverhältnisse der Wohnung möglich ist. Es würde sich empfehlen, weitere Teile anzufertigen, die nur ein Drittel des Wäscheschrankteiles enthalten, also einzelne kistenartige Schrankteile, die man truhenartig aufstellen oder auch übereinander setzen kann. Die Schrankfrage hängt enger mit der Frage des Wohnungsbaues zusammen, über die später zu sprechen ist. Diese wenigen Beispiele mögen genügen, um die Richtung anzudeuten und gleichzeitig zu verhindern, daß irgend eine falsche Verallgemeinerung daraus gemacht wird.

NeueWohnung30.gif (43044 Byte) Abb. 30. Bauhaus Weimar: Kinderzimmer, Eßraum, Küche
NeueWohnung31.gif (41890 Byte) Abb. 31. Bauhaus Weimar. Küche im Haus am Horn
NeueWohnung32.gif (133197 Byte) Abb. 32. Jan Wils: Photogr. Atelier Berssenbrugge im Haag
NeueWohnung34.gif (63457 Byte) Abb. 33. Bruno Taut: Wohnzimmer nach Westen, 1919 Wände weiß, chromgelb, mattblau in großen Flächen, Decke englischrot, Fußboden grau und schwarz, Matte grün-grau, Möbel schwarz, Kredenz bunt

Man muß schon deutlich sein, um sich überhaupt verständlich zu machen. Deshalb sollte aber nicht gleich jede Einzelheit so angesehen werden, als läge in ihr der Anspruch auf bedingungslose Verallgemeinerung. Im Gegenteil kommt es nur auf die Gesamtauffassung an, soweit sie wirklich allgemeinen Charakter hat. Alle Einzelheiten müssen völlig frei und wandelbar bleiben; denn gerade die Wohnungseinrichtung hängt von einer großen Menge von Imponderabilien nicht allgemein festlegbaren Dingen ab. Wenn die Richtung als solche klar ist, so findet sich in jedem einzelnen Falle die ihm entsprechende Lösung im Wesentlichen durch den Einfluß der Frau, deren Schicksal entscheidend davon bestimmt wird.

NeueWohnung34.gif (63457 Byte) Abb. 34. Bruno Taut: Sprech- und Schreibzimmer,1919 Decke, Möbel, Stoffe und Fußbodenumrahmung schwarz, Fußbodenfelder weiß, blau, gelb, schwarz, Wände blau, rot, gelb, grün, grau, braun

Es kann vielleicht noch gefürchtet werden, daß diese Beispiele alle auf ein zu primitives und puritanisches Leben zugeschnitten sind. Dabei muß gesagt werden, daß sie erfahrungsgemäß den verwöhnten Großstädter beim Besuch wie ein erfrischendes Bad berühren. Ein soziales Element ist aber wichtig: die Wirkung des Vorbildes geht nicht von unten nach oben, sondern umgekehrt. Das Dienstmädchen putzt sich gern so heraus, wie es die Dame tut, und der Arbeiter kann in seinem Heim nicht bürgerlich genug werden. Deshalb mag ein Beispiel als eines von vielen den Fall luxuriöser Ausstattung nach diesen Prinzipien darstellen. Gerade hier ist das individuelle Moment noch viel stärker als vorher. Deshalb ist zunächst der Grundriß für ein reicheres Landhaus bei Berlin nach dem Entwurf des Verfassers abgebildet (Abb. 40). Der Grundriß zeigt neben der Mittelhalle oben einen großen Musiksaal neben dem Wintergarten mit Türen nach der Gartenterrasse, anstoßend daran das Herrenzimmer, dann das Damenzimmer und dann das kreisrunde Eßzimmer, an welches sich der Wirtschaftsflügel anschließt.

NeueWohnung35.gif (113225 Byte) Abb. 35. Bruno Taut: Schlafzimmer, 1919 Decke und schräge Wände ultramarinblau und königsrot senkrechte Wände orange, Säule schwarz. Fußboden hell- und dunkelbraun

NeueWohnung36_1.gif (400696 Byte) Abb. 36. Bruno Taut: Wohnzimmermöbel 1920
NeueWohnung37_1.gif (149386 Byte) Abb. 37. Schlafzimmermöbel

Zur Erläuterung sei gesagt, daß die lnnenwände (schraffiert) alle als Glasprismenwände projektiert sind; und zwar so, daß sie das Licht der dahinterliegenden Räume durchschimmern lassen und reflektieren, ohne ein Durchsehen zu ermöglichen. Wie ungefähr die Wirkung solcher weißen Wände aus dicken Glasprismen ist, ersehe man aus der Glastreppe im Glashause, das ich in Köln 1914 gebaut habe (Abb. 41).

NeueWohnung38.gif (4050 Byte) Abb. 38. Stuhl

Das in Abb. 42 dargestellte Speisezimmer hat nur solche Glaswände; die Öffnung nach der Halle könnte unverschlossen bleiben, da die Gespräche einer reinlichen Umgebung kein Abschließen nötig machen. Das eigentliche raumgestaltende Element ist die Lampe. Sie wirft wie eine Theaterkegellampe einen Lichtkegel auf die Tischrunde, der genau durch eine Mattglasplatte aufgefangen wird. Die zweite Mattglasplatte hat einen genau dem Lichtkegel entsprechenden Ausschnitt und dient dazu, den Blick in die Lampe hinein zu verhindern. Die Decke bilden Glasplatten in ringförmiger Abstufung von Farben, von oben als Raumlicht beleuchtet. Der Tisch hat eine Marmorplatte (ohne Tischdecke), der mittlere Teil ist zur Weitergabe der Platten nach bekanntem System drehbar Die dreibeinigen Stühle haben Lederbespannung, der Fußboden kann Linoleum, Korklinoleum, Steinholz oder dergl. sein.

NeueWohnung39.gif (3005 Byte) Abb.39. Lehnstuhl

Das darüberliegende Schlafzimmer der Eltern (Abb. 43) umfaßt den gleichen Raum, nur ist ein Teil des Kreises für den Korridor der Personalräume abgeschnitten. Über diesen Korridor soll eine Entlüftung nach den Außenwänden gehen, so daß diese Kippfenster mit den gegenüberliegenden im Sommer frischen Durchzug geben. Unter den letzteren, die Rolläden haben, eine Balkontür. Nur eine kleine Tür führt in den Raum von den Ankleidezimmern und dem Bad her, welcher nur im Schlafanzug betreten wird. Die Betten und die Chaiselongue auf einer Stufe, welche mit Eisbärfellen ausgeschlagen ist, die Chaiselongue und der übrige Bodenteil mit Grislybärfellen. Die Felle werden rein als Material verwandt ohne jene barbarische Verwendung der aufgerissenen Mäuler und Tatzen. Bettdecke und Wandbespannung (hier keine Glaswände) von blanker Seide, letztere so, daß die Bahnen zwischen den Leisten in ihrer Farbe je nach Wunsch ausgewechselt werden können. Die Nachttische sind einfache Glasplatten, exzentrisch drehbar, so daß sie auch über das Bett zum Frühstück u. dergl. herübergezogen werden können. Der mittlere Deckenteil könnte so eingerichtet werden, daß er im Sommer geöffnet wird mit dem Blick in den Sternhimmel.

NeueWohnung40.gif (1840 Byte) Abb. 40. Erdgeschoß eines Landhauses.

Wie gesagt, sollen auch diese Räume nicht als allgemeines Vorbild gebracht werden; denn ein solches aufzustellen, wäre nicht bloß anspruchsvoll, sondern auch Unsinn. Sie sollen nur zeigen, worauf etwa der Spitzentyp der Tendenzen dieser Schrift hinauslaufen könnte, auf eine Einfachheit, die sich mit dem raffiniertesten Luxus verbindet. Nur daß dieser Luxus nicht im museumshaften Aufstapeln liegt, sondern in der möglichst klaren und reinen Darstellung der Elemente. Daß auf diesem Wege schon fast eine Symbolik, eine Bedeutung der Raumform und ihrer Glieder erreicht wird, mag Sache des subjektiven Empfindens sein. Jedenfalls ist der Kreis gleichzeitig auch der Ausdruck für eine Geselligkeitsform, ebenso wie das Rund des Ruheraumes, das sich an die ebene Fläche mit Quadraten anschließt, gewisse Deutungen nahelegt.

NeueWohnung41.gif (160806 Byte) Abb. 41. Bruno Taut: Treppe im Glashause, Werkbundausstellung Köln 1914
NeueWohnung42.gif (6267 Byte) Abb. 42. Bruno Taut: Eßzimmer
NeueWohnung43.gif (4592 Byte) Abb. 43. Bruno Taut: Schlafzimmer

Zu all diesen Beispielen, auch den alten, sei noch gesagt, daß der gute Raum sich eigentlich gar nicht als Bild darstellen läßt; denn alle seine Beziehungen, allein schon zur Sonne, werden erst deutlich, wenn er uns umfängt, besonders aber Fühlen wir es erst im Raum selbst, in welchem Grade er uns wirklich aufnimmt und mit Ruhe erfüllt. So könnte man fast das Paradox wagen: je besser das Bild des Raumes, aufgenommen sozusagen durch ein Guckloch von außen, umso fragwürdiger der Raum selbst; denn der gute Raum ist ohne die Bewohner nichts und "leer". Er wird erst etwas, "voll" und fertig durch die sich darin aufhaltenden Menschen. Doch wie soll man sich ohne Darstellung bei diesem so differenzierten Thema verständlich machen, wie soll man sonst eine Vorstellung erwecken!
 
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