Ein Klick auf das Druckersymbol startet den Druckvorgang des Dokuments Drucken
 
Autor: Trzeschtik, Ludwig
In: Allgemeine Bauzeitung - 51 (1891); S. 4-6, 13-14,  20-22, 27-29, 37-41 (Schluss)
 
Die Prinzipien der Baukunst: Nach Idealität und Theorie einerseits, nach realistischer Praxis anderseits *)
 
Studie von L. Tržeschtik, Architekt

I. Die Prinzipien drücken das wahre Wesen einer Sache aus, sind die Grundpfeiler desselben und gehen aus der Logik der Thatsachen, der Empirie, den Ergebnissen des Fortschrittes und des theoretischen Forschens, ferner aus den Eigenthümlichkeiten der Zeit, des VoIkes, sowie dessen Kult hervor und werden durch die allgemeine Erkenntniss ihrer Richtigkeit und Wahrheit oder mindestens ihrer Angemessenheit zu Kanons. So ist es auch in der Kunst, und von der wir hier vornehmlich sprechen, in der Baukunst. Oft aber ergibt sich, dass diese Erkenntniss nicht aus der Nothwendigkeit, nicht aus der richtigen Quelle entspringt, sondern Opportunitäts-, Mode-, Geschmacks- oder selbst Täuschungssache ist. Auf diese Weise erspriessen aber dann nicht die wahren Prinzipien, sondern nur Scheinkategorems, Deceptivkonklusionen, Paralogismen. Damit aber die Prinzipien den Geschmack und die Phantasie richtig leitende, das Kunstschaffen dauernd belebende sein und bleiben können, muss vermöge der richtigen Erkenntniss, auch die Form der Prinzipien gegen alle Anfechtungen, von welcher Seite immer, behauptet werden können; nur so wird dann die allgemeine Kunstidee gewonnen *),weIche allen Inhalt der zeitgenössischen Kunstmomente in sich zu konzentriren vermag und somit befähigt ist, als höchste Kunstangelegenheit von Allen gleichmässig erfasst zu werden, von Volk wie von den Künstlern. Das ist nun nicht immer der Fall, besonders in der Neuzeit nicht.
Das Verhältniss der intelligenten, kunstaufnahmsfähigen Welt zum Prinzipienkomplex der Künste, schafft das ästhetisch-künstlerische Interesse auch an der Baukunst, ja bedingt es; die Alten hatten dieses Interesse ungetrübt und unverfälscht; ob dies bei uns auch der Fall ist, wird sich wohl Jeder, wenn nur halbwegs unbefangen, leicht selbst beantworten können!
_____
*) Da vorliegendes Journal ein Weltblatt ist, welches von Stockholm bis Kapstadt, von Texas bis Melbourne und von Moskau, Berlin bis Newyork gelesen wird, so ist auch in vorstehendem Aufsatze in dieser mehr allgemein berührenden Sache der Weltstandpunkt gewahrt und berücksichtigt; ausserdem betrifft die vorliegende Diskussion nicht allein die Baukunst, sondern es ist auch vielfach das Bauwesen berührt.
_____
**) Vorliegendes Thema berührt vielfach ästhetische Thesen, die ihrer endgültigen Fassung bis jetzt vergeblich harrten, die Künstler wie Laien wollen dermalen von Aesthetik nichts wissen; die Kunsttheoretiker und Philosophen werden nicht früher wieder sich Gehör verschaffen, bis sie nicht ihre Aufgabe (Herstellung einer feststehenden Aesthetik) naturwissenschaftlich zum Theil erfassen, und dann erst kunstwissenschaftlich ! Zuerst Studium der Schriften Brücke`s, Helmholz, Zimmermann`s und Anderer, wobei auch die älteren manchen guten Wink geben. Vischer, Salzer etc.


Und doch verlangt man, dass das Volk in seiner Masse (vergleiche später) Interesse an der Kunst haben soll ! Wie ist dies möglich? Nur durch die Praxis, Empirie, durch historische Reminiszenzen, durch Schmeichelei seiner Eigenliebe, durch Aufstellung gewisser Relationen zum Kultus etc., denn von der ästhetischen Erziehung des Volks, von welcher Goethe, Schiller, Herder, Uz, Th. Munds, A. Ruge und Andere träumten, spricht man vielleicht in tausend Jahren, wenn die Welt bis dahin noch steht. ……Durch die bezeichneten Momente gewinnt man allerdings Anhaltspunkte, aber keine ästhetisch-wissenschaftlichen, objektiven, sondern mehr subjektive Geschmacksnormen, unterstützt und bestimmt durch sekundäre Gefühlsmomente der Eitelkeit, der Ehre, des Ruhmes, des Nationalstolzes etc. Steht aber die Sache so, dann kann man nicht von wahren Prinzipien der Kunst, beziehungsweise der Baukunst, sprechen ! Es sind nur Surrogate ! ……Die Griechen hatten hievon keine Ahnung und selbst die prunkliebenden Römer, welchen ja der Staat Alles war, kannten derlei nicht, wenigstens in dem Umfange nicht, wie die Gegenwart *). Zu einer Wendung zum Besseren ist fast keine Hoffnung, denn zu wahren Prinzipien kann man nur kommen, wenn man im Besitze geläuterter, festbegründeter Anschauungen in einer Sache sich befindet, und das sind wir nicht; nicht in der Kunst, die ihre Grundsatzmäntelchen täglich nach dem Winde dreht man denke nur an die heillose Zucht in der heutigen Malerei, besonders in Frankreich, eine wahrlich haarsträubende Kunst-Anarchie — nicht in der Politik, nicht im gewöhnlichen Leben, nirgends — der Fluch des Bösen, dass es fortzeugend Böses muss gebären ! — Da aber der Teufel das Böse will und unwillkürlich das Gute schaffen soll, so ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass wir doch noch irgend einmal zu wahren Kunstprinzipien, also auch in der Baukunst, gelangen, wenn wir's ohne neue Spiegelfechterei noch einmal
 
*) Man sieht dasselbe Schauspiel auf aIIen anderen Gebieten ebenfaIls; in der Religion zum Theil in der Wissenschaft, in der Politik ganz ausserordentlich, in der Nationalökonomie, in der Pädagogik etc. Eine traurige Thatsache ! Wenn sich dann seinerzeit die gesellschafts- und weltverbessernden Doktrinen gewisser Sozialtheoretiker mehr und mehr verwirklichen sollten, so würde schliesslich, da doch nur mehr das nackte Bedürfniss massgebend wäre, die Kunst zum Handwerk herabsinken; bereits bläst in manchen Blättern der Wind von der Seite; es heisst die Augen aufhalten, um den Gefahren zu begegnen, und sie dennoch vor dem aufgewirbelten Staub und dem stinkenden, beissenden Nebel zu schützen !
(Vergleiche darüber später !)

zu Prinzipien überhaupt bringen, die uns einstweilen abhanden gekommen sind; jedoch von der blosen Möglichkeit bis zur Wahrscheinlichkeit ist es wohl unendlich weit, fürder noch unabsehbar *).
Die alte Baukunst und ihre Style hatten ein festes Prinzip der Gestaltung, welches zum Schema, fast zur Schablone zu werden drohte; die alten Baumeister und Architekten hatten es daher leicht und auch deswegen, weil die Aufgaben unendlich einfach gewesen sind, viel einfacher als heutzutage, ja selbst noch einfacher als in der Renaissance. Das Alterthum hatte nur Paläste, Theater und Tempel, später die Villen und Wohnhäuser reicher und wohlhabender Bürger und Würdenträger — Umgebung von Athen, Rom; Herkulanum und Pompeji etc. — Manches Schöne wurde geschaffen, wenn sich römische Prunkliebe und der edle griechische Geschmack die Hand zum Bunde reichten.
Das Hallensystem ist gemäss dem Prinzipe der damaligen Raumformgestaltung, das Säulensystem vice versa wieder gemäss dem Hallensystem und diese Architekturform der Säulen erlangte in ihrer Gestaltung die höchste Steigerung, welche nur möglich schien; oder könnte irgend Jemand schönere Säulen als die griechisch-römischen nennen? Es kann wohl zierlichere und interessantere Säulenformen geben — wofür die byzantinischen, romanischen und spätgothischen oder manche Renaissancesäulen Beispiele sind — aber schönere gibt es nicht ! Die Griechen und Römer haben aus ihrer Baukunst eben gemacht, was damals nach der Gesammtsituation nur immer gemacht werden konnte. Auch die Formprinzipien des romanischen und byzantinischen, sowie des gothischen Styles sind noch in engen Fesseln und Rahmen **). Burgen anfangs und wieder Burgen und nichts Besonderes mehr als diese; Burgen mit ihren Tyrannen, dann Klöster und Kirchen; endlich entfalteten sich, in Deutschland zumal, mehr und mehr die Städte, mit den Häusern der Patrizier, dem Kaufhaus, dem Tanzhaus, dem Rathhaus …… neue Formen ! Aber sie haIten sich Iange und drohen wieder zu krystallisiren und zur einseitigen SchabIone zu werden, …… überall zünftiger Zwang ! Es reiht sich in den Städten Giebel an Giebel, wie gegenwärtig in den Fabriksorten die sägeförmige Dächer …… Zwang ist's wohl, wie gesagt, aber auch Prinzip ! Das Rathhaus ist nicht mit der Kirche und nicht mit dem Wohnhaus zu verwechseln, auch nicht mit der Tanzbude und dem Kaufhaus, wenngleich auch hier noch aIIenthalben die HalIenanlage ***) durch- und vorschlägt, besonders in England. Da kommt das Sirenenthum, die Iockendverführerische Loreley der Renaissance, und man wirft die Prinzipien über Bord …… Va banque ! ……
»Was ist das für ein Gebäude?« frug man.
»Das ist ein königliches Palais!« Iautete die Antwort.
»Und jenes, welches diesem ganz gleich sieht, auch mit Kuppeln, Thürmchen etc.?«
»Das ist ein Museum«
»So !? Und jenes aber, das Dritte, das ist ja wieder ganz gleich, das ist doch sonderbar !?«
»Das ist das Opernhaus ! Ihr findet Euch doch gar nicht in die Zeit !……«
So war's zur Zeit der Hoch- und Spätrenaissance, und so war's wieder, als man in der Gegenwart die Renaissance wieder aufnahm !!
Es wiederholte sich dasselbe Frag- und Antwortspiel:
»Was ist denn das hier für ein Bau ?!«
 
*) Die Innenarchitekur, die Architektur der Interieurs, wie sie in neuester Zeit von manchen Architekten des In- und Auslandes gepflegt und gehandhabt wird (man sehe z. B. das neue Hoftheater in Wien von Semper & Hasenauer, die neuesten Bauten in Berlin, Paris, London etc.), darf uns durch ihre erdrückende Pracht und den Luxus nicht blenden; theils kranken viele dieser Leistungen an Ueberladung, theils an noch schlimmeren ästhetischen Fehlern und sind mit mehr kunstgewerblichen als architektonischen oder mit Hülfe der Schwesterkünste und allem Aufgebot von Prunk und Pomp eben Laien nur bestechende Detaileffekten hergestellt. (Vergleiche später !)
**) Besonders der gothische Styl bewegte sich bis zur Phase der Spätgothik in den strengsten, abgemessensten Formen, von welchen selten und wenig abgegangen wurde.
***) Schwache, sehr veränderte Reminiszenzen oder Anklänge an das Atrium der alten Griechen, Römer etc.
Allgemeine Bauzeitung 1891
 
»Das ist der Zentral-Bahnhof !«
»Und jenes, welches diesem ganz gleich sieht?!«
»Das ist die Zentral-Markthalle der Stadt !«
»Aber da steht ja noch ein drittes Gebäude, jenen beiden ganz ähnlich; was ist denn das?!«
»Das ist das königliche Zollgebäude!«
Bien ! Wir haben genug davon !
Die Jesuiten schmückten ihre Kirchen, damit die frommen Schäfchen ihrer Herde lieber hineingehen, theatralisch; aber die Engländer, welche sich mit der Renaissance lange gar nicht recht befreunden mochten, bauten Theater, welche einer Kirche so ähnlich sahen, wie ein Ei dem andern, nämlich im gothischen strengen Geschmacke; und in der Neuzeit sehen wir über dem Ozean drüben eine Akademie der bildenden Künste, die aussieht, wie ein geschmackvoller schweizerischer Meierhof, nur finden sich statt Szenen und Emblemen aus der Molkereitechnik auf den Wandfresken der Musen dreifache Dreizahl hochgeschürzt dargestellt; vielleicht ist's ein steirischer Ländler, den Terpsichore tanzt, und Klio bezeichnet getreu die Kurse der Ohio- und Eriebahn, oder die Fortschritte der Knights of Labour.
So wird seit dem Inslebentreten der Renaissance bis auf unsere Tage gegen die ästhetischen Prinzipien der Baukunst gesündigt. Des griechischen Tempels Aeussereś hat räumlich und gestaltungsformal seinem Inneren entsprochen; wir bauen hohle Kuppeln, die dem Innenraume nicht entsprechen, der eine Fehlkuppeldecke für sich hat; die äussere Kuppel ist nur Schein. Lassen wir uns aber einmal herbei, das Aeussere mit dem Inneren in Einklang zu bringen, so wird es siebenmal in zehn Fällen unschön !
Dies kommt zum Theile daher, weil die Anforderungen der Raumausnützung sich stets mehr und mehr kompliziren, verändern und was heute als gut und praktisch erprobt schien, wird morgen schon wieder verworfen, so dass die Architekten sich nie ein fixes Formschema bilden können, was jedoch den Architekten des Alterthums ein Leichtes war. …… Diese haben wohI auch nicht gIeich das »Ei des Columbus« entdeckt, sondern die Einfachheit und Einförmigkeit der Aufgabe, die SchabIone, machte sie so sicher und routinirt, dass sie schliesslich Ieicht in der Lage gewesen sind, die Raumformgestaltung auf`s denkbar Höchste zu entwickeln.
Auch, es mag in unserer Zeit oft sehr schwer sein, den Anforderungen, welche Kunstsinn und die leidige Praxis stellen, und die oft fast unvereinbar sind, besonders z.B. bei gewissen Bauten, wie Theater, Kirchen, Bibliotheken etc., möglichst ausgleichend zu entsprechen und die unversöhnlichsten Gegensätze harmonisch aufzulösen zu Aller Wohlgefallen; der beste Künstler muss sich aber unter dieses »caudinische Joch« beugen, umsomehr, als es ihn nicht schändet, sondern ehrt, denn es zeigt dies erst recht seine Grösse, sein Genie ! Es sind dies Gegensätze ebenso rein ökonomischer wie stylmässiger, materieller, politischer, schablonistischer, sachlicher, lokaler und persönlicher Natur, über die oft keine Brücke zu führen scheint, und doch muss ein Uebergang gefunden werden ! Sei`s mit dem »Luftballon der Phantasie«, oder dem »Tunnel der tiefsinnigsten Berechnung», oder schliesslich der »Schiffbrücke der Konvention«! Da steht freilich oft »Herkules am Scheidewege« zwischen den Verlockungen der Nothwendigkeit und Schablone, zwischen dem gleissenden Ruhme, über gewisse technische Schwierigkeiten phänomenal gesiegt zu haben, einerseits und anderseits zwischen der reinen Schönheit und den objektiven Kunstkanons *), den ewig und unverbrüchlichen Gesetzen alles ernstlichen und wahren Kunststrebens, und er weiss nicht, wohin er seine Schritte lenken soll; aber der rechte Künstler kann nicht lange im Zweifel sein, er weiss, wo die Grenze ist zwischen Bauwesen und Baukunst, er weiss auch, dass ersteres nur
 
*) Neuere Kunstschriftsteller wagen zu behaupten und es als allgemein anerkanntes Axiom hinzustellen, dass die Schönheits-Ideale wandelbar sind, weil die Schönheit nicht im Gegenstande liegt, sondern im Beschauer ! (Derselbe Unsinn wie die neue englische-französische Farbentheorie, nach welcher die Farben nur in unseren Augen entstehen durch äussere an sich variable Reize.) Dies ist falsch! Beweise, das dies falsch ist, sind die Meisterwerke der klassischen bildenden Künste Griechenlands, Roms, die Meisterwerke der Gothik und Renaissance, die Dichtkunst der Alten etc. Die Alten gefallen allen Völkern der gebildeten Welt und in allen Kulturzeiten.

zu oft, besonders in der Gegenwart, ebenso zum hohlen Virtuosenthume, wie zum unsauberen Sudelhandwerk ausgeartet ist, und damit genug.


II. Der Ursprung der Baukunst liegt, wie wir wissen, theils im Bedürfnisse, theils in einem nicht weniger bewussten Kunstdrange, welcher mit dem einheitlichen Schaffen und Form- oder Gestaltungsimpuls der Natur sehr verwandt ist; die Erzeugnisse der Natur und der Thiere sind ein Resultat eines dunkelwebenden Unbewussten; dieses Unbewusste *) lebt auch mehr weniger in allen Menschen; im Künstler aber steigert es sich zum genialen Drange phantasievollen idealen Schaffens unter der Aegide des klarsehenden Intellekts. Genie und Naturkraft sind also sozusagen Eines, nur die Mittel der Aeusserung, die Bedingungen des ganzen Gebahrens, die Grade der Intensität geistigen Impulses und des Bewusstseins dieses Schaffens sind verschieden. Die Gestaltungstendenzen und Formintentionen sind, nach sehr triftigen Belegen und Gründen, durch das ganze Universum dieselben und sie beleben und reizen analog, auch mehr weniger bewusst, die Organe der Phantasie, die Sinne, den Geist, das Gemüth im Menschen zur Prezeption. Diese Gestaltungsintentionen sind die unserem Geiste inhärenten idealen Naturgesetze in Bezug auf die Kunst; die realen Naturgesetze für die Baukunst sind jene der Schwere, des Gleichgewichtes der Kräfte, die Adhäsion, Kohäsion, Härte, Elastizität, Verhalten zur Wärme etc. Die idealen Naturgesetze stehen zu den Künsten der Malerei und Bildhauerei in einem viel umfassenderen, spezialisirteren Verhältniss, zur Architektur in einem mehr allgemeinen und zwar insoferne, als erstere ihre Vorbilder der Natur in erster und zweiter Linie, also mehr weniger direkt entnehmen, während die Architektur dies höchstens in sekundärer, gewöhnlich aber mehr in tertiärer oder quarternärer Weise thut und je mehr sich ein Styl in der Baukunst ausgebildet hat, desto mehr erscheint er auch von aller Naturimitation entfernt. Wenn also für die Künste der Malerei und Skulptur, trotz aller Idealität und Aesthetik, die Nachahmung der Natur, des Realen der äusseren Welt mehr weniger Hauptmoment, ja in manchen Kunstepochen Kunstzweck ist, so ist für die Architektur die schönheitliche und symbolisirende Herstellung des Raumes, der schöne Ausdruck seiner Bedeutung Hauptzweck und zwar ästhetischer Zweck, zum Unterschiede des rein technisch-praktischen Zweckes, des realen Bedürfnisses. Da wir hier ein vergleichendes Bild voll Schein und Wirklichkeit geben, so wird sich zeigen, dass häufig, wo wir berechtigtermaassen keuschen und hehren Idealen zu begegnen hoffen, nur die schnödeste Wirklichkeit uns frech entgegentritt, wie eine Phryne. Der schöne Ausdruck, die symbolische Andeutung der Raumverwendung, dies Entsprechen des ästhetischen Zweckes der Gebäude bedingt eine Idee; um diese Idee aber in's Leben treten zu lassen, sind verschiedene Gestaltungsformen nöthig und diese bieten uns baukünstlerisch die Stylarten, rein technisch aber die Konstruktionen, die sich natürlich trotz ihrer respektiven Priorität und relativen Ursprünglichkeit, mehr weniger jenen und gewissermaassen auch gegenseitig einander anbequemen müssen (sollen !), weil sie in wesentlichen Beziehungen zu einander stehen **).
Die Gestaltungsmomente sind nach dem Bisherigen daher folgende:
a) Styl; b) Konstruktion; c) Symbolische Formation im Allgemeinen; im Speziellen sind dann nachfolgende Momente zu berücksichtigen:

*) Vergleiche Hartmann's geniales Werk: »Philosophie des Unbewussten«. Berlin. (8.Auflage.)

**) Im Laufe dieser Abhandlung werden wir zur Einsicht gelangen, dass oft die Priorität dieser beiden Hauptmomente (stylmässige Gestaltungsformen und Konstruktionen) wechseln und noch mehr, sich die Herrschaft pro und contra gewaltsam aneigneten, so dass dadurch das künstlerische echte Schaffen sehr beeinflusst und beeinträchtigt wurde. Lauter Idealität ohne Praxis und Realismus führt ebenso auf Abwege, wie lauter Praxis und Realität ohne wahre Idealität.
(Vergl. Anmerkungen am Schlusse des ganzen Aufsatzes.)

A. Formalmomente: a) Grundformen; b) Längen- und Querformen; c) Höhenformen; d) Detailsformen; e) Dekorationsformen.
B. Reale Umstände, als: a) Vorhandenes oder besonders gewünschtes Baumaterial; b) Klima; c) nationale und spezielle Ansprüche.
Wir werden nun die einzelnen Gestaltungsmomente besonders vornehmen.
Ueber die Wahl des Styls bei einem Gebäude wurde schon oft und viel gestritten und diese Frage bildet noch immer und nicht selten den Gegenstand heftiger Kontroversen; es wird bei dieser Gelegenheit von jeder der streitenden Parteien immer viel Ieeres Stroh gedroschen, da Jedermann wohl das Recht hat seine Meinung frei zu äussern. Audiatur et altera pars ! Thatsächlich hat allerdings jeder Styl seine passende Verwendung, aber man wird einsehen, dass für eine katholische Kirche z. B. weder der ägyptische, noch der türkische oder maurische Styl passt, aber auch die Renaissance nicht, mit Ausnahme vielleicht der Frührenaissance; ebensowenig wäre die SchinkeI'sche griechische Renaissance hiefür recht geeignet; viel weniger als die römische, denn Griechenthum und Christenthum, besonders das römische sind weltenweit von einander entfernt *); im Römerthum hat sich wenigstens das Christenthum schon eingepflanzt und vorbereitet, es hat also mehr Relationen in kunsthistorisch-chronologischer Beziehung zum Christenthume, welches die Völker unwillkürlich geistig faszinirte und somit allmälig das morsche Götterthum, besonders der Römer, lahmlegte. Die Stylwahl richtet sich also nach dem Charakter des Gebäudes, und dies wird so lange währen, bis der vollgiltige, Weltkurs habende, völlig klassirte Zukunftsstyl gefunden sein wird, der allen Anforderungen entspricht, der »Stein der Weisen« in der Baukunst, den wir leider noch vergeblich suchen ! ……
Die Engländer besitzen einen solchen Styl, welcher universell ist und welcher nach allem Anscheine den Briten sehr zusagt, nämlich den gothischen Styl; in England baut man ebenso Kirchen wie Theater, Villen und Parlamentshäuser, Schlösser und Kasernen, Bibliotheken und Schulen, Rathhäuser und Hotels im gothischen Styl, wohl Beweis genug, wie es scheint, für die allgemeine Anwendungsfähigkeit desselben; es fehlt zwar nicht an anderen Stylen dort, aber jedesfalls überwiegt dort der gothische Styl bei weitem. (Den Franzosen, Russen, Italienern und einem grossen Theile unserer deutschen Zeitgenossen sagt aber der gothische Profanstyl als obsolet nicht zu; zu allgemeiner Verbreitung desselben sind also schlechte Aussichten !)
Bis jetzt ist der Kampf in der Stylfrage unter Anderem aus dem Grunde so heftig entbrannt, und es passt deswegen nicht jeder Styl für jedes Gebäude, weil eben in jedem Style auch gewisse Prinzipien liegen, ein Prinzip der Formen, der Symbolik, der ästhetischen Position etc., welche man nicht ignoriren kann, ohne gegen allen Geschmack zu verstossen und welche den Charakter des Styles ausmachen; die Prinzipien und der Stylcharakter haben daher auch ein gewichtiges Wort mitzusprechen, bei der Verschmelzung zweier verschiedener Style, welche nur ästhetischerseits gestattet werden kann, wenn die beiden Style verbindende Formalmomente (formale Elemente, quasi Leitmotive, wie in der Opernmusik) gemeinsam haben, wenn es gelingt, sie organisch auseinander hervorgehen zu lassen, das heisst wenn sie verwandt sind. (Fortsetzung folgt.)

*) Trotz dieses schwierigen Umstandes wollten Th. Mundt, A. Ruge , Goethe, Feuerbach u. A. die Forderung aufstellen, dass das Kunst- und Kulturstreben der Gegenwart und Zukunft dahin ginge, gemäss den Ideen des Realidealismus, das Christenthum mit dem Hellenenthume, also Geistesidealität mit sinnlicher Idealität, schönen Realismus und Formalidealität mit einander zu verschmelzen. Was wohl Rom dazu sagen möchte, zu diesen ketzerischen Intentionen und Insinuationen ? BannfIuch und Scheiterhaufen wäre die Folge, wenngleich nur schriftlich!...


DIE PRINZIPIEN DER BAUKUNST NACH IDEALITÄT UND THEORIE EINERSEITS, NACH REALISTISCHER PRAXIS ANDERERSEITS*
Studie von L. Tržeschtik, Architekt (Fortsetzung)

Im griechischen Style, wie überhaupt in der griechischen Kunst liegt mehr sinnliche Idealität und formal vollendete Schönheit, sowie die zarteste Ausbildung der statischen Formbedeutung; in der heiteren Naturanschauung der Griechen ist Geister- und Körperwelt zufolge ihres Polytheismus noch nicht geschieden; dem edlen, freien Griechen sind die ästhetischen Gesetze über den ethischen stehend, ja sie ersetzen diese sogar. Hier haben wir also das höhere, sinnliche und irdische Sein, einen naturalistischen Formalidealismus. Der Grieche lebte mehr äusserlich, in Formen, aber in schönen Formen, das heisst die ihn umgebenden Verhältnisse, Objekte, Menschen und Kunstgegenstände waren alle schön und die Schönheit der Form war auch sein Gesetz in allem Uebrigen, so im Leben wie in der Politik, selbst im Kriege, in der Krankheit, in der Liebe wie im Tode, in der Erziehung der Kinder u. s. f. Auf diese Weise konnte kein Konflikt entstehen mit einer rein geistigen Potenz; danach war nun auch die griechische Kunst ! Daraus spross der Klassizismus der griechischen Tempel, der griechischen Plastik. Die griechische Kunst war objektiv, formal, nicht reflektirend, nicht analytisch, sondern nur synthetisch …… Mit dem Eintritte des transzendental angehauchten Christenthums, welches unter Anderem viel vom Mosaismus in sich aufnahm *), kam jedoch merkwürdig genug auch der Geist des Zwiespaltes ! Die geistig-körperliche Differenzirung; die Zersetzung begann! Ihre Wurzeln zeigen sich schon theilweise im Römerthume, welches sich von der reinen hellenischen Formalschönheit in der Kunst, im Leben, in der Politik wie auch im Kultus etc. sichtbar entfernte.
Im römischen Style ist die Vorliebe für die effektvolle Realerscheinung, für Kraft, Freiheit, Weltbeherrschung; ausgeprägt; der Gewölbbogen bringt ein neues, sehr belebendes Formelement in die Baukunst, welches einen bedeutenden Umschwung der konstruktiven Fundamentalbasen der Baukunst zur Folge hatte; im Römerthume tritt mehr und mehr das Individuum zurück gegen den Staat; das Ideale verliert gegen das Reale; die Politik ist höher geschätzt als die Religion und Kunst ! Hier haben wir den reinen Formalismus, fast ohne idealistische Influktionen, aber als solchen noch immer in höchster Vollkommenheit. Die griechische und römische Kunst geben aber zusammen den antiken kIassischen Formalismus. Im Christenthume beginnt nun der exekrirende und exorzisirende Kampf zwischen alter Formalschönheit als Basis einerseits — (weil solche Sünde sei !?) — und der angeblich rein geistigen Schönheit andererseits, von welcher übrigens schon Plato visionirte, ferner der Kombination des Lebens und der entsagenden Tugend, der Kampf von Schönheit und Moral, Aeusserlichkeit und Innerlichkeit, Freude und Aszetik ! Allerdings siegte oft noch das Irdische wieder einmal, aber es war nur ein letztes Aufflackern; im Ganzen musste es endlich dem Anstürmen gegen allen Stoff, der fanatischen Verachtung alles sinnlich freudigen Lebens weichen. Was aber unterdrückt wird, sucht bald wieder die vorige Freiheit zu gewinnen; so oft sich Gelegenheit dazu ergab, platzte die zurückgehaltene Sinnlichkeit los …… aber die griechischen Grazien waren indessen längst auf und davon gelaufen, so blieb denn meist nur die Rohheit zurück …… (AItchristIiche Kunst; die Baukunst und Plastik schufen nur Plumpes und Fades, Schablonenhaftes; die Malerei desgleichen, besonders befangen in einer merkwürdigen Einseitigkeit der Form- und Farbengebung).
Der geschilderte Zwiespalt zwischen Geist und Form, dem geistigen Makrokosmus und dem stofflichen Mikrokosmus, der

*) Was alle in die betreffende Literatur Eingeweihten trotz der modernen antisemitischen Zeitströmung bestätigen werden; andererseits staunen die Gelehrten über die fabelhaften, sinnberückenden Anklänge und Aehnlichkeiten des christkatholischen Glaubens mit dem Buddhismus und Brahmaismus (Vergleiche Schopenhauers Werke u. A.)
Allgemeine Bauzeitung 1891

Ausdruck der konstanten Ueberschwänglichkeit und des kraftstofflichen Kontrastes ist das, was man Romantik, Romantizismus nennt; romantische Momente und Elemente gab es zwar schon im Alterthume, aber man datirt den Romantizismus als charakteristische Kulturperiode hauptsächlich vom Beginne des Mittelalters; er erreicht im romanisch-byzantinischen Style eine relativ hohe und zugleich sehr schöne Stufe im formal-charakteristischen Werdeprozesse; aber es ist noch immer verhältnissmässig meist nur eine hübsche Raupe; erst in der Gothik erreicht er volle Vergeistigung, die höchste Spitze; es entpuppt sich der prächtige und zierliche Schmetterling …… Im romanischen Style ist ein Uebergangsstadium ausgedrückt; die mystischen Kulturanschauungen, die religiöse Schwärmerei einerseits, mit ritterlicher Mannheit, mit Trotz und Festigkeit im Bunde, begleitet von zartem Minnewesen im Ritterthume und grobsinnlichen Manifestationen im Volke andererseits, die Derbheit der Völker in sinnlicher wie geistiger Beziehung, das Gefühl physischer Kraft, die höchste Potenz kirchlich-patriarchalischen Lebens, das allmälige Aufkeimen der Wissenschaften und Künste, des freien Bürgerthums, alles dies findet nach und nach Ausdruck in diesem Style; es blicken noch die Spuren der Antike durch, aber in formaler Umbildung und endlicher Versteifung; zugleich kündigen sich aber auch bereits die Momente abstrakten geistigen Aufschwunges des Volkes an, der sich vorderhand freilich nur in den Kreuzzügen Luft zu machen weiss. Hiermit ergeben sich die ersten Stadien des romantischen Realidealismus, der aber noch stark in den Banden des Formalismus und Naturalismus steckt; ein Resultat der Vorgährung in den Volkselementen, welche sozial noch nicht einig sind.
Der byzantinische Styl, besonders mit Polychromie, erinnert sehr an den Orient und dessen Eigenthümlichkeit, er hat etwas Sonderbares, Märchenhaftes in sich, es ist wie ein architekonischer Traum; er ist theatralischer als jeder andere fast.
Im gothischen Style bricht endlich das geistige Element vollends durch und die Form beugt sich der religiös beeinflussten Phantasie zunächst allerdings in einseitiger kirchlicher Richtung, aber auch schon mit der erwachenden Sehnsucht, mit mehr weniger bewusstem Drange nach irdischer und geistiger Freiheit, wodurch auch die Formen bald von einseitigen Schemen befreit wurden, und der Styl in das Fleisch und Blut der Völker überging.…… Die Gothik sprengte alle Fesseln der bis dahin geltenden statischen und architektonischen Fundamentalsätze, stellt andere dafür auf und bereichert die Baukunst mit neuen Formen und Konstruktionen. Alles strebt in der echten, reinen und kirchlichen Gothik nach aufwärts und in ihr prägt sich der vollste Gegensatz zum griechischen Style aus; in jenem Style verkörpert sich der überwiegende VertikaIismus, in diesem (letzterem) der reine Horizontalismus; die Form geht fast in der Bedeutung auf, der gothische Styl steht auf der höchsten Stufe der romantischen Klassizität in der Baukunst *).
Die darauf folgende Renaissance, die sich nicht allein auf die Baukunst, sondern auf alle Künste ausdehnt **), ist ein

*) Aus dem Gesagten leuchtet auch die Schwierigkeit, den romanischen KIassizismus mit dem antiken zu verschmelzen, noch mehr ein, doch darf man nicht verzweifeln; vielleicht gelingt es der Zukunft, sich dem ersehnten Ziele zu nähern, oder einen Ausweg zu finden. Es darf auch nicht bei dieser Gelegenheit verschwiegen werden, dass sowohl die Form des Spitzbogens, wie so manche Gliederungen des gothischen Styles — was auch mehrfach beim byzantinischen Style der Fall war — aller Wahrscheinlichkeit nach orientalischen Ursprunges zu sein scheint; die christlichen occidentalen Baukünstler fanden die passende Konstruktion dazu. Diese Anklänge sollen von den Kreuzzügen her datiren.

**) Auch auf die Wissenschaften und das Leben erstreckte sich die Renaissance und machte hier ihre Einflüsse geltend; allerdings dauerten die Flitterwochen dieser Ehe nicht lang.

Versuch der Verschmelzung der Antike mit dem Christenthum, ein schöner Traum, ein Nebelbild, welches immer wieder neu auftaucht, wenn eine politische, religiöse oder soziale Zersetzungsphase neue Gasblasen aufgeworfen hat. In der Renaissance, sollte man nun glauben — weil sie als eine radikale Regeneration nach jeder Richtung angesehen und ausgegeben wird — würde der Kulminationspunkt erreicht, der Druck der klerikalen Macht abgeschüttelt, Wissenschaft und Künste würden frei !?? Es kam ganz anders !! Selbst in Italien, von wo die sogenannte »Wiedergeburt« (Renaissance) ausging, wurde doch vorzüglich noch immer kirchliche Kunst geübt und gepflegt, in zweiter Linie stand die Kunst im Dienste der Nobili; die Päpste kerkerten die Männer der Wissenschaft noch immer ein, die Inquisition blühte und trat viel schändlicher auf, als Türken und Heiden je aufgetreten waren, in Frankreich waren der katholische toleranzlose Adel und der Klerus Alles (Hugenotten, Bluthochzeit !); nur in Deutschland hatte die religiöse Freiheit mehr Spielraum, aber viel besser ging es ihr auch nicht; der Volkswohlstand konzentrirte sich im hausgesessenen Bürgerthume und in den Patriziern der Städte; wie gesagt, es kam Alles anders, als man sich's von der Renaissance erwartete und wie es von ihren modernen posterioren Aposteln unverfroren gepredigt wird. …… Die Umbildung in den Künsten, besonders der Baukunst, geschah nicht im Geiste der Gothik und im Sinne der Weiterentwickelung derselben *), sondern ohne und gegen dieselbe, und zwar durch die heidnische Antike !! Der Dom Petri in Rom im Style derselben Ungläubigen, welche die Christenverfolgungen in demselben Rom inszenirten !! O ! Ironie der Geschichte !!! ... (Fortsetzung folgt.)

*) Eine Partei legte ihr das Symbol zu Grunde: höchster Aufschwung des Geist- und Freiheit unter gesetzlichem Schutze; die Andere aber: höchster Aufschwung des Kirchenglaubens und Triumph — der Hierarchie ! — Man wähle nach Geschmack! — [Die erstere Parole stammt von den mittelalterlichen (freimaurerischen) Bauhütten, letztere Parole aber von den Pfaffen und ihrem Anhange.]


DIE PRINZIPIEN DER BAUKUNST NACH IDEALITÄT UND THEORIE EINERSEITS, NACH REALISTISCHER PRAXIS ANDERERSEITS*
Studie von L. Tržeschtik, Architekt (Fortsetzung)

Aber diese formale Umformung der Kunst, respektive der Baukunst, fand oft statt in sehr übelverstandener Maske; und wenn diese täuschend war, war's doch nur Maske. Man bewegte sich im Kreise; der angebliche Aufschwung war ein Rückschritt, denn man suchte die Formen für die neue Weltanschauung im — AIterthume !! Ja, man thut sich noch etwas darauf zu Gute ! So war denn bald die künstlerische, wie die sonst so pfiffige und scharf geschliffene klerikale Logik recht heidnisch-sophistisch auf den Kopf gestellt; die ersten altchristlichen Kirchen hatten ganz die Formen der altheidnischen Gebäude und zur Zeit der Hochrenaissance und des gräzisirenden Napoleon- und Imperialstyls war's wiederum nicht anders; die Jesuiten bauten die katholischen Kirchen in den Formen der Tempel der von ihnen in jeder Predigt verfluchten Heiden; man riss die alten Tempel nieder, benützte deren Bautheile, als: Säulen, Stufen etc. und baute daraus katholische Kirchen, oder man ging weniger rigoros vor, warf die herrlichen Marmor-Kunststandbilder des Zeus, der Juno, der Vesta oder der Venus vom Altare oder aus den Nischen, stellte christliche Heilige aus schlechtem Sandsteine in gräulichster Faktur dafür hinein, weihte den heidnischen Tempel ein, baute ein Küsterhäuschen und Thürmlein daran, und der katholische Tempel war fertigt ! Es lebe das Prinzip !
In der Renaissance, als einem durch und durch oktroirten und subjektiv stark beeinflussten Baustyle haben wir den modernen antikisirenden Formalismus gewonnen, der im Anfang sich allerdings zu schönen, künstlerischen Manifestationen aufschwang, aber bald auch ausartete zu beziehungsloser Willkür und in Hyperformalismus.
Nach dem Ietzten Aufflackern der Renaissance, die aus den perrückenhaften Zierrathen und dem Reifrock falscher baukünstlerischer Gesetze und Prinzipien schliesslich nicht herauskam, begann eben der Kult der Vernunft und de facto: das Jubiläum der grossen französischen Revolution wurde im Schatten des EiffeIthurmes gefeiert, nicht aber auch das Jubiläum der Vernunft ! Leider wurde in jenen wüsten, terroristischen Zeiten mit allen Künsten aufgeräumt; man kopirte die Griechen im Kostüme — Gräzizismus der Mode bei den Frauen, Sanskülottismus — man entlehnte denselben die phrygische Mütze — Jakobinermütze — als Symbol der Freiheit, aber von den griechisch-ethisch-ästhetischen Maximen wollte man nichts wissen und nur die Rohheit, die Blutdürstigkeit, der Kanibalismus führten schliesslich das Szepter, bis es ein Stärkerer — NapoIeon I. — den Blutmännern aus den Händen riss…… Unser Zeitalter ist weder griechisch, noch romantisch; es passt also genau genommen auch die Renaissance als sogenanntes Schönheitspflästerchen nicht auf die geschminkten Wangen unserer Zeit; sie ist nur ein Betäubungsmittel, ein Narkotikum; sie schmeichelt in der Baukunst wie im Kunstgewerbe unserer Prunkliebe und der — Lüge; ja, so ist es ! Wir lügen uns selbst damit etwas vor, wie ja unser ganzes modernes Sein verhüllt und unwahr ist *).
Nach diesen Grundzügen der Style kann man dieselben leicht auch in Bezug auf ihre spezielle Verwendbarkeit betrachten und es ist nur noch beiläufig zu bemerken, dass der gothische Styl am ehesten durch Aufnahme weltlicher Prinzipien und Formalelemente selbst ganz weltlich werden kann — (als gothischer Profanstyl) — und dass diese Eigenschaft mehrweniger auch dem romanisch-byzantinischen Style zukommt; alle zwei respektive

*) Dies spricht sich in Allem nur zu deutlich aus ! In unserer Kleidung z. B.; wir lieben entweder scheinheilige, unschöne Verhüllungen, oder tendenziöse, realistische Enthüllungen, Alles im Gegensatze zum antiken Wesen; in unseren Reden und Gesinnungen, die ganz von Jesuitismus, Nihilismus etc. durchtränkt sind, in unserer Firnisskultur, selbst in unseren Staatsformen und politischen Affairen überall und immer findet sich nichts als Schein.

drei Baustyle sind sehr universell. Die Renaissance jedoch steht historisch und wesentlich im Widerspruche mit allen Kultusanforderungen, besonders jenen des Katholizismus und sie vermag gar keine geistig-idealen Elemente in sich aufzunehmen, weil sie, in der Basis der Renaissance, das ist in der Antike, einfach nicht liegen *); man muss sie darauf gewaltsam pfropfen; die Renaissance schöpft aus der Antike zu direkt und unvermittelt; sie müsste also erst etwa die betreffenden Formen vom gothischen Style borgen, oder der Kultus müsste sich Formen und Anschauungen zuwenden, welche dem griechischen mehr kongenial werden, was ebenfalls nicht zu gewärtigen ist, denn mit dem Kult würde sich naturgemäss auch das ganze soziale Leben ändern, alle Anschauungen und Bedürfnisse, mithin auch vice versa alle Kunst. Dieses Gefühl des Universalitätsmangels der Renaissance mag wohl auch in der Neuzeit viel dazu beigetragen haben, die sogenannte deutsche Renaissance oder gothische Renaissance zu rehabilitiren; aber man zäumte das Ross beim Schweife auf und nahm den Zopfstyl und das Barokko für gothische Renaissance !! Dies ist nun entweder Schwindel oder ein krasser Fehlgriff.
װו. Der Styl bestimmt allerdings schon im Allgemeinen die Konstruktion, doch nicht absolut; am ehesten ist dies bei der Gothik der Fall und bei der mehrweniger reinen Nachahmung der griechischen Baustyle; aber nur die kirchliche Gothik ist präzise in ihren Konstruktionen, die Profangothik ist bedeutend liberaler; noch liberaler ist der romanisch-byzantinische Styl, am liberalsten aber die Renaissance; dennoch dürfen die Konstruktionen und die Stylformen auch in der Renaissance einander nicht widerstreiten, weil sonst naturgemäss entweder eine Stylwidrigkeit oder eine Konstruktionswidrigkeit produzirt würde. Dabei muss aber auf einen Umstand aufmerksam gemacht werden, nämlich, auf die in neuerer Zeit so häufig auftretende Prädominanz der Konstruktionen **), besonders nach aussen hin, und ihren beschränkenden Einfluss gegenüber den Anforderungen stylvoller Schönheit in Haupt- und Detailformen. Hierbei stellt sich der betreffende Baukünstler immer ein Armuthszeugniss insoferne aus, als er beweist, dass er nicht im Stande ist, das Reale mit dem Idealen zu verbinden, letzteres durch ersteres zu gestalten. Ich habe diesen Uebelstand schon bei verschiedenen Gelegenheiten berührt; nirgends dürfte diese Eigenthümlichkeit der Konstruktionsdominanz so stark auftreten, als bei mehreren und gewissen Bauten in Paris, Wien, München etc. Es hat sich auf diese Weise eine ganz merkwürdige Formaltechnik herausgebildet, die auch ihren Einfluss auf die Gesammtgebahrungen des künstlerischen Schaffens im Gebiete des Bauwesens unverfroren geltend macht und es entwickelte sich ein erkünstelter morphologischer Architekturprozess, welcher zwar auch Prinzipien zeigt, aber keine primären, ästhetisch-künstlerischen, sondern sekundäre Opportunitäts- und praktische Prinzipien.
Die Wahl der styletären und symbolischen Haupt- und Detailformen, als der zunächst zu besprechenden Gestaltungselemente, muss, wie schon erwähnt, passend sein; so soll z. B.

*) In der Regel bekümmerte sich die alte und neue Renaissance nicht um eine zeitgemässe Modifikation der antiken Bauformen, sondern man kopirte nach Gutdünken und Laune, wie's eben kam !

**) Es ist dies eine Sünde gegen die doch sonst (theoretisch !) so hoch gehaltene Würde und Selbstständigkeit des ästhetischen Zweckes und es wurde schon Manches dagegen geschrieben; hieher gehören die geschmacklosen eisernen Säulchen, welche schwere Theatergalerieen tragen, sie genügen dem Techniker, aber keineswegs dem Künstler, weil ihre Dimensionen in keinem Verhältniss zum Ganzen stehen; ebenso hässlich sind oft die in grossen Sälen anzutreffenden eisernen Plafondbalken von Meter zu Meter mit den Flachgewölben darüber etc.

also eine Kirche keinem Theater, dieses aber keiner Kirche gleichsehen, und etwa eine Handels- oder gewerbliche Akademie nicht einem ganz prosaischen Fabriksgebäude. Abwechslung in den Höhen- und Querformen (respektive Grundformen) ist sehr angenehm, aber sie darf sich nicht in Dissonanzen bewegen, das heisst die Differenzialität darf nicht so gering oder so stark (respektive) sein, dass formale Differenzen und arge Proportionalitätssünden entstehen, ähnlich jenen in der Musik und Chromatik. Hierher gehören die sogenannten »Verschneidungen«. Aber auch wenn dies nicht der Fall ist, so darf die Qualitätsdifferenz, an sich selbst angenehm, nicht quantitativ belästigen, das heisst zu häufig auftreten; man bemerkt dies an vielen modernen Bauten Wiens; im Parterre sieht man z. B. kleine rechteckige Stallquerfenster, darauf im Mezzanin etwas grössere Fenster im Flachbogen, dann in der ersten wieder halbmezzaninartigen Etage kleine, viereckige Fenster; darüber erst baut sich die eigentliche Belletage mit hohen, schmalen, vielleicht rundbogigen Fenstern; dann kommt wieder ein mezzaninhaftes Geschoss mit niedrigen, fast quadratischen Fenstern und endlich die Mansarde mit ovalen Oeffnungen in den Trapezdächern; das soll schön sein !! *).
Wir kommen nun zur speziellen Formation.
Die Bedeutung der Grund-, Höhen- und Breitenformen ist zweierlei:
1. In Relation zur Symbolik des Gebäudes und den betreffenden Motiven, und zum Styl. (Vergleiche die früheren hiehergehörigen Bemerkungen.)
2. In Relation unter sich selbst; das heisst nach den Verhältnissen (Proportionen), nach den Wiederholungen und Situationen, das ist Symmetrie, Gruppirung etc.
Hier wollen wir hauptsächlich, um für den Rahmen dieses aphoristisch-rhapsodischen Aufsatzes nicht zu ausführlich zu werden, nur Einiges und Weniges über die Verhältnisse im Allgemeinen und im Detail bemerken. Es ist eine allbekannte Sache, welche grosse Rolle die Verhältnisse nicht nur in der Architektur, sondern überhaupt in allen Künsten spielen; man hat dieselben, besonders die Verhältnisse in der antiken Kunst, vielfach zum Gegenstand tiefer Studien gemacht, grosse Fachgelehrte haben darüber eingehende Untersuchungen gepflogen, und Viele glaubten den Schlüssel gefunden zu haben zu den tadellosen Gestaltungs- oder Formtypen der antiken Kunst ……**). Ein permanent und universell giltiges Rezept oder Formel absoluter Schönheit gibt es aber gar nicht, für die Praxis wenigstens nicht ***).
Obwohl schon sehr viel über Verhältnisse, Symmetrie, Gruppirung, malerische Fassung der Bauobjekte (z. B. Silhouettirung) geschrieben wurde, so trifft man doch noch sehr viele Fehler in dieser Richtung, woran theils übelgebildeter oder mangelnder Geschmack, theils falsche Ansichten über architektonische Formgebung die Schuld tragen. Besonders über malerische Gruppirung der Bauhaupttheile schwanken die Begriffe

*) Manches mag durch den praktischen Zweck plausibel erscheinen, wenn man ihm aber ganz das Feld einräumt, so gibt man damit zu, dass eigentlich er und nicht der ästhetische Zweck die erste Violine zu spielen hat; das ästhetische Auge behauptet jedoch auch sein Recht gegenüber dem praktischen Verstand.

**) Es kann nicht geleugnet werden, dass Viele schätzenswerthe Resultate gewonnen haben, so unter vielen Anderen Leonardo da Vinci, Vignola, Vitruv, Michel Angelo, Dürer, R. Mengs, Sulzer, Winkelmann, Lessing etc., aber ganz umfassend und eingehend hat sich in unseren Tagen erst Prof. Zeising (und seine Schüler) mit der Sache beschäftiget; er kam auf Grund des Ausbaues und der geschickten Anwendung Euclid'scher Lehrsätze zu schönen Erfolgen; er hat jedenfalls die Priorität, Gesetze über die Schönheit der Antike und die Schönheit aller Kunst in Uebereinstimmung mit den Gestaltungsprinzipien der Natur und des Universums überhaupt entdeckt und ausgearbeitet zu haben, die ihm Niemand nehmen kann, selbst wenn sich berühmte Akademien vom Nachtreter täuschen lassen ! …… (Leider beweist dies wieder die Eitelkeit des menschlichen Strebens: Der Eine säet, der Andere ernte !) — Diese von Prof. Zeising aufgestellten Schönheitsformalgesetze sind aus dem bekannten sogenannten »goldenen Schnitt« gezogen und finden sich genau angewendet in der gesammten antiken Kunst; es wird natürlich kein vernünftiger Mensch im Zweifel darüber sein, dass dieser goldene Schnitt nur als formale Grundlage, für die Formen an sich, gelten kann.
***) Die Essenz dieser aus dem goldenen Schnitt gezogenen Verhältnisse und Proportionalzahlen ergibt sich bekanntlich aus folgenden Zahlen: 1 : 2 : 3 ;  3 : 5 : 8; seltener 2 : 4: 7, 3 : 5 : 7; 4 : 7 : 12; 5 : 7 : 12 etc. Ferner: Ueberwiegende Quantität der Höhenformen, scharf ausgeprägte Grundformen etc. (Das wohl den Meisten bekannte Werk des Prof. Zeising ist im Buchhandel allenthalben leicht erhältlich.)

bedeutend. Einige halten sie überhaupt für überflüssig oder gar fehlerhaft, Andere suchen sie in überladener Detaildekoration, wieder Andere in ganz theatralisch affektirten und zugestutzten Dispositionen, welche dann natürlich meistens in Scheinarchitektur ausarten. Niemand von allen diesen Leuten trifft das Richtige; das malerische in der Architektur liegt in einer baukünstlerisch-ästhetisch motivirten Abwechslung der Grund- und Höhenformen, sowie der Styl- und Detailformen; es ist eine formale Differenzirung, welche sich besonders in der Gruppirung, den Umrissen, respektive der Silhouette geltend macht. (Die Karlskirche in Wien gibt, abgesehen von manchen stylistisch-baukünstlerischen und symbolischen Faux-pas, ein Beispiel eines malerischen Baues.) Ueberwiegend im Rahmen der baukünstlerischen Bedeutung und Anforderung und den gehörigen sonstigen Beschränkungen kann die Baukunst aber mit ihren Mitteln sehr malerisch wirken, kann bis zu einem hohen Grade viel Plastik verwenden, und dadurch auch das symbolische Moment verstärken, ohne deshalb gleich in's Theatralische und in leere Schein-Architektur zu verfallen.
Nicht minder verfahren ist und wird, wie es scheint, immer mehr und mehr der Begriff über äussere Dekoration *). Die fabrikmässige Plastik mit Terrakotta, Zink- oder Zementguss wollen wir als eingebürgert gar nicht berühren, ebenso die Thonfliesen, Majoliken etc. Das Unbequeme ist das Ueberhandnehmen der Sgraffitos in oft sehr schlechter Qualität, zweifelhafter Mosaikverzierungen, und der oft masslosen, plumpen und rohen Stereochromie mit Gold auf den Aussenseiten der Gebäude; die äussere Farbenausschmückung der Letzteren sollte in jedem Falle sehr sparsam und bescheiden gehalten sein, weil sonst für das Innere verhältnissmässig nichts mehr übrig bleibt; hier soll dagegen die Farbe des Baumaterials voll und ganz wirken. (Vergleiche später.) Ein Uebriges ist nur in speziellen Fällen zulässig; alle derlei sonstigen farbigen Dekorationen sollte jedoch nur ein sehr geübter tüchtiger Künstler in die Hand nehmen.
Die farbige Ausschmückung der Vestibules, Stiegenhallen, Korridors etc. kann schon um einen Grad effektvoller gehalten werden als die Facade **); die Kulmination muss naturgemäss für die Säle, Prunkgemächer, Prachtwohnungen etc. aufgespart bleiben. (Wir können uns hier abermals in keine Details einlassen und verweisen zu dem Ende auf die reichhaltige neuere und neueste Fachliteratur und diesbezügliche mit Kunstbeilagen reich ausgestaltete Werke, sowie auf einzelne Aufsätze in diesem Journale in früheren Jahrgängen.) Es erübrigt noch, die reaIen Umstände, welche von Einfluss sind auf die architektonische Gestaltung, kurz zu besprechen.
Vor Allem spielt da das Baumaterial eine grosse Rolle. Im Ganzen und Grossen kann man sagen, dass gegenwärtig die Vorliebe für natürliches Material die Oberhand gewinnt; aber das Bekleiden der Ziegelmauern mit Marmor- oder Sandsteinplatten von 4 bis 7 Cm. Dicke ist eine kostspielige Selbsttäuschung, unterliegt häufigen Reparaturen und erweckt immer ein unbehagliches Gefühl, theils der prekären Illusion für sich und Andere, theils der Furcht, das ganze Blendwerk (im wahrsten Sinne des Wortes) falle eines schönen Tages den Passanten als eine empfindliche Ernüchterungsdouche auf die Köpfe, wofür es an Beispielen nicht fehlt. Auch dies ist Schein-Architektur und derlei sollte vermieden werden, besonders in Wien z. B., wo wir mit Leichtigkeit und ohne grosse Kosten unsere Häuser aus Granit, Sandstein oder Marmor aufführen lassen könnten, da jetzt die meisten Steingewerkschaften an Bahnstationen oder Wasserstrassen liegen. Es ist kaum glaublich, das annoch Kunststeine aller Art, die doch viel mehr Arbeit, Kapital, Zeit und Mühe brauchen, oft weniger kosten, als Steine, die uns die Natur fertig schenkt, die man nur loslösen, schneiden und versenden darf; so liegen in der nächsten

*) In innerer Dekoration wird gegenwärtig allerdings oft Grosses geleistet und zeigt sich viel Geschmack und Phantasie bethätigt; es wäre wüschenswerth, sie bethätigten sich auch allgemein nach aussen in stylvoller künstlerischer Reinheit und Schönheit !!

**) Was auch in diesem Gebiete an Extravaganzen, ganz im modernen verschrobenen Geiste geleistet wurde, das zeigt unter manchem Anderen: Vestibule und Stiegenhalle des Gebäudes der Unionbaumaterialien-Gesellschaft in Wien. Man glaubt in das Palais eines fabelhaften Krösus oder Nabobs zu treten, alldieweil aber ist es nur eine simple Zinskaserne, ein moderner Miethkasten.

Nähe von Wien die schönsten Sandsteinbrüche, deren Produkte sich schon oft bewährten und förmlich berühmt wurden; einige Kilometer weiter liegen zum Theil unaufgebrochene Schätze unter der Erde, die des betreffenden Schatzgräbers noch harren; darunter auserlesene Granit-, Syenit-, Porphyr- und Marmorarten; Alles umsonst ! Trotz der Fortschritte der Steinindustrie im Auslande, wo die Steinbrüche und Steine mit Dampfmaschinen (Sägen und Bohrwerken, ausserdem Dynamitsprengung) etc. bearbeitet werden, hört man bei uns in Oesterreich nur immer von rein manueller, langwieriger, langweiliger und durch hohe Löhne vertheuerter Steinbearbeitung; trotz der grossen Konkurrenz wird dieses Baumaterial nicht billig. Bis nun diese Umstände nicht besser geworden sind, kann man nur in gewöhnlichen Fällen für den Ziegelrohbau in Thon-, Lehm- oder Zementziegeln plaidiren, einzelne Bautheile in Werksteinen oder Gussmasse; in München hat man schon seit einiger Zeit ganze Werkstücke aus Terrakotta angewendet für Rohziegelbau, aber wo immer thunlich, sollte man so wenig als möglich Surrogate anwenden, weil es doppelte Täuschung, dreifache Illusion ist, nicht allein in Bezug auf die Qualität des Aeusseren, auch die innere Qualität, das ist Dauer und Festigkeit, stehen immer hinter dem Original zurück. Zementguss kann sehr gut sein, aber Sandstein ist bei guter Qualität an und für sich, entschieden besser; man kann sich wenigstens auf die Gleichheit der Substanz eher verlassen als auf ein Fabrikat; rother Sandstein ist entschieden besser als die beste Terrakotta, denn Brennfehler verändern ihre Qualität und ihre relative Festigkeit ist gegen Sandstein viel geringer. Schliesslich äussern Klima und verschiedene Rücksichten einen bestimmenden Einfluss bei der Wahl des Baumateriales; dies modifizirt hin und wieder auch die Konstruktionsweisen, z. B. Ueberwiegen des Holzbaues im Norden, des Steinbaues im Süden. Auch die nationalen Eigenthümlichkeiten bleiben nicht ohne Wirkung auf die Entwickelung der Baukunst, das zeigen die Phasen eines und desselben Styles in den verschiedenen Ländern, z. B. deutsche, französische, englische, italienische und spanische Gothik.
So sieht man denn, dass es allerdings keine Kleinigkeit ist, bei einem Bauprojekte allen (zirka 15) Hauptfaktoren der baukünstlerischen Gestaltung gerecht zu werden und sie in ein harmonisches Ganzes zu vereinigen, die Idee glücklich zu realisiren, das Reale symbolisch-ästhetisch in die richtige Form zu bringen, zu idealisiren, ohne dass Einer dabei zu Schaden kommt; in der vollkommenen Beherrschung dieser einander oft widersprechenden Elemente und Momente auf der Basis der allgemeinen und speziellen Kunstprinzipien, in besonderer Relation zur eigentlichen Baukunst und zur Bautechnik, zeigt sich der wirkliche, echte, geniale Baukünstler, der immer seltener zu werden droht, weil unserem blasirten, schablonengedrillten Zeitalter Phantasie und poëtischer Schwung abhanden gekommen sind; wir haben noch viel Talente zum Maschinen-Ingenieur, aber verhältnissmässig nur wenig zum wahren Künstler.

IV. Das Reale in der Baukunst sind der Raum, das Spiel der Lasten und Kräfte, die unorganischen Stoffe quantitativ und qualitativ, deren sie zur Darstellung bedarf, und welche sie durchgeistigen und idealisiren soll; da die Baukunst aber auch eine symbolische Kunst ist, so vermag sie, wenn's leider auch selten geschieht, vermöge ihrer vielgestaltigen, unendlich variablen Formen und deren spezieller Beschaffenheit den Zweck, für welchen sie den Raum herstellt, anzudeuten; doch sind da durch die Natur der Sache enge Grenzen gezogen, das ist nicht zu leugnen, aber schlechte Schützen treffen selbst dieses kurzgesteckte Ziel nicht. Zu dieser Andeutung bedarf sie wie die Plastik mit ihren Symbolen und Allegorieen gewisser Hülfsmittel; in manchen und einzelnen Fällen gelingt ihr diese Andeutung, begünstigt durch alte Usancen und Traditionen, bis zur Evidenz, in anderen dagegen wieder sehr schwer, und es geht ihr dann wie der Tonmalerei. »Man merkt die Absicht aber......« Je entsprechender, je edler und ausdrucksvoll-symbolischer die Raumbestimmung im Allgemeinen in Aussicht genommen oder gelungen ist, um so mehr wird es geboten respektive möglich sein, die Realisirung des Symbolisch-Idealen im Sinne eines Kunstwerkes auch in allen Einzelheiten konkret und den Prinzipien gemäss durchzuführen, mit anderen Worten: »Baukunst ist die Kunst, ein System von fixen Räumen nach den Anforderungen des künstlerischen Geschmackes und des ästhetischen Zweckes herzustellen.« Der rein praktische Zweck geht die Baukunst als solche nichts an, dieser betrifft nur ihre technische Seite, das heisst das Bauwesen; dennoch darf aber der praktische Zweck auch von dem erhabenen Kunststandpunkte aus nicht vornehm und völlig ignorirt werden und dies geht unter Anderem aus folgenden Beispielen hervor: Man denke sich ein nach unseren Begriffen würdevoll erscheinen sollendes Mausoleum im chinesischen Style, eine Trinkhalle in Form einer gothischen Kapelle, eine Kirche in Pavillon- und Kioskform u. s. w. *).
Alle Kunstformen entwickeln sich als der besonders mächtige Ausdruck des gesammten äusseren und inneren Lebens der Völker allmälig und nach den einzelnen Nationen und Zeitphasen spezifisch; wohl auch mitunter unter dem besonderen Einflusse und den subjektiven Bestrebungen solcher Künstler, welche besonderen Rufes und Ranges genossen; so entstand z. B. die Renaissance unter der Aegide Palladio's, Michel-Angelo's, Peruzzi's, Bramante's, Brunellesco's, und vieler Anderer. Die griechische Renaissance unter Schinkel's genialer Führung **) ; gleichwohl darf man aber die beiderseitigen welthistorischen Momente hiebei nicht übersehen, als da sind: Reformation, allgemeiner Aufschwung respektive Hellenenkultus, griechische Freiheitskämpfe u. s. w.; diese waren entweder bei der Entwickelung der neuen Kunstepochen massgebend oder förderten dieselben mindestens...... Die Auffassung der baukünstlerischen Prinzipien (wie der künstlerischen überhaupt) und deren Anwendung waren aber nach individuellen und Zeitanschauungen von Anbeginn alles Kunstschaffens her nach mancher Richtung allerdings verschieden und schwankend. Nach und nach erst wurde dieser oder jener Hauptgedanke permanent, wurde zur gebräuchlichen Form, und diese entsprach dem Volkscharakter, den Meinungen und Anschauungen der betreffenden Zeitperiode, dem herrschenden Bildungswesen und Grade; anderseits aber entwickelten sich die Kunstformen auch nach den Fortschritten in den Künsten und Gewerben im Allgemeinen, nach dem Stande der Wissenschaften, nach den Bedürfnissen des Lebens, des Verkehres, der Mode und des Universalgeschmackes der Zeitgenossen. (Fortsetzung folgt.)
 
*) Für jeden speziellen Bauzweck den betreffenden passenden Styl, die passenden Hauptformen zu wählen, durch welche eben die Idee des Gebäudes am besten und schönsten zum Ausdruck gelangt, ist nicht so leicht, weil es selbst gewiegte Künstler oft nicht treffen; nichtsdestoweniger ist es gerathen, sich möglichst in diese Sache zu vertiefen, es mangelt weder an sehr guten Beispielen und Vorbildern, noch an abschreckenden Objekten, welche zeigen, wie man es nicht machen soll.

**) Der deutsche Kunstkritiker Ludwig Pfau, der mit dem berühmten Vischer das göttliche Privilegium besitzt, über alles Mögliche zu raisonniren, auch dort, wo es gar nicht passt oder ausser Ressort und Kompetenz liegt, und deren Urtheile, von Vielen um jeden Preis für treffend und geistreich gelten, dieser genannte Kunstkritiker also lässt auch in manchen Stellen seiner Schriften an Meister SchinkeI keinen guten Faden. SchinkeI war unleugbar ein Genie, und dies ist anerkannt ! Er war nicht blos Baukünstler, sondern auch ein tüchtiger Maler, und das hebt ihn in den Augen jedes unvoreingenommenen Aesthetikers, nur nicht in jenen Pfau's ! Dieser wirft ihm klassizistisch-gräkophile Alluren vor, manifestirt im Rahmen von Berliner Steifheit und Nüchternheit, für ihn ist er der Künstler nach dem Geschmacke preussischer geschniegelter Gardelieutenants. Das übrige Deutschland ehrt Schinkel`s Andenken !..... Wenn seine Mannen ihn recht verstanden und im echt künstlerischen warmen Sinne seine Intentionen weiter entwickelt hätten, so wären aus dieser Schule Bauwerke hervorgegangen, die ihr hohe Ehren eingebracht haben würden. Pfau will für Norddeutschland keinen anderen Styl gelten lassen als die Gothik, aber selbst als Freund derselben muss man sich doch endlich darüber klar werden, dass die Gothik ebensowenig wie die Renaissance, namentlich im Allgemeinen genommen, ein »Mädchen für Alles« ist, sondern dass jede Phase der Gothik wie jede Phase der Renaissance ihre spezielle (spezifische) Anwendung und Bestimmung hat und haben soll.


DIE PRINZIPIEN DER BAUKUNST NACH IDEALITÄT UND THEORIE EINERSEITS, NACH REALISTISCHER PRAXIS ANDERERSEITS*
Studie von L. Tržeschtik, Architekt (Fortsetzung)

Man kann den Styl als den sich wiederholenden Erscheinungstypus in Kombination mit der Einheit der Grundformen definiren, oder als charakteristische fixirte Bauform; wie in den übrigen Künsten kann auch der Styl durch subjektive Gebahrung manierirt werden, entbehrt er jedoch alles Geistes und erscheint jede Manifestation nur als Wiederholung früherer, so nennt man dies schablonär; erstere Art und Weise wird belächelt und bekritelt, letztere aber als unkünstlerisch verachtet; es ist also Beides möglichst zu vermeiden.
Es braucht wohl kaum bemerkt zu werden, dass die Hauptformen noch keineswegs die alleinige Baufaktur ausmachen, sondern die künstlerische Vollendung muss ihren Stempel auch den Detailformen, der farbigen Ausschmückung, dem inneren Ausbau, der Wahl des Materials und dessen Kombination aufdrücken. Was Farbe und Material für bedeutende Momente der äusseren Erscheinung sind, wird uns bald klar, wenn wir uns z. B. den Kölner Dom oder die Wiener Votivkirche einmal in Marmor, dann in Sandstein von graugelblicher Farbe und schliesslich in Ziegelrohbau denken. Da die Baukunst in ihren unmittelbaren Beziehungen den geometrischen Gesetzen der Form, den harmonischen Verhältnissen der Linien unterworfen ist, welche Verhältnisse aber durchaus nicht willkürlich sind, so erscheint es als eine Hauptbedingung der baukünstlerischen Formenschönheit für alle seriösen und Monumentalbauten, die Symmetrie strenge einzuhalten, weil diese allein einen Mittelpunkt bestimmt, um welchen sich alle Theile regel- und gleichmässig gruppiren und auf diese Weise sich im Beschauer *) das Gefühl der Einheit erzeugt. Es braucht wohl kaum bemerkt zu werden, dass aber die Symmetrie beileibe nicht als das einzige tonangebende Formelement (respektive Gestaltungsmoment) der Baukunst angesehen werden darf, das wäre entschieden von Uebel; es tritt auch noch die Abwechslung in der Harmonie der Formen und Formgruppen, der Wechsel in der Ueber- oder Unterordnung der Gestaltungselemente hinzu, was die architektonische Eurhythmie ausmacht; es kann mithin in gewissen Fällen von der Symmetrie im Grossen und Ganzen vollständig abgegangen werden und doch ein Arrangement von Hauptformen sich ermöglichen lassen, welches auf Schönheit Anspruch macht, und dies ist das malerische Arrangement von Haupt- und Detailformen; besonders beim Bau von Villen, Schlössern, Landhôtels etc. kann man zu Gunsten des Malerischen von der rein symmetrischen Anlage absehen. Doch ist die symmetrische Anlage keineswegs dem malerischen Effekt feindlich; es gibt Beispiele, dass sie ihn sogar unterstützt. Die Symmetrie wirkt ästhetisch durch
 
*) Dieses Gefühl der Einheit ist selbstverständlich nur einseitig; der vollständige Eindruck der Einheit, das Gepräge des Kunstwerkes, als sei es wie aus einem Gusse hervorgegangen, kann nur erzeugt werden, wenn alle Faktoren richtig zusammenwirken, und allen künstlerischen Prinzipien gleichmässig und völlig entsprochen wurde. Zu den künstlerischen Prinzipien, die besonders in der Baukunst streng beachtet werden müssen, gehört auch die Konsequenz und Logik; wenn man z. B. in einem grossen kostspieligen und luxuriösen Theater von kolossalen und pompösen Vestibulen und Hallen plötzlich in maulwurfhafte niedere Korridorchen gelangt, so ist dies unkonsequent und unlogisch.

die gegensätzliche Kombination des Gleichartigen, in Folge Umkehrung, Kehrstellung, gleicher oder mindestens ähnlicher Formen von einem neutralen Mittel aus, das ist der symmetrischen Achse, welche das Einheitsverhältniss herstellt; die Karlskirche in Wien kann auch hiebei wieder als Beispiel dienen, dass ein Bau trotz strengster Symmetrie sehr malerisch zu wirken vermag.
Das Malerische hat nur deshalb seine volle Berechtigung in der Baukunst, weil der Kunst überhaupt jedes ästhetische Mittel zur Darstellung ihrer Idee'n erlaubt ist; also die Gleichartigkeit an ihrer Stelle ebenso wie die Differenzialität (das Malerische entsteht eben hauptsächlich durch Differenzirung der Gruppen, und zwar vornehmlich der Höhenformengruppen, sowie auch meistens durch seitliche Verlegung des ästhetischen Schwerpunktes); dies bezieht sich natürlich zunächst hier auf die architektonischen Gruppen und Hauptformen und ihrer silhouettären Erscheinung, wozu noch in pittoresker Beziehung diverse Eigenthümlichkeiten des Styles, der Bemalung, der Materialfarbe etc. kommen; jeder Styl kann malerisch verwerthet werden, doch eignen sich der griechische Originalbaustyl, der romanisch­ byzantinische und der gothische Baustyl wohl am meisten durch ihre Natur hierzu. Es machen sich aber, was nicht vergessen werden darf, verschiedene Umstände in dieser Sache geltend; z. B. der ästhetisch-symbolische Zweck, die Umgebung des fraglichen Bauwerkes etc. So können wohl Fälle eintreten, in welchen das prononcirt Malerische leicht unmotivirt, unpassend von der Kritik verdammt würde, und dieselbe eher dem Starrimponirenden, Lapidaren und Monumentalen ohne malerischen Reiz das Wort spricht; z. B. bei einem Justizpalais, Regierungspalast, Gymnasium etc. Zum Troste aller Freunde malerischer Baukunst aber kann man sagen, dass man im Malerischen ziemlich weit gehen kann, wenn es eben nur sonst den Prinzipien der Baukunst entspricht und entgegen kommt, bis es zum so häufig verpönten theatralischen Flunkerstyl ausartet, der mir aber stets lieber war, als eine saft- und kraftlose Mache eines phantasielosen Pedanten; die Momente des Malerischen und Dekorativen sowie des Aesthetisch- Zweckmässigen überhaupt müssen sich eben harmonisch vereinigen, aber sich nicht gegenseitig aufheben oder anderseitig sozusagen überbieten, dann ist Alles gut.
Jeder Styl bringt andere Formen mit sich und diese sind es, welche einem Kunstwerk jenes Gepräge verleihen, nach welchen wir es beurtheilen und unterscheiden, unter Beziehung seiner Bedeutung; die Bauformen werden und wurden entweder aus der Phantasie geschöpft, oder sie entspriessen sogar dem berechnenden Verstande, das heisst der Nothwendigkeit (vielleicht in Folge neuer Konstruktionen, neuen Materiales etc.) oder sie sind durch Nachahmung der Wirklichkeit (das ist der Natur) entnommen (z. B. im Ornament; oder Säulen etwa dem Höhlenbau mit Stalaktiten und Stalagmiten); sie entwickeln sich auch unter dem Einflusse von anderen äusseren Momenten oder durch variable Auffassung der Prinzipien und Gesetze der Baukunst; sind die Detailformen in solcher Anzahl vorhanden, dass dadurch die Klarheit der Hauptformen, sowie überhaupt der etwa günstige Gesammteindruck beeinträchtigt wird, so nennen wir das betreffende Bauobjekt überladen; der Gegensatz hievon ist die Leerheit, das ist der gänzliche oder wenigstens empfindliche Mangel von Formen und Dekorativelementen; Beides ist verwerflich; ein dritter Fehler gegen die Haupt-Prinzipien ist die Geziertheit und Gelecktheit, welche aus krassem Missverständniss manche Anfänger, Laien oder Irrgänger der Kunst für Zierlichkeit und Nettigkeit halten ! Jene öde Leerheit und Kraftlosigkeit, gepaart mit Geschmacklosigkeit, fand sich unter Anderem besonders in der Franziscäischen Bauperiode und in den Bauten des sogenannten Imperialstyls; später sah man diese Mängel wohl ein, wusste es aber nicht gründlich besser zu machen; da verfiel man dann eine Zeit in Ziererei, ganz falscher, nichtssagender, oder läppische Dekorationen, die vielleicht einmal gothisch, das andere Mal rokokohaft, jedesmal aber verfehlt waren (Zeit politischer, künstlerischer und wissenschaftlicher Gährung von 1845 bis 1855 ungefähr). Die Charakteristik und Analogie der Detailformen, als: starr, stramm, abfallend, aufstrebend, gedrängt, gesperrt, gezogen, einfach, abgerundet, elegant, reich, ernst, kokett, üppig etc. helfen oft dem künstlerischen Anpassen an den ästhetischen Zweck, damit das Resultat dann dem Geiste des Ganzen entspricht.
Auch die Hauptform muss möglichst gegliedert sein; ein grosser, gleichförmiger, das heisst ungegliederter Gebäudekörper sieht nie hübsch aus; der kunstgewohnte Blick verlangt einen gegliederten, gruppirten Bau, eine Bauanlage mit Durchkreuzungen der Hauptmassen und differenten Formen; wohl aber ist mit Differenziren allein nicht viel geholfen; bei ungeschickter Hand entsteht dadurch leicht Zerrissenheit, Störung der Einheit; es muss ein gesunder Organismus im Ganzen sich bemerkbar machen; bei manchen Gebäuden darf man mit der Theilung der Hauptmassen ziemlich scharf vorgehen, ohne zu fehlen, weil es der praktische Zweck unbedingt so verlangt und hier die Empirie ein Wort darein zu sprechen hat; z. B. bei Spitälern (Pavillonbau), bei gewissen Fabriken etc. Die Gruppirungen, Theilungen (Gliederungen, Detachirungen), müssen ebenfalls in hübschen Verhältnissen vorgenommen werden, sich auseinander entwickeln, mit passender Ueber- und Unterordnung, Vor- oder Zurücktreten, etc. Keine Detailform, keine sekundäre Gliederung (Detachirungsform) soll unmotivirt erscheinen oder wie angeklebt, z. B. manche Portikus-Anlagen mit den Iangweiligen Riesensäulen der Facade, die aber nichts zu tragen haben, als lächerliche kleine Gesimschen; oder gewisse aus Giebelflächen und Dächern herauswachsende Thürmchen bei Kirchen etc.
Was nun die Gruppirung der Hauptformen betrifft, so hat man viererlei Gruppenarten zu unterscheiden, und zwar:

1. Die Gruppirung im Allgemeinen; sie zerfällt wieder in:
a) Gruppirung nach den Grund-, Anlage- oder Situationsformen (Gruppirung) der Theilmassen; nach den Relationen der Breite und Tiefe, das ist der Quer- und Horizontalformen (Risalite, Profundirungen etc.);
b) Gruppirung nach den Höhenformen. (Der Aufbau.)

2. Die Gruppirung im Speziellen; diese begreift folgende Elemente:
a) Dekorativzusätze und Dekorativ-Detailgruppen, z. B. Erker, Balkone, Thürmchen, Kuppeln, Risalitdekoration, Giebel, Portalbaue, Eckfrontispice etc. *);
b) Gebäudeöffnungen und deren Gruppirung.

Schon in den Grundformen, welche jedem Gebäude etwas Charakteristisches verleihen, zeigt sich — oft schon in der Natur der Sache liegend, und der nothwendigen Eintheilung zufolge — ein Zurücktreten einzelner Theile vor den anderen; die vorspringenden Partieen nennt man, wie bekannt, Risalite, die zurücktretenden Profondirungen (Renforcements, Retentionen); treten Risalite um Bedeutendes vor, so entstehen dann sogenannte Chargirungen, Pavillons; bilden sich mehrere Haupt­
 
*) Ein schön gelöster Eckbau ist z. B. jener des Waarenhauses von der berühmten Teppich-Firma Haas & Söhne in Wien, Stock- im- Eisenplatz, aus den Sechziger-Jahren, vom Baurathe van der Nüll.

gruppen, so nennt man, wie bekannt, die einzelnen Gebäudehauptpartieen Trakte oder Flügel. Grosse Trakte sollen immer durch Risalit- oder Pavillonseinschaltungen in ihrer sonst zu unangenehm wirkenden Monotonie (recte eigentlich Monomorphie) unterbrochen werden: dadurch gewinnt die Facade und wird mehr belebt; das Vorschieben von Seitenflügeln mit Querstand vor dem Hauptgebäudekörper (Haupt- oder respektive Mitteltrakt, oder selbst auch ohne Querstand, wodurch die Facade in ihrer Hauptpartie zurücktritt und natürlich mehrweniger in ihrer Wirkung beeinträchtigt wird, ist eigentlich widersinnig und im Allgemeinen jedesfalls zu widerrathen; doch gelingt es manchen begabten Baukünstlern, bei Villen und Schlössern, Hôtels, Kurgebäuden, ländlichen Erziehungs-Pensionaten etc. mit dieser Formationsweise eine künstlerische und malerische Wirkung zu erzielen durch die natürliche Perspektive, durch Anbringung von Loggien an den Flügeln, Arkadengänge etc. Der praktische Zweck dieser Formation, wie man sie nicht selten bei Kasernen, Gymnasien, Spitälern oder alten Schlössern findet, lässt sich wohl auch auf andere Weise erreichen, indem man den durch die Vorlage der Flügel gebildeten Hof hinter den Haupttrakt und die Facade verlegt, was jedesfalls natürlicher ist.
Die Gruppirung der Höhenformen kann ebenfalls symmetrisch oder asymmetrisch angeordnet sein, und es erscheint wohl selbstverständlich, dass erstere mehr bei symmetrischer Grundanlage, letztere eher bei asymmetrischer Basis am Platze ist, doch gibt es auch hiebei viele Ausnahmen; die Gruppirung der Höhenformen ist in der Regel etagenmässig durchgeführt; gewisse Bauten, z. B. Theater, Villen etc. gestatten zuweilen, von dieser Norm abzugehen; aber auch in diesen Ausnahmsfällen suche man durch Gemeinschaftlichkeit von Detailformen, als da sind: Gesimse, Friese, Dachvorsprünge u. s. w. die Heterogenität der Hauptformen zu mildern, eventuell ganz harmonisch auszugleichen und letztere möglichst organisch zu kombiniren. Die Haupträume sollen immer in Gemässheit der Grundformen und der Symbolisirung sowohl in der Silhouette als in den Hauptformen ausgeprägt erscheinen, so z. B. bei einem Theater der Zuschauerraum, die Bühne, das Foyer etc.; bei Kirchen die Schiffe, das Presbyterium (Altarraum) u. s. w.
Auch die Detailformen sind als Höhen- und Horizontal- oder Querformen zu unterscheiden; wenn diese Details bedeutende Dimensionen erhalten, so rangiren sie eigentlich dann durch die Mächtigkeit ihrer Wirkung mehr zu den Haupt- und allgemeinen Formen, z. B. Thürme, Kuppeln, wie bei grossen Kirchen, Rathhäusern etc.; bei kleinen Dimensionen aber zählen sie stricte zum episodialen Detail; hieher gehören also noch Zinnen, Säulen, Pilaster, Karyatiden, Attiken etc. Auch hierin sind die Proportionen unter sich und zum Ganzen sehr wohl zu beachten und man täuscht sich oft in diesen Sachen sehr; auf dem Papier macht sich oft ein Entwurf, eine künstlerisch adjustirte Darstellung sehr schön, man glaubt das Beste getroffen zu haben, und wenn der Bau ausgeführt ist, wollen die Verhältnisse der einzelnen Bautheile uns nicht zusagen; warum ? woher ?! Weil die Fehler der Proportionen im kleinen Maassstabe verschwinden, im grossen ausgeführten Maassstabe aber progressiv in's Riesenhafte anwachsen und die Perspektive mitwirkt *). Die Gruppirung der Detailformen kann ebenfalls je nach den massgebenden Umständen, symmetrisch oder asymmetrisch vor sich gehen, ohne im letzteren Falle gerade immer verworren oder zerrissen zu erscheinen, wenn nur immer eine gewisse Homogenität und Einheitlichkeit festgehalten wird. Während es nun bei ausgedehnten Gebäudekomplexen äusserst zuträglich erscheint, dieselben durch Kontrastformen wohlthuend für das ästhetische Auge zu unterbrechen, da sonst wohl die Monotonie oft unerträglich wäre, so läuft der ungeübtere angehende Baukünstler leicht Gefahr, bei kleineren Bauten, besonders im Drange nach Originalität und möglichst malerischer Faktur, den Gesamt-

*) Dies muss auch der Bildhauer bei hohen Standbildern und der Maler bei hochangebrachten Gemälden zu beurtheilen verstehen; ist das Modell um eine Spur zu klein, so wird in der Höhe eine Pygmäe aus der betreffenden Gestalt, im entgegengesetzten Falle ein phantomhaftes Monstrum; aber auch bei niederem Stande müssen die Dimensionen von Säulen, Karyatiden, Pilastern etc. im Verhältniss zum Ganzen wohl abgewogen werden; einst waren sie meist zu plump, jetzt sind sie gewöhnlich zu dünn!...

eindruck durch zu viele Kontrastformen und Episodalelemente zu erdrücken oder zu stören.
Doch kann derlei auch gewiegten Baukünstlern passiren, so z. B. bei einer brillanten erzherzoglichen Villa in Baden bei Wien (Helenenthal); vergeblich sucht das Auge bei diesem Baue nach einem Ruhepunkte. Weniger wäre hier mehr !
Die Grundformen, Höhenformen und Detailformen an und für sich, wie auch gegenseitig, sollen nicht in gleichförmigen Massen erscheinen, sondern ihr Quantitatives soll sich unter eventuellem oder respektivem Einflusse der Symmetrie (wenn diese nämlich akzeptirt ist) in ungeraden Zahlen darstellen *); ebenso soll das Vertikale, Hohe, Schlanke mit dem Horizontalen, Breiten und Starken in angenehmer Abwechslung kombinirt sein; es muss das Konzentrirte mit dem Dezentralisirten, das heisst das Fixirte und Konkrete mit dem Vertheilten so arrangirt werden, dass alle Steifheit, Klotzigkeit — sogenannte »steinerne Phantasie« — alles Schablonäre wie auch alle Zerfahrenheit sorgfältigst vermieden ist und sich somit dann ein schönes Wechselspiel von motivirten Kräften und Lasten entfaltet; die Essenz der Proportionslehre für die Architektur aber lautet: Wenn die Höhenverhältnisse dominiren, so ist im Allgemeinen

*) In jenen Fällen, wo Symmetrie nicht festgehalten erscheint oder sogar absichtlich — aus malerischen Gründen — eine prononcirte Asymmetrie sich geltend macht, beherrscht das Ganze an Stelle der symmetrischen Achse die ästhetische, unter Berücksichtigung der Eigenthümlichkeiten der sich ergebenden natürlichen Perspektive.

der Eindruck besser, als wenn dies seitens der Breitenverhältnisse der Fall ist; auch die Griechen haben bei aller überwiegenden Horizontalität in ihrem Bauwesen besagte Wahrheit doch empfunden und ihr im Rahmen des Horizontalismus so viel Rechnung getragen, als es nur möglich schien, besonders durch Höhendetailformen, z.B. Säulen, Karyatiden, Giebel, Terrassenanlagen, Thüren etc. Unter »dominiren« darf aber nicht »tyrannisiren« verstanden werden; das extreme Ueberwiegen der Vertikalformen berührt uns ebenfalls nicht immer angenehm. Nicht minder wichtig ist es, ausser der Kenntniss schöner Verhältnisse auch stets die passenden Modulationsepisoden und Formen jeweilig ausfindig zu machen; so ist es z. B. nicht erquicklich, aus einer langgestreckten Facade unvermittelt einen hohen schlanken Thurm herausstarren zu lassen. Die Modulationsepisoden sind auch verwendbar, um dem Hyperformalismus der Style zuweilen etwas entgegenzuarbeiten, so dem übertriebenen Horizontalismus der griechischen Renaissance, dem Vertikalismus der Gothik etc.
Wenn nun das Alles, was hier besprochen wurde, erreicht ist, wenn es gelungen ist, einen Bau mit idealer und stylgemässer Festhaltung der architektonischen Formalelemente nach eurythmischen und Proportionalgesetzen, das heisst nach allen ästhetischen und formalen Prinzipien unter völliger Berücksichtigung der symbolischen Beziehungen durchzuführen, so wird man diesen Bau eine Realisirung des Architektonisch-Schönen nennen können; solche Meisterstücke aber sind selten! (Fortsetzung folgt.)


DIE PRINZIPIEN DER BAUKUNST NACH IDEALITÄT UND THEORIE EINERSEITS, NACH REALISTISCHER PRAXIS ANDERERSEITS*
Studie von L. Tržeschtik, Architekt (Schluss)

V. Wir haben wiederholt in dem vorliegenden Aufsatz auf die vielfachen Beziehungen hingewiesen, in welchen alle Künste, hier besonders die Baukunst und die Baustyle, sowie natürlich auch die Kunstprinzipien zum Zeitgeist, zum Völkerleben, zur Kultur etc. stehen; diese Relationen sind unleugbar und auch noch von Niemand bestritten worden; ihr Einfluss ist genügend und allgemein anerkannt. (Vergl. M. Carrière's berühmtes Werk: »Die Künste und ihr Verhältniss zur Kultur« etc.) Wir haben nun in diesem Abschnitte Einiges in dieser Richtung nachzutragen, was sich füglich nicht früher sagen liess, und wir wollen uns auch über den zu behandelnden Stoff nicht weiter auslassen, als es der Rahmen dieses Fachblattes gestattet.
Es werden seit Jahren schon in verschiedenen Fach- und Tages-Journalen Stimmen laut, welche verlangen, dass es sich bei unseren oft desolaten Kunstzuständen und Zeitverhältnissen endlich lohnen würde, wenn die Kunst in Kontakt träte mit dem Volksthum, und dies gälte nicht allein den Künsten der Malerei und Bildnerei, die sich mehr mit dem Leben und der Natur

Allgemeine Bauzeitung 1891

befassen, sondern auch der Baukunst, deren Genius mit dem Volke en gros selten in seinem hehren Seraphkleide verkehrt, sondern mehr im Werktagskittel, denn das Volk als solches nimmt im Allgemeinen wenig Notiz von Palästen, Schlössern, prächtigen Opernhäusern mit ihrem exklusiven Logenthum etc., und die gewöhnlichsten Miethkasernen, Arbeiterhäuschen, Siechenhôtels etc. erheben selten Anspruch auf Kunstwerth; dieser Aufforderung darf man nun, nachdem sie nicht selten sehr peremptorisch in ganz ernst zu nehmenden Organen fast aller Länder auftrat, in unserer mehr und mehr von sozialen Reformen bedrohten Zeit die Antwort nicht schuldig bleiben; die Sache muss endlich klar gestellt werden und dies soll hiemit geschehen; selbstverständlich vornehmlich vom baukünstlerischen Standpunkte aus, doch kann man hiebei nicht vermeiden, andere Gebiete zu streifen, um zum Resultate zu gelangen.
Es ist eine merkwürdige, beherzigenswerthe und zugleich sehr traurige, historische Thatsache, nämlich dass die Blüte eines Volkes und dessen Kunstblüte sich nicht immer isochron *) decken; ja im Gegentheile, die Blüte der Kunst ist oft isochron gerade mit dem Verfall des Volkes und seiner Kultur; so paradox es auch klingen mag, Klio liefert uns Schwarz auf Weiss den Beweis, und dies nicht selten ! Als die Griechen zu Perikles' Zeiten scheinbar auf der Höhe der Situation standen, Ueppigkeit, Luxus, Wohlleben, Lebenslust, Staatsnimbus, Wohlstand nach Aussen hin gleissend das Volksglück kündeten, da stand Griechenland bereits am Anfange vom Ende; die Würmer nagten schon im Stamme, wenn auch die Wipfel noch belaubt waren; das ganze soziale und politische Gebahren liess die Weisen den nahen Umsturz ahnen; und gerade zu jener Zeit standen auch die Künste am höchsten !!? Zur Zeit der verdammten, schändlichen, ruinösen Wirthschaft der Cäsaren blühte die römische Kunst, besonders die Baukunst, am höchsten; die höchste Entfaltung der romanisch-byzantinischen Kunst, zeigt sich trotz äusseren Pompes gleichzeitig mit der Pfaffen- und Ritterwirthschaft des Mittelalters, oder respektive mit den schmachvollen Umtrieben griechisch-christlicher Kaiser und Kaiserinnen und dem durch sie zerrütteten Staats- und Volksleben. Die Blüte der Gothik (1400) war schon begleitet von den sich vorbereitenden Umwälzungen auf allen Gebieten, deren spätere Resultate die Reformation (1525) und der Aufschwung der Wissenschaften durch die Buchdruckerkunst (1450), der Universitäten, aller Künste, und der ganzen Lebensanschauungen waren (die Renaissance).
Von welchen Gräueln war aber auch jeder solcher Umschwung begleitet !? Die Prachtbauten der Renaissance in Italien und Frankreich kann man nicht betrachten, ohne an die Pest von Florenz, an die allgemeine Frivolität, wie sie im Aretino und Bocaccio sich spiegelt, oder an die Pariser Bluthochzeit und an die späteren Orgieen des Absolutismus zu denken. Was in letzteren Perioden zeitweise noch zur relativen Blüte kam, waren Wuchertriebe, die Kunst diente Herrscherlaunen. Der Bauers- und Bürgersmann musste in den Krieg ziehen, während der Kavalier inzwischen mit den galanten Damen sich umüsirte; der Klerus schwang den Krummstab, der Absolutismus den Haslinger. Die Staatsschuld in Frankreich betrug schliesslich in Folge bodenlosen Leichtsinnes und Frivolität bereits 4000 Millionen Livres ! Die französische Revolution aber löschte dann aus, aber auch jegliche Kunst.
Die Kunstblüte eines Volkes zeigt sich so fast als ein Johannistrieb; ist dies schon an sich fatal, so ist es noch fataler, wenn dieser Johannistrieb obendrein einem Pfropfreise entspriesst, wie in der Gegenwart.
Die Einheitlichkeit des Völkerlebens — wenigstens in einem gewissen Grade — ist eine Grundbedingung für eine einheitliche Kunstblüte; die Gegenwart zeigt aber grosse Zerfahrenheit nach jeder Richtung; Vieles, was wir als, einheimische Pflanze freudig betrachten, ist Treibhausgewächs. Unsere Zeit ist die Zeit der Gährung, es kann daraus ein köstliches Elixir werden, aber auch ein fauler Pantsch, eine eklige Zersetzung, die lange anhält, und bei der man nicht weiss, was für ein Ding daraus wird.

*) Oder synchronistisch, was dasselbe bedeutet.

Das Extreme des Hypernationalitäten-Kultus führt zwar eventuell zu einer gewissen Entwickelung, aber eben nur nationaler Kunst, zu einer Völkerkunst, dann aber auch zu einer gewissen Versteifung und Krystallisation, wie bei den Chinesen und Indiern; sie führt aber nicht zur Weltkunst, welche nur erblühen kann, wenn der Geist der Freiheit und allgemeinen Völkerverbrüderung, mit einem Wort echt freimaurerischer Geist, wie zu Zeiten Goethe's und Schiller's, den Ton angibt, er muss den Diskant der Zeitstimmen bilden. Die nationale und Völkerkunst ist aber eine Todfeindin der Weltkunst.
Aber auch bei einer eventuellen Weltkunst wäre ein Erstarren, ein Extrem möglich, durch eindringende Uniformität, Nüchternheit, Verschwommenheit, durch beschränkte und einseitige Erfassung der Kunstaufgaben; daher müssen die den Zeitgeist tragenden Elemente mehrfacher Art sein und der Geist muss sein Recht erhalten, aber auch das Leben, das heisst nicht blos die graue Theorie, sondern auch des Lebens grüngoldener Baum mit den Granatfrüchten der Erkenntniss, die aber erst reifen werden, wenn uns eine andere Sonne aufgeht, als unsere trübe, gewohnte europäische Sonne, die das eine Mal wie eine schlechte Diebsblendlaterne, das andere Mal wie eine Kirchenlampe aussieht.
Auf einer Seite rufen einige Kunsttheoretiker von der Kanzel ihres Phantasietempels: »Wir brauchen eine neue Renaissance zur nothwendigen Rettung aus unserem Kunstelende!« Man war entzückt über die fortwährenden neuen Prachtfunde Dr. Schliemann's und Genossen an den klassischen Stellen der Hiade und Odyssee und man verlangt nunmehr von Seite dieser Philhellenen, dass auf der unvergleichlich altgriechisch- römisch- pompejanischen Kunstbasis weiter gestrebt wird, und dass wir trachten sollten, auf diesen Fundamenten ein neues Gebäude der Kunst und des Lebens aufzubauen ! An und für sich Alles sehr schön und diese Sehnsucht nach klassischer Vollkommenheit und der Herrschaft des Schönen wie bei den Griechen ist gewiss zu ehren.
Aber nun kommen die Anderen, die ihren Katheder, wie es den Anschein hat, in keinem hehren Schönheitstempel, von Götterbildern umgeben, sondern an einem sehr realistischen Orte — Bierhaus !? — aufgestellt haben, höchstens mit scytischen Symbolen geschmückt, und diese sagen noch viel kategorischer als jene: Der Künstler muss herabsteigen zum Volke und zu dessen Verständniss und Bedürfnis !! O ! Hohngelächter der Hölle !! Ist das die Aufgabe der Kunst, entspricht dies ihren Intentionen? und notabene: Herabsteigen zum Volke *), welches für die Kunst überhaupt, geschweige für die Baukunst gar kein Verständniss hat, notabene der reinklassischen; das Volk, welches nur durch und durch praktisch und nüchtern oder indolent ist, poësielos ! So sagen wir und mit uns viele Andere, und es wird sich zeigen, wer Recht hat.
Der Künstler sollte also von seiner olympischen Höhe herabsteigen zum Volke, von einem Feststehenden zu einem Schwankenden ! Die Kunst ist Poësie, das Volk ist Prosa; die Technik kann zum Volke herabsteigen, die Kunst als solche kann es nicht, wenn sie nicht einen Selbstmord begehen will. Schon längst hat das Volk Apollo und die Musen aus den Theatern geworfen und dafür in Tingl- Tangls Götzen aufgestellt, die wie manche Fetische von Südsee-Insulanern mit Schlamm gefüttert werden; soll dies auch das Schicksal der übrigen Künste, soll dies das Schicksal der Baukunst sein ? Das wäre also schon kein Herabsteigen mehr, das wäre ein tiefes Versinken; wir Baukünstler aber wollen hier wenigstens nicht die Rolle des Goethe`schen Jünglings spielen und wie dieser von der Meerjungfrau, uns in diesem Falle von der Sirene falscher Volksgunst bestricken lassen, »halb zog sie ihn, halb sank er hin !« Daraus kann nichts werden.
Allerdings ist an der Sache etwas **); aber wo sind

*) Selbstverständlich ist hier unter »Volk« nur der sogenannte »grosse Haufe«, die soziale Olla potrida gemeint, inklusive Plebs und Mob, das ganze grosse Volkschaos, ohne Trennung von Licht und Schatten, von Hefe und Geist, von Bildung und Schmutz.

**) Dieses »Etwas« ist künstlerisch sehr wenig, bautechnisch-national-ökonomisch sehr viel ! Es betrifft unter Anderem unsere Städte-Entwickelung, den Bau von Arbeiterhäusern, von Häusern für den Mittelstand, welchen die bisherigen, aus der Zeit des Siebziger blauen Börsendunstes entstandenen Baugesellschaften gar nicht berücksichtigten — auch der Staat nicht ! Es wäre wichtig für das soziale und Staatsleben, dass jeder Staatsbürger ein bauliches Eigenthum besitzt, das ist jenes »Etwas«. Dies betrifft aber wenig die Kunst als solche!

die Grenzen einer Volksberücksichtigung ? Ganz besonders in der Baukunst?!
Die Bautechnik ist, von reinen Idealbauten, deren es nicht zu viele gibt, abgesehen, stark vom Bedürfniss abhängig; die Kunst veredelt dieses Bedürfniss, also schöpft sie zum Theil immerhin, aber indirekt auch aus dem Bedürfnis ! Gut ! Aber der ideal-formale Ausdruck des Schönen, die Harmonie, die Charakteristik der Kunstformen, den Styl, woher nehmen wir dies Alles?
Dies verdanken wir der Kunst.
Ueber das Wieso? und Warum? aber, sowie über das Gefallen an und für sich ist schon mancher Kunsttheoretiker gestolpert; hier ist eine verderbliche Klippe und boshafte Dämonen rufen: Hic Rhodus, hic salta ! Man dreht sich aber dabei immer im Zirkel. Stellt einen gothischen Dom hin mit Polychromie im Inneren und aussen, mit den »berühmten Goethe-Heine`schen Brabanterspitzen« besetzt, — das Volk findet wahrscheinlich in der Mehrzahl Gefallen daran, wenigstens die besseren Elemente desselben; stellt einen griechischen Tempel hin mit äusserer Polychromie und mit Vergoldung innen und aussen, das Volk findet wahrscheinlich auch Gefallen daran, denn es wird im Ganzen und Grossen durch die Farben und ihren sinnlichen Reiz bestochen werden. Das wahre, echte Kunstverständniss fehlt ja der Masse und ist selbst bei einem grossen Theile des Volkes nur ein Unbewusstes. Der schönste Bau verliert in den Augen der Menge, wenn er sich etwa nicht als praktisch und zweckmässig erweisen sollte.
Der echte Künstler schafft jedoch, unbekümmert um das Gesumme der Laien und der Kritik, weil er schaffen muss, und was ein echter Künstler schafft, kann sich wohl immer sehen lassen und macht selbst oft Eindruck auf den schlichten Bauer *).
Aber damit predigt man tauben Ohren, die Kunstnihilisten wollen nichts wissen davon **).
Fort also mit allen Akademieen, Universitäten u. dgl., wir holen unsere Bildung, unsere Kunstanschauung von nun an lediglich vom sogenannten »Volke« ....., man glaubt gar nicht, wie viel Unfug mit diesem Worte getrieben wird; da haben wir Schlagworte wie z. B. »volksthümlicher Bau«, »Herabsteigen des arroganten Baukünstlers von seinem starren Postament oder seinem luftigen Traumwahn-Belvedere (?!) zum Volke und dessen Verständniss« u. s. w.; statt dass das Volk gebildet würde durch den Anblick von Kunstwerken, und dass deren Geist als ein Fluidum aus höheren Regionen stärkend, beseligend und läuternd auf dasselbe einwirkt.
Was ist das Volk ?!
Sehen wir uns dasselbe genauer an.
Man hat keinen klaren Begriff vom Wesen des Volkes, man kann sich darunter nach verschiedenen Standpunkten und Auffassungen je etwas Anderes vorstellen.
Löst man es in seine Theile auf, so hat jeder Theil sein besonderes Interesse, seine besonderen Anschauungen; nur selten begegnen sich diese Anschauungen und Interessen in einem Punkte, aber wenn dies hie und da geschieht, so entsteht die sogenannte »öffentliche Meinung«, die aber bekanntlich auch in Kunstsachen und da umsomehr verschiedenen Einflüssen zugänglich ist. Der Geistliche schwärmt für die Gothik, der Militär des Durchschnittsgenres für glatten Kasernenstyl, der nüchterne Beamte vielleicht mehr für den Franziskäischen oder Napoleon- Styl, der Spiessbürger für gar nichts, der Pöbel für Ungebundenheit; und der Künstler selbst ?! Auch jeder Künstler hat sein

*) Z. B. der Kölner Dom, Raphael oder Correggio's Gemälde, Beethoven's Tonwerke etc.

**) In den angeführten Anforderungen an die Kunst, speziell in die Baukunst, stammend aus den verschiedenen Lagern der Romantiker, der Klassizisten und Popularisten (Kunstnihilisten) liegt ein so kolossaler Widerspruch, dass eine Ueberbrückung kaum möglich ist; man steht nur rathlos an den gähnenden Abgründen, aus welchen Schwefeldämpfe heraufsteigen, die uns das Athmen erschweren.

eigenes Privatideal und Steckenpferd. Wie ist es aber mit den Nationen? Die Italiener haben ein gewisses angeborenes Gefühl unisono für Plastik und Opernmusik; die Spanier für Tanzkunst, die Engländer für geistliche Musik mit Orgel und Harfe, die Franzosen für das Schauspiel etc. Aber ein allgemeines umfassendes Kunstgefühl hatten nur die Alten *). Der Korpsgeist und die gewohnte spezielle (Brod-) Beschäftigung versehen jeden gewöhnlichen Menschen mit einer Blende vor den Augen, welche ihn am Sehen verhindert, und er gelangt allmälig, ohne es selbst zu wissen, zu den absurdesten und verschrobensten oder einseitigsten und flachsten Ideen; dies passirt auch wohl mitunter anderen, von der Natur begünstigteren Geistern, so z. B. besonders Gelehrten.
Das Volk ist ferner beeinflusst durch Klima, Zeitgeist, Erziehung, Religion, Charakter-Eigenthümlichkeiten, wie sie eben die Nationalität und andere Umstände mit sich bringen, durch Gewohnheiten, Kultur etc. Die unterste Volksschichte hat in der Regel (mit wenig Ausnahmen) nur Verständniss für Lehmhütten mit Strohdach, Waldhöhlen etc. Hiezu zählt der ganz gemeine Pöbel, der Auswurf von unten, der aber dank unserer sozialen Zustände immer zahlreicher wird, so zahlreich, dass dem aufmerksamen Beobachter schon Hören und Sehen vergeht; von einem Gefühle für Künste und Poësie etc. ist also hier gar keine Rede, keine Spur, und es verbleibt im günstigsten Falle nur das niedrigste Bauwesen. Auch die besseren unteren Klassen haben in der Regel kein besonderes Verständniss für Künste; sie finden sich in der Baukunst (recte Bauwesen) mit dem Nothwendigsten ab; auch hier herrscht noch viel Noth, Verwahrlosung, moralisches Elend, traumseliges Abhaspeln des Lebens, Vegetation; Ausnahmen fallen nicht in die Wagschale. — In den sogenannten unteren Mittelständen (Bauern, Arbeiter, Kleinbürger, nach dem Bildungsgrade in's Auge gefasst) herrscht meistens die nationale, religiös-politische Prinzipienfexerei, die Gewohnheit, Tendenz, Tradition, die Unklarheit der Begriffe, die Unzufriedenheit, das sich Unterdrücktfühlen etc. Wo soll da ein Aufschwung zur Kunst, ein Kunstverständniss, also auch für die Baukunst, herkommen? Höchst selten ! Wenn dies schon der Fall, so finden wir ein gewisses Verständniss bei jenen Gewerbsleuten und Arbeitern der kunstgewerblichen Branchen, die also vermöge ihrer Beschäftigung unwillkürlich sich einen gewissen Geschmack und Kunstsinn (?) erworben haben; und kommt wohl ausserdem einmal und irgendwo ein Kunstverständniss zu Tage, so darf es wenigstens nichts kosten. Bei den Italienern und Franzosen steckt auch in einem grossen Theile der unteren Volksschichten etwas Sinn für das Schöne, Elegante, Zierliche und Farbenprächtige; hier wirkten noch alte Traditionen und Erziehung durch Zeitumstände nach **).
Wenn also die Kunst zum Volksbedürfniss, wie wir es jetzt, wo wir schon zu den Mittelschichten vorgedrungen sind, kennen gelernt, herabsteigen sollte, so müssten wir uns nur mit der nationalen und ländlichen Baukunst befassen, das ist in Deutschland der schofle Riegelbau, in den Alpenländern, in Skandinavien, Russland, Amerika der Blockbau oder allenfalls der zierlichere Schweizerholzbaustyl; auf diesem Wege ist aber ein Kunstaufschwung, eine Blüte, ein Gedeihen absolut nicht denkbar; in der Baukunst nicht, geschweige denn in den übrigen Künsten. Es hat zwar Völker in gewissen Stadien gegeben, welche es auch ohne akademische Bildung ihrerseits zu höherer Stylentwickelung brachten, aber es war auf dem Wege der Zunft, der Kaste, des Gewerbes; so schufen die Mexikaner, die Chinesen, die Indier, die Aegypter manches merkwürdige Werk; am meisten artete aber die chinesische Kunst in's Gewerbsmässige aus und stockte daher auch bald wie geronnenes Blut. Das ist dann nicht das echte Kunst- (und Bau-) Leben, das

*) In der That bestand ein solcher Kontakt zwischen Kunst und KünstIern einerseits und dem Volke andererseits bei den Griechen ganz besonders; seitdem kam ein solches Beispiel nicht wieder vor; wann je wieder solche glückliche Epochen kommen, das wissen die Götter, aber nicht unsere modernen Götzen.

**) Im Ganzen nimmt ein Volk jenes Verständniss und jenen Kunststyl an, für welchen es quasi erzogen wurde, an welchen es sich durch Generationen gewöhnt hat; so war es zur Zeit der Gothik, so zur Renaissance-Epoche etc. Wie aber bei den Griechen und Römer der allgemeine Verfall eine gewisse Höhe erreichte, so sank auch in den unteren und mittleren Volksschichten der Sinn für Kunst rapid und machte der Rohheit und Sinneslust Platz.

ist nur instinktives Bilden, ähnlich dem Biber, der Schwalbe etc. Dahin käme es jedoch, wenn die Kunst herabsteigen sollte; nach einigen Stufen schon wird aus dem Herabsteigen ein Herabkollern und endlich unabweisbar ein Versinken.
Die Klasse der Halbgebildeten, der Durchschnitts- Haute- Volée, der wohlhabenden Philister und Spiessbürger geht ganz in der Mode auf; sie haben selten ein eigenes selbständiges Verständniss in Kunstsachen, sondern papperln das nach, was ihnen ein geistreichelnder Feuilletonist eines tonangebenden Tagblattes mit dem Nürnberger Trichter einträufelt. Vom wahren gründlichen Wissen, vom wahren echten Kunstsinne ist gewöhnlich keine Rede; fragt man sie z. B. warum sie besonders den Renaissancestyl vorziehen, so antworten sie wie die Backfischchen eines höheren Töchterpensionates mit Verlegenheitsphrasen; Rechenschaft über ihr Fühlen und sogenanntes »Denken« können sie sich selbst und Anderen nicht geben, denn sie haben kaum einen Dunst vom Geiste der Architektur, vom Wesen der Kunst; von Geist ist keine Spur, es ist Alles nur Dressur !
Die eigentlichen Gebildeten befinden sich im Verhältniss zur Volkszahl in äusserster Minorität, und es ist zu bedenken, dass auch hier nicht Jeder gleich begabt ist, und der leidige Brodberuf die Meisten höchst einseitig macht *). Bei einer Anzahl fehlt jegliches Interesse an den Künsten, und da sie von den Künstlern als Menschen nicht viel halten, so werfen sie dieselben sammt den Leistungen der Gesammtkunst in die Pfanne, während sie sich aber ganz gemüthlich von nichtigen Alltagsdingen und von leidiger (falscher !) Politik beherrschen lassen. Und so weiter in infinitum !
Man wird mithin leicht begreifen, was es für einen Werth hätte, wenn man eine sogenannte volksthümliche Kunst, respektive Baukunst inauguriren wollte ! Und nun die armen Künstler !! Die Einen binden sie an die Rakete ihrer momentan auflodernden Begeisterung und feuern sie in den Olymp hinauf, um dort prometheusartig neue Kunstblitze zu schnipfen, die Anderen aber reissen sie recht unmanierlich und brutal aus ihren idealen Träumen und zeigen ihnen das bunt durcheinander quirlende Volk und rufen: »Vox populi — Vox Dei !« Hm ! Der Wald ruft nur das zurück, was man hineinschreit ! Auch das Kunstgenie ist göttlich und will sein heiliges Recht ! Es gibt aIIerdings ein völkerpsychologisches Moment in Geschichte und Kunst, aber ist deshalb das Volk als Lehrmeister für die Kunst zu betrachten ?
Der Künstler also auch der Baukünstler, geht ja so wie so aus dem Volke hervor und wird in allgemeinen Relationen nolens volens sozusagen ein Delegirter desselben am Hofe der Idealität; er ist naturgemäss stets ein Kind seiner Zeit; aber dennoch darf er sich selbst und die Kunst nicht verleugnen, darf sein Genie und die Kunst nicht prostituiren; soll er sich deshaIb, wenn das Volk etwa am Rande des Verfallabgrundes sich befindet, mit demselben hinabstürzen bei noch klarer Vernunft ? Ein sonderbares Verlangen ! Aber auch ein zweideutiges Verlangen, zum Volke herabzusteigen; man kann es so deuten, dass man erkennt, das Volk en gros befinde sich unter dem Künstler, da er ja sonst nicht herabzusteigen brauchte. Das Volk ist nach dem eigenen Geständnisse der Enthusiasten »köstlich naiv und unwissend !« Nun schöpfe, Künstler, aus diesem Born, besonders du, Baukünstler ! Versuche es, wenn du kannst ! Was du da schöpfst wird wohl »Kunstwein« sein, aber kein Wein der Kunst, der ihre Glieder wärmt und ihren Geist erquickt, das Herz erfreut. Einstweilen harren wir erwartungsvoll des bezaubernden Schaumgebildes, der »allermodernsten Renaissance«, in möglichst klassisch- volksthümlich durchgebildeter herabsteigender Auffassung, wie sie sich zur tragischen Vollendung allmälig krystallisirt; vorläufig haben wir z. B. in Paris das Neogréc in verbesserter Auflage, die Luministen, Naturalisten, Plein airisten, Impressionisten etc. in der Malerei, die Sentimen

*) Das hat sich selbst bei sehr grossen Geistern gezeigt; Goethe und Schiller waren keine besonderen Musikfreunde, Kant und Schopenhauer fassten die Künste ganz falsch auf, Beethoven und Berlioz hielten keine grossen Stücke auf die anderen Künste und schwärmten nur für die lateinischen Klassiker u.s.w.

talisten und Naturalisten in der italienischen Plastik, die Gemälde- und Häuserfabriken, den bestrickenden Massen- und Firlefanzreiz moderner Architektur in manchen Städten etc. Nichts dauert ewig !
Hoffen wir, dass man sich wenigstens in kompetenten Kreisen eines Besseren besinnen wird, als immer zu rufen nach einer volksthümlichen Kunst, vornehmlich einer populären Baukunst. Aber wir können auch keinen Idee'n nachgehen, die auf ein Kunst- oder soziales Leben abzielten, welche nur in einer radikalen, hohen und klassischen Metamorphose à la Helenenthum, in einem Umschwunge aller Verhältnisse zu Gunsten des Schönen, Wahren und Guten Basis finden könnten; dort ist also Abwehr, hier aber vorläufig Geduld geboten !.....
VI. Schlusswort. — Die Baukunst braucht also nicht zum Volk herabzusteigen, sie nimmt allmälig so wie so das Gepräge der Zeit an, in der sie sich entwickelt, und wird somit auch zu deren Ausdruck, und dies betrifft nicht allein die Baukunst, sondern alle Künste; hat nun die Zeit einen grossen, schönen, edlen und höheren Zug, so kommt dies unbedingt den Künsten zugute und in denselben zur Erscheinung. Aber auch die National-Eigenthümlichkeiten und Klimate drücken den Künsten ihren Stempel auf; ist der Einfluss dieser genannten Faktoren zu stark, so werden natürlich die betreffenden Kunstwerke sehr bald ein manierirtes Ansehen erhalten und dies zeigt sich unter Anderem besonders in der französischen, englischen und amerikanischen Plastik und Malerei; nachdem gegenwärtig der Nationalitäten-Schwindel wie nie zuvor grassirt, so steht zu befürchten, dass die Künste überhaupt am Ende einer nationalen Versteifung entgegen gehen.
Das edle Griechenthum schuf die klassischen Formen der hehren antiken Kunst, deren Wiederbelebung brachte die Blüten der Renaissance zur Entfaltung zunächst in dem schönen Italien, von jeher dem Lande der Kunst; das Ritter- und Klosterthum schufen die Romaneske und Gothik förmlich so, als ob hierin eigenthümliche geheime Naturgesetze walteten, welche immer für den adäquaten Ausdruck sorgten; die zierliche Welt des 18. Jahrhunderts, wo Reifrock, Chapeau-bas, Galanteriedegen und die blassen Farben der moschusduftenden Boudoirs bemerkenswerthe Zeit- und Kulturzeichen waren, diese zierliche, gepuderte und mit Schönheits-Pflästerchen verklebte Welt schuf das Gepräge des Rococo und Zopfs, welches im Inneren und in der Dekoration oft sehr Hübsches zu Tage förderte, aber in der grossen Architektur sehr oft in Firlefanz ausartete.
Und so ward es unserer Zeit vorbehalten, in Folge neuer Aufgaben und dem Emporkommen eines verhältnissmässig kleinen Theiles der Staatsbürger zu einem früher nie dagewesenen Scheinwohlstand und oft falscher Noblesse, auch der Baukunst theils das Gepräge des Pompösen und Grossartigen, aber dann gleich daneben das Gepräge des »Gschnas«- und Charlatanhaften zu geben, wo nicht selten die äussere schöne Maske die innere Unzweckmässigkeit verbirgt; wo ist da die Wahrung der Prinzipien ?
Wir bilden uns sehr viel auf die Zweckmässigkeit der Konstruktionen und Dispositionen in unserem modernen Bauwesen ein, aber die praktische Benützung der betreffenden Bauten zeigt nachträglich nur zu häufig das gerade Gegentheil von Zweckmässigkeit und Bequemlichkeit und die vielbesungene Schönheit so mancher moderner Bauten erinnert nur an die erborgten Reize verblühter Damen !
Sollte uns wirklich einst das Schicksal beschieden sein, dass statt einer thatsächlichen Genesung der Gesellschaft nur eine vage Scheingenesung platzgreift und wir mit dem sozialdemokratischen Oel so stark gesalbt werden, dass wir vom Fette triefen, so wird es nicht ausbleiben, dass sich dies auch unwillkürlich sehr bald in der Baukunst und in allen Künsten wesentlich bemerkbar machen würde; da hätten wir dann im Fluge drei markante Episoden der Kunst, eine verderblicher als die andere, durchgemacht, und das Ende ist der Verfall, muss es sein, und zwar:
1. Die Kunst eines ganz in verschrobenen Sportsidee'n versunkenen Adels und dessen Einfluss auf das gesammte Kunstleben.
2. Die Kunst eines Theiles des Bürgerthums, das den Adel nachäfft, die Kunst der Börsenwelt mit Talmigoldglanz und des gesammten Anhanges.
3. Die (eben drohende) Pseudo-Kunst des Plebs, dem politische Freiheit und die gesammten Ideale hohler Quark sind und der nur dem Magen lebt, welcher zorn-, gram- und neiderfüllt, verständnisslos für alles Edle und Bessere, dieses vernichten möchte und für unnütz hält, welcher nur in der Gemeinheit sein Himmelreich findet, und der — Prosit ! — höchstens ein fabriks- und schablonenmässiges Bauwesen akzeptirt nach einem in der Bierkneipe festgestellten Kunstkodex, und so kämen wir, nachdem ohnedies schon die Profanirung und Prostituirung der höchsten, edelsten und interessantesten Bauformen das Möglichste bei verschiedenen Käsestecher- und Viehhändlerpalais geleistet, vom Regen in die Traufe !
Sind wir dann einmal so weit, so wird man mit verzweiflungsvoller Ironie ausrufen: Finis corronat opus ! Saxa loquuntur ! Aber fragt nur nicht wie ! Notabene, wenn vielleicht auch (oder umsomehr) kein Stein auf dem anderen liegen bleibt !
Die wahren, echten und unverfälschten Kunstprinzipien, hier also vornehmlich die Prinzipien der Baukunst, die würden begraben unter dem schadenfrohen Hohngelächter der Feinde der Freiheit, der Kultur und des edlen Fortschrittes, denn in einem allgemeinen, politischen, sozialen, kulturellen und konfessionellen Babel gibt es überhaupt keine Prinzipien, also auch keine Kunstprinzipien, Alles ist Wrack und treibt ziellos auf stürmischem Meere ! Niemand weiss wie lange *).

*) Es ist nicht zu verkennen, dass das Bauwesen, das heisst der praktische Theil der Baukunst, nicht vornehm ignorirt werden darf, und wenn man unter den wichtigsten Relationen, in welchen die Baukunst im Allgemeinen zum Volke steht, die vernünftigen Erfordernisse des Bauwesens zum praktischen Bedürfnisse rechnet, so kann man den diesbezüglichen Stimmen nicht ganz Unrecht geben; wir bauen ja nicht zum Spass und führen ja keine reinen Phantasie- und Idealbauten auf, um jugendliche Träume zu verwirklichen, zu welchen uns vielleicht irgend ein Gedicht Goethe's oder die Lektüre der griechischen Kunstgeschichte begeisterte. Im Ganzen und Grossen ignorirt nun auch die Baukunst diese realen Anforderungen nicht, ja in einzelnen Fällen thut sie hier des Guten fast zu viel, aber — man fasst das Praktische sehr oft falsch auf. Man schafft Räume für bürgerliche, Civil- und Militär- oder kommunale, Kunst- und Industriebauten etc., welche weit über oder unter dem Bedürfniss stehen, sei's an Höhe oder Tiefe, Beleuchtungs-, Ventilations- oder Heizfähigkeit, eventuell Fassungsfähigkeit, Feuer- oder Wassersicherheit, Tragfähigkeit etc. Hier sehen wir also die Baukunst im völligen Widerstreit mit dem Bauwesen, eine gänzliche Verkennung der Prinzipien ! So treffen wir heutzutage Prachtbauten, welche Millionen gekostet haben, schon anfangs oder nach kurzem Gebrauche gar nicht mehr ihrem Zwecke entsprechend, zu klein, ganz unzulänglich, mit vielfachem Mangel an Nebenräumen etc. Dies betrifft Opernhäuser, Rathhäuser, Hoftheater etc., und man muss zu beschämenden Zu- und Umbauten schreiten, die man bei reiflicher Ueberlegung der praktischen Anforderungen hätte leicht vermeiden können. Dient derlei zum Ruhm der modernen Baukunst ?! Hebt dies etwa den Kredit der Baukunst im Volke ?! Niemals!