6. Jg. , Heft 1 (September
2001)
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Post(post)moderne Kreativität | |||||
Heißt 'postmodern' "besonders kreativ"? Ist Kreativität die
Fähigkeit zum Spielen, zur spielerischen ("schöpferischen") Variation
und Kombination von Stilen und Zitaten, wie es die nunmehr fast schon wieder
überholte1 Postmoderne kultivierte, ja, zelebrierte? Wurden wir
postmodern und bleiben wir auch postpostmodern besonders "kreativ"?
Die Postmoderne begann als Revolution gegen den
modern-funktionalistischen Purismus, als Paukenschlag, gar, als inszenierter
"Sprengsatz" nach Jencks (1978, 79), dem Hauptvertreter des
Postmodernismus in der Architektur, genau am 15. Juli 1972, 15.32 Uhr. Damals
wurde nämlich eine "schrecklich"
modernistisch-puristisch-funktionalistische Siedlung namens Pruitt-Igoe in St.
Louis gesprengt.
Was ist, was war die Postmoderne - hier exemplifiziert an der
Architektur und ihrer Deutung?
Jencks (1978, 6f), der den Begriff "postmodern" aus der
Kunstszene und analog zur Redeweise von der "postindustriellen
Gesellschaft" (Bell) für die Architektur erstmals 1975 übernahm, glaubte
ursprünglich, nur eine Übergangsbezeichnung eingeführt zu haben, die sich aus
der Antistellung gegen die funktionalistische Moderne in der Architektur
wendet, aber dennoch ‑ daher hält er den Namen für treffend ‑
wesentliche Momente der Moderne und die Notwendigkeit des Durchgangs durch sie
festhält. Er versuchte daher in historischen Analysen zur Genese der
postmodernen Architektur und in der Zusammenstellung charakteristischer
Merkmale eine umfassende Kennzeichnung der Postmoderne zu geben, die für andere
ästhetische und intellektuelle Strömungen beispielhaft und auf sie übertragbar
ist. Charakteristisch für die Postmoderne ‑ zunächst in der Architektur ‑
ist demnach der Historismus (das Zurückgreifen auf vergangene und die
Vergegenwärtigung früherer Stilmerkmale und ‑metaphern), der Bruch mit
der rein funktionalistischen Moderne, etwa eines Mies van der Rohe: besonders
z. B. Philip Johnson (z. B. seine Synagoge in Port Chester 1956), direkte
Stilreproduktion als vergegenwärtigendes Zitat früherer Stilelemente, Wiederbelebung
bodenständiger Architektur (z. B. Ziegelbauten, populäre Codes, nostalgisch‑traditionalistische
Giebel mit stilisierter Kleinheit, z. B. die Siedlung van Eycks und Boschs in
Zwolle).2 Die Rolle von Metaphern, Bedeutungen und sogar Metaphysik
wird gegenüber der Moderne neu entdeckt (ebd. 112ff.), wobei die Metaphysik
keine verbindliche sein kann, sondern eine quasi surrealistisch manieristische
Spielerei "um die möglichen verfügbaren Metaphern": "Die
Metaphysik wird dann entweder als implizite oder als explizite Metapher
ausgedrückt, die durch die Form bezeichnet ist". Metaphern können explizit
beabsichtigt, implizit angedeutet sein oder gemischt auftreten in mehrfacher Verwendung;
insbesondere die gemischten Metaphern scheinen ebenso kennzeichnend für die
postmoderne Buntheit wie die Verwendung anthropomorpher, physiomorpher
(entweder körperlicher oder gar geographischer und in Natur einbettender)
Metaphern: Man denke etwa an Yamashitas "Gesichts‑Haus" in
Kyoto (1974) oder Jencks' Garagia Rotunda, Wellfleet/Massachusetts (1977), das
einen etwas versteckteren physiognomischen Ausdruck zeigt, oder gar das als
Phallus geformte Hotel Beverly Tom Takeyamas auf Hokkaido (1973/74) ‑
oder an das Musterbeispiel der Piazza d'Italia von Charles Moore, New Orleans
(1976‑79), wo dieser mit antiken Requisiten, insbesondere Kolonnaden
dorischer, tuskischer, ionischer, korinthischer und kompositer Säulen arbeitete
und die Begrenzungsfassade für den Grundriss eine Landkarte Italiens mit dem
Mittelpunkt Sizilien bildete. Um die narrativ‑fiktionale Komposition
abzurunden, hat der Architekt sich selbst als "Wetope"
(wasserspeiende Metope) porträtiert. Moore bringt das Pluralismusgebot des
Narrativen auf die Formel: "Das Erzählerische an einem Gebäude ist für
mich all das zusammen: Ein Gebäude soll so deskriptiv wie möglich sein und
erzählen, was an ihm interessant ist ‑ entweder, wie es gebaut ist, oder
wie die Leute es benutzen; die Botschaft ist vielleicht laut, vielleicht still,
versteckt oder nur scheinbar versteckt; aber man erfährt immer, was los
ist" (Zitat und Beschreibung der Piazza nach Klotz 1984, 134‑140).
Nach Jencks wurden die Metaphern besonders meisterhaft schon von präpostmodernen
Architekten angewendet: zum Beispiel von Antonio Gaudi, dem ersten
(prä)postmodernen Architekten in seiner Casa Datillo (1904‑06), auf deren
Fassade "Knochen und Lava ... die beiden unteren Geschosse, Metaphern von
Totenmasken und wogender See ... Wohnungen in der Mitte" artikulieren,
"während ein schläfriger Drache vom Dach herunterblickt": "Das
Bauwerk repräsentiert Barcelonas separatistische Hoffnungen: Der Schutzheilige
St. Georg tötet den Drachen Spanien, der das katalanische Volk verschlungen hat
‑ Knochen und Skelette verbleiben als Denkmal für die Märtyrer"
(Zit. Jencks
a.a.0. 117). Als Portrait gelungenster
postmodernistischer Anwendung der angedeuteten Metapher avant la lettre in der
modernen Architektur bezeichnet Jencks Le Corbusiers Kapelle in Ronchamp
(1955), bei der die perspektivische Interpretation der Südostansicht "mit
visuellen Metaphern übercodiert" ist, eine multivalente Kippfigur von
Ente, betenden Händen, Schiff, Dreieckskappe, Umarmung oder (nach Le Corbusier
selbst) gekurvten Wänden "im Wechselgesang" bzw. einer Krabbenschale
des Daches. Bekannt ist neuerdings auch Utzons Opernhaus von Sydney, dessen
Dachschalen Regattasegelboote, einander verschlingende Fische,
übereinanderkriechende Schildkröten oder sich entfaltende Blüten gemischt
metapherieren.
Explizit und besonders gelungen das Appartementhaus Nagakien Capsule
Building von Kurukawa, Tokio 1972 , der Vogelhäuschen für Junggesellen an zwei
Betontrikante hängte (vgl. Jencks 41, 42f. 48f.). Die Codierung, Mischung und
perspektivische Interpretationsabhängigkeit der Metaphern ergeben einen Effekt
der Selbstironisierung (vgl. etwa den bei Jencks, 65, abgebildeten Dog‑Stand
(1938) oder das Schuhmobil 1976, beide aus Los Angeles). Übercodierung,
Ungereimtheit, narrative Akklamationen und explizite Überstilisierung der
Metaphern vernichten natürlich jeden Ernst der metaphysischen Bedeutung ‑
absichtlich: Ausgefallenheit und Indirektheit sowie die manieristische
Überstilisierung und Überlappung scheinen eigentlich Jencks' These vom metaphysischen
Gehalt aufzulösen und durch ein kaleidoskopisches Potpourri von
Bedeutungsassoziationen zu ersetzen. Die Frage ist, ob dies in der Philosophie
und Wissenschaftstheorie so grundsätzlich anders ist.3
Wolfgang Welsch hat in einem interessanten Vortrag zum Deutschen
Kongress für Philosophie 1984 Missverständnisse des Begriffs der Postmoderne in
der Architekturtheorie kritisiert. Er argumentiert, dass die Moderne auf Grund
eines einzigen entscheidenden Schritts zum radikalen funktionalistischen Paradigma
bestimmbar ist, sie sei dem gemäß aber "weder so traditionsallergisch,
noch so innovationssüchtig, wie die Doxa es behauptet" (1985, 95). Dem
gegenüber, meint er, sei jede simplizistische Form von Postmodernismus, die
diesen auf bloßen Neohistorismus und Neotraditionalismus zurückführt, ebenso
falsch wie die Habermas'sche tendenzielle Gleichsetzung von Postmoderne und
Neokonservativismus ("Portoghesi hat sich zu Recht dagegen gewandt")
(ebd. 36). Statt dessen gelte es, eine "zukunftsrelevante Form von Postmoderne"
zu umreißen und die "eklatant philosophische Dimension" dieser
herauszuarbeiten (ebd. 97) und schließlich auf die philosophische Verfassung
des Zeitgeistes zu beziehen. Welschs Hauptthese ist, dass die Postmoderne die
Moderne nur erweitert, ergänzt und bereichert ‑ etwa um die Elemente
geschichtlicher Traditionen, um symbolische Dimensionen und humane Erwartungen
sowie ironische Distanzierung und freie Verfügbarkeit aller Stilelemente. Die
Postmoderne sei "keine Anti-Moderne
und keine Trans‑Moderne, sondern die über ihre Selbstbeschränkung und
Rigorismen hinausstrebende Moderne im Status ihrer Transformation" (ebd.
101). Sie richtet sich also nicht gegen die Moderne selbst, sondern gegen deren
Einschränkungen, Selbstverengungen, Verkrustungen, gegen deren
Eindimensionalität. Sie sei "als Selbstkorrekturform der Moderne"
"eine Nachfolgegestalt" und "Entwicklungsform der Moderne"
die offen gewordene "(sich pluralisierende) Moderne nach der
(restringierten) Moderne". Sie muss allerdings noch von ihrer "rhetorischen" zur "produktiven" Phase
umkonstruiert werden (ebd. 103). Die "Vielfältigkeit" und
"Vieldeutigkeit moderner Lebenserfahrung" (nach Venturi), die
Vielsprachigkeit und der Multiperspektivismus und Multifunktionalismus einer
spätwittgensteinianischen Einheit in der Vielheit von Landschaftsskizzen sei
das Charakteristikum der Postmoderne ‑ mit dem Zusatz, dass dieser
prinzipielle Pluralismus der Inhalte und Methoden positiv gewertet wird. "Polymorphie der Sprachspiele und
Polysemie des Sinns sind Kennzeichen der postmodernen Verfassung"
(ebd.105). Marquards Plädoyer für Polymythie und Polytheismus wie Feyerabends
Erkenntnisanarchismus oder ‑dadaismus werden ebenso in dieser
Charakteristik der postmodernen Verfassung vereinnahmt wie die Kuhnsche
Wissenschaftstheorie der Paradigmen, neue Rechtfertigungen mythischer
Sinnstrukturen und auch neuere Thesen pluralistischer Rationalitätstypen.4
Er verweist also die Postmoderne auf eine Lebensformen übergreifende,
Methodologien metatheoretisch beurteilende, sozusagen pragmatische
Einheitsfunktion der Vernunft, was immer das sei. Expliziter wird Welsch nicht,
sondern belässt es bei dem beschwörenden Hinweis auf die neue
"transversale" Dimension der Vernunft. Das philosophische wie das
pragmatische Problem und das der Kreativität bleiben dabei offen.
Als Nichtfachmann der Architektur wage ich nicht zu entscheiden, ob die
Postmoderne in diesem Bereich sich bereits überlebt hat. (In anderen Bereichen
scheint sie noch zu reüssieren.)
Doch dürften die Zitatenorientierung, die Stilkombination, die Liebe
zur 'spielerischen' publizitär-rhetorischen Imponiergeste, die semantische und
interpretatorische Vielfältigkeit, ja, Vieldeutigkeit, die "Polymorphie...
und Polysemie" von Formen und Sinndeutungen geblieben sein - also ein
Kennzeichen spielerisch-kombinatorischer "Kreativität".
Bleibt Kreativität, auch wenn die Postmoderne vergeht? Was ist, was
kennzeichnet Kreativität5 -
über das Postmoderne hinaus - strukturell aus?
II. Kreativität als Assoziationsprozess
Für Kreativität und kreative Personen ist
charakteristisch zumal die Neigung, zwischen Originalität und der Übernahme von
traditionellen Methoden hin und her zu springen, Spannung auszuhalten und einen
"optimalen Mix" herzustellen zwischen "Ikonoklasmus und
Traditionalismus" (Simonton 1988, 413). Das klingt geradezu paradox, aber
es ist anscheinend doch eine notwendige Bedingung zur Aufrechterhaltung einer
produktiven Originalitätsspannung, die offenbar unerlässlich und vielfach
charakteristisch ist.
Darüber hinaus steht die mentale Kreuzbefruchtung
zwischen verschiedenen Disziplinen besonders bei kreativen Neuentwicklungen im
Vordergrund. Sie führt aber auch häufig dazu, dass die Kreativen in eine Art
Randstellung ("marginal position") in ihrer eigenen Disziplin geraten
oder von einer solchen Randstellung aus kreativ werden, u. U. gar nicht oder
erst spät entdeckt werden (man denke an Gregor Mendel oder Robert Mayer). Das
heißt, die Spannung zwischen Traditionalismus, den etablierten Methoden und
arrivierten Ansichten innerhalb einer Disziplin einerseits, und dem
Bilderstürmerischen, dem radikal Neuen, dem Neuartigen, dem eventuell aus einem
ganz anderen Gebiet Stammenden andererseits - diese Konfrontationstendenz ist
offensichtlich charakteristisch für einen kreativen "Zusammenstoß",
für die "Zündung". Kreativität entsteht also durchaus auch auf Grund
von bestimmten kulturellen und sozialen Vorbedingungen; diese sind
typischerweise nur notwendige Bedingungen, aber in keinem Sinne irgendwie
hinreichend, insbesondere wenn es um die Leistungserklärung bei den
"intuitiven" oder "analytischen Genies" geht. Simonton
(1988) spricht davon, dass "der Zufall" an verschiedenen
unterschiedlichen Punkten "interveniert": Die Zufälligkeit greift
bereits wesentlich ein bei der Permutation der mentalen Elemente, bei der
Gewinnung innovativer Ideen, beim vergleichenden Revuepassierenlassen der
Konfigurationsrelationen, beim probabilistischen Zusammenspiel zwischen
Quantität und Qualität des Outputs, schließlich bei der Chance der Übernahme
(Akzeptanz) und, last but not least, auch in der historischen Entwicklung, etwa
angesichts von Mehrfachentdeckungen und -erfindungen (Simonton, ebd. 415 ff.).
Simontons Theorie der Kreativität ist eher eine
Theorie der kombinatorischen,
normalen Kreativität, wozu zwar auch gehört, dass man der Stereotypisierung
widersteht und die Ausschöpfungskombinationen frei permutiert und kombiniert,
in Konfigurationen bringt und im Sinne des erwähnten reproduktiv-kreativen Typs
durchführt, aber diese Theorie ist doch nicht in der Lage, die überragenden
genialen Kreativitäten zu erfassen. Man kann allenfalls gewisse Elemente zur
Kennzeichnung der Persönlichkeiten, der Produkte, der Anregungen, der Plätze,
der Prozesse geben, und diese sind eher wissenschaftsgeschichtlich und
kreativitätsmethodologisch als psychologisch. Aber die Psychologie mit ihrer
Normalitätsorientierung der Methoden(-batterien) hat offensichtlich Grenzen.
Psychologische Modelle und Tests sind schon aus methodologischen Gründen
(Anwendbarkeit auf den normal Intelligenten, Repetierbarkeit, statistische
Reliabilität und Validität sowie Generalisierbarkeit) kaum in der Lage, die
Kreativität der besonders Genialen wie z.B. Mozart (Gardner 1996, Hildesheimer
1977, Küster 1991) zu erfassen.6
Arthur Koestler vergleicht in seinem Buch Der göttliche Funke die kreativen
Entdeckungen, sei es in der Wissenschaft, sei es in der Kunst oder in anderen
kreativen Bereichen, mit dem Phänomen des Humors und des Witzes, indem er eine
assoziative "Zündungs"-Theorie des Komischen aufstellt, und zwar
unter dem Gesichtspunkt der Assoziation ("Bisoziation") von
unterschiedlichen Ebenen oder artfremden Perspektiven aus unterschiedlichen
Bereichen. Diese werden in einem Akt der plötzlichen Erhellung oder Eingebung
im Sinne eines "Aha"-Erlebnisses verbunden, in einem überraschenden
Einfall, der gleichsam geradezu in einem bestimmten "zündenden und
befreienden Explosionspunkt" kulminiert. Man hat beim Witz typischerweise
mehrere Ebenen zu unterscheiden, die zusammen kommen, sich überschneiden
Die komische Explosivwirkung beim Witz - oder
allgemeiner beim Humor - beruht auf der Konfrontation, Verwechslung und
Konfundierung (Zusammen"gießung", gar Konfusion?) von Spielregeln
zweier unterschiedlicher Bezugsebenen, die sonst "berührungsfremd"
sind, aber in dem Akte der Wechselassoziation ("Bisoziation") –
völlig überraschend beim Witz, lächelnd überlegend, sozusagen sanft
verständnisinnig beim Humor – zusammen gebracht werden: Es entsteht "ein Zusammenstoß, der im Lachen endet, oder
eine Verschmelzung zu einer neuen
geistigen Synthese oder eine Gegenüberstellung
in einem ästhetischen Erlebnis. Alle Bisoziationen sind dreiwertig – das heißt,
das gleiche Systempaar kann komische, tragische oder geistig anregende
Wirkungen hervorbringen" (Koestler ebd., 36 ff.). Dabei ist beim Witz oft
die von Bergson fälschlich als allein charakteristisch hervorgehobene
"mechanische Verkrustung des Lebens" oder die Vermenschlichung des
Automaten der Ansatzpunkt, dessen Konflikt oder Spannung sich in der
Bisoziation als Komik entlädt. Bergson hat jedoch "erstaunlicherweise ...
nicht erkannt, dass sich jedes der oben angeführten Beispiele aus einem
komischen in ein tragisches oder rein intellektuelles Erlebnis verwandeln
lässt, das auf dem gleichen logischen Muster beruht, also auf dem gleichen Paar
bisoziierter Systeme, und zwar durch bloße Änderung des emotionalen
Klimas".
Ähnlich wie beim Witz und Humor wirkt nun nach Koestler
die Wechselassoziation bei der typischen Entdeckung von neuen Erkenntnissen:
Auch diese entstehen zumeist durch Bisoziation unterschiedlicher Ebenen aller
Perspektiven, die sonst unverbunden geblieben waren. Die "geistig"
anregenden Wirkungen – statt der Komik oder Tragik - stehen hier im Mittelpunkt.
(Koestler gibt freilich keine weitere Charakterisierung der (Situationen-)Unterschiede
von Komik, Tragik oder zündender Entdeckung – außer, dass der Entdecker lange
in der einen Ebene umher gesucht hat, umher geschweift ist – man denke an
das exploratorische Appetenzverhalten i. S. d. Verhaltensforscher!, – bevor
die Ebenen- bzw. Perspektivenbisoziation zündet. Eine solche kreative wissenschaftliche
Entdeckung lässt sich stark vereinfacht nach Koestler (ebd.,
105) graphisch folgendermaßen darstellen:
Abb. 1
Der Forscher und Denker sucht irgend etwas, um sein Problem
zu präzisieren, um eine klare Frage zu finden und auf einer bestimmten Ebene
E1 zu lösen – und plötzlich kommt aus einer Ebene E2, die gleichsam senkrecht
zu E1 steht (eine unabhängige Dimension
darstellt), durch eine Art von Interpolation (im Unterschied zu den exploratorischen
Extrapolationen im bisherigen Bereich E1) eine zündende Bisoziation zustande,
die Verbindung zweier eigentlich unterschiedlicher Ebenen oder "Erfahrungssysteme".
Es ist in der Tat auch der oder ein Witz des Witzes,
dass man den Überraschungseffekt erreicht, indem plötzlich in einer Ebene,
in der man normale (Routine-)Antworten erwartet, eine ganz andere Interpretation
aus einer anderen Ebene einschlägt – wie einen Blitz beim Witz: Dadurch entsteht
der Überraschungseffekt und das Komische.
Besonders der gute Witz weist als Charakteristika
nämlich sechs oder sieben verschiedene Merkmale auf: Kürze, Knappheit,
Sparsamkeit oder Überraschungseffekt, das Zusammenspiel von Elementen aus
verschiedenen Ebenen oder verschiedener Interpretationen, und das würde hier
auch ganz genauso zutreffen. Die "Bisoziation" oder das
"zündende" Kreative, der Einfall in Witz und Humor verbindet bisher
unverbundene "Erfahrungssysteme", -ebenen oder -symbole und führt dann
eben im Schnittpunkt dieser beiden Ebenen zu einem Einfall bzw. zu einem
Erlebnis des Lachens oder der Komik; es kann sich aber – wie Koestler sagt –
auch eine "tragische oder eine geistig anregende Wirkung" mit der
Bisoziation ergeben: Das Erleben subjektiver Art wird mit einem objektiven
Bezugsrahmen in Verbindung gebracht, man setzt sich vom routinemäßigen Denken
ab – und gewinnt im Erfolgsfalle doch eine Art von schöpferischer Kombination
von zwei verschiedenartigen Dimensionen: daher "Bisoziation", also
Wechselverknüpfung, Zweierassoziation. Man kann dem natürlich kritisch entgegen
halten, das Konzept sei sozusagen quantitativ und auch terminologisch viel zu
beschränkt, um anstatt von Assoziation von Bisoziation sprechen zu können.
Sybren Polet hat in seinem Buche Der
kreative Faktor geschrieben (dt. 1993, 298), dass Koestler den Begriff der
Assoziation nur gegen den der "Bisoziation" ausgetauscht habe und man
ihm "besser nicht folgen" solle; denn der "Austausch der
Begriffe" sei "nicht nur überflüssig, sondern auch unrichtig",
da der Ausdruck "Bisoziation" in gewisser Weise vorspiegele,
"dass es sich um ein einspuriges, 'digitales' Assoziieren" handele,
wenn auch aus zwei verschiedenen Ebenen, während die tatsächlichen Abläufe von
multipler Art und komplex-paralleler Verschaltung seien, wie ja auch aus dem
Zitat von James über den "Kessel mit den blubbernden Ideen"
ersichtlich sei: dass es sich also gerade um ein vielspuriges, "mehrspuriges"
Konfigurieren, Verarbeiten, Verknüpfen handle. Diese Aktivität führe zwar in
gewissem Sinne dann durchaus zu einer Art von "eingleisiger
Bewusstseinsenge", letztere sei aber nur die "Spitze des
Eisberges": Im Untergrund, im Unterbewussten, Unbewussten gebe es sehr
reiche Strukturen und eine teils "chaotische", teils hochverflochtene
Fülle an Parallelverarbeitungen. Daran ist sicherlich etwas Richtiges, aber das
von Polet Angesprochene ist m. E. durchaus in dem Koestlerschen Modell
enthalten.
Doch man darf diesen Ansatz in der Tat nicht auf bloß zwei Ebenen zusammenstreichen (wie das
Wort "Bi-soziation"
suggeriert). Wir müssen vielmehr davon ausgehen, dass hier eine multiple Kollision, Kollusion (ein
"Zusammenspielen"), Konfundierung, Wechselwirkung und Anregung und
nicht nur ein "Extrapolieren" in einer Ebene, ein
"Interpolieren" von einer anderen Ebene aus und dann eine Art von
"Transponieren" stattfindet. Diese Skizze vereinfacht zu stark. Es
handelt sich statt dessen erstens um ein sehr vielfältiges, großenteils dem
Oberflächenbewusstsein und damit der Bewusstseinsenge entzogenes Zusammenspiel.
Es können nahezu beliebig viele Ebenen sein, die sich da schneiden und zu einem
Lösungspunkt oder Zündungseinfall führen. Und zweitens ist zu sagen, dass
Koestler tatsächlich nicht die schöpferische Metaschichtenbildung berücksichtigt,
die wir zu Anfang als besonders charakteristisch herausgestellt haben und die
eine große Rolle bei intellektuellen Entdeckungen, zumal bei
Verallgemeinerungen, spielen - neben den sozusagen horizontalen
"Bisoziationen" unterschiedlicher Disziplinen und Perspektiven. Das
Schichtenübersteigen, das transzendierende Interpretieren gibt neben dem von
Koestler betonten "Extrapolieren", "Interpolieren",
"Transponieren" und "Transformieren" eine entscheidende Charakteristik
des Kreativen ab. Das "Höhersteigen" bedeutet das abstraktere (oder
abstrahierende), das stufenübergreifende Zusammenfassen auf Metaschichten: Das
Überblicken, Überformen von bestimmten Schichten ist dabei ganz besonders
wichtig – wie wir gesehen haben: Man könnte hier von "Transzendieren"
sprechen, also nicht nur vom Transponieren, sondern vom Metatransponieren, vom "Aufheben" auf höhere Schichten,
vom Metainterpretieren unter höheren (höherstufigen) Perspektiven - und nicht
nur aus verschiedenen Blickwinkeln derselben Ebene. Gerade die kreativen Metainterpretationen, die Kreierung von neuen Ebenen und Schichten
ist besonders kreativ im Sinne der oben erwähnten
"überkombinatorischen" Kreativität. Die Perspektiven sind ihrerseits
geschichtet und u. U. hierarchisch verzweigt zu sehen, zu bilden. Deswegen ist es nicht nur nötig, in derselben Ebene eine
"neue Denkmütze aufzusetzen", wie der Wissenschaftshistoriker
Butterfield das genannt hat (zit. n. Koestler 1966, 255): Die "geistigen
Transpositionen in den Gehirnen der Wissenschaftler" kommen in erster
Linie "nicht durch neue Beobachtungen oder zusätzliche Daten
zustande", sondern dadurch, dass das "Bündel" von vorhandenen
"Daten zu einem neuen System wechselseitiger Beziehungen" geordnet
wird, "indem man ihnen einen neuen
Rahmen gibt; denn das bedeutet im Grunde genommen, dass man eine neue
Denkmütze aufsetzen muss" (Hervorhebung hinzugefügt, H. L.). Diese
"neue Denkmütze" kann aber manchmal auch einen Geßlerhut bedeuten
oder zu einer Tiara hochstilisiert werden (ist dann freilich nicht mehr neu!). Es gibt auch trickreiche
Vertreter der Kunst, die sich nur äußerlich einen neuen bunten, auffälligen Hut
aufsetzen. Die Wissenschaftsentwicklung (oder eher -verwicklung) ist manchmal
nicht bloß dadurch mitgeprägt, dass man einer neuen Denkmütze modischer Art
seine Reverenz erweist, sondern zuweilen auch dadurch, dass man lediglich
(s)einen alten Hut gegen einen neuen austauscht. Und oft bleibt es auch beim
alten Hut - bloß mit neuer, manchmal fremder Feder. Die eigentlichen kreativen
Fortschritte genügen freilich anderen Grundkriterien und Quasigesetzen,
Anregungs-, Entstehungs- und Entwicklungsdynamiken. Auch die
"Bisoziation", die von Koestler aus dem Bereich von Witz und Humor
übernommen wird, ist in diesem Sinne zu verstehen. Es gibt ja auch Kabarettisten
und professionelle Humoristen, die diese Tricks der komischen Explosionszündung
fast mechanisch beherrschen, daraus eine stets einzupassende "Masche"
zu machen vermögen. Sie sind bloß "reproduktive Kreative", allenfalls
Kleinkünstler, manchmal Klein- und Scheingenies der maschenkombinierenden
Pointengymnastik, aber nicht in dem eigentlichen Sinne fundamental Neues
schaffende "intuitive Genies", die absolut überkombinatorisch
Neuartiges aus der Fülle ihrer überquellenden, schichtenüberspringenden
Phantasie schaffen.
Es ist also die entscheidende Idee, dass zwei
unterschiedliche, bisher "unverbundene Erfahrungssysteme" (Koestler)
plötzlich durch einen Einfall zusammengeschlossen werden und dass zwei Ebenen,
die bisher unabhängig voneinander waren, gleichsam orthogonal zueinander
standen, nun in einem bestimmten Punkt (oder einer Schnittgeraden) miteinander
verbunden sind. Man sucht nach einer Problemlösung in einer dieser Ebenen,
findet diese nicht – und plötzlich ereignet sich ein "Einfall" (im wörtlichen
Sinne!) aus einer anderen Ebene; auf diese Weise kommt nach Koestler die
Bisoziation von unterschiedlichen Erfahrungssystemen zustande. Dabei gilt, dass
man eine solche Überschneidung und Übereinstimmung nie als bloß aufsummierendes
Zusammenfügen von Werten oder Größen verstehen kann, sondern es ist eine
wirkliche Integration, die auch innere Wechselwirkungen, ja,
"Interferenzen" und wechselseitige "Befruchtungen" der
Gesichtspunkte aufweist, also nicht nur additiv verstanden werden kann (ebd., 252).
Das ist übrigens etwas, was man Koestler selber ins Stammbuch schreiben könnte,
es kann auch beim "Bisoziieren" nicht darum gehen, dass man
mechanisch (bloß) zwei unterschiedliche Ebenen nur zum Schneiden oder in
Beziehung bringt, sondern die Verhältnisse sind meistens sehr viel komplexer
und interessanter. Koestler hat aber sicherlich Recht damit, dass
offensichtlich die Gesichtspunkte aus verschiedenen Bereichen zu einer Art von
"Zündung" führen; er spricht ja von einer "bisoziativen"
Überraschung oder sogar von einem "bisoziativen Schock". Beides kommt
ja auch im Witz vor - in der Weise, dass man eine gewisse
"Originalität", "Emphase" und "Sparsamkeit" als
Kennzeichen des Komischen (ebd., 78 ff.) dann eben mit einer solchen
Bisoziation oder einer solchen Zusammenbindung von unterschiedlichen
Gesichtspunkten verbindet: "Tatsächlich ist das Überschneiden zweier
unabhängiger Kausalketten durch Koinzidenz oder Verwechslung ein eindeutiges
Beispiel für bisoziierte Zusammenhänge beim Witz, aber auch bei der Forschung
und in der Kunst" (ebd., 73 f.). Es ist eine von Koestlers Hauptthesen,
dass in allen diesen kreativen Bereichen gleichsam eine Art von gleicher
Verlaufsform der kreativen Prozesse und Phänomene, des Überraschenden und des
Originellen, des Einfallsreichen gegeben ist. Dazu versucht Koestler gewisse
typische Verhaltensformen, etwa am Beispiel des Witzes, zu beschreiben und
typologisch zu entwickeln: die Verlagerung des Akzentes und des
Gesichtspunktes, Koinzidenz, Zusammenfallen, Zusammenschalten, das Entwickeln
von geradezu widerlogischen Gesichtspunkten oder dann die
"Interpolation" in einer Ebene, die Ausdehnung einer bestimmten Reihe
oder Kette, "Extrapolation", ebenfalls in derselben Ebene, die dann
zu einer Art von "Transformation" gerade dann führt, wenn auf die
andere Ebene übergegangen wird bzw. diese sich mit der ersten schneidet,
berührt und in diese hinein wirkt. Versteckte Anspielungen, implizierte
Gesichtspunkte und Informationen spielen eine große Rolle insbesondere bei
geistreichen Witzen, aber ebenso bei tiefsinnigen Entdeckungen. Die
Hintergründe, die jeweils impliziert werden und mitspielen, sind recht wichtig
für den Begriff einer "tieferen" perspektivischen Transformation oder
Interpretationszündung. Dabei spielen Metaphoriken (s.u.), analogische
Begriffe, Vergleiche, Übertragungen, Kreuzvergleiche und alles mögliche
Querdenken oder Querdeuten eine Rolle – und oft auch bestimmte Konflikte, die
einerseits zwischen den inhaltlichen Gesichtspunkten auftreten können (das gilt
insbesondere beim Witz), aber andererseits auch Konflikte, die sich bei den
kreativen Persönlichkeiten selber einstellen, wie wir oben aus den
psychologischen Untersuchungen entnehmen konnten. Das gilt insbesondere beim
Forscher oder Künstler, der vor einer besonderen Aufgabe oder Problemstellung
steht und manchmal eine Art von "Blockierung" erlebt: Dann verstärkt
sich die Anspannung, und eine Art von Kollision wird geradezu wahrscheinlich
gemacht, vor- oder aufbereitet – also eine "Bisoziation", die dann
eintritt, wenn die beiden Ebenen in einer bestimmten
"Einfallssituation" zusammen kommen, wodurch der Konflikt gelöst
wird. Man könnte geradezu von der Kollision von konfliktuösen
Ausgangsgesichtspunkten sprechen, sowie von einer Kollusion, einem Zusammenspielen, Wechselspiel, interaktivem
Ineinandergreifen der entsprechenden Gesichtspunkte unterschiedlicher
Erfahrungssysteme, die dann die bisoziative "Zündung" darstellen.
Dabei kommen oft Codewechsel vor, die manchmal sogar bewusst werden. Fixierte
Strategien werden flexibel gemacht. Man muss typischerweise zu anderen
Bezugsrahmen übergehen. Das Wandeln und Abändern von solchen Bezugsrahmen
selbst ist ganz wichtig.
Doch man kann die Lösung eines Multi- oder Bisoziierungsproblems im
Grunde nicht voraussagen; sie ist nicht kombinatorisch-mechanistisch oder
kausal-deduktivistisch erklärbar oder gar erzwingbar. Sie ist letztlich auch
nicht durch bloße Anpassung erklärbar, sondern der Ansatz Koestlers liefert nur
eine Art von eher phänomenologischem Versuch, dieses "Einbrechende",
"Einfallende" zu beschreiben. Man kann Entdeckungen dieser Art nicht
nur auf Kombinatorik oder auf kombinatorische Gymnastik zusammenstreichen - und
dieses Modell selbst auch nicht (s. o. die kritischen Bemerkungen zu Simontons
Modelltheorie). Das Bisoziieren ist zwar darauf abgestellt, dass es
kombinatorisch vor- und aufbereitet wird insofern, als man versucht,
verschiedene Erfahrungssysteme systematisch zu kombinieren. Häufig ist es
jedoch ein wirklich zufälliges Zusammentreffen (wenn auch manchmal,
typischerweise, ausgelöst durch äußere Zufallsumstände). Oft – wir sprachen von
Serendipität – wirkt ein Anregungserlebnis aus der Umwelt "zündend".
Man kann versuchen, diese Einfallserlebnisse innerlich zu modellieren, zu
schärfen, die "Kollusion" wahrscheinlicher zu machen, indem man
"virtuell" eine mentale Strategie des "geistigen Abtastens"
einer subjektiven inneren Landkarte durchführt oder in einer "inneren
Landschaft" herum wandert, wie Koestler für das "zweckgerichtete
Denken" (ebd., 167) sagt, oder den "Brennstrahl der Bewusstheit"
auf die "innere Umwelt" richtet und diese zu explorieren,
auszuforschen versucht (ebd., 168). Aber das sind alles Metaphern, die
sicherlich zur theoretischen Erfassung nicht ausreichend sind. Sie versuchen,
etwas eigentlich Undarstellbares "von außen" her zu umschreiben,
indem bestimmte Metaphern verwendet werden. Dabei spielen Bezugnahmen auf das
Unbewusste, auf das Querdenken, Querdeuten, "Wegdenken" (ebd., 149
ff.) eine große Rolle. Das Entdecken von Analogien ist oft das Einbrechen
unterbewusster Verarbeitungen oder unbewusster Vorgänge oder sedierter,
abgesunkener Erfahrungen: Das Phänomen ist interessant und wird auch vielfach
in der Literatur zitiert. – Es gibt gewisse indirekte Strategien zur
Herbeiführung von Problemlösungen oder von Assoziationen. Das zeigt schon die
Schilderung von Einfallserlebnissen gesehen, wie sie Poincaré berichtete. Die
Verfahren sind indirekte; es sind Strategien des "Wegdenkens" oder
Querdenkens, durch die man versucht, die Einfallswahrscheinlichkeit zu erhöhen,
die Inkubation zu fördern, die Auslösung herbeizuführen: "Das Glück trifft
nur den vorbereiteten Geist", wie Pasteur gesagt hatte.
Souriau, ein französischer Philosoph, hat um 1880 – und das Wort ist
auch von Nietzsche übernommen worden – gesagt, "um zu erfinden, muss man
wegdenken": "Pour inventer il
faut penser à côté" (Polet, 1993, spricht von
"Danebendenken"). Im Deutschen haben wir den Ausdruck
"Querdenken", der auch gerade hinsichtlich der Ebenenkonstruktion bei
Koestlers Bisoziation oder bei allen Multi- und Meta-Assoziationen ganz
sinnvoll zu sein scheint. Man sollte das Wort in diesem Zusammenhang (mehr)
berücksichtigen. Kann man nun versuchen, die Wahrscheinlichkeit einer solchen
Kollision und Kollusion, einer Bisoziation oder gar Multiassoziation planmäßig
zu erhöhen? Sicherlich handelt es sich um Strategien, die bei bestimmten
Entdeckungsbereichen, in denen man auf besondere Einfälle, auf Visionen
angewiesen ist, sinnvoll sind – vor allem dann, wenn man seine Variationen der
anregenden Umwelt oder die Auslösemerkmale selber innerlich erzeugen muss und
nicht hoffen kann, dass aus der Außenwelt entsprechende Anregungen oder
Provokationen im Sinne der zuvor diskutierten Serendipität auftreten. Aber
charakteristisch ist, dass bei kreativen Akten und besonders fundamentalen
Neuentdeckungen eine gleichzeitige Aktivität auf mehreren Ebenen häufig ist, dass eine Art von typischer
Inkubations- oder Reifungszeit zu finden ist. Man muss dauernd mit dem Problem
umgehen, "ringen", sich (nahezu) total engagieren und dieses Problem
sowie den Konflikt und Problemdruck quasi im Unterbewusstsein arbeiten lassen.
Es kommt noch hinzu, dass man eine offene Sensitivität, Empfänglichkeit, für
die entsprechende Problemlage und für kleinste Zeichen oder Anzeichen eines
Einfalls oder einer Anregung aus der Außenwelt haben muss oder pflegen sollte.
Schließlich gilt natürlich, dass in gewisser Weise das rationale Denken, etwa
beim Mathematiker, ebenso eine Rolle spielt wie der eher zufällige Einfall, von
dem schon die Rede war. Man kann sagen, dass das unterbewusste Weiterarbeiten
oder unbewusste Tendenzen und Dispositionen, die man vielleicht zu
vereinfachend als "das Unbewusste" zu bezeichnen pflegt, die Funktion
haben, das Problem untergründig gegenwärtig zu halten. Das Unterbewusste ist in
diesem Sinne eine Art von Strategie, um gleichsam das Problem, den Konflikt,
den Problemdruck "am Kochen" zu halten. Man fühlt sich an einen
Druckkessel erinnert. Dann kann plötzlich wie ein "Ausbruch" eine spontane
Intuition oder tatsächlich das Ereignis einer solchen Bisoziation eintreten,
wie sie Koestler im Auge hat.
Wir hatten oben bereits diskutiert, dass diese Art von Kollision und
Wechselbefruchtung oder -zündung im Allgemeinen nicht auf zwei Ebenen beschränkt werden kann, sondern dass sie genauso im
Zusammenspiel vieler unterschiedlicher Perspektiven und Gesichtspunkte zu
finden ist, und dass eine Art von multipler Kollusion und Wechselwirkung eine
Rolle spielt. Das Modell von Koestler ist also in dieser Hinsicht zu einfach gewählt. Er hat auch nicht
gesehen und berücksichtigt, dass dieses Zusammenspiel u. U. von verschiedenen
Schichten, Stufen und Ebenen aus gesehen und betrieben werden kann, dass es
neben der horizontalen Bisoziation
auch eine vertikale gibt, dass man
aus einer höheren Perspektive, aus einer metatheoretischen bzw.
metasprachlichen Perspektive bestimmte Gesichtspunkte der unteren,
objektnaheren Ebenen eben anders sieht. Wir können auch vertikal kreativ
assoziieren. Man könnte von Meta-Assoziation sprechen oder von einer Methode,
Meta-Assoziationen zu kreieren.
Koestler meint, dass offenbar alle Arten von kreativen Entwicklungen,
insbesondere bei komplexeren Systemen und schöpferischen Prozessen komplexerer
Art, Analogien in den entsprechenden Bereichen aufweisen. Er behauptet sogar,
im Wesentlichen liefen kreative Prozesse, humane Kreationen jedenfalls, im
Großen und Ganzen nach dem gleichen Schema ab; es unterschieden sich nur die
Kriterien der Beurteilung, die bereits spezifischen Produkte selbst oder auch
die Art und Weise, wie das Ergebnis des Kreationsprozesses im Einzelnen
zustande kommt. Aber die von ihm hervorgehobenen Phasen der Variation, der
Interpolation und Extrapolation, der Transposition bzw. Transformation, der
Selektion, der Retention (Bewahrung, Stabilisierung) sind für ihn in den
Bereichen überall die gleichen. Offensichtlich ist die Übernahme von bestimmten
Risiken bei Neuentwicklungen dann ähnlich zu sehen wie der Sprung ins
Unbekannte, der darin besteht, dass man sich wie Poincaré auf unbewusste
Einfälle kapriziert oder gar verlässt oder von diesen "überwältigt"
wird. Was für ein Kriterium letztlich die Beurteilung liefert, sei prozessual,
phasenmethodologisch vielleicht gar nicht einmal so entscheidend. Und es gibt
ja in der Tat auch Analogie-Zusammenhänge, etwa zwischen künstlerischen und z.
B. mathematischen Intuitionen oder Visionen.
Poincaré war der Meinung, dass die Beurteilung mathematischer
Erfindungen zugleich unter dem Gesichtspunkt der Schönheit und Wahrheit, also
als Kreation schöner und nützlicher
mathematischer Ideen vonstatten gehe (s.a.u. Anm. 7), und dass deren Selektieren eigentlich schon eine Bewertung sei,
die gleichsam unterbewusst oder vorbewusst, jedenfalls in seinem Geist,
zustande komme. Poincaré hat, so meinte er, jeweils schon im Vorbewussten oder
Unterbewussten die meisten der nicht sinnvollen Kombinationen eliminiert,
selektiert. Der europäische Mentor von Ramanujan, Hardy, hat eine Apologie eines Mathematikers
geschrieben, in welcher er behauptete, es käme in der Mathematik ohnehin
ausschließlich auf die Idee der Schönheit an; diese sei das einzige und
"entscheidende Kriterium" der Beurteilung, das eine Rolle spiele:
“Das entscheidende Kriterium ist Schönheit. Für hässliche Mathematik ist auf
dieser Welt kein beständiger Platz.“ (zit. n. Koestler 1966, 365). Mathematik,
meinte Hardy, könne "nur als Kunstwerk" gerechtfertigt werden. Der
berühmte Mathematiker Borel meinte gar, Mathematik sei "Poesie von Ideen"
(beides zit. n. Hildebrandt 1992). Das andere Zitat ist von Hadamard, den ich
schon im vorangegangenen Kapitel erwähnt hatte, der nach seiner Umfrage unter
hervorragenden amerikanischen und französischen Mathematikern resümierte: “Das
Schönheitsgefühl ist offensichtlich fast das einzige Gefühl, das in der
Mathematik zu Neuentdeckungen führt." Es spielen also das Unterbewusste,
die Intuition, das Erleben von Schönheit und das Erkennen sowie Beurteilen von
Einfachheit eine hervorragende, wenn nicht gar entscheidende Rolle gerade auch
in jenen Disziplinen, die anscheinend ausschließlich dem mechanischen
Beweisdenken oder der strikten Präzision der Beweise und Argumente verpflichtet
sind - wie in der Logik und insbesondere der Mathematik.
Es ist interessant und wird von Koestler (1966, 151) geradezu als ein
"scheinbares Paradoxon" bezeichnet, "dass ein Wissenszweig, der
vorwiegend mit abstrakten Symbolen arbeitet, dessen rationale Grundlage und
Credo Objektivität, Beweisbarkeit und Folgerichtigkeit sind, offenbar von
geistigen Vorgängen abhängig ist, die subjektiv, irrational und nur post factum verifizierbar sind".
Das impliziert, dass der Beweis immer erst hinterher kommt, die Intuition ist
vorgängig und das Entscheidende. Und die geschieht oder ereignet sich, so Hadamard (1945), weitgehend in einem quasi
ästhetisch-visionären Erfahren oder (virtuellen) Schauen. Die Lösung eines
Problems ist nicht irgendwie schrittweise abgeleitet, sondern wird erlebt als
oft plötzlich "einfallendes", den "Kreator" überkommendes
Mustererkennen im Sinne einer Gesamtschau, einer überwältigenden und
persuasiven Vision.
Es kann sogar gesagt werden, dass zumeist, wenigstens in der
Initiations- und Visionsphase, die Sprache und die übermäßig präzise Fixierung
von Formeln eher Hindernisse darstellen. “Die trügerische Präzision“, sagt
Koestler (1966, 184), “die ... Begriffen eignete", die wie die klassischen
Raum- und Zeitkonzepte in der Philosophie eine Rolle gespielt und die
Mathematik und die Physik Jahrtausende lang beeinflusst haben. Man denke
insbesondere an die aristotelische Physik - sie legte nach Koestler "das
gesamte wissenschaftliche Denken von Aristoteles bis zur Renaissance in
Fesseln". Das ist nach der heutigen Kenntnis der mittelalterlichen
Entwicklungen im Nominalismus und auch in der Logik nicht richtig, doch stimmt
es zweifellos, dass Sprache und Worte zwar "unentbehrlich" zur
Präzisierung sind, dass aber fixe, verfrüht oder absolut verfestigte Begriffe
und sprachliche Formulierungen "Fußangeln" (Koestler, ebd.) sein
können, bestimmte Perspektiven verstellen mögen, unter Umständen zu einer
Weltsicht Anlass geben, die gerade gesprengt werden muss, um Neuentwicklungen
zu erlauben.
Selbst die Sprache stellt manchmal bei der eigentlich schöpferischen
Eingebung ein Hindernis dar. Zwar ermöglicht sie viele verfeinerte und
präzisierte Darstellungen, aber sie kann uns u. U. auch
"Scheuklappen" aufsetzen. Darauf hat übrigens auch lange vor
Wittgenstein der kongeniale Präwittgensteinianer Lichtenberg in vielen
berühmten Zitaten hingewiesen – dass nämlich ein falsches oder fixiertes
Sprachverständnis oder schon die Sprachformulierung ein verzerrtes
philosophisches – und somit auch ein metaphilosophisches - Problem bedeuten
kann. "Unsere ganze Philosophie ist Berichtigung des Sprachgebrauchs, also
die Berichtigung einer Philosophie, und zwar der allgemeinsten ... Es wird also
immer von uns wahre Philosophie mit der Sprache der falschen gelehrt. Wörter
erklären hilft nichts." "Unsere falsche Philosophie ist der ganzen
Sprache einverleibt." (Lichtenberg H [146])
Wie steht es mit der Kreativität beim Künstler? Ist es da ganz ähnlich
wie beim Wissenschaftler? Arthur Koestler (1966, 366, 371 u. a.) vertritt diese
These. Er meint, dass man hinsichtlich der Entwicklungen der Kreativen – sowohl
des kreativen Prozesses als auch des schöpferischen Menschen – in Wissenschaft
und Kunst ganz ähnliche Überlegungen für beide Bereiche anstellen kann: Gleiche
oder recht ähnliche Beobachtungen seien hinsichtlich der großen Einfälle bei
den Wissenschaftlern wie auch bei den Künstlern zu machen. Hier wie dort finden
sich "die bahnbrechenden Neuerungen", die sich auf "plötzlichen
Verlagerungen der Aufmerksamkeit und der Betonung auf ein bis dahin nicht
vernachlässigtes Band des Spektrums der menschlicher Existenz" gründen
(ebd., 371). Sie kommen wie in der Wissenschaft, so auch in der Kunst dadurch
zustande, dass man – das ist wieder seine Theorie der Bisoziation – plötzlich
Systeme zusammenschaltet, die bisher als getrennt angesehen worden sind:
"An den entscheidenden Wendepunkten", sagt Koestler (ebd., 443),
"die einen Neubeginn in neuen Bahnen einleiten, treffen wir auf
Bisoziationen großen Stils, auf Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen
Perioden, Kulturen und Wissensbereichen": "Dieses Sich-Überschneiden
der beiden Ebenen findet sich in allen großen Kunstwerken; aus ihm resultieren
alle großen Entdeckungen der Wissenschaft. Es ist der Fluch – oder das Privileg
– der Künstler und Wissenschaftler, auf dieser Schnittlinie wie auf einem
gespannten Seil wandeln zu müssen." Das heißt, die Bisoziation spielt nach
Koestler auch in der Kunst eine entscheidende Rolle.
Koestler hatte mehrfach darauf hingewiesen, dass Poincaré oder auch
Hardy, die großen Mathematiker, behauptet haben, dass die Schönheit einer
Struktur, einer Ableitung oder der Lösung eines Problems eine ganz wichtige
heuristische und rechtfertigende Aufgabe in der Mathematik hat – wie auch in
der Kunst. Das ist natürlich überraschend.7
Was ist nun das Körnchen Wahrheit darin, die Motivation oder
Rechtfertigung dahinter oder das Gemeinsame der Phänomenbereiche? Koestler
meint (ebd., 366), "der schöpferische Prozess selbst läuft ... in allen
Bereichen im Wesentlichen nach dem gleichen Schema ab. Aber die Kriterien, nach
denen das Endprodukt zu beurteilen ist, sind natürlich je nach dem Medium
verschieden." Mit anderen Worten: das Schöpferische ist in allen Bereichen
von gleicher Struktur, und der Ablauf des kreativen Prozesses bzw. Aktes ist im
Großen und Ganzen gleich - auch bei der Motivation des Schöpferischen ist etwas
Gemeinsames.8
Neue Wahrheiten aber und neue Schönheiten sind "kreativ" –
sind nur durch kreative Akte zu gewinnen und wirken ihrerseits
"kreativierend". Die bahnbrechenden Neuerungen sind besonders
wichtig. Es geht also um neue Entwicklungen und neue Erfahrungen. Die bloße
Feststellung von Wahrheit oder Schönheit schon bekannter Art ist natürlich dann
in diesem Sinne nicht kreativ, sondern allenfalls ein stellvertretendes
Nacherleben früherer kreativer Schaffensprozesse. Die Neuentwicklungen, also
auch die Originalität 9 muss natürlich hinzukommen, damit wirkliche
Kreativität sich realisiert.
Solche grundsätzlich berechtigten Gesichtspunkte reichen aber meines
Erachtens nicht aus. Hinzutreten müssen zumindest die folgenden Charakteristika
und Beurteilungsgesichtspunkte, insbesondere bei kreativen Entwicklungen:
1. die prinzipielle Ausrichtung auf Konfiguration,
Ganzheit, Totalität (wie generell bei besonders großer Kreativität, vgl. a.
Polet, 1993, 93, 114);
2. die prinzipielle Neuartigkeit. Sie
ist natürlich in der Forderung der Originalität enthalten, aber das ist noch zu
allgemein; es muss m. E. die Entwicklung neuer Perspektiven, Darstellungsweisen
und Gesichtspunkte hinzukommen. Die Originalität kann nicht elementar in dem
Sinne sein, dass nur neue, jedoch kleine Erweiterungen vorgenommen und neue
Kombinationen von schon Bekanntem erzeugt werden, sondern es müssen neue
Grundlagen gesehen, ganz neue Sichtweisen geschaffen, neue Perspektiven, neue
Schichten der Deutung entwickelt werden; es zählt also grundsätzlich eine Neoperspektivität oder ein Neoperspektivismus.
3. Entsprechendes gilt sodann, wie es beim Geniebegriff Kants (KU
§46f.) einschlägig ist, für die Schaffung
neuer Regeln des Verständnisses und der Kreationen, aber auch natürlich der
Interpretationen. Diese neuen Regeln konstituieren unter Umständen nicht bloß
eine neue "individuelle Spielregel" (Koestler 1966, 424), sondern
eine ganz neue Kunstrichtung – man denke an den bereits erwähnten Übergang von
der bildlichen Kunst zu einer Relief- oder Collagekunst, die ins Räumliche
ausgreift, oder an die Zwölftonmusik. Das ist dann als das Setzen und
Durchsetzen neuer Regeln oder auch neuer Regeln der Beurteilung zu verstehen
und führt natürlich auch zu einem radikal neuen Stil. Das Genie setzt nach Kant
ja selbst neue Regeln und schafft damit in der Frage auch neue Standards der
Beurteilung: Diese Art von Neoregularismus
oder Neostandardismus, könnte man
sagen, müsste natürlich erfasst werden und sich auch auf die Schichtenbildungen
beziehen, die ich oben genannt habe.
4. Damit greift das Phänomen des Kreativen über einzelne Gebiete hinweg
und wird zu etwas Philosophischem, das eben darin zum Ausdruck kommt, dass man
höhere Schichten der Entwicklung von Deutungen hat, die auf anderen Grundlagen
und diese überhöhend aufbauen. Der Metaperspektivismus
ermöglicht schichtenübergreifende Kreationen, sozusagen Metakreativität. Das könnte dazu führen, dass man die Koestlersche
These der gemeinsamen, zumindest gleichphasigen und gleichartigen Struktur des
Kreativen auf allen Gebieten zu einer Art von interdisziplinärer Zusammenschau
in einer erst zu entwickelnden Philosophie der kreativen Tätigkeiten einmünden
lassen könnte. Dabei ist die Auseinandersetzung mit den Zufallsmomenten oder
dem traditionell so verstandenen Chaotischen – und auch unter Umständen den
deterministischen komplexsystemaren chaotischen Entwicklungen in der
nichtlinear verfassten Natur - wesentlich, also Phänomene, die etwa die
Chaostheorie heutzutage untersucht.
III. Chaotische Kreativität?10
Im Folgenden möchte ich besonders auf Chaotisches in der Kunst bzw. den
fraktalen Charakter und die Selbstähnlichkeit in der Kunst sowie auf bestimmte
Korrelationen, formale Übereinstimmungen bzw. Analogien oder Parallelitäten zum
natürlichen Phänomen des Wachsens eingehen. John Briggs hat in seinem Buch Chaos. Neue Expeditionen in fraktale Welten (1992, dt. 1993) im Wesentlichen
versucht, einen Ansatz zur Deutung der Kunst auf fraktaler und
chaostheoretischer Basis aufzubauen; das selbe gilt für Friedrich Cramer, der
sich viel mit den Problemen der Evolution, der Ordnung und den chaotischen
Phänomenen in der Natur, sowie mit der Zeitstruktur des Erlebens und der
Erfahrung befasst hat. Beginnen wir mit Cramers Entwurf.
Cramer geht davon aus (1994, 259),11 dass das Schöne als
eine "Gratwanderung"
zwischen dem Geordneten einerseits und dem Chaotischen andererseits und
insbesondere natürlich dem Geordneten im Sinne der fraktalen Geometrie
verstanden wird, so dass also Beziehungen und Korrelationen bestehen zwischen
der Physik der komplex-dynamischen Systeme mit fraktalen (chaotischen)
Attraktoren einerseits und der Entwicklungsbiologie andererseits. Weil alle
Entwicklungen immer vom jeweiligen Stand des evolvierenden Systems abhängen,
entstehen hier natürlich unmittelbare formale Übereinstimmungen bzw. Analogien.
Cramer meint, die Theorie des deterministischen Chaos lasse uns solche
Übergänge zwischen Ordnung und Chaos besser verstehen und insbesondere auch das
Erleben dieser Übergänge und dieser Oppositionen, solcher Unterschiede, die wir
im Zusammenhang mit ästhetischem Erleben erfahren: "Schönheit entsteht
überall dort, wo das Chaos in die Ordnung, wo Ordnung in Chaos mündet.
Schönheit ist gleich der offenen, irrationalen Ordnung des Überganges, und so
ist sie ihrem eigenen Prinzip nach vergänglich, fragil, gefährdet und je nur
einmalig – wie das Leben selbst. Schönheit kann nur als lebendige Schönheit existieren" (ebd.,). Das erinnert
traditionell an Goethe, an die Schönheit, die sich nur realisieren kann als
Gestalt, die lebt, sich entwickelt, sich stets verändern kann und erneut sich
(re)konstituiert ("prägende Form, die lebend sich entwickelt") – oder
an Schiller, der die Schönheit im Spiel ansiedeln will oder aus dem Spiel
hervorgehen sieht.
Cramer meint, dass "die 'fraktale
Geometrie' und die
'Chaosmathematik'", "welche die Schöne Form hervorbringt ..., die
nicht-lineare Realität" auch der Natur "besser zu beschreiben"
(1994, 261) gestattet, als das der Newtonische Ansatz vermag, der im
Wesentlichen auf lineare Gleichungen und Überlagerungen von Zustandsgrößen in
additiver, nämlich in linearer Hinsicht, hinaus läuft. "Der spezifische
Reiz", meint er, "der von den Naturformen ausgeht, dürfte darin zu
suchen sein, dass sie ... im Regelfall Prozessformen" sind, Ergebnisse von Wachstums- und
Entwicklungsprozessen. "Sie sind gleichsam stehen gebliebene – in Wahrheit
jedoch meist fortschreitende – Prozesse, die mit dem Prozess korrelieren, in dem der Beobachter selbst begriffen ist.
Das Leben der Natur korreliert mit dem Leben des Betrachters. Wie dieses ist
die Natur ein Wachstumsprozess" (ebd., 264), also die lebend sich
entwickelnde Form oder Gestalt, die Goethe gesehen hat. Im übrigen macht Cramer
(ebd., 265) auch eine Reihe von Anspielungen auf die Polarität in der
Verfassung der Natur und der Welt – freilich, ohne hier Goethe zu zitieren, der
ja auch gemeint hat, dass die Grundstruktur des lebendigen Gestaltens eine Art
von polarem Hin- und Herspielen zwischen Gegensätzen sei, woraus sich erst
Strukturwachstum und Entwicklung ergäben – insbesondere natürlich auch
differenzierte und vielfältige Entwicklung, zumal sichtbar im pflanzlichen
Wachstum, aber auch in der antagonistischen Attraktion, Dissoziation,
Fortpflanzung der Organismen. Entsprechendes könne man dann übertragen auf die
Gestaltung und Beurteilung von schönen Formen, die sich ebenfalls gestalten,
sich gleichsam selbstgestaltend entwickeln. Unsere Wahrnehmung ist vorwiegend
auf das Erfassen "prozessualer Strukturen" und "auf das Erkennen
der Schönen Form (als einer tendenziell dynamischen
Form) 'programmiert'" (ebd., 268). Cramer sagt, die gewachsene Entwicklung
und deren Struktur bilde somit die Voraussetzung für eine schöne Form. Man kann
an einer Form, die als schön erlebt wird, den Prozess der Entstehung immer mit
finden, nicht verleugnen, nie ganz unterdrücken. Die Lebendigkeit einer schönen
Form besteht gerade darin, dass man diese Art von Entstehungsprozess vermutet
und nach- oder miterlebt und dass dann – und da kommen wir schon auf die rein ästhetische
Konnotation – die Möglichkeit besteht, immer tiefer in die Schichten dieser
entsprechenden Form, des entsprechenden Wachstumsprozesses und des zu Grunde
gelegten dynamischen Entwicklungssystems einzutauchen oder gar einzudringen.
Auf diese Weise entwickelt sich eine lebendige Aufnahme oder Erfahrung der
Gestalt, weil immer neue Gesichtspunkte durch Tieferdringen, durch
Verzweigungen usw. auftreten: Das ist eben das Kennzeichen der Schönheit an der
Grenze zwischen Ordnung und Chaotischem, d. h. bei nicht im Einzelnen
voraussagbaren Phänomenen.
Natürlich findet man darüber hinaus auch in der Natur viele fraktale
Gebilde, die Selbstähnlichkeit12 der Teilstrukturen aufweisen – wir
kennen z. B. die "Blumenkohlvariante", genannt "Romanesco",
eine Kreuzung zwischen Brokkoli und normalem Blumenkohl. Dasselbe gilt
natürlich für viele andere Strukturen, Wolken oder Farben, Blätter usw. Diese
Naturstrukturen haben ja zweifellos einen beträchtlichen ästhetischen Reiz.
Zunächst aber zu den Wachstumsprozessen. Wachstumsprozesse stellen im
Grunde eine Weiterentwicklung des jeweiligen Entwicklungsstandes dar, der
bereits erreicht wurde, ursprünglich ausgehend von einem Anfangsstadium, zu dem
dann stets zusätzliche Elemente hinzu kommen, die aber im Allgemeinen die
vorherigen Elemente nicht ganz verdrängen13. Es gibt – so sagt ein
Biomathematiker der Universität von Calgary – Prusinkiewicz (zit. in Briggs
1993, 87; GEO 1990, 116) – "eine tiefe Beziehung zwischen
Selbstähnlichkeit und Wachstumsregeln". Man kann nun versuchen, deren
Grundformen zu analysieren. Dabei findet man mit Sicherheit selbstähnliche
Formen. Es findet so etwas wie eine Überschichtung von nicht bloß linearer
Additivität statt, im Sinne der erwähnten Entwicklungskonkurrenz, mit der dann
jeweils eine Art von Stabilisierung mittels Rückkoppelung oder Rückspeisung der
Information über das Erreichte verbunden ist. Prusinkiewicz konstatiert mit den
Physikern, dass auch "Selbstähnlichkeit" eine Art von
"Symmetrie" sei (in Bezug auf Skaleninvarianz), und dass man die
Symmetrieformen als Leitmotiv der modernen Wissenschaft immer wieder finde –
etwa bei den Wachstumsprozessen. Insbesondere bilden die entscheidenden Brüche,
die "Symmetriebrüche", die Übergänge sozusagen von einer Ordnung zur
anderen, von einer fraktalen Schicht zur anderen zum Beispiel, ein ganz
besonders wichtiges Prinzip der Natur. Eben hierin könne, meint er, die Natur
in ihrer Entwicklung und in ihren kontinuierlichen Wachstumsprozessen
nachgeahmt werden, könnten die lebenden Formen sozusagen im sequenziellen
Modell nacherzeugt werden – insbesondere unter Einschluss der entsprechenden
Rückkoppelungen, um Veränderungen zu kontrollieren oder eben den
Entwicklungsprozess und auch die jeweilige Grobform relativ zu stabilisieren.
Insofern kann man sagen, dass Wachstumsprozesse in diesem Sinne eine Art von
kontinuierlicher Entwicklung auf verschiedenen Schichten darstellen –
insbesondere im Sinne einer Weiterentwicklung von fraktalen Teilformen. Wenn
man versucht, das quantitativ nachzuvollziehen, so gelangt man nicht nur zu
negativ (beschränkend) rückgekoppelten Prozessen, sondern u. U. zu einem
Exponentialgesetz in positivem Sinne ("positive Rückkopplung"), bei
Bevölkerungszunahmen beispielsweise. Doch auch bei der Entwicklung der Blütenkörbe
einer Sonnenblume gilt eine ähnliche rückgekoppelte Abhängigkeit vom bereits
erreichten Entwicklungsstand, die sich z. B. in der spiraligen Anordnung der
Kerne zeigt. Diese Zunahme hat einen ganz bestimmten Charakter, der
normalerweise – und jetzt kommen wir der Ästhetik nahe – dem Goldenen Schnitt
ähnelt 14.
Cramer meint nun, das Alles sei auch in der Kunst so. Die
"wirkliche Kunst" sei – wie "Schönheit" – "eine Flucht
nach vorne. Sie entsteht, wenn ein dynamisches System gerade noch vor dem Chaos
ausweichen kann; Schönheit ist eine Gratwanderung zwischen Chaos und Ordnung,
zwischen Zerfall und Erstarrung" (ebd., 276). Und sie sei eben auch in
diesem Sinne zu verstehen.
Man kann das Gesagte übrigens auch auf die Entwicklung von Ideen
übertragen. Die Grundstruktur gilt ja insbesondere in der neueren
Gehirnforschung. Man denke an Edelmans Theorie der neuronalen Gruppenselektion
im Sinne eines, wie er das nennt, neuralen oder neuronalen Darwinismus oder an
Dennetts Auffassung, der zu Folge viele Entwürfe von vielen verschiedenen
Zentren im Gehirn um den Eintritt in das Bewusstseins geradezu konkurrieren, so
dass auf diese Weise eine neue "Idee" oder Vorstellung erst als
Ergebnis eines selektiven Konkurrenzprozesses auf die Bühne des Bewusstseins
gelangt. Auch hier findet man dieselbe Grundstruktur. (Zwar hat man den
Fibonacci-Charakter der Hirnprodukte in diesem Sinne noch nicht nachgewiesen,
aber man könnte sich das leicht vorstellen.)
Vielleicht kann man sogar noch weiter gehen und sagen, wir leben in
einer dynamisch immer und überall von Wachstumsprozessen geprägten Welt, die
von Prozessen und formalen Strukturen beherrscht ist, welche sich daraus
ergeben, dass aus etwas Vorhandenem durch Weiterbauen und interne Konkurrenz
dann das nächste Produkt, der nächste Zustand, die nächste Wachstumsphase
entsteht und so eine teils exponentielle, teils spiralige, teils dem Goldenen
Schnitt gehorchende Wachstumsentwicklung entsteht. Man könnte fast davon
sprechen, dass wir in einer Fibonacci-Welt
leben. (Das ist allerdings ein Ausdruck, den Cramer nicht benutzt.) Aber es
scheint mir naheliegend, diese Bezeichnung zu wählen. Das Prozessuale einer
Wachstumsentwicklung mit interner Konkurrenzstabilisierung – das ist die
entscheidende Grundidee. (Allerdings sind die jeweiligen Schichtenübergänge
bzw. Symmetriebrüche – auch bei der Selbstähnlichkeit – zu beachten: Letzteres
besonders in der Kunst, s. u.) Cramer geht dann zur Kunst über und möchte die
Kunst auch durch solche Entwicklungen und Nacherlebnisse dieser Wachstumsprozesse
an der Grenze zwischen Chaos und Ordnung ansiedeln.
"Ein Kunstwerk ist neu", sagt er (ebd., 280): "Neues
entsteht beim Durchgang durch chaotische Zonen. Kunstschöpfung ist ein Akt in
größtmöglicher Nähe zum 'Gerade-noch-nicht-Chaos'." "Das in einer
künstlerischen Gratwanderung" an der Chaosgrenze" erzeugte Werk
enthält im wahrsten Sinne den Augenblick des Künstlers" – einen Höhepunkt,
der immer wieder beschworen worden ist – z. B. auch von Lessing – , "und
eben das macht es zum Kunstwerk, dass dieser Augenblick so festgehalten wurde,
dass er seinen subtil gefährdeten Schöpfungsprozess nie mehr verleugnen
kann" (ebd.,). Der Prozess zeigt einerseits die Orientierung am regelmäßig
Symmetrischen, aber andererseits auch "die kleine Abweichung" – und
gewinnt beim Betrachten des Werks gleichsam einen Überblick über dessen
Entstehung und eine Erkenntnis der abweichenden, überraschend neuen,
originären, originalen Variation. Das ist für Cramer das Charakteristikum der
Kunst. Er bringt (ebd., 277) das aus der Psychologie bekannte Beispiel, dass
man ein Gesicht als langweilig empfindet, wenn man zwei symmetrische Hälften
aneinander heftet, und führt das am berühmten Selbstbildnis von Albrecht Dürer
vor. Mit anderen Worten: erst die (kleine) Abweichung – etwa von der
symmetrisch-regelmäßigen (oder auch der fraktalen Selbstähnlichkeit!) –
verlebendigt das Kunstwerk15.
Wenn wir nun
die Ideen über Selbstähnlichkeit zu einer Ästhetik im Sinne des
chaostheoretischen und fraktaltheoretischen Ansatzes entwickeln wollen, so
müssten wir zunächst fragen, worin eine solche Ästhetik bestehen kann. Wie ist
eine solche Ästhetik zu erklären? Hängt sie davon ab, dass wir selbst in
unserem Nacherleben solchen Strukturen biologisch gleichsam
"vorprogrammiert" folgen, in dem Sinne, dass unsere neuronalen Assemblies oder neuronalen
stabilisierten und plastischen Vernetzungen im Gehirn solchen Verzweigungen
nachfolgen, ähnliche Einschwingungsprozesse wie solche dynamischen Systeme
aufweisen, die freilich nicht isoliert funktionieren. Ganzheitliche
Zusammenhänge und Rückkopplung scheinen dabei eine Rolle zu spielen. Ich hatte
ja bereits darauf hingewiesen, dass offensichtlich in den Gehirnmustern
bestimmte sich wiederholende Muster von den Systemen eingespielt und angenähert
werden. Man könnte direkt von Attraktoren und u. U. von fraktal strukturierten,
d. h. "seltsamen", Attraktoren im Gehirn sprechen. Man hätte dann
bereits ansatzweise so etwas wie eine fraktale Ästhetik, die auf der fraktalen
Grundstruktur, auf dem Hintergrundchaos der Gehirnprozesse ruht und
verständlich macht, warum wir solche quasi natürlichen, fraktalen, sehr
verzweigten, nicht sehr übersichtlichen, dynamisch komplexen Strukturen
genießen, als "schön" empfinden.
"In der
Kunst steckt immer mehr dahinter, als man sinnlich wahrnimmt. Wegen dieser
Fähigkeit, Welten innerhalb von Welten anzudeuten, war die Kunst seit jeher
fraktal. Die Chaosforschung trägt zu einem neuen Verständnis einer Ästhetik
bei, die den sich wandelnden Kunstauffassungen verschiedener Zeiten, Kulturen
und Schulen schon immer zu Grunde lag" (1993, 28).
Diese durch die fraktalen Formen neu entdeckten, aber faktisch
altvertrauten Eigenschaften des Kunstwerks, "diese neue (und zugleich
uralte) Ästhetik, die das Chaos ans Licht bringt", versucht Briggs in
folgender Weise zu beschreiben (ebd., 30):
"Sie ist holistisch – eine Harmonie, die davon ausgeht, dass Alles
von Allem beeinflusst wird. Bei mathematischen wie bei natürlichen Fraktalen
wird der Holismus in der Selbstähnlichkeit sichtbar, dem Beweis eines
holistischen Rückkopplungsprozesses. In der Kunst entsteht Selbstähnlichkeit,
die in unendlich vielfältigen Formen vorkommen kann, nicht dadurch, dass man
eine Form sklavisch in unterschiedlichen Maßstäben permutiert. Sie hat eher
etwas mit der Selbstähnlichkeit zu tun, die wir entdecken, wenn wir die
menschliche Hand mit dem Flügel eines Kolibris, mit der Finne eines Wals oder
einem Ast an einem Baum vergleichen. Die Aufgabe des Künstlers besteht darin,
diese auffällige Beziehung zwischen Formen und Qualitäten, die selbstähnlich
und zugleich selbstverschieden sind, aufzuspüren und auszudrücken und so ein
Kunstwerk zu schaffen, das uns eine Ahnung von der holistischen Natur unseres
Universums und unseres Daseins in ihm vermittelt."
"Die Resultate" sind oft, meint Briggs (1993, 30), "ein
fraktales Dokument seiner Wechselwirkungen mit seinen Sujets, die in der Regel
selber fraktale Objekte sind wie Farne, Vulkane oder turbulente
Strömungen". Die Schönheit der komplexen, verzweigten Naturstrukturen wird
auf diese Weise vom Kunstfotografen eingefangen oder jedenfalls ausschnittweise
modellhaft verdeutlicht. Diese neue und alte Gesamtästhetik der
Naturdarstellung ist in der Tat "holistisch". Sie zeigt eine Art von
Harmonie, die in der Selbstähnlichkeit etwa vielfältiger Verzweigungen und
Verschlungenheiten deutlich wird, die aber auch Dissonanzen und interne
Konkurrenzen enthält, wie sie in der Selektivität des biotischen
Wachstumsprozesses auftreten. Schließlich kommt es auch in der Natur vor, dass
eine Form nicht "sklavisch" abgebildet, abgespiegelt, sondern
abgewandelt wird; sie hat eher etwas mit der Selbstähnlichkeit zu tun, die wir
entdecken, die jedoch immer wieder von der exakten skalenähnlichen
Reduplikation abweicht - und also
nicht genau bzw. ganz voraussagbar ist. Es gibt also bestimmte natürliche
Entwicklungen, Rückkopplungen, Abweichungen, die in der Tat im Ganzen wie auch
im Einzelnen die selbe Grundentwicklungslogik zeigen, ohne dass jedoch ein
sklavisches Abbilden oder Wiederherstellen im Sinne einer isomorphen Iteration
oder Reproduktion stattfindet. Die intermittierenden Faktoren, Zufallsumstände,
Umgebungsvariationen, Einflusswirkungen sind zu komplex, dynamisch und nicht
linear (nicht einander additiv überlagernd).
Clifford Pickover hat angesichts der heutigen Möglichkeit, fraktale
Strukturen auf jedem Heimcomputer zu erzeugen, gefragt, "ob es die
Künstler nicht stört, dass jeder Gymnasiast heutzutage Bilder erzeugen kann,
die von den meisten Menschen als schön empfunden werden, während ihnen die
'wahre Kunst' gleichgültig ist" (zit. n. ebd., 170). Die Frage stellt sich
natürlich: Hat echte, große, originäre und originale Kunst im Zeitalter der
nahezu beliebigen Reproduzierbarkeit von fraktalen Gebilden und
Farb-Form-Komplexen noch eine Zukunft?
Die
entsprechenden, interessanteren Teilfragen lauten: Was macht den Unterschied
zwischen den fraktalen computererzeugten Gebilden und eben Gebilden,
Erzeugnissen echter, im höchsten Sinne kreativer Kunst aus? Was unterscheidet
eine Grafik oder eine Serie von "Bildern" am Rande der
Mandelbrotmenge von den bekannten, spiralig-seepferdartigen Strukturen eines
Picasso oder beispielsweise von einem Bild van Goghs oder Breughels? Briggs
sagt, dass das geniale Gedicht, das große Gemälde "immer neu" sei,
"immer wieder feine Überraschungen" berge und neue Tiefenperspektiven
aufschließe. (Tun aber das Letztere nicht auch die Skalierungsaufschlüsse am
Rande der Mandelbrotmenge?) Briggs verweist auf die Gehirnuntersuchungen von
Freeman und Rapp, die zu zeigen scheinen, dass im menschlichen Gehirn ganz
ähnliche Prozesse ablaufen. Nach Briggs gilt (ebd., 171 ff.) daher, dass die
Darstellungsform eines zeitlosen Kunstwerks einerseits eingängig wirkt, einer
Aufnahmefähigkeit des Gehirns entspricht, dass aber andererseits seine
"Größe" gerade darin besteht, dass es dieser "Gewöhnungstendenz
des Gehirns" immer wieder "widersteht" - indem es nämlich von
dieser normalen Standardform, der Selbstähnlichkeit und der erwarteten
Schichtenstruktur, mehr überraschend als systematisch abweicht. Stets scheint
"ein großes Kunstwerk ... bei jeder (neuen) Begegnung im menschlichen
Gehirn einen neuen, sehr seltsamen Attraktor hervorzurufen" (ebd., 174),
so dass man ein solches immer wieder auf andere Weise als neu, als ein in der
Rezeption variiertes und variierendes Gebilde erleben kann. Darin besteht das
Besondere, die "Größe" eines großen Kunstwerks, nämlich in dieser
"Mehrdeutigkeit", die einerseits zwar an "die künstlerische
Selbstähnlichkeit" angegliedert ist, Ausdrucksform bzw. -instanziierung
von dieser ist, oder an die auch ständig zu reproduzierende Muster- oder
Strukturwiederholung, von der es, das Kunstwerk, aber doch andererseits immer
wieder abweicht. So erregt und verstärkt es immer wieder in typischer Weise
eine Art neuerlicher ("reflektaphorischer"16) Spannung,
die auf den tieferen Ebenen bzw. bei der Weiterentwicklung oder Neubegegnung
sich stets von Neuem auftut. Große Kunstwerke benutzen zwar selbstähnliche
Formen und Farben, aber sie variieren diese abweichend von der jeweiligen
rhythmischen Regelmäßigkeit. Sie "widerstehen" strikter Wiederholung,
sind nicht strenge Abspiegelungen der selben Teilstruktur, obwohl sie sozusagen
"selbstbezüglich" immer wieder auf diese Muster zurück greifen, diese
"kreativ" variierend. Sie erzeugen eine immer neuartige Spannung, die
anregende Mehrdeutigkeiten erzeugt, hervorruft, antönt. Eine solche neue
Nuancierung ist etwa diejenige, wie sie in der abweichenden und jeweils neue
Spannung erzeugenden Verwendung von Metaphern zu finden ist, die Briggs und
Peat "Reflektaphern" (1993, 302) genannt haben. Es handelt sich um
Metaphern oder metapherähnliche Strukturen, die eine besondere Spannung im
Zusammenspiel von Ähnlichkeit und Unterschiedlichkeit, von Harmonie und
Dissonanz erzeugen; und diese "reflektatorische" oder
"reflektaphorische" Spannung ist dynamisch, erzeugt immer wieder eine
Art von Lebendigkeit, auch beim Erfahren, Erleben, beim Wahrnehmen. Man erlebt
Verblüffung, unerwartete Sichtweisen usw. Briggs meint (ebd., 174):
"Künstler
müssen die richtige Distanz zwischen den Ausdrucksformen ihrer Reflektaphern
finden, wenn sie ein Kunstwerk hervorbringen wollen – die richtige Balance
zwischen Harmonie und Dissonanz, um die Spannung und die aufschlussreichen
Mehrdeutigkeiten zu schaffen, die vom Kunstwerk ausgehen können. Diese richtige
Balance überrumpelt die Denkprozesse und verhindert den Gewöhnungsprozess. Denn
sie zwingt unseren Verstand dazu, die Worte oder Formen oder Tonfolgen so
wahrzunehmen, als sei es das erste Mal, und zwar jedes Mal aufs Neue,
gleichgültig, wie oft wir sie zuvor schon wahrgenommen hatten."
Man könnte natürlich hier davon sprechen, dass es nicht nur um eine
Balance auf gleicher Ebene geht, sondern auch um eine kontrastreiche Beziehung
zwischen unterschiedlichen Schichten und Meta-Ebenen von Spannungsformen
derart, dass Harmonie und Dissonanz auf unterschiedlichen Ebenen und natürlich
auch die entsprechende Ebenen übergreifenden Gesichtspunkte eine Rolle spielen.
Man könnte daher neben der Balance auf der selben Ebene aufsteigend und
erweiternd von Metabalancierungsprozessen sprechen, wie wir eingangs von
Metainterpretationen oder interpretativen Schichtenüberschreitungen gesprochen
haben, die nur jetzt auf das reflektaphorische Spannungsspiel zwischen unterschiedlichen
Funktionen des großen Kunstwerkes anzuwenden sind.
Dazu noch einmal Briggs (ebd., 174):
"Die reflektaphorische Harmonie finden die Künstler, indem sie die
Distanz zwischen den selbstähnlichen Bedingungen zunächst in ihrem eigenen
Verstand erproben. Ein Dichter, der ein Gedicht überarbeitet, liest es
möglicherweise mehrere hundert Male durch. Wirkt die Metapher noch immer leicht
überraschend, wenn man sie so oft gelesen hat? Trifft dies zu, so handelt es
sich um eine Reflektapher: eine Nebeneinanderstellung von Ausdrucksformen, die sowohl selbstähnlich als auch
verschiedenartig sind und deshalb eine Öffnung des Verstandes
bewirken." (Hervorhebung hinzugefügt, H. L.)
"Die
einzelnen Teile gleichen sich zu sehr oder unterscheiden sich in einigen Fällen
zu sehr voneinander, um jenes von Mehrdeutigkeiten erfüllte reflektaphorische
Gewebe zu erzeugen, das ein großes Kunstwerk kennzeichnet. Kunst ist viel mehr
als ein bloßes Austauschen ähnlicher Formen. Sie ist kreativ auf eine der
Kreativität der Natur entsprechenden Weise: Jede Form, jede Geste in einem
Kunstwerk besitzt Autonomie und wird doch zugleich in ihrer Selbstähnlichkeit
in eine Interaktion mit anderen Formen und Gesten des Werkes einbezogen. So
entsteht ein Umfeld, das uns ständig zu der Erkenntnis zwingt, dass das Werk
lebendig und dynamisch ist..."
Die Abweichung von der fraktalen Schichtenselbstähnlichkeit, wie sie
sich in den üblichen "schönen" Fraktalstrukturen der Computergrafik
bei Iterationen darstellt, beispielsweise bei den Bildern aus den Rändern der
Mandelbrotmenge, zeigt also im Grunde so etwas wie eine ewige Wiederholung,
welche die hervorgehobene reflektaphorische Spannung auf Dauer eben doch nicht
tragen kann. Deswegen muss der Künstler eine Möglichkeit finden, Harmonie und Dissonanz
aufrecht zu erhalten, die seltsamen Attraktoren in seinen Gebilden und auch in
seinem eigenen Gehirn und in den Gehirnen der Zuhörer so zum Klingen und zum
Einschwingen zu bringen, dass sie "der Gewöhnung widerstehen" (ebd.,
176). "Es wäre ein Widerspruch in sich", genauer: eine contradictio in adiecto, "zu
glauben", meint Briggs (ebd.), "dass ein mechanischer, wenn auch
nicht nicht voraussagbarer Algorithmus diese außerordentlich komplizierte
Aufgabe bewältigen könnte". Wenn man – wie beispielsweise zwei Schweizer
Wissenschaftler das versucht haben –
"mathematische Extrakte" der Fugen von Johann Sebastian Bach
in fraktaler Abwandlung wiederholte, dann würde letztlich "eine zwar
interessante, aber doch leblose Bach-Imitation entstehen" – und keineswegs
"Bach-ähnliche Musik von vergleichbarer Qualität", wie die
Kombinatorik-Komponisten behaupteten. Kurz und gut: Kreativität in ihrem
eigentlichen Sinne ist nicht nur ein mechanischer Prozess, nicht bloß Anwendung
eines Algorithmus, wie etwa Roger Schank (1988) meinte.
Künstler, so Briggs, "sind vor allem deshalb Künstler, weil sie
die Fähigkeit besitzen, Reflektaphern hervorzubringen, die ihre Sichtweise
einfangen" – die eben diese Art von Spannung erzeugen und auf Dauer
aufrecht erhalten können: "Jedes große Kunstwerk ist eine Art von
Mikrokosmos", der sozusagen das Universum spiegelt, das größere Ganze aber
nicht in einer exakten Abbildung isomorph wiedergibt, sondern eben in einer
gewissen Grenzübertretung, und zwar nicht ganz systematisch-formal die
Beziehung zwischen Ordnung und chaotischen Phänomenen reflektieren muss, in
bestimmtem Sinne also die geheimnisvolle Struktur, "das mysteriöse Chaos
und die Ordnung des Lebens, der Naturprozesse und Lebensphänomene" nichtidentisch wiedergibt, variierend reflektiert. Vielleicht
könnte man besser sagen: "reflektaphiert" statt
"reflektiert", weil es ja nicht nur um bloße Reflektion im
traditionellen Sinne geht, jedenfalls nicht im Sinne der Abspiegelung,
Widerspiegelung. Eine solche Beinahe-Widerspiegelung ist keine
Wiederspiegelung! "Die Selbstähnlichkeit der Reflektaphern ist viel
reicher als die Selbstähnlichkeit mathematischer Fraktale; sie ermöglicht es
jedem Künstler jeder Generation und jeder Kultur, einen einzigartigen Ansatz zu
entwickeln" (Briggs 1993, 177).
IV. Kreataphern
In seinem Buch über eine kognitive Theorie der Metapher (A Cognitive Theory of Metaphor, 1985)
hat Earl MacCormac manche umfassenden Überdehnungen der Sprachmetaphorik
kritisiert, aber zugleich eine Ausdehnung metaphorischer Prozesse und
Operationen auf das vorsprachliche Vorstellen und Denken durchgeführt, die von
besonderer Bedeutung für das Verständnis kreativer Aktivitäten und Prozesse
ist. Er behauptet, dass die Bildung und Verwendung von Metaphern als Prozess aufgefasst werden muss, der
keineswegs nur auf der sprachlichen Ebene abläuft, sondern auf drei
wechselseitig aufeinander bezogenen Ebenen: MacCormac unterscheidet Metaphern
1) als "Sprachprozess", 2) als "semantischen und syntaktischen
Prozess" (im Sinne einer linguistischen oder sprachwissenschaftlichen
Erklärung) und besonders 3) als einen "kognitiven Prozess, der in einen
größeren Vorgang der Wissensentwicklung eingebettet ist" (1985, 42).
Metaphernbildung wird also "nicht nur als ein semantischer Prozess
erklärt, sondern als ein zu Grunde liegender kognitiver Prozess, ohne den neues
Wissen nicht möglich wäre" (ebd.).
Er bringt Beispiele wie die Metapher des berühmten Gehirnphysiologen
Charles Sherrington: "The brain is an enchanted loom where millions of
flashing shuttles weave a dissolving pattern" ("Das Gehirn ist ein
verzauberter Webstuhl, auf dem Millionen hin und her huschender Webschiffchen
ein sich auflösendes Muster weben").
Die Funktion der Metaphern besteht nun darin, dass sie eine Spannung
zwischen den beiden Beziehungsgliedern, den "Referenten" der
Metapher, erzeugen, also diaphorische Qualität aufzeigen, die zu einer neuen
Vorstellung, zu einer überraschenden Gegenüberstellung, jedenfalls zu einer
Spannung in Bezug auf das gewohnte Schema bzw. die Erwartung führt und unter
Umständen emotionale Unruhe erzeugt (Läusebeispiel). Diese Spannung entstehe
eher aus "einer scheinbaren semantischen Anomalität ... als aus rein
emotionalem Unbehagen": "Die psychologische Spannung entspringt einer
semantischen Spannung" (MacCormac 1988, 85).
MacCormac erklärt das Wechselspiel zwischen der epiphorischen und der
diaphorischen Qualität des Beispiels von Sherrington wie folgt:
"Hier haben wir eine Identifizierung des Gehirns mit einem
verzauberten Webstuhl, doch bis wir den Webstuhl in Tätigkeit setzen, die
Schiffchen, die ein sich auflösendes Muster weben, verstehen wir die Metapher
nicht in ihrer ganzen Stärke. Die Identifizierung des 'Hirns' mit einem
'verzauberten Webstuhl' erschüttert unser semantisches Empfinden und schafft
eine semantische Spannung, aber das Bild der huschenden Schiffchen, die ein
sich auflösendes Muster weben,
erzeugt weitere Spannung und Einsicht sowohl durch die Klärung der Semantik von
'verzauberter Webstuhl' als auch durch die verbale Aktion des 'Musterwebens'.
Wie kann man auf einem Webstuhl ein Muster weben, das verschwindet? Man könnte
einwenden, dass die Phase, die das Weben umfasst, lediglich den
Bedeutungsrahmen einer Nomenmetapher klärt, die 'Hirn' durch die Kopula 'ist'
mit einem 'verzauberten Webstuhl' identifiziert ... Wie in der normalen Sprache
stehen Syntax und Semantik vieler Metaphern in enger Beziehung zueinander ...,
erfordern viele ... Metaphern ein Verständnis ihrer syntaktischen sowie auch
ihrer semantischen Bedeutung, damit sie verständlich werden. Über den Versuch,
die semantische mit der syntaktischen Bedeutung der Metaphern in Beziehung zu
setzen, lässt sich kaum mehr sagen als
über das ungelöste Problem, beides in zwei gegenwärtigen linguistischen
Theorien wie der generativen Transformationsgrammatik und der generativen
Semantik miteinander zu verbinden. Man darf jedoch nicht annehmen, dass eine
Erklärung der semantischen Veränderung in den Referenten einer Metapher
ausreichen wird, um die gesamte Bedeutung aller Metaphern zu erklären"
(1988, 91 f.).
Verbreitet sich eine Metapher in der Sprachgemeinschaft, werden die
Sprecher und Hörer immer vertrauter mit ihr, so verliert sie allmählich ihre
semantische als auch ihre psychologische Spannung, kann beispielsweise zu einer
neuen (Standard-) Bedeutungsvariante im Lexikon führen. So beginnen nach
MacCormac "viele Metaphern... ihr literarisches Leben weitgehend
diaphorisch (obwohl sie immer auch eine epiphorische Qualität besitzen), werden
dann weitgehend epiphorisch – indem sie eher eine Analogie ausdrücken als eine
mögliche Bedeutung suggerieren – und treten schließlich als tote Metaphern in
den Korpus der normalen Sprache ein. Metaphern sterben, wenn mindestens einer
ihrer Referenten einem Wörterbucheintrag eine neue lexikalische Bedeutung hinzu
fügt" (MacCormac 1988, 86; 1971, 239 ff.; 1985, 56 ff. u. a.).
MacCormacs Behauptung läuft darauf hinaus, dass Metaphern als Grundlage
für die begrifflichen semantischen Anomalien durch die überraschende, mehr oder
minder bewusste Gegenüberstellung der Beziehungsglieder (Referenten) erzeugt
werden und dass "besonders die Identifizierung der Unähnlichkeiten die
Möglichkeit der Umgestaltung (Transformation) dieser Unähnlichkeiten in
Ähnlichkeiten gestattet, an die man zuvor nicht gedacht hat, wobei die
Schaffung einer neuen Bedeutung etabliert wird" (ebd. 50). Kreativität
liegt in der Auswahl geeigneter Referenten, die genug Ähnlichkeit für das
Wiedererkennen, sowie ausreichende und die richtige Art von Unähnlichkeit
produzieren, um eine (neue, H.L.) hypothetische Möglichkeit zu erzeugen"
(ebd., 148). Das gilt sowohl für die Erzeugung neuer Metaphern und Perspektiven
in allen kreativen Bereichen der Assoziation und Vorstellung, wie auch für das
Bilden neuer wissenschaftlicher Grundideen. MacCormac bezieht sich auf Stephen
Peppers bereits früher (1942) entwickelte Theorie der "root
metaphors", der "Wurzelmetaphern", die neuen Philosophien,
Weltsichten und Theorien zu Grunde liegen sollen – wie z. B. die pythagoreische
Überzeugung, dass die Welt letztlich mathematisch sei. Ohne solche von
MacCormac "Grundmetaphern" ("basic
metaphors") genannten Vorstellungsverbindungen, die in der Tat Koestlers
Bisoziationsmodell entsprechen, seien z. B. grundlegende wissenschaftliche
Theorien, neue Sichtweisen in der Wissenschaft nicht möglich (ebd., 47 ff., 51
u. a.).17
Das Entscheidende ist, dass ohne Metaphern weder die kreative Bildung
neuer wissenschaftlicher noch sonstiger Hypothesen und Vergleiche möglich wäre,
dass semantische Veränderungen in der Sprache drastisch begrenzt wären, dass
man "ohne irgend einen Rückgriff auf die Metapher, das absichtliche
begriffliche Bilden von semantischen Anomalien", kaum "über das
Unbekannte in Abhängigkeit vom Bekannten" (ebd., 51) spekulieren könnte
und erkennend oder erfassend in den Bereich des Unbekannten ausgreifen könnte:
"Metaphern erfüllen die kognitive
Funktion der Kreation neuer Bedeutungen, durch die Gegenüberstellung ihrer
Referenten in der Sprache. Ohne sie würde die Menschheit nur sehr schwer ihr
Wissen ins Unbekannte ausdehnen können, und die Sprache bliebe größtenteils
statisch. Die Diaphora bietet die Möglichkeit, ein vertrautes Beziehungsglied
zu nehmen und es zu verändern, indem es einem Referenten oder
Beziehungsgliedern gegenüber gestellt wird, der oder die normalerweise nicht
mit dem vertrauten Referenten assoziiert werden. Die Kombination der
Referenten, welche nun die semantische Anomalie produziert, zwingt den Hörer
oder Leser einer Metapher dazu, die Ähnlichkeiten zwischen den Eigenschaften
der Referenten wie auch die Unähnlichkeiten festzustellen. Nicht nur das
Erkennen von zuvor nicht gesehenen Ähnlichkeiten erzeugt neue Einsichten oder
neue Bedeutungen, sondern besonders die Feststellung von Unähnlichkeiten
erlaubt die Möglichkeit der Transformation dieser Unähnlichkeiten in zuvor
nicht bedachte Ähnlichkeiten, wodurch die Schaffung einer neuen Bedeutung
etabliert wird" (ebd., 50).
Hoch kreative Menschen scheinen charakteristischerweise häufig
Metaphern der Sprache und vor allem der Vorstellungen zu erzeugen, die auf
kreative Tiefenprozesse zurückweisen.
Der "Prozess der Metaphernbildung" ist also ein Vorgang neuer
"kognitiver Assoziationen":
"Mentale Konzepte, die normalerweise nicht miteinander verknüpft
werden, werden zusammen gestellt und auf ihre Bedeutung hin geprüft. Die
kreativsten Formulierer von Metaphern dehnen die Vorstellungskraft am
stärksten, indem sie die ungewöhnlichsten Kombinationen verwenden".
"Der Erfinder einer Metapher ist gewöhnlich darum bemüht, eine neue
Einsicht über die Welt oder seine Erfahrungen auszudrücken". Dem gemäß
gilt für MacCormac: "Die semantische und syntaktische Bedeutung einer
Metapher kann nicht nur in einer grammatischen Tiefenstruktur entdeckt werden,
sondern gleichermaßen in einem tiefen konzeptuellen Prozess, der zwischen den
kreativen und originellen Erfindungen des Geistes eines einzelnen Dichters oder
Wissenschaftlers und den etablierten, festgelegten kuturellen Formen wie den
Mythen vermittelt.“ (1988, 92) Darin sowie in der Erkenntnis und der rechten
Proportionierung von Ähnlichkeit und Unähnlichkeit besteht die Kreativität
einer neuen Erkenntnis- oder Auffassungsweise durch eine Metapher. "Zwar
scheint keine einzelne Regel den kreativen Prozess der Metaphernbildung zu
beherrschen", irgendwie scheint es "ein geheimnisvolles Mysterium zu
bleiben". "Wie diese lebendigen Verknüpfungen von Konzepten in Worten
ausgedrückt werden, bleibt ein Geheimnis." (1988, 92f.)
Dies gilt natürlich nicht nur für den Drang des Sprachkreativen, des
Dichters zur Erfassung neuer Synthesen, sondern auch für alle anderen kreativen
Bereiche, für Vorstellungs- oder Konzeptverbindungen, für die Weiterentwicklung
von Stilarten, Perspektiven, Erlebnisweisen usw. in Weltauffassung,
Philosophie, technischen Erfindungen und wissenschaftlichen Entdeckungen,
mentalen Bildern, Vorstellungen, besonders aber natürlich in der bildenden
Kunst.
Alle kreativen Bereiche und Prozesse der oben erwähnten Bisoziationen
(Koestler) und Multiassoziationen, der Entwicklung neuer Sichtweisen auch auf
höheren Schichten, also der kreativen Aufstiege (nicht nur der Transpositionen
auf der gleichen Ebene) entsprechen diesem Muster. Dabei können nach Brenda
Beck (1978) (zit. n. MacCormac ebd., 93; 1985, 151 f.) solche Metaphern
besonders aus dem Zusammenspiel unterschiedlicher Sinnesarten (also aus
Synästhesie) entspringen, aber auch aus bildlichen Vorstellungen, wie Kosslyn,
der berühmte imaginistische Psychologe, meint (1980).18
Generell scheint die Idee, dass metaphorische Prozesse die Grundlage
kreativer Prozesse bilden, und dass die Konzeption des Metaphorischen nicht nur
auf die äußere Sprache bzw. die bloße syntaktisch-grammatische Gestalt
beschränkt werden kann, zu greifen: Selbst wenn man nicht schlechthin Metaphern
im engeren Sinne mit diesen kreativen Prozessen der multiassoziativen und
tiefenpsychischen Prozesse identifizieren will, sondern z. B. einen neuen
Ausdruck hierfür einführt – etwa Kreataphern – , ist die Auffassung kreativer
kognitiver wie auch Vergleiche schaffender Aktivitäten im Sinne der Verbindung
gewöhnlich unassoziierter Begriffe durch Gegenüberstellung und Feststellung
synthetisierender bzw. Ähnlichkeiten und Unähnlichkeiten feststellender
Vergleichszüge, Eigenschaften, Erfahrungsweisen usw. offensichtlich notwendig
zur dynamischen Entwicklung neuer Perspektiven in der kreativen Aktivität und
Erkenntnis jeglicher Art. Statt des "metaphorischen Bewusstseins" des
Jonathan Cohen könnte man spezifischer für kreative Menschen und Einstellungen
geradezu von einem "kreataphorischen
Bewusstsein" sprechen, einem
Bewusstsein und einer lebendig-dynamischen Tendenz, stets neue
spannungserzeugende Metaphern (Reflektaphern also, nach Briggs / Peat 1993) als
Vehikel des Kreativen zu verwenden und zu sehen: Die ins Neue weiterführenden
kreativen Metaphern sind kreative Reflektaphern und als solche eben Kreataphern, wie ich sagen möchte
(s.u.).
Es wäre natürlich eine interessante Aufgabe, die mentalen und
psychischen Funktionen der Kreataphern, der kreativen Metaphern und
Reflektaphern bei kreativer Tätigkeit – sei es des Künstlers oder Dichters, sei
es des Wissenschaftlers, sei es des kreativen philosophischen Denkers – zu
erkunden. Hierzu gibt es bislang nur wenige Pionierstudien.
Insgesamt dürfte deutlich geworden sein, dass die Entwicklung und
Verwendung kreativer Metaphern in der Tat ein erklärendes, zumindest plausibel
metaphorisch illustrierendes Licht auf die Entstehung und den Ablauf kreativer
Prozesse bzw. auf die Auffassungsweisen kreativer Personen, seien sie Denker
oder Künstler, werfen kann. Daher erscheint mir in der Tat MacCormacs
Ausdehnung der ursprünglich eigentlich nur sprachlich verstandenen
Metapherntheorie auf eine allgemeinere Kreativitätstheorie des metaphorischen
Vorstellens und Denkens richtig zu sein. Sie müsste auch auf das kreative
Handeln ausgedehnt werden. Man sollte und könnte sie aber terminologisch von
den enger linguistischen Konnotationen abtrennen, indem man etwa den Ausdruck
"Metapher im engeren Sinne" im sprachlichen Bereich belässt und in der allgemeineren Konzeption einer
Theorie der kreativen Prozesse - und zwar nicht nur der kognitiven, sondern
auch der handelnden, schaffenden: poietischen im weiteren Sinne - etwa von Kreataphern, d. h. dynamischen, weiter
führenden kreativen Reflektaphern der Vorstellungen bzw. der Einbildungskraft
im Sinne Kants, spricht.
Kreativspiele, im Sinne des creare,
des Kreierens, Etwas-Neues-Schaffens
(nicht nur des Erkennens), sind nicht
in Callois' Aufstellung der Spielarten (1958, dt. 1982) zu finden. Gerade das
eigentlich Kreative, auch übrigens die Kreativspiele der Einbildungskraft à la
Kant, ist hier nicht zu finden. Die Kreativspiele19 müssten also mit
einem anderen Merkmal charakterisiert werden: "creativitas" ist allerdings kein klassischer Ausdruck im
Lateinischen, sondern höchstens ein neuklassischer. "Creans", das Kreierende, könnte man anführen – und das ist
natürlich zu unterscheiden von dem, was geschaffen ist, dem creatum (Whitehead).
Das Spiel ist offensichtlich ein sehr umfassendes Phänomen im menschlichen
Leben. Häufig wird die Idee auch so verallgemeinert, dass das Spiel fast zum
umfassendsten Phänomen überhaupt wird. Das gilt z. T. selbst für
Naturwissenschaftler: so haben etwa Manfred Eigen und Ruthild Winkler in ihrem
Buch Das Spiel (1975, 17)
geschrieben: "Das Spiel ist ein Naturphänomen, das von Anbeginn den Lauf
der Welt gelenkt hat: die Gestaltung der Materie, ihre Organisation zu lebenden
Strukturen wie auch das soziale Verhalten der Menschen" (i. O. kursiv).
Eigen und Winkler meinen: "Zufall und Regel sind
die Elemente des Spiels"; und es sei "nicht der Mensch, der das Spiel
erfand", wohl aber war er es, der "das Spiel, nur das Spiel"
betreibe, um zum "vollständigen Menschen" zu werden. (Hier zitieren
sie Schiller.) Wenn man das Erste behauptet, dann ist natürlich der
Spielbegriff schon sehr weitgehend verallgemeinert
worden; es sind dann gar nicht zwei oder mehrere Spieler, die gegeneinander
spielen, sondern es handelt sich um ein prozessuales regelmäßiges, ja, unter
Umständen durchaus im ebenfalls erweiterten Sinne, kreatives Sich-Entwickeln
von Elementen in einem strukturierten Gesamtprozess oder in einem komplexen
Prozesszusammenhang. Und das geht natürlich weit über das Spielen im üblichen
Sinne hinaus. Selbst Huizinga, der die berühmte Monographie Homo ludens (dt. 1956) geschrieben hat
und die Kultur als Tochter, als Abkömmling des Spiels ansah, und das
Spielerische als das Grundlegende, bezog das Spiel natürlich nicht auf
Naturkreationen und auf die Prozesse der Selbstorganisation in der Natur. Eigen
und Winkler (1975, 88) aber meinen, dass alle Gestaltbildung in der Natur, in
der anorganischen wie auch in der lebenden, organischen Natur, im Grunde diesem
Spielprinzip folgt, wobei "Gestalt" "auf Ordnung in Raum und
Zeit" beruhe. Sie unterscheiden im Wesentlichen zwei Formen (ebd., 116, 89
ff., 110 ff.): nämlich erstens die konservative Form der Morphogenese oder das
konservative energie- und kräfteerhaltende sowie durch Gleichheit der Kräfte
und Nicht-Energieverbrauch nach außen charakterisierte Prinzip der
Gestaltbildung – und zweitens, mit Prigogine, das dissipative Prinzip, bei dem
immer Energie zugeführt werden muss, damit eine dynamische Ordnung entsteht.
Diese Prinzipien sind unterschiedlich; doch insbesondere für lebendige
Strukturen oder für Kreatives im engeren Sinne stehen die dissipativen Formen
der Gestaltbildung im Vordergrund. Hier gibt es eine Art von Abstammung, eine
Art von Übersummenhaftigkeit und Übertragbarkeit
("Transponierbarkeit") – das sind ja die Prinzipien der
Gestaltpsychologen in Bezug auf Gestaltkriterien –, die eine entscheidende
Rolle spielen und vermittelt werden durch einen Energiefluss bzw. Stoffwechsel,
der überhaupt erst diese dynamischen, relativ stabilisierten Ordnungszustände,
wie sie für das Lebendige charakteristisch sind, ermöglicht. Auch die
dissipativen Strukturen, insbesondere am Lebendigen, "resultieren" –
sagen Eigen und Winkler (ebd., 118) – "in Form räumlicher Muster – ähnlich
wie stehende Wellen – aus der Überlagerung von Materietransport und
synchronisierter, periodischer Umwandlung und sind als solche nicht in
additiver Weise aus den Unterstrukturen zusammensetzbar"; sie sind
"übersummenhaft", also nicht mehr linear. Gestaltbildung erfordert
die "Kooperativität" der Entwicklung verschiedener Komponenten und
ihrer "statistischen bzw. dynamischen Wechselwirkungen" und meistens,
insbesondere natürlich im dissipativem Modell, auch autokatalytische Faktoren,
die den Prozess in Gang halten, verstärken und in gewisser Weise überhaupt erst
ermöglichen. Es gibt eine Reihe von weiteren strukturellen Gemeinsamkeiten mit
der konservativen Gestaltbildung, etwa beim Anorganischen und eben beim
Dissipativen, aber auch die Unterschiede
werden hervorgehoben. Diese sind hier nur kurz zu nennen: In einem dissipativen
Modell "entwickelt sich ein stationäres Muster, ohne dass die
Materieteilchen reproduzierbar im Raum fixiert sind". "Die
dissipative Form ist im Gegensatz zum konservativen Modell nicht allein durch
die zwischen den materiellen Trägern wirksamen Wechselwirkungen bestimmt,
sondern wird entscheidend von Randbedingungen, Begrenzungen des Systems
beeinflusst", steht stets in Wechselwirkungen mit bzw. ist von anderen
Umgebungssystemen abhängig usw. Dann das Entscheidende: eine ständige Zufuhr
von Energie ist nötig, die die Energieverluste durch "die ständige
Dissipation von Energie" ausgleicht, welche zur Aufrechterhaltung des
Stoffwechsels des Systems, seines "Metabolismus", und auch der
relativ stabilisierten Formen der Gestalten notwendig sind. – Zwar "verfügen"
"konservative Strukturen ... über einen höheren Grad an 'absoluter' (das
heißt von Nebenbedingungen unabhängiger) Stabilität, Reversibilität und Superponierbarkeit",
also Überlagerbarkeit, aber "dissipative Muster können wegen ihrer
Abhängigkeit von den Nebenbedingungen nicht unbeschränkt kombiniert bzw.
einander überlagert werden" (ebd., 119). Mit anderen Worten: es ist also
ein Muster, das geordnete, lebendige Strukturen in ihrer Entwicklungs- und
Erhaltungsdynamik und in der relativen Stabilisierung ihrer Formen als eine Art
von Spiel zu erfassen sucht, insbesondere auch im zeitlichen Ablauf, z. B. in
der Generationen- und Artenbildung, deren Abwechslung und Veränderung usw. Es
ist eine Art von natürlichem "Spiel" mit einfachen Grundelementen,
die dann unter bestimmten Gesichtspunkten selektiert werden, im Darwinismus,
aber nach Eigen auch schon auf der elementaren molekularen und prämolekularen
Ebene. Symmetrie spielt dabei stets eine große Rolle; diese ist allerdings auch
erst ein nachträgliches Produkt der
Selektion und keineswegs von dieser vorausgesetzt. Das Gleiche gilt freilich
(ebd., 151) für "viele symmetrische
Strukturen in der Biologie", die "ihren Vorteil effizienter zur Bildung zur Geltung bringen konnten",
weil sie sozusagen als symmetrische "die Selektionskonkurrenz gewannen" oder Symmetrie ausbildeten. Die
Funktionalität ist also das Entscheidende und nicht die zu Grunde gelegte
Symmetrie. Diese These gilt sicherlich nicht gleichermaßen für die rein
physikalische Grundlage der Weltformierung. Bei den Elementarteilchen dürfte
sich die Sachlage anders darstellen.
Von Eigen und Winkler wird also eine Idee eingebracht,
die das "Spiel" in einem sehr erweiterten Sinne als das Grundprinzip
der Kreation von lebendigen Formen ansieht - fast in dem Goethischen Sinne:
"geprägte Form, die lebend sich entwickelt": spielerische Kreationen
als Produkte des Selektionsprinzips auf einer sehr verallgemeinerten Stufe.
Meines Erachtens muss man hier aber differenzierte Unterscheidungen
vornehmen. Das Spiel zwischen unmittelbaren, bewussten menschlichen oder auch
höheren tierischen Partnern ist etwas Anderes als dieses "Spiel" der
Elemente in einem dissipativen, dynamischen System. Entsprechend steht es mit
der Kreation als Selektion – und auch mit dem Begriff der Kreativität. Darauf
komme ich noch zu sprechen. Beim Darwinismus, bei der Darwinschen Selektion
handelt es sich ja um eine Reproduktion und bei den Arten, wie Darwin sagte, um
"descent with modification by
natural selection", also um Abstammung mit Abänderung durch natürliche
"Zuchtwahl" oder Auswahl, eben um Selektion im spezifisch
naturbiologischen Sinne. Dabei tritt die Variation oder Modifikation jeweils
zufällig ein – man kann wohl kaum wirklich sagen, dass sie vom Zufall
"gesteuert" wird; und deswegen könnte man hier auch eher von "Zufallsselektion", von "random modification" o. ä.
sprechen. Dem gegenüber steht aber dann eine intentional-produktive strategische Kreation, die beispielsweise dem üblichen
Begriff der "Kreativität" viel eher entspricht. Dabei findet nicht
eine "selection with random
modification" statt, sondern eine "election with strategic modification", also eine Auswahl unter
strategisch geplanten, intentionalen Variationen. Und diese Variantenerzeugung ist
natürlich viel eher charakteristisch für die künstlerische Kreativität. Deswegen sollte man meiner Ansicht nach
idealtypisch zwischen der Zufallskreativität
im darwinistischen Sinne und einer Designer-
oder Designkreativität unter diesen
strategiegeleiteten Gesichtspunkten unterscheiden. Ich denke, es ist recht
wichtig, die beiden Formen auseinander zu halten.
Auch philosophisches Re-flektieren ist stets auf neue Sichtweisen
angewiesen, ist in diesem Sinne kreativ. Philosophieren ist nicht nur
Widerspiegeln (im Sinne eines passiven Reflektierens), nicht nur Wiedergeben
oder Abbilden von Vorgegebenem, sondern Philosophieren ist interpretierend,
Perspektiven wandelnd aktiv, neue Sichtweisen und Grenz- wie
Schichtenüberschreitungen schaffend. Wirkliches Philosophieren ist kreativ,
kreatives schichten- und grenzenübersteigendes Interpretieren und begriffliches
Entwerfen. Philosophieren als
transzendierendes Interpretieren sollte kreativ sein.
Philosophieren ist also in der Tat kreatives transzendierendes
Interpretieren, Transinterpretieren und Metainterpretieren. Ähnlich wie in
anderen kreativen Bereichen und bei anderen kreativen Wagnissen ist auch der
Philosophierende auf kreative Entwürfe, auf kreative Aktivität und kreative
Akte angewiesen.
Wir sollten generell die Anregung von Weiss aufnehmen und nach einem
charakteristischen "einzigartigen" kreativen Impuls, der sich in
jeglicher kreativen Aktivität verkörpert (Weiss 1992, 634) suchen – weit über
die traditionell üblichen Bereiche des kreativen Schaffens (wie die Künste)
hinaus. Der kreative Grundimpuls kann natürlich nur als
Interpretationskonstrukt (Verf. 1993, 1995, 2000) erfasst und wohl nicht als
ontologische Wirkentität an sich beschrieben werden. Es gilt, eine kreative Philosophie
der Kreativität selbst zu entwickeln, die modernen methodologischen
Gesichtspunkten Rechnung trägt, wie z. B. jenem von der
konstruktiv-interpretatorischen Verfassung aller Erkenntnisse und
Handlungsstrukturierungen, also aller "Erfassungen" (vgl. Verf. 1993,
1993a, 1995, 2000a).
Als Anregungs- und Ausgangspunkt kann man die darwinistische
Evolutionsmetapher nehmen und diese mit Schichtenüberschreitungen und
symbolischen Metainterpretationen verbinden. Es gibt offensichtlich eine
Strukturierungstendenz im Universum, wo sich Selbstorganisationsprozesse zu
bestimmten Systemen mit emergenten Eigenschaften zusammen finden, welche die
Grundlage aller Struktur- und Formenbildungen sind, die auf Prozessen der
Interaktionen und Entwicklungen, sowie Zufallsbegegnungen und Einsprengseln
beruhen. So weit kann Whiteheads Grundmuster – in darwinistischer Perspektive
gesehen – durchaus aufrechterhalten werden, ohne dass hierfür bereits
Kreativität in Anspruch genommen werden muss. Kreativität würde erst dann – so
der terminologische Vorschlag – gegeben sein, wenn nicht nur eine gewisse
zielgerichtete Aktivität von einem Kreator aufgenommen und durchgeführt wird,
sondern wenn eben auch grundsätzlich Neues, eventuell nicht final Angestrebtes,
im Sinne der prospektiven Exzellenzfaktoren und vor allem des
Originalitätsprinzips Wirkendes (wie bei Weiss impliziert), involviert ist.
Insofern ist Kreativität in der Tat eine Sache der creative ventures (kreativer Wagnisse). Es ist aber hinzu zu fügen,
dass es nicht nur um das Ausleben eines Kreativitätsimpulses, eines
Schaffensdranges in Werken geht, sondern dass auch begriffliche Entwicklungen
wie Theorien, neue Perspektiven, Ansätze und – last but not least –
philosophische Entwürfe kreativ sein können. Kreativität ist eben auch möglich
und besonders wichtig im Überschreiten von Grenzen und Schichten der
Perspektive. Das Kreative der Philosophie besteht im transzendierenden
Metainterpretieren, wie oben vielfach betont wurde. Gerade das
Schichtenüberschreiten ist nur durch Symbolisierung und Metaphernbildung bzw.
-abwandlung möglich. Die ebenfalls behandelten Kreataphern als
spannungserhaltende, stets weiter anregende Metaphern sind Kreativitätszentren
der kreativen Prozesse und Akte. Kreativität ist dabei nicht nur durch Neuigkeit,
eventuell (aber nicht immer) Zielorientierung, (prospektives) Exzellieren und
Originalität gekennzeichnet, sondern auch durch eine ständige exploratorische
Aktivität des Dynamisch-Neugierigseins. (Und dies gilt besonders auch für
kreative Philosophen, die ständig weiter denken, stets neue und mehr Probleme
sehen und finden, als sie je lösen können, tiefere Fragen und Perspektiven
eröffnen und zu höheren Interpretationsschichten bzw. Verallgemeinerungen
aufsteigen.)
Der Mensch als das metainterpretierende, ständig symbolisch
transzendierende Wesen ist das kreative
Wesen par excellence. Menschliche Kreativität ist per se semper creans. Ausdrücke wie 'kreative
Wagnisse' und 'kreative Aufstiege' zeigen dies.
Unter dieser generellen Deutung darf man natürlich die spezifische Förderung hoher Kreativität nicht
vernachlässigen. Im Gegenteil: es gilt, gerade dem Kreativseinkönnen in unserer
zu sehr von Institutionen und Vorschriften gegängelten und formierten Zeit eine
Gasse zu bahnen, nein, Felder, Entwicklungsbereiche und Spielräume zu eröffnen
und zu erhalten: Homo semper
interpretans, ludens, creans.
Wenn Neuigkeiten allgemeine Mode werden, überall übernommen werden,
dann sind sie als kreative Spiele bzw. Prozessanregungen schon quasi
"tot" oder jedenfalls nicht mehr im eigentlichen, Neues und
Neuartigkeit kreierenden Sinne fruchtbar. Die Kreativität ist im Prozess, und sie wird notorisch dadurch getötet
oder zumindest vermindert, dass Verfestigungen der entsprechenden Gestaltungen
eintreten, die dann zu Fixierungen führen. Kreativität ist darauf angewiesen,
ständig über alle Versteinerungen und Verstarrungen, über alle Fixierungen und
Gestaltverfestigungen immer wieder hinaus zu drängen. Das "Wie" und
das "Weiter" scheint an ihr eigentlich auch das besonders
Interessante zu sein.
Dieses Weiterdrängen ist freilich etwas, was sowohl der
Zufalls-Naturkreativität im darwinistischen Sinne als auch der künstlerischen
Designerkreativität zukommt. Die "kreative" Entwicklung in der Natur
im weiteren Sinne ist vielfältig, differenziert sich scheinbar bis ins
Unendliche, ist jedenfalls "unglaublich". Entsprechendes gilt, so
vermuten wir, für die Unerschöpfbarkeit bei der Kunstkreativität – zumal bei
"großer Kunst". Es scheint ein oberstes Charakteristikum der
Kreativität zu sein, dass sie immer über alle Verfestigungen und Fixierungen
hinaus drängt. Das Kreative verlangt das ständige Kreieren, greift stets über
sich – über den Status quo – hinweg. Das ist das Prinzip der kreativen
Eigenaktivität: der ständige Drang zum weiteren Schöpferischsein, über alle
Fixierungen hinaus. Das gilt für die Diversifizierung selektiver Art in der
Natur, wenn man an die Evolution der Arten denkt, aber auch an die
Ausgestaltung von Ökosystemen, an die Vielfalt und die exklusive Tendenz des
Lebens, alle Öko-Nischen zu besetzen. Und das gilt ebenso für das Fortschreiten
der durchaus strategisch ausprobierenden und unter dem Gesichtspunkt von
Gewichtungen und Wertungen operierenden Kreativität in der Kunst oder in
anderen kreativen Bereichen wie z. B. der Wissenschaft.
Hierin ist auch eine gewisse Plausibilität dieser These von Cramer und
Kaempfer zu finden, dass die Prozessualität der schönen Kunstform und der
schönen Naturform "gleich" seien – obwohl die eine, wie wir sahen,
der Zufallskreativität, die andere der Designerkreativität zuzuordnen ist:
Kunstform wie Naturform würden, meinen die beiden Autoren (ebd., 387 ff.), in
dem entsprechenden jeweiligen Augenblick der Entscheidung, beim Übergang von
Ordnung ins Chaos oder umgekehrt, ins Auge springen. Der
"Bifurkationspunkt" im chaostheoretischen Sinne ist der Augenblick,
in dem "die Prozessualität der Schönen Kunstform und der Schönen Naturform
gleichzeitig kulminiert" (ebd., 398).
Rein formal gesehen, mag das durchaus sinnvoll und richtig sein: Es
ereignen sich Verzweigungen, Bifurkationen der Entwicklungsprozesse. Insofern
hat die Kreativität durchaus einen solchen übergreifenden, wenigstens (aber
insoweit auch lediglich) strukturell
verständlichen Charakter. Und daher kann man durchaus im Sinne einer solchen
Reflektapher, einer Metapher, die hin und her gelesen werden kann und die
ständig Spannung aufbaut, von einem "kreativen Universum", von
"kreativer Natur",20 von "kreativen Prozessen"
in der Natur sprechen, wie es Whitehead getan hat. Dabei muss man sich aber im
Klaren sein, dass man den Ausdruck "Kreativität" hier in einem
weiteren, unspezifischen Sinne benutzt – oder ihn eben bewusst als Metapher
versteht, um Anregungen zu neuen Einsichten zu gewinnen. Ich denke, dass das
Zweite das fruchtbarere Verständnis ist – fruchtbarer für das Verständnis
gerade der Kreativität.
Wenn wir noch weiter gehen und das hier in Bezug auf
Kreativitätsperspektiven Gesagte auf das beziehen, was wir eingangs über das
Schichtenaufsteigen bei kreativen Prozessen erarbeiteten, so können wir sagen,
dass besonders kreative Reflektaphern
darin bestehen, dass man Ähnlichkeiten und Unähnlichkeiten eben aus
verschiedenen Perspektiven oder auf verschiedenen Ebenen und einander
überformenden Schichten sieht. Wenn die Anregungen zu Neuentwicklungen gerade
aus der Transposition auf andere Schichten oder in andere Perspektiven
bestehen, dann handelt es sich um eine besonders kreativitätsanregende
Reflektapher. Wir hatten dafür ein neues Wort vorgeschlagen: "Kreatapher".
"Kreataphern" sind also perspektivenübergreifende,
schichtenüberbrückende oder -überspringende spannungserzeugende und -erhaltende
Metaphern, die anregungsreich zwischen Ähnlichkeiten (Homöotaphern, Syntaphern)
und Unähnlichkeiten (Dia[ta]phern, Dissonanzen) spielen. Kreataphern
konstituieren Kreativspiele – wie umgekehrt. Es ist also ein
"kreataphierendes" Verfahren oder eine "kreataphorische"
statt einer nur metaphorischen oder reflektaphorischen Aktivität, die hier zur
Diskussion steht. Ich denke, dass dies eine recht interessante Idee ist, die
auf das zurück geführt werden kann, was wir eingangs über die Eigenarten und
Beschaffenheiten des Menschen und seine Fähigkeiten erkannt haben. Man könnte
diese Fähigkeit, nicht nur Metaphern, sondern kreative Reflektaphern, also Kreataphern, zu schaffen, als eine
besonders herausragende Eigenschaft des metainterpretierenden Wesens verstehen.
Mit anderen Worten: das oben erarbeitete metainterpretatorische Moment ist es,
das die besonderen Fähigkeiten des Menschen zur Repräsentation und
schöpferischen Gestaltung kennzeichnet – im Gegensatz zur bloßen
Symbolverwendung oder bloßen Deutung im Sinne einer bereits eingenommenen
Perspektive. Es handelt sich also um die Fähigkeit, über einzelne Perspektiven
hinauszusteigen – zu höheren Perspektiven, abstrakteren
Interpretationsschichten –, oder auch um die Fähigkeit, den Gesichtspunkt auf
der selben Ebene zu wechseln. Das alles lässt
sich im Zusammenhang sehen mit dieser Fähigkeit, Kreataphern zu bilden
und zu anderen symbolischen, reflektatorischen Beziehungen und Schichten über
zu gehen.
Kreativität ist zudem symbolische Eigenaktivität. Eine solche
Philosophie des Kreativseins wäre zugleich eine Philosophie der erweiterten und
durchaus auch als Reflektapher zu verwendenden "Eigenaktivität" aller
möglichen Aktivitätszentren, seien es natürliche, seien es menschliche oder
subjektive, seien es soziale, künstlich zustande gebrachte. Im Grunde ist eine
Philosophie des Kreativseins oder der Kreataphern etwas, was ich schon seit
zwei Jahrzehnten betreibe, zwar unter ganz anderen Gesichtspunkten, unter einem
ganz anderen Terminus, nämlich unter dem Gesichtpunkt der Eigenaktivität, der
"Eigenhandlung", der "Eigenleistung" (1989). Dies alles lässt sich einbetten in eine solche Philosophie
der Kreativität.
Nach MacCormac (1985, 148) liegt "Kreativität [...] in der Auswahl
der geeigneten Bezugsgegenstände, indem genügend Ähnlichkeit für das
Wiedererkennen und genug Unähnlichkeit – und die richtige Art von Unähnlichkeit
– erzeugt wird, um eine (neue, H. L.) hypothetische Möglichkeit
hervorzubringen. Der Schöpfer einer Metapher wählt gerade jene Bezugsglieder
aus, deren Gegenüberstellung die neue Möglichkeit insinuiert, die er oder sie
vorschlagen möchte".
Das heißt, MacCormac sieht in der Fähigkeit des Menschen, neue
Metaphern mit hinreichenden Ähnlichkeiten, aber auch mit Unähnlichkeiten zu
bilden, so etwas wie einen Grundstock auch für die Entwicklung neuer Theorien,
Interdisziplinen, neuer Möglichkeiten der künstlerischen, wissenschaftlichen
und philosophischen Darstellung, der Weltauffassung. Er sieht diese Fähigkeit
als ein Charakteristikum des Menschen überhaupt an: Es ist ein Anthropologikum,
gilt einzig für den Menschen, dass er nicht nur Analogien zu entdecken, sondern
eben in Metaphern diese Analogien mit Disanalogien, also die Syntaphern oder
Synphorien mit den Diaphorien und Diataphern zu verbinden vermag, um neue
kreative Metaphern zu bilden, die unser Wissen in den Bereich des bisher
Nichtgewussten weiterzutreiben erlauben. (Zu ergänzen wäre nach den hier
dargelegten Einsichten, dass diese Fähigkeit auch auf beliebig viele höhere
Darstellungs-, Symbolisierungs- und Abstraktionsschichten zu beziehen ist.)
Es handelt sich um eine Art von Kreativspiel
mit Metaphern, und zwar reflektaphorischen Metaphern oder kreativen
reflektatorischen Metaphern, also mit Kreataphern.
Man könnte sogar so weit gehen, dass man den Menschen als mit einem
kreataphorischen Bewusstsein versehen ansieht, in Spezifizierung des erwähnten
metaphorischen Bewusstseins à la Cohen, also den Menschen als das Wesen
versteht, das fähig ist, Kreataphern zu schaffen: das "kreataphorisierende" Wesen. Das metainterpretierende
Wesen ist das kreative, kreataphorisierende
Wesen.
Nur der Mensch ist in der Lage, Stufen, Schichten, Perspektiven immer
wieder zu übersteigen. Dieser Drang, immer weiter zu schaffen, immer weiter
Grenzen und Schichten symbolisch zu transzendieren, ist gerade für das
Kreativsein charakteristisch, wie wir einsahen. Menschsein ist nur möglich,
wenn man über Versteinerungen hinaus in ständiger Kreativität lebt oder diese
übt, in der Lage ist, kreative Metaphern und Reflektaphern zu schaffen und zu
verwenden. Der Mensch ist also das Kreataphern schaffende Wesen, man könnte
fast von einem Homo crea(ta)phoricus
sprechen, statt von einem Homo
metaphoricus, wie es ansatzweise MacCormac tut. Kreativität ist das
ständige Weiterschaffen, das Sich-selbst-Überholen der Kreataphern, die
Fähigkeit und der Antrieb, über das ständige Risiko des Absterbens der
Lebendigkeit von Metaphern und Reflektaphern hinaus zu gehen, indem man das
Kreativspiel weiter spielt. Semper creans, semper
creativus.
Ein früher christlicher Theologe, Gregor von Nazianz, hat einmal gesagt
– wie ähnlich schon Heraklit –: "Der Logos" (er meint den göttlichen,
erhabenen Logos), "er spielt. Mit buntesten Bildern schmückt er, wie 's
ihm gefällt, auf jegliche Weise den Kosmos" (zit. n. GEO-Wissen 1990, 69).
Dieses "Spielen" kann man ersetzen durch das "Kreativspiel",
indem man sagt: Der Logos kreativiert. Oder: der Mensch kreataphorisiert – d.
h., er "reflektaphorisiert" bewusst, symbolisch,
schichtenübergreifend und metaperspektivisch.
Liebe zur Kreativität und zur Kreataphernschaffung – das wäre
vielleicht ein Wort, welches das Platonische Bekenntnis zur Philosophie
ersetzen könnte. Der Philosoph wäre dann der Jenige, der die Kreataphern
begeistert analysiert, sich mit ihnen ständig befasst, neue schafft, also die
Disziplin der Analyse oder die Wissenschaft der Kreataphernverwendung, sowie
die quasidichterische "Kunst" der Kreataphernbildung betreibt. (Die
letzte Tätigkeit teilt er mit dem Dichter: Was kre(ativ)iert wird, stiften die
Dichter…) Der Philosoph bleibt insofern Metakreataphoriker, und zwar sowohl in
Bezug auf kreative Prozesse in der Natur, in der Welt, im Kosmos wie auch
hinsichtlich solcher Phänomene in der menschlichen, der symbolischen Welt, in
der Kunst, in der Kultur, als er auf höheren theoretischen und sprachlichen
Metastufen des "Erfassens" kreiert und argumentiert. Die Philosophie
kann jedenfalls die Prozesse der Kreativität nicht länger vernachlässigen, wie
sie es allzu lange traditionell getan hatte. Und sie hat auch keinerlei
Veranlassung dazu, angesichts der Problematik, die entsteht, wenn man versucht,
gewisse übergreifende formale Strukturen, Muster sowohl beim Zustandekommen der
Naturprozesse, als auch bei sozialen und kulturellen Gestaltungen sowie
geschichtlichen Prozessen zu verstehen.
V. Schlussbemerkung
Resümierend lässt sich feststellen:
Die Postmoderne – auch in der Architektur – genügt mit ihrer
spielerischen Kombinations- und "Zitate"-Freudigkeit über
unterschiedliche Stile hinweg zwar den charakteristischen Merkmalen der
bisoziativen oder multiassoziativen (Kombinations-)Kreativität. Sie scheint
aber weniger einschlägig, wenn es um Fragen der Kantisch verstandenen
Genialität, also um das Vorgeben ganz neuartiger Bereiche, Regeln (zumal
gänzlich neuartiger Bewertungs- und Konstruktionsregeln und -ansätze) geht.
Auch mag das Fraktale der neueren computerästhetischen Ansätze (ihrer
Iterationen, Selbstähnlichkeiten, Schichtenaufstockungen und
"Selbstzitate") dem "spielerischen" Moment der Postmoderne
entsprechen, doch dürften prinzipiell neuartige
und somit kreative und bereichskonstituierte Metaphern (Kreataphern) nur
selten(er) dem postmodernen "Spielgeiste" entspringen. Freilich wäre
die Fruchtbarkeit von chaostheoretischen und fraktalgeometrischen Auffassungen
nicht nur in der Kunst (mit ihrem "Durchgang durch chaotische Zonen"
und ihrer "Gratwanderung am Rand des Chaos"), sondern auch bei den
wirklich grundsätzlich neue Bereiche, Regeln und Weltsichten erzeugenden
kreativen Metaphern (Kreataphern) und kreativen Potenzen allgemein noch weiter
zu thematisieren.
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1979, (PR).
1 Ein profilierter Postpostmodernismus ist noch nicht in Sicht - wenigstens nicht in der Architektur, obwohl wir nach wie vor im Zeitalter der "Postismen", ja, der Meta- und "Postpostismen" leben.
2 Besonders charakteristisch erscheint die "Gleichung": "Adhocistisch + urbanistisch = kontextuell", wofür Ralph Erskines partizipatorische Siedlungsgebietsplanung in Byker bei Newcastle/England 1972‑74 und etwa Lucien Krolls Gebäude der Medizinischen Fakultät der Universität Löwen als hervorstechende Beispiele angegeben werden. "Kleinmaßstäblichkeit und Häuslichkeit am Rande zum Überladenen und Kleinbürgerlichen, aber das Ganze ist vor Rührseligkeit bewahrt durch typische Erskinismen, wie die billigen, gewellten Details und freche Scherze" (Jencks 1978, 104), welche die Funktionsvielfalt, Buntheit und Akzeptanz wie auch die Einbettung in Landschaftsgegebenheiten und historisch gewachsene Umgebungen garantieren. Im Falle Krolls führt Jencks "Komplexität und einen Reichtum der Bedeutung, einen herrlichen Pluralismus", an, "den zu erreichen es sonst gewöhnlich Jahre braucht und der das Ergebnis vieler Bewohner ist, die kleine Änderungen über die Zeit hinweg vornehmen": Die Vielzahl der Codes und Nutzungen der Gebäude spiegelt deutlich die Tatsache wider, dass gegensätzliche Wertvorstellungen realisiert worden sind, aber selbst hier ist das Ergebnis nicht ohne Spannungen. Die Ästhetik ist überall pittoresk, als ob Normalität und die schweigende Mehrheit rigoros abgefertigt worden seien (ebd. 105f.): Moderne und Funktionalismus werden noch für Fabriken und Krankenhäuser und als "semiotisches Gleichgewicht... innerhalb eines Bedeutungssystems" relativiert beibehalten. Kontextualismus (nach Colin Rowe) ist der Schlüssel zur Bebauung und "Betrachtung des urbanen Raumes". Rowes "Collage‑Stadt" stellte nach Jencks (ebd. 111) "Argumente auf zwischen dem Mechanismus der erleuchteten Denker und dem Organizismus der Hegelianer, den Phantasien aus der alten Welt der Amerikaner ohne Wurzeln in Disneyland und der "Schönen neuen Welt" der Superstudios mit allzu viel Vergangenheit in Florenz." Er setzte die fixierten, platonischen Utopias der Renaissance in Kontrast zu dem "Utopia als Verdrängung der Futuristen", die einsamen großen Gedanken der "Igel" (z. B. Palladio, H. L.) zu den vielen kleinen Zielen der "Füchse" (z. B. Christopher Wren). Verschiedene Utopias oder "Westentaschenutopias – Schweizer Kanton, Neuengland‑Dorf, Felsendorn, Place Vendôme" –, Hadriansbauten eines "pluralistischen Pantheon, sein Rom, besonders seine Villa in Tivoli sind Ad‑hoc-Sammlungen und dialektische Utopias". Die Hadriansvilla wird zum Vorbild, die "Collision‑City", weil sie – so Rowe – "gefällig alle Konflikte der traditionellen Architekturelemente und alle zufälligen empirischen Ereignisse" reproduziert, durch eine Anhäufung kleiner und sogar sich widersprechender zusammen gesetzter Elemente (fast wie Produkte verschiedener Regime)" die "Phantasien zu unterhalten" gestatten (ebd. 111).
3
Metaphysik drückte sich stets auch in der Raumphilosophie und vorausgesetzten
Raumstruktur aus. Im Gegensatz zur logisch eindimensional deduzierten
Rationalität eines gleichsam isotropen Raumes in der Moderne "ist der
postmoderne Raum historisch bestimmt, verwurzelt in Konventionen, unbegrenzt
oder doppeldeutig in der Flächenaufteilung und 'irrational' oder veränderlich
in seiner Beziehung vom Teil zum Ganzen", unklar in den Begrenzungen,
"ohne erkennbaren Abschluss", "evolutionär" (?), enthält
aber auch modernistische Elemente der Corbusierschen "Schichtung" und
"Verdichtung". Dazu fügte Robert Venturi –nach Jencks "der erste
moderne Architekt, der dekorative Formgebung und traditionelle Symbole (etwa
den Torbogen) auf aggressive Art anwendete" – etwa in seinem Zentrum für
Krankenschwestern und Zahnärzte (schon 1960) schräge und verdrehte
Raumelemente, "erzeugt durch spitze Winkel, welche die Perspektive
überhöhen", wodurch die Komplexität des Raumeindrucks und der Mischung
erheblich erhöht wird (Jencks a.a.O., 86f., 118). Die postmodernistische
Raumkonzeption gibt darüber hinaus "wie der chinesische Garten die klare
unumstößliche Ordnung der Ereignisse zu Gunsten eines labyrinthischen,
weitschweifigen 'Weges' auf, der niemals ein absolutes Ziel erreicht",
hebt normale "soziale und rationale Kategorien auf in Irrationalität"
oder gar in Unmöglichkeit, bricht Flächen, konstruiert Anspielungen und
Scherze, Doppeldeutigkeiten, "um unser normales Empfinden für Dauer und
Ausdehnung aufzuheben" (ebd. 124). Anders als der chinesische Garten hat
jedoch die Postmoderne "keine wirkliche Religion und philosophische
Metaphysik hinter sich", sondern ergießt sich in eine Überfülle von teils
historisch bedeutungsträchtigen, teils willkürlichen Metaphern konstruiert‑kalkulierter
Überraschungen. Sie ist Patchwork‑Collage mit Multifunktionalismus und
Buntheitsverwirrungen: "Bestürzende Rätselhaftigkeit, die wunderbar
verwirrend, aber nicht frustrierend ist" (so Jencks über Moores Haus Burns
in Los Angeles).
Als letzte, umfassende und übergreifende Charakterisierung der
Postmoderne führt Jencks den raffinierten radikalen Eklektizismus an, der die
"Vorliebe zum Mysteriösen, Zweideutigen und Sinnenfreudigen" zeigt,
wobei die Tendenz "zunehmender Komplexität eine bunte Sammlung von
Widersprüchlichkeiten, unterschiedlichen Absichten" einerseits zu einer
wachsenden "Verwirrung im formalen und theoretischen Bereich" führt,
andererseits "die verschiedenen Wünsche und Ziele der Bewohner
widerspiegelt, die jede Großstadt erfüllen muss", und insofern durchaus
positiv zu beurteilen sei. Der radikale Eklektizismus sei bei aller
Berücksichtigung "lokaler Materialien" und "natürlicher
bodenständiger Architektur" "sogar polyglott". Durch die
verschiedenen formalen, theoretischen und sozialen Bezüge der genannten
"sieben Aspekte der Postmoderne" ergebe sich, so Jencks (a.a.0.
127f.) ein "Amalgam aus historistischen und modernen Elementen sowie
semiotischen Spektren", das "zumindest das Potenzial hat, eine
stärkere, radikale Vielfalt zu entwickeln" als herkömmliche schwache
Eklektizismen des bloßen Ansammelns. Der radikale Eklektizismus
"benutzt... das volle Spektrum negativer Mittel – metaphorische und
symbolische ebenso wie räumliche und formale –, "mischt diese Elemente
(etwa klassizistische und regionale bei Thomas Gordon Smith, Kalifornien, 1976‑77)
in einem Werk, richtet unterschiedliche Schichten und Codes auf die
avantgardistischen Eliten einerseits, sowie auf die breite bzw. lokale
Öffentlichkeit andererseits aus (ebd. 129f. 6), vermittelt zwischen diesen
beiden Schichten und Codes durch "beständige Konsultationen" und
Kommunikationen, sowie durch Bewusstseinserkenntnis und Hinnahme der
"Schizophrenie" der "doppelten Codierung", wie auch durch
die Übercodierung "von verschiedenen Geschmackskulturen". Der
radikale Eklektizismus ist für Jencks inklusivistisch (nach Venturi und Moore),
sowohl kontextuell als auch dialektisch, indem er versucht, eine Diskussion
zwischen unterschiedlichen und häufig gegensätzlichen Geschmackskulturen
anzuregen, sowie multivalent: "Er fasst verschiedene Arten von Bedeutungen
zusammen, die gegensätzlichen Kräfte des Geistes und des Körpers, so dass sie
in Beziehung zueinander stehen und einander beeinflussen" (ebd. 131f.).
Der Postmodernismus, der "heute kein Stildogma" mehr als
gültig auszeichnet, entdeckt wie Karl Friedrich Schinkel zu Beginn des 19.
Jahrhunderts "das Historische und Poetische" wieder: "Mit dem
Historischen ist die Bereicherung des Spektrums gegeben, Bezüge herzustellen
und die unterschiedlichen historisierenden Stilmittel zur Sprache der Gegenwart
hinzu zu gewinnen, um das Poetische daraus entstehen zu lassen. Das Poetische
ist die Kraft der Vorstellung zu wünschbaren Orten, ist die Fiktion über Zwecke
hinaus. Fiktion schränkt die Abstraktion ein, weil sie der Gegenstandslosigkeit
des bloßen Nutzens die Inhalte der Phantasie entgegen setzt" (zit. Klotz
S84, 135). Stilwechsel und Stilaggregation werden zur pluralistischen Signatur
der Postmoderne dadurch, "dass alle diese Stilvokabularien eingesetzt
werden, um das eine Ziel zu erreichen: eine nicht länger abstrakte, sondern
wieder gegenständlich' argumentierende Architektur" und damit ein
"Anspruch" auf deren "fiktiven Charakter ... frontal gegen die
Abstraktion der Moderne gerichtet": "Fiktionale
Vergegenständlichung" sammelt die fremden Elemente in pluralistischer
Sekundärvereinheitlichung, indem sie verschiedenartige und wechselnde
Vokabularien "narrativ‑fiktional" einsetzt, die "also auch
Sinn und Bedeutung erbringen" (ebd. 136). Vergegenständlichung, Bedeutung,
Sinn, bestimmter Inhalt und die Frage nach Alternativen, eventuell überlappend‑übercodierenden
Stilmitteln, die diesen Inhalt darzustellen gestatten, neue Vielfalt und neue
Mythologien, Konstruktivismus und Anspielungsdekoratismus, inklusivistische
Integrationen rationalistischer Teilelemente und historisierender Fassaden, von
modernen Störelementen gebrochen, kennzeichnen die Coincidentia oppositorum, die postmodernistische Vereinigung von
Widersprüchen, vgl. a. James Stirlings Neue Staatsgalerie in Stuttgart (1977‑84).
Widersprüchliches kann nur als aneinander reihende "Behauptung einer
Erzählfiktion" veranschaulicht werden (Klotz a. a. 0. 420), also unter dem
Signum einer aggregativ‑fiktionalen Vergegenständlichung. Klotz
kennzeichnet in seiner Definition die Postmoderne durch die acht Merkmale des
Regionalismus, der fiktionalen Darstellung, Rückgängigmachung der bloßen
Funktionalität des Modernismus, der Vielfalt von Bedeutungen in narrativer
Gestaltung, der antitechnizistischen Poesie und Phantasie, der Improvisation
und Spontaneität, der geschichtlichen Erinnerung als "wiedererlangter
Perspektive" im "Geist der Ironie",
Relativierung auf "historische, regionale und topographische
Bedingungen eines Ortes" und Betonung der "anfassbaren Individualität
der besonderen Lösung". "Kompromissfähigkeit an Stelle von Heroismus;
Ausgleich zwischen Alt und Neu, Anerkennung einer vorgegebenen Umwelt"
(ebd. 422f.). Hatte Mies van der Rohe seine rationalistisch‑funktionalistische
Reduktionsarchitekturtheorie mit dem Sprichwort "Weniger ist mehr"
ausgedrückt, so beantwortete Robert Venturi das "less is more" mit
einem sarkastischen "less is a bore" (ebd. 147).
4 Welsch
verweist (ebd.105f.) auf zwei Schwierigkeiten des postmodernen Paradigmas: 1.
Vielfältigkeit dürfe sich nicht als bloße Sprachverwirrung darstellen und
"zu semantischer Beliebigkeit und zum Verlust jeglicher
Kommunikabilität" führen, sondern müsse "gerade
verständigungsproduktiv" werden und die Venturische "besondere
Verpflichtung für das Ganze" im Auge behalten; 2. könne "bloße
Vielfalt und ihre Eskalation... Pluralität" und die notwendige und auch
als "Bedingung effektiver Vielheit" vorauszusetzende Einheit,
"gerade nicht... garantieren", weil der "Unterschied von
Gelingen und Danebengehen" in der totalen Regelbeliebigkeit oder
Narrativität nicht mehr feststellbar sei und weil die "Etablierung des
Dissenses aIs der einzig verbleibenden Kommunikationsform" zwischen sonst
hermetisch geschlossenen Sprachspiel‑Monaden" ebenfalls den
Pluralismus bloß durch "Hyperdifferenz" "außer Kurs" setze:
Hier gebe es praktisch keine Vielfältigkeit mehr". Welsch beschwört den
"Rückgang auf die Vollzugsform der Vernunft" und ihr "Vermögen
eines sprechend wie verstehend geschehenden Übergehens von einer Sinnfiguration
zu einer anderen: In dieser transversalen
Dimension liegt... die eigentliche Potenz von Vernunft".
5 Auf die
psychologischen Kreativitätstheorien kann ich hier nicht näher eingehen (vgl.
den Verf. 2000, 76-137 und 38-173).
6 Weisberg (1986, 1993) bezweifelt ja die Existenz genialer Persönlichkeiten ebenso wie die von Visionen und Heureka-Erlebnissen – er pocht auf die normale schrittweise Übernahme und Weiterentwicklung von bereits vorliegenden "Elementen". Er erkennt nur die kombinatorische Kreativität und die "kombinatorische Gymnastik" (Simonton) an, versucht dieses aber von zu wenigen Fällen (in der Wissenschaft etwa Darwin und Watson-Crick) ausgehend zu generalisieren. Ein Ramanujan hätte seine theoretische Beschränktheit gesprengt wie wohl eigentlich auch Mozart, den er – kaum überzeugend – in die kombinatorische Gymnastikschule einzuordnen sucht.
7 Die Schönheit, sagt Poincaré an einer Stelle, ist in
der Mathematik ebenso eine Führerin wie die Wahrheit. Ich hatte ja bereits
Hardy zitiert, der sagte, dass ohne Schönheit in der Mathematik nichts wirklich
existent und interessant wäre: Fast nur "das Schönheitsgefühl" führe
"in der Mathematik zu Neuentdeckungen", und Mathematik lasse sich
"nur als Kunstwerk rechtfertigen". So landete auch Koestler (ebd.,
368) bei der alten platonischen Idee, dass Schönheit in gewissem Sinne
"eine Funktion der Wahrheit" sei – und "Wahrheit eine Funktion
der Schönheit". Zwar ließen sich beide analytisch trennen, "aber im
wirklichen Erleben des schöpferischen Aktes wie im nachvollziehenden Erleben
des Betrachters seien sie ebenso untrennbar wie Denken und Fühlen" (ebd.,
368), man könnte auch sagen: wie Denken und Handeln, wie Erkennen und Handeln.
Auch Platon hatte ja das Gute mit der Schönheit und der Wahrheit identifizieren
wollen.
8 Koestler greift dabei auch auf Freud zurück und behauptet, das "ozeanische Gefühl", das Freud als einen Höhepunkt der Zufriedenheit oder der Befriedigung des Menschen betont hat, sei "der sublimierteste Ausdruck des integrativen Strebens des Menschen, das den Wissenschaftler veranlasst, nach letzten Ursachen zu suchen", eben nach der Wahrheit, und das auch "den Künstler dazu drängt, die letzten Wirklichkeiten des Erfahrbaren aufzuspüren". "Das Gefühl wunderbarer Klarheit", der Schönheit und gleichzeitig der Wahrheit, "das Kepler berauschte, als er sein zweites Gesetz entdeckte" (ebd., 363), das findet sich ähnlich auch etwa bei Poincaré oder natürlich entsprechend bei schöpferischen Künstlern. Koestler (ebd., 187 ff.) analysiert zunächst auch den Traum und meint, das Bisoziationsschema sei besonders auch beim Träumen verwirklicht, und zwar "ununterbrochen auf passive Weise", indem "optische Analogien", die "Verlagerung der Aufmerksamkeit" und "Konkretisierung abstrakter Vorstellungen zu bestimmten Bildern" und z. T. "umgekehrt der Gebrauch von konkreten Bildern als Symbol(en) unformulierter Gedanken im Augenblick ihres Entstehens" auftreten. Die "Kondensation mehrerer assoziativer Zusammenhänge im gleichen Bild; das Aufdecken verborgener Analogien; die Personifizierung und die Spaltung der (eigenen) Identität" (ebd., 188) – das alles ist vom Traum wohl vertraut – ebenfalls, dass grammatische und logische Regeln verletzt werden, dass die gelegentliche Umkehrung von Kausalzusammenhängen vorkommt und dass eine Art von "Leichtgläubigkeit des Träumenden" (ebd.,) typisch ist, indem dieser sich mit dem Geschehen identifiziert. Die Kritikfähigkeit ist weitgehend aufgehoben, in gewissem Sinne die Tätigkeit der linken Hirnhälfte reduziert gegenüber dem musterbildenden, visionären kreativen Schaffen der rechten – das ist natürlich alles bekannt.
9 Das hat Koestler wiederholt auch für mehrere andere Bereiche betont, z. B. in Bezug auf den Humor und den Witz: Hier gilt, dass Originalität, Emphase und Sparsamkeit zusammen kommen müssen, damit eine Pointe "zündet". Das kann man natürlich leicht auch an der Kunst wiederfinden; denn Entsprechendes lässt sich traditionell auch für das Kennzeichnen und Beurteilen von ästhetischem Wert, zumal Schönheit, feststellen. Das Ideal der Einfachheit spielt natürlich auch in der Mathematik oder in der Wissenschaft eine große Rolle. Diese Charakteristika versuchte Koestler (1966, 369 ff.) auch an der Kunst und bei anderem kreativen Schaffen wieder aufzuweisen. Z. B. sticht die äußerste Sparsamkeit etwa an chinesischen Bildern oder japanischen Gedichten hervor, wo auf alles Überflüssige radikal verzichtet wird und größte Einfachheit der Darstellung und Sparsamkeit der Mittel zum Ausdruck kommen.
10 Chaostheoretische, also mit der Theorie der komplexen
dynamischen (bislang durchaus deterministischen!) Systeme beschriebene Analysen
und modelltheoretische, sowie tierexperimentelle Erfolge haben dazu geführt,
dass man nun versucht, solche Modelle auf das menschliche Wahrnehmen, das
Denken gar auszuweiten. Earl MacCormac, ein Philosoph in den Vereinigten
Staaten, der gleichzeitig an einem Institut für Radiologie arbeitet und sich
mit Neuronenradiologie beschäftigt, untersucht derzeit solche nichtlinearen
dynamischen Algorithmen und Systeme, die auf chaotischer und Fraktalbasis
existieren und die Plastizität des Gehirns darstellen sollen. Er hat in seinem
Beitrag zum Deutschen Kongress für Philosophie von 1993 in Berlin (Lenk/Poser
1995) eine kartographische Grundstruktur aufgezeigt, die zu der Theorie führt,
dass man letztlich so etwas wie perceptive
images, also "Wahrnehmungsbilder", in einer Art von
computerähnlicher Verarbeitung, aber parallel verarbeitet und natürlich auf
fraktaler Basis, als hauptsächliche Grundlage annehmen kann, um etwa das
Denken, zunächst einmal das wahrnehmende Denken, darzustellen. Er spekulierte
auch darüber, dass insbesondere das Denken über Denken solche Strukturen
fraktaler Art, nämlich Selbstähnlichkeit und komplexe Darstellung, erlauben
muss. Er stimmt zum Teil mit Edelman überein, meint aber, dass nichtlineare dynamische Algorithmen
stärker berücksichtigt werden müssen, und er schließt sich an Flanagan an, der
ja Bücher über The Science of Mind
(1984, 51992, s. a. ders. 1992) geschrieben hat und einen
"konstruktiven Naturalismus" auf der Basis der genannten Strukturen
neurologischer Art vertritt. MacCormac (1995, 215) erweitert das Modell zu
einem – wie er das nennt –"konstruktiven
computerunterstützten Naturalismus" und möchte gern den
"Geist" ("mind")
mit "Mustern neuronaler Aktivität" identifizieren, "die mathematisch
in nicht-linearen Systemen dargestellt werden können" (ebd., 216).
Entsprechendes gilt auch für die Struktur des Bewusstseins, insbesondere für
dessen Selbstreflexivität, die Fähigkeit, auf sich selbst Bezug zu nehmen
(ebd.,). Auch hier möchte er im Sinne dieser nichtlinearen Systemdynamik und
Repräsentationsdynamik eine angenähert fraktale (Selbstähnlichkeiten
verwendende) Theorie des Denkens und Darstellens liefern. Er hat zudem mehrere
Aufsätze über "Images and Fuzzy Neural Networks", also über die Vorstellungsbildung,
über Images und unscharfe Logik, geschrieben. In seinem Institut verwendet er
zusammen mit den Radiologen und Medizinern die Positronenemissionstomographie
(PET) und versucht, die Gesichtspunkte, die bisher der kognitionspsychologischen
Schule der Parallel-distributed-Processing-Gruppe (McClelland, Rumelhart u.
a.), also Parallelverarbeitung statt serieller Verarbeitung in Computern nach
der von-Neumann-Architektur, zu Grunde liegen, zu erweitern in Richtung auf die
Verwendung von nichtlinearen dynamischen
Algorithmen, die in computer images,
also in Bildvorstellungen, Musterdarstellungen entwickelt werden können und
sich koevolutionär mit den entsprechenden Reizen und der Kulturentwicklung von
außen entwickeln, beispielsweise in den Sprachformen und den internen quasi
eigendynamischen und selbstorganisierten, auf fraktaler Geometrie und
unscharfer Logik basierenden Modellen.
Interessant ist, dass MacCormac dies auch auf mentale Gehalte anwendet.
Er ist darüber hinaus ein international bekannter Theoretiker der
Metaphernbildung. Er wendet die computerunterstützten nichtlinearen
Fuzzy-Algorithmen auf die Entwicklung von Metaphern an, insbesondere auf die
Bildung von neuen und auf die diesbezügliche "Kreativität" – und auf
Selbstreferenz, die Selbstbezüglichkeit etwa bei Strukturen des Bewusstseins.
Auch da ist zu erwarten, dass chaotische Erscheinungen auftreten. Es ist ja
bekannt, dass wenn man beispielsweise eine Fernsehkamera auf den
Videobildschirm richtet und sie das eigene Bild wieder aufnehmen lässt und das Aufgenommene zurückkoppelt, eine Art
von Chaos entsteht. Die Selbstähnlichkeit, eingespeist mit der Rückkoppelung,
führt dann zu einer positiven Rückkoppelung und somit zu einer Art von Bild-"Explosion".
Eine ähnliche Verkoppelung kann natürlich sowohl bei epileptischen Anfällen zu
Grunde liegen, als auch beim selbstreflexiven "Denken über das
Denken". MacCormac (1995 a und unpubl.) versucht, die Strukturen der
unscharfen Logik, der fuzzy logic,
für die Stabilisierung und Entwicklung von computer
images zu verwenden und dann insbesondere auf die Bedeutung von Worten und
die Entwicklung von Metaphern anzuwenden. Seine etwas ältere Theorie der
Metapher (A Cognitive Theory of Metaphor, 1985) berührt natürlich auch
maßgeblich die methodologischen Fragen der Kreativität.
Interessant für uns hier ist nur, dass er glaubt, ein semantisches
Netzwerk (das aufgefasst wird als ein Netz von Knoten, wo die Knoten selbst
Fuzzy-Mengen sind) könne modellhaft eine rationale Rekonstruktion dafür darstellen,
wie etwa der Geist (mind) neue Begriffe und insbesondere neue Metaphern, neue
Begriffe in Metaphern bildet. Fuzzy-Mengen sind ja solche, für die keine ganz
klare Mitgliedschaft, keine Element-Klassen-Relation scharf definiert ist, wo
nur ein Objekt "mehr oder weniger" Element einer Menge ist. Es gibt
zwar eine "Kernmenge", aber deren "Begrenzung" ist
unscharf. Es bleibt ja auch "unscharf", wann jemand glatzköpfig ist
und wann nicht: mit 50 Haaren: ja, mit Tausend: nein? In der Realität ist es
offensichtlich so, dass scharfe eigenschaftsgesteuerte Unterscheidungen durch
Mengengrenzen nicht so deutlich zu treffen sind, wie man das herkömmlicherweise
in mathematischen und logischen Modellen annimmt, und dass man
realistischerweise sehr viel stärker auf die komplexen Strukturen und
Interaktionen mit unscharfen Grenzen eingehen muss. Wenn man also versucht, die
Mittel der Fuzzy-Logik einerseits und der fraktalen Geometrie des Komplexen
andererseits zur Darstellung zu verwenden, ist wohl wahrscheinlich, dass man
auch sehr komplexen Prozessen der Kreation von Neuem irgend wie näher kommt.
Die "konzeptuelle Macht der Fraktale" leite sich "aus
unserer mentalen Fähigkeit" her, diese Fraktale zu
"verbildlichen", virtuell zu visualisieren, leiste also gleichsam
das, was heute die Computergrafik konkret abbilden kann.
11 Vgl. zum Folgenden auch Cramer/Kaempfer 1992.
12 Auch das exponentielle Sich-Ändern geschieht ja jeweils selbstähnlich in den je unterschiedlichen Abmessungen.
13 Man denke beispielsweise an die Entwicklung von zusätzlichen Ästen oder Zweigen bei Bäumen oder eben an die Entwicklung von Knöllchen oder Blümchen beim Blumenkohl, der dann mit jeder neu entstehenden Blümchenkorbschicht größer wird. Hier scheint offensichtlich so etwas zu Grunde zu liegen wie eine Summation bei gleichzeitiger Konkurrenz. Ein gleichförmiges Geschehen ist anscheinend auch im Gehirn zu finden, insbesondere bei der ersten frühkindlichen Entwicklung von Nervenverbindungen beispielsweise im Sehsystem, wo auch eine Art von Konkurrenz zwischen den nur grob erblich angelegten Verbindungsmustern in der Weise vorhanden ist, dass manche der Neuronen aktiviert und dadurch stabilisiert werden, schließlich das primäre Sehzentrum erreichen und dass andere, benachbarte Neuronen, die damit sozusagen in einer Wachstums- oder Entwicklungskonkurrenz stehen und nicht aktiviert werden, verkümmern. Das heißt, es tritt so etwas wie eine Art von Wachstumsprozess in der Konkurrenz oder eine, wie ich sagen möchte, konkurrenzselektive Stabilisierung auf. Das scheint auch bei solchen Wachstumsprozessen, wie etwa den Entwicklungen von Blumenkohlköpfchen oder -blümchen der Fall zu sein. Solche Wachstumsprozesse ähneln auch der Entwicklung bzw. dem "Aufbau" von bestimmten Formen, die auf dem gegenwärtigen Stand aufbauen, bei denen immer etwas hinzu tritt, ohne dass das ein nur rein additiver Vorgang wäre, sondern es geschieht eine Art von Verzweigung - freilich im Sinne dieser konkurrenzstabilisierenden Selektion oder konkurrenzselektiven Stabilisierung.
14 Der Goldene Schnitt besteht ja darin, dass ein
Quotient von den bestimmten benachbarten Werten von Teilgrößen der Entwicklung einem bestimmten
Quotienten immer näher kommt. Das ist charakteristisch und wurde bereits am
Ende des Mittelalters entdeckt – von dem Mathematiker Fibonacci: Die
"Fibonacci-Reihe" entsteht daraus, dass man stets die beiden letzten
Zahlen der Reihe miteinander addiert und das die nächste Zahl ergibt. Daraus
ergibt sich eine bestimmte Folge von Zahlen, (1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, 34, 55,
89, 144 ...). Sie ist besonders interessant, da sie geeignet ist, die
Verhältnisse des Wachstums und der Entwicklung des Goldenen Schnitts
darzustellen; denn der Goldenen Schnitt erweist sich in gewissem Sinne als ein Fibonacci-Phänomen. Er ist nämlich genau
der Grenzwert des Quotienten zwischen zwei benachbarten Gliedern dieser
Fibonacci-Folge, d. h. also, wenn man immer eine Zahl durch die andere
dividiert (5:3, 8:5 ...), allgemein ausgedrückt: n+1:n in der Fibonacci-Folge,
dann erhält man die Zahl 1,618... Das ist eine irrationale Zahl, die man die
Zahl des Goldenen Schnitts nennen kann oder "die Goldene Zahl" oder
"Fibonacci-Limes-Zahl". Auf diese Weise kann man versuchen, gewisse
Ordnungen in diesen Wachstumsprozessen wiederzugeben – sehr
abstrakt-modellmäßig natürlich. Man erkennt, dass die Fibonacci-Zahl als
Grenzwert der Fibonacci-Folge zu den rationalen Zahlen einen weiteren Abstand
einhält als alle anderen irrationalen Zahlen, die auch als Grenzwerte solcher
Folgen auftreten, wie z. B. die Zahl p. (p ist auch nur relativ schwer anzunähern - im Gegensatz
z. B. zu "e", der Basis des natürlichen Logarithmus.) Der Kettenbruch
nähert sich also "in the long run" diesem Grenzwert, dieser
Fibonacci-Zahl oder Zahl des Goldenen Schnitts. Wachstum geht also relativ
langsam vonstatten. Man kann Fibonacci-Strukturen bzw. entsprechende Formen des
Goldenen Schnitts in sehr vielen Naturprozessen wiederfinden. Z. B. in der
sogenannten Logarithmischen Spirale, in allen Schneckenformen, aber eben auch
in der Spiralenanordnung der Sonnenblumenkerne. Bei beiden Spiralen zeigt das
Wachstum und die entsprechende Weiterentwicklung in Bezug auf die Winkel eine
Folge von solchen Proportionen im Sinne des Goldenen Schnitts. Der
"Fibonacci-Charakter" scheint ein Gesetz des Wachstums darzustellen,
unter der Bedingung, dass schon etwas vorhanden ist, was nicht verdrängt werden
kann, sondern an dem sozusagen weiter gebaut wird. Es ist ein rückgekoppelter
Wachstumsprozess mit nicht nur additivem oder linearem Charakter. Cramer stellt
fest (ebd., 275), dass "der Fibonacci-Charakter oder der Goldene
Schnitt... unter allen Wachstumsbedingungen eingehalten wird" und
"nicht abhängig (ist) von Größe, Länge oder Dicke der betreffenden Frucht
oder Blüte". Das Gleiche gilt entsprechend bei spiraligen Teilformen der
Schnecke. In der Tat scheint es, dass diese Wachstumsprozesse als eine Folge
des erwähnten internen Konkurrenzphänomens aufgefasst werden können und die
Entwicklung dieser Formen als Ergebnis einer je spezifischen, aber generell
gleichförmigen internen konkurrenzselektiven Stabilisierung zustande kommen:
Auch nach Cramer kann "jedes Wachstum als internes Konkurrenzphänomen aufgefasst werden" (ebd.,). Dies
ist anscheinend eine "Grundidee", die in der Natur vielfach
verwirklicht ist und zu Formen führt, die wir auch als schön empfinden, an die wir uns sozusagen gewöhnt haben, die in
unsere Wahrnehmung "einprogrammiert" sind. Das Grundverhältnis für
rückgekoppelte Wachstumsprozesse, das auf den Goldenen Schnitt ausgerichtet
ist, ist so gleichsam auf natürliche, naturwissenschaftliche Weise abbildbar –
wenn nicht gar teilweise, jedenfalls formal, erklärbar.
15 Es gibt ferner auch so etwas wie eine Phasenschönheit,
eine Schönheit der Phasenentwicklung, besonders im Pflanzlichen, was ein
englischer Autor, D'Arcy-Thompson, schon Anfang dieses Jahrhunderts, 1917,
eindringlich festgehalten hat. Er hat ein berühmtes Buch geschrieben Über Wachstum
und Form, das in zahlreichen Auflagen erschienen ist. Darin wird diese Art
selektiver Stabilisierung durch fraktales konkurrierendes Phasenwachstum in
gewisser Weise vorweg genommen; das selbe haben dann häufiger Biomathematiker
explizit gemacht, wie der schon zitierte Michael Barnsley, der über die
fraktale Struktur der Farne gearbeitet und Farnstrukturen modellhaft aus
fraktalen Grundelementen hergestellt hat, indem er von einfachen
Initialgrundformen wie astartig verzweigt angeordneten Rechtecken ausging und
diese immer wieder auf jede Einzelverzweigung anwendete, iterierte, und zwar
beliebig oft (ohne vorab festgelegtes Ende). Er kam damit zu täuschend echten
Farnstrukturen – in einem Zwischenstadium natürlich, da die Natur nicht
beliebig viele Iterationen zu machen vermag, wie es prinzipiell der Computer
kann – wenngleich auch hier nur in der Idee und nicht faktisch. Wenn man
Millionen von Wiederholungen (Iterationen) hat, dann hat man eine sehr
beeindruckende Zahl von Selbstähnlichkeiten auf den verschiedenen Schichten der
Iterationen. Mit anderen Worten: die abstrakten Formen lassen sich ausnutzen,
um gleichsam "natürliche" optimale Lösungen der Strukturentwicklungen
nachzumodellieren. Und auch damit muss das ästhetische Nacherleben zusammen
hängen.
16 Ein künstlerisches Nebeneinander" mit vielen selbstähnlichen Formen, Mehrdeutigkeiten, dynamischen Spannungen, die auf mehreren Ebenen zu sehen, zu deuten sind, nennt Briggs (1993, 174) "Reflektapher": "Nicht nur Formen spiegeln sich selbstähnlich darin wider, sondern wie in der Metapher, auch eine Spannung von "ähnlichen und unterschiedlichen Ausdrucksformen. Diese reflektaphorische Spannung erschüttert unseren Verstand mit einer Mischung aus Verwunderung, Ehrfurcht, Verblüffung und der Empfindung unerwarteter Wahrheit oder Schönheit."
17 Pepper spricht von "basic analogy or root
metaphor" (1942, 91).
18 Kosslyn benutzt (zit. n. MacCormac 1988, 94) sogar das geistige Auge metaphorisch als eine "Bildröhre": MacCormac fragt: "Kann man eine Metapher benutzen, um einen Prozess zu beschreiben, auf dem die Gestaltung vieler Metaphern beruht?" (ebd. 94). Theorien über Metaphern seien oft metaphorisch und auf Verwendung von Metaphern angewiesen, aber dies bedeute nicht, dass aller Sprachgebrauch metaphorisch sei (1985, 56).
19 Sind etwa Wittgensteinsche "Sprachspiele" oder Spiele der Schematisierung, wie wir sie uns gleichsam in unseren Vorstellungen machen, also Schemaspiele, wie ich (1995) das in Verallgemeinerung der Wittgensteinschen Sprachspielkonzeption nenne, Kreativspiele? Oder repräsentieren sie wiederum eine weitere Form? Sie müssen ja nicht unbedingt kreativ, sondern können in der Regel äußerst konventionell sein. Wittgenstein sagt ja bekanntlich von seinem Ausdruck des "Spiels" (Philosophische Untersuchungen, § 71), dass dieser ein sehr vager Ausdruck sei, der offene Begrenzungen, verschwommene Ränder hat. Man kann sehr "Vieles" als "Spiel" bezeichnen - und es gibt keinen einheitlichen, durchgehenden Zug, meint Wittgenstein (ebd.). Um zuletzt anzuschließen an das, was im voran gehenden Kapitel diskutiert wurde: das Spiel an und mit den Grenzen des Chaos, der chaotischen Phänomene fehlt ebenfalls. Z. B. gerade auch angesichts der Diskussion darüber, ob fraktale Computergrafiken ästhetischen Wert haben, ob sie Kunst darstellen oder ob sich große Kunst fraktal- und chaostheoretisch (vollständig) erfassen lässt . "Chaosspiele" oder "Selbstorganisationsspiele" in diesem Sinne, Spiele an den Grenzen des Chaotischen, gehören vielleicht zu den Ordnungsspielen, sicherlich zählen sie aber nicht zum "Wettkampf", zu den "Zufallsspielen", zur mimicry oder zum Rauschhaften; also auch das Spielen am Rande des Chaos oder mit den Übergängen zum Chaos oder aus dem Chaos müsste man eigentlich noch als eine eigene Spielart anfügen.
20 Wobei, wie Kanitscheider (1994, 16, vgl. 1993, 189 ff., 196 ff.) ausführt, es gerade "der kreative Aspekt des Chaos (ist), der die höheren Lebensformen der Natur betrifft" und diese Erweiterung des Kreativitätskonzepts rechtfertigt.