Vor
kurzem wurde an dieser Stelle (No.
60) ein vielleicht weitere Fachkreise interessirender
Artikel eines Dresdener Blattes „Volksthümliche
Bauweise in Dresden" wiedergegeben. Wie lebhaft man im allgemeinen
gerade in Sachsen einer nationalen Strömung entgegen zu kommen
geneigt ist,
zeigte der am 8. Novbr.
abgehaltene
Gemeindetag, auf welchem in nicht genug zu schätzender und
hoffentlich
vorbildlicher Weise die vereinigten Amtshauptmannschaften
von Dresden A: und N. Gelegenheit nahmen, die versammelten
Gemeinde-Vorstände
und -Aeltesten in
eingehender Weise mit den
bestehenden Misständen
des Bauwesens in ihren
Bezirken bekannt zu machen und ihnen nach Maassgabe
ihrer jeweiligen Autorität in baulichen Angelegenheiten eine
Besserung der
Verhältnisse ans Herz zu legen. Ein
längerer, bei dieser Gelegenheit
gehaltener und durch zahlreiche, in volksthümlicher
Bauweise gehaltene Entwürfe hiesiger Architekten
(Gräbner,
Diestel, Grothe, Hänichen)
erläuterter Vortrag des Hrn. Landbauinsp.
Schmidt,
welcher sich
bereits durch seine lebhaften Bemühungen um den hier mit
grossem
Erfolge ins Leben gerufenen „Verein für
Sächsische Volkskunde" nach der
betr. Richtung verdient gemacht hat, beschäftigte sich in
ausführlicher Weise
mit dem allen ernsthaften Architekten geläufigen Thema der
Nothwendigkeit
einer Aufbesserung unserer städtischen und ländlichen
Bauverhältnisse.
Kamin
im ersten Stock des Schlosses Wilhelmsburg bei Schmalkalden
Redner
beleuchtete zuvörderst die Ursachen des Verfalls unserer
charaktervollen
deutschen Bauweise, Wohl mit Recht machte er in der Hauptsache die
mangelhafte
Schulung der meisten aufgrund der Gewerbefreiheit praktizirenden
„Baugewerker”
und Bauspekulanten verantwortlich,
welche ohne Rücksicht auf die besonderen Erfordernisse, welche
die Oertlichkeit, die
Lage des Grundstückes, die
Lebensbedingungen der Bevölkerung nun einmal an den Bauenden
stellen, mit den
ihnen zur Verfügung stehenden geringen geistigen Mitteln
zumeist in den
Vororten und ländlichen Bezirken wahre Ungeheuer an
Geschmacklosigkeit liefern,
auch wohl unter verständnissloser,
unnützer
Vergeudung nicht unerheblicher Geldmittel. Des Weiteren
aber traf der Vorwurf des Redners die örtlichen
Behörden und Sachverständigen,
welche viel zu wenig geneigt sind, dem künstlerischen Moment
eines ihnen zur
Begutachtung vorgelegten Bauentwurfes ein der Wichtigkeit der Sache
entsprechendes Interesse zuzuwenden und ganze Ortstheile,
die ihrer Lage nach geeignet wären, in den richtigen
Händen zu einer Zierde der
Gegend zu werden, zum Schrecken aller mit einigem Geschmack begabten
Anwohner
werden lassen; obgleich die meisten Lokal-Bauordnungen einen
Paragraphen
enthalten, der die Vorstände berechtigt, öffentliches
Aergerniss
erregende Baulichkeiten zu verhindern. Leider leisten
diesem Uebelstande die
meist veralteten, vor zwanzig
und mehr Jahren unter ganz anderen Verhältnissen geschaffenen
Bauvorschriften
Vorschub, welche ihre Normen aus dem Schatze der vor Einigung des
Reiches
allgemein herrschenden Geschmacklosigkeit in baulichen Sachen nehmend,
der Schablonen-Mache
des Spekulantenthums
entgegen kommen, für den frei
schaffenden Architekten aber, der sich dessen, was mit Bezug auf die
Rechte der
Allgemeinheit erlaubt oder nicht erlaubt sein darf, meist klarer ist
als die
betreffende Bauvorschrift, zur hemmenden Fessel und zur Quelle
vielfacher
Unzuträglichkeiten werden.
So
kennen die Bauvorschriften noch
keinen Unterschied zwischen Flachland und Gebirgsgegend, zwischen
reichen und
verarmten Landbezirken. Hier wie dort macht sich die Karrikatur
des städtischen Miethhauses
breit, meistens mit den
Einzelformen der sogen. „Italienischen Renaissance" (die dem
ihr eigenen grossen
Maasstab nach überhaupt nur für Gebäude ganz
monumentaler, sagen wir repräsentativer Art und mehr
internationalen Charakters
als Bahnhöfe, Banken, Opernhäuser, katholische
Kirchen aufgehoben bleiben
sollte), ohne Rücksicht darauf, ob die betreffende Gegend
nicht vielleicht in
historisch überlieferter Bauweise für ein gesundes,
dem Boden entwachsenes, volksthümliches
Bauen die genügende Grundlage böte.
Freilich sollte
auch hierin der Staat selber mit gutem Beispiele vorangehen und dem
bauenden Theil der
Bevölkerung an weit sichtbarer Stelle beweisen,
dass wir mit unserer heimischen Bauweise, die sich von Alters her mit
den
einfachsten künstlerischen Mitteln (wie es die griechische
Tempelkunst nach
ihrer nationalen Seite auch nicht anders that)
begnügte, nicht nur unserem deutschen Sinne
gefälliger, sondern auch billiger
bauen, als wenn wir immer wieder unsere öffentlichen
Gebäude zu Denkmälern
stempeln und sie mit den ungeheuren, von der italienischen Renaissance
geforderten Stein- und Raummassen bedenken, die das Gemüth
der Bevölkerung ebenso durch das Fremdartige ihrer
Erscheinung, wie durch die unverhältnissmässig
hohen Baukosten belasten. Der einmalige
Versuch durch zwei denselben praktischen Zwecken dienende
Bauentwürfe nach der
einen und nach der anderen Richtung hinsichtlich der Kosten den Vorzug
des
einen vor dem anderen zu erweisen, dürfte zu einem
sehr lehrreichen Ergebniss
führen.
Unter
Hinweis auf einige zur
Ausstellung gelangte, mustergiltig
schlechte, eigens
als abschreckende Beispiele aufgenommene Baulichkeiten, empfiehlt
Redner dann,
sich gegen den herrschenden Gebrauch auch zu ländlichen Bauten
der Hilfe
einsichtiger, in künstlerischer Praxis geschulter Architekten
zu bedienen. Dass
hiervon thatsächlich
eine wesentliche Besserung der
Verhältnisse zu erwarten sei, habe deutlich das Ergebniss
der s. Zt. vom Ministerium des Innern hervorgerufenen Wettbewerbe um
Entwürfe
für kleinbäuerliche Gehöfte gezeigt. Und wie
ernsthaft diese nach der
nationalen bezw. volksthümlichen
Seite gehende Richtung zu nehmen sei, gehe auch wohl daraus hervor,
dass es
nicht Anfänger sind, welche sich ihr zuwenden, sondern
gereifte, in
langjähriger künstlerischer Thätigkeit
den Feinheiten
der Volksbauweise zugänglich gewordene Architekten, welche
ihre Zwecke mit den
möglichst einfachsten Mitteln zu erreichen suchen. Der
Redner verfehlte daher nicht, die Versammelten zu bitten, Bestrebungen
nach
dieser Seite hin nach Kräften zu unterstützen und
wenn nöthig,
durch Dispensation von veralteten oder dem besonderen Falle
hinderlichen
Bauvorschriften zu fördern. Insbesondere
sprach derselbe den hier, trotz der Anregung des Ministeriums zur
Schaffung
billiger, gesunder Wohnungen vielfach angefeindeten Dachwohnungen das
Wort mitbezug darauf,
dass gerade sie in den richtigen Händen
geeignet sind, durch die künstlerische Verwendung der ihre
Bewohnbarkeit
bedingenden und ausdrückenden Motive als Giebel, Erker,
Thürmchen
usw. ganze Strassenzüge
oder Ortstheile
(man sehe sich nur Nürnberg, Rothenburg, Hildesheim, Goslar
oder die neueren
Villenvorstädte von München an) für den
Besucher zum ästhetischen Genussmittel
zu machen und auf ihre Weise zur Besserung des Volksgeschmackes, mehr
als ein
Museum vermag, beizutragen.
Der Redner
verhehlt sich nicht, dass zwar der besondere Wunsch des Bauherrn, wo
sich's um
einen solchen handelt, nicht immer dieser, von der Zeit geforderten
Richtung
wird fügbar zu machen sein; es sollten aber die
Ortsvorstände nicht
unterlassen, sich vornehmlich bei Ausführung der ihren
Verwaltungs- und
Schulzwecken dienenden Gebäude der Mithilfe eines
währten Architekten zu
bedienen und damit für weitere Kreise vorbildlich zu wirken,
im Gegensatz zu
der vorwiegend geübten Praxis, die betr. Baulichkeiten an den
meist im Gemeinderath
sitzenden Baugewerken zu übertragen. Denn
vielleicht ist dieser ganz wohl in der Lage, der Gemeinde mit solide
ausgeführter Maurer- bezw.
Zimmerarbeit
zu dienen, seine Kunstfertigkeit wird aber in den seltensten
Fällen ausreichen,
den besonderen Anforderungen des Grundrisses und des
künstlerischen Aufbaues
unter selbstverständlich gebotener Beschränkung der
Mittel zu genügen; meist
wird er sich sogar die schlechterdings unumgänglich
nöthigen
Entwurfsarbeiten — die er der Gemeinde selbstredend bei
Uebertragung
der Bauausführung „schenkt" — von irgend
einer jungen, mit den bekannten
Kenntnissen eines Baugewerks-
Schülers ausgerüsteten
Hilfskraft anfertigen lassen.
Hiermit geht
Redner auf das Thema des unlauteren Wettbewerbes in unserem Fache
über und
beklagt sich mit Recht über die Kurzsichtigkeit derjenigen
Bauherren, welche
die Planung ihrer Gebäude in den Händen des
ausführenden Baugewerksmeisters
lassen, lediglich, weil dieser vorgiebt,
die Kosten
für Entwurf und Detailzeichnungen nicht zu berechnen, die
ihnen
selbstverständlich an unkontrollirbarer
Stelle mit
einem das etwaige Architekten-Honorar weit überschreitenden
Betrage angerechnet
werden, ohne dass aus seinem Bauwerk schliesslich
das
wird, was er unter der Leitung eines seiner eigenen Bildungs- und
Gesellschafts-Sphäre angehörigen Architekten
hätte erhalten können. Andererseits
ist die Gewissenlosigkeit solcher Baugewerksmeister
scharf zu verurtheilen,
welche ihr erlerntes ehrenhaftes
Handwerk so wenig achten, dass sie es für nöthig
halten, um etwas zu gelten oder zu scheinen, auf ein ihnen fern
stehendes,
besondere Befähigung und besondere Studien erforderndes Gebiet
hinüber pfuschen
zu müssen. Redner hält es für dringend
geboten, durch die Einführung eines
Befähigungs-Nachweises, welcher zweckmässig
nach dem
Vorgange Oesterreichs
vielleicht von den Architekten-
und Ingenieur-Vereinen — nicht von den Bauschulen —
zu ertheilen
sei, diesen Misständen
zu steuern. Ganz
besonders sei die Einführung eines die Ausübung ihres
Berufes erschwerenden
Befähigungs-Nachweises für diejenigen Personen
durchzusetzen, welchen die
Schaffung von Bebauungsplänen obliegt und es sei zum mindesten
zu verlangen,
dass Bebauungspläne nicht ohne die Oberaufsicht von erfahrenen
und
weitsichtigen Architekten angefertigt werden sollten, welche die vielen
Folgen
eines geglückten oder missglückten Bebauungsplanes in
ihrer Praxis erfahren
haben und vorauszusehen befähigt sind. Denn in
einem mangelhaften
Bebauungsplan mit unverständig geführten
Strassenzügen
liege die Wurzel alles Uebels,
die oft den besten
Absichten und den redlichsten Bemühungen des auf der gebotenen
Grundlage
arbeitenden Architekten unübersteigbare Hindernisse, im
ungünstigsten Falle für
viele Jahrhunderte, in den Weg legt. Es liege auf der Hand, dass eine
künftige
Baulichkeiten in ihren Hauptmassen bereits vorbereitende
Thätigkeit
nur von Personen geübt werden kann, denen die Mehrzahl
baulicher Möglichkeiten,
die künstlerische Wirkung der Strassenzüge,
der
Einfluss von Sonne und Wind im Geiste bereits gegenwärtig
sind. Der Redner
schloss seinen mit ungetheiltem
Interesse
aufgenommenen und einen lebhaften Meinungsaustausch hervorrufenden
Vortrag mit
dem Ausdruck der Hoffnung, dass die Anzeichen einer Besserung der
angeführten Misstände
die mit Bezug auf sie gehegten Erwartungen
erfüllen möchten und dass wir, die wir die Einigung
des deutschen Reiches
erlebt, auch das Durchringen einer unserem deutschen Sondercharakter
entsprechenden Baukunst unter energischer Ablehnung alles
Fremdländischen
erleben mögen, mit der festen Zuversicht, dass wir dann wieder
in den Besitz
dessen gelangen werden, was im Laufe der politischen Wirren vergangener
Jahrzehnte verloren worden: einer Baukunst als der
volksthümlichsten
unter den Künsten und als der besten Erzieherin zu nationalem
Empfinden und
Selbstbewusstsein, ohne welches keine Nation der Welt lange im Besitze
ihres
Ansehens und ihrer Grösse
geblieben ist.
K.
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