Gebaute Räume
Zur kulturellen Formung von Architektur und Stadt

9. Jg., Heft 1
November 2004
   

 

___Cornelia Jöchner
Cottbus
& ___Kirsten Wagner
Berlin
  Editorial

 

   

Die Tagung „Gebaute Räume. Zur kulturellen Formung von Architektur und Stadt“, deren Beiträge hier versammelt sind, ist gemeinsam vom Lehrstuhl Theorie der Architektur der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus und dem Kulturwissenschaftlichen Seminar der Humboldt-Universität zu Berlin ausgerichtet worden. Hinter dieser Kooperation steht die grundsätzliche Einsicht, dass gebauter Raum gleichzeitig Produkt und Determinante kultureller Prozesse ist. Im Unterschied zu anderen, beispielsweise darstellenden Medien, bildet die Architektur ihre Räume durch bauliche Körper, die in ihrer Gestaltetheit und Materialität unmittelbar in das menschliche Leben eingreifen, es formen. Architektur und Stadt sind also nicht nur eingebunden in die symbolischen Ordnungen und sozialen Praktiken einer Kultur, sie gestalten und reproduzieren diese auf ihre eigene Weise aktiv mit. Gebaute Räume sind damit als symbolische Räume zu begreifen, die sich im sozialen Vollzug realisieren. In anthropologischer Hinsicht bedeutet dies, dass gebaute Räume die Wahrnehmung, Bewegung und Handlung sowohl voraussetzen als auch organisieren. Hierbei wirken die Gestaltung und der Zweck der Architektur zusammen: gebaute Räume entstehen durch Handeln und bringen dieses hervor.

Für ein solches Verständnis von Architektur und Stadt liegen in beiden Disziplinen, der Architektur und der Kulturwissenschaft, hinreichend wissenschaftliche Traditionen vor, die angesichts der gegenwärtig zu beobachtenden räumlichen Verwerfungen an Aktualität gewonnen haben. Der Zusammenbruch der politischen Systeme als Effekt der Globalisierung, die Virtualisierung durch die elektronische Kommunikation sowie die Beschleunigung des Transport- und Produktionswesens haben zu einer grundlegenden Veränderung der Raum-Zeit-Wahrnehmung geführt. Für den gebauten Raum lassen sich ähnlich radikale Veränderungen ausmachen. Sie zeigen sich in einer zunehmenden Entgrenzung, Fragmentierung und Pluralisierung architektonischer und urbaner Räume. Auch hier greifen die hergebrachten statischen Konzepte des Raumes und des Ortes nur noch partiell. Weder beschreiben sie die aktuellen Phänomene in angemessener Form, noch dienen sie im gestalterischen Entwurfs- und Planungsprozess, adäquat auf die neuen räumlichen Herausforderungen an Architektur und Stadt – wie den ‘urban sprawl’, die ‘Schrumpfung’ der Stadt oder die Privatisierung öffentlicher Räume – zu reagieren.

Eine kritische Revision der wissenschaftlichen Traditionen in der Architektur und Kulturwissenschaft kann in diesem Zusammenhang zur Entwicklung dynamischer Konzepte des Raumes und des Ortes beitragen, welche die symbolischen und anthropologischen Dimensionen von Architektur und Stadt mit einbeziehen. Diese Problem- und Aufgabenstellung beschreibt zugleich den konkreten Anlass der gemeinsamen Tagung. Der Schaffung und Wirkungsweise von gebauten Räumen sollte mit den verschiedenen Ansätzen und Forschungsinstrumentarien, die den beiden Disziplinen zur Verfügung stehen, nachgegangen werden. Daraus haben sich nicht nur Anschlussmöglichkeiten an die jeweils andere Disziplin ergeben. Gleich mehrere Beiträge zeigen hier, inwieweit auch die zum Teil verschütteten Traditionen räumlicher Konzeptbildung anschlussfähig sind und konstruktiv mit aktuellen Theorieangeboten verknüpft werden können. Die Tragfähigkeit der entsprechenden Thesen hat sich dabei notwendig am gebauten Raum, dem materiellen, sinnlich gegebenen Gegenstand architektonischer und kulturtheoretischer Reflexion, zu bewähren.

Zusammenfassend hat die Tagung vier zentrale Problemfelder ergeben:
1.) Die Räumlichkeit des Leibes, die sich im Bauen und Wohnen äußert;
2.) Bewegung als Bedingung der Erfahrung von Architektur;
3.) das Verhältnis von Architektur und Medien;
4.) die Frage von Innen und Außen, die eine gesellschaftliche Scheidung von Privatheit und Öffentlichkeit ermöglicht, aber nicht mit ihr identisch sein muss.

Die lebhaften Diskussionen der Tagung legen den Schluss nahe, dass es nach einer ersten Bilanz der Forschungsressourcen darum gehen wird, weiterführende Fragen zu entwickeln, die sich nur aus der Architektur und Stadt selbst und den Prozessen ihrer kulturellen Formung ergeben können. Anders gesagt, geht es um eine Heuristik, mit der der gebaute Raum umfassender als bisher als ein Verhältnis erkannt wird, in „in das sich“, wie Ernst Cassirer es einmal formuliert hat, „der Mensch zur Welt setzt“. Die Rede über das Räumliche steht also erst am Anfang.

     

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9. Jg., Heft 1
November 2004