Gebaute Räume
Zur kulturellen Formung von Architektur und Stadt

9. Jg., Heft 1
November 2004
   

 

___Kirsten Wagner
Berlin
  Vom Leib zum Raum.
Aspekte der Raumdiskussion in der Architektur aus kulturwissenschaftlicher Perspektive

 

   

1.         Der architektonische Raum als interdisziplinärer Diskussionsgegenstand von Kulturwissenschaft und Architektur

Die Aktualität des Raumes in nahezu allen sozial- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen ist auf eine Transformation der Raum-Zeit-Wahrnehmung zurückzuführen, für die vor allem die neuen Kommunikations- und Informationstechnologien verantwortlich zeichnen. Die erneute Auseinandersetzung mit dem Raum setzt jedoch schon früher ein. Michel Foucault ging bereits in den 1960er Jahren davon aus[1], dass es der Raum bzw. räumliche Ordnungen sind, die eine Gesellschaft kennzeichnen wie prägen. Zugleich stellte er die These auf, dass der Raum als dieses Ordnungsmodell das vorgängige Ordnungsmodell der Geschichte ablösen werde: „Die große Obsession des 19. Jahrhunderts ist bekanntlich die Geschichte gewesen (...). Hingegen wäre die aktuelle Epoche eher die Epoche des Raumes. Wir sind in der Epoche des Simultanen, wir sind in der Epoche der Juxtaposition, in der Epoche des Nahen und des Fernen, des Nebeneinander, des Auseinander.[2] Von der Geschichtswissenschaft inzwischen selbst anerkannt, vollzieht sich Geschichte nicht mehr nur in der Zeit, geht also weit über eine chronologische Folge historischer Begebenheiten hinaus. Vielmehr ereignet sie sich in einem von Menschen gestalteten Raum, d. h. auch einem architektonisch gestalteten Raum, der somit als elementare Bedingung von Sozial- und Kulturgeschichte erscheint[3]. Foucaults Betonung der räumlichen Ordnung sozialer Verhältnisse ist dabei im weitesten Sinne auf den Strukturalismus zu beziehen, der ein Phänomen – wie exemplarisch das der Sprache – nicht mehr diachron, in seiner zeitlichen Entwicklung systematisch zu erfassen versuchte, sondern im synchronen, räumlichen Nebeneinander seiner Elemente. In Korrespondenz dazu führte Foucault den Raum als eine Konfiguration ein, als eine „Gemengelage von Beziehungen, die Plazierungen definieren[4],[5].

Über den Strukturalismus hinaus bezog Foucault seinerzeit auch den phänomenologischen Zugang zum Raum mit ein. Dieser ist in Abgrenzung zum klassischen Raumbegriff der Naturwissenschaften von wenigstens zwei Grundannahmen getragen. Zunächst stellt der Raum für die Phänomenologie nichts Gegebenes und Statisches dar. Er ist nicht der neutrale Behälter, als der er von der Mathematik und Physik eingeführt worden ist. Raum ist stets auf ein leibliches Subjekt verwiesen, in und durch dessen Bewegungen, Handlungen und Wahrnehmungen räumliche Erfahrung und damit Raum überhaupt erst entsteht. Daneben hat die Phänomenologie – im Anschluss an Ernst Cassirer[6] – gezeigt, dass Raum eine relationale Anordnung bedeutungstragender, qualitativer Orte beschreibt[7]. Während Cassirer jedoch noch entwicklungsgeschichtlich argumentierte und entsprechend voraussetzte, dass im Zuge fortschreitender Rationalisierung die bedeutungstragenden Orte einer ursprünglich mythischen Geografie zunehmend neutralisiert worden seien, um schließlich in den abstrakten Raumpunkten der Mathematik aufzugehen, verdeutlichten einzelne Phänomenologen und später Foucault[8], dass selbst in säkularisierten, hoch-technisierten Gesellschaften sowohl individuell als auch kollektiv bedeutsame Orte das soziale Leben organisieren[9]. Dies ist parallel von den Forschungen zum kulturellen Gedächtnis herausgestellt worden, angefangen bei den räumlichen Rahmen des sozialen Gedächtnisses[10] bis hin zu den nationalstaatliche wie religiöse Identität verkörpernden Gedächtnisorten.

In der aktuellen Raumdiskussion haben beide Aspekte, der des bedeutsamen Ortes und der des Leibes bzw. des handelnden Subjektes als Voraussetzung von Räumlichkeit, an Aufmerksamkeit gewonnen. Auch die gegenwärtige Auseinandersetzung mit dem Raum in der Architektur setzt erneut beim Ort und Leib an. Dabei kann die Architektur auf eigene theoretische Ansätze zurückgreifen, die das leibliche Subjekt bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert in den Mittelpunkt der Produktion und Rezeption des gebauten Raumes gestellt haben. Bezeichnenderweise erfahren diese Ansätze derzeit eine Konjunktur[11]. Zu ihnen gehören insbesondere die Schriften der als Architekturtheoretiker tätig werdenden Kunstwissenschaftler Heinrich Wölfflin[12] und August Schmarsow[13]. Tatsächlich bieten ihre Überlegungen mehrere Anschlüsse für eine Bestimmung nicht nur des architektonischen Raumes, sondern generell des Räumlichen, was sie auch aus kulturwissenschaftlicher Perspektive interessant werden lässt. Entsprechend sollen sie im zweiten Teil meines Beitrages näher betrachtet werden, wobei der Schwerpunkt auf dem körperlichen und axialen Leib als Begründungszusammenhang des architektonischen Raumes liegen wird.

Die Verbindungen zwischen der Architektur und der Kulturwissenschaft reichen indes weit über die aktuelle Raumdiskussion hinaus. Der architektonische Raum wie die Architektur insgesamt gehören einem elementaren Gegenstandsbereich von Kultur an. Architektur beschreibt eine materielle Setzung, die aus kulturellen Handlungen hervorgeht und diese zugleich prägt. Als diese materielle Setzung ist die Architektur Teil des dinglichen kulturellen Gedächtnisses, das Kontinuität, Geschichte und Identität stiftet. Darüber hinaus ist sie als symbolischer Ausdruck von Kultur zu begreifen und in dieser Hinsicht ebenso prägend wie der rein physische Baukörper in dem, was er an Handlungen ermöglicht bzw. verhindert.

Dass die Architektur zu den grundlegenden kulturellen Akten gehört, findet sich bereits in der einzigen überlieferten Architekturtheorie der Antike, den zehn Büchern über die Architektur von Vitruv[14]. So erwähnt Vitruv im zweiten Buch nicht allein Deinokrates, jenen herkulischen Architekten Alexander des Großen, der dem Berg Athos die Form einer männlichen Statue geben wollte und damit bereits auf die anthropomorphe Grundlegung der Architektur verweist. Er gibt dort ebenfalls den Ursprung der Gebäude wieder. Am Anfang steht bei Vitruv indes nicht die Urhütte, sondern das durch einen Blitz entfachte Feuer, um das sich die Menschen einst versammelt haben. Die so gebildete Gemeinschaft kommuniziert zunächst anhand von Gestik, Mimik und einfachen Lauten, aus denen sich allmählich eine konventionalisierte Sprache entwickelt. Durch Sprache und den aufrechten Gang gegenüber anderen Lebewesen ausgezeichnet, ist diese Gemeinschaft zugleich in der Lage, sich die Welt praktisch wie symbolisch anzueignen, sie ihren Bedürfnissen gemäß einzurichten. Als Teil dieser ‘Einrichtung des Seins’ auf der Erde entstehen die ersten Behausungen und Hütten, wobei die Menschen mit ihren Bauten anfangs die Natur nachahmen, künstliche Höhlen anlegen oder die Konstruktion und Materialien von Vogelnestern aufgreifen, um später – mit zunehmender praktischer Erfahrung, aber auch dank einer besonderen Erfindungskraft – komplexere Gebäude zu errichten. Über den kausalen Zusammenhang zwischen Feuer, Gemeinschaftsbildung, Sprache und Architektur weist schon Vitruv das Bauen als einen Kultur begründenden Akt aus.

Wenn sich die Kulturwissenschaften bisher mit der Architektur auseinander gesetzt haben, dann geschah dies vor allem auf der symbolischen, zeichenhaften Ebene. Der gebaute Raum wurde so primär als symbolischer Ausdruck und Repräsentation einer Gesellschaft, Epoche oder bestimmten religiösen sowie herrschaftspolitischen Idee gelesen. Mit der Wiederentdeckung der materiellen Grundlagen von Kultur seit den 1960er Jahren ist dann auch der gebaute Raum als eine materielle Setzung wieder in den Blick gekommen, in deren Ordnung sich zugleich die Ordnung der Gesellschaft manifestiert. In diesen verschiedenen Betrachtungsweisen von Architektur spiegeln sich die auch in der Architekturtheorie vorhandenen idealistischen bzw. materialistischen Ansätze, Architektur entweder von einem kulturhistorisch sich wandelnden Form- und Raumgefühl her zu interpretieren, in dem sich gleichsam ein epochaler Zeitgeist ausdrückt, oder diese auf ihre technisch-gegenständlichen Produktionsbedingungen und Funktionen zurückzuführen[15]. Mit der ‘performativen Wende’ in den Kulturwissenschaften in den 1980er Jahren[16] ist ein dritter möglicher Ansatz der Architektur- und Raumbetrachtung hinzugetreten, nämlich den gebauten Raum von den Praktiken seiner Produktion, seines Gebrauchs und seiner Rezeption her zu bestimmen[17]. Damit rücken die Handlungs-, Bewegungs- und Wahrnehmungsvollzüge von leiblichen Subjekten, in und mit denen Raum entsteht, in den Fokus der Betrachtung. Dieser Ansatz führt über die Phänomenologie auf die frühe Raumdiskussion in der Kunst- und Architekturtheorie zurück, der ein solches leibliches Subjekt zugrunde liegt.


2.         Die Entdeckung des Raumes in der Architektur- und Kunsttheorie

Historisch betrachtet ist es die noch junge Kunstwissenschaft, die den architektonischen Raum erstmals zu einem Reflexionsgegenstand machen wird. Was augenfällig erscheint, dass Architektur raumbildenden Charakters ist, musste in der Theorie zunächst einmal eingeholt werden. So stellte die Frage nach dem Raum in der Architekturtheorie bis weit in das 19. Jahrhundert hinein ein Desiderat dar:

Auf den ersten Blick mag es trivial erscheinen, den Raum als zentrales Moment des Architektonischen zu thematisieren, unterstellt das heutige Alltagsverständnis fast schon eine selbstverständliche Implikation des Räumlichen im Architektonischen. Die wissenschaftliche Literatur ist sich allerdings weitgehend einig in dem Urteil, dass die Kunstgeschichte und die Architekturtheorie des 19. Jahrhunderts die Kategorie des Raumes als selbständige entweder gar nicht kennen oder zumindest nicht als Leitkategorie einsetzen.[18]

Eine ähnliche Ausgangslage ist für die kunstgeschichtliche Theoriebildung zu verzeichnen. Dort herrschte ein auf die Perspektivkunst reduzierter Raumbegriff, und zwar Raum i. S. von Bild- oder Raumtiefe, der sich erst allmählich, unter dem Eindruck der Stilgeschichte und einer sich von der klassischen Nachahmungstheorie lösenden Kunstpraxis, zu einer eigenständigen ästhetischen Form- und Stilkategorie entwickelte[19]. Innerhalb der Kunstwissenschaft erfüllte der so erweiterte Raumbegriff zwei epistemologische Funktionen. Einerseits erlaubte er eine rein formale Bestimmung des Kunstwerkes, andererseits diente er dessen historischer Klassifikation, etwa wenn ein in allen Gattungen zum Ausdruck kommender ‘Raumstil’ als Charakteristikum einer Epoche und ihres ‘Raumgefühls’ gewertet wurde. Der architektonische Raumbegriff ist von diesen form- und stilanalytischen Ansätzen beeinflusst, wiewohl er in seiner anthropologischen, auf den Leib bezogenen Grundlegung weit darüber hinausgeht[20].

Jedenfalls begannen einzelne Kunstwissenschaftler im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts, die Architektur nicht mehr nur auf Grundlage der Vitruvianischen Prinzipien firmitas, utilitas und venustas zu beurteilen, sondern deren eigentliches Wesen im Raum bzw. in der Raumgestaltung zu ermitteln. Die Hinwendung zu einem Raum, der aus dem Inneren, aus dem Kern der Architektur entsteht, bedeutete dabei zugleich eine Abgrenzung von der Architektur als einer Fassadenkunst, wie sie für den Historismus kennzeichnend gewesen ist. Allen Kunstwissenschaftlern voran ist hier August Schmarsow zu benennen, der im Rahmen seiner ästhetischen Untersuchung der Architektur von dieser als einer „Raumgestalterin“ spricht. Aus der Baukunst wurde damit zugleich eine „Raumkunst[21]. Sowohl die Wahrnehmungspsychologie als auch die Einfühlungsästhetik des 19. Jahrhunderts hatten diesen neuen Ansatz begünstigt[22]. Denn über sie wurde es möglich, das wahrnehmende Leib-Subjekt als konstitutiven Faktor der Kunst- und Architekturbetrachtung herauszustellen und so auch zu einem anthropologischen Raumbegriff zu kommen.

 

2.1        Die Einfühlungsästhetik: Raumwahrnehmung als Leibempfindung


Die Einfühlungsästhetik[23] ist in unmittelbarer Auseinandersetzung mit der ästhetischen Symboltheorie entstanden, insbesondere derjenigen Friedrich Theodor Vischers[24]. Der eigentliche Begriff der Einfühlung wurde dabei von Robert Vischer[25], dem Sohn von Friedrich Theodor Vischer, eingeführt und erhielt mit den Schriften Theodor Lipps und Johannes Volkelts weitere Systematisierung. Unter Einfühlung ist in freier Definition von Lipps zu verstehen, dass es keine objektiv gegebene Wirklichkeit dem Betrachter gegenüber gibt, sondern dass Wirklichkeit immer nur für den Betrachter bzw. das „auffassende Subjekt“ da ist, das sich in seine Umgebung hineinversetzt[26]. Nicht den Dingen selbst kommen bestimmte Verhaltensweisen und emotionale Qualitäten zu, es ist das Subjekt, das ihnen diese Eigenschaften zuschreibt, indem es seine eigenen Körper-, Tätigkeits- und Stimmungsgefühle unwillkürlich auf die Dinge überträgt.

Um es an einem Beispiel der Architektur zu sagen, haben wir es weniger mit ‘fließenden Räumen’ zu tun, dafür mit Räumen, die der real wie in der Vorstellung vollzogenen Bewegung des Betrachters keine Grenze auferlegen. Mit seinen eigenen Untersuchungen zu den „ästhetischen Faktoren der Raumanschauung[27] wollte Lipps denn auch zeigen, inwieweit die Wahrnehmung von geometrischen Gestalten über das Registrieren optischer Tatsachen hinaus von „Erfahrung“ geleitet ist, wobei Erfahrung hier genau die Körper-, Tätigkeits- und Stimmungsgefühle meint, die im Prozess der Wahrnehmung am Gegenstand wirksam werden. So nehmen wir an einem Gegenstand, eben auch an einem Baukörper, tätige Kräfte des Emporstrebens und Sichaufrichtens, des Sichbiegens und -anschmiegens, des Sichzusammenziehens und -ausdehnens wahr, deren Ursprung in der eigenen Leiblichkeit zu suchen wäre. Johannes Volkelt hat diesen Befund dahingehend erweitert, dass „die Raumgebilde nicht nur nach ihren geometrischen Eigenschaften, sondern auch nach ihrem stofflichen Aussehen zu körperlichem Miterleben auffordern[28]. Während die Form eines Baukörpers vor allem Bewegungs- und Tätigkeitsgefühle ansprechen soll, werden von dessen Materialität Tast- und Druckempfindungen angeregt. Architektur- und Raumwahrnehmung basieren damit auf den Empfindungen des Leibes, die im Wahrnehmungsvollzug mit- wie nacherlebt werden. Dieses Mit- und Nacherleben leiblicher Empfindungen findet vor allem in der Vorstellung statt, kann aber unmittelbar auch zu körperlichen Reaktionen führen.

Wenn der an Kants Erkenntnistheorie orientierte Einfühlungsbegriff auch nahe legt, dass Wirklichkeit lediglich eine Konstruktion des wahrnehmenden Subjektes beschreibt, dann hat Theodor Lipps gleichwohl gesehen, dass den Dingen eine eigene Realität zukommt, die sich jedweder Konstruktion entzieht: „Jeder Gegenstand, auch derjenige, den ich ‘schaffe’, ist der, der er ist und macht sein eigenes Recht mir gegenüber geltend. Er fordert als der anerkannt zu werden, der er ist.[29] Wahrnehmung stellt sich demnach als eine Beziehung zwischen dem wahrnehmenden Subjekt und dem wahrgenommenen Objekt dar[30], wie dies auch von der Phänomenologie herausgestrichen worden ist. Mit Bezug auf den Raum als Wahrnehmungsgegenstand kann Otto Friedrich Bollnow entsprechend festhalten, dass dieser ein „Mittleres“ sei, weder nur ein „bloß subjektiver Entwurf“ noch ein „subjekt-unabhängiger ´Behälter`.[31] Die Wahrnehmung eines Gebäudes spielt sich also zwischen dem ab, was die Betrachter an Handlungen in dem Gebäude ausführen und mit welchen Stimmungen sie dieses betreten, und dem Gebäude selbst, das in seiner Materialität die Wahrnehmungs- und Handlungsvollzüge prädisponiert.

Mit der Einfühlungsästhetik sind zwei weitere Annahmen verbunden, die hier kurz als die ‘Beseelungsthese’[32] und die ‘Symbolisierungsthese’ bezeichnet werden sollen. Geteilte Auffassung ist zum einen, dass mit der Übertragung der leiblichen Empfindungen das Gegenüber, sei dies auch anorganischer Natur, gleichsam beseelt und somit belebt werde[33]. Darüber verselbständigt sich der Wahrnehmungsgegenstand zu einem scheinbar autonomen Wesen. Findet dies im Rahmen der Gefühlsübertragung tatsächlich auch statt, so weiß doch das ästhetische Bewusstsein sehr wohl, dass es sich hierbei nur um eine Übertragung handelt. Im Gegensatz zum mythischen Bewusstsein archaischer Kulturen soll dem ästhetischen Bewusstsein des modernen Kulturmenschen der ‘als ob’-Status des beseelten Gegenübers gegenwärtig sein. Es ist sich im Klaren darüber, dass die Hausfassade mit ihren Fenstern und Türen keineswegs von menschlicher Physiognomie ist, sondern dieser lediglich ähnelt. Friedrich Theodor Vischer spricht in diesem Zusammenhang von einer „in der Täuschung sich erhaltenden Freiheit von der Täuschung“ und führt die entsprechende Bewusstseinsleistung als ein „Vorbehalten“ ein: „Der Akt der Seelenleihung (...) bleibt als naturnotwendiger Zug der Menschheit eigen, auch wenn sie längst dem Mythus entwachsen ist; nur jetzt mit dem, was wir Vorbehalt nennen[34].

Zum anderen ist die Einfühlungsästhetik immer auch eine Symboltheorie[35], weil sie anhand der Gefühlsübertragung im Prozess der Wahrnehmung zugleich erklärt, wie Bedeutung entsteht. Jeder Akt der Einfühlung ist ein Akt der Symbolisierung, insofern mit den Gefühlen und Stimmungen ein geistiger Gehalt auf eine – an sich neutrale – Form übertragen wird. Auf dem Hintergrund der eigenen Leiblichkeit soll ein Gebäude wie bspw. ein Turm oder Hochhaus nicht einfach als ein vertikaler Baukörper wahrgenommen werden, sondern als ein sich aufrichtender Baukörper, der sich gleich dem aufrecht stehenden Menschen aktiv der Schwerkraft widersetzt[36]. Damit vertritt der Turm eine tätige Kraft, die im weiteren, von Assoziationen begleiteten Symbolisierungsprozess Attribute etwa des Mächtigen und Siegreichen annimmt, während der Turm gleichzeitig zum Symbol dieser Attribute gerät und dergestalt für die Repräsentation entsprechender Herrschaftsansprüche eingesetzt werden kann.

Die sinnliche Wahrnehmung des gebauten Raumes stellt auf diese Weise eine „Quelle spontaner Symbolik“ dar, wie Rudolf Arnheim es in seiner Theorie über die „Dynamik der architektonischen Form“ nennen wird[37]. Nicht nur in der Architektur, auch in anderen Lebensbereichen bezeichnet der Leib einen Ursprung von Bedeutung: „
Die stärksten Symbole gehen auf die elementarsten Wahrnehmungsempfindungen zurück, denn sie betreffen die grundlegenden menschlichen Erfahrungen, auf die sich alle anderen reduzieren lassen[38]. Diese intersubjektiv und interkulturell geteilte „spontane Symbolik“ kann sich in verschiedenen historischen und kulturellen Kontexten zu jeweils eigenen Bedeutungen verfestigen. Arnheim schließt mit seinen Überlegungen zum Bedeutungsaspekt der Form- und Raumwahrnehmung unmittelbar an die Einfühlungsästhetik des 19. Jahrhunderts an, die schon Heinrich Wölfflin erlaubt hatte, die Ausdrucksqualitäten von Architektur psychologisch zu erklären[39].

 

2.2        Die Architektur als plastischer Körper und raumbildende Kunst: die leibbezogenen Ansätze von August Schmarsow und Heinrich Wölfflin


Neben Wölfflin wurde auch August Schmarsow von der Einfühlungsästhetik und Wahrnehmungspsychologie beeinflusst. Im Gegensatz zu Wölfflin, der die Architektur vom Körper her dachte, bestimmte Schmarsow sie hingegen vom Raum. Hinter dem einen Ansatz steht noch die klassische Auffassung vom Gebäude als einem ‘plastischen Körper’, hinter dem anderen die der Architektur als einer „raumbildenden Kunst[40]. Wenn es sich hier um zwei zunächst verschiedene und auch konkurrierende Ansätze handelt, die erst später zueinander in Beziehung gesetzt werden[41], dann verbindet sie eine Grundlegung der Architektur im Leib. Beide setzen eine Projektion des Leibes voraus, d. h. eine Übertragung des Leibes auf den gebauten Raum und erklären damit gleichermaßen Produktion und Rezeption von Architektur[42]. Während Wölfflin jedoch vom Leib als einem Körper ausging, dessen Organisation, äußere Physiognomie sowie Empfindungen sich in der Architektur spiegeln, ist Schmarsows Ansatzpunkt der aufrecht stehende Leib gewesen, der aufgrund seiner Axialität immer schon einen Raum ausbildet; einen Raum, von dem jede Idee und Gestaltung des architektonischen Raumes ihren Ausgang nimmt.

Wölfflin adressierte entsprechend den Leib als geschlossenes Ganzes, als eine „Massen-form“, auf der die Schwerkraft lastet, die sich in einzelne Glieder unterteilt, symmetrisch angelegt ist und eine Vorder- und Hinterseite hat. Dieser Leib erscheint als Bedingung für die „seelische Wirkung“ von Architektur, die im empathischen Miterleben des architektonischen Gegenübers begründet ist: „Körperliche Formen können charakteristisch sein nur dadurch, dass wir selbst einen Körper besitzen. (...) Als Menschen (...) mit einem Leibe, der uns kennen lehrt, was Schwere, Kontraktion, Kraft usw. ist, sammeln wir an uns die Erfahrungen, die uns erst die Zustände fremder Gestalten mitzuempfinden befähigen.[43] Wirkung und Ausdruck von Architektur werden hier explizit mit der unbewussten Projektion von Körper-, Tätigkeits- und Stimmungsgefühlen des Leibes auf den Baukörper erklärt. Eine These, die unter Einbeziehung der Einfühlungsästhetik vor allem dahin zu korrigieren ist, dass das Leib-Subjekt nicht nur ein einfühlendes und damit ein sich die Welt aktiv aneignendes Subjekt ist, sondern auch ein reagierendes, das von eigenständigen „räumlichen Umgebungsqualitäten“ ergriffen wird[44].

Dies zeigt sich schon bei den von Wölfflin selbst herausgestellten „körperlichen Affektionen, die bei der Betrachtung von architektonischen Werken empfangen werden.[45] Wölfflin führte sie vor allem auf die Korrespondenz bzw. Dissonanz zurück, die zwischen dem empfindenden und tätigen Leib und dem Baukörper besteht. Asymmetrie mache sich bspw. als „körperlicher Schmerz“ geltend („als ob ein Glied fehlte“), weite räumliche Verhältnisse weiten gleichsam die Brust, indem sie im Betrachter „energische Innervationen bewirken[46]. Eine solche anthropomorphe, den Baukörper gleichzeitig belebende Auffassung ist keine originäre Idee, weder von Wölfflin noch von der Einfühlungsästhetik. Sie findet sich bereits bei Vitruv[47], wenn sie im 19. Jahrhundert auch nicht mehr auf eine Mikro-Makrokosmos-Korrelation bezogen ist, hingegen als psychologischer Übertragungsmechanismus nachvollziehbar wird[48]. Insgesamt stellte Wölfflin die Architektur als eine „Kunst körperlicher Massen“ dar, die im Leib ihre Begründung und Konstante findet. Wie Wölfflins Ausführungen nahe legen, besteht zwischen dieser Leib-Konstante und einem kulturhistorisch sich wandelnden „Formgefühl“ ein besonderes Spannungsverhältnis.

Ähnlich verhält es sich bei Schmarsow, der die Bau- und Kulturgeschichte allerdings nicht als Geschichte des Formgefühls interpretierte, sondern als eine des „Raumgefühls“[49]. In diesem Zusammenhang auch taucht der Raum als eine stilgeschichtliche Kategorie auf, anhand derer sich eine historische Klassifikation der Architektur vornehmen lässt. Schmarsow ging dabei nicht mehr vom Leib als einer gegliederten, bestimmten Kräften ausgesetzten Massenform aus. Im Gegenteil virtualisierte Schmarsow das Leib-Subjekt[50], indem er es als Nullpunkt oder „Meridian“ des dreidimensionalen Raumes einführte, den der aufrecht stehende Mensch mit seinen Körperachsen immer schon ausbildet[51]. Das Oben und Unten, das Links und Rechts, das Hinten und Vorne des Leibes sind, zusammen mit Motorik und Taktilität, die Bedingungen räumlicher Erfahrung und zugleich „Kern“ jeden „Raumgedankens“, der dort konkret bleibt, wo er sich in Architektur materialisiert, indessen abstrakt wird, wo er im Rahmen von Geometrie und Mathematik seine Formalisierung erfährt[52].

Das Raumgebilde ist“, schreibt Schmarsow, „eine Ausstralung gleichsam des gegenwärtigen Menschen, eine Projektion aus dem Innern des Subjekts, gleichviel ob es leibhaftig darinnen ist oder sich geistig hineinversetzt (...).[53] Architektur kann so als Projektion der räumlichen Ausrichtung des Menschen verstanden werden, wobei sie den Raum, den der Leib um sich aufspannt, zugleich gliedert, begrenzt und umschließt. In genau diesem Sinne ist Architektur eine „Raumgestalterin“. Was für die Architektur gilt, bezieht sich auch auf räumliche Anordnungen der Natur sowie ephemere Gesten und symbolische Zeichen. Bei ihnen handelt es sich ebenfalls um den Raum definierende und gestaltende Medien. Relevant an Schmarsows Ansatz ist ferner, dass er unter den drei Körperachsen der Tiefenachse besondere Bedeutung beimaß. Denn diese durch das vorwärts gehende und sehende Subjekt[54] exponierte Achse schließt die tatsächlich oder im imaginären Vollzug ausgeführte Bewegung als raumkonstituierenden Faktor mit ein. Bewegung und kinästhetisches Bewegungsgefühl bestimmen das Rezeptionsverhalten im gebauten Raum, so dass Raum selbst von der möglichen Bewegung her bestimmbar wird, die er einrichtet[55].

Auf der Axialität des Leibes und seiner entsprechenden Räumlichkeit basieren bei Schmarsow folgerichtig auch die von der Architektur ausgelösten körperlichen Affektionen. Kleine oder verwinkelte Räume, die sich der im Leib angelegten Tiefenachse verweigern, schmale Gänge, die die Horizontalachse beschneiden, engen den potentiellen Bewegungsradius ein. Sie werden als „Strafe“ empfunden, wie Schmarsow es formuliert, und lassen den Betrachter buchstäblich „die Wände hochgehen[56]. Erst dann kann ein bergender Wohnraum aus solchen Architekturen werden, wenn sie dem Leib die Möglichkeit zur freien Bewegung einräumen, ihm „Spielraum“ für sein Tun gewähren, und so der Einschreibung des Leibes in den Raum weder eine materielle noch eine symbolische Grenze auferlegen[57].

So weit zu den leibbezogenen Ansätzen von Wölfflin und Schmarsow, die sich für die Architekturtheorie und insbesondere den architektonischen Raumbegriff als grundlegend erweisen sollten. Nur kurze Zeit später, in den 1910er und 1920er Jahren, erfuhren beide Ansätze ihre Synthese, so dass der Begriff der ‘Raumkunst’ sowohl das plastische wie auch das raumbildende Moment der Architektur in sich vereinigte[58]. Dagobert Frey kann entsprechend resümieren: „Beide Auffassungen (die von der Architektur als Formung einer materiellen Masse und als Formung des Hohlraumes, Anm. K.W.) scheinen sich als etwas Kontradiktorisches auszuschließen; und doch ist nicht zu leugnen, dass in beiden etwas für die Architektur Charakteristisches und Wesentliches zum Ausdruck gelangt[59]. Architektur erscheint hier als Körperform und räumliches Gebilde, das durch die Körperformen modelliert wird. Die Funktionen form- und stilgeschichtlicher Analyse und Einteilung, die der Raumbegriff in der Kunstwissenschaft erfüllte, setzten sich dabei auch in der Architekturtheorie immer weiter durch. Hingegen trat die auf den Leib bezogene Dimension des Raumes zunehmend in den Hintergrund. Der Raumbegriff verblieb ein Instrument der Klassifikation nicht nur der Formen, Stile und Epochen, sondern auch der Künste[60].


3.         Anschlüsse und Defizite der frühen Raumdiskussion in der Architektur- und Kunsttheorie

Ausgehend vom Leib gelangten Heinrich Wölfflin und August Schmarsow Ende des 19. Jahrhunderts zu einem vollkommen neuen Verständnis der Architektur, das deren psychologische Wirkung und Ausdruck mit einbezog. Während bei Wölfflin die Architektur allerdings noch als plastischer Körper im Vordergrund stand, war es Schmarsow, der mit seiner Definition der Architektur als einer „Raumgestalterin“ den Raum selbst zum eigentlichen Gegenstand der Architektur machte. Die Einführung des Leibes und seiner Empfindungen in die Architektur- und Raumbetrachtung weist auf die Phänomenologie voraus, in deren Rahmen das Konzept eines vom Leib her gedachten anthropologischen Raumes systematisch entwickelt worden ist. Dass Wölfflin und Schmarsow den körperlichen und axialen Leib als Begründungszusammenhang von Architektur heranziehen konnten, steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Einfühlungsästhetik, für die die Übertragung der leiblichen Empfindungen im Wahrnehmungsprozess zu einer basalen Annahme gehörte. Grundsätzlich hatte die Einfühlungsästhetik eine Subjektivierung und Psychologisierung der Ästhetik zur Folge.

Mit dem entsprechenden Schwerpunkt auf einer ästhetisch-psychologischen Erklärung des gebauten Raumes blieben andere Faktoren, die zur Theoretisierung des Raumes im ausgehenden 19. Jahrhundert nicht weniger beigetragen haben dürften, ausgespart. In der Tat avancierte der architektonische Raum in genau jenem historischen Moment zu einem Reflexionsgegenstand, als er einem radikalen Wandel ausgesetzt war. Dieser Wandel ist zum einen mit der veränderten Baupraxis, dem Einsatz von Stahl, Glas und Beton, in Verbindung zu bringen. Zum anderen ist die allgemeine Beschleunigung der Gesellschaft in Betracht zu ziehen. Ausgelöst durch neue Transport-, Kommunikations- und Produktionsmittel führte sie zu einer ähnlichen Transformation der Raum-Zeit-Wahrnehmung, wie sie heute zu beobachten ist. Schließlich ist noch auf das Raumkonzept der Naturwissenschaften zu verweisen, das in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ebenfalls neu definiert wurde. Trat doch spätestens mit der Relativitätstheorie an die Stelle eines substantialistischen ein dynamisch-relationaler Raumbegriff. Einer rein ästhetisch-psychologischen Architektur- und Raumbetrachtung, die sich bewusst von den materiellen, funktionalen und sozialen Aspekten des architektonischen Raumes abgegrenzt hatte[61], mussten diese Zusammenhänge notwendig zu einem blinden Fleck werden.

Wenn die Ansätze von Schmarsow und Wölfflin heute wieder attraktiv erscheinen, gerade weil sie erlauben, die Produktion und Rezeption des gebauten Raumes vom Leib her zu bestimmen, dann sind die genannten anderen Aspekte ebenso zwingend einzubeziehen. Zumal es auch die gesellschaftlichen Funktionen sind, die ein Gebäude erfüllt, und die sozialen Handlungen, die in ihm ausgeführt werden, welche die Architektur- und Raumwahrnehmung organisieren. Dies gilt ebenfalls für die Materialität des gebauten Raumes. Hier wusste schon der Einfühlungstheoretiker Johannes Volkelt, was die zeitgenössische Architektur zunehmend wieder erkennt[62], nämlich dass die Wirkung des gebauten Raumes wesentlich auf die materiellen Qualitäten von Gebäuden zurückzuführen ist und das, was sie an Druck- und Tastempfindungen im Prozess der Wahrnehmung aktuell werden lassen[63].

Ein so erweiterter Zugang zum architektonischen Raum kann sich auch für die Kulturwissenschaften als gewinnbringend erweisen. Zumindest wird damit ein Instrumentarium für die Analyse nicht nur des architektonischen, sondern generell des kulturell gestalteten Raumes angeboten, das bei den Handlungs-, Bewegungs- und Wahrnehmungsvollzügen leiblicher Subjekte ansetzt. Zugleich erlaubt dieser Zugang eine Vermittlung zwischen den klassischen symbolisch-zeichenhaften Ansätzen der Architektur- und Raumbetrachtung und den jüngeren phänomenologischen und performativen Vorgehensweisen. Denn im Anschluss an die einfühlungsästhetische Symboltheorie ist noch die Bedeutung des Raumes etwas, das unmittelbar aus den Handlungs-, Bewegungs- und Wahrnehmungsvollzügen leiblicher Subjekte entspringt.
 



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Schlögel, Karl: Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik. München 2003.

Schmarsow, August: Das Wesen der architektonischen Schöpfung. Antrittsvorlesung, 08.11.1893, Universität Leipzig. Leipzig 1894.

- ders.: „Der Wert der Dimensionen im menschlichen Raumgebilde“. In: Berichte über die Verhandlungen der königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, Bd. 48 (1896).

- ders.: „Raumgestaltung als Wesen der architektonischen Schöpfung“. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, Bd. 9. (1914), S. 66-95.

Schwarz, Ullrich: „Space, Body, Affect“. In: Fecht, Tom / Kamper, Dietmar (Hg.): Umzug ins Offene. Vier Versuche über den Raum.
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Sörgel, Hermann: Architektur Ästhetik. 3. Aufl. München 1921.

Soja, Edward W.: Thirdspace. Journeys to
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Ven, Cornelis van de: Space in Architecture. The evolution of a new idea in the theory and history of the modern movements.
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Vischer, Friedrich Theodor: Kritische Gänge. 2. Aufl. München 1922.

Vischer, Robert:  Über das optische Formgefühl: ein Beitrag zur Ästhetik. Leipzig u. a. 1873.

Vitruv: Zehn Bücher über die Architektur. Übers. u. mit Anm. vers. v. Curt Fensterbusch, Darmstadt 1964.

Volkelt, Johannes: Der Symbolbegriff der neuesten Ästhetik. Jena 1876.

- ders.: „Zur Psychologie der ästhetischen Beseelung“. In: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, Bd. 113 (1899), S. 161-179.

- ders.: „Nachtrag zur ‘Psychologie der ästhetischen Beseelung’“. In: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, Bd. 115 (1900), S. 204-208.

Waldenfelds, Bernhard: „Ortsverschiebungen“. In: Fecht, Tom / Kamper, Dietmar (Hg.): Umzug ins Offene. Vier Versuche über den Raum. Wien / New York 2000, S. 148-156.

Wirth, Uwe (Hg.): Performanz. Von der Sprachphilosophie zu den Kulturwissenschaften. Frankfurt/M. 2002.

Wölfflin, Heinrich: „Prolegomena zu einer Psychologie der Architektur“. Diss. Univ. München 1886. In: Gantner, Joseph (Hg.): Heinrich Wölfflin. Kleine Schriften. 1886-1933. Basel 1946, S. 13-47.

Wundt, Wilhelm: Grundzüge der physiologischen Philosophie. 2. Aufl. Leipzig 1880.

 



Anmerkungen:

[1] Die aktuelle Raumdiskussion wurde in den 1970er Jahren gleichermaßen von Henri Lefebvre vorweggenommen, dessen „La production de l`espace", Paris 1974, heute eine entsprechende Konjunktur erfährt, etwa in den Schriften von Edward W. Soja.

[2] Foucault 1990, S. 34.

[3] Schlögel 2003.

[4] Foucault 1990, S. 38.

[5] Mit dieser Definition des Raumes ruft Foucault jenes zweite kulturgeschichtlich wirksame Raumkonzept auf, demzufolge Raum weder ein Behälterraum noch transzendentale Bedingung von Erfahrung ist, sondern ein relatives Beziehungsgefüge von Elementen oder eine „Ordnung der Existenzen im Beisammen“, wie es in einer Formulierung von Gottfried Wilhelm Leibniz heißt. Vgl. hierzu die Streitschriften zwischen Leibniz und Samuel Clarke in: Cassirer, Ernst (Hg.): Gottfried Wilhelm Leibniz. Hauptschriften zur Grundlegung der Philosophie. Hamburg 1904.

[6] Exempl. Cassirer 1930.

[7] Merleau-Ponty 1945; Bollnow 1963.

[8] Der sich hier explizit auf die „Poetik des Raumes“ von Gaston Bachelard bezieht.

[9] Wenn Foucault zufolge zwar eine „theoretische Entsakralisierung des Raumes“ stattgefunden hat, dann hat sich „eine praktische Entsakralisierung“ indessen noch nicht durchsetzen können, wie das die Unterscheidungen zwischen privaten und öffentlichen, familiären und gesellschaftlichen Räumen sowie solchen der Freizeit und Arbeit zeigen. Zu einem ähnlichen Fazit kommt bereits Eliade 19873.

[10] Halbwachs 1925.

[11] Zur jüngeren Rezeption dieser Ansätze vgl. van de Ven 1977; Kellmann 1992; Köhler 1998; Schwarz 2000.

[12] Wölfflin 1886.

[13] Schmarsow 1893.

[14] Vitruv 1964.

[15] Die Architekturästhetik Wölfflins und Schmarsows vertritt dabei die idealistische Seite. Der ästhetischen Betrachtung der Architektur gemäß, klammern beide deren Funktion, Zweck, Produktionsbedingungen sowie Materialität weitgehend aus. Während Wölfflin den Formenwandel in der Architektur auf ein kulturhistorisch sich veränderndes „Formgefühl“ zurückführte, erklärte Schmarsow die Baugeschichte mit einer Transformation des „Raumgefühls“. Die Architekturtheorie der 1920er Jahre unternahm dabei nicht nur eine Synthese der Ansätze von Wölfflin und Schmarsow, sondern strebte auch danach, den idealistischen mit dem materialistischen und funktionalen Ansatz zu vereinbaren. Vgl. hierzu insbesondere Adler 1926, S. 15 ff.

[16] Zur performativen Wende in den Kulturwissenschaften vgl. Fischer-Lichte / Wulf 2001; Wirth 2002.

[17] Zu dem subversiven Potenzial dieser Praktiken in Bezug auf den Raum vgl. de Certeau 1980.

[18] Schwarz 2000, S. 82.

[19] Vgl. hierzu Jantzen 1938.

[20] So explizit bei Schmarsow 1893.

[21] Vgl. hierzu Kellmann 1992, S. 78-85.

[22] Den Einfluss der Einfühlungsästhetik auf das Konzept des architektonischen Raumes hat schon van de Ven 1977 herausgestellt.

[23] Einen Überblick über die Einfühlungsästhetik geben Perpeet 1966; Allesch 1987; Mallgrave / Ikonomou 1994.

[24] Vischer 19222.

[25] Vischer 1873.

[26]Zweifellos ist Einfühlung ganz allgemein gesagt dies, daß etwas von mir oder ein in Wahrheit mir und nur mir zugehöriges Element, also etwas Subjektives, für mich in dem vom Subjekt aufgefaßten oder ihm geistig gegenüberstehenden Gegenstand liegt, nicht in dem Gegenstand also, so wie er an sich ist, oder in dem reinen Gegenstand, sondern in dem Gegenstand für mich oder dem Gegenstand, wie er für das auffassende Subjekt da ist oder ihm ´erscheint`“. Lipps 1913, S. 112.

[27] Lipps 1891.

[28] Volkelt 1899, S. 170.

[29] Lipps 1891, S. 138.

[30] Auch Allesch 1987 weist darauf hin, dass Wahrnehmung für Lipps eher einen kommunikativen als einen vom Subjekt ausgehenden, einseitig gerichteten Prozess beschreibt. Allesch nennt dies den „Doppelcharakter des ästhetischen Erlebnisvorgangs“. Zum ‘Doppelcharakter’ der Wahrnehmung vgl. auch die Ergebnisse der Arbeitsgemeinschaft Wahrnehmung des Sonderforschungsbereiches 447 „Kulturen des Performativen“, Gronau u. a. 2004.

[31] Bollnow 1963, S. 274.

[32] Volkelt 1899 verwendet explizit den Begriff der Beseelung, und zwar als Synonym für Einfühlung.

[33] In der ‘Beseelungsthese’ spiegelt sich die mythische Provenienz des Hegel-Vischerschen Symbolbegriffs, auf dessen Hintergrund die Einfühlungsästhetik entsteht. Bezeichnet doch der Symbolbegriff bei Hegel und auch noch bei Friedrich Theodor Vischer die den mythischen Kulturen eigene Übertragung eines seelischen Gehaltes auf die Umwelt und ihre Gegenstände, wobei das mythische Bewusstsein zwischen Gegenstand und Gehalt nicht unterscheidet. Eine Differenzierung zwischen Gegenstand und Gehalt setzt laut Vischer erst mit einem Distanz schaffenden ästhetischen Bewusstsein ein, für das die symbolische Projektion von seelischen Gehalten nicht weniger konstitutiv ist, das aber die eigene Projektionsleistung reflektieren kann und sich deren ‘als ob’-Status bewusst ist.

[34] Vischer 19222, S. 434 ff.

[35] Was insofern nahe liegt, als die Einfühlungsästhetik unmittelbar aus symboltheoretischen Ansätzen hervorgeht.

[36] Klassisches Beispiel in den einfühlungstheoretischen Schriften zur Architektur- und Raumwahrnehmung ist dabei die Säule.

[37] Arnheim 1980.

[38] Ebd., S. 215.

[39] Im Gegensatz zu dieser geht Arnheim jedoch weniger von einer Projektion der Körper-, Tätigkeits- und Stimmungsgefühle auf den gebauten Raum aus. Vielmehr erklärt er das Entstehen von Bedeutung im Prozess der Form- und Raumwahrnehmung mit den Objekten zukommenden formalen Gestaltqualitäten, die in visuellen Akten spontan erfasst werden und als „Anschauungsbilder der Oberflächenformen“ neuro-physiologische Reaktionen auslösen.

[40] Exemplarisch bei Karow 1920, S. 7 f.

[41] So über die zahlreichen architekturtheoretischen Schriften der 1910er und 1920er Jahre dokumentiert.

[42] Bei Wölfflin dominiert hierbei der einfühlende Rezeptionsakt, während Schmarsow auch den Produktionsakt einbezieht.

[43] Wölfflin 1886.

[44] Die spätere Kritik an der ‘starken Projektionsthese’ wird an eben diesem Punkt ansetzen und damit zugleich der – indes schon von Theodor Lipps anerkannten – Objektseite wieder eine eigene Wirklichkeit zugestehen, die allerdings mit der Wirklichkeit des Subjektes in einer unauflösbaren Beziehung steht. Vgl. hierzu Böhme 1995.

[45] Wölfflin 1886.

[46] Ebd.

[47] Proportion (ordinatio) und Symmetrie als ästhetische Grundbegriffe der Baukunst sind bei Vitruv von den Maßverhältnissen des menschlichen Körpers abgeleitet. Die drei Säulenordnungen bilden darüber hinaus den männlichen Körper (dorisch), den weiblichen Körper (ionisch) und den einer Jungfrau (korinthisch) ab. Vitruv 1964.

[48] Wie dies auch Neumeyer 2002 in seiner Einleitung zu den Quellentexten der Architekturtheorie hervorhebt.

[49]Es ist der Geist, der sich den Körper baut, sagt man wol. Die Geschichte der Baukunst ist eine Geschichte des Raumgefühls, und damit bewußt oder unbewußt ein grundlegender Bestandteil in der Geschichte der Weltanschauungen.“ Schmarsow 1893.

[50] Schmarsow spricht zwar noch von einem gefühlten i. S. eines selbstreflexiv erfahrenen Zentrums, doch kündigt sich die Virtualisierung mit aller Deutlichkeit dort an, wo auch bei Abwesenheit des Leib-Subjektes in einem Gebäude das Koordinatensystem leiblicher Richtungsachsen vergegenständlicht ist.

[51] Ähnlich später bei Waldenfels: „Das leibliche Hier bildet einen Nullpunkt, einen bevorzugten Ort, der nicht einfach im Raum vorkommt, weil die Raumordnung in ihm entspringt und weil alle raumkonstituierenden Bewegungen von ihm ausgehen. Von diesem Hier aus entfalten sich verschiedene Aspekte einer Raum-Leiblichkeit, die auch für die Raumkunst der Architektur unabdingbar ist“. Waldenfels 2000, S. 149. Vgl. hierzu auch Bollnow 1963, S. 44 ff.

[52] Entsprechend besteht für Schmarsow eine schwesterliche Verwandtschaft zwischen der Mathematik als „Raumwissenschaft“ und der Architektur als „Raumgestalterin“. Beide wurzeln in der spezifischen Räumlichkeit und Raumbezogenheit des Leibes.

[53] Schmarsow 1893.

[54]Nächst dem Höhenlot, dessen lebendiger Träger mit seiner leiblichen Orientierung nach oben und unten, vorn und hinten, links und rechts bestimmend weiter wirkt, ist die wichtigste Ausdehnung für das eigentliche Raumgebilde vielmehr die Richtung unserer freien Bewegung, also nach vorwärts, und zugleich unseres Blickes, durch Ort und Stellung unserer Augen bestimmt, also die Tiefenausdehnung. Ihre Länge bedeutet für das anschauende Subjekt das Maß seiner freien Bewegung im gegebenen Raume so notwendig, wie es gewohnt ist, vorwärts zu gehen und zu sehen.“ Ebd.

[55] So bestimmt auch Karlfried Graf von Dürckheim den Raum als ein „Ganzes für mögliche Bewegung“ und erläutert dies wie folgt: „Herumschauend vollzieht es (das erlebende Subjekt, Anm. K.W.) den Raum, ihn dabei empfangend und aufbauend zugleich, nicht nur mit dem ‘Auge’, d.h. als eine bestimmt gegliederte Bildgestalt, sondern es durchwandert, durchfliegt ihn, geht in ihm herum, umkreist und umtastet seine Mannigfaltigkeit, kurz nimmt ihn auf und herein, vollzieht ihn schon im Hinnehmen als ‘Bewegungsraum’, als Gegenform einer sich innerlich tatsächlich ereignenden eigenartigen Bewegung.“ Dürckheim 1932, S. 420 f.

[56] Schmarsow 1893.

[57] Von „Spielraum“ sprechen auch Dürckheim 1932 und Bollnow 1963.

[58] U.a. bei Karow 1921.

[59] Frey 1946, S. 94.

[60] In der Architekturtheorie lebt im Zusammenhang mit dem Raumbegriff so auch Lessings Unterscheidung der Künste in ‘Raum-’ und ‘Zeitkünste’ auf. Vgl. exempl. Adler 1926.

[61] Eine solche Abgrenzung nimmt neben Wölfflin 1886 auch Schmarsow 1893 vor.

[62] Vgl. hierzu Holl / Pallasmaa / Pérez-Gómez 1994; Pallasmaa 1996.

[63] Volkelt 1899.

     

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9. Jg., Heft 1
November 2004