Die Zukunft
der Architekturvermittlung

11. Jahrgang
Doppelheft 1-2
Februar 2007
   

 

___Julian Petrin
Hamburg
  Der Raum entsteht im Kopf
Von der Vermittlung zur Stimulation von Raum
   
 



"Ich wünsche mir, dass wir endlich über das diskutieren, was uns ständig und überall umgibt. [...]
Es würde ausreichen, wenn in jeder Region zehn oder zwanzig Leute sagen würden: Wir gründen ein Forum der Baukultur, wo die Menschen hingehen können, wenn sie einen Fremdenführer für das Alltägliche suchen.
[...] was wir brauchen sind Idealisten, sind unangepasste Streiter.
" (Ganser, 2003)



1. Mehr als Vermittlung: Das Bild konstituiert den Raum

Es ist ein fast schon abgenutzter Lehrsatz der Planungswissenschaften: „Planung ist Kommunikation" (Selle, 1996). Architekten, Bauherren, Politiker, Planer, Bürger: Alle reden – miteinander, untereinander und mitunter durcheinander. Überall schallt es einem entgegen: Trainiere zu kommunizieren! Soft skills matter.
Dementsprechend geschwätzig gibt sich die Architekten- und Planerschaft. Das Büro als Café, als Salon; der Entwerfer als Erzähler und Aussteller; der Experte als Flaneur im Dienst der Aufklärung – und des eigenen Fortkommens. Publish or perish.
Aber wofür erzählen, zeigen, diskutieren? Geht es um eine neue Art des fachlichen Reiseführens, um Bildung, oder nur um versteckte Eigenwerbung? Ist das Feld der Kommunikation mehr als eine willkommene Fluchtnische angesichts des immer engeren Arbeits- und Auftragsmarktes? Allzu oft bleibt der Sinn der neuen Gesprächigkeit von Planern und Architekten im Dunkeln, wird die Kommunikation zum Selbstzweck. Gut, dass wir gesprochen haben. Der Effekt ist ungewiss, meist bleibt die Vermittlung der eigenen oder fremder Arbeiten eine dekorative Schicht, die sich über die Prozesse der Raumproduktion legt. Denn trotz aller Stimmen, Gegenstimmen, Fingerzeige und Diskussionen – gebaut wird so oder so, was in den Hinterzimmern der Fachwelt ausgeheckt wird. Dem Vermittler von Architektur, von Stadt, von Raum bleibt in Wahrheit oft nicht viel mehr als die Rolle des Verpackungskünstlers, der aus jeder noch so schnöden Kiste eine brand architecture macht, aus jeder tristen Mittelstadt ein pulsierendes Stadterlebnis. Schleife drum und fertig. Konstruktion im Dienste des Marktes. Oder das Gegenteil, der Rückzug in die Bastionen der Kulturkritik. Vielleicht lässt sich die Raum produzierende Marktmaschine ja vielleicht von außen sturmreif schießen. Der Vermittler entweder als Propagandist oder als Mahner, als Gegenstimme. Ist das wirklich alles?

Wenn man nach dem weitergehenden Sinn des Erzählens, des Filterns, Verstärkens und medialen Konstruierens von räumlichen Prozessen und Phänomenen fragt, sollte man vielleicht nicht von Vermittlung reden. Vermittlung suggeriert ein „Innen" und ein „Außen", ein „Dabeisein" entgegen dem „Zuschauen", ein „Produzieren" abseits des „Konsumierens". Die Vermittlung kann demnach kaum mehr leisten, als zwischen diesen Sphären Brücken zu bauen. Damit wird man der Kraft des Erzählens, Filterns, des Verstärkens und Konstruierens nicht gerecht. Die Vermittlung von Raum ist weit mehr als nur Brücke oder Applikation, die nachträglich zugänglich macht, was anderswo erdacht wurde. Es ist geradezu andersherum: Erst das vermittelte Bild – ein Bild im weitesten Sinne des Wortes, verstanden als Raumbild (Ipsen, 1992) – konstituiert den Raum, den wir wahrnehmen. Das vermittelte Raumbild ist gewissermaßen die Gebrauchsanweisung für den Raum, die unsere Vorstellungsbilder und damit unser Verhalten im Raum vorprogrammiert. Auf der Grundlage der erzählten Sinnbilder negieren oder bestätigen wir räumliche Strukturen und reproduzieren sie damit. So bekommen die vermittelten Raumbilder und die ihnen zugrunde liegenden Konstruktionsprozesse eine Schlüsselstellung im Prozess der Raumproduktion.

Wenn man davon ausgeht, dass Vorstellungen den Raum konstituieren, greift der Begriff der Vermittlung zu kurz. Man sollte vielmehr von „immaterieller Raumproduktion" sprechen, die mit Hilfe von Geschichten, Bildern und medialen Repräsentationen unser Vorstellungsbild des Raums konstituiert. Und man sollte die immaterielle Seite der Raumproduktion, das „Bauen mit Bildern", erforschen, und damit die Mechanismen, die zur Konstruktion von Raumvorstellungen führen. Hieraus lassen sich möglicherweise neue Ansatzpunkte für ein bau- und planungskulturell motiviertes Eingreifen in die Raumproduktionsmaschine erkennen, die dem Erzählen über dem Raum einen Sinn geben, der über den Vermittlungsbegriff hinaus führt.


2. Erklärungsmuster: Der Blick in die Maschine der Raumbildkonstruktion

Es geht also in diesem Beitrag darum, den Vermittlungsbegriff aufzuweiten und zu zeigen, dass das Erzählen über Raum, das Bebildern und Erklären von räumlichen Strukturen und Prozessen mehr ist als Feuilleton oder einfache „Verkaufe". Jeder Entwurf, jedes produzierte Bild, jeder Text über den Raum ist ein „Framing“ (Faludi, 1996) der Umwelt, eine Rahmensetzung, die ihrerseits die Bewertung und damit die Produktion und Aneignung von Raum beeinflusst. Jeder Architekt, jeder Planer ist immer auch Vermittler, egal, ob er aktiv öffentliche Kommunikationsprozesse mitgestaltet oder diese mit seinen Arbeiten nur indirekt bespielt. Jedes planerische Agieren ist eine Aussage über die Möglichkeiten des Raums, die unsere kollektiven Raumbilder mit formt – ein erster Hinweis auf das in diesem Beitrag vertretene Rollenverständnis des stimulierenden Experten, der die als weitgehend selbststeuernd eingeschätzten Raumproduktionsströme durch gezielte Interventionen mitsteuert. Doch dazu später.

Zunächst soll es darum gehen, die Bedeutung vermittelter Raumvorstellungen für den Raumproduktionsprozess herauszuarbeiten. Der Blick in die Maschine der Raumproduktion, auf die Wechselwirkungen zwischen den erzählten Bildern und der Aneignung von Raum, fördert zunächst ein nahezu unüberschaubares Feld von Erklärungsmodellen zu Tage.

An dieser Stelle soll der Blick auf einige Eckpunkte dieses Feldes genügen. Damit lässt sich zumindest die Komplexität der noch immer ausstehenden Aufgabe ermessen, Interdependenzen von Wahrnehmung und Raumproduktion aus der Perspektive der Raumwissenschaften systematisch zusammenzufassen und nutzbar zu machen. Das anschließend vorgestellte vereinfachte Modell der Interaktion von Raumvorstellungen und Strukturen soll helfen, einen Pfad durch das Dickicht der Erklärungsmodelle zu legen und mögliche Ansatzpunkte für weiteres Forschen und planerisches Handeln freizulegen.

Der Einstieg in das Feld der Erklärungsmodelle führt zunächst zur grundlegenden Frage, wie wir Raum wahrnehmen – eine Frage, die über die Psychologie zur Neurobiologie führt, zur Erforschung der physiologisch bedingten Selektivität und Konstruktivität von Wahrnehmung (vgl. Roth, 2003). Kurz gesagt: Unser Gehirn verarbeitet nur einen Bruchteil der auf uns einströmenden Informationen. So sind wir vor einem nicht zu verarbeitenden Übermaß an Umweltinformationen geschützt – eine unverzichtbare Grundlage unseres Überlebens.

Unsere Umweltbilder sind also nie komplette Abbilder der Realität, sondern Konstrukte aus dem vergleichsweise Wenigen, was unsere Wahrnehmungs-Filter passieren lassen, ergänzt durch erinnerte Eindrücke und Wissen. Welche Bausteine sich dabei zur Raumvorstellung zusammensetzen – welches Wissen, welche Erinnerungen und welcher Ausschnitt der Wahrnehmung – und in welcher Anordnung die Bausteine sich zusammensetzen, wird durch eine Vielzahl von Faktoren gesteuert: durch evolutionsbedingte und entwicklungspsychologische Muster (vgl. Piaget, 1975) ebenso wie durch Werte, Normen, durch sozial bedingte Erfahrungsradien und damit verbundene Wahrnehmungsgewohnheiten. An dieser Stelle öffnet sich der Blick tief hinein in das Feld der Genese und Wirkung von Raumvorstellungen. Der Begriff der Wahrnehmungsmuster führt zur Verhaltensforschung und damit auf den aus diesem Kontext stammenden Begriff der "Mental Map" (vgl. Downs & Stea, 1982). Die Frage nach Werten, Normen und Erfahrungsradien hingegen führt zur Raumsoziologie und von dort weiter zur Kulturwissenschaft und zur räumlichen Semiotik (vgl. Barthes, 1988; Eco, 1994), die alle aus unterschiedlichen Perspektiven das Zusammenspiel von individueller Verfasstheit und kollektiven, also gesellschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen bei der Entstehung von Raumvorstellungen erforschen.

Für die Frage, wie Raumvorstellungen im Prozess der Raumproduktion wirken, ist speziell der soziologische Diskurs um den Raum aufschlussreich, der seit einigen Jahren verstärkt entlang der Frage geführt wird, wie sich Raum aus gesellschaftswissenschaftlicher Sicht konstituiert. Einer der Bezugspunkte dieser Diskussion ist das in den vergangenen Jahren wiederentdeckte Raumkonzept von Lefebvre, ursprünglich erschienen unter dem Titel "La production d'espace" (Lefebvre, 1991). Lefebvre entwirft ein Raummodell aus drei sich gegenseitig überlagernden Ebenen: der "räumlichen Praxis", den „Raumrepräsentationen" und den „Repräsentationsräumen", dem durch Bilder und Symbole vermittelten „erlebten Raum". Dabei erscheint die Ebene der Repräsentationsräume – anders gesagt, die Ebene der individuellen und künstlerischen Raumvorstellungen – als Möglichkeit, Alternativen zur räumlichen Praxis zu denken (Shields, 1999) und damit den von Lefebvre beschriebenen Widerspruch zwischen der (proletarischen) räumlichen Praxis und den kapitalistisch geprägten Raumkonzepten zu überwinden (vgl. Dünne, 2006, S. 298f.). Mit seinem Modell weist Lefebvre auf die im raumsoziologischen Diskurs immer wieder thematisierte Interdependenz von materiellen Strukturen, durch Repräsentationen ausgedrückten Normen und Werten, sowie der individuellen Bewertungen von Raum hin. So findet sich diese Interdependenz auch bei Läpple (1992) und seinem Konzept des sich selbst hervorbringenden gesellschaftlichen Raumes, wie auch bei Löws Unterscheidung von „Spacing" - dem „Platzieren von Gütern und Dienstleistungen an Orten" und der „Synthese" von Raum über Wahrnehmungs-, Vorstellungs- oder Erinnerungsprozesse (vgl. Löw, 2001, S. 158f.).

Zusammengefasst lässt sich festhalten: Der Prozess der Raumproduktion ist gekennzeichnet von der Interdependenz zwischen materiellen Strukturen und dem Ergebnis der Synthese dieser Strukturen in Form von Raumvorstellungen. Der Syntheseprozess selbst ist ein komplexer Konstruktionsprozess, der das Wahrgenommene durch ein vielschichtiges System von Filtern und Verstärkern zur synthetisierten Raumvorstellung werden lässt. Als Filter und Verstärker sind viele Faktoren wirksam: die physiologische Begrenztheit der Raumwahrnehmung, die sozial und kulturell bedingte Selektivität bei der Synthese der Raumvorstellung (Erfahrungsradien, Wissen, Normen und Werte) sowie auch symbolische und objektivierte, vermittelte Repräsentationen des Raums – und der Raum selbst mit seiner Qualität als Symbol und Medium, als Materialisierung von Raumvorstellungen.

Vereinfacht möchte ich diese Mechanik in einem dualistischen Modell der Raumproduktion zusammenfassen. Dieses Modell geht von zwei rekursiv miteinander verbundenen Ebenen der Raumproduktion aus, einer materiellen Ebene und einer immateriellen Ebene – wohl wissend, dass damit der Komplexität aller Prozesse der Raumproduktion möglicherweise nicht genüge getan wird. Allerdings soll das Modell speziell die Interdependenzen zwischen materiellen Strukturen und Prozessen und den Raumvorstellungen freilegen. Insofern ist das hier dargestellte vereinfachte Modell als erster Pfad durch die überaus komplexe Mechanik der Raumproduktion zu verstehen, mit dem Ziel, die Mechanismen auf der immateriellen Seite der Raumproduktion zu erforschen.

Das dualistische Modell der Raumproduktion unterscheidet zwischen zwei Ebenen des Raums. Auf der einen Seite steht der „erste Raum", der Raum der physischen Objekte und Strukturen sowie der auf diese Objekte und Strukturen bezogenen Handlungen und Prozesse – das Planen, Bauen, Nutzen und damit Reproduzieren von konkreten, physisch messbaren Räumen und Orten. Dies möchte ich als die materielle Ebene der Raumproduktion bezeichnen. Über die (unvollständige) unmittelbare Wahrnehmung und die mittelbaren Filter in Form von sozialen Möglichkeiten (Erfahrungsradien, Bildung), vermittelten Bildern und Informationen, sowie den sozialen Kontexten der Wahrnehmung (Werte, Normen), wird die Raumvorstellung synthetisiert – ein komplexes, in Teilen unscharfes und ständig veränderliches „Hologramm" der Realität. Diese Raumvorstellung möchte ich als „zweiten Raum" bezeichnen, die Prozesse der Synthese als „immaterielle Raumproduktion".

Das von mir skizzierte Modell der Interdependenz von Raumvorstellung und materieller Raumstruktur ist ein sich selbst stabilisierender Kreislauf. So wie der „erste Raum" Grundlage des Syntheseprozesses ist, so ist der „zweite Raum" wiederum das „Navigationssystem", mit dem wir uns durch den „ersten Raum" bewegen. Wir bewerten, was wir wahrnehmen, und richten uns in der Wahl unseres wahrgenommenen Ausschnittes der Umwelt nach unseren Bewertungen. Unsere Raumvorstellungen leiten uns durch den Raum und dieser Weg konstituiert wiederum maßgeblich unsere Raumvorstellung. Hier tauchen die erwähnten „Spurrillen" wieder auf, in denen sich die Synthese von Raum einspurt.

Es ist ein Kreislauf aus sich stabilisierender Erwartung und immer neuer Bestätigung, der allerdings an einer Stelle effektiv durchbrochen und abgelenkt werden kann, nämlich im Bereich der „immateriellen Raumproduktion", der Genese der Raumvorstellung und der hier wirksamen Filter und Verstärker. Ein wichtiger Teil dieser Filter und Verstärker sind die vermittelten Repräsentationen, Bilder und Informationen über den Raum und seine Potenziale: die Bereiche des „ersten Raums" außerhalb der Erfahrungsradien und des eigenen Wissens, die Wege durch den Raum abseits der durch Normen und Werte vorgegebenen Nutzungs- und Wahrnehmungsgewohnheiten.

Diese vermittelten „alternativen Praktiken" können die individuellen wie kollektiven Raumvorstellungen erweitern oder einengen, können bisher nicht Gesehenes sichtbar machen und bisher Gesehenes relativieren. Allerdings ist dies kein Prozess, der mit Zielgenauigkeit im Sinne eines „Mental Map Managements" vollzogen werden kann. Die Genese der Raumvorstellung ist ein Aushandlungsprozess zwischen Individuen untereinander, und zwischen dem Einzelnen und seinem Kontext, der Gruppe, der Gesellschaft. Dieser Aushandlungsprozess, der als „Symbolischer Interaktionismus" (Blumer, 1981) beschrieben wird, hat weitgehend selbstregulierenden Charakter. Wie jeder selbstregulierende Prozess kann aber auch der Prozess der interaktiven Aushandlung von Bedeutung „co-reguliert" werden, also durch gezielte Intervention im Sinne des perspektivischen Inkrementalismus zielgerichtet mitgesteuert und stimuliert werden. Das gezielte Einsetzen von vermittelten Raumvorstellungen möchte ich als „Raumstimulation" bezeichnen – eine „Mischtechnik" aus Themenzuspitzung, Information, erforschendem Entwerfen und öffentlichkeitswirksamer Bildproduktion.

Die Vermittlung von Raum wird, betrachtet als Schwungrad im Prozess der „immateriellen Raumproduktion", zur Raumstimulation. Der oder die Vermittelnde rückt damit vom vermeintlichen Rand in die Mitte des Geschehens, wird vom Transporteur des fertigen Produkts zum Produzenten.


3. Ein Ausblick: Raumstimulation als Handlungs- und Forschungsfeld

Jedes räumliche Handeln hat auch stimulierende Wirkung auf die Raumproduktion, erst recht jedes aktive Mitwirken an der Raumproduktion durch Planer und Architekten. Jeder neue Baustein des materiellen Raums, jedes Gebäude, jede Struktur ist neben der unmittelbaren materiellen Manifestation ein „Framing“ der Möglichkeiten, eine Materialisierung von Werten und Raumvorstellungen, die ihrerseits kollektive Raumbilder stimuliert. Man könnte demnach fragen, warum man die Raumstimulation als eigene Ebene planerischen Handelns benennen sollte, wenn sie doch schon immanenter Teil jeder Raumproduktion ist.

Die Antwort ist einfach: Es ist ein Unterschied, ob die Mitkonstitution kollektiver Raumvorstellungen sich als Ergebnis klassischen planerischen Handelns „ergibt", oder ob sie intentional betrieben wird, als eigene Disziplin – im Sinne eines erweiterten Verständnisses von Raumvermittlung als immaterieller Raumproduktion.

Das bewusste Arbeiten an den Raumvorstellungen ist bisher zuvorderst der Kunst oder dem Marketing vorbehalten. Es wird Zeit, dass die eigentlichen praktischen Raumexperten – Raumplaner, Stadtplaner, Städtebauer, Architekten und Landschaftsarchitekten, aber auch Geographen, Raumsoziologen und Raumökonomen – sich auch abseits von „off-Architektur" und geographisch-soziologischer Forschung in praktischen Kontexten der Arbeit an Raumvorstellungen zuwenden. Das „Bauen mit Bildern" muss zum selbstverständlichen Werkzeug werden, wenn es darum geht, Raumproduktionsprozesse zu aktivieren. Denn immer öfter liegen die Aufgaben und Probleme, mit denen Planer und Architekten konfrontiert werden, auf der immateriellen Seite des Raumproduktionsprozesses.

Eine solche stark immateriell gelagerte Aufgabe ist beispielsweise der Hamburger „Sprung über die Elbe", mit dem das stadtstrukturelle und sozialräumliche Gefälle zwischen den beiden Stadthälften nördlich und südlich der Elbe ausgeglichen werden soll. Auch wenn hierbei eine neue „Living Bridge" oder andere „materielle" Leuchtturmprojekte sicher ihren Beitrag leisten werden – im Kern geht es darum, einen in Jahrhunderten gewachsenen mentalen Graben zwischen dem Norden und dem Süden der Stadt zu überwinden. Der Hamburger Süden muss aus der negativen „Wahrnehmungsspirale" herausgeholt werden, in die er als fast schon stereotyp genanntes Beispiel für soziale Brennpunkte geraten ist. Es ist eine Strategie gefragt, die den Süden neu auf die Hamburger Landkarte hebt, die seine Potenziale lesbar macht. Dies lässt sich nur mit einem Mix von planerischen und kommunikativen Interventionen erreichen, die beide aus derselben Richtung gedacht werden müssen. Kommunikation darf sich nicht wie eine Schicht über die räumlichen Maßnahmen legen, sie muss das Ziel der Maßnahmen sein. Es sind Projekte nötig, die sich zwar auf Räume beziehen, aber nicht in jedem Fall auf bauliche Umsetzung ausgelegt sind, sondern darauf, die Stadt lesbar zu machen: Zugespitzte Szenarien, die kontroverse Diskussionen beflügeln, kommunikative und bauliche Maßnahmen mit starker perzeptiver Wirkung, ein „Lesbarkeitsmanagement", das versteckte Potenzialräume sichtbar macht – um nur einige Elemente einer solchen Strategie zu nennen.

Eine große Zahl von planerischen aber auch architektonischen Aufgaben hat heute den immateriellen Charakter des „Sprung über die Elbe": Das Finden neuer Strategien für schrumpfende Städte – eine Aufgabe, die sich meist abseits materieller Optionen bewegt – die Symbolproduktion für den Standortwettbewerb (vgl. Petrin, 2006), oder das „Placemaking", das Aktivieren von Zustimmung und Ressourcen für Projekte und Stadtentwicklungsprozesse (vgl. Healey, 1998).

Für die Praxis heißt das:

  • „Triggernde" mediale Interventionen und künstlerische Praktiken sollten zu selbstverständlichen Elementen planerischer Strategien werden.
  • Planung muss in Formaten gedacht werden. Kein Plan ohne mediale Strategie, kein Bauwerk ohne Kommunikationsprozess.
  • Neben das materielle Planen, das Hinzufügen, Rückbauen oder Ändern von Strukturen, tritt das „interpretierende Entwerfen", das Sichtbar- und Lesbarmachen von Zusammenhängen und Potenzialen (vgl. Sieverts, 1997).
  • Die Lesbarkeit muss zur eigenen Querschnittsqualität speziell von großmaßstäblicher Planung werden (vgl. Lynch, 1980). Eine „Perception Strategy" muss die klassischen Planungsebenen ergänzen und Maßnahmen sowie Handlungsebenen der Raumstimulation benennen.


Die Praxis muss die immateriellen Prozesse der Raumproduktion als Motoren für Planungsprozesse zu nutzen lernen – eine Aufgabe, die weit über das klassische Standortmarketing oder Beteiligungsprozesse hinausweist. Um die Raumstimulation zu einem wirkungsvollen Instrument zu machen, ist auch die Forschung gefragt. Die Frage nach der Entstehung und der Wirkung von Raumvorstellungen ist aus der Perspektive des Nutzens für Planungsprozesse nur unzureichend erforscht. Lynchs stark auf Fragen der Orientierung und der morphologischen Gestalt konzentrierte Thesen zum „Image of the City" (Lynch, 2001) greifen unter den Vorzeichen einer medialisierten Gesellschaft und einer „Ökonomie der Zeichen" (Lash & Urry, 1994) zu kurz. Der in diesem Beitrag angerissene disziplinäre Flickenteppich, der dieses Thema aus heutiger Sicht beschreibt, muss aus planerisch-architektonischer Perspektive synoptisch zusammengefasst und systematisch auf seine Verwertbarkeit für Prozesse der Raumproduktion untersucht werden.

Vor allem Planer und Architekten sind gefordert. Sie müssen noch stärker als bisher mediale Techniken und künstlerische Praktiken beherrschen, um in Prozessen der Raumstimulation mitwirken zu können – ein Auftrag auch an die Ausbildung im noch jungen Fach Architekturvermittlung. Allerdings mag diesem Auftrag schon der Name des Fachs entgegenstehen. Der vermittelnde Planer ist vielleicht angesichts der unbestreitbaren Macht der Bilder zu kurz gedacht.


 



Literatur:

Barthes, R. (1988). Semiologie und Stadtplanung, In R.  Barthes, Das semiologische Abenteuer (S. 199-209). Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Blumer, H. (1981). Der methodologische Standort des symbolischen Interaktionismus. In Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hrsg.), Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit (1+2) (S. 80-146). Opladen: Westdeutscher Verlag.

Downs, R. M. & Stea, D. (1982). Kognitive Karten: Die Welt in unseren Köpfen. New York: Harper and Row.

Dünne, J. & Günzel S. (2006). Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Eco, U. (1994). Einführung in die Semiotik. München: Fink.

Faludi, A. (1996). Framing with images. Environment and Planning B: Planning and Design 23, 93-108.

Healey, P. (1998). Building Institutional Capacity Through Collaborative Approaches to Urban Planning. Environment and Planning A, 30, 1531-1546.

Ipsen, D. (1997). Raumbilder. Kultur und Ökonomie räumlicher Entwicklung. Pfaffenweiler:

Lash, S. & Urry, J. (1994). Economies of Sign and Space. London: Sage.

Lefebvre, H. (1991). The Production of Space, Oxford: Blackwell.

Löw, M. (2001). Raumsoziologie. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Läpple, D. (1992). Essay über den Raum: Für ein gesellschafts-wissenschaftliches Raumkonzept (Diskussionsbeitrag;12). In D. Läpple, H. Häußermann u. a. (Hrsg.), Stadt und Raum: Soziologische Analysen (2. Aufl.) (S. 157-207). Pfaffenweiler: Centaurus.

Lynch, K. (2001). Das Bild der Stadt (2. Aufl.). Basel: Birkhäuser.

Lynch, K. (1980). Managing the Sense of a Region. Cambridge, MA: MIT Press.

Petrin, J. (2006): Die gemachte Metropole – Hamburgs medialisierte Planungs- und Baukultur schafft sich ihre Realität. In Hamburgische Architektenkammer (Hrsg.), Architektur in Hamburg, Jahrbuch 2006. Hamburg: Junius.

Piaget, J. & Inhelder, B. (1975), Die Entwicklung des räumlichen Denkens beim Kinde. Stuttgart: Klett.

Rauterberg, H. (2003). Endlich Heimat bauen, Interview mit Karl Ganser, in DIE ZEIT 14/2003

Roth, G. (2003): Ich - Körper - Raum. Die Konstruktion der Erlebniswelt durch das Gehirn. In T. Krämer-Badonin & K. Kuhm (Hrsg.), Die Gesellschaft und ihr Raum. Raum  als Gegenstand der Soziologie (S. 35-52). Opladen: Leske + Budrich.

Selle, K. (1996). Planung und Kommunikation. In K. Selle (Hrsg.), Planung und Kommunikation. Gestaltung von Planungsprozessen in Quartier, Stadt und Landschaft, Grundlagen, Methoden, Praxiserfahrungen (S. 11-20). Wiesbaden: Bauverlag.

Shields, R. (1999). Lefèbvre, Love & Struggle, Spatial Dialectics. London: Routledge.

Sieverts, T. (1997). Zur Lesbarkeit und inneren Verfügbarkeit der Stadtregion Berlin als Lebensraum. In Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (Hrsg.), Raum und Identität. Potentiale und Konflikte in der Stadt- und Regionalentwicklung (Graue Reihe 15), S. 53-69. Erkner bei Berlin: IRS.

 


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