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Autor: unbekannt
In: Deutsche Bauzeitung - 31 (1897); Nr. 100, S. 625 - 627
 
Bestrebungen zur Anbahnung einer eigenartigen nationalen Bauweise
 
Vor kurzem wurde an dieser Stelle (No. 60) ein vielleicht weitere Fachkreise interessirender Artikel eines Dresdener Blattes „Volksthümliche Bauweise in Dresden" wiedergegeben. Wie lebhaft man im allgemeinen gerade in Sachsen einer nationalen Strömung entgegen zu kommen geneigt ist, zeigte der am 8. Novbr. abgehaltene Gemeindetag, auf welchem in nicht genug zu schätzender und hoffentlich vorbildlicher Weise die vereinigten Amtshauptmannschaften von Dresden A: und N. Gelegenheit nahmen, die versammelten Gemeinde-Vorstände und -Aeltesten in eingehender Weise mit den bestehenden Misständen des Bauwesens in ihren Bezirken bekannt zu machen und ihnen nach Maassgabe ihrer jeweiligen Autorität in baulichen Angelegenheiten eine Besserung der Verhältnisse ans Herz zu legen. Ein längerer, bei dieser Gelegenheit gehaltener und durch zahlreiche, in volksthümlicher Bauweise gehaltene Entwürfe hiesiger Architekten (Gräbner, Diestel, Grothe, Hänichen) erläuterter Vortrag des Hrn. Landbauinsp. Schmidt, welcher sich bereits durch seine lebhaften Bemühungen um den hier mit grossem Erfolge ins Leben gerufenen „Verein für Sächsische Volkskunde" nach der betr. Richtung verdient gemacht hat, beschäftigte sich in ausführlicher Weise mit dem allen ernsthaften Architekten geläufigen Thema der Nothwendigkeit einer Aufbesserung unserer städtischen und ländlichen Bauverhältnisse.

Kamin im ersten Stock des Schlosses Wilhelmsburg bei Schmalkalden

Redner beleuchtete zuvörderst die Ursachen des Verfalls unserer charaktervollen deutschen Bauweise, Wohl mit Recht machte er in der Hauptsache die mangelhafte Schulung der meisten aufgrund der Gewerbefreiheit praktizirenden „Baugewerker” und Bauspekulanten verantwortlich, welche ohne Rücksicht auf die besonderen Erfordernisse, welche die Oertlichkeit, die Lage des Grundstückes, die Lebensbedingungen der Bevölkerung nun einmal an den Bauenden stellen, mit den ihnen zur Verfügung stehenden geringen geistigen Mitteln zumeist in den Vororten und ländlichen Bezirken wahre Ungeheuer an Geschmacklosigkeit liefern, auch wohl unter verständnissloser, unnützer Vergeudung nicht unerheblicher Geldmittel. Des Weiteren aber traf der Vorwurf des Redners die örtlichen Behörden und Sachverständigen, welche viel zu wenig geneigt sind, dem künstlerischen Moment eines ihnen zur Begutachtung vorgelegten Bauentwurfes ein der Wichtigkeit der Sache entsprechendes Interesse zuzuwenden und ganze Ortstheile, die ihrer Lage nach geeignet wären, in den richtigen Händen zu einer Zierde der Gegend zu werden, zum Schrecken aller mit einigem Geschmack begabten Anwohner werden lassen; obgleich die meisten Lokal-Bauordnungen einen Paragraphen enthalten, der die Vorstände berechtigt, öffentliches Aergerniss erregende Baulichkeiten zu verhindern. Leider leisten diesem Uebelstande die meist veralteten, vor zwanzig und mehr Jahren unter ganz anderen Verhältnissen geschaffenen Bauvorschriften Vorschub, welche ihre Normen aus dem Schatze der vor Einigung des Reiches allgemein herrschenden Geschmacklosigkeit in baulichen Sachen nehmend, der Schablonen-Mache des Spekulantenthums entgegen kommen, für den frei schaffenden Architekten aber, der sich dessen, was mit Bezug auf die Rechte der Allgemeinheit erlaubt oder nicht erlaubt sein darf, meist klarer ist als die betreffende Bauvorschrift, zur hemmenden Fessel und zur Quelle vielfacher Unzuträglichkeiten werden. So kennen die Bauvorschriften noch keinen Unterschied zwischen Flachland und Gebirgsgegend, zwischen reichen und verarmten Landbezirken. Hier wie dort macht sich die Karrikatur des städtischen Miethhauses breit, meistens mit den Einzelformen der sogen. „Italienischen Renaissance" (die dem ihr eigenen grossen Maasstab nach überhaupt nur für Gebäude ganz monumentaler, sagen wir repräsentativer Art und mehr internationalen Charakters als Bahnhöfe, Banken, Opernhäuser, katholische Kirchen aufgehoben bleiben sollte), ohne Rücksicht darauf, ob die betreffende Gegend nicht vielleicht in historisch überlieferter Bauweise für ein gesundes, dem Boden entwachsenes, volksthümliches Bauen die genügende Grundlage böte.

Freilich sollte auch hierin der Staat selber mit gutem Beispiele vorangehen und dem bauenden Theil der Bevölkerung an weit sichtbarer Stelle beweisen, dass wir mit unserer heimischen Bauweise, die sich von Alters her mit den einfachsten künstlerischen Mitteln (wie es die griechische Tempelkunst nach ihrer nationalen Seite auch nicht anders that) begnügte, nicht nur unserem deutschen Sinne gefälliger, sondern auch billiger bauen, als wenn wir immer wieder unsere öffentlichen Gebäude zu Denkmälern stempeln und sie mit den ungeheuren, von der italienischen Renaissance geforderten Stein- und Raummassen bedenken, die das Gemüth der Bevölkerung ebenso durch das Fremdartige ihrer Erscheinung, wie durch die unverhältnissmässig hohen Baukosten belasten. Der einmalige Versuch durch zwei denselben praktischen Zwecken dienende Bauentwürfe nach der einen und nach der anderen Richtung hinsichtlich der Kosten den Vorzug des einen vor dem anderen zu erweisen, dürfte zu einem sehr lehrreichen Ergebniss führen. Unter Hinweis auf einige zur Ausstellung gelangte, mustergiltig schlechte, eigens als abschreckende Beispiele aufgenommene Baulichkeiten, empfiehlt Redner dann, sich gegen den herrschenden Gebrauch auch zu ländlichen Bauten der Hilfe einsichtiger, in künstlerischer Praxis geschulter Architekten zu bedienen. Dass hiervon thatsächlich eine wesentliche Besserung der Verhältnisse zu erwarten sei, habe deutlich das Ergebniss der s. Zt. vom Ministerium des Innern hervorgerufenen Wettbewerbe um Entwürfe für kleinbäuerliche Gehöfte gezeigt. Und wie ernsthaft diese nach der nationalen bezw. volksthümlichen Seite gehende Richtung zu nehmen sei, gehe auch wohl daraus hervor, dass es nicht Anfänger sind, welche sich ihr zuwenden, sondern gereifte, in langjähriger künstlerischer Thätigkeit den Feinheiten der Volksbauweise zugänglich gewordene Architekten, welche ihre Zwecke mit den möglichst einfachsten Mitteln zu erreichen suchen. Der Redner verfehlte daher nicht, die Versammelten zu bitten, Bestrebungen nach dieser Seite hin nach Kräften zu unterstützen und wenn nöthig, durch Dispensation von veralteten oder dem besonderen Falle hinderlichen Bauvorschriften zu fördern. Insbesondere sprach derselbe den hier, trotz der Anregung des Ministeriums zur Schaffung billiger, gesunder Wohnungen vielfach angefeindeten Dachwohnungen das Wort mitbezug darauf, dass gerade sie in den richtigen Händen geeignet sind, durch die künstlerische Verwendung der ihre Bewohnbarkeit bedingenden und ausdrückenden Motive als Giebel, Erker, Thürmchen usw. ganze Strassenzüge oder Ortstheile (man sehe sich nur Nürnberg, Rothenburg, Hildesheim, Goslar oder die neueren Villenvorstädte von München an) für den Besucher zum ästhetischen Genussmittel zu machen und auf ihre Weise zur Besserung des Volksgeschmackes, mehr als ein Museum vermag, beizutragen. Der Redner verhehlt sich nicht, dass zwar der besondere Wunsch des Bauherrn, wo sich's um einen solchen handelt, nicht immer dieser, von der Zeit geforderten Richtung wird fügbar zu machen sein; es sollten aber die Ortsvorstände nicht unterlassen, sich vornehmlich bei Ausführung der ihren Verwaltungs- und Schulzwecken dienenden Gebäude der Mithilfe eines währten Architekten zu bedienen und damit für weitere Kreise vorbildlich zu wirken, im Gegensatz zu der vorwiegend geübten Praxis, die betr. Baulichkeiten an den meist im Gemeinderath sitzenden Baugewerken zu übertragen. Denn vielleicht ist dieser ganz wohl in der Lage, der Gemeinde mit solide ausgeführter Maurer- bezw. Zimmerarbeit zu dienen, seine Kunstfertigkeit wird aber in den seltensten Fällen ausreichen, den besonderen Anforderungen des Grundrisses und des künstlerischen Aufbaues unter selbstverständlich gebotener Beschränkung der Mittel zu genügen; meist wird er sich sogar die schlechterdings unumgänglich nöthigen Entwurfsarbeiten — die er der Gemeinde selbstredend bei Uebertragung der Bauausführung „schenkt" — von irgend einer jungen, mit den bekannten Kenntnissen eines Baugewerks- Schülers ausgerüsteten Hilfskraft anfertigen lassen.

Hiermit geht Redner auf das Thema des unlauteren Wettbewerbes in unserem Fache über und beklagt sich mit Recht über die Kurzsichtigkeit derjenigen Bauherren, welche die Planung ihrer Gebäude in den Händen des ausführenden Baugewerksmeisters lassen, lediglich, weil dieser vorgiebt, die Kosten für Entwurf und Detailzeichnungen nicht zu berechnen, die ihnen selbstverständlich an unkontrollirbarer Stelle mit einem das etwaige Architekten-Honorar weit überschreitenden Betrage angerechnet werden, ohne dass aus seinem Bauwerk schliesslich das wird, was er unter der Leitung eines seiner eigenen Bildungs- und Gesellschafts-Sphäre angehörigen Architekten hätte erhalten können. Andererseits ist die Gewissenlosigkeit solcher Baugewerksmeister scharf zu verurtheilen, welche ihr erlerntes ehrenhaftes Handwerk so wenig achten, dass sie es für nöthig halten, um etwas zu gelten oder zu scheinen, auf ein ihnen fern stehendes, besondere Befähigung und besondere Studien erforderndes Gebiet hinüber pfuschen zu müssen. Redner hält es für dringend geboten, durch die Einführung eines Befähigungs-Nachweises, welcher zweckmässig nach dem Vorgange Oesterreichs vielleicht von den Architekten- und Ingenieur-Vereinen — nicht von den Bauschulen — zu ertheilen sei, diesen Misständen zu steuern. Ganz besonders sei die Einführung eines die Ausübung ihres Berufes erschwerenden Befähigungs-Nachweises für diejenigen Personen durchzusetzen, welchen die Schaffung von Bebauungsplänen obliegt und es sei zum mindesten zu verlangen, dass Bebauungspläne nicht ohne die Oberaufsicht von erfahrenen und weitsichtigen Architekten angefertigt werden sollten, welche die vielen Folgen eines geglückten oder missglückten Bebauungsplanes in ihrer Praxis erfahren haben und vorauszusehen befähigt sind. Denn in einem mangelhaften Bebauungsplan mit unverständig geführten Strassenzügen liege die Wurzel alles Uebels, die oft den besten Absichten und den redlichsten Bemühungen des auf der gebotenen Grundlage arbeitenden Architekten unübersteigbare Hindernisse, im ungünstigsten Falle für viele Jahrhunderte, in den Weg legt. Es liege auf der Hand, dass eine künftige Baulichkeiten in ihren Hauptmassen bereits vorbereitende Thätigkeit nur von Personen geübt werden kann, denen die Mehrzahl baulicher Möglichkeiten, die künstlerische Wirkung der Strassenzüge, der Einfluss von Sonne und Wind im Geiste bereits gegenwärtig sind. Der Redner schloss seinen mit ungetheiltem Interesse aufgenommenen und einen lebhaften Meinungsaustausch hervorrufenden Vortrag mit dem Ausdruck der Hoffnung, dass die Anzeichen einer Besserung der angeführten Misstände die mit Bezug auf sie gehegten Erwartungen erfüllen möchten und dass wir, die wir die Einigung des deutschen Reiches erlebt, auch das Durchringen einer unserem deutschen Sondercharakter entsprechenden Baukunst unter energischer Ablehnung alles Fremdländischen erleben mögen, mit der festen Zuversicht, dass wir dann wieder in den Besitz dessen gelangen werden, was im Laufe der politischen Wirren vergangener Jahrzehnte verloren worden: einer Baukunst als der volksthümlichsten unter den Künsten und als der besten Erzieherin zu nationalem Empfinden und Selbstbewusstsein, ohne welches keine Nation der Welt lange im Besitze ihres Ansehens und ihrer Grösse geblieben ist.

K.