Zur Sprache bringen
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7. Jg., Heft 2 (Januar 2003) |
___Holger Pump-Uhlmann Braunschweig |
Architekturkritik - ein elitäres Ereignis? |
Zugegeben,
der Titel meines Vortrages ist fragwürdig. Kann eine Kritik überhaupt einen
Ereignischarakter besitzen? Ist es nicht ein unsinniges Ansinnen, Kritik für
unterschiedliche Bildungsniveaus zu unterscheiden? Zwei Dinge möchte ich im
Rahmen dieser ‚Kritik der Architekturkritik‘ problematisieren: zum einen die
Zielgruppe der Architekturkritik, zum anderen die Frage ihrer
gesellschaftlichen Relevanz.
Die Architektur
unserer Städte und Zwischenstädte bietet ein umfassendes Abbild unserer
bundesrepublikanischen Gesellschaft. Dennoch wird die Architektur in der
öffentlichen Meinung primär als Bauen im Sinne eines technischen Prozesses
verstanden. Die kulturelle und soziale Bedeutung von Architektur hat nur einen
untergeordneten Stellenwert. Architekten üben immer weniger Einfluss auf die
gebaute Umwelt aus. Techniker, Kaufleute und Verwaltungsspezialisten dagegen
immer mehr. Auch im staatlichen Denken und Handeln spielt Architekturpolitik
als Bestandteil von Kulturpolitik kaum eine Rolle.[1] Das
für Architektur und Städtebau in Deutschland zuständige Ressort fühlte sich
bislang in erster Linie für Verkehrsplanung zuständig. Die Reihenfolge Verkehr,
Bau- und Wohnungswesen innerhalb der Namensnennung des Ministeriums war sicherlich
kein Zufall. Das künftige (Auf)-Bauministerium wird unter Manfred Stolpe ebenso
wichtiges wie notwendiges wirtschaftspolitisches Krisenmanagement leisten. Ob
deshalb die Architekturpolitik sich ändert, darf jedoch bezweifelt werden.
In den
Massenmedien ist von Architektur meist nur dann die Rede, wenn es um Pleiten
oder Pannen geht ("Schürmann-Bau", "Knickei
von Halstenbek" etc.). Event-Architekturen (Expo
Hannover, "Autostadt Wolfsburg") bilden den anderen Brennpunkt
öffentlichen Interesses. Dabei ist Architektur die wirkungsmächtigste Gattung
aller Künste. Dennoch wird hierzulande kaum über sie öffentlich gestritten. Die
Architekturkritik ist eine Domäne der Fachzeitschriften und der Feuilletons
weniger überregionaler Tageszeitungen. Die Leserschaft ist sehr begrenzt. Dem
gesellschaftlich bedeutendsten Massenmedium – dem Fernsehen – gilt Architektur
eher als Quotenkiller. Worin liegt die Diskrepanz zwischen der Wirkungsmacht
von Architektur und dem mangelnden öffentlichen Interesse an Architektur? Wo
doch in ihrer Bedeutung für das Alltagsleben weit weniger dominante Produkte
einer stärkeren öffentlichen Kritik
ausgesetzt sind: Ein Buch, das nicht gefällt, legt man beiseite, ein Bild hängt
man von der Wand. Mit einem realisierten Bauwerk oder einer ganzen Stadt
dagegen müssen Menschen permanent leben. Architektur bildet nun mal die Kulisse
des Lebens. Dennoch gewinnt man den Eindruck, dass eine gut gestaltete und
geplante Umwelt hierzulande nicht als bedenkenswert empfunden wird.
Architektur: eine unverständliche Sprache?
Wenn Architektur
über eine Sprache verfügt, so wird diese offensichtlich von der breiten Masse
nicht verstanden. Hierin liegt das eigentliche Dilemma der Architektur: sie
dient der Massengesellschaft, ist aber selten allen verständlich. Das Streben
nach Allgemeinverständlichkeit in der Architektur führt leicht dazu, dass sie
in das Triviale abgleitet. Die ungleiche Verständlichkeit (nicht nur in der
Architektur) ist eine zwangsläufige Folge kultureller Unterschiede und vor
allem des unterschiedlichen architektonischen Bildungsniveaus. Die Postmoderne
hat in Form einer Doppelcodierung eine Mixtur aus Umgangssprache und so
genannter ‚gehobener Sprache‘, ein Gestaltungsprinzip angewandt, das allen
verständlich zu sein hoffte: einer breiten Masse wie einer gebildeten Elite.
Aber auch
von Teilen der angesprochenen Elite wurde manchmal nur der triviale Teil der
Codierung verstanden und als gestalterisches Leitbild aufgegriffen. Muss man
denn Architektur erst lernen, um sie zu begreifen und mit ihr leben zu können?
Wie können Sprachvermögen und Sprachverständnis in der Architektur gefördert
werden, um solch eine Entwicklung zu vermeiden?
Kann die kulturelle
Aufgabe gesteigerten Umweltverständnisses und -interesses nur mit tief greifenden Eingriffen in das
Bildungssystem (Schulen, Kindergärten) funktionieren?[2]
In der Tat ist es
so, dass wir nur das sehen, was wir zu sehen gelernt haben.
Le
Corbusier hat deshalb ganz bewusst ein Kapitel seines provokanten und in
einfacher Sprache geschriebenen Werkes "Vers une
architecture' (1922) mit dem Titel „Augen, die nicht sehen“ überschrieben.
Als selbst ernanntem ,Elitemenschen' war ihm klar,
dass er bei seiner architektonischen Mission umfassende PR-Arbeit zu leisten
hatte, damit andere ihn verstehen konnten und sein Œuvre
entsprechend würdigten. Aller Agitation zum Trotz blieb die Moderne meist
unverstanden. Was den Architekten des Neuen Bauens als Befreiung von
historischem Stilballast galt, war für die
„einfachen“, „ungebildeten“ Menschen „bedeutungsfreie“ Architektur. Die
nüchterne Sachlichkeit bot wenig Signale für die Aneignung bzw.
Auseinandersetzung. Die Moderne erschien als Architektur von Architekten für
Architekten, obwohl etwas ganz anderes intendiert war.
Die Degradierung
der Fassaden zur reinen Hülle (nicht im Semperschen Sinn, der ja sehr wohl den
Inhalt eines Gebäudes im geistig-ideellen Sinn auszudrücken suchte) spiegeln
für viele ‚einfache‘ Leute blankes Desinteresse an den Bewohnern des
öffentlichen Raumes wider. Traditionelle Architekturen und Stadtbilder zeigten
in ihrer Positionierung dagegen sehr wohl, dass der Betrachter in das entwerferische Kalkül einbezogen wurde. Der Mensch wurde
nicht nur als Nutzer, sondern auch als sehendes und wahrnehmendes Wesen
geachtet.[3]
Die
dialektische Aufgabe der Architektur oder warum die Architekturkritik ins Leere
läuft
Umberto Eco
definiert in seiner semiotischen Deutung der Architektur zwei zentrale
Aufgaben. Er unterscheidet zwischen Architektur als Dienstleistung und
Architektur als Kunst. „Die
Dienstleistung habe - im marktwirtschaftlichen
Sinn - eine vorgegebene Nachfrage möglichst genau zu befriedigen.“[4] Die Kunst jedoch habe etwas Neues,
Schöpferisches zu liefern; etwas, worauf die Nutzer noch gar nicht gefasst seien.
Nach Eco ist das Neue jedoch nicht verständlich, wenn es völlig
unabhängig von dem Bekannten und Bestehenden sei. Deshalb stellt das Bekannte
die Verbindung für das Verständnis des Neuen im Bewusstsein des Betrachters
her. Dies ist der Grund, warum die Kontextualität der
Architektur so wichtig ist: kulturell, sozial und topographisch.
Welche Rolle spielt
in diesem Zusammenhang die Architekturkritik innerhalb der Öffentlichkeit? Die
Architekturkritik, die ich kenne, bezieht sich zumeist auf die Architektur als
Kunst. Vielleicht liegt dieser Umstand an meiner begrenzten Wahrnehmung. Ich
stelle jedoch immer wieder mit Erstaunen fest, dass der Gebrauchswert
(Alltagswert) von Architektur so gut wie überhaupt nicht zur Debatte steht.
Kein Gebäude, kein Raum wird kritisch betrachtet, wenn die ersten
Gebrauchsspuren und -erfahrungen gemacht wurden. Das
Leben und damit der Mensch scheint nicht Gegenstand der Betrachtung zu sein.
Die einzig lobenswerte Ausnahme bildet - meines beschränkten Wissens - die Jury
des Deutschen Städtebaupreises unter der bisherigen Leitung von Ulrich Conrads,
die ganz bewusst Projekte erst dann beurteilt, wenn sie schon einige Zeit dem
menschlichen Gebrauch übereignet wurden. Die Beobachtung menschlichen Lebens
ist hier sozusagen Jurypflicht. Auch Winfried Dechaus Rubrik "in die Jahre gekommen" möchte
ich an dieser Stelle als positives Beispiel nicht unerwähnt lassen.
Wie die
innovative Architektur für die breite Masse kaum verständlich ist, so sind es
auch die im besten Falle schön und intelligent geschriebenen, kritisch
wertenden und fachliche Diskussionen fördernden Beiträge der
Architekturkritiker. Diese Beiträge werden ausschließlich von fachlich
Interessierten wahrgenommen. Und dies sind nur wenige der 112.000 Architekten
und ein paar Architektur-begeisterte Bürger.
Unbestritten hat
Architekturkritik eine wichtige öffentliche Funktion, aber im Bewusstsein der
Bevölkerung ist sie nicht verankert. Deshalb kann sie auch kaum
gesellschaftlichen Einfluss haben. Auch wenn viele Architekten es anders sehen,
selten entzündet sich eine Debatte schon im Planungsstadium eines Bauwerks.
Dies ist ausschließlich bei so genannten Prestigeobjekten der Fall. Erst das
fertige Bauwerk, das dann nicht mehr verhindert werden kann, wird in der Kritik
thematisiert. Bebauungspläne oder Flächennutzungspläne sind schon gar nicht der
kritischen Betrachtung ausgesetzt.[5] Die
Privatisierung der Stadt verläuft weiterhin unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Aufgaben der Kritik und ihre gesellschaftliche Relevanz
Kritik hat eine
ethische Verantwortung. Maßstab kann nicht eine sich selbst genügende Ästhetik
sein, sondern muss auch den sozialen Alltag beinhalten. Wenn die Kritik diesem Aufgabenfeld nur
unzureichend genügt und sowieso nur eine kleine Zielgruppe erreicht, muss ihre
Wirkung begrenzt bleiben.
Neben der
ethischen Verantwortung hat die Kritik aber auch eine erzieherische (aufklärerische) Aufgabe zu übernehmen: Kritik sollte auch
Entwurfsgedanken, komplexe Zusammenhänge wie widersprüchliche Interessen, die zur
Entstehung von Architektur beigetragen haben, einem Publikum vermitteln können.
Wer erfüllt diese Aufgabe? Gibt es überhaupt eine Lobby für diesen
Bereich?
Unterstellt, dass
die Fachzeitschriften und Feuilletons der großen Zeitungen nur einen kleinen Personenkreis,
nämlich einige Fachleute und Teile des aussterbenden Bildungsbürgertums
erreichen, so bedeutet dies, dass Architektur hierzulande ein Thema einer Elite
bleibt. Von Architektur als „Volkssport" ist man in Deutschland im
Gegensatz zu einigen europäischen Nachbarländern meilenweit entfernt. Eine
Verfassungsänderung wie in Finnland, die das Recht auf eine gut gebaute Umwelt
einführt, oder die Institutionalisierung eines Reichsbaumeisters in Holland als
nationaler Advokat für die Architektur scheint hierzulande undenkbar.
Das
Architekturverständnis von Laien, Nutzern und Finanziers wird weiterhin geprägt
durch Bausparblätter und Werbebroschüren der Fertighaushersteller und
Produktanbieter. Was dort in einer unübersehbaren Fülle im Hochglanzformat einer
breiten Öffentlichkeit als „gute Architektur“ angepriesen wird, bestimmt den
Maßstab der architektonischen Qualität in unserem Land. Der Allgemeinheit und
leider auch viel zu vielen Architekten werden architektonische Vorbilder
suggeriert, die einzig und allein dem Profitstreben der Wirtschaft nützen.
Deshalb verwundert es auch nicht, dass Architekturvermittlung nicht im
Feuilleton, sondern im Immobilienteil der Tageszeitungen zu finden ist. Neben
den erwähnten Bausparblättern und Werbebroschüren wird dort der Bedarf für
weitere Zersiedelung geweckt, Geschmäcklerisches zu Markte getragen und ein
ganzer Berufsstand beerdigt. Wann endlich erfolgt der Frontalangriff auf das
Baugeschehen in diesem Land? Was nutzt es, wenn nur ein winziger Bruchteil der
architektonischen Erzeugnisse für wert befunden wird, überhaupt einer Kritik
der Fachjournale unterzogen zu werden. Ist dann die Kritik an sich nicht schon
eine Art von Auszeichnung?
Wenn Architekturkritik wirklich
gesellschaftlich relevant sein will, dann muss auch der No-name-Architektur
verstärkte Aufmerksamkeit geschenkt werden. Nur wenn es gelingt,
Alltagsarchitektur (neben den herausragenden Projekten) in den Massenmedien zu
kritisieren, wird man der erzieherischen Aufgabe der Architekturkritik gerecht.
Deshalb plädiere ich für mehr Architekturkritik in allen Medien und zwar in
Form eines 2-Schalen-Modells. Zum einen sollte man die Kritik in den
Fachblättern und Feuilletons für eine fachliche Elite unter stärkerer
Berücksichtigung des Alltagswertes beibehalten. Nur müssten die Kritiker besser
entlohnt werden, um ihre Unabhängigkeit zu wahren bzw. zu erlangen, evtl. als
unabhängige staatliche Institution. Zum anderen brauchen wir Mittler, die einer
breiten Öffentlichkeit den kulturellen Wert von Architektur und Städtebau näher
bringen. Vor allem würde hiervon die Architektenschaft
profitieren. Ob Lobeshymne oder Verriss: die Kritiker leisten immer noch die
beste PR-Arbeit der Architekten.
[1] Nur knapp 10 % aller Bauvorhaben sind öffentliche Bauten. Die Tendenz ist weiter fallend. Die „Initiative Baukultur“ verdeutlicht das schlechte Gewissen des Staates, in diesem Sektor zu wenig zu leisten.
[2] Nebenbei bemerkt: Dies wäre eine wunderbare Vision für die über 80 Ausbildungsstätten in Deutschland, an denen Architektur, Städtebau und Landschaftsplanung gelehrt wird. Ihre Aufgabe wäre nicht allein die Ausbildung des architektonischen Nachwuchses, sondern auch die kulturelle Vermittlung von Architektur für eine breite Masse. Nachwuchsängste würde bei den Lehrenden trotz der gegenwärtigen Krise des Berufsstandes nicht mehr aufkeimen.
[3] Kücker, Wilhelm: Die
verlorene Unschuld der Architektur. Aufsätze und Reden. 1980 bis 1987.
Braunschweig/Wiesbaden 1989, S. 51 (Bauwerk Fundamente Bd. 84).
[4] Eco, Umberto: zitiert nach: ebenda, S. 53.
[5] Kähler, Gert: Oberlehrer überall. In: