From Outer Space:
Architekturtheorie außerhalb der Disziplin

10. Jg., Heft 1
September 2006
   

 

___Peter Georg Richter
Dresden
  Architektur und Psychologie
Bedeutung von Architektur aus psychologischer Sicht

 

    Die akademische Psychologie – als Lehre vom Erleben und Verhalten des Menschen - beschäftigte sich erst in den letzten Dekaden des vergangenen Jahrhunderts intensiver mit Architektur. Nach einer ersten Arbeit von Canter (1973), die weitgehend ohne Folgen blieb, erschienen im deutschsprachigen Raum seit den 1990er Jahren nennenswerte Arbeiten zur Architekturpsychologie (vgl. Kruse, Graumann & Lantermann, 1990; Fischer, 1990; Harloff 1993; Keul, 1995, Diekmann u. a., 1998). Das ist verwunderlich, ist doch Architektur für den Menschen aus psychologischer Sicht von besonderer Bedeutung.
Architektur ist spätestens seit der neolithischen Revolution ca. 9500 vor Christi ein bestimmendes Merkmal des menschlichen Seins. Seit die Menschen am persischen Golf begannen, sich als Ackerbauer und Viehzüchter niederzulassen ist die Menschheit ohne Gebautes nicht mehr denkbar.
Architektur ist neben Literatur, bildender Kunst zu einem spezifisch menschlichen Speichermedium geworden, in dem sich menschliche Kultur widerspiegelt (Abbildung 1). Im Unterschied zu Kunst und Literatur kann man davon ausgehen, dass Menschen in entwickelten Industrienationen der Architektur im Alltag permanent ausgesetzt sind. Offen bleibt, ob damit ein besonders nachhaltiger Einfluss dieses wichtigen „Lebens-Mittels“  (Hahn, 2005) auf menschliches Erleben und Verhalten verbunden ist.



Abbildung 1:

Drei menschliche Speicher, nach Lang, 1992, mod.


Allerdings lässt sich die Bedeutung des Gebauten nicht auf diese kulturell bedeutsame Speicherfunktion reduzieren. Die Beziehung zwischen gebauter Umwelt und Mensch ist wesentlich intensiver. Sie kann als eine dialektische Beziehung aufgefasst werden, die weit über eine einfache Wechselwirkung hinausgeht.
Indem der Mensch durch Gebautes seine Umwelt nachhaltig verändert, schafft er sich selbst.
Winston Churchill (o. J.) beschrieb diese enge Wechselwirkung zugespitzt mit folgenden Worten:

„First we shape the environment, then the environment shape us.“

Entsprechend wird aus ökologischer Perspektive von „Mensch – Umwelt – Einheit“ gesprochen (Lang, 1988), die Gegenstand einer Disziplin wie der Architekturpsychologie sein sollte.
Das Medium zwischen Mensch und Umwelt, die vermittelnde Instanz, ist nach dieser Auffassung die menschliche Tätigkeit. Leontjew (1977) hat mit seinem Konzept von der „Ringstruktur der Tätigkeit“ ein Modell entwickelt, welches dem interaktiven Charakter dieser Beziehung gerecht wird (Abbildung 2).

Abbildung 2:
Ringstruktur der menschlichen Tätigkeit, nach Leontjew, 1977, mod.


In diesem Modell ist nicht nur die Doppelrolle des Menschen in Bezug auf die Umwelt (Gestalter vs. Nutzer) spezifiziert. Es werden auch die beiden grundsätzlichen Prozesse in dieser engen, transaktionalen Relation deutlich.
Auf der einen Seite geht es um Gestaltung und damit um Veränderung der Umwelt im weitesten Sinn. Das kann im einfachsten Fall das jederzeit rückgängig zu machende Umsetzen eines Tisches oder Stuhles in einem Raum sein, im extremen Fall die irreversible Veränderung einer Landschaft durch menschliche Bauten.
Auf der anderen Seite geht es um Aneignung von (natürlichen und) gebauten Umwelten. Auch hier sind unterschiedlich nachhaltige Prozesse dankbar. Sie reichen vom reversiblen zeitweiligen Besetzen einer Wiese oder einer Bank in einem Park bis hin zur dauerhaften Einzäunung eines Grundstückes o. ä.
Für das Verständnis der besonderen Qualität der transaktionalen Relation zwischen Mensch und Architektur ist es wichtig auf die beiden – psychologisch relevanten – Perspektiven menschlichen Verhaltens hinzuweisen (Tabelle 1). Nur in der Rolle des Menschen als Gestalter der Umwelt kann man von zielgerichteter, das Ergebnis mental vorwegnehmender, Handlung sprechen. Die Fähigkeit dazu ist für Menschen spezifisch. Teil- und unbewusstes Verhalten der Aneignung oder Assimilation von Umwelt kann dagegen auch im Tierreich beobachtet werden.
 


Menschliches Verhalten in Bezug auf Architektur / gebaute Umwelt

                                ↓                                     ↓

auf Architektur gerichtetes proaktives Verhalten

 

von Architektur abhängiges reaktives Verhalten

Mensch ist Gestalter von gebauter Umwelt in seiner Rolle als Architekt, Bauherr, Raumgestalter etc.

 

Mensch ist Nutzer von gebauter Umwelt in seiner Rolle als Mieter, Besucher von öffentlichen Gebäuden etc.

Dies entspricht der Perspektive des bewussten, auf die Umsetzung

von Gestaltungszielen ausgerichteten, Handeln

Dies entspricht der Perspektive des teilbewussten gewohnheitsmäßigen Alltagsverhaltens im Sinne des Behaviorismus

 

vgl. Hacker, 1998
 

 

vgl. Watson, 1913
 


Tabelle 1:
Zwei Perspektiven menschlichen Verhaltens



Selbstverständlich verfügen alle Menschen über Basiskompetenzen zur Gestaltung von Umgebungsmerkmalen. Insofern sind alle Menschen – frei nach dem für die Kunst durchaus zu hinterfragenden Diktum von Joseph Beuys – Gestalter. Schon das Anbringen eines Bildes an der Wand eines Raumes oder das Auflegen einer Tischdecke sind Akte der Gestaltung, in der sich die Identität der Person widerspiegelt.
Allerdings muss davon ausgegangen werden, dass nur wenige Menschen über ausgeprägte professionelle Expertise im Bereich der Umweltgestaltung verfügen. Das schafft nicht nur praktisch methodische Probleme in der Experten-Laien-Kommunikation, wie sie u. a. von Rambow (2000) untersucht wurden. Die von ihm beschriebenen Perspektivenunterschiede zwischen Laien und Experten verweisen darüber hinaus auf wichtige Facetten der Dialektik von Mensch-Umwelt–Beziehungen.
Die damit verbundenen Aspekte sollen jedoch in der Folge nicht vertieft werden. Im Fokus dieser Ausarbeitung stehen vielmehr Fragen der Assimilation und Aneignung von Umwelten durch Menschen. Mit anderen Worten: Wir fragen, in welcher Weise und in welchem Ausmaß Erleben und Verhalten durch Umwelt moduliert oder determiniert wird. Auch wenn die menschliche Auseinandersetzung mit natürlichen Umwelten in bestimmten Facetten übereinstimmend ist, konzentrieren wir uns im Wesentlichen auf Architektur.



Ebenen der Beziehungen zwischen gebauter Umwelt und Mensch

Will man menschliches Erleben und Verhalten in Bezug auf gebaute Umwelt erklären und vorhersagen, so muss man sich die Ebenen vergegenwärtigen, auf denen diese Beziehung beschrieben werden kann und damit der psychologischen Forschung zugänglich ist.
Als Orientierung kann das Drei-Ebenen-Konzept der Regulation dienen, welches von Lang, Bühlmann & Oberli (1987) skizziert wurde. Diese Ebenen beschreiben individuell und sozial bedeutsame Dimensionen der Interaktion von Umwelt und Mensch. Sie entsprechen der ganzheitlichen Auffassung vom Menschen als bio-psycho-soziale Einheit“ (Hollitscher, 1969).

Aktivation

Gebaute Umwelt kann – ebenso wie natürliche Umgebungen – auf einer unmittelbaren biopsychologischen Ebene ihre Wirkung entfalten. Dadurch wird vor allem die aktuelle Befindenslage in ihrer Spannbreite zwischen Anregung und Beruhigung moduliert. Diese Modulation ist in der Regel teil- oder unbewussten Natur. Dadurch können sich Menschen der Wirkung auf dieser Ebene nur schwer entziehen.

Im Wohnbereich entsprechen diese beispielsweise der aktivierenden Gestaltung durch Farbgebung des Wohnzimmers oder der entspannungsfördernden Wirkung eines Schlafraumes. Aber auch in Sakralbauten, öffentlichen Gebäuden und der Arbeitsumwelt wird diese emotional vermittelte Wirkung in unterschiedlichen Richtungen entfaltet. So können in bestimmter Weise gestaltete Büroräume zu höherer Arbeitszufriedenheit oder größerer Leistung führen (Lorenz, 2004; Vilnai-Yavetz, Rafaeli & Schneider Yaacov, 2005).
Ulrich (1984) wies in einer berühmt gewordenen quasiexperimentellen Untersuchung von Patientenräumen nach, dass unter bestimmten Umständen sehr umfassende und nachhaltige Wirkungen resultieren. So führte ein Ausblick auf eine parkähnliche Landschaft im Gegensatz zum Blick auf eine Mauer eines gegenüberliegenden Hauses nicht nur zu schnelleren Gesundung von Patienten bzw. einer kürzeren Aufenthaltsdauer nach der Operation. Die Patienten mit Parkblick benötigen auch weniger schmerzstillende Medikamente und werden vom Pflegepersonal als umgänglicher und freundlicher geschildert.
 

Interaktion

Wie es schon auf der Ebene der Aktivation anklang, besitzt Gebautes zugleich eine wichtige sozial-regulative Funktion: Durch bestimmte räumliche Merkmale kann sie das Ausmaß beeinflussen, in dem Individuen in Gruppen einbezogen sind oder nicht. Im Grunde bewegen sich Menschen auf einem Kontinuum zwischen den beiden Polen der Interaktion und Autonomie, denn niemand kann sich vollkommen aus- noch andere total eingrenzen.
Diese soziale Regulationsfunktion wirkt sich auf die Quantität und Qualität menschlicher Kooperation und Kommunikation aus (Simmel 1908). Während für Menschen vor Jahrtausenden natürliche Gegebenheiten von Einfluss waren, dienen heute vor allem gebaute Strukturen der Regulation von sozialen Austauschbeziehungen.
Lang (1988) argumentiert in diesem Zusammenhang, dass der Erfindung der Tür als Medium dieser Regulation eine ebenso große Bedeutung zukomme, wie der Erfindung des Rades.
Von Baum und Valins in den 1970ern vorgelegte Untersuchungsergebnisse bestätigen, dass Räume und Objekte als externe Handlungs- und Erkenntnisstruktur Regeln des sozialen Zusammenlebens speichern. Entsprechen muss man sich bei der Gestaltung von Umwelten bewusst machen, welche sozialen Bedeutungen transportiert werden sollen und welche nicht.

In verschiedenen Studien konnten die Forscher eindrucksvoll den Einfluss der Gestaltung von Wohnheimen auf soziale Facetten des Verhaltens nachweisen. Studenten, die auf linearen Korridoren in Einzelzimmern wohnten, zeigten im Ver­gleich zu Studenten in familienähnlich zentral arrangierten Suiten nach wenigen Wochen ein absolut verschiedenes Sozialverhalten. Bei Korridor-Anwohnern war nicht nur ausgeprägtes Stresserleben zu beobachten, sie waren auch sozial defensiv, interaktionsscheu und misstrauisch. Neben teilnehmenden Beobachtungen erbrachten auch objektive Messungen (z. B. der gewählte Sitzplatzabstand in einer Wartesituation) eindeutige Ergebnisse (Baum & Valins, 1977).

Entwicklung


Der Begriff der Entwicklung beinhaltet im Gegensatz zu den beiden erstgenannten Dimensionen zusätzlich eine dynamische Komponente. Auf dieser Ebene wird auch die Dialektik von Stabilität der gebauten Umwelt und deren Veränderung fassbar. Diese zeigt sich in einer eine längerfristigen Regulation der personalen und sozialen Identität, in der wechselseitigen Beeinflussung von Mensch und Umwelt über längere Zeiträume, wie es sich beispielsweise in der Entwicklung von Städten oder auch in der Wohnumwelt widerspiegelt. Die Dynamik der physikalischen Umwelt korreliert nach dieser Auffassung mit Aspekten der Persönlichkeitsentwicklung. Hier hinein fallen nach Lang & Slongo (1991) Konzepte, wie

·         Selbstkonzept

·         Selbstausdruck

·         Selbstpflege oder (Selbst-)Kultivation


Zusammenfassend kann man diese Konzepte mit dem Wunsch des Menschen beschreiben, sich in seinem (veränderlichen) Selbstverständnis nach außen darzustellen, sich als bestimmten Gruppen oder Einstellungen zugehörig zu zeigen, aber auch von Anderen abzuheben. Unsere Besitztümer als externe Bedeutungsträger und deren Arrangement eröffnen uns eine erweiterte Kommunikationsmöglichkeit, um unser Innerstes nach außen zu tragen und unsere Mitmenschen zu beeinflussen. Über diesen Mechanismus gelingt das, was Graumann (1983) als dreistufigen Prozess der Bildung von Identität beschreibt. Die Definition des Selbst geht mit räumlicher Identifikation Hand in Hand, weswegen einige Autoren auch von der „Ökologie des Selbst“ sprechen (vgl. Hormuth, 1990).

Ein Versuch, die regulatorische Rolle des Gebauten im Zuge des menschlichen Entwicklungsprozesses abzubilden, ist die Beschreibung des sich verändernden Zusammenwirkens von Mensch und (Wohn-) Umwelt mit wachsendem Lebensalter. Um die Wirkungen auf der Entwicklungsebene erfassen zu können, beschäftigte sich die Gruppe um Lang in diversen Forschungsarbeiten damit, die Artefakte unser Wohnumwelt „sprechen“ zu lassen und deren Bedeutung zu erfahren.
Zur Illustration können die Veränderungen in der Wohnumwelt eines 25jährigen Maschinenbauingenieurs dienen, welcher nach dem Tod seiner Mutter sein Elternhaus verlässt und in eine andere Stadt in ein eigenes Apartment zieht. In einem strukturierten Interview, gepaart mit einer Einrichtungsanalyse des Wohnzimmers, wurden als Abbild der dynamischen Entwicklung der Mensch-Umwelt-Beziehungen wichtige Dinge (Bett, Tisch, Musikinstrument, Zimmerpflanzen, Bilder, Kruzifix), deren Standort und relative Beziehungen im Raum zu zwei Erhebungszeitpunkten erfasst. Die Auswertung der Daten zeigt ein komplexes Abbild der sich mit wachsendem Lebensalter ändernden psychosozialen Identität des jungen Mannes. Die wichtigen Dinge zeigen auch in der veränderten Wohnumgebung ein reichhaltiges Beziehungsgeflecht untereinander. Das Bett als Heimatsymbol, die Geige als Zeichen der Selbsterfüllung und der Arbeitsbereich als Symbol für den Beruf sind im neuen Wohnbereich sicher ineinander eingebunden. Die Bedeutungsträger für soziale Bedürfnisse (neu: Tisch mit mehreren Stühlen), Suche nach Partnerschaft (Bild) und Religion (Kreuz) bilden erwartungsgemäß separate Zonen im Raum. Die Elemente Soziales und Partnerschaft stehen bei der Zweiterhebung im Vergleich zur ersten wesentlich stärker im Vordergrund (Famos, 1989 zit. n. Lang, 1992).

 

  

Regulations--bereiche

Aktuelle 
 Prozesse

Entwicklungs-       prozesse

individuelle    Regulation

Aktivation

(Selbst-)Kultivation

Soziale        Regulation

Interaktion

Kommunikation        (individuelle und soziale Selbstdarstellung)

 

Tabelle 2:
Regulationsprozesse der Mensch-Umwelt-Interaktion, nach Lang, 1991, mod.

 

Tabelle 2 zeigt zusammenfassend die Einordnung der drei ebenen der Regulation Mensch-Umwelt: Aktivation, Interaktion und Entwicklung. Wie sich erkennen lässt, plädiert Lang (1992) in dieser Überlegung für eine zusätzliche Aufspaltung des Faktors Entwicklung in eine individuelle und soziale Regulationskomponente. Diese Matrix kann als heuristischer Rahmen für die verschiedenen Forschungsperspektiven der Architekturpsychologie dienen.


Forschungsperspektiven und Ansätze der Architekturpsychologie

Innerhalb dieses Rahmens lassen sich einzelne empirische Teilstudien ebenso verorten wie komplexe Untersuchungen.
Man kann davon ausgehen, dass eine unüberschaubare Zahl psychologischer Methoden existiert, die bei der Analyse einzelner Facetten der Mensch-Umwelt-Beziehungen zur Anwendung kommen können. Die Untersuchungsgegenstände reichen von biopsychologischen Messungen der Farbwirkung (Krüger, 2003) über Studien zur Wahrnehmung von Straßenelementen (Schreckenberh & Heine, 1997) und zur Orientierung in unbekannten Gebäuden (Baskaya, Wilson & Özcan, 2004) bis hin zur Aneignung von Arbeitsräumen (Fischer, 1990) oder der Analyse von Abnutzungsspuren, um die Attraktivität von Ausstellungsobjekten zu bestimmen (Webb, et. al., 1981; Fritsche & Linneweber, 2004). Darüber hinaus gibt es auch zahlreiche Ansätze der Intervention und Gestaltung, beispielsweise von Welter (1985), Richter (1995) oder Dieckmann u. a. (1998).
Deshalb kann es nicht Sinn der folgenden Ausführung sein, einen erschöpfenden Überblick zu geben. Vielmehr soll es darum gehen, anhand von ausgewählten Studien zu illustrieren, in welcher Weise empirische Ansätze verfolgt werden und zu welchen Aussagen man auf dieser Basis kommen kann.

Zunächst soll der Prozess der Aneignung von gebauten Umwelten und deren Effekte in den Blick genommen werden. Anhand von drei eigenen Studien werden damit die Ebenen Aktivation, Interaktion und Entwicklung etwas ausführlicher betrachtet. Die vollständigen Beschreibungen von Methoden und Ergebnissen finden sich unter www.architekturpsychologie-dresden.de


Subjektive Bewertung von Straßenzügen (Richter & Weber, 1998, 1999)

 

richterabb_03.jpg (71451 Byte)
Abbildung 3:
Untersuchter Straßenzug im Originalzustand


richterabb04-kl.jpg (12956 Byte)
Abbildung 4:
Straßenzug mit Lückenbebauung, Variante 3/5: dreifach breites Haus / fünf Etagen
 
  Gegenstand dieser Untersuchung war die differenzierte Beschreibung von Wahrnehmungs- und Bewertungsprozessen in Bezug auf gebaute Umwelten.
Als Material wurde die Computersimulation eines realen, zehn Häuser umfassenden, Straßenzuges verwendet, die systematisch variiert wurde. Im Originalzustand handelt es sich um eine lückenlose Bebauung mit vierstöckigen Häusern vom Beginn des 20. Jahrhunderts (Abbildung 3). Durch Einfügung eines modernen Gebäudes wurde eine Lückenbebauung simuliert, wie sie in vielen Städten zu beobachten ist. Dabei wurde die Breite des Neubaues (eine Hausbreite, zwei Häuserbreiten, drei Häuserbreiten) sowie die Anzahl der Geschosse (4 Etagen, 5 Etagen) stufenweise variiert. Insgesamt wurden sechs Varianten der Lückenbebauung untersucht. In Abbildung 4 ist die vom Originalzustand extremste Abweichung dargestellt.

Für jede der Bedingungen wurde computergestützt ein virtueller Gang durch den Straßenzug animiert, der insgesamt 30 Sekunden dauerte und bei dem der Blick an drei Stationen um 180° schwenkte. Im Anschluss an die in Zufallsabfolge dargebotenen Bedingungen wurden Wahrnehmungen und Beurteilung der durch die 42 Untersuchungsteilnehmer erfasst. Der standardisierte Erhebungsbogen erlaubte eine differenzierte Analyse der subjektiven Widerspiegelung. So war es nicht nur möglich, das Setting anhand distaler Merkmale der Architektur, die unmittelbare Wahrnehmung / Perception (Gliederung, Proportionen etc.), sondern auch das anhand proximaler Merkmale des Erlebens / Emotion (befreiend, vertraut, lebhaft etc) zu erfassen. Darüber hinaus wurde mittels semantischem Differential das Image des Straßenzuges (traditionell, gemütlich etc.) erhoben, sowie – über eine Auswahlantwort – die widerspiegelten Nutzungsmöglichkeiten (Wohnen, Einkaufen, Erholen etc.). Last but not least zielte eine offene Frage auf die Merkmale des Straßenzuges, die dessen Einmaligkeit/Unverwechselbarkeit ausmachen.
Die ausgewählte Darstellung der Untersuchungsergebnisse hebt nicht auf die – ebenfalls betrachteten – Unterschiede zwischen Experten und Laien ab. Ebenso werden aus Platzgründen nur die Daten für fünf von insgesamt sieben untersuchten Varianten dargestellt.

Als ein erstes Resultat der differenzierten Erhebung kann festgehalten werden, dass die vorgenommene Manipulation der Lückenbebauung sich in allen Facetten der subjektiven Widerspiegelung zeigt. Das Einfügen von Gebäuden mit vom Originalzustand abweichenden Fassadenattributen in einem weitgehend homogenen Straßenzug führt zu einer ungünstigen Beurteilung. Es lassen sich sowohl Unterschiede in der – eng an Architekturmerkmale gebundene – perzeptiven Beurteilung (Gibson, 1982) nachweisen als auch bei der emotionalen Bewertung (Abbildung 5). Die Eintrübung des Urteils kann dadurch erklärt werden, dass die vorgenommene architektonische Veränderung im mehr oder weniger starken Widerspruch zum vorhandenen baulichen Kontext steht (Stamps, 1994).
Von praktischem Belang ist, dass dieser Effekt schon statistisch gesichert werden kann, wenn etwa 10 % des Gesamtobjektes betroffen sind. Im vorliegenden Fall verändert sich das Urteil bereits signifikant, wenn nur eines von zehn Gebäuden des Straßenzuges moderner gestaltet wird. Offensichtlich kann mit nur wenigen architektonischen Änderungen eine Modulation des Gesamteindruckes erreicht werden (s. u.).

Abbildung 5:
Beurteilung des Straßenzuges auf der Ebene Perzeption (oben) und Emotion (unten),
Hohe Werte = positive Beurteilung

            Versuchsvarianten Lückenbebauung:      1/4 = einfach breites Haus, vier Etagen
                                                           1/5 = einfach breites Haus, fünf Etagen
                                                           3/4 = dreifach breites Haus, vier Etagen
                                                           3/5 = dreifach breites Haus, fünf Etagen


Darüber hinaus sind sowohl Differenzen auf der symbolischen Ebene der Beurteilung (Gerlach & Apolinarski, 1997) als auch hinsichtlich der funktionellen Aspekte des untersuchten Straßenzuges nachweisbar.
Bemerkenswert ist, dass bei der Beurteilung des Originalzustandes eine ausgewogene Mischung aus Wohnen, Gaststättenbesuch und Einkaufen angegeben wird. In den Varianten mit moderner Lückenbebauung wird der Handlungsbezug Einkaufen zunehmend bedeutsam. Mit anderen Worten, im subjektiven Urteil wandelt sich die Straße zu einer Geschäftsstraße, die weniger zum Wohnen geeignet scheint (Abbildung 6).


Abbildung 6:
Häufigkeit der Nennung verschiedener Nutzungsfunktionen
Versuchsvarianten Lückenbebauung:      1/4 = einfach breites Haus, vier Etagen
                                                           1/5 = einfach breites Haus, fünf Etagen
                                                           3/4 = dreifach breites Haus, vier Etagen
                                                           3/5 = dreifach breites Haus, fünf Etagen


Die Veränderung der Urteilscharakteristika sind in sich konsistent, was für den ganzheitlichen Charakter der Beurteilung von (Architektur-) Objekten spricht. Darauf verweist auch der Umstand, dass für die Beurteilung von Originalität und Unverwechselbarkeit Merkmale dominant werden, die nicht an die Eigenheiten von Architektur und Fassade gebunden sind (Abbildung 7). Beispielsweise sind hier auch Merkmale der Straßenführung und die Straßenbahnschienen von Bedeutung.


Abbildung 7:
Häufigkeit der Nennung markanter Punkte des Straßenzuges, die Originalität und Unverwechselbarkeit ausmachen (Mehrfachnennungen möglich)


Damit können wir unter sehr realitätsnahen Wahrnehmungsbedingungen ein Ergebnis bestätigen, welches von Stamps (1994) berichtet wurde. Bei der Beurteilung komplexer Architekturobjekte, wie sie ein Straßenzug darstellt, spielen Kontexteffekte eine wichtige Rolle. Sie haben das Potential, alle Facetten der Bewertung zu modulieren.

Insgesamt wird deutlich, welche differenzierten Facetten ein menschliches Urteil über Architektur enthält und wie weit reichend die Schlussfolgerungen sein können, die Menschen bei der Wahrnehmung von Architektur ziehen.
 

Wirkungen der Raumstruktur auf kindliches Verhalten (Birkner, 2004)

Im Fokus dieser Untersuchung stand die durch unterschiedliche Raumstrukturen modulierte Interaktion von Kindern, speziell ging es um das Spielverhalten von Vorschulkindern.
In einem Quasiexperiment wurden zwei israelische Kindergärten mit unterschiedlicher Raumstruktur verglichen (Abbildungen 8, 9). Es ist zu erkennen, dass die Unterschiede zwischen beiden Settings nicht besonders groß sind. Allerdings ist es für die Untersuchung relevant, dass die Räumlichkeiten bei Einrichtung B stärker strukturiert sind. Hier finden sich zwei separate Räume sowie zwei Raumnischen. In Einrichtung A ist nur ein separierter Raum vorhanden und keine Nischen.

Abbildung 8:
Raumstruktur / Grundriss Einrichtung A


Abbildung 9:
Raumstruktur / Grundriss Einrichtung B


Die Methoden der Erhebung bestanden vor allem in der Beobachtung des freien kindlichen Spielverhaltens. Bei insgesamt 54 Kindern (Einrichtung A = 22, Einrichtung B = 32) wurden gestützt auf einen standardisierten Beobachtungsbogen die Spiele beschrieben und einer Spielform zugeordnet. Diese Kategorisierung orientierte sich an Mogel (1994) sowie Nickel & Schmidt-Denter (1991). Es ergaben sich vier Typen von Spielformen:

-          Funktions- und Bewegungsspiele (z. B. Toben, Wettern etc.)

-          Erfolgsspiele (z. B. Konstruktions-, Denkspiele etc.)

-          Rollenspiele (Fiktionsspiele in den Kinder Rollen übernehmen)

-          Gemeinschaftsspiele / Regelspiele (Kontakte zwischen Kindern knüpfen, Absprachen von bestimmten Regeln etc.)

Zur Erfassung des Erlebens wurden die Kinder gebeten, ihren Lieblingsplatz im Kindergarten zu zeigen. Dieser wurde fotografisch dokumentiert. Ausgewählte Personenmerkmale wurden kontrolliert. Dies waren neben Alter und Geschlecht, die Religion, der familiäre Hintergrund sowie die Kindergarten-Erfahrung. Aus Platzgründen werden wiederum nur Ergebnisausschnitte dargestellt, die das kindliche Interaktionsverhalten im Spiel betreffen.

Betrachtet man die bevorzugte Gruppengröße im freien Spiel, so ist auffällig, dass in beiden Kindergärten, bis auf eine von den Erzieherinnen forcierte Ausnahme, Kleingruppen von 2 bis 3 Kindern überwiegen (Abbildung 10). Die beobachtete maximale Gruppengröße ist  i. d. R. sieben, was Untersuchungen von Walden & Schmitz (1999) bestätigt. Eine Modulation der Gruppengrößen durch die Raumstruktur der beiden Kindergärten ist nicht direkt erkennbar. Der relative Vergleich verweist jedoch darauf, dass ihn Einrichtung A kleinere Gruppen etwas häufiger anzutreffen sind (bis Größe 2 – 3 = 65 %), als in Einrichtung B (bis Größe 2 – 3 = 50 %).

Abbildung 10:
Größen der Kindergruppen in den beobachteten Spielsituationen


In einer zweiten Fragestellung wurde geprüft, ob Kinder beim freien Spiel unterschiedliche Spielflächen nutzen. Es wurde nach Walden & Schmitz (1999) davon ausgegangen, dass für das Kleingruppenspiel überwiegend baulich abgegrenzter Raum gewählt wird. Das ist bei den beobachteten Kindern nicht der Fall. Über 50 % der Spiele finden im offenen Raum statt. Möglicherweise zeigen sich hier  Einflüsse des wärmeren Klimas in Israel und/oder kulturelle Unterschiede im Spielverhalten gegenüber Europa.
Allerdings gibt es Hinweise auf die Modulation von Spieldauer und Spielatmosphäre, die durch unterschiedliche Raumstrukturen bedingt sein können. So wird im Kindergarten A signifikant kürzer gespielt als in Kindergarten B (Abbildung 11). Mit anderem Worten, die Kinder in Einrichtung B zeigen im Mittel ausdauernderes Spielverhalten und sind damit länger an einen Spielort gebunden.


Abbildung 11:
Prozentuale Verteilung der Dauer beobachteter Spielsituationen


Das geht einher mit Differenzen bei der Spielatmosphäre. Ausgegangen wurde von der Annahme, dass in unstrukturierten Räumen im Vergleich zu gegliederten Räumen eine unruhige/laute Spielatmosphäre herrscht. Dies kann tendenziell für die Häufigkeit von unterschiedlichen Spielsituationen bestätigt werden. In der stärker strukturierten Einrichtung B sind mehr als doppelt so häufig ruhige Spielsituationen zu beobachten, bei unruhigen Spielsituationen sind die Verhältnisse umgekehrt (Abbildung 12).

Abbildung 12:
Atmosphäre der beobachteten Spielsituationen


Auch bei den Spielformen finden sich Differenzen, die auf die unterschiedliche Raumstruktur zurückgeführt werden können (Abbildung 13). Neben den Erfolgsspielen, die in beiden Einrichtungen den größten Anteil ausmachen, überwiegen in Kindergarten A Bewegungsspiele. Dies ist offenbar eine der Ursachen für die oben gezeigte unruhige Atmosphäre und könnte darauf zurückzuführen sein, dass der große zentrale Raum in Kindergarten A ausreichenden Platz für Bewegungsspiele bietet.

Abbildung 13:
Verteilung der Spielformen auf die beobachteten Spielsituationen


Nach Mogel (1994) kann man in stärker untergliederten Räumen eine größere Vielfalt von Spielen beobachten. Auch dafür gibt es Hinweise in der vorliegenden Untersuchung. Im räumlich stärker strukturierten Kindergarten B finden wir – abgesehen von Mischformen – alle vier Grundtypen von Kinderspielen, im Kindergarten A werden dagegen keine Gemeinschaftsspiele beobachtet. Damit kann festgehalten werden, dass es zwischen den untersuchten Einrichtungen signifikante Unterschiede zwischen den Spielformen gibt. Das gilt sowohl für die Auftretenswahrscheinlichkeit als auch für die mit den jeweiligen Spielformen verbrachte Zeit.

Insgesamt wird deutlich, dass Raumstrukturen das Spielverhalten von Vorschulkindern modulieren können. Dabei scheinen weniger qualitative Merkmale (beispielsweise die Gruppengröße) als qualitative Kennzeichen von Spielen (Spielatmosphäre, Vielfalt von Spielen) beeinflusst zu sein.
Will man derartige Qualitäten fördern, so müssten Raumstrukturen ausreichende und ausreichend große (für ca. sieben Kinder) nutzbare Flächen zur Verfügung stellen. Bei einer Gesamtanzahl von etwa 35 Kindern ist Einrichtung B zwar an diesen Wert angenähert, weist jedoch auch noch Defizite aus. Empfehlenswert wären darüber hinaus auch heterogene, thematisch spezifische, Raumnischen, die für die freien Spielgruppen während des Spieles einen privaten Charakter (Westin, 1967) einnehmen können.


Einflüsse auf das Schönheitsempfinden von künstlichen und natürlichen Umweltinhalten (Nüchterlein, 2005)

 

 
richterabb14-kl.jpg (29187 Byte)
Abbildung 14
Beispiel für einen künstlichen Umweltausschnitt (Material: Flury, 1992)


richterabb15-kl.jpg (56753 Byte)
Abbildung 15
Beispiel für einen natürlichen Umweltausschnitt (Material: Flury, 1992)
 
  Diese Studie widmete sich der individuellen Entwicklung ästhetischer Standards in Auseinandersetzung mit der Lebensumwelt. Erste Ergebnisse einer Pilotuntersuchung von Flury (1992) sollten repliziert und erweitert werden.
Bei 272 jungen Erwachsenen wurde mittels einer fünfstufigen Skala Urteile für gebaute und natürliche Umwelten erfasst. Für jeden dieser Umweltausschnitte wurden in Gruppensitzungen über Beamer 12 Fotografien in zufälliger Abfolge dargeboten (Abbildungen 14, 15).

Neben der Schönheit war in einem zweiten Durchgang die Vertrautheit mit den präsentierten Umwelten einzuschätzen. Die Abfolge der Urteile wurde in verschiedenen Teilstichproben ausbalanciert, so dass Abfolgeffekte auszuschließen waren. Darüber hinaus wurde mit einer retrospektiven Befragung erhoben, in welchen Umwelten die Untersuchungspartner aufgewachsen waren. Für fünf Lebensphasen (Vorschulalter 0 – 6, Grundschulalter 7 – 12, Schulalter 13 – 18, Ausbildung 19 – 24) wurde erfragt, ob es sich bei der Wohn- und Ausbildungsumgebung um eine städtische oder ländliche handelte. Personelle Kontrollvariablen waren das Geschlecht, Persönlichkeitsmerkmale (Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, Emotionalität, Offenheit für Neues) sowie die aktuelle Stimmung (positive vs. negative Affektivität) zum Zeitpunkt der Untersuchung.

Es ist durch zahlreiche Untersuchungen bekannt, dass weltweit natürliche Umgebungen künstlichen vorgezogen werden. Das war auch in unserer Untersuchung der Fall (Abbildung 16). Dafür gibt es unterschiedliche Erklärungsansätze. Nach dem Vier-Faktoren-Modell von Kaplan (1987) kann man argumentieren, dass natürliche gegenüber gebauten Umwelten generell höhere Kohärenz, Komplexität, Lesbarkeit und Ungewissheit aufweisen und deshalb als schöner beurteilt werden. Entsprechend der Savannen-Hypothese (Buss, 2004) kann diese Bevorzugung auf die Landschaft in der Wiege der Menschheit, die zentralafrikanische Savanne, zurückgeführt werden. Dafür steht auch, dass die natürlichen Umwelten von den Untersuchungspartnern signifikant als vertrauter eingeschätzt werden.

Abbildung 16:
Schönheits- und Vertrautheitsurteil über künstliche und natürliche Umweltausschnitte,
Werte 0 = nicht schön/fremd
Werte 5 = schön/vertraut


Zu fragen ist, ob sich in diesem Urteil auch die jeweils individuellen Erfahrungen mit den biografischen Umwelten in verschiedenen Lebensphasen widerspiegeln. Nach Piaget (1974), Zajonc (1968) und Chawla (1992) kann man vermuten, dass die Qualität der Lebens- und Ausbildungsumgebung auch das Schönheitsurteil modulieren müsste. In städtischer Umgebung aufgewachsene Personen müssten danach gebaute Umwelten relativ schöner empfinden, als auf dem Lande aufgewachsene und umgekehrt.

Nach den vorliegenden Untersuchungsergebnissen kann man diese Hypothese zumindest für die erste Lebensphase bestätigen (Abbildung 17).


Abbildung 17:
Vorhersage des Schönheits- und Vertrautheitsurteils über natürliche Umweltinhalte
durch objektive und subjektiv widergespiegelte biographische Umwelten im Alter von 0 bis 6 Jahren, multiple lineare Regression


Eine multiple lineare Regressionsanalyse belegt dem signifikanten Einfluss der objektiven Lebensumwelten sowohl auf das Schönheits- als auch auf das Vertrautheitsurteil. Interessanterweise scheint dieser Einfluss stärker zu sein als die retrospektiv erfasste subjektive Widerspiegelung der Umwelt als eher natürlich oder unnatürlich. Auch wenn aufgrund bestimmter Stichprobeneigenheiten ein derartiger Zusammenhang nicht so deutlich gezeigt werden kann ist dieses Ergebnis ein Hinweis darauf, dass biographische Umwelten ästhetische Urteile modulieren können. Offensichtlich spielen dabei implizite Lerneffekte bei der Assimitation der Lebensumwelt eine Rolle, die nur selten bewusst ablaufen.

Auch in der aktuellen Untersuchungssituation lassen sich Belege dafür finden, dass ein teil- und/oder unbewusster Zusammenhang zwischen der Stimmungslage der Untersuchungspartner sowie den abgegebenen Urteilen existiert. Ebenso wie Höge (1995) konnte gezeigt werden, dass positive Stimmung mit positiveren Urteilen korreliert. Dieser signifikante Zusammenhang klärt bei Schönheitsurteilen 5,2 %, bei Vertrautheitsurteilen 5,7 % der Varianz auf. Da diese Verschiebung für beide Umwelttypen in die gleiche Richtung gehen, bleiben die oben berichteten Differenzen erhalten.

Ein Zusammenhang von Schönheits- und Vertrautheitsurteil mit den untersuchten habituellen Persönlichkeitseigenschaften kann dagegen nicht hergestellt werden. Nur für die Offenheit gegenüber Neuem ergibt sich eine schwache Beziehung dergestalt, dass Personen die sich selbst als wissbegierig und Abwechslungen liebend beschreiben, die präsentierten natürlichen Umwelten als vertrauter einschätzten. Die Varianzaufklärung ist minimal, sie liegt bei 2,9 %.
 

Hochsignifikant sind dagegen die Geschlechtsunterschiede bei der Beurteilung. Wie aus Abbildung 18 hervorgeht, differenzieren weibliche Untersuchungsteilnehmer in beiden Urteilen wesentlich stärker zwischen natürlichen und gebauten Umwelten als männliche.

Abbildung 18:
Schönheits- und Vertrautheitsurteile über natürliche und künstliche Umweltinhalte
Im Vergleich zwischen Frauen (N = 194) und Männern (N = 78)
Werte 0 = nicht schön / fremd
Werte 5 = schön / vertraut


Für dieses Ergebnis gibt es keine fundierten Erklärungsansätze, sondern eher Fragen, die in weiterführenden Untersuchungen zu klären wären. Sind Frauen generell sensitiver gegenüber Umweltinhalten? Wenn ja, durch welche Mechanismen in der rollenbezogenen Sozialisation oder spezifische Lernprozesse wird diese entwickelt? Gäbe es auch in dieser Beziehung Hinweise auf evolutionäre Ursachen, die in der Jahrtausende alten Rollenteilung zwischen Frauen und Männern liegen?

Insgesamt steht diese Frageliste dafür, dass es noch einen großen Bedarf nach weiteren Untersuchungen im Feld der psychologischen Architekturforschung gibt. Gerade im Bereich individueller und sozialer Entwicklung bei der Auseinandersetzung mit gebauter Umwelt ist dieser gegeben. Allerdings ist gerade hier der Forschungsaufwand besonders hoch. Um exakte kausalanalytische Aussagen treffen zu können, wären prospektive Langzeitanalysen bei großen Stichproben notwendig.


Interventionsansätze in der Architekturpsychologie

Selbstverständlich kann die Psychologie auch nennenswerte Unterstützung bei der Neu- und Umgestaltung geben. Das Ziel aller dieser Maßnahmen wäre es, zu erreichen, dass neue Architektur von ihren künftigen Nutzern angenommen und nicht abgewehrt wird (Richter, 2005).
Hier gibt es mittlerweile eine fundierte Tradition, die im deutschsprachigen Raum spätestens in den 1970ern begann. Sie soll abschließend nur mit wenigen Stichworten gekennzeichnet werden, um den Rahmen dieser Ausführungen nicht zu sprengen.

Grundprinzip dieser Ansätze ist Partizipation, also die Einbeziehung von betroffenen und Nutzern (Welter, Sinnen & Helwing, 1995). Die oben dargestellten Analysemethoden können dabei in allen Phasen des Entwurfs- und Umsetzungsprozesses eingesetzt werden. Im Vorfeld von Baumaßnahmen ist es möglich Nutzerbedürfnisse zu erfassen. Insbesondere im angloamerikanischen Raum ist die Entwicklung von UNA (user need analysis) weit vorangetrieben (Linneweber, 1993). In der Entwurfsphase können mit psychologischen Verfahren Variantenentwürfe fundiert evaluiert und weiterentwickelt werden (Dieckmann u. a. 1998). Last but not least ist auch nach der Inbetriebnahme von um- und/oder neu gebauter Architektur eine differenzierte Bewertung möglich. Auch dafür sind im Rahmen der so genannten POE (post occupancy evaluation) mittlerweile zahlreiche Methoden verfügbar, die im konkreten Fall einsetzbar sind (Keul & Pienert, 1997; Preiser & Visher, 2005).

Wichtig ist, dass in allen Phasen des komplexen und lang dauernden Entwurfs- und Umsetzungsprozesses die angemessene Kommunikation zwischen den Architekten (als Experten) und den Betroffenen (als Laien) unterstützt und gefördert wird, um nachhaltigen Erfolg zu erzielen. Die Arbeiten von Welter (1985) und Rambow (2000, in dieser Ausgabe) haben dafür eine gute Basis geliefert.


Ausblick

Auch wenn die Architekturpsychologie im europäischen Raum noch keine lange Tradition hat, sollte deutlich geworden sein, dass sie mittlerweile über ein gutes theoretisches und methodisches Fundament verfügt. Die weitere Entwicklung sollte in zwei Richtungen vorangetrieben werden.
Um im Bild des Bauens zu bleiben, geht es auf der einen Seite darum, auf diesem Fundament ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Gebäude zu bauen, indem einschlägige Theorien und Methoden ausgebaut und verfeinert werden.
Auf der anderen Seite ist es notwendig, die Pläne und Fortschritte am Gebäude der Architekturpsychologie auch den anderen Architekten und Gestaltern zugänglich zu machen. Auf diese Weise wird man diesem interdisziplinären Fach wirklich gerecht. Nur wenn gestaltungsrelevantes psychologisches Wissen in die Köpfe derer gelangt, die Umwelten professionell gestalten und verändern, wird es wirksam werden können.


 



Literatur

Baskaya, A., Wilson, Ch. & Özcan, Y. (2004). Wayfinding in an Unfamiliar Environment. Environment and Behavior. 36, 6, 839 - 876

Baum, A. & Valins, S. (1977). Architecture and social behaviour: Psychological Studies of social Density. Hillsdale M. J.: Erlbaum

Birkner, E. (2004). Auswirkungen der Raumstruktur eines Kindergartens auf das kindliche Verhalten und Erleben. Forschungsbericht. TU Dresden

Buss, D. M. (2004). Evolutionäre Psychologie (2. Aufl.). München: Pearson Studium.

Canter, D. (1973). Architekturpsychologie – Theorie, Laboruntersuchungen, Feldarbeit. Düsseldorf: Bertelsmann

Chawla, L. (1992). Childhood Place Attachments. In I. Altman & S. M. Low (Eds.), Human Behavior and Environment. Advances in Theory and Research. Vol. 12. Place Attachment (p. 63-86). New York: Plenum Press.

Dieckmann, F., Flade, A., Schuemer, R., Ströhlein, G. & Walden, R. (1998). Psychologie und gebaute Umwelt. Konzepte, Methoden, Anwendungsbeispiele. Darmstadt: Institut Wohnen und Umwelt.

Fischer, G. N. (1990). Psychologie des Arbeitsraumes. Frankfurt/M., New York: Campus.

Flury, P. (1992). Lerneinflüsse auf das Schönheitsempfinden gegenüber Umweltinhalten. Der Zusammenhang zwischen den biographischen Umwelten und der persönlichen Umweltästhetik. Forschungsbericht. Zürich: Universität Zürich.

Fritsche, I. & Linneweber, V. (2004). Nonreactive (unobstrusive) methods. In: M. Eid & E. Diener (Eds.). Handbook of Psychological Measurement – A Multimethod Perspective. Washington D.C.: American Psychological Association (APA)

Gibson, J. J. (1982). Wahrnehmung und Umwelt. Der ökologische Ansatz in der visuellen Wahrnehmung. München: Urban & Schwarzenberg.

Gerlach, P. & Apolinarski, I. (1997). Identitätsbildung und Stadtentwicklung. Frankfurt/M. u. a.: Peter Lang

Hacker, W. (1998). Allgemeine Arbeitspsychologie. Bern, Göttingen, Toronto, Seattle: Huber.

Hahn, A. (2005). Wohnen und Bauen – Architektur als Lebensmittel: Bemerkungen zum Selbstverständnis einer Theorie des architektonischen Verhaltens. Wolkenkuckucksheim. 9, 2, März 2005

Harloff, H. J. (Hrsg.) (1993). Psychologie des Wohnungs- und Siedlungsbaus. Göttingen, Stuttgart: Verlag für Angewandte Psychologie

Höge, H. (1995). Fechners Experimental Aesthetics and the Golden Section hypothesis today. Empirical Studies of the Arts, 13, 131 - 148

Hollitscher, W. (1969). Der Mensch im Weltbild der Wissenschaft. Wien: Globus

Hormuth, S. (1990). The ecology of the self. Cambridge UK: Cambridge University Press.

Kaplan, S. (1987). Aesthetics, Affect, and Cognition. Environmental Preference from an Evolutionary Perspective. Environment and Behavior. 19(1), 3-32.

Keul, A. G. (Hrsg.). (1995). Wohlbefinden in der Stadt. Weinheim: Beltz, PVU

Keul, A. & Pienert, Ch. (1997). Post-Occupancy Evaluation von 15 Siedlungen im Wiener Wohnungsbau. Umweltpsychologie 1, 52 – 57

Krüger, M. (2003). Temperaturwirkung der Farben: Exemplarisch dargestellt am Warm-Kat-Kontrast und dessen Einsatz in der bildenden Kunst. Dissertation. TU Dresden

Kruse, L., Graumann, C.-F. & Lantermann, E.-D. (1990). Ökologische Psychologie – Ein Handbuch in Schlüsselbegriffen. München: PVN.

Lang, A. (1988). Die kopernikanische Wende steht in der Psychologie noch aus! – Hinweise auf eine ökologische Entwicklungspsychologie. Schweizer Zeitschrift für Psychologie 47, 2/3, S. 93 – 108.

Lang, A. (1992). On the knowledge in Things and Places, in: Cranach, M. v. et. al. (Eds.) Social representations and the social basis of knowledge, Bern: Huber.

Lang, A., Bühlmann, K. & Oberli, E. (1987). Gemeinschaft und Vereinsamung im strukturierten Raum: psychologische Architekturkritik am Beispiel Altersheim. Schweizerische Zeitschrift für  Psychologie 46, 1987, 3/4 S. 277 – 289.

Lang, A. & Slongo, D. (1991). Psychology of the Dwelling Activity: People with their Things in their Rooms. Reports form the Institute of Psychology, Univ. Bern, Group for Environmental and Cultural Psychology, 1991-3.

Leontjew, A. N. (1977). Tätigkeit, Bewusstsein, Persönlichkeit. Stuttgart: Klett

Linneweber, V. (1993). Wer sind die Experten? – „User needs analysis“ (UNA), „post occupancy evaluation“ (POE) und Städtebau aus sozial und umweltpsychologischer Perspektive. H. J. Harloff, (Hrsg.) (1993). Psychologie des Wohnungs- und Siedlungsbaus. Göttingen, Stuttgart: Verlag für Angewandte Psychologie

Lorenz, D. (2004). Living at Work. BüroSpezial. 5, 6

Mogel, H. (1994). Psychologie des Kinderspiels. Stuttgart: Kohlhammer.

Nickel, H. & Schmidt-Denter, U. (1991). Vom Kleinkind zum Schulkind: eine entwicklungspsychologische Einführung für Erzieher, Lehrer und Eltern. München: Reinhardt

Nüchterlein, P. (2005). Einflüsse auf das Schönheitsempfinden von Umweltinhalten. Diplomarbeit. TU Dresden

Piaget, J. (1974). Der Aufbau der Wirklichkeit beim Kinde. Stuttgart: Klett

Preiser, W. F. & Visher, J. C. (2005). Assessing Building Performance. : Elsevier

Rambow, R. (2000). Experten-Laien-Kommunikation in der Architektur. Münster, New York, München, Berlin: Waxmann

Richter, P. G. (1995). IM AUGE DIE AUG oder DIE AUG IM AUGE – Ein pointiertes Hilfsmittel für den heuristisch orientierten partizipativen Prozess der Arbeitsumweltgestaltung. Dresden: TU Dresden.

Richter, P. G. (Hrsg.). (2004). Architekturpsychologie. Eine Einführung. Lengerich: Pabst Science Publishers.

Richter, P. G. (2005). Konsequenzen vermutlich – Zur Reaktion von Menschen auf mutige Architektur. In: Ohlhauser, G. (Hrsg.) mut.mass. Darmstadt: Resopal Verlag

Richter, P. G. & Weber R. (1998). Subjektive Beurteilung von Straßenzügen. Forschungsbericht. TU Dresden

Richter, P. G. & Weber R. (1999). Subjektive Beurteilung von Straßenzügen. Der Architekt. 10. 32 - 38

Schreckenberg, D. & Heine, W.-D. (1997). Die Fahrradstraße als Verhaltensangebot für eine umweltfreundliche Verkehrsmittelnutzung. In: Schlag, B. (Hrsg.) Fortschritte der Verkehrspsychologie. 36. BDP-Kongress, Bonn: Deutscher Psychologen Verlag.

Simmel, G. (1908). Der Raum und die räumlichen Ordnungen der Gesellschaft. Berlin: Duncker & Humblot

Stamps, A. E. (1994). A Study in Scale and Character: Contextual Effects on Enviromental Preferences. Journal of Enviromental Management. 42. 225 - 245

Ulrich, R. S. (1984). View trough a window may influence recovery from surgery. Science, 224, 420-421.

Vilnai-Yavetz, I., Rafaeli, A. & Schneider Yaacov, C. (2005). Instrumentality, Aestehetics, and Symbolism of Office Design. Enviroment and Behavior. 37, 4, 533 - 551

Walden, R. & Schmitz, I. (1999). Kinderräume: Kindertagesstätten aus architekturpsychologischer Sicht. Freiburg: Lambertus

Watson, J. B. (1913) Psychology as the behaviourist views it. Psychological Review, 20, 1913, S. 158 – 177

Westin, A. (1967). Privacy and Freedom. New York: Atheneum

Welter, R. (1985). Anregungen zur Förderung und Belebung des Wohnens und Betreuens in Heimen – ein Arbeitsbuch. Zürich: Duttweiler Institut.

Welter, R., Simmen, R. & Helwing, K. (1996). Anders alt werden: Mitreden – Mitplanen. Heidelberg: Carl Auer.

Zajonc, R. B. (1968). Attitutional effects of mere exposure. Journal of Personality and Social Psychology. 2, Pt.2, 1 – 27

www.architekturpsychologie-dresden.de

 



Quellenverzeichnis
 

Abb. 1-2; Tab. 1-2 aus: Richter, P. G. (2004)
Abb. 3-7 aus: Richter, P. G. & Weber, R. (1998)
Abb. 8-13 aus: Birkner, E. (2004)
Abb. 14-18 aus: Nüchterlein, P. (2005)

        
 


feedback  


10. Jg., Heft 1
September 2006