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1. Qualität
Zunächst soll explizit festgehalten werden,
dass der Aspekt der Qualität und ihrer Messung direkt auf die Architektur
übertragen werden kann, da jedes architektonische Werk auf einen Zweck
ausgerichtet ist (vgl. Dreyer, 1997), das es mehr oder weniger erreicht. Der
Grad der Funktionserfüllung kann prinzipiell „gemessen“ und somit die
Qualität des Gebäudes beschrieben werden. Wird nun über Qualität gesprochen,
ist es notwendig, den Qualitätsbegriff und die zugrunde liegenden Kriterien
zu spezifizieren. Die Frage nach Qualitätskriterien in der Architektur ist
allerdings alles andere als trivial und kann kaum nach objektiven Vorgaben
definiert werden. Die erste – und vielleicht die letzte – Einigkeit über den
Qualitätsbegriff in der Architektur ist vermutlich die Annahme, dass
Qualität mehr ist, als die Abwesenheit von Fehlplanung und Mängeln. Jede
weitere Qualitätsdefinition beinhaltet eine Vielzahl von Freiheitsgraden,
die unterschiedlichen Meinungen und Leitbildern einer „wertvollen“
Architektur folgen – wie es bereits in der Planungsphase von Bauprojekten
unterschiedliche Modelle und Leitbilder gibt, denen explizit oder implizit
gefolgt wird (vgl. Schönwandt, 2002).
Heuristisches Qualitätsschema
Bevor über detaillierte Qualitätskonzepte debattiert wird, soll ein Blick zu
theoretischen Ausführungen über Qualitätsdimensionen und -management für
Betriebe und Dienstleistungen – wie es Planungsaufgaben auch sind – geworfen
werden. Dazu ein Gedankenspiel: Angenommen, es würde für die
architektonische Entwicklung einer Stadt ein Qualitätsmanagement etabliert
werden, so wären prinzipiell folgende Arbeiten notwendig: (a) Die Definition
von Qualitätsstandards, (b) deren kontinuierliche Kontrolle (Evaluation) und
(c) die Überprüfung und ggf. Anpassung der Qualitätskriterien im Laufe des
Prozesses. Es würde sich also um einen Prozess handeln, der eine
kommunikative Auseinandersetzung auf verschiedenen Ebenen beinhaltet (z. B.
der Qualitätsdefinition und Überprüfung des Bauzwecks bei unterschiedlichen
Zielgruppen), der die Bauwerke in einen relationalen sowie zeitlichen
Horizont stellt und gleichzeitig sich selbst, bezogen auf die angewandten
Kriterien und Methoden hinterfragt (vgl. Heiner, 1996).
Als Qualitätsdimensionen würden auf abstrakter Ebene (und für
Betriebe bzw. Dienstleistungen leichter deklinierbar als für das vorliegende
Gedankenspiel) folgende Merkmale beachtet: (a) die Ergebnisqualität, (b) die
Prozessqualität, (c) die Strukturqualität, (d) die Konzeptqualität, (e) die
Ausstattungsqualität (f) die Qualifikation und Motivation der
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie (g) die Ressourcenqualität. Die
Dimensionen a–c beziehen sich im „klassischen“ Qualitätsmanagement
vorwiegend auf die Kundschaft, während die weiteren genannten Kriterien
vorwiegend auf die Mitarbeiter/innen einer Arbeitseinheit etc. fokussieren
(ebd.).
Die fachinhärente Auseinandersetzung mit architektonischer Qualität steht
allenfalls am Anfang – nicht nur, weil gerade in der Architektur ein
spannungsreiches Verhältnis zwischen Theorie und Anwendung existiert (vgl.
z. B. Meyer, 2005). Es gibt mehrere Problemlagen, die eine Diskussion über
Qualitätsdimensionen in der Architektur erschweren. An dieser Stelle werden
drei Hemmnisse hervorgehoben: Die fehlende Evaluationskultur in der
Architektur, die kulturelle Kluft zwischen Professionellen und Laien sowie
der motivational unterschiedliche Zugang zu Architektur zwischen
Professionellen und Laien. Ein weiterer und in diesem Kontext häufig
genannter bremsender Faktor ist die architektonische Einfalt auf Grund
mangelnder ökonomischer Ressourcen, der an dieser Stelle nicht
beleuchtet wird.
Fehlende Evaluationskultur
Der eben beschriebene heuristische Rahmen zur Implementierung eines
Qualitätsmanagements gibt Hinweise auf die zu beachtenden Qualitätsmerkmale.
Die konkrete Definition von Qualitäten bleibt allerdings gerade in der
Architektur ein schwieriges Unterfangen. Spätestens aber wenn eine
Evaluation von Bauwerken durchgeführt werden soll, ist es notwendig,
Kriterien zu benennen und nach Methoden zu suchen, die in der Lage sind, die
Zielmerkmale valide zu erheben. Die Bewertungsphase von Gebäuden ist in
Deutschland jedoch ein seltenes und v. a. kein systematisches, in den
Planungsprozess implementiertes Unterfangen (z. B. Schuemer, 1998). Nach der
Nutzungsübergabe ist in den meisten Fällen der Planungs- und Bauprozess
beendet. Architekten und Architektinnen schließen ein fertig gestelltes
Objekt ab und wenden sich neuen Projekten zu. Nur selten erhalten und suchen
sie eine systematische Rückmeldung über die „Wirkqualität“ des Gebäudes auf
die Nutzer/innen im Alltag. Nutzungs- und Anmutungserfahrungen werden in der
Regel nicht systematisch erhoben, beurteilt und darauf aufbauend
Verbesserungen eingeleitet. Sommer (1983) spricht in diesem Zusammenhang vom
„never-look-back-phenomena“.
Wünschenswert wäre eine, von der Planung über die Errichtung und
Fertigstellung bis zur (routinierten) Nutzung eines Gebäudes,
kontinuierliche Zusammenarbeit zwischen Planern/innen und den späteren
Nutzern/innen (wobei mit Nutzer/innen auch Personen gemeint sind, die nur
peripher an der gebauten Umwelt beteiligt sind). Dabei ist zu beachten, dass
Auftraggeber/innen und Nutzer/innen oft unterschiedliche Gruppen darstellen,
die wenig über die Bedürfnisse der Anderen im selben öffentlichen Gebäude
wissen (vgl. Zeisel, 2003). McCormick & Shepley (2003, S.7) sprechen in
diesem Zusammenhang von einem „user-needs-gap“. Um diese Kluft zu schließen,
sind systematische Untersuchungen zu Zielgruppen sowie die Entwicklung von
Kommunikationsstrategien notwendig, mit denen die unterschiedlichen
Interessenlagen aufgedeckt und in kompromissfähige Entwürfe überführt werden
können.
Dabei haben Architektinnen und Architekten im Planungsprozess die schwierige
Aufgabe, einen Weg zwischen ihren eigenen (Ideal-)Vorstellungen und
Umsetzungsanforderungen der „paying clients“ zu finden, ohne dabei die
Bedürfnisse der Endnutzer/innen aus dem Blick zu verlieren. Bereits diese
Problemlage zeigt, dass das Arbeitsfeld „Architektur“ ein schwieriges
kommunikatives Terrain im Spannungsfeld zwischen den eigenen
architektonischen Ansprüchen, den Wünschen der Auftraggeber/innen und
eventuell den Bedürfnissen der Nutzer/innen darstellt – von den begrenzten
materiellen Ressourcen ganz zu schweigen.
Professioneller Vorsprung
Erschwerend kommt im Kontext der Architektur eine Wissenskluft zwischen
Architekt/innen und Laien hinzu, die offensichtlich zu
Präferenzunterschieden führt. Untersuchungen u. a. von Riklef Rambow (vgl.
z. B. 2000) belegen deutliche Präferenzunterschiede von Architekten/innen
und architektonischen Laien gegenüber baulichen Formen, die sich auch in
Gebäudedetails, wie Dach, Fenstergestaltung und -anordnung sowie der
Grundrissgestaltung zeigen (vgl. Stamps & Nasar, 1997).
Diese Differenzen ergeben sich auch, wenn die Gruppe der Laien detaillierter
in unterschiedliche Lebensstilgruppen unterteilt wird. In einer eigenen
Untersuchung (eine ausführliche Darstellung der Untersuchungen ist in
Vorbereitung; vgl. Kirschbaum & Schuster, in Vorb.) konnten wir zunächst die
Ergebnisse der genannten Untersuchungen (Rambow, 2000, Stamps & Nasar, 1997)
bestätigen. Bei einer von 474 Studierenden wurden unterschiedliche Ebenen
erhoben: Lebensstilfragen (Soziodemografie, Werte, Freizeitverhalten,
Kleidung), Wohnvorlieben und Umgebungsfragen
(Wohnungseinrichtungsstil, Wohnwunsch, private Freiflächen, Akzeptanz
offener Raumnutzungen, Wohnungsumgebung), Gebäudefragen
(Fassadenvorlieben, Dachform) und allgemeine Aussagen zum Interesse an
Architektur und dem Berufsstand der Architektur. Ein weiterer
wesentlicher Teil der Befragung bestand in der Abfrage von schematischen
Abbildung von 24 Gebäudevolumina, 20 Fensteranordnungen, 17
Gebäudegrundrissen, 27 Dachformen, 20 Eingangssituationen,
16 Gebäudeansichten. Die insgesamt 124 Schemazeichnungen wurden auf
ihr Gefallen, ihre Bekanntheit und ihre mögliche Umsetzung im Falle des
Bauens von allen Untersuchungsteilnehmern/innen in einem Fragebogen
beurteilt. Die Untersuchung erlaubte zudem, die Stichprobe in
Architekturstudierende (N=68) und andere Studienfächer sowie innerhalb der
„Nichtarchitekturstudenten“ in „Architekturinteressierte“ (N=41) und
„Architekturuninteressierte“ (N=354) zu unterscheiden, wobei die
„Architekturinteressierten“ in unserer Untersuchung folgenden Kriterienkanon
erfüllen: Sie unterhalten sich gerne über Architektur, halten sich über
Trends in der Architektur auf dem Laufenden, halten in einer neuen Stadt
gezielt Ausschau nach Architektur und geben für sich an, dass sie sich
allgemein für Architektur interessieren.
Die Untersuchung fokussierte aber nicht nur auf Architektur, sondern bildet
Merkmale von soziologischen Lebensstiluntersuchungen ab. Insofern war es
zunächst unser Ziel, durch die statistisch-mathematische Zusammenführung der
Lebensstilfragen lebensstilbezogene Untergruppen zu generieren. Die
statistischen Berechnungen ergaben fünf sinnvolle lebensstilbasierte
Untergruppen der Gesamtstichprobe (Kurzbeschreibung s. Tabelle 1).
Tabelle 1:
Kurzbeschreibung der studentischen Lebensstilgruppen (inkl.
architektonischer Attribute) [eigene Erhebung ]
Leere Felder
bedeuten „keine signifikanten Unterschiede zur Gesamtgruppe“ bzw. bei der
Gesamtstichprobe „keine signifikanten Präferenzabweichungen der abgefragten
Attribute“;
„+“ bedeutet statistisch signifikante positive Abweichung,
„-“ bedeutet statistisch signifikante negative Abweichung von der
Reststichprobe
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Gesamtstichprobe |
Gruppe 1:
Vielseitig Interessierte |
Gruppe 2:
Status-Orientierte |
Gruppe 3:
Zurückhaltende
Umweltbezogene |
Gruppe 4:
Aufgeschlossene Realisten |
Gruppe 5:
Unterhaltungs-mediennutzer |
Werte |
+ Sicherheit
+ Selbsterfahrung
+ Solidarität
- Risiken |
+ Selbsterfahrung
+ Religion |
+ Wohlstand
- Umweltschutz |
+ Umweltschutz |
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- beruflicher Erfolg
- Erlebnisse
- Herausforderungen |
Kleidung |
+ zurückhaltend
+ praktisch
- egal |
+ wählerisch
+ praktisch |
+ wählerisch
+ chic |
- Designerklamotten |
- Designerklamotten |
+ egal
- chic |
Freizeit |
+ Freunde treffen |
+ Bücher lesen |
+ Fernsehen |
+ Natur |
+ zu Hause sein |
+ Fernsehen
+ PC/DVD/Internet |
Wohnungseinrichtung |
+ gemütlich
+ harmonisch |
+ phantasievoll |
+ modern
+ edel
+ high tech |
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+ phantasievoll |
+ günstig
+ zusammengewürfelt |
Attribute der Architektur außen |
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+ außergewöhnlich |
+ edel |
+ ökologisch |
+ zeitlos |
+ praktisch |
Fassade |
+ Stein
+ Holz
+ Glas |
|
+ Metall |
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Dach |
+ Solarzellen
+ Begrünung |
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+ Metall |
+ Solarzellen |
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Wohnungsmerkmal |
+ Licht
- extravagant |
+ offener Grundriss |
+ abgegrenzte Räume |
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+ Licht durchflutet |
- extravagant |
Umgebung |
- Abgeschiedenheit |
+ Grün
+ Freizeit- und Kulturangebot |
+ Verkehrsanbindung
- Grün |
+ Grün
- Einkaufsmöglichkeiten |
+ Grün
+ soziale Kontakte |
+ Grün |
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Abbildung 1:
Höchste Präferenz architektonischer Außenschemata bei unterschiedlichen
Lebensstilgruppen, Architekturinteressierten und Architekturstudierenden.
(Die Linien verbinden die bevorzugten Attribute; die Farben beziehen sich
auf die einzelnen Lebensstilgruppen bzw. Architekturstudierenden und
-interessierten, s. Legende.)
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Die Lebensstilgruppen
weisen eine Vielzahl von Differenzierungen auf, beispielsweise hinsichtlich
ihrer Wohnungseinrichtungspräferenzen. Insofern erstaunt auf den ersten
Blick das Ergebnis, dass es bezogen auf Außenmerkmale der Architektur
so gut wie keine Unterschiede zwischen den Präferenzen der einzelnen
Lebensstilgruppen gibt. Die einzelnen Icons wurden von den Befragten auf
Gefallen, Bekanntheit und potenzielle eigene Anwendung bewertet.
Die Auswertungen zeigen, dass sich die Präferenzen der einzelnen
Lebensstilgruppen nicht unterscheiden, während Personen, die sich intensiv
mit Architektur auseinandersetzen, statistisch signifikant unterschiedliche
Präferenzen – verglichen mit den Lebensstilgruppen – aufweisen (Ausnahme:
Fensterform/Anordnung) (s. Abbildung 1).
Zusammengefasst weisen die ersten Ergebnisse dieser Untersuchung auf einige
Besonderheiten hin: (I) Der figurale Code von Architektinnen und Architekten
unterscheidet sich von dem der Durchschnittsbevölkerung, (II) Die
gesellschaftliche Differenzierung findet keinen Widerhall in der
Präferenzbeschreibung von architekturbezogenen Ab-Bildern, (III) die
Präferenz für architektonische Formen hängt statistisch signifikant von
ihrer Bekanntheit ab, (IV) die mögliche Anwendung von architektonischen
Formelementen hängt ebenfalls statistisch signifikant mit dem Gefallen
zusammen (das, wie eben beschrieben, signifikant mit deren Bekanntheit
korrespondiert). Insofern ist die Gefallensaussage von Ab-Bildern im
architektonischen Kontext vergleichbar mit dem Abfragen von (zum Teil
unbekannten) Vokabeln. Häufig wiederholte Worte (allgemein: Reizmaterial)
werden wieder erkannt, im Wissens- und Anwendungsbestand verfestigt, und
Letzteres verharrt auf diesem Niveau, wenn kein intrinsischer oder
extrinsischer Input zur weiteren Auseinandersetzung mit dem Stoff angeregt
wird.
Narzisstischer Architekturstil
Dass der Grad der Auseinandersetzung mit einer Materie
Einfluss auf den Wissenshorizont und auf die Bewertung des Gegenstands
nimmt, ist wenig erstaunlich. Die Besonderheit in der Architektur verglichen
beispielsweise mit bildender Kunst, ist ihre Allgegenwart in unseren dicht
besiedelten Regionen. Wir halten uns den größten Teil unserer Lebenszeit in
einem künstlichen Umfeld auf, das andere Menschen entworfen haben. Nach
Evans & McCoy (1998) verbringen
Menschen in den Industrienationen etwa 80-90% ihrer Zeit in geschlossenen
Räumen. In den meisten Fällen wurden diese nicht
speziell auf unsere Bedürfnisse zugeschnitten, sondern vor längerer Zeit für
andere oder für keine konkreten, sondern abstrakte, lediglich vorgestellte
Benutzer/innen konzipiert (vgl. Leising, 2002).
Oft passen die Bedürfnisse
derjenigen, die in einem Gebäude leben oder arbeiten, halbwegs mit den
Planungen des Architekten bzw. der Architektin zusammen, weil dieser oder
diese sich in das Verhalten und Empfinden der Nutzer/innen hineindenken
konnte. In der Regel bietet ein Bauwerk darüber hinaus ausreichend
Gestaltungsfreiheit für eigene Entscheidungen, um aus den gegebenen
Bedingungen „das jeweils Beste“ zu machen. Inwieweit es sich dabei um eine
positive Qualität handelt, ist offen. Es gibt aber natürlich auch
(prominente) Fälle, in denen die Planung die Bedürfnisse der Nutzer/innen
verfehlte.
Ein Beispiel ist das "Hundertwasser-Haus" in Wien. Friedensreich
Hundertwasser errichtete es 1985 als besonders organisch und menschengerecht
konzipiertes Wohnhaus. Allerdings stellte sich schon bald nach dem Einzug
der ersten Bewohner/innen heraus, dass das Gebäude auf seine Bewohner anders
wirkte als vorgesehen. Die sehr individuell und künstlerisch ausgestalteten
Räume boten den Mietern/innen nur wenige Freiheiten, sich ihren Wohnraum
individuell anzueignen. Die Bewohner und Bewohnerinnen mussten sich den
speziellen Gegebenheiten des Hauses unterordnen, was zum Teil zu großer
Unzufriedenheit führte (vgl. Leising, 2002).
Ein zweites, drastisches Beispiel ist der Wohnkomplex "Pruitt Igoe", der
1954 in St. Louis (USA) errichtet wurde. Das Ziel dieses Projektes war es,
Wohnraum für sozial schwächere Familien zu schaffen. Dazu wurde ein Komplex
von 43 jeweils elfgeschossigen Häusern für eine Gesamtbewohnerzahl von etwa
12.000 Personen in 2.762 Appartements erstellt. Die Anlage verwandelte sich
innerhalb weniger Jahre in ein Ghetto, in dem nur noch wenige Menschen zu
wohnen bereit waren. Park- und Spielplätze verkamen zu Schrott- und
Müllplätzen, Aufzüge wurden als Toiletten benutzt, viele Fensterscheiben
waren eingeschlagen, und die Bewohner/innen klagten darüber, keine Freunde
zu finden, oder jemanden, der bei Bedarf helfen konnte. Die
architektonischen Merkmale der Siedlung – enge Gänge, abwaschbare Wände,
kaum Orte für soziale Begegnungen zwischen den Bewohner/innen – provozierten
genau das Verhalten, das sie eigentlich verhindern sollten: Zerstörung der
Bausubstanz, Kriminalität und wildes Müllentsorgen. Immer mehr Mieter/innen
zogen aus, und 1972 wurde der gesamte Komplex wieder gesprengt. Das Projekt
war gescheitert, weil die Planung an den Bedürfnissen der Bewohner/innen
vorbeiging. Dabei wurde die Planung in der Fachwelt durchaus positiv
aufgenommen und von der Zeitschrift Architectural Forum im Jahr 1951
insbesondere dafür gelobt, keinen Platz verschwendet zu haben (vgl. Flade,
1998). Das Beispiel zeigt, wie unterschiedlich die Planungen und Umsetzungen
bewertet werden können, je nachdem, wer wann und nach welchen
Kriterien bewertet.
Das Risiko solcher Fehlplanungen steigt mit dem Fehlen des Kontakts der
Planerinnen und Planer zu den Nutzern/innen. In der Architekturausbildung
wird jedoch gerade dieser Punkt vernachlässigt. Eine Architekturstudentin
bestätigt auf Grund ihrer Erfahrung in einem Artikel zum Thema „Ist
Kommunikation zwischen Architektur und Nutzer überhaupt gewollt?“ die
empirisch gestützten Ausführungen Rambows (2000), in dem sie schreibt: „Der
Kontakt im Studium zum Nutzer rückt gänzlich in den Hintergrund. Die
Diskrepanz zwischen dem Experten und dem Laien wird immer wieder betont und
verstärkt. Bei Entwurfsaufgaben gibt es imaginäre Bauherren und Nutzer,
deren Anforderungen es zu lösen gilt“ (Onken, 2004, S. 75).
Unter einem „narzisstischen Architekturstil“ soll hier der Rückbezug der
Architektinnen und Architekten auf die eigene Perspektive verstanden werden,
mit dem Ziel, dass der eigene Entwurf aus der Menge der anderen Entwürfe
besonders heraus fällt und von den Juroren beklatscht wird. Dies ist im
Regelkanon der Architektur ein erfolgsversprechender – und damit sogar ein
ökonomisch notwendiger – Weg zur Existenzsicherung.
Sowohl die Ausbildung in der Hochschule als auch die spezifischen
Formen der architektonischen Wettbewerbe fördern die Suche nach „großen
Würfen“ und stärken die Expertenrolle der Architekten – gleichzeitig wird
damit der Perspektivenwechsel hin zu und die Kommunikation mit den
Nutzern/innen in den Hintergrund gedrängt (vgl. Rambow, 2000). Dazu kommt,
dass das Planungsgeschehen wenig auf Ergebnisse wissenschaftlicher
Untersuchungen und Evaluationen zurückgreift (vgl. z. B. McCormick & Shepley,
2003; Zeisel, 2003). Als Resultat dieses erlernten Perspektivendefizits
bleibt nicht selten der Rückgriff auf die „Ein-Person-Empirie“ (vgl. Selle,
2003, S.75), die nichts anderes bedeutet, als die Rückbesinnung auf die
eigenen (gemachten und für die anderen vorgestellten) Erfahrungen und
Meinungen.
Nun ist es natürlich ein leichtes, einer Berufsgruppe ihre „déformation
professionelle“ vorzuhalten und diese in den Mittelpunkt zu stellen.
Vielmehr kommt es darauf an, den kritischen Dialog und nach Möglichkeiten
der Weiterentwicklung zu suchen. Die folgenden Ausführungen sollen dazu
dienen und eine Brücke schlagen zum Thema Qualitätsfaktoren in der
Architektur aus psychologischer und sozialwissenschaftlicher Perspektive.
2. Annäherung an architektonische Qualitätsmerkmale „from
outer space“ der Architektur
Die drei beschriebenen Problemlagen haben ein gemeinsames Thema: Die
vernachlässigte Perspektivenübernahme in Richtung Nutzerinnen und Nutzer.
Die professionelle Sozialisation innerhalb der Psychologie legt dagegen eine
Perspektive nahe, die bei der Bestimmung von architektonischen
Qualitätsfaktoren die Transaktion des Menschen und seiner Umwelt in den
Mittelpunkt stellt. Transaktion bedeutet, dass ein permanentes
wechselseitiges Einwirken und gemeinsames Verändern zwischen Mensch und
Umwelt besteht (vgl. z. B. Clitheroe et al., 1998; Stokols 1995). Im Zuge
dieser andauernden Transaktion bilden sich Beziehungen zwischen Individuen
und ihren Umwelten aus, die als mehr oder weniger "passend" oder "kongruent"
beschrieben werden können. Es hängt vom Ausmaß einer "gelungenen" Passung
zwischen Individuum und seiner Umwelt ab, inwieweit es eine solche Umwelt
akzeptiert, in Bezug auf seine Ziele als förderlich oder hinderlich erlebt
und bewertet (vgl. Fuhrer,1996; Dieckmann et al., 1998; Richter, 2004). Die
folgende Zusammenschau unterschiedlicher Befunde illustrieren den Horizont
der umweltpsychologischen Forschung zum Thema qualitative Gebäudefaktoren:
-
Die Gebäudequalität wird nach
Fuhrer (1996) an Hand
des Zusammenspiels von Nutzungsanforderungen und -möglichkeiten
bestimmt. Er nennt hierzu unterschiedliche Ebenen der
Person-Umwelt-Kongruenz:
|
|
-
die ergonomische (z. B.
kindgerechte Kindergarteneinrichtung),
-
die kognitive (z. B.
einfache Orientierung),
-
die emotionale (z. B.
Gefühl des Wohlbefindens) und
-
die motivationale
Kongruenz (z. B. Unterstützung der Verwirklichung individueller
Zielvorstellungen).
|
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Zur konkreten Passung zwischen
Mensch und bebauter Umwelt tragen eine Reihe von Faktoren bei, wie
Sicherheit, persönlicher Raum (Privatheit), Dichte
und Territorialität, Nachbachbarschaft,
physikalische Einwirkungen (Lärm, Geruch, Temperatur usw.) sowie
gestalterische Elemente und das Raumkonzept.
|
-
Nach Preiser et al.
(1988) ist zu beachten, dass bei Gebäuden übergeordnet immer
drei Aspekte gleichzeitig zusammenwirken:
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-
die technische
Funktionalität,
-
die Ästhetik sowie
-
der Gebäudeeinfluss auf
soziale und funktionale Abläufe.
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- Evans & Mitchell
McCoy (1998) beschreiben fünf
Qualitätsdimensionen, die auf das menschliche Wohlbefinden
Einfluss nehmen und bei Planungen zu beachten sind:
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-
Stimulation (stimulation):
Gebaute Umwelt stellt eine permanente Reizbedingung dar, die in
ihrer Intensität Einfluss auf das (Stress-)Erleben von
Nutzerinnen und Nutzern hat. Sowohl Über- als auch
Unterstimulierung beeinträchtigen das Wohlbefinden. Reize sind
beispielsweise Geräusche, Farbe, Licht, Enge/Weite, der
Neuigkeitscharakter (novelty), die gestalterische
Entdeckungsmöglichkeit (mystery),
Komplexität und deren wahrgenommene Intensität.
-
Gestaltungspassung (coherence):
Dieser Faktor
bezieht sich auf die Klarheit und Verstehbarkeit der bebauten
Umwelt. Dies beinhaltet neben der gestalteten
Orientierungsmöglichkeit durch Vorhersehbarkeit, Komplexität des
Wegeplans und Lesbarkeit des Beschilderungssystems etc. auch die
Übereinstimmung zwischen Gestaltung und den spezifischen
inhaltlich-organisatorischen Anforderungen des Gebäudes.
-
Stimmigkeit der visuellen Reize
(affordances): Eng
mit dem eben genannten Punkt hängt die Lesbarkeit eines Gebäudes
zusammen. Dies bezieht sich auf fehlende bzw. leicht übersehbare
Hinweise (z. B. wenn in einem Raum eine Treppenstufe auf eine
andere Ebene führt bei gleichmäßiger Oberfläche) oder nicht bzw.
schwer verständliche Zeichen, wie etwa ein „Hier befinden Sie
sich“-Hinweis in einem Grundrissplan mit architektonischen
Vermassungen.
-
Kontrolle (control):
Kontrolle bezieht sich auf
die Möglichkeit, die physikalische Umgebung
verändern/beeinflussen bzw. den Einfluss der Umgebungsreize
kontrollieren zu können. Beispiele sind die Möglichkeit der
Anpassung von Einrichtungsgegenständen an die jeweiligen
Erfordernisse (beispielsweise in Klassenzimmern), die Regulation
des Geräuschpegels, der Helligkeit und Wärme etc. sowie der
Einfluss auf Dauer und Intensität von sozialen Kontakten (Privatheit).
-
Erholungsqualitäten (restorative):
Damit sind Qualitäten erfasst, die auf die Nutzerinnen und
Nutzer stärkend bzw. Ressourcen-aktivierend gegenüber den
Alltagsanforderungen wirken. Besondere Bedeutung besitzen hier
(Zugang zu, Integration bzw. Darstellung von) Natur und
Pflanzen, Rückzugsmöglichkeiten (z. B. bequeme Nischen) und
‚faszinierende´ Elemente wie Brunnen, Klangspiele, Feuerstellen
usw.
|
-
Nach Zeisel
(1975) sind für die Gestaltung von Wohnräumen folgende
Bedürfnisse zu beachten:
|
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-
Sicherheit,
-
Klarheit,
- Privatheit,
- soziale
Interaktion,
- Komfort und
- Identität.
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Eine umfassende Gebäudebewertung (Evaluation; näheres zur Gebäudeevaluation,
vgl. Preiser et al. 1988, Dieckmann et al., 1998) sollte diese Aspekte
beachten und im konkreten Fall operationalisieren. Beispiele für mögliche
Übersetzungen von empirisch abgeleiteten Gestaltungsprinzipien und
Qualitätsmerkmale für Alten- und Pflegeheime den Bereich Seniorenwohnen
zeigen beispielsweise Wahl et al. (1999) und Zeisel (2003).
Diese Sammlung von allgemeinen Qualitätsdimensionen ermöglicht eine
Annäherung an das Thema Qualitätsfaktoren in der Architektur. Architektinnen
und Architekten mögen diese allgemeinen Qualitätsdimensionen wichtig,
interessant und in dieser Explikation anregend finden – möglicherweise aber
auch als unbefriedigend. In der Tat betont die umweltpsychologische
Perspektive die Nutzerseite (i. w. S.); die „andere Seite der Planung“, also
der Blickwinkel der Architektinnen und Architekten, steht im Hintergrund.
Dabei wäre es wichtig, die Frage nach der intrinsischen Motivation von
Architekten und Architektinnen zur Weiterentwicklung von architektonischen
Konzepten im Zusammenhang mit gesellschaftlichen (Ziel)Vorstellungen zu
diskutieren.
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Abbildung 2 und 3:
Neubauten in Brandevoort (NL). Historisch anmutende Kulisse mit modernem
Kern (Stahlbetonskelett)
[Bilder: Kai Schuster] |
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Ein Beispiel aus dem Siedlungsbau soll das Spannungsfeld „Nutzerqualität
– Gestaltungsqualität“ verdeutlichen: Im Kräftefeld „Erlebnis – Sicherheit“
konzentriert sich gegenwärtig die gesellschaftliche Bedürfnislage, in einer
möglichst sicheren Struktur maximale Freiheiten zur Verfügung zu haben. Die
Übertragung dieser Tendenz auf Architektur, Stadt- und Landschaftsplanung
könnte eine psychologische Erklärung für die Beliebtheit vergangener und vor
allem überschaubarer, kleinräumiger „architektonischer Bühnen“ sein, die mit
der Symbolik von Stabilität und Dauerhaftigkeit spielen. Natürlich dürfen
diese Architekturen aber keine Übertragung des früheren Lebens nach sich
ziehen, sondern ein gegenwärtiges Lebenskonzept ermöglichen. Die von
verschiedenen politischen Richtungen formulierten Forderungen, den
Innenstadtbereich von Frankfurt am Main vorwiegend mit Fachwerkhäusern in
der Tradition des „alten“ Frankfurt zu bebauen, ist ein aktuelles Beispiel
dieser Tendenz. Was in Frankfurt vorläufig wie eine populistische
Anbiederung unterschiedlicher politischer Parteien an eine allgemeine
konservative Grundorientierung in der Bevölkerung anmutet, wurde in der
aktuellen Erweiterung der niederländischen Stadt Helmond um die Ortschaft
Brandevoort (allerdings auf der grünen Wiese) umgesetzt. Im Rahmen eines
Masterplans, erarbeitet vom Berliner Planungsbüro Krier/Kohl, werden dort
gegenwärtig zwei- bis dreigeschossige Reihenhäuser gebaut. Die Siedlung wird
von 20 Architekten entworfen und aus Stahlbeton und Fertigteilen errichtet.
Vorbild für die Gesamtanlage ist das römische Castrum; die Außengestaltung
der einzelnen Häuser folgt historischen Vorbildern niederländischer
Kleinstädte aus dem 17./18. Jahrhundert. Die Monotonie des einheitlichen
Stahlbetonskeletts wird durch unterschiedliche Brüstungs- und Traufhöhen
aufgehoben. Mit dieser Fassadengestaltung wird bewusst der Eindruck
historischer und individuell gebauter Häuser geweckt (s. Abbildung 2 und 3).
In dieser Siedlung ist somit beides bespielbar: Die vermeintlich heile sowie
sichere Welt vergangener Zeiten außen und das moderne Leben mit allen
Annehmlichkeiten und individuellen Gestaltungsmöglichkeiten innen.
Brandevoort spielt mit der emotionalen Symbolik der abgeschlossenen,
kontrollierbaren und allen globalen Entwicklungen trutzenden, sicheren
eigenen Welt. Damit trifft sie den Nerv eines beachtlichen Teils der
Bevölkerung. Insofern kann Brandevoort als zielgruppengerechte Gestaltung
eines Quartiers für Bevölkerungsteile mit bestimmten Wert- und
Ästhetikvorlieben betrachtet werden. Sie ist ein Erfolgsmodell, weil sie
Emotionen und Bedürfnisse von Bevölkerungsgruppen aufgreift und
verräumlicht.
Ob sie ein atmosphärisches Vorbild sein kann, ist eine andere Frage. Als
Einzelprojekt mag Brandevoort die Architektur sogar bereichern, als Standard
für Neubauprojekte besitzt es deshalb wenig Vorbildqualitäten, da es die
Wunschbilder einer „heimelichen“ Architektur ab-bildet und dabei eins zu
eins auf Vergangenes rekurriert. Wenn man den Satz „Architektur bildet
die ruhendste Form sozialen Lebens“ (Nadolski 2000, S. 205) ernst nimmt,
ist diese Vorspielung eines Castrums zu hinterfragen – sie wirkt wie ein
Trugbild von Sicherheit und Stabilität. Oder anders ausgedrückt:
„Bühne“ und „Bühnenstück“ passen nicht zusammen. Sicher
ist es eine schwierige Aufgabe, die genannten Qualitätsmerkmale
aufzugreifen, die individuelle sowie gesellschaftliche Wertlage zu
respektieren und mit innovativen Entwürfen zu kombinieren.
Die ausschließliche Ab-Bildung vergangener Schemata ist ein interessantes
Experiment, an Hand dessen architektonische Qualitäten analysiert werden
können. Es drängt jedoch den legitimen
künstlerischen Anspruch von Architektur in den Hintergrund und hemmt einen
konstruktiven und gegenwartsbezogenen Austausch zwischen Individuum,
Gesellschaft und Architektur.
3. Abschließende Bemerkungen zur Qualitätssicherung in der
Architektur
Welche Anregungen und Diskussionspunkte können seitens der Psychologie
(neben den oben genannten Faktoren) in eine Diskussion über „Qualität in der
Architektur“ eingebracht und weiterentwickelt werden?
Der wesentliche Punkt zielt auf die „kulturelle Kluft“ zwischen
Architekten/innen und der „Normalbevölkerung“. Immer wieder wurde bestätigt
(s. o.), dass es Präferenzunterschiede zwischen diesen Gruppen bezogen auf
die Gestaltung der zu bauenden Umwelt gibt. Freilich kann und soll nun nicht
das Ziel sein, dass sich Architektinnen und Architekten frag- und
diskussionslos auf die architektonischen Wünsche der Normalbevölkerung
einlassen. Im Gegenteil: Sie können auf Grund ihrer Erfahrungen und ihres
Wissensschatzes die (meist auf alte Schemata zurückgreifenden)
Wunschvorstellungen der Kundschaft und der Nutzer und Nutzerinnen
weiterentwickeln. Eine gemeinsame Weiterentwicklung von Architektinnen und
Architekten und von Nutzern und Nutzerinnen bedeutet aber, dass dazu die
Motivation ebenso gegeben sein muss, wie die Fähigkeit, sich kommunikativ
anzunähern.
Die alte, aber leider nicht obsolete Forderung, den Kontakt zwischen Laien
und Architektinnen und Architekten bereits während der Ausbildung zu
stärken, ist an dieser Stelle ebenso erwähnenswert, wie der Appell, auch
nach der Hochschulausbildung durch Schulungsangebote positiv auf die
Vermittlungskompetenz von Architektinnen und Architekten einzuwirken. Die
BTU Cottbus leistet unter der Federführung von Eduard Führ und Riklef Rambow
mit dem Masterstudiengang „Architekturvermittlung“ Vorbildleistung; dies
nicht zuletzt deshalb, da dort ein interdisziplinärer Austausch über
dieselbe Sache praktiziert wird und notwendigerweise Perspektivenübernahme
und Vernetzung eingeübt werden müssen. Denn insbesondere die Architektur
kann durch Vernetzung zu (regionalem) Qualitätsgewinn kommen und beitragen.
Die sinnvolle Vernetzung von unterschiedlichen Akteurinnen und Akteuren
dürfte durchaus ein tragender Grund dafür sein, warum in manchen Regionen
Architektur zu einem Identitätsfaktor aufgestiegen ist. Dass dies nicht
unbedingt Metropolregionen sein müssen, beweisen das österreichische
Vorarlberg und zunehmend auch die Oberpfalz. Wolfgang Ritsch, der Obmann des
Vorarlberger Architekturinstituts, schreibt folgendes über eine
ganzheitliche Perspektive in der Architektur (2005, S. 5 f.): „Ökologie,
Ökonomie, Funktionalität und Ästhetik müssen dazu aus der isolierten,
segmenthaften Bewertung in ein viel weiter gefasstes und dichter gewebtes
Netzwerk von Werten und Kriterien eingebunden werden. Es geht darum, das
dispers vorhandene Know-how auf einer nächsten, höheren Ebene zu
integrieren; es geht darum, die Qualität der Zusammenarbeit von
Auftraggebern, Nutzern, Planern, Behörden und Unternehmern in einem nächsten
Schritt, in einem neuen Lern- und Lehrprozess weiterzubilden“.
Wenn zeitgenössische Architektur – die eben nicht aus isolierten
Leuchtturmprojekten besteht, sondern in ein (regionales) Sinngefüge
eingebettet ist – bei einem wachsenden Teil der Bevölkerung als
Identifikationssymbol angesehen wird, wird es leichter fallen, die
Bevölkerung kommunikativ abzuholen. Die Untersuchungen zu
Präferenzunterschieden zwischen Laien und Professionellen besagen nämlich
zunächst, dass der Auseinandersetzungsgrad mit Architektur zu einer
veränderten Sicht auf die zeitgenössische Architektur führt und sich auch
von dieser Seite her die „kulturelle Kluft“ verkleinert.
Die Aufgaben, die aus diesen Ausführungen folgend auf Architektinnen und
Architekten zukommen, können in dieser Fülle kaum von ihnen alleine
geschultert werden. Insofern sollte „from outer space“ im Kontext der
Qualitätsdiskussion von Architektur als eine schrittweise Annäherung
unterschiedlicher Disziplinen verstanden werden, um die Diskussion von
Qualität in der Architektur, deren Kriterien und Messung gemeinsam anzugehen
und zu gestalten.
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