Thema
5. Jg., Heft1
Juli 2000

Thomas Schriefers

Denkmäler mit Verfallsdatum.(1)

Zur Überwindung des traditionellen Denkmalbegriffs auf Weltausstellungen

Die Tradition der Einrichtung nationaler Staatenhäuser prägt das Erscheinungsbild der Weltausstellungen, seit man sich entschied, auf den Bau eines alle Abteilungen vereinenden Messepalastes zu verzichten. Das "Pavillonsystem" wurde, ausgehend von Kleinstbauten in Wien 1873 ständig perfektioniert, bis es zum festen Bestandteil jeder groß angelegten Weltausstellung wurde. Dabei verwandelten sich Häuser vielfach in ikonografische Manifestationen, die als propagandistische Informationsträger sowohl für Produkte und Waren, als auch Weltanschauungen und Bildungsideale warben. Die beim Betrachter bewußt erzeugten Bilder förderten die Verknüpfung des Wahrgenommenen mit dem in der Erinnerung Gespeicherten, um das Erlebte assoziativ weiterzuspinnen. Dazu dienen bis heute Allegorien, Applikationen und historische Zitate, mit denen die Besucher von Weltausstellungen stets konfrontiert werden. Maßstäblich integriert oder maßstabslos übersteigert, verweisen sie auf Bedeutungen, die über den wahrgenommenen Gegenstand hinausgehen. Dadurch erscheinen viele Ausstellungsbauten als symbolträchtige Denkmäler.

Das Lexikon bezeichnet das Denkmal oder Monument als ein der Erinnerung oder Personen dienendes Werk der Architektur oder Bildhauerei. Dauerhaft und heute oft per Verordnung vor der Zerstörung geschützt, verweisen jene Gebilde auf das Kontinuum, in dem wir leben, indem sie sich auf Vergangenes und seine Vor- und Nachgeschichte beziehen. Dazu besitzen sie eine spezielle Ikonografie, Symbolwert und die Tendenz, eine dauerhaft gültige Wirkung hervorzurufen.

Mit diesem Anspruch prägen Denkmäler des 19. Jahrhunderts Stadtbilder mittelalterlicher wie zeitgenössischer Metropolen. Die Erscheinung der New Yorker Freiheitsstatue, die der französische Bildhauer Frédéric Bartholdi entwarf, bestimmt seit 1886 die Hafeneinfahrt der als "Big Apple" bekannten US-amerikanischen Hafenstadt. Ein Bauwerk, dessen Einzelteile vor der Montage auf verschiedenen Weltausstellungen vorgeführt wurden. Als Fragmente eines später zusammengefügten Ganzen dienen sie in Philadelphia (1876) und Paris (1878) als Werkproben einer zu erwartenden Großskulptur, in der sich der Denkmalwahn des 19. Jahrhunderts monumental artikuliert. In Gestalt eines Symbols der Unabhängigkeit Nordamerikas und als Ausdruck der Bestrebungen, wie sie im übertragenen Sinne Edmond Texier bereits 1852 in seiner Darstellung der Monumente von Paris vorstellt, um das zweibändige "Tableau de Paris" einzuleiten. Die von ihm beschworene Wiedergeburt "titanischer Repräsentationsarchitekturen" genügt schließlich dem Anspruch, historische Kontinuität nachzuweisen: Das Übereinander von Triumphbogen, Säule und Obelisk, von Kuppel und aufragendem Turm dokumentiert gleichzeitig aber auch das gesteigerte Interesse an symbolträchtigen Bauwerken. In Gestalt repräsentativer Häuser und Erinnerungsmale, die vielfach dem kollekitiv empfundenen Stolz nationaler Souveränität dienen.

Für das Deutsche Reich errichtet Johannes Schilling die 10 1/2 Meter hohe "Wacht am Rhein", eine "Germania"-Statue, die, mit Reichsschwert und Kaiserkrone versehen, als "Niederwald-Denkmal" einen Hang oberhalb des Rheins bei Bingen, krönt, um an die Reichsgründung zu erinnern. Beispiel des Typus eines Denkmals staatlichen Selbstbewußtseins, wie ihn Architekt Bruno Schmitz, der Entwerfer des deutschen Weltausstellungs-Pavillons in St. Louis 1904, mit seinem 1913 fertiggestellten Monument für die Völkerschlacht bei Leipzig, dem Bau des Kaiser-Wilhelm-Denkmals (Deutsches Eck) in Koblenz und der Porta Westphalica realisiert.

In Paris entwirft Jean-François-Thérèse Chalgrin 1806 den "Arc-de-Triomphe" , der seit 1835 die Mitte des heutigen "Place Charles de Gaulle" (L´Etoile) bestimmt. Auf einem kreisrunden Plateau, in das breite Boulevards münden, um die anfallenden Verkehrsströme ringsum das zu Ehren Napoleon Bonapartes errichtete Triumphtor zu lenken. Das 50 Meter hohe und 45 Meter breite Monument, mit dem Chalgrin den römischen Konstantinbogen zitiert, dient auch heute noch als Bauwerk der Erinnerung und nationale Gedenkstätte, die das "Grabmal des Unbekannten Soldaten" prägt.

Umso mehr schockiert das fotografische Bild, das den Abbruch eines ähnlichen Bauwerks zeigt. Dessen Demontage berührt das Tabu des unantastbaren Kulturerbes der Menschheit, unabhängig davon, ob es sich um die mutwillige Zerstörung des Originals oder die einer Kopie handelt.
Selbst der Hinweis auf deren Eigenschaft als Nachbau schmälert kaum das Unbehagen, das den Betrachter des in sich zusammenfallenden Denkmals befällt. Zu sehr bedingt schon das Abbild eines symbolträchtigen, auf Dauer konzipierten Gebäudes, die Übersteigerung seiner Bedeutung. Und doch kennzeichnet der Vorgang der Demontage, wie kaum ein zweiter, das Schicksal fast aller Weltausstellungsbauten, die in 150 Jahren entstanden sind. Gebäude, die meist entgegen der Konvention dauerhafter Bauten, für den Abbruch geschaffen wurden. Denkmäler mit Verfallsdatum, gewissermaßen Monumente, die als Gegenbild ihres Vorbildes, ihre Wirkung nur für kurze Zeit entfalten.

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(Abbildung 1 Bautätigkeit Eiffelturm)

Im Sinne der Thesen futuristischer Gestalter erfüllen sie dadurch aber die Merkmale, die nach Antonio Sant´ Elia eine zukunftsorientierte Stadt kennzeichnen: kurzzeitige, nicht permanente Bauten, die "in Flüchtigkeit und Vergänglichkeit bestehen".(2) Bauten, die sehr viel kurzlebiger sind als ihre Schöpfer, dadurch aber den futuristischen Anspruch erfüllen, jeder Generation ihre eigene Stadt zu ermöglichen. Eine konstante Erneuerung der Architektur, wie sie unter gewandelten Vorzeichen auch auf Weltausstellungen zur Erscheinung gebracht wird.
Dadurch verwandeln sich jene Großveranstaltungen schon früh zu Welt-Ausstellungen der Architektur, auf denen die verschiedensten Anschauungen miteinander konkurrieren. Siegfried Giedions Kritik (3) zum Trotz erlebt diese Form der Manifestation in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts eine Wiedergeburt. Der transitorische Charakter erlaubt es schließlich den Veranstaltern, den Zeitfaktor als prägendes Gestaltungsmittel sinnvoll einzusetzen.

Eine Entwicklung, die sich bereits Anfang unseres Jahrhundert ankündigt, in den Manifesten der Futuristen ebenso wie in der zunehmend durch maschinelle Technik bestimmten Alltagswelt. Zeno Diemers Gemälde des Luftschiffes Zeppelin, das er fixiert, während es ein marzialisch erscheinendes Bismarckdenkmal überfliegt, kennzeichnet den Wandel des Denkmalbegiffes bereits in jener Zeit, in der ewige Monumente noch zum Ausdrucksmittel staatlicher Macht gehören: An die Stelle fest-gefügter Standbilder mit Ewigkeitswert rücken technische Idole, z.B. Flug-Apparate, mit denen die Schwerkraft überwunden wird.

Ebenso, wie die Einführung von Maschinen die industrielle Fertigung massiv verändert, wandelt sich der Zeit- und Raum-Begriff. Der Verkürzung ehemals großer Entfernungen entspricht die Aufweitung der Perspektive, wie sie nicht allein Robert Delaunays Bilder veranschaulichen. Mit der Wandlung räumlicher Wahrnehmung wandelt sich auch die Bedeutung der Denkmäler, die ihrer meist zentral-perspektivisch festgelegten Dramaturgie entbunden werden.
Paul Westheim betont in diesem Zusammenhang bereits 1923 die Verschiebung "vom Statuarischen zur Architektonik des Plastischen".(4) Der Vergleich der Folgerichtigkeit der Konstruktion einer antiken "Hera"-Plastik mit der einer modernen Brücke kennzeichnet "dieses Bauen, das zugleich ein Bilden ist", ein "Körperlichmachen bildnerischer Energien", wodurch sich Volumen und Zwischenraum gegenseitig rhythmisieren, "um durch Kontrast Bewegung zu schaffen und der Bewegung äußerste Vehemenz zu geben. Gegenüber dem Statuarischen, dem Insichruhen (...) entsteht die Bewegtheit (...)". Ebenso aber auch der lebendige Eindruck, den Weltausstellungen auf ihre Besucher ausüben: zumeist in Form spektakulärer Inszenierungen, aber auch durch dynamische Vorgänge, die in baulichen Massen gefaßt, den Eindruck vermitteln, als bewege sich die Masse selbst: "Plastik wird hier ganz und gar motorische Bewegung, ein unablässiges Rotieren und Emportreiben, Hineinschrauben in die Atmosphäre, tänzerisches Wirbeln, Umsichdrehen und allseitiges Umsichgreifen, Mitreißen auch der umgebenden Luftschichten noch." Dabei erlangt das materialisierte Ereignis jeweils eine zeitbezogen dokumentarische Bedeutung.
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(Abbildung Eiffelturm)

Für den Architekten Le Corbusier dokumentiert der auf einer Fotoplatte fixierte Blick über das freie Weltausstellungsgelände von 1900 den Status quo des Jahres 1908. Das darauf im Hintergrund abgebildete Riesenrad dient ihm als Beispiel eines Bauwerks, das jenes neue "Zeitalter der Verwirrung" und den Augenblick, "in dem ein neuer Maßstab die Ordnung der überkommenen Größen durcheinanderwirft", kennzeichnet. Er betont dabei die beeindruckende Wirkung des Neuen, das bewundert wird. Gleichzeitig verweist er auf die kurze Dauer seiner Existenz, bis das technische Wunderwerk wieder abgetragen wird. Für Le Corbusier Anlaß der Frage nach der Erhaltung des Eiffelturms. In seinem 1929 in deutscher Sprache erschienenen Buch "Städtebau" gelangt er zu der Ansicht, das "die Frage nach dem Ewigkeitswert des Turms aufgeworfen werden" wird, "wenn dereinst die Stadt den Maßstab des Turms eingeholt haben wird".(5) Die Demontage epochaler Gebäude, wie die der von Dutert und Contamin für die Weltausstellung in Paris 1889 entworfenen Maschinenhalle 1910, bestärkt Le Corbusier in seiner Überzeugung, dass auch der Eiffelturm abgetragen werden wird.

Entgegen dieser Auffassung widersteht der Turm aber dem Ansinnen seiner Kritiker, als Wahrzeichen der Stadt Paris und Symbol des Phänomens der Weltausstellung selbst. Dabei erinnert der Eiffelturm auch an die aufsehenerregende Leistung jener, die in kürzester Zeit 18.000 Einzelteile montierten und dabei 2.500.000 Eisennieten verarbeiteten. Ein Werk, dessen sich Giovanni Battista Piranesi (1720-1778) sicher auch angenommen hätte, wäre es ihm nur möglich gewesen, Veduten moderner Denkmäler zu schaffen. Denkmäler, die unterschiedlichen Motiven folgen, um Zeit- und Orts-bezogenen wirksamen Tendenzen Nachdruck zu verleihen.

Piranesis leidenschaftliches Interesse an Bauformen der römischen Antike mögen die Planer der "Columbian World Fair" in Chicago 1893 nachempfunden haben, entwerfen sie doch eine neoklassizistisch anmutende Stadt, die, als "White City" bezeichnet, Monumente jeder Form und Größe vereinigt. Vor allem am Zentral-Bassin, für dessen bauliche Fassung die planenden Architekten antike Vorbilder zitieren: u.a. durch die Einrichtung der riesigen "Statue der Republik", die auf das von Morris Hunt entworfene Administationsgebäude und den Christopher-Kolumbus-Brunnen blickt.
Kaum läßt sich ein stärkerer Kontrast vorstellen, als der zwischen der klassizistisch anmutenden Bauweise amerikanischer Prägung der White City in Chicago und der Haltung der früheren, stark technikorientierten, Hallen in Paris. Während in den boomenden Städten Nordamerikas Turmhäuser in die Höhe wachsen, entscheiden sich die Planer der Weltausstellung in Chicago 1893, eine rückgewandte Prachtentfaltung zur Erscheinung zu bringen. Ludwig Hilberseimer nimmt dies 1926 zum Anlaß, den verantwortlichen Planer Daniel H. Burnham als Hauptvertreter und Initiator des "architektonischen Imperialismus" zu bezeichnen. Hilberseimer deutet die Tendenz als Hinweis auf den von ihm konstatierten Wandel von der Industrie- zur Finanzwirtschaft:

"Sein architektonischer Ausdruck wurde in der Nachahmung spätrömischer Prachtbauten gefunden. Allerdings nur als Attrappe; denn die Stahlgerüstkonstruktion machte die Architektur unabhängig von der Mauerkonstruktion. Der Mauerkern verschwand, nur seine Haut blieb übrig, die in ein stilimitatorisches Fournier umgewandelt wurde." (6)

Entsprechend folgt die Weltausstellung von Chicago jener Gesinnung, "von der Burnham sagte, daß sie die Erfüllung dessen sei, was die Römer als dauernde Form schaffen wollten". Dauerhaft ist aber nur weniges in Chicago. Dafür gilt dem spektakulären Exponat die ganze Aufmerksamkeit - im Großen wie im Kleinen: z.B. dem Werk eines Kölner Fabrikanten, der dort ein besonderes Denkmal schafft. Aus 15 Tonnen Schokolade errichten Mitarbeiter des Süßwarenherstellers Stollwerk einen 12 Meter hohen Rundtempel, inklusive Germania und Kaiserkrone. Ein Monument einer ökonomischen Zielen verpflichteten Schlaraffia-Welt, deren Entstehungsprozeß damals photografisch dokumentiert wurde, um die Arbeit der Schokoladenbildhauer bei der Schaffung ihres Lebensmittel-Meisterwerks, "made in Cologne", festzuhalten. Dessen Vergänglichkeit charakterisiert im übertragenen Sinne auch das Schicksal auch jener Bauten, die, von Hilberseimer als Attrappen bezeichnet, den Eindruck vermitteln, als seien sie für die Ewigkeit geschaffen worden.

An konkrete Vorbilder erinnern viele Staatenhäuser der Jahrhundertwende-Ausstellungen. Landestypische Bauformen werden temporär nachgebildet, bedeutende nationale Zeugnisse z.T. sogar detailgetreu kopiert: in Paris (1900) z.B. in Gestalt des die Renaissance zitierenden deutschen Pavillons, der gotische Bauformen adaptierenden Abteilung Italiens oder dem belgischen Nachbau des historischen Rathauses von Oudenarde.

Die Weltausstellung 1900 zeigt aber auch, daß, je stärker sich der technische Fortschritt entwickelt, eine traditionell-verklärte Rückbesinnung an Bedeutung gewinnt. Nachbauten national-bedeutender Häuser, landestypisch ausstaffierter Dörfer und Menschen in ihren althergebrachten Trachten, dienen der Demonstration kultureller Substanz und dem Hinweis auf den Grad einer gegenwärtig erlangten Entwicklungsstufe. Das äußert sich u.a. in großräumigen Anlagen, die in Form ethnologischer Ensembles, Vergangenes und Verlorenes wieder aufleben lassen: 1900 z.B. in der collageartig-ergänzten Nachbildung des mittelalterlich geprägten "Vieux Paris", das die "Sehnsucht nach einer vergangenen, scheinbar glücklicheren Zeit (...) in dem romantisch-pittoresken Unternehmen in hohem Maße befriedigt".

Trotzdem erzeugen aber zahlreiche Ausstellungsarrangements, und nicht nur die der nationalen Saatenhäuser, vielfach den Eindruck eines Sammelsuriums bezuglos zueinander gestellter Exponate.
Der mächtige Bug des barocken Segelschiffs "Le Triophant" ruht beispielsweise inmitten eines Wirrwarrs kleiner und kleinster Gerätschaften, die in den "Sections de l´Alimentation" dargeboten werden: als pompöse Reklame der Schokoladenfabrik Menier, die das auf schäumenden Gips-Wogen montierte Schiff als spektakuläre Hülle ihrer Verkaufsausstellung bauen ließ. Während im Inneren die Herstellung der hauseigenen Schokolade vorgeführt wird, reizt der Besuch des Oberdecks mit einer kräftigen Fontäne, mit der stets duftend-warme Schokolade in die Höhe sprudelt. Gewissermaßen als Hinweis auf ein Segelschiff, das in einem Meer von Schokolade auf ein Riff aufgelaufen ist.

Markant und doch abgestellt, gehorcht das fragmentarische Modell des historischen Schiffes nicht den Bedingungen eines funktionalen Kalküls. Wie andere singuläre, barocke, volkskundliche, exotische und alte Objekte entspricht "Le Triomphant" einem ganz andersartigen Bedürfnis, das der Soziologe Jean Baudrillard in "Das alte Objekt - Zeit und Dauer" benennt: "nämlich Zeugnis, Andenken, Nostalgie und Evasion zu sein". Baudrillard geht in seiner Annahme so weit, zu behaupten, daß vergleichbare Objekte nicht nur "übriggebliebene Reste einer vergangenen und symbolischen Ordnung" vertreten, sondern zu "echten Bestandteilen" ihrer Zeit mutieren. Teilen einer Modernität, die seiner Meinung nach etwas Doppelsinniges verkörpert.
Schließlich wird die "Funktionalität des modernen Gegenstands" beim alten Gegenstand zur Historizität, "ohne daß er deswegen aufhörte, auch eine systematische Funktion, als »Zeichen«, zu erfüllen". Baudrillard spricht daher von einer "naturhaften Konnotation, eine 'Naturalität', die in diesen Zeichen vergangener Kultursysteme ihre Kulmination erreicht hat".(9)
So scheint es, als schaffe sich das Zeitalter der Industrialisierung mit den Weltausstellungen geeignete Foren, um technischen Fortschritt mit zivilisatorischer Potenz und der aus Tradition resultierenden Souveränität zu begründen und Modell-Nationen zu empfehlen. In Weltstädten auf Zeit, deren Planer im 20. Jahrhundert verstärkt auch deren propagandistischen Potentiale nutzen, um weltweit gehört zu werden.

Der Dominanz symbolisch aufgeladener Nationalpavillons auf europäischen Weltausstellungen entspricht in den USA die starke Präsenz der Unternehmensbauten, insbesondere in Chicago (1933). Dort charakterisiert der Begriff "Movement" fast alle Bereiche der "Century of Progress Exposition", besonders die Bauten der Automobil-Hersteller Chrysler, Cadillac und General Motors.
Letztere Company realisiert sogar eine funktionierende Werkshalle, in der die Besucher die Fertigung der Automobile am Fließband miterleben. Ein System, das der Industrielle Henry Ford mit seiner "Ford Motor Company" bereits 1913 in den USA eingeführt hatte, um die Produktion zu steigern und eine zeitgemäß-effektive Arbeitsteilung zu ermöglichen. Ein Modell, das dazu beitrug, US-amerikanischen Unternehmen Marktvorteile zu sichern. Ihre auf der Weltausstellung in Chicago 1933 allabendlich prächtig illuminierten Bauten erinnern daher an "Kathedralen der Wirtschaft", die vielfach den Eindruck vermitteln, als wollten sie die traditionelle Vorherrschaft der nationalen Staatenhäuser brechen.

Verlangen die Organisatoren nach publikumswirksamen Demonstrationen, so erscheint das turmhohe Termometer der "Havoline motor oil company" als Pegel, "konsumistisches Manifest"(10) und markantes Sinnbild für den Verbrauch des Benzins , den Treibstoff für das "Jahrhundert des Fortschritts". Ein Monument, in dem der fortschrittsgläubige Besucher eine Manifestation des erfolgreichen Weges sieht, der die USA aus der Depression führen soll.
Gleichzeitig erinnern viele vergleichbare Bauten an Maxime einer neuen Zeit, die durch "die unerhörte Verschiebung der Grenzen des Möglichen" bestimmt wird. Grenzen, die sich deutlich durch ein neues Verhältnis des Menschen zu Zeit und Raum definiert, bei der sich Zeitbeschleunigung und Raumüberwindung bedingen und gegenseitig verursachen.
Dadurch nimmt die beschleunigte Tempomöglichkeit dem Raum seine trennende Wirkung. Für die Entwicklung eines weltweit effizient funktionierenden Messewesens ein nicht zu unterschätzender Wandel, der das finanzielle Gelingen vieler, auch entlegener, Ausstellungen überhaupt erst ermöglicht - im Falle möglicher Konflikte aber weltweit auch katastrophale Folgen haben könnte.
Entsprechend leiten nicht wenige Beobachter vom Wandel der Lebensumstände auch die Bedingung ab, einen neuen, verantwortungsvolleren, Menschen zu formen. Einen Menschen, der den geänderten Lebensformen gerecht werden soll, sich behauptet und durchsetzt, kurz, den Ansprüchen einer gewandelten Zeit entspricht.

Kunst und Technik dienen daher als Zeugnisse einer angestrebten oder vollzogenen Umgestaltung gesellschaftlicher Systeme. Pomp und Gigantismus dienen als Fassade der Mächtigen, als wollten sie kompromißlos auf Ortega y Gassets Frage - wer in der Welt herrscht? - antworten. (7)
So scheint es, als sei es die Hauptaufgabe einer der Macht unterstellten Kunst, Sinnbilder jener Ideologien als öffentliches Schauspiel in Szene zu setzen. Der Historiker Eric Hobsbawn wertet das als Ausdruck einer Entwicklung unseres Jahrhunderts, denn mit der Demokratisierung der Politik geriet die Macht in immer stärkerem Maße zu öffentlichem Theater, bei dem die Volksmassen als Zuschauer und - dies war die spezifische Neuerung der Ära der Diktatoren - als organisierte Mitwirkende fungierten.(8) Für die Emotionsbekundungen einer Masse eignen sich politische Kundgebungen, Massensportereignisse, wie die Olympischer Spiele 1936, besonders aber der internationale Wettbewerb, den universelle Weltausstellungen herausfordern. Denn sie vereinen das Neue, Exotische, Fremde und Seltene, das die Phantasie beflügelt.

Vor diesem Hintergrund erinnern Architekturen an Denkmäler der besonderen Art, in Stein gegossene Manifestationen ideologischer Botschaften. So auch das Ensemble der in Paris 1937 positionierten Staatenhäuser, dem Deutschlands auf der einen und Sowjetrusslands auf der anderen Seite. Mächtige, fast maßstabslos wirkende Pavillons, deren Basisgeschosse den aufstehenden Hoheitszeichen als Sockel dienen.

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(Abbildungen des sowjetrussischen und deutschen Pavillons)

Die einschüchternd-monumentale Ausstellungsarchitektur Deutschlands, die der Sowjetunion und Italiens, überzeichnen Tendenzen, die das Auftreten fast aller Nationen bestimmt - die Demonstration nationalen Selbstbewußtseins. Mag die direkte und eindrucksvoll in Szene gesetzte Konfrontation der deutschen und sowjetischen Staatenhäuser auch die Blicke der Betrachter fesseln, so weist die Weltausstellung bedeutend mehr Spannungsfelder auf. Dennoch dokumentiert das monumentale Paar von Kolchosebäuerin und Arbeiter, die dem gegenüberstehenden adlerbekrönten Pylon provokativ Hammer und Sichel entgegenstrecken, drastisch die Tendenz der Schau, gewohnte Maßstäbe bewußt aufzulösen. Ein Wettstreit, den die französische Ausstellungsleitung in ihrer Standortzuweisung der Bauten bewußt provoziert hat.

Das sowjetische Staatenhaus erscheint, fensterlos, einzig als Postament für die monumentalen Plastiken, die zwei herausfordernd-triumphierende Werktätige zeigen. Die Werke der Bildhauerin Vera Mukhinas, die damit eine Allianz von Industrie und Agrikultur, dem Leitmotiv des zweiten, 1937 auslaufenden Fünf-Jahres-Plans skulptural darstellt. Gleichzeitig vertreten sie den Statuenwahn, der im Europa des ausgehenden 19. Jahrhunderts entstand, und bis in die dreißiger Jahre unseres Jahrhunderts anhält.
Der Architekt Boris Iofan schafft dafür in Paris den geeigneten Sockelbau. In Übersteigerung der Charakterisierung, die Sigfried Giedion 1929 für rückgewandte Ausdrucksformen im Bauwesen wählt, erscheint das Werk als gigantische Festung und steinerne Manifestation einer Gesellschaftsform, die der Diktator Josef Stalin in der Sowjetunion mit brachialer Gewalt durchsetzt.
Die Geste der vorwärts strebenden Statuen prägt auch die Silhouette der Fassade, die an die kühnen, himmelstürmenden Wolkenkratzer Amerikas erinnert. Als Sinnbild für die Hoffnung auf Wachstum suggeriert das Staatenhaus daher den Glauben an eine glückliche sozialistische Zukunft - erscheint der Pavillon als mustergültige Manifestation, die später vielfach zitiert und kopiert wird, u.a. durch Ju. P. Zenkevics 1939 konzipiertes Monument für den Vorplatz der russischen Allunions-Landwirtschaftsausstellung.

Die eigentliche Präsentation schließt sich gegen außen ab, zieht sich, hinter mächtigen Mauern, in ihren nationalen Schrein zurück. Wirtschaftliche und kulturelle Leistungen vertreten dort die Erfolge der neuen Ordnung. Herausfordernd in Szene gesetzt, vermittelt der dynamisch-massive Bau den Eindruck großer Standfestigkeit, Bollwerk, gleichzeitig aber auch Sinnbild für die innenpolitische Intoleranz, mit der die Sowjetmacht das 1917 selbstproklamierte "Recht der Völker Rußlands auf freie Selbstbestimmung bis zur völligen Lostrennung und Bildung eines unabhängigen Staates" handhabt. Der Hinweis auf den ideologischen Vorbehalt, dieses Recht nicht der "Bourgeosie", sondern allein den "werktätigen Massen" zuzuerkennen, bietet stets den Anlaß, entsprechende Vorgänge mit Gewalt zu verhindern.
Was in Finnland und den baltischen Staaten scheitert, gelingt in Georgien, den anderen kaukasischen Republiken und in der Ukraine: der »Export der Revolution« - ein Leitmotiv, das auch den sowjetischen Beitrag in Paris bestimmt. Die selbstbewußten Gesten der pavillon-krönenden Monumentalfiguren zeugen von diesem Selbstverständnis einer offensiven, expansiv orientierten, Staatsform, die sich eines kritischen Dialogs verschließt, um statt dessen für eine Ideologie mit "Ewigkeitswert" zu werben.
Diesen Wert taxiert das damalige Deutsche Reich für die Existenz seiner eigenen Doktrinen überschwenglich mit "tausend Jahren". Entsprechend nimmt sich auch das Erscheinungsbild des kargen Staatenhauses aus. Speers Pavillon ist "gleichzeitig klassischer Tempel, eine mittelalterliche Kirche und ein riesiger, antiker Sarkopharg". Getragen wird seine Kalksteinhülle aber durch ein Stahlgerippe, dessen Erscheinung den Rohbau zwischenzeitlich in die Nähe funktionalistischer Architektur gerückt hatte. In dem maßstäblich überhöhten und pseudoreligiös inszenierten Schrein versammeln sich die, in der "deutschen Halle" zusammengetragenen Leistungsgaranten der heimischen Wirtschaft, u.a. der Weltrekord-Wagen der Firma Mercedes-Benz.

Paris, der Veranstaltungsort der Friedenskonferenz von 1919/20 wird buchstäblich zu Bühne einer Welt, die sich zwischen Anerkennung, Durchsetzung und Revision positioniert. Den expansiven Staaten ebenso wie den Neustaaten, die die Weltausstellung als Ort der Rechtfertigung und Bestätigung legitimer Unabhängigkeit nutzen.

Entgegen jeder Konfrontation symbolisiert die auf dem Trocadéro-Hang stehende, weithin sichtbare, Friedenssäule aber jene Sehnsucht nach Koexistenz und die Hoffnung, Spannungen der europäischen Staaten zu überwinden. Formal zitieren Léon-H. Bazin und Albert Laprade den Typus der Trajanssäule, die sie nachempfinden, um ein Symbol des militärischen Triumphes in ein Friedenssymbol umzuwandeln. Die in Goldbuchstaben in die grüne Bronze-Stele eingelassenen Namen der Verfechter des Friedens ersetzen die Hinweise auf erfolgreich geschlagene Schlachten. In Verbindung mit den vesammelten Fahnen aller teilnehmenden Nationen und dem Friedenspavillon entsteht dadurch an der "Porte d´Honneur" ein beschwörender Friedensaltar.

Mit Blick auf die Weltausstellung in Paris 1937 entwickelt der Architekt Le Corbusier vier programmatische Projekte, um ein dauerhaftes Bauvorhaben mit internationaler Beteiligung und Vorbildfunktion werbewirksam in Szene setzen zu können. Nach den vielen Bauausstellungen und visionären Siedlungsprojekten der 20er Jahre hofft er auf eine zusammenfassend-reflektierende Veranstaltung, die dazu beiträgt, Konsequenzen für zukünftige Planungen zu ziehen.
Wie schon anläßlich der "L´ Exposition d´Art Decoratif" 1925, fordert Le Corbusier 1937 die lebensreformerische Neuorientierung. Die Ausstellung dient ihm als internationales Forum, als erste Etappe einer neuen Entwicklung. Daher fordert er auch den Bruch mit Traditionen - z.B. der Wahl des Standortes. Die Ausstellung plant er nicht im Zentrum an der Seine, sondern dezentral, im Osten, am Rande der Stadt Paris, erschlossen durch eine Transportachse in Ost-West-Richtung, die auf Stützen gebaut, die Kanalisation, technische Leitungen und den Verkehr aufnehmen soll.

Die Weltausstellung wird durch das Konzept von Le Corbusier zur infrastrukturellen Eröffnungsveranstaltung, die einen kontinuierlichen Prozeß in Gang setzt. Ziel ist der Umbau der historischen Stadt, wie er in der Charta der Athener CIAM-Konferenz verabschiedet wurde. Le Corbusier bezeichnet diesen Vorgang als "réurbanisation du centre de Paris". Folgt man seinem Konzept, dann dient die Weltausstellung dem Zweck einer überdimensionalen Propaganda-Veranstaltung - als Fanal für eine neue Urbanität.

Zweifelsfrei will Le Corbusier die Anwesenheit der Staaten auf der Weltausstellung nutzen, um weltweit für ein Umdenken zu werben. Gleichzeitig versucht er, die Ausstellung als Impuls für einen fortschreitenden Prozeß einzusetzen, gewissermaßen als Veranstaltung mit Folgen. Die Schau wird zum Mittel, ihre Bauten zu Teilen der 'Weltstadt', deren Qualität Le Corbusier schon in seinen "Feststellungen" von 1929 beschwört - die 'Weltstadt' als "Rangierbahnhof für die Ideen der Welt". Bei diesem weitgehenden Anspruch überrascht nicht, daß seine Vorschläge, nicht weiterverfolgt werden - offiziell mit der Begründung zu hoher Kosten. Statt dessen erhält Le Corbusier den Auftrag, einen Pavillon zu planen, der, in allen seinen Teilen industriell gefertigt, Perspektiven für ein zeitgemäßes Wohnen in rasch wachsenden Städten programmatisch demonstriert.

Unter dem Motto "Pavillon des Temps Nouveaux" entsteht das 'Projekt D' anläßlich der Weltausstellung 1937 als temporäres, wiederverwendbares Gebäude. Den Bürgern Frankreichs gewidmet, entwirft Le Corbusier sein "Musée ambulant d´education populaire pour les campagnes". Als leicht demontierbare Konstruktion soll der Pavillon nach der Beendigung der Weltausstellung an verschiedenen Orten erneut aufgebaut werden, um seine Visionen zu denen zu transportieren, die, fern der Metropolen, den aktuellen Vorgängen kaum folgen können.

Als Mittel der Volksbildung gedacht, erfüllt der Pavillon aber gleichzeitig auch das Hauptmerkmal vieler Weltausstellungsbauten - die Propaganda. In diesem Zusammenhang erinnert Gilles Ragot in seinem Beitrag über Le Corbusiers Zelt an die Tradition der Propagandazüge, mit denen die Gedanken der russischen Revolution 1919 auch in entlegenste Regionen transportiert werden sollten.

Le Corbusier nutzt dazu Möglichkeiten, die ihm neue Baustoffe bieten. Er bedient sich der aus dem Flugzeugbau bekannten leichten Stabtragwerke, die er nach Außen hin mit Seilen abspannt. Dadurch hält er das Innere ttützenfrei. Das Tragwerk ist sichtbar und Zeugnis der Gegenposition, die sich gegen die als unehrlich erachteten Kulissenarchitekturen traditioneller Ausstellungsbauten wendet. Le Corbusiers Pavillon repräsentiert daher jenen Gebäudetypus, den Heinz und Bodo Rasch in ihrem 1928 erschienenen "Wie Bauen?" als zeitgemäßen "Zeltbau" bezeichnen: "Er entsteht und vergeht mit den Generationen, die ihn schufen. Seine geringen stofflichen Bestandteile zersetzen sich, lösen sich auf in nichts. Aber seine Struktur hat etwas 'Ewiges'".(9)

Als temporärer Bau konzipiert, erfüllt Le Corbusiers Pavillon aber noch ein weiteres Kriterium: er bezieht Stellung zur kultur-politischen Situation und provoziert durch seine plakative Signalwirkung. Denn die farbige Tuchbespannung zeigt die Farben der Trikolore, Blau-Weiß-Rot, wie sie auf zeitgenössischen Flugzeugen deren Staatenzugehörigkeit kennzeichnet. Dadurch erscheint das Zelt als viel versprechendes, noch verschnürtes nationales Geschenkpaket.

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(Abbildung Le Corbusier Pavillon Temps Nouveau)

Die Pforte ist eines von zahlreichen Zitaten, mit denen Le Corbusier stellvertretend den Wandel der Ansprüche an Räume versinnbildlicht. Er folgt dabei seiner Überzeugung, der er 1925 in "Vers une architecture" Ausdruck verleiht. Demnach erscheint das Flugzeug als Symbol für ein "Erzeugnis hoher Auslese. Die Lehre des Flugzeuges liegt in der Logik, die bei der Aufstellung des Problems wie bei seiner Verwirklichung den Vorsitz" führt. Übertragen auf den Wohnungsbau, sieht Le Corbusier das technische Gerät als Vorbild für den Einsatz standardisierter Werkstoffe. Das Flugzeug erfüllt einen wesentlichen Anspruch, da dessen Mechanik in sich den Auslese erzeugenden Faktor der Sparsamkeit trägt.
Den Besucher weist ein Flugzeugmodell, gleich am Eingang auf einem Stab (=Zeremonienstab) montiert, auf dessen Bedeutung hin. Im Fluge scheinbar fixiert, zeigt es auf die Stirnwand des Pavillons, auf der Le Corbusier die Forderungen der CIAM-Charta von Athen vorstellt. Der Flugapparat dient als Hinweis, versinnbildlicht gleichzeitig Orientierung, Übersicht und die daraus resultierende Erkenntnis: "wenn die Augen deutlich sehen, trifft der Verstand klare Entscheidungen".

Obwohl sich der Pavillon dadurch fortschrittlich darstellt, knüpft er in seinem grundsätzlichen Aufbau formal an die Konzeption archaischer Anlagen an. Sein Stützenbau errinnert an Darstellungen des Typus eines "primitivenTempels", den er in "Vers une architecture" als Beispiel eines frühen Systembaus vorstellt. "Durch Messen ist der Mensch zur Ordnung vorgedrungen. Zum Messen nahm er seinen Schritt, seinen Fuß, seinen Ellbogen oder seinen Finger. Indem er dem Werk die Ordnung, die sein Fuß oder sein Arm ergab, aufzwang, bildete er das Ganze gesetzmäßig durch; ... ."(10)
Der Tempel entstand in der Vorzeit auf einer sauber hergerichteten Stelle, inmitten eines ungeordneten Chaos, dem "Wald ringsum mit seinen Schlingpflanzen, seinen Wurzeln, seinen Stämmen" - als Werk initiativer Menschen. Vergleichbar stellt sich 1937 der Pavillon des "Temps Nouveau" dar, auf einer Lichtung, inmitten eines Wäldchens - als bewegliches Denkmal einer flexibleren, neuen, Zeit, in der neue Ordnungsprinzipien dazu beitragen, aktuelle Probleme adäquat zu lösen.

Während sich in Paris1937 ein mehr oder weniger direkter Schlagabtausch zwischen den damaligen Machtblöcken abzeichnet, reagiert New York 1939 durch eine thematische Abkehr. Angesichts der verfahrenen Situation in Europa zelebriert Amerika seine Demokratie, die sich in der Vorführung des ökonomischen Erfolgs manifestiert: u.a. in Monumenten, wie dem Registraturkassen-Nachbau der "National Cash Register" (N.C.R.), ein Gebäude, das sich scheinbar lückenlos in die Tradition "konsumistischer Manifeste"(Chicago 1933) einfügt.

Die Hoffnung auf eine bessere Welt symbolisiert, neben zahlreichen Modellen, vor allem die "Zeitkapsel", die 1939 mit Produkten der damaligen Zivilisation in New York gefüllt wird, um sie zu versenken und dadurch folgenden Generationen zu überliefern. Als Ausdruck spektakulärer und dadurch werbewirksamer "Zeitgeist-Denkmäler", die sich rechnen und wirtschaftlichen Erwägungen folgen, wie sie der amerikanische Designer Raimond Loewy mit seiner MAYA-Schwelle (Most-Advanced Yet Acceptable) vertritt. Frei nach dem Motto seines Bestsellers "Häßlichkeit verkauft sich schlecht".

Die Frage, wie weit der Gestalter dem Stil, der Techniker dem Standard und der Politiker den Gegebenheiten der Zeit vorauseilen kann, ohne sich zu sehr von der Realität zu entfernen, gewinnt in Hinblick auf die zahlreichen Visionen in New York 1939 höchste Priorität. Die Antwort geben die Ausstellungs-Organisatoren prompt. Ihre Präsentationen verknüpfen stets den kulturellen Fortschritt mit der Freiheit, die dem Einzelnen in einem Staatsgefüge zugestanden wird. Halt bietet hier der Staat und seine demokratische Verfassung, die Amerika mit dieser World´s Fair feiert.

Das Symbol dieser Verpflechtung beherbergt der Pavillon des Staates Pennsylvania, in dessen Independence Hall 1776 die amerikanische Unabhängigkeitserklärung unterzeichnet wurde: die Freiheitsglocke und eine fast 50 Meter lange, an Stahltrossen von der Decke abgehängte Brücke. Walter Gropius hatte sie mit Marcel Breuer entworfen, um den zur Verfügung stehenden Raum in seiner ganzen Länge, von der geschichtlichen zur neuzeitlichen Abteilung, zu überbrücken.
Der Gang über die Stahlhängebrücke soll dem Besucher Übersicht, aber auch "propagandistisch wirkungsvolle Aspekte" vermitteln. Dazu dient auf der einen Wandseite die von Xanti Schawinsky angefertigte Fotomontage einer typisch pennsylvanischen Landschaft und "auf der gegenüberliegenden Seite die 'Liberty Bell'".
Neben dem Sternenbanner als nationalem Hoheitszeichen gewinnt ein "frei-schwebender" Plexiglaskörper große Symbolkraft. Der "Kristall der Demokratie" bietet den Raum für einen kaum wahrnehmbaren Scheinwerfer, der die Worte "Freiheit, Friede und Fortschritt" in den fotografisch erzeugten pennsylvanischen Himmel projeziert.

Obwohl die Praxis der Einrichtung temporärer Monumente und Denkmäler in den 30er Jahren zur spektakulären Erscheinung für den Abriß bestimmter Ausstellungsstädte beiträgt, regt sich in dieser Zeit sachkundiger Widerstand, den der weltausstellungserfahrene Architekt Hans Hofmann 1939 in Zürich stellvertretend artikuliert.
Dort realisiert er gemeinsam mit seinem Kollegen Hans Fischli die maßstäbliche Landesausstellung LA´39. Aufgrund seiner eigenen Erfahrungen dienen ihm die Nachteile konventionelle Weltausstellungen als Argument, um sein eigenes Konzept durchzusetzen. Seine Kritik bezieht sich u.a. auf die starre, immer wieder kopierte Dramaturgie traditioneller Universalmessen, den obligatorisch pompösen Haupteingang und die lange, breite und heiße Hauptallee, welche von großen Denkmälern und hohen Monumentalbauten flankiert wird.

Demgegenüber richtet Hoffmann in Zürich den unprätentiösen "Höhenweg" ein, der sich als zweistöckiger Steg durch das Gelände schlängelt und die einzelnen Bauten miteinander verbindet. Mit einer Verkehrsschleife versehen, erlaubt der Höhenweg, den Besucher auf dem langgestreckten Terrain zum Haupteingang zurückzuführen, ohne daß er nochmals den gleichen Weg zurücklegen muß.

Auf die monumentale Erscheinung einer Prachtachse verzichtet Hans Hofmann zugunsten einer organisch-abwechslungsreichen Raumfolge, auf die "zwecklosen aber prestigesüchtigen Turmbauten" und die Aufreihung monumentaler Denkmäler, die den Blick des Weltausstellungs-Besuchers regelmäßig auf eine "kostspielige Hauptfontäne" lenken, um statt dessen eine Ausstellungsstadt nach menschlichem Maßstab zu schaffen. Eine Stadt mit einer Organisation, die dem Besucher hilft, sich zu orientieren und auf Inhalte zu konzentrieren. An die Stelle vordergründig aufwendiger Kulissenbauten soll schließlich eine harmonisch-kubische Gesamtgestaltung treten, permanente Bauten, die unter einer einheitlichen künstlerischen Leitung erstellt werden.

Was für die ambitionierte nationale LA Zürich denkbar erscheint, bleibt aber auf den folgenden Weltausstellungen unberücksichtigt. Der Repräsentationswunsch vieler Teilnehmer verlangt nach einer entsprechend weiträumigen Gliederung des jeweiligen Ausstellungsgeländes, so auch 1958 in Brüssel, wo die belgische Hauptstadt dazu einlädt, die Welt für eine humanere Zukunft zu bilanzieren.

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(Abbildung Atomium)

Als Wahrzeichen schafft André Waterkeyn das 102 Meter hohe Atomium, das die milliardenfache Vergrößerung einer Molekularstruktur darstellt. Nach den Monumenten des Konsums und der Ideologie nun ein Denkmal für die Entdeckung wissenschaftlicher Zusammenhänge, die das Atomium als Anschauungsmodell vertritt. Denn es dient als Sinnbild der Entwicklung, die nach der ersten Phase der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert, einer weiteren in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts und einer dritten nach 1945, das maßstäblich nicht mehr fassbare Atom zum Motiv eines neuen, wenngleich teilweise auch kritischen, Positivismus erkor. Schließlich erinnert man sich gut an die Zündung der ersten militärisch genutzten A-Bomben, die Hiroschima und Nagasaki verwüsteten. Der Aufarbeitung jenes verheerenden Einsatzes atomarer Technologie entspicht daher auch der propagierte Ausblick auf die enormen bislang ungeahnten Möglichkeiten, die deren friedliche Nutzung verspricht.
Ein Leitmotiv vieler Folge-Veranstaltungen, u.a. in Seattle 1962, wo die "Space-Needle" auf "Man´s life in the space" und ein Zeitalter der Eroberung des Weltraums hinweist, mit einem futuristischen Turm, der die damals fünfzig Jahre alten Utopien des Architekten Bruno Taut aufnimmt, um dem Traum vom Bauen im Luftraum näherzukommen.

Auf der Erde, und in sich gekehrt, zeigt sich der spärische US-Pavillon in Montreal 1967. Der Begrifflichkeit von Grundstrukturen verpflichtet, leitet Fuller sein Struktur-Modell von der "deskriptiven Betrachtung ihres natürlichen Auftretens" ab. Aus physikalischen Experimenten resultieren schließlich auch die "Muster der inhärent regenerativen konstellativen Assoziation von Energie-Ereignissen", die Fuller in zweckmäßig-sphärische Bauten überträgt. Als vielfach-vergrößerte Einheit definiert sich daher seine geodätische Kuppel als Symbol ständig wirkender Vorgänge, die strukturelle und mathematische Prinzipien beschreiben. Prinzipien, wie sie "auch auf der viel weiteren und komplexeren Ebene des Lebens wirken, d.h. auch in den einzelligen Pflanzen und Tieren, den Diatomeen und Radiolarien".
Dem Motto der Weltausstellung, "Terre des Hommes", folgend, demonstriert Fuller dadurch grundlegende Wechselwirkungen der Elemente, die das Leben auf unserer Welt bestimmen. Angesichts andauernder Kriege bietet er einer benommenen Menschheit Zugang zur allgemein geheimnisvoll-verschlossenen Welt der Wissenschaft, deren Macht über Gut und Böse nicht allein durch den umstrittenen Umgang mit Atomenergie repräsentiert wird. Als Angebot zum Dialog dient das anschauliche Modell daher der Überwindung von Schwellenängsten, die vielfach das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Gesellschaft bestimmen. Die Ausstellungsarchitektur wird dadurch zum Demonstrationsobjekt, das zur verlorengeglaubten Wiederherstellung des begrifflichen Verstehens beiträgt. Ein traditionelles Thema der Weltausstellungen, das in Montreal zum deutlich akzentuierten Leitmotiv avanciert.

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(Abbildung Buckminter Fuller)

Gleichzeitig erzeugt Buckminster Fuller ein von außen abgeschirmtes und klimatisch konstantes Raumklima, dessen interne Atmosphäre durch die an der Innenseite befestigten und in ihrer Lage veränderbaren Aluminiumblenden vor direkter Sonneneinstrahlung geschützt wird. Ein adäquater Raum für die Vorstellung US-amerikanischer Kultur, wie sie Buckmister-Fuller bereits 1959, damals gemeinsam mit dem Designer Charles Eames, anläßlich der "American National Exhibition" in Moskau in Szene setzten konnte.
Das Geheimnisvolle der Wissenschaft erschließt sich dem Besucher durch das technisch-anmutende Modell, durch ein völlig neues Verständnis der Materie und ihres Verhaltens. Dem Resultat der Faszination für die Quantentheorie, die zum Ausdruck bringt, daß Vorgänge in der Natur nicht kontinuierlich, sondern sprunghaft erfolgen. Mit der Folge, daß jene Vorgänge nicht beliebig genau vorhersehbar sind, statt dessen nur Aussagen über die Wahrscheinlichkeit des Eintretens gewisser Ereignisse möglich sind. Ein Phänomen, das aber erst bei der Beobachtung molekularer Systeme in Erscheinung tritt. Für Buckmister-Fuller Thema auch seiner Kuppel, mit der er unvorstellbar kleine Zusammenhänge in die haptisch-erfahrbare Form einer ingeniösen Stabkonstruktion überträgt. Den Wissenschafts-Modellen von Will Burtin und den Kreativitätsmodellen von Charles Eames vergleichbar, reicht Fuller dadurch dem Besucher einen Schüssel, um das Geheimnissvolle naturwissenschaftlicher Vorgänge zu ergründen.

Als Denkmäler für Erfolge in der Forschung ergänzen vergleichbare Bauten zunehmend nationalstaatliche Monumente, auf die nach wie vor kaum ein Teilnehmer verzichtet. Denn sie repräsentieren Zusammenhänge, die allgemein verständlich über das wahrgenommene hinausweisen, Assoziationen erzeugen, und anregen, Hinweisen zu folgen, um Gedanken weiterzuspinnen. Ob es sich um gestenreiche Staatenhäuser in Montreal (1967) handelt, oder die metaphorisch-bildreiche Dramaturgie, die Kenzo Tange in Osaka (1970) wählt, den Besucher empfangen Monumente, die in den meisten Fällen für den Abriß bestimmt sind. Eine Gesetzmäßigkeit, über die erst in jüngster Zeit durch den Anspruch der Nachhaltigkeit ernsthaft nachgedacht wird. Mit dem Resultat, daß Hannover 2000 in Anspruch nimmt, große Teile der Expo zu erhalten, ggf. an anderer Stelle weiterzuverwenden.

Der Faszination für Denkmäler hat dies aber nicht geschadet. Unabhängig der kritischen Nachfrage, mit der Niklas Maak angesichts ständiger Auseinandersetzungen bei Vorbereitungen internationaler Ausstellungen in seinem Beitrag "Lido ohne Grenzen" vom 5./6. Juni 1999 für die Frankfurter Allgemeine Zeitung im allgemeinen die Frage nach der Notwendigkeit nationaler Repräsentationsansprüche stellt, bestätigt sich auch in Hannover, daß sich die Welt längst noch nicht darauf eingerichtet hat, ganz auf nationale Selbstdarstellungen zu verzichten. Auf Weltausstellungen, die stets komprimiert-informationsträchtige Räume schaffen, in denen Marken der Erinnerung (Denkmäler) zum Instrumentarium der Teilnehmer gehören. Einem "Welt-Museum auf Zeit" vergleichbar, das von dem Reichtum der Welt berichtet.

Anmerkungen

1) Vgl. zu diesem Thema auch: Thomas Schriefers: Für den Abriss gebaut? Anmerkungen zur Geschichte der Weltausstellungen. ardenkuverlag Hagen 1999, ISBN 3-932070-21-6

2) Ulrich Conrads und Hans G. Sperlich: Phantastische Architektur. Verlag Gerd Hatje, Stuttgart, 1960, S.21

3) Vgl. Sigfried Giedion: Raum, Zeit, Architektur. Die Entstehung einer neuen Tradition. Otto Maier Verlag, Ravensburg, 1965, S.194

4) Paul Westheim: Architektur des Plastischen. Verlag Ernst Wasmuth AG, Berlin 1923

5) Le Corbusier: Städtebau. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart Berlin und Leipzig 1929, S.43

6) Vgl. Ludwig Hilberseimer: Amerikanische Architektur. In: G. Zeitschrift für elementare Gestaltung. No. IV/März 1926, Herausgeber: Hans Richter, Berlin, 1926

7) Vgl. José Ortega y Gasset: Der Aufstand der Massen (1930), in deutscher Sprache erschienen in: rowohlts deutsche enzyklopädie. rororo, 1956

8) Eric Hobsbawn beschreibt die Bedeutung der symbolischen Monumente in: Kunst und Macht im Europa der Diktatoren, Oktagon Verlag, 1996, S.12/13

9) Heinz und Bodo Rasch: Wie Bauen? Akademischer Verlag Dr. Fritz Wedekind, Stuttgart 1928

10) Vgl. Le Corbusier: Kommende Baukunst, DVA, Stuttgart 1926

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