|
|
"Ich wünsche mir, dass wir endlich über das diskutieren, was uns ständig
und überall umgibt. [...]
Es würde ausreichen, wenn in jeder Region zehn oder zwanzig Leute sagen
würden: Wir gründen ein Forum der Baukultur, wo die Menschen hingehen
können, wenn sie einen Fremdenführer für das Alltägliche suchen.
[...] was wir brauchen sind Idealisten, sind unangepasste Streiter."
(Ganser, 2003)
1. Mehr als Vermittlung: Das Bild konstituiert den Raum
Es ist ein fast schon abgenutzter Lehrsatz der Planungswissenschaften:
„Planung ist Kommunikation" (Selle, 1996). Architekten, Bauherren,
Politiker, Planer, Bürger: Alle reden – miteinander, untereinander und
mitunter durcheinander. Überall schallt es einem entgegen: Trainiere zu
kommunizieren! Soft skills matter.
Dementsprechend geschwätzig gibt sich die Architekten- und Planerschaft. Das
Büro als Café, als Salon; der Entwerfer als Erzähler und Aussteller; der
Experte als Flaneur im Dienst der Aufklärung – und des eigenen Fortkommens.
Publish or perish.
Aber wofür erzählen, zeigen, diskutieren? Geht es um eine neue Art des
fachlichen Reiseführens, um Bildung, oder nur um versteckte Eigenwerbung?
Ist das Feld der Kommunikation mehr als eine willkommene Fluchtnische
angesichts des immer engeren Arbeits- und Auftragsmarktes? Allzu oft bleibt
der Sinn der neuen Gesprächigkeit von Planern und Architekten im Dunkeln,
wird die Kommunikation zum Selbstzweck. Gut, dass wir gesprochen haben.
Der Effekt ist ungewiss, meist bleibt die Vermittlung der eigenen oder
fremder Arbeiten eine dekorative Schicht, die sich über die Prozesse der
Raumproduktion legt. Denn trotz aller Stimmen, Gegenstimmen, Fingerzeige und
Diskussionen – gebaut wird so oder so, was in den Hinterzimmern der Fachwelt
ausgeheckt wird. Dem Vermittler von Architektur, von Stadt, von Raum bleibt
in Wahrheit oft nicht viel mehr als die Rolle des Verpackungskünstlers, der
aus jeder noch so schnöden Kiste eine brand architecture macht, aus
jeder tristen Mittelstadt ein pulsierendes Stadterlebnis. Schleife drum und
fertig. Konstruktion im Dienste des Marktes. Oder das Gegenteil, der Rückzug
in die Bastionen der Kulturkritik. Vielleicht lässt sich die
Raum produzierende Marktmaschine ja
vielleicht von außen sturmreif schießen. Der Vermittler entweder als
Propagandist oder als Mahner, als Gegenstimme. Ist das wirklich alles?
Wenn man nach dem weitergehenden Sinn des Erzählens, des Filterns,
Verstärkens und medialen Konstruierens von räumlichen Prozessen und
Phänomenen fragt, sollte man vielleicht nicht von Vermittlung reden.
Vermittlung suggeriert ein „Innen" und ein „Außen", ein „Dabeisein" entgegen
dem „Zuschauen", ein „Produzieren" abseits des „Konsumierens". Die
Vermittlung kann demnach kaum mehr leisten, als zwischen diesen Sphären
Brücken zu bauen. Damit wird man der Kraft des Erzählens, Filterns, des
Verstärkens und Konstruierens nicht gerecht. Die Vermittlung von Raum ist
weit mehr als nur Brücke oder Applikation, die nachträglich zugänglich
macht, was anderswo erdacht wurde. Es ist geradezu andersherum: Erst das
vermittelte Bild – ein Bild im weitesten Sinne des Wortes, verstanden als
Raumbild (Ipsen, 1992) – konstituiert den Raum, den wir wahrnehmen. Das
vermittelte Raumbild ist gewissermaßen die Gebrauchsanweisung für den Raum,
die unsere Vorstellungsbilder und damit unser Verhalten im Raum
vorprogrammiert. Auf der Grundlage der erzählten Sinnbilder negieren oder
bestätigen wir räumliche Strukturen und reproduzieren sie damit. So bekommen
die vermittelten Raumbilder und die ihnen zugrunde liegenden
Konstruktionsprozesse eine Schlüsselstellung im Prozess der Raumproduktion.
Wenn man davon ausgeht, dass Vorstellungen den Raum konstituieren, greift
der Begriff der Vermittlung zu kurz. Man sollte vielmehr von „immaterieller
Raumproduktion" sprechen, die mit Hilfe von Geschichten, Bildern und
medialen Repräsentationen unser Vorstellungsbild des Raums konstituiert. Und
man sollte die immaterielle Seite der Raumproduktion, das „Bauen mit
Bildern", erforschen, und damit die Mechanismen, die zur Konstruktion von
Raumvorstellungen führen. Hieraus lassen sich möglicherweise neue
Ansatzpunkte für ein bau- und planungskulturell motiviertes Eingreifen in
die Raumproduktionsmaschine erkennen, die dem Erzählen über dem Raum einen
Sinn geben, der über den Vermittlungsbegriff hinaus führt.
2. Erklärungsmuster: Der Blick in die Maschine der Raumbildkonstruktion
Es geht also in diesem Beitrag darum, den Vermittlungsbegriff aufzuweiten
und zu zeigen, dass das Erzählen über Raum, das Bebildern und Erklären von
räumlichen Strukturen und Prozessen mehr ist als Feuilleton oder einfache
„Verkaufe". Jeder Entwurf, jedes produzierte Bild, jeder Text über den Raum
ist ein „Framing“ (Faludi, 1996) der Umwelt, eine Rahmensetzung, die
ihrerseits die Bewertung und damit die Produktion und Aneignung von Raum
beeinflusst. Jeder Architekt, jeder Planer ist immer auch Vermittler, egal,
ob er aktiv öffentliche Kommunikationsprozesse mitgestaltet oder diese mit
seinen Arbeiten nur indirekt bespielt. Jedes planerische Agieren ist eine
Aussage über die Möglichkeiten des Raums, die unsere kollektiven Raumbilder
mit formt – ein erster Hinweis auf das in diesem Beitrag vertretene
Rollenverständnis des stimulierenden Experten, der die als weitgehend
selbststeuernd eingeschätzten Raumproduktionsströme durch gezielte
Interventionen mitsteuert. Doch dazu später.
Zunächst soll es darum gehen, die Bedeutung vermittelter Raumvorstellungen
für den Raumproduktionsprozess herauszuarbeiten. Der Blick in die Maschine
der Raumproduktion, auf die Wechselwirkungen zwischen den erzählten Bildern
und der Aneignung von Raum, fördert zunächst ein nahezu unüberschaubares
Feld von Erklärungsmodellen zu Tage.
An dieser Stelle soll der Blick auf einige Eckpunkte dieses Feldes genügen.
Damit lässt sich zumindest die Komplexität der noch immer ausstehenden
Aufgabe ermessen, Interdependenzen von Wahrnehmung und Raumproduktion aus
der Perspektive der Raumwissenschaften systematisch zusammenzufassen und
nutzbar zu machen. Das anschließend vorgestellte vereinfachte Modell der
Interaktion von Raumvorstellungen und Strukturen soll helfen, einen Pfad
durch das Dickicht der Erklärungsmodelle zu legen und mögliche Ansatzpunkte
für weiteres Forschen und planerisches Handeln freizulegen.
Der Einstieg in das Feld der Erklärungsmodelle führt zunächst zur
grundlegenden Frage, wie wir Raum wahrnehmen – eine Frage, die über die
Psychologie zur Neurobiologie führt, zur Erforschung der physiologisch
bedingten Selektivität und Konstruktivität von Wahrnehmung (vgl. Roth,
2003). Kurz gesagt: Unser Gehirn verarbeitet nur einen Bruchteil der auf uns
einströmenden Informationen. So sind wir vor einem nicht zu verarbeitenden
Übermaß an Umweltinformationen geschützt – eine unverzichtbare Grundlage
unseres Überlebens.
Unsere Umweltbilder sind also nie komplette Abbilder der Realität, sondern
Konstrukte aus dem vergleichsweise Wenigen, was unsere Wahrnehmungs-Filter
passieren lassen, ergänzt durch erinnerte Eindrücke und Wissen. Welche
Bausteine sich dabei zur Raumvorstellung zusammensetzen – welches Wissen,
welche Erinnerungen und welcher Ausschnitt der Wahrnehmung – und in welcher
Anordnung die Bausteine sich zusammensetzen, wird durch eine Vielzahl von
Faktoren gesteuert: durch evolutionsbedingte und entwicklungspsychologische
Muster (vgl. Piaget, 1975) ebenso wie durch Werte, Normen, durch sozial
bedingte Erfahrungsradien und damit verbundene Wahrnehmungsgewohnheiten. An
dieser Stelle öffnet sich der Blick tief hinein in das Feld der Genese und
Wirkung von Raumvorstellungen. Der Begriff der Wahrnehmungsmuster führt zur
Verhaltensforschung und damit auf den aus diesem Kontext stammenden Begriff
der "Mental Map" (vgl. Downs & Stea, 1982). Die Frage nach Werten, Normen
und Erfahrungsradien hingegen führt zur Raumsoziologie und von dort weiter
zur Kulturwissenschaft und zur räumlichen Semiotik (vgl. Barthes, 1988; Eco,
1994), die alle aus unterschiedlichen Perspektiven das Zusammenspiel von
individueller Verfasstheit und kollektiven, also gesellschaftlichen und
kulturellen Rahmenbedingungen bei der Entstehung von Raumvorstellungen
erforschen.
Für die Frage, wie Raumvorstellungen im Prozess der Raumproduktion wirken,
ist speziell der soziologische Diskurs um den Raum aufschlussreich, der seit
einigen Jahren verstärkt entlang der Frage geführt wird, wie sich Raum aus
gesellschaftswissenschaftlicher Sicht konstituiert. Einer der Bezugspunkte
dieser Diskussion ist das in den vergangenen Jahren wiederentdeckte
Raumkonzept von Lefebvre, ursprünglich erschienen unter dem Titel "La
production d'espace" (Lefebvre, 1991). Lefebvre entwirft ein Raummodell aus
drei sich gegenseitig überlagernden Ebenen: der "räumlichen Praxis", den
„Raumrepräsentationen" und den „Repräsentationsräumen", dem durch Bilder und
Symbole vermittelten „erlebten Raum". Dabei erscheint die Ebene der
Repräsentationsräume – anders gesagt, die Ebene der individuellen und
künstlerischen Raumvorstellungen – als Möglichkeit, Alternativen zur
räumlichen Praxis zu denken (Shields, 1999) und damit den von Lefebvre
beschriebenen Widerspruch zwischen der (proletarischen) räumlichen Praxis
und den kapitalistisch geprägten Raumkonzepten zu überwinden (vgl. Dünne,
2006, S. 298f.). Mit seinem Modell weist Lefebvre auf die im
raumsoziologischen Diskurs immer wieder thematisierte Interdependenz von
materiellen Strukturen, durch Repräsentationen ausgedrückten Normen und
Werten, sowie der individuellen Bewertungen von Raum hin. So findet sich
diese Interdependenz auch bei Läpple (1992) und seinem Konzept des sich
selbst hervorbringenden gesellschaftlichen Raumes, wie auch bei Löws
Unterscheidung von „Spacing" - dem „Platzieren von Gütern und
Dienstleistungen an Orten" und der „Synthese" von Raum über Wahrnehmungs-,
Vorstellungs- oder Erinnerungsprozesse (vgl. Löw, 2001, S. 158f.).
Zusammengefasst lässt sich festhalten: Der Prozess der Raumproduktion ist
gekennzeichnet von der Interdependenz zwischen materiellen Strukturen und
dem Ergebnis der Synthese dieser Strukturen in Form von Raumvorstellungen.
Der Syntheseprozess selbst ist ein komplexer Konstruktionsprozess, der das
Wahrgenommene durch ein vielschichtiges System von Filtern und Verstärkern
zur synthetisierten Raumvorstellung werden lässt. Als Filter und Verstärker
sind viele Faktoren wirksam: die physiologische Begrenztheit der
Raumwahrnehmung, die sozial und kulturell bedingte Selektivität bei der
Synthese der Raumvorstellung (Erfahrungsradien, Wissen, Normen und Werte)
sowie auch symbolische und objektivierte, vermittelte Repräsentationen des
Raums – und der Raum selbst mit seiner Qualität als Symbol und Medium, als
Materialisierung von Raumvorstellungen.
Vereinfacht möchte ich diese Mechanik in einem dualistischen Modell der
Raumproduktion zusammenfassen. Dieses Modell geht von zwei rekursiv
miteinander verbundenen Ebenen der Raumproduktion aus, einer materiellen
Ebene und einer immateriellen Ebene – wohl wissend, dass damit der
Komplexität aller Prozesse der Raumproduktion möglicherweise nicht genüge
getan wird. Allerdings soll das Modell speziell die Interdependenzen
zwischen materiellen Strukturen und Prozessen und den Raumvorstellungen
freilegen. Insofern ist das hier dargestellte vereinfachte Modell als erster
Pfad durch die überaus komplexe Mechanik der Raumproduktion zu verstehen,
mit dem Ziel, die Mechanismen auf der immateriellen Seite der Raumproduktion
zu erforschen.
Das dualistische Modell der Raumproduktion unterscheidet zwischen zwei
Ebenen des Raums. Auf der einen Seite steht der „erste Raum", der Raum der
physischen Objekte und Strukturen sowie der auf diese Objekte und Strukturen
bezogenen Handlungen und Prozesse – das Planen, Bauen, Nutzen und damit
Reproduzieren von konkreten, physisch messbaren Räumen und Orten. Dies
möchte ich als die materielle Ebene der Raumproduktion bezeichnen. Über die
(unvollständige) unmittelbare Wahrnehmung und die mittelbaren Filter in Form
von sozialen Möglichkeiten (Erfahrungsradien, Bildung), vermittelten Bildern
und Informationen, sowie den sozialen Kontexten der Wahrnehmung (Werte,
Normen), wird die Raumvorstellung synthetisiert – ein komplexes, in Teilen
unscharfes und ständig veränderliches „Hologramm" der Realität. Diese
Raumvorstellung möchte ich als „zweiten Raum" bezeichnen, die Prozesse der
Synthese als „immaterielle Raumproduktion".
Das von mir skizzierte Modell der Interdependenz von Raumvorstellung und
materieller Raumstruktur ist ein sich selbst stabilisierender Kreislauf. So
wie der „erste Raum" Grundlage des Syntheseprozesses ist, so ist der „zweite
Raum" wiederum das „Navigationssystem", mit dem wir uns durch den „ersten
Raum" bewegen. Wir bewerten, was wir wahrnehmen, und richten uns in der Wahl
unseres wahrgenommenen Ausschnittes der Umwelt nach unseren Bewertungen.
Unsere Raumvorstellungen leiten uns durch den Raum und dieser Weg
konstituiert wiederum maßgeblich unsere Raumvorstellung. Hier tauchen die
erwähnten „Spurrillen" wieder auf, in denen sich die Synthese von Raum
einspurt.
Es ist ein Kreislauf aus sich stabilisierender Erwartung und immer neuer
Bestätigung, der allerdings an einer Stelle effektiv durchbrochen und
abgelenkt werden kann, nämlich im Bereich der „immateriellen
Raumproduktion", der Genese der Raumvorstellung und der hier wirksamen
Filter und Verstärker. Ein wichtiger Teil dieser Filter und Verstärker sind
die vermittelten Repräsentationen, Bilder und Informationen über den Raum
und seine Potenziale: die Bereiche des „ersten Raums" außerhalb der
Erfahrungsradien und des eigenen Wissens, die Wege durch den Raum abseits
der durch Normen und Werte vorgegebenen Nutzungs- und
Wahrnehmungsgewohnheiten.
Diese vermittelten „alternativen Praktiken" können die individuellen wie
kollektiven Raumvorstellungen erweitern oder einengen, können bisher nicht
Gesehenes sichtbar machen und bisher Gesehenes relativieren. Allerdings ist
dies kein Prozess, der mit Zielgenauigkeit im Sinne eines „Mental Map
Managements" vollzogen werden kann. Die Genese der Raumvorstellung ist ein
Aushandlungsprozess zwischen Individuen untereinander, und zwischen dem
Einzelnen und seinem Kontext, der Gruppe, der Gesellschaft. Dieser
Aushandlungsprozess, der als „Symbolischer Interaktionismus" (Blumer, 1981)
beschrieben wird, hat weitgehend selbstregulierenden Charakter. Wie jeder
selbstregulierende Prozess kann aber auch der Prozess der interaktiven
Aushandlung von Bedeutung „co-reguliert" werden, also durch gezielte
Intervention im Sinne des perspektivischen Inkrementalismus zielgerichtet
mitgesteuert und stimuliert werden. Das gezielte Einsetzen von vermittelten
Raumvorstellungen möchte ich als „Raumstimulation" bezeichnen – eine
„Mischtechnik" aus Themenzuspitzung, Information, erforschendem Entwerfen
und öffentlichkeitswirksamer Bildproduktion.
Die Vermittlung von Raum wird, betrachtet als Schwungrad im Prozess der
„immateriellen Raumproduktion", zur Raumstimulation. Der oder die
Vermittelnde rückt damit vom vermeintlichen Rand in die Mitte des
Geschehens, wird vom Transporteur des fertigen Produkts zum Produzenten.
3. Ein Ausblick: Raumstimulation als Handlungs- und Forschungsfeld
Jedes räumliche Handeln hat auch stimulierende Wirkung auf die
Raumproduktion, erst recht jedes aktive Mitwirken an der Raumproduktion
durch Planer und Architekten. Jeder neue Baustein des materiellen Raums,
jedes Gebäude, jede Struktur ist neben der unmittelbaren materiellen
Manifestation ein „Framing“ der Möglichkeiten, eine Materialisierung von
Werten und Raumvorstellungen, die ihrerseits kollektive Raumbilder
stimuliert. Man könnte demnach fragen, warum man die Raumstimulation als
eigene Ebene planerischen Handelns benennen sollte, wenn sie doch schon
immanenter Teil jeder Raumproduktion ist.
Die Antwort ist einfach: Es ist ein Unterschied, ob die Mitkonstitution
kollektiver Raumvorstellungen sich als Ergebnis klassischen planerischen
Handelns „ergibt", oder ob sie intentional betrieben wird, als eigene
Disziplin – im Sinne eines erweiterten Verständnisses von Raumvermittlung
als immaterieller Raumproduktion.
Das bewusste Arbeiten an den Raumvorstellungen ist bisher zuvorderst der
Kunst oder dem Marketing vorbehalten. Es wird Zeit, dass die eigentlichen
praktischen Raumexperten – Raumplaner, Stadtplaner, Städtebauer, Architekten
und Landschaftsarchitekten, aber auch Geographen, Raumsoziologen und
Raumökonomen – sich auch abseits von „off-Architektur" und
geographisch-soziologischer Forschung in praktischen Kontexten der Arbeit an
Raumvorstellungen zuwenden. Das „Bauen mit Bildern" muss zum
selbstverständlichen Werkzeug werden, wenn es darum geht,
Raumproduktionsprozesse zu aktivieren. Denn immer öfter liegen die Aufgaben
und Probleme, mit denen Planer und Architekten konfrontiert werden, auf der
immateriellen Seite des Raumproduktionsprozesses.
Eine solche stark immateriell gelagerte Aufgabe ist beispielsweise der
Hamburger „Sprung über die Elbe", mit dem das stadtstrukturelle und
sozialräumliche Gefälle zwischen den beiden Stadthälften nördlich und
südlich der Elbe ausgeglichen werden soll. Auch wenn hierbei eine neue „Living
Bridge" oder andere „materielle" Leuchtturmprojekte sicher ihren Beitrag
leisten werden – im Kern geht es darum, einen in Jahrhunderten gewachsenen
mentalen Graben zwischen dem Norden und dem Süden der Stadt zu überwinden.
Der Hamburger Süden muss aus der negativen „Wahrnehmungsspirale"
herausgeholt werden, in die er als fast schon stereotyp genanntes Beispiel
für soziale Brennpunkte geraten ist. Es ist eine Strategie gefragt, die den
Süden neu auf die Hamburger Landkarte hebt, die seine Potenziale lesbar
macht. Dies lässt sich nur mit einem Mix von planerischen und kommunikativen
Interventionen erreichen, die beide aus derselben Richtung gedacht werden
müssen. Kommunikation darf sich nicht wie eine Schicht über die räumlichen
Maßnahmen legen, sie muss das Ziel der Maßnahmen sein. Es sind Projekte
nötig, die sich zwar auf Räume beziehen, aber nicht in jedem Fall auf
bauliche Umsetzung ausgelegt sind, sondern darauf, die Stadt lesbar zu
machen: Zugespitzte Szenarien, die kontroverse Diskussionen beflügeln,
kommunikative und bauliche Maßnahmen mit starker perzeptiver Wirkung, ein
„Lesbarkeitsmanagement", das versteckte Potenzialräume sichtbar macht – um
nur einige Elemente einer solchen Strategie zu nennen.
Eine große Zahl von planerischen aber auch architektonischen Aufgaben hat
heute den immateriellen Charakter des „Sprung über die Elbe": Das Finden
neuer Strategien für schrumpfende Städte – eine Aufgabe, die sich meist
abseits materieller Optionen bewegt – die Symbolproduktion für den
Standortwettbewerb (vgl. Petrin, 2006), oder das „Placemaking", das
Aktivieren von Zustimmung und Ressourcen für Projekte und
Stadtentwicklungsprozesse (vgl. Healey, 1998).
Für die Praxis heißt das:
-
„Triggernde" mediale Interventionen und künstlerische Praktiken sollten
zu selbstverständlichen Elementen planerischer Strategien werden.
-
Planung muss in Formaten gedacht werden. Kein Plan ohne mediale
Strategie, kein Bauwerk ohne Kommunikationsprozess.
-
Neben das materielle Planen, das Hinzufügen, Rückbauen oder Ändern von
Strukturen, tritt das „interpretierende Entwerfen", das Sichtbar- und
Lesbarmachen von Zusammenhängen und Potenzialen (vgl. Sieverts, 1997).
-
Die Lesbarkeit muss zur eigenen Querschnittsqualität speziell von
großmaßstäblicher Planung werden (vgl. Lynch, 1980). Eine „Perception
Strategy" muss die klassischen Planungsebenen ergänzen und Maßnahmen
sowie Handlungsebenen der Raumstimulation benennen.
Die Praxis muss die immateriellen Prozesse der Raumproduktion als Motoren
für Planungsprozesse zu nutzen lernen – eine Aufgabe, die weit über das
klassische Standortmarketing oder Beteiligungsprozesse hinausweist. Um die
Raumstimulation zu einem wirkungsvollen Instrument zu machen, ist auch die
Forschung gefragt. Die Frage nach der Entstehung und der Wirkung von
Raumvorstellungen ist aus der Perspektive des Nutzens für Planungsprozesse
nur unzureichend erforscht. Lynchs stark auf Fragen der Orientierung und der
morphologischen Gestalt konzentrierte Thesen zum „Image of the City" (Lynch,
2001) greifen unter den Vorzeichen einer medialisierten Gesellschaft und
einer „Ökonomie der Zeichen" (Lash & Urry, 1994) zu kurz. Der in diesem
Beitrag angerissene disziplinäre Flickenteppich, der dieses Thema aus
heutiger Sicht beschreibt, muss aus planerisch-architektonischer Perspektive
synoptisch zusammengefasst und systematisch auf seine Verwertbarkeit für
Prozesse der Raumproduktion untersucht werden.
Vor allem Planer und Architekten sind gefordert. Sie müssen noch stärker als
bisher mediale Techniken und künstlerische Praktiken beherrschen, um in
Prozessen der Raumstimulation mitwirken zu können – ein Auftrag auch an die
Ausbildung im noch jungen Fach Architekturvermittlung. Allerdings mag diesem
Auftrag schon der Name des Fachs entgegenstehen. Der vermittelnde Planer ist
vielleicht angesichts der unbestreitbaren Macht der Bilder zu kurz gedacht.
Literatur:
Barthes, R. (1988). Semiologie und Stadtplanung, In R.
Barthes, Das semiologische Abenteuer (S. 199-209). Frankfurt am Main:
Suhrkamp.
Blumer, H. (1981). Der methodologische Standort des
symbolischen Interaktionismus. In Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen
(Hrsg.), Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit (1+2)
(S. 80-146). Opladen: Westdeutscher Verlag.
Downs, R.
M. & Stea, D. (1982).
Kognitive Karten: Die Welt in unseren Köpfen.
New York:
Harper and Row.
Dünne, J. &
Günzel S. (2006). Raumtheorie.
Grundlagentexte aus
Philosophie und Kulturwissenschaften. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Eco, U. (1994). Einführung in die Semiotik.
München:
Fink.
Faludi, A.
(1996). Framing with images. Environment and Planning B: Planning and Design
23, 93-108.
Healey, P.
(1998). Building Institutional Capacity Through Collaborative Approaches to
Urban Planning.
Environment and Planning A, 30, 1531-1546.
Ipsen, D. (1997). Raumbilder. Kultur und Ökonomie räumlicher
Entwicklung.
Pfaffenweiler:
Lash, S. &
Urry, J. (1994). Economies of Sign and Space. London: Sage.
Lefebvre,
H. (1991). The Production of Space, Oxford: Blackwell.
Löw, M. (2001). Raumsoziologie. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Läpple, D. (1992). Essay über den Raum: Für ein
gesellschafts-wissenschaftliches Raumkonzept (Diskussionsbeitrag;12). In D.
Läpple, H. Häußermann u. a. (Hrsg.), Stadt und Raum: Soziologische Analysen
(2. Aufl.) (S. 157-207). Pfaffenweiler: Centaurus.
Lynch, K. (2001). Das Bild der Stadt (2. Aufl.). Basel:
Birkhäuser.
Lynch, K. (1980).
Managing
the Sense of a Region.
Cambridge, MA: MIT Press.
Petrin, J. (2006): Die gemachte Metropole – Hamburgs
medialisierte Planungs- und Baukultur schafft sich ihre Realität. In
Hamburgische Architektenkammer (Hrsg.), Architektur in Hamburg, Jahrbuch
2006. Hamburg: Junius.
Piaget, J. & Inhelder, B. (1975), Die Entwicklung des
räumlichen Denkens beim Kinde. Stuttgart: Klett.
Rauterberg, H. (2003). Endlich Heimat bauen, Interview mit
Karl Ganser, in DIE ZEIT 14/2003
Roth, G. (2003): Ich - Körper - Raum. Die Konstruktion der
Erlebniswelt durch das Gehirn. In T. Krämer-Badonin & K. Kuhm (Hrsg.), Die
Gesellschaft und ihr Raum. Raum als Gegenstand der Soziologie (S. 35-52).
Opladen: Leske + Budrich.
Selle, K. (1996). Planung und Kommunikation. In K. Selle
(Hrsg.), Planung und Kommunikation. Gestaltung von Planungsprozessen in
Quartier, Stadt und Landschaft, Grundlagen, Methoden, Praxiserfahrungen (S.
11-20).
Wiesbaden:
Bauverlag.
Shields, R.
(1999). Lefèbvre, Love & Struggle, Spatial Dialectics. London: Routledge.
Sieverts, T. (1997). Zur Lesbarkeit und inneren Verfügbarkeit
der Stadtregion Berlin als Lebensraum. In Institut für Regionalentwicklung
und Strukturplanung (Hrsg.), Raum und Identität. Potentiale und Konflikte in
der Stadt- und Regionalentwicklung (Graue Reihe 15), S. 53-69. Erkner bei
Berlin: IRS.
|