6. Jg. , Heft 1 (September 2001)
___Anne Wiesner
Hamburg
Skate-City

Im folgenden Beitrag soll an Hand von städtischen Räumen, die man mehr oder weniger aus jeder Stadt kennt, das Zusammenspiel von Aussehen, Gestalt, Gebrauch und sozialer Wertung untersucht werden. Die Auswahl der Stadträume erfolgt durch den Blick des Skaters. Diesem Blick folgend, erfährt man einen anderen Ansatz von Raum, Form und Materialempfindung.

Obwohl die Skater nur einen kleinen Prozentsatz der Stadtbevölkerung ausmachen, kann einem dieser Blick auf die Stadt ungewohnte und spannende Perspektiven bieten, da die Skater mit den Gegebenheiten der Stadt auf eine ungewohnte Art und Weise umgehen. So wählen Skater ganz gezielt bestimmte Objekte im Raum aus, um mit Hilfe ihres Skateboards Form, Material und Oberflächenbeschaffenheit dieser Objekte zu erkunden. Gleichzeitig interpretieren sie diese Objekte so um, dass dies nichts mehr mit der ursprünglichen Nutzungsbestimmung zu tun hat. Treppengeländer dienen nicht mehr zum Festhalten, sondern sind dazu da, um mit dem Skateboard nach unten zu gleiten. Neben dem Umgang mit den einzelnen Raumelementen ist auch die Auswahl der Räume, wo geskatet wird, ungewöhnlich. Man trifft sie sowohl an Orten, die von vielen frequentiert werden, als auch an Orten, die sonst nicht so leicht das allgemeine Interesse geweckt hätten. Das Überraschende dabei ist, dass, auch wenn der gewählte Platz, die Straße oder der Hinterhof auf Anhieb keine ästhetische Komponente erkennen lassen, dies spätestens durch den Akt des Skatens entsteht.

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Stadterfahrung   Wenn hier von Skaten die Rede ist, ist immer das klassische Skateboard gemeint. Das Skateboard kann wie das Fahrrad, die Inlineskates oder das Kickboard als reines Fortbewegungsmittel benutzt werden. Der Skateboarder, um den es hier aber geht, macht mehr mit seinem Skateboard als sich von einem Ort zum anderen zu bewegen. Im Gegenteil eigentlich, er sucht sich ganz bewusst eine Stelle in der Stadt aus, den sogenannten Spot, um diesen mit seinem Skateboard zu erkunden. Dabei richtet er seine Aufmerksamkeit auf einzelne Objekte im Raum. Das können Geländer, Abstufungen Mauern, Bänke, Bordsteine, oder ähnliches sein. Die Stadterfahrung des Skaters ist eine ganz konkrete, da er Stadt in seiner Materialisation und Form in einer direkten und unmittelbaren  Art erfährt. Denn auf die Gegebenheiten der von ihm gewählten Objekte, wie Oberflächen, Übergänge und Höhenunterschiede muss er direkt reagieren, in dem er Schwung holt, gleitet, springt oder sich dreht. Dabei kommt es zu Verletzungen durch Berührungen und Stürze. Das Ganze ist riskant und der Skater wird sich immer wieder die Frage stellen müssen, wie viel er sich zutraut, wie viel er riskieren will, bzw. wie sicher er sich auf dem Skateboard fühlt. Dabei setzen der eigene Körper und das eigene Können im Endeffekt die Grenzen nicht die Architektur. So  findet man auch folgendes im Internet unter Bildsequenzen eines Skates geschrieben: ‘Die Bandbreite der Möglichkeiten auf einem Skateboard festzulegen, ist pauschal nicht möglich, da es nicht darum geht, was generell möglich ist, welche Höhen, extravaganten Terrains noch bezwungen werden können, sondern vielmehr wie weit ein Fahrer an seine Grenzen geht. ’Dabei bietet die Architektur der Stadt fast überall Gelegenheiten für den Skater diesen oder jenen Trick auszuprobieren. Das Monster Skateboard Magazin bezeichnet dies als Skateboardkompatibilität; der Skater Stacy Peralta formuliert dies wie folgt: ‘Skater können mit einem Minimum dessen leben, was draußen ist. Auf jedem Gelände. Für den Skater ist die Stadt nur eine Art Hardware seines Trips.’1 Bei seinem Trip konzentriert der Skater sich auf ein zwei Objekte im Raum, die er mit seinem Skateboard erkunden will. Dabei spielt die eigentliche Nutzung keine Rolle. Das Objekt wird so interpretiert, wie es zum Skaten passt. Eine ähnliche, individuelle Benutzung von Dingen hat de Certeau bei Charlie Chaplin beobachtet: ‘Auf diese Weise vervielfachte Charlie Chaplin die Möglichkeiten seines Spazierstocks : ‘mit der selben Sache machte er etwas anderes und überschritt somit die Grenzen, die von der Bestimmung des Gegenstandes für seinen Gebrauch festgelegt waren.’2 Genau so nimmt der Skater Elemente des architektonischen Raumes, ignoriert bestehende Sicherheitsvorstellungen, vorgesehene Nutzungen und Raumkonzeptionen. Das Objekt wird zu etwas Neuem, was nichts mit der eigentlichen Bestimmung zu tun hat. Durch das Beskaten öffentlicher Räume erhalten diese eine Wendung, die unerwartet kommt, da diese Form der Nutzung erstens nicht geplant war, zweitens oft nicht erlaubt ist und somit provokant sein kann und außerdem auch nicht von jedem nachgeahmt werden kann, da es vor allem eine sportliche Leistung ist.

Möglichkeiten   Aber nicht nur der Skater hat die Möglichkeit, sich öffentlichen Raum auf eine eigene Art und Weise anzueignen. Diese Möglichkeit haben alle anderen Stadtbewohner ebenso. Jeder kennt in seiner Stadt Orte, die belebt sind, gerne angenommen werden und solche, die leer und unbelebt sind. Dabei stehen bestimmte Möglichkeiten des Raumes bestimmten Bedürfnissen der Bewohner gegenüber. Das heißt also, dass der städtische Raum bestimmte Möglichkeiten bietet, die von dem Bewohner angenommen werden können. ‘Wenn es also zunächst richtig ist, dass die räumliche Ordnung eine Reihe von Möglichkeiten( z.B. durch einen Platz auf dem man sich bewegen kann) oder von Verboten (z.B. durch eine Mauer, die einen am Weitergehen hindert) enthält, dann aktualisiert der Gehende bestimmte dieser Möglichkeiten. Dadurch verhilft er Ihnen zur Existenz und verschafft Ihnen eine Erscheinung. Aber er verändert sie auch und erfindet neue Möglichkeiten, da er durch Abkürzungen, Umwege und Improvisationen auf seinem Weg bestimmte räumliche Elemente bevorzugen, verändern oder beiseite lassen kann.’ ‘Einige Orte verurteilt er dazu, brach zu liegen oder zu verschwinden, und mit anderen bildet er seltene, zufällige oder gar unzulässige räumliche Wendungen.’3 Diese Beschreibung von de Certeau aus seinem Buch ‘ Kunst des Handelns’ ist im Hinblick auf den Fußgänger entstanden. Doch kann sie gut auf den Skater und seinen Umgang mit Stadt übertragen werden. Bei seiner Wahl bestimmter Spots wird es immer wieder den Konflikt mit der öffentlichen Ordnung geben. Dort wo unterschiedliche Bedürfnisse zusammenkommen, wie z. B. bei öffentlichen Parkanlagen, führt Skaten leicht zum Ärgernis. Auf der anderen Seite werden städtische Räume, für die sich kaum jemand interessiert, durch das Skaten lebendig. Einfach dadurch, dass es jemanden gibt, der sich dafür interessiert und was mit, bzw. in diesem Raum macht, bekommt dieser Ort eine neue Lebendigkeit. Gerade an Orten, wo man zwar schon öfters vorbeigekommen ist, aber nie jemanden gesehen hat, wird man neugierig, stutzig, wenn es dann doch plötzlich jemanden gibt, der genau dort einer Tätigkeit nachgeht. Dadurch bekommt der Ort plötzlich eine Identitität. Denn so heißt es bei lain Burden: ‘Architektur wird gerade durch die Bewohner, die den städtischen Raum im Rahmen von verschiedenen Tätigkeiten erfahren lebendig und erneuert sich.’4

 

Kolding
An Hand einer Arbeit von Jakob Kolding will ich noch einmal etwas genauer auf die Räume in unserer Stadt eingehen, die oft trostlos und unbelebt daliegen, die aber Teil unserer Vorstädte sind. Jakob Kolding ist ein dänischer Künstler, der sich in seinen Arbeiten vor allem mit der Architektur unserer Vorstädte, dem Alltagsleben dort und der sozialen Dimension beschäftigt. Kolding ist in Albertslund, der Trabantenstadt von Kopenhagen aufgewachsen ist und hat so Vor - und Nachteile einer solchen Siedlung selber erfahren. In seinen Arbeiten versucht er, sich kritisch mit dieser Architektur und allem was dazugehört auseinander zu setzen, ohne zu glorifizieren oder zu verurteilen. Eine wichtige Rolle spielt dabei für ihn die Aneignung von öffentlichem Raum. In seinen Collagen findet man immer wieder Graffiti sprühende Jugendliche, Fußballspieler, Skateboardfahrer oder arbeitende Hände von DJ’s. Also junge Leute, die etwas in dem oder mit dem sie umgebenden Raum machen.

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Die Arbeit, die wir hier sehen, trägt den Titel ‘Untitled 2000’. Sie besteht aus vier nebeneinander gestellten Papiercollagen. Darin sind am Modell arbeitende Architekten und Städteplaner zu sehen, die einer eher trist wirkenden Hochhaussiedlung gegenübergestellt werden. Gleichzeitig aber entspricht die rechteckige Form der Hochhäuser der Form der Skulptur, die auf dem ersten Blatt zu sehen ist, einer minimalistischen Skulptur von Robert Morris. Dazwischen immer von viel weißer Fläche umgeben und wesentlich kleiner als Planer und Architektur findet man seine Akteure. In diesem Fall sind die Hände der DJ’s und seine Turntabels zu sehen. Sogar die formale Entsprechung des Turntabels zu der Dachlandschaft wird herausgearbeitet. Mit seiner Arbeit  will er auf die Diskrepanz zwischen dem Geplanten, dem Gebauten und dem Alltag dort aufmerksam machen. Dabei scheinen ihm die Subkulturen, wie Skaten, das Spielen von elektronischer Musik und ähnliches ein möglicher Weg zu sein, sich mit der Immobilität der geplanten Vorstadt anzufreunden. Er scheint sich seine Akteure nach der Prämisse ausgesucht zu haben, dass sie ja zu ihrer Umgebung sagen und eine individuelle Form der Aneignung gefunden haben.

In der Arbeit von Kolding zeigt sich sehr schön, dass Skaten neben einer sportlichen Tätigkeit und Fähigkeit auch eine Möglichkeit ist, sich mit seiner Umgebung anzufreunden und zu identifizieren.

Hamburg
Auf der Suche nach Spots in Hamburg, wird man recht schnell auf den Jungfernstieg aufmerksam. Es ist ein stark frequentierter Platz im Zentrum der Stadt. Hier trifft man neben Hamburgern und Touristen auch regelmäßig Skateboardfahrer an. Auf einem ebenen, sehr langgestreckten Platz, haben sie genug Fläche um Anlauf nehmen zu können und um dann über selbst gestellte Hindernisse, wie Kisten oder sonstiges zu springen. Hier sind die räumlichen Gegebenheiten nicht für komplizierte Tricks bestimmt. Vielmehr ist es ein Spot, der schon seit langem ein Treffpunkt für Skater ist, ein Ort, wo man skatet, sehen und gesehen wird und mit Gleichgesinnten zusammen ist.

 

Bild 3

Ganz in der Nähe vom Jungfernstieg befindet sich ein weiterer Spot: die neue Kunsthalle von Oswald Matthias Ungers. Diese Kunsthalle steht auf einem abgeschrägten, recht massiv wirkenden Sockel, der dem Besucher, der von der Straße her kommt, eher abweisend entgegentritt. Erst wenn man den Sockel über die Treppe erklommen hat, präsentiert sie sich offen und einladend. Für den Skater dagegen stellt die Schräge eine Qualität dar. Doch ist dies schon ein gewagterer Spot, da hier die Mauern eines Museums beskatet werden, einer Kulturstätte, was sicher nicht auf allgemeine Zustimmung trifft.

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Doch nicht alle Spots liegen so zentral, wie die beiden ersten. Oft handelt es sich eher um ruhige, abgelegenere Orte. Die City Nord ist ein solcher ruhigerer Ort, zumindest außerhalb der üblichen Bürozeiten. Sie liegt im Norden der Stadt und wurde als reines Büroviertel geplant und gebaut. Ein Bürokomplex ist hier neben den anderen gestellt, wobei jede Durchmischung mit anderen Funktionen fehlt. So ist dieses Viertel am Wochenende und am Abend leer und für die meisten unattraktiv. Doch gibt es genug aufwendig gestaltete Außenanlagen, Treppen und Rampen, die ideal sind für den Skater, diesen oder jenen Trick auszuprobieren.

Bild 5

 

 

Ein weiterer Spot liegt in Wilhelmsburg, einem Vorort von Hamburg. Hier gibt es eine Schule, die unter Skatern für ihren Schulhof bekannt ist. Der Schulhof besteht aus einer ebenen Fläche, die durch konvex gekrümmte Wände, die ca. zwei Meter hoch sind, begrenzt wird. Diese Form ähnelt einer Halfpipe und ist damit natürlich ideal zum Skaten. Interessant dabei ist, dass Wilhelmsburg ein Problemviertel von Hamburg ist und damit von vielen Stadtbewohnern eher gemieden wird. Für diese konvex gekrümmten Flächen kommen aber nicht nur Jugendliche hier her, die hier zur Schule gehen oder hier wohnen, sondern auch Skater aus anderen Vierteln.

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Resümee

Jeder kennt aus seiner eigenen Stadt Orte, die von Skatern befahren werden. Grundsätzlich gilt, dass Architekten und Städteplaner eine Grundstruktur zur Verfügung stellen, die unterschiedliche Nutzungen ermöglicht. Aber erst durch die Nutzung und vor allem durch die unterschiedliche Nutzung wird diese Architektur lebendig. Im Beskaten von städtischen Räumen zeigen sich unterschiedliche Aspekte einer lebendigen Architektur. Zum einen stellen die Skater die gängige Vorstellung, wie öffentliche Räume zu nutzen sind in Frage, da sie diese Vorstellung oft ignorieren. Auf der anderen Seite schaffen Skater es aber, Räumen, denen wir kein großes Interesse entgegenbringen, die wir vielleicht nur vom Durchfahren kennen oder auch solche, die wir nach Möglichkeit meiden, eine Identität zu geben. Für den Skater aber ist es in erster Linie eine sportliche Tätigkeit, die gleichzeitig eine Möglichkeit bietet, sich öffentlichen Raum anzueignen und sich so mit seiner Umgebung zu identifizieren.

 

 

1           Iain Burden, ‘Sprechende Architektur, Bauwelt 30-31 2000, S. 54

2           Michel de Certeau, ‘Kunst des Handelns’, Merve Verlag Berlin 1988, S. 190

3           Michel de Certeau, ebenda, S. 190f

4           Iain Burden, ebenda, S. 57

 

 

 

Bildnachweis:

Bild 1:              Monster Skateboard Magazin 168     8/2000

Bild 2:              Kunstverein in Hamburg, ’Jakob Kolding’, Hamburg 2001, Ausstellungskatalog

Bild 3-6:            Bilder aus dem Video: Rollen Aller, Hamburg 1999

 

 

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