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„Es
macht keinen Sinn, etwas zu erfinden, es sei denn, es handle sich um eine
Verbesserung.“ (Adolf Loos)
„Einfach bauen“ ist das Simpelste in dieser Welt, sollte man meinen. Die
Architektur- und Designgeschichte hat uns freilich eines Besseren belehrt.
Einfach Gestaltetes kann „erhaben“ bis
„trivial", „moralisierend“ bis
„destruktiv", „zeichenhaft“ bis
„gestaltlos" sein. Im
Umkehrschluss kann komplex Gestaltetes „marktschreierisch“ bis
„erhaben“, „informativ“ bis „moralisierend“, „sinnstiftend“ bis
„zeichenhaft“ sein. Das Dilemma ist evident: Einfach bauen, einfach
gestalten ist in theoretischer wie praktischer Hinsicht eine äußerst komplexe Angelegenheit.
Dies
gilt um so mehr, als der Architektursemiotiker Claus Dreyer erst kürzlich
festgestellt hat:
„A cursory examination of some spectacular architectural works of recent
years results in a finding that would be easy to supplement and support on
the basis of further examples: the crisis of representation is evident.
There is no common ’language’ in architecture through which common
experience, ideas, hopes, values, traditions and conventions could be
expressed, just as there is no common ground in society for these issues.
There are only a few outstanding individuals with a great artistic potential
and almost God-like reputation who have the opportunity to articulate their
'private language’ by unique means, and to present it to the public. The
work of translating and interpreting this
'language’ for the general public
takes place mainly in the professional and popular media, where it
occasionally comes dangerously close to product advertising. Under these
conditions, the communicative correspondence between employer, architect,
user, observer, and society as a whole amounts to little more than a
coincidence or a stroke of luck. In a complex, multi-cultural,
compartmentalized, and media-oriented society, this state of affairs seems
impossible to circumvent: everyone must and can seek the representational
context in architecture that suits him and is limited only by lack of
information or financial means.
At any rate, this freedom of choice must be understood as an achievement and an opportunity. Never before
in history so many different forms of architectural representation have been
in competition. The monotony of classic
international modernism is a thing of the past. Today interested people can
put together their own (even potentially virtual)
'universe of architectural
discourse’. At the same time, there is a possibility for the emergence of a
new architectonic paradigm that may develop from the close proximity of the
different 'languages’. It could represent a world culture growing closer,
without losing the regional varieties and ‚dialects'.“
Einfaches Bauen also ein „Dialekt“ architektonischer Repräsentation?
Dem ließe sich ohne
weiteres zustimmen, wäre das einfache Bauen in seiner jüngeren Vergangenheit
nicht immer wieder instrumentalisiert worden. Erlebte das einfache Bauen als Dialekt im deutschen
Nationalsozialismus doch jene Doppelbödigkeit, unter der es bis heute
leidet. Unter dem fremdenfeindlichen Banner der Heimatschutzbewegung segelnd
und auf den heimattümelnden, jeder Form von Fortschritt abgeneigten
„Kulturarbeiten“ eines Paul Schultze-Naumburg fußend, empfahlen die
Verfechter der Blut-und-Boden-Ideologie einfachste, regional verwurzelte
Architektur-Stereotypen, die sich letztlich als eine Art von „synthetischem
Regionalismus“ entpuppen sollten. Von Peenemünde bis zum Obersalzberg
hätten, so zumindest die Vision, alle deutschen Einfamilienhäuser, die
realiter von den Nazis zugunsten der großen staatstragenden Bauten sträflich
vernachlässigt wurden, reichseinheitlich, reichsuniform aussehen sollen.
Goethes Gartenhaus in Weimar wurde bauwilligen Parteigenossen wie allen
anderen potentiellen Bauherrn des Tausendjährigen Reiches gleichsam als
archetypologische Ur-Matrix mit auf den Weg gegeben. Aus dieser Haltung
heraus entstanden Einfamilienhäuser und Siedlungen in Hülle und Fülle, so
zum Beispiel im Jahre 1933 in Stuttgart die berühmt-berüchtigte Kochenhofsiedlung, welche gleichsam als kompakte urbane Vision oder
Mustersiedlung einer synthetischen, regional geprägten Einfachheit
nationalsozialistischer Prägung angelegt war. Eine Vision, die als gebautes
Gegenmanifest zur benachbarten Weißenhofsiedlung unrühmlich in die
Baugeschichte eingehen sollte. Spätestens ab diesem Zeitpunkt schien jedwede
Vorstellung von einfacher Architektur als „bodenständiger Architektur“
(zumindest in Deutschland) kontaminiert mit dem Hauch des Völkischen,
Rückwärtsgewandten, Innovationsfeindlichen.
Wirft man indessen einen Blick auf die Architekturgeschichte, wird rasch
deutlich, dass die so
genannte „Neue Einfachheit“ im Prinzip zu allen Zeiten, wenn auch
unterschiedlichsten Beweggründen gehorchend, auf der Tagesordnung stand. So
veröffentlichte im Jahre 1788 ein unbekannter Anonymus eines der wichtigsten
Traktate des spätbarocken Klassizismus unter dem Titel „Untersuchungen über
den Charakter der Gebäude; über die Verbindung der Baukunst mit den schönen
Künsten und über die Wirkungen, welche durch dieselben hervorgebracht werden
sollen.“
Wie ein roter Faden durchzieht diese aufklärerische Schrift, die sich ausschließlich mit der Wirkung von Gebautem auf den Menschen
auseinandersetzt, das Prädikat „einfach“. Einfach soll der Plan, die
Silhouette, der Innenraum, das Möbel, das Dekor, die Materialwahl sein und
umso sorgfältiger gefügt das eben diese Einfachheit konstituierende Detail.
Einfaches Bauen, einfache Gegenstände waren also zu allen Zeiten existent,
wenngleich unterschiedlichen gesellschaftlichen Konnotationen,
unterschiedlicher Anerkennung unterworfen. Fast mit Wehmut erinnert man sich
hierbei an andere Kulturkreise, in denen
– wie zum Beispiel in Japan – das
„einfache Haus“ und in einem noch tieferen Sinne dessen asketisch sinnliche
Ausstattung seit altersher als „gebautes philosophisches Kontinuum“, als
„weltanschauliche Denkgebäude“ zeit- und raumübergreifend als gestalterische
Selbstverständlichkeit und Verpflichtung begriffen wurden.
Das aktuelle, auch internationale Interesse am „einfachen Bauen“
beziehungsweise „einfachen Gestalten“ fokussiert sich freilich weniger auf
die Historie oder auf die Nabelschau der Neuberliner Architekturbanalitäten,
beziehungsweise den Nebenkriegsschauplatz der gleichfalls in Berlin
entbrannten, nicht minder fruchtlosen Tektonik-Debatte, als vielmehr auf das
Problem des umweltverträglichen, ökologisch sparsamen Entwerfens; noch mehr
allerdings auf die Schule machenden Beispiele
junger internationaler Architektur, darunter nicht wenige deutscher,
schweizerischer und österreichischer Herkunft.
Kenneth Frampton hat in diesem Kontext eine sehr dezidierte Position eingenommen. Er glaubt in der Szene des
„einfachen Bauens“ Architekten zu entdecken, die durchaus „der Tradition
des Neuen Bauens folgen und … Max Bills Unterscheidung zwischen konkreter
Architektur und konkreter Kunst aufrechterhalten.“
Frampton denkt damit wie Adolf Loos, der einmal sagte: „Das Haus ist
konservativ, und das Kunstwerk revolutionär, deswegen liebt der Mensch das
Haus und haßt die Kunst“. Die Anerkennung der damit angesprochenen
Trennung zwischen Gebrauchsgegenstand (gleich Pragmatismus) und Kunst
(gleich Transformation), soll heißen Anerkennung des Funktionalen und
Ablehnung des Kunstwollens, bestimmt demnach das Werk von Architekten wie Guyer und Gigon, Diener oder Zumthor. Auch Steven Holl rechnet Frampton zu
dieser Gruppe, da er gegen „das Fetischisieren von Material und Details
als Selbstzweck“ sei, „insbesondere wenn dies losgelöst vom Inhalt
oder vom Zusammenhang“ geschehe. „Für mich“, sagt Holl in der Tat, „ist
das Material nichts als ein Werkzeug zum Ausdruck eines Konzeptes. Gibt es
kein Konzept, so ist das Ergebnis uninteressant. Das Material ist das
Fleisch, das dem Konzept Form und Raum gibt. Die Gefahr dabei ist, daß das
Material zum Selbstzweck wird. Das wäre ein ziemlicher Jammer.“
Unterwirft man aber beispielsweise Zumthors „archaisches“ bis
„atavistisches“ Thermalbad in Vals einer eingehenderen Analyse, dann wird
die Fragwürdigkeit solcher Ausdifferenzierungsversuche rasch deutlich.
Zumthor verhält sich hier nämlich weniger programmatisch „einfach“ (gleich
funktional) oder konzeptionell „sparsam“, geschweige denn ökologisch, als
vielmehr skulptural transzendierend im Sinne einer sensualistischen
Ästhetik.
Die zweite, von Frampton harsch verurteilte Abteilung einfach bauender
Architektinnen und Architekten umfasst nach
seiner Definition Protagonisten, „die den halluzinatorischen Effekten der
Medienwelt unterlegen zu sein scheinen.“ Dazu rechnet er unter anderem
Büros wie Herzog und De Meuron sowie Sumi und Burkhalter. Auch diese
Differenzierung erscheint mir sehr fragwürdig, wie ich später aufzeigen
werde. Die dritte Gruppe einfach bauender Zeitgenossen und Designer, denen
er beispielsweise John Pawson zuordnet, bezeichnet Frampton eher wohlwollend
als „Null-Grad-Architektur“. Diese minimalistische Art zu bauen, antwortet
seiner Meinung nach „auf die zunehmende Kakophonie der modernen Welt mit
einer greifbaren Stille, einem ‚beinahe Nichts’, in dem die Körnung eines
Materials die einzig zulässige Figur ist.“ Um
Missverständnissen vorzubeugen, sei angemerkt,
dass Architekten wie Pawson oder Chipperfield und wahlverwandt
operierende Designer, die dieser Richtung zuzuordnen wären, nicht das Geringste mit reaktionären
Gesellschaftsbezügen zu tun haben.
Erleben wir realiter nicht schon seit vielen Jahren, um nicht zu sagen
Jahrzehnten, eine regelrechte Renaissance von gegenständlichen Archetypen?
Archetypen, die klug bis „sophisticated“ auf Aldo Rossis, Robert Venturis
oder Christopher Alexanders Vorstellungen von den einfachsten Grundformen
alles Gestalteten basieren? Neu hingegen ist dabei freilich der veränderte
Umgang mit dem Begriff der „Materialgerechtigkeit“. Denn die modernen
Verbundstoffe und Materialverbände haben ganz einfach zu viele
Eigenschaften, als dass man diese noch
anschaulich machen könnte. „Der Grund der Form“ vermag die
Materialschichtungen nicht mehr zu durchdringen. Die Materialität verselbstständigt sich (z. B. im Holzständer- oder Betonbau) und wird zu
einem Wert an sich. Die Materialität wird zum Garanten für
„Gegenwärtigkeit“.
Martin Steinmann sagt hierzu: „Die Dinge zeigen ihre Gegenwärtigkeit vor,
welche sich in ihre Materialität einschreibt. Andererseits ist es gerade die
Materialität, welche ihre Gegenwärtigkeit zeigt.“
Damit ist nach Hans Frei „der Gegensatz zwischen Innen/Außen neu lanciert
als Indifferenz von Stoff und Form, von Form und Konstruktion. Die räumliche
Konstruktion kann man infolgedessen getrost den Generalunternehmern
überlassen; zumindest bleibt sie weit hinter der Komplexität der
Fassadenoberflächen zurück, die zum eigentlichen Mysterium des
architektonischen Schaffens erhoben wird.“
Minimalistische Architektur lässt sich von so
genannten Hightech-Materialien inspirieren, Arte-Povera-Architektur
hingegen und Arte-Povera-Design hingegen von den Theorien Joseph Beuys’, denen zufolge „arme Materialien“ mit mentalen
Energien aufgeladen werden müssen. Es wird nicht mehr nach der Rolle
gefragt, für die ein Material innerhalb einer bestimmten Konstruktion
bestimmt ist, sondern danach, welche optische Wirkung es hervorbringen kann.
„Weg vom Material, hin zur Wirkung“ lautet nach Christian Sumi das neue Motto. Ähnlich wie
bestimmte Designer, meint er, „suchen wir eine Magie der Werkstoffe
jenseits der semantischen Festlegungen. Wir finden, Werkstoffe sind an sich
etwas Magisches, deren sensuelle Qualitäten es zu
differenzieren und zu nutzen gilt. Der Begriff Aura ist strapaziert,
aber hier wichtig. Wenn wir nicht sehr elaboriert darüber sprechen, dann aus
Vorsicht.“
Baumusterkataloge und Fertigmaterialien erscheinen als wesentliche
Inspirationsquellen des einfachen Bauens, das mit Vorliebe auf industrielle
oder handwerkliche Fertigprodukte für Fassaden zurückgreift: Industrieglas
für die Erweiterung eines Museums in Winterthur (Gigon & Guyer), traditionelle Holzschindeln für eine Kapelle
in Sumvigt bei Disentis (Zumthor), gusseiserne
Dohlendeckel für ein Wohn- und Geschäftshaus in der Innenstadt von Basel
(Herzog & De Meuron). Nicht selten werden Fertigprodukte auf einfache, fast
archaische Weise in ein neues Erscheinungsbild transformiert. „So wird
für Herzog & De Meuron das Bild einer Transformatorenspule zum Stellwerk auf
dem Hauptbahnhof in Basel und ein Holzstapel auf einem Lagerplatz zur geschichteten Fassade des
ersten Ricolawerks transformiert.“ Ziel scheint es zu sein, Bilder des
Alltäglichen, also Banalität in Architektur zu verwandeln. Oder es entsteht
im Baseler Bahnhofsviertel ein kleines sechsgeschossiges Bürohaus als
Qualitätsprodukt des renommierten Büros Diener & Diener, „dummerweise
allerdings ohne die üblichen Selbstreferenzen von Architektur als
Architektur ausgestattet,“
wie Klaus-Jürgen Bauer anmerkt. Das der Betonfassade beigemengte Eisenoxyd
erzeugt – so Martin Steinmann – „einen ärmlichen Ausdruck, wie er einem
Quartier hinter dem Bahnhof entspreche, wo der Flugrost der Züge die
Fassaden verändert.“ Bewusstes Spiel mit
der Banalität scheint einen Teil der Qualität dieses unscheinbaren Bauwerks
auszumachen. Es war aber bisher nicht üblich, Architektur oder Produkte mit
dem Prädikat „banal“ als etwas Positives zu
charakterisieren. Die betonte Ärmlichkeit dieser Fassade steht im bewussten Widerspruch zu eleganten Details,
wie den Bronzerahmen für die Fenster des
Baseler Gebäudes. „Der Bau soll“, wie Steinmann argumentiert, „Bedeutungen
in der Schwebe halten.“
Zurzeit sind im
Wesentlichen zwei verschiedene Verfahren zu beobachten, um die
Ganzheit der Gestalt im einfachen Bauen aufscheinen zu lassen. Zum einen die
Herstellung einer „starken Form“. Die sichtbare Konstruktion ist dabei nicht
identisch mit der tatsächlichen Konstruktion. Letztere wird umhüllt und
zusammengefasst in einer Form, für die weniger konstruktive als „wahrnehmungspsychologische
Überlegungen ausschlaggebend sind.“ Dargestellt werden Tektonik und
Schwere, teils überbetont, teils infrage gestellt.
Architekten und Designer nähern sich also der Gestalt, „indem sie die
wirklichen Konstruktionen einkapseln, um die sichtbaren Konstruktionen zu
dramatisieren.“
Dergleichen kennen wir aus der Baugeschichte bereits von Mies van der Rohes
berühmter Stütze für den Pavillon des Deutschen Reichs auf der
Weltausstellung von Barcelona (1928/29), deren Weiterentwicklung für das
Haus Tugendhat in Brünn (1930) oder seiner weltbekannten „Ecklösung“ für die
Alumni Memorial Hall (1945-46) auf dem Gelände des I.I.T. in Chicago.
Das zweite Verfahren meint nach Hans Frei die Herstellung einer
„spezifischen Form“. Inhaltliche Verbindungen zwischen Funktion und
Oberfläche werden dabei hergestellt. Die Fassade versucht das Spezifische
der Aufgabe zu reflektieren. „Materialien dienen als Speicher von
Bedeutungen“, wie an dem mit Kupferlamellen umwickelten Stellwerk auf
dem Güterbahnhof Wolf in Basel unschwer abzulesen. So als gelte es, die
elektronischen Steuermechanismen im Inneren mit Hilfe eines Schutzpanzers
gegen den elektromagnetischen Smog von außen
abzuschirmen. Herzog & De Meuron haben damit, so Hans Frei, „die mentalen
Kräfte der ‚Feuerstelle’, die sie als Assistenten von Beuys im Basler Museum
für Gegenwartskunst eingerichtet haben, ins elektronische Zeitalter
übertragen“.
Das Prinzip der Einfachheit besteht aber in jedem Fall darin, die Fassade
eines Baus „als möglichst betrachterfreundliche Schnittebene zu
gestalten, die aussagekräftig und allgemein verständlich ist.“ Die Hülle
wird somit zum „Ort des Widerstands gegen die reine Fiktion, wird
Bezugsebene für die Wahrheit des Sehens.“
Dagegen steht, um es ganz deutlich zu sagen, die Ästhetik der Sparsamkeit,
welche sich die konstruktive Einheit zwischen Innen und Außen, die
ökonomische Verbindung von Konstruktion und Form zum Ziel, die ökologische
Anpassung an den Status quo gesetzt hat. So gilt der bildhafte, konstruktiv
„saubere“ Holzbau in bestimmten Gebieten Europas inzwischen längst als „Gesellenstück
für den Eintritt in die regionale Architekturszene“. Durch Ablehnung des
modern Exaltierten, des importierten Fremden und durch Rückbesinnung auf
alltäglich Banales, aber Funktionstüchtiges kam es dort zu einer subversiven
Neubelebung einfacher Nutzbauten, welche praktischerweise noch dazu billiger
und umweltverträglicher als die ungeliebten modernistischen Implantate
waren. „So wurde aus einer Notlage ein ethisches Prinzip entwickelt“,
welches sich die Architekten bestimmter Regionen (Vorarlberg/Tessin) fast
bruchlos als Programm für eine mehr oder weniger
Aufsehen erregende „neu-alte Einfachheit“ einverleiben konnten.
Was all die genannten, heterogenen Strategien des „einfachen Gestaltens“
letztendlich aber dennoch eint, ist die Wahrnehmungsebene. Also hat Martin
Tschanz Recht, wenn er feststellt, dass sich gerade „bei den vordergründig
einfachen und spröden Bauten eine hintergründige, sinnenfreudige
Vieldeutigkeit“ eröffne. (Häufiger eine größere Vieldeutigkeit, als sie
etwa in postmodernen Architekturprodukten anzutreffen war.) Daraus
resultieren nicht selten „Wirkungen von
beeindruckender Schönheit, die man auch ohne jegliches Vorwissen
genießen kann.“
Trotz der Beglückung durch solche Wirkungen kann es uns natürlich nicht
gleich sein, ob es sich bei dieser Art von Architektur um „Minima Aesthetica“,
also „Banalität als subversive Strategie der Architektur“ handelt,
oder ob es ihren Urhebern programmatisch darum geht, „Körper“ nicht wieder
in autonome ästhetische Objekte zu verwandeln (woran schon die klassische
Moderne gescheitert ist), sondern einfache Gebilde „durch Arbeit an der
Sinngebung“ in einen präzis konturierten kulturellen wie politischen
Rahmen zu stellen.
Die Frage, ob und
–
wenn ja
–
welche Wirkungen die so genannte Neue Einfachheit
auf den zeitgenössischen Städtebau ausübt, ist nicht einfach zu beantworten.
Zu unterschiedlich erscheinen die Ansprüche zwischen Stadtzentren und
Peripherien, zwischen länderspezifischen und globalen Strategien, zwischen
Orten und Nicht-Orten, zwischen Rekonstruktion und Dekonstruktion des
Urbanen, als dass definitive Antworten zu
geben wären. Immerhin lassen sich jedoch aus dem bislang Dargestellten
mindestens vier solcher Wirkungen deskriptiv dingfest machen:
1.
Das
autistische Einzelbauwerk
: Also das Bauwerk, das
zwar im städtebaulichen Kontext signifikant dasteht, aber nicht willens oder
dazu in der Lage ist, mit seinem urbanen Umfeld, mit den Stadtbenutzerinnen
und -benutzern in einen Dialog (welcher Couleur auch immer) einzutreten.
2.
Die „Tote
Stadt“ (in
Anspielung an eine Metapher Ernst Jüngers bzw. Jean Baudrillards): Lässt sich Einfachheit im urbanen Kontext
instrumentalisieren, sei es durch einseitige Kapital- oder Machtansprüche,
sei es durch ein rigides Regelwerk zur brachialen Durchsetzung des ein- für
allemal vorgegebenen Stadtganzen (man denke nur an Haussmanns Paris oder
Stimmans Berlin), dann mündet die Summe an sich akzeptabler Einfachheiten in
Domestizierung, Erstarrung, Ausblendung des Gegenwärtigen.
3.
Die Stadt
als Normalfall:
Versteht sich Einfachheit im urbanen Kontext ganz unaufgeregt als Nutzern
und Stadtganzem dienende Ergänzung, als Zutat zur Regeneration zeitgemäßer
städtischer Denk- und Emanzipations-Räume,
kann sie Hervorragendes leisten.
4.
Die
ungebrochene Kraft der Zeile:
Die Zeilenbauweise bzw. periphere Reihenhausbebauung erscheint mir
ungeachtet des Vorwurfs, sie sei lediglich ein reanimiertes Relikt der
klassischen Moderne, derzeit als vielleicht fruchtbarstes Betätigungsfeld des einfachen Bauens.
Weiterkultiviert und amelioriert durch ökologische, baukonstruktive und, was
die Wohnräume anbelangt, binnenräumliche qualitative Quantensprünge, sind
sie nach wie vor als nahezu einzige Bauaufgabe dazu in der Lage, der Zersiedelung Einhalt zu bieten, selbst
Global Playern regionalspezifische Orte zuzuweisen und das Entstehen
neuer suburbaner Sozialisationsformen zu befördern.
„At
a time when our scale of value was still determined by the church and the
monarchy, and later by local government and banks, it was a case of erecting
buildings which proclaimed a message of power. Now that we are being
influenced simultaneously by many different factors, the time for any kind
of rhetoric in individual buildings is past.“
Niemand wird
heutzutage noch diese Meinung von Alison und Peter Smithson aus den
siebziger Jahren teilen wollen. Selbst „einfachste“ Architektur von heute
ist alles andere als sprachlos. Die besten Beispiele, so zu bauen, so zu
gestalten, sprechen freilich eine Sprache, die man nicht in die Ecken der
Restauration abdrängen, der Besserwisserei der ewig Gestrigen überlassen
darf. Derartige Bauten und Objekte verstehen sich weder als Abbilder von
Banalitäten, noch als reaktionäre gesellschaftliche Denkmodelle. „Das
Einfache ist vielmehr die Formel eines Verfahrens, das“ nach Hans Frei „möglichst
vieles einschließt“, an Vergegenwärtigung wohlgemerkt. Regelrecht
ausschließen dürfte es hingegen jedweden neuen „Ismus“, eine neue Mode also.
Denn dies würde wohl oder übel das Ende auch des einfachen Bauens, des
einfachen Designs bedeuten; das Ende einer letzten optimistischen Option auf
das, was an Gestaltkultur noch vor uns liegt. Einfach bauen, einfach
gestalten ist das Simpelste der Welt, sollte man meinen. Realiter ist es das
Anstrengendste, das Zeitraubendste und last not
least das am wenigsten Einträgliche, was es heutzutage überhaupt
gibt. Deshalb sollten wir es kultivieren, intellektuell wie praktisch,
anstatt es hohlen Phrasen populistischer Räsoneure anheim fallen zu lassen.
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