|
|
„Incredible! Amazing!“, ruft Liliane Kaufmann und bricht in Tränen aus, dann
läuft sie auf Frank Lloyd Wright zu und fällt ihm in die Arme. Schnitt, ein
letzter Schwenk auf die Außenfassaden des Falling Water House, während man
Ehemann Edgar Kaufmann immer wieder „Thank you! Thank you so much!“ murmeln
hört, dann läuft der Abspann…
Diese oder ähnlich bewegende filmische Dokumente der Inbesitznahme
architektonischer Meisterwerke existieren höchst wahrscheinlich nicht. Die
beschriebene Szene ist frei erfunden, der Plot hingegen lässt sich fast
täglich am Bildschirm verfolgen – nur dass es sich dabei in der Regel nicht
um Star-Architektur handelt. Seit einiger Zeit boomen im Fernsehen
unterschiedliche Sendereihen rum um das Wohnen: Makler-Shows,
Heimwerker-Dokus und so genannte Deko-Soaps, die sich oft die besten
Sendezeiten mit „Super-Nanny“, „Frauentausch“ und anderen
Reality-TV-Formaten teilen. Derartige Sendungen finden sich – zumindest
wochentags – täglich im privaten Fernsehen, zunehmend springen auch die
öffentlich-rechtlichen Sender auf den Zug. Das Thema Wohnen scheint also –
wirft man einen flüchtigen Blick in die Fernsehzeitschriften – eine
steigende Popularität zu genießen. Endlich – mag nun vielleicht manch
gebeutelter Architekt und Streiter für Baukultur aufatmen – konzentriert
sich das gesellschaftliche Interesse auch einmal auf die zeitgenössische
Architektur. Vordergründig betrachtet, könnte man schließen, dass in der
breiten Öffentlichkeit nicht mehr nur antike Tempel und prachtvolle
Renaissancebauten unter Baukunst gehandelt werden, sondern ebenfalls das
architektonisch gelungene Einfamilienhaus. Da im Rahmen von „Unser
Traumhaus“ und Co Alltagsarchitektur offenbar im Fernsehen einen größeren
Stellenwert einnimmt, scheint das Ziel endlich erreicht, die breite
Öffentlichkeit für Architektur sensibilisiert. Während bisher zwar
Kunstdrucke von Monet, Van Gogh, Kandinsky, Matisse oder Chagall quer durch
die Haushalte verschiedenster Lebensstilgruppen und Bildungsschichten zu
finden sind, beschränkte sich die Kenntnis von so genannten Baumeistern
zumeist auf Namen wie Hundertwasser – der bekanntlich nicht einmal Architekt
war… Und nun zeichnet sich also mit den genannten TV-Formaten eine Wende ab?
Struktur und Logik der neuen Wohn-Soaps
Ein Hineinzappen in diese Sendungen lässt derartige Hoffnungen schnell der
Ernüchterung weichen. Fakt ist, dass die Architektur hier nur eine marginale
Rolle spielt. Im Zentrum steht in der Regel die Inneneinrichtung, nur selten
interessiert das Haus an sich. Es geht nicht darum, dem Zuschauer ein
Gebäude näher zu bringen, sondern vielmehr um den altbekannten
„Cinderella-Effekt“, der in zahlreichen Vorher-nachher-Shows bis zum Exzess
ausgereizt wird. Die Verwandlung verläuft stets nach demselben Schema und
erinnert an Sendeformate wie „The Swan“ oder „Pimp my ride“, bei denen
vermeintlich unattraktive Frauen in Supermodels und Rostlauben in
Luxusschlitten verwandelt werden. Zunächst werden die Bewohner des zu
korrigierenden Objekts je nach Umfang der „kosmetischen Eingriffe“ für
einige Tage in den Urlaub beziehungsweise zum Einkaufsbummel geschickt. Dann
treten die Fachmänner in Aktion, reißen Wände nieder, hämmern, mauern,
streichen und – vor allem – dekorieren was das Zeug hält. Und das alles
kommentiert mit Tipps zum Nachmachen und garniert mit fachmännischen
Kommentaren zu tragenden Wänden, Materialbeständigkeit etc. Schließlich
kommt der große Moment der Gegenüberstellung, der Höhepunkt der Sendung: Die
Bewohner kehren zurück und finden an Stelle der früheren „Bruchbude“ den
ultimativen Wohntraum. Und endlich fließen die Tränen…
Gemeinsam ist diesen Sendeformaten der typisch populärdokumentarische
Charakter des Infotainment-Segments: möglichst spektakulär, doch trotzdem
lebensnah und vor allem möglichst viele Emotionen. Es geht hier also um die
in den vergangenen Jahren – vor allem im Kontext von Big Brother und
Talkshows – breit diskutierte Befriedigung des Voyeurismus: „Das pralle
Leben eben! Wie bei einem Besuch im Seelen-Zoo kann sich der Zuschauer all
die merkwürdigen ,Tierchen‘ in der Wirklichkeit angucken.“ (Feige, 2001, 44)
Zum anderen haben die Wohn-Soaps allesamt den Traum vom perfekten Heim zum
Mittelpunkt, und zwar – auch das ist eine zentrale Zutat im süchtig
machenden Cocktail Reality-Soap – zum Zweck der Identifikation. „Die Figuren
und Situationen wecken folgerichtige Assoziationen: Da gibt es Menschen, die
haben die gleichen Wünsche […] wie man selbst.“ (Ebd.) Man will raus aus der
engen Blockwohnung im grauen Einerlei, hinaus auf die grüne Wiese oder die
eigenen vier Wände sollen – bei kleinerem Budget – zur Wohnoase werden. Der
erfahrene Fachmann spielt dabei eine ganz besondere Rolle: Häufig sind es
neben den ausführenden Handwerkern so genannte „Stilberater“, aber auch
InnenarchitektenInnen und ArchitektenInnen, die den Haus- oder
Wohnungsbesitzern als „wünscheerfüllende Fee“ im Dienste der Einschaltquoten
den schönsten Wohntraum realisieren.
Somit verwundert es auch nicht, dass bis auf wenige Ausnahmen keine der
Sendungen explizit auf die Architektur der „pimped Homes“ eingeht.
Bestenfalls ließen sich einige davon als latente, punktuelle beziehungsweise
mittelbare Thematisierung von Architektur betrachten, in denen
außergewöhnliche Architekturen hin und wieder am Rande gestreift werden,
allerdings sofort wieder den Stempel des Exotentums aufgedrückt bekommen.
Präsenz von Architekturthemen im deutschsprachigen Fernsehen
Dass also die zahlreichen Wohn-Soaps herzlich wenig mit
Architekturvermittlung zu tun haben, dürfte unbestritten sein. Neben dem
neuerlichen Trend zur Auseinandersetzung mit dem Wohnen, der wohl eher auf
ein gesteigertes Interesse an Lifestyle und Do-it-yourself zurückzuführen
ist, scheint die Architektur – zumindest im deutschsprachigen Fernsehen –
nach wie vor ein Nischendasein zu fristen. Eine verstärkte Präsenz von
Architekturthemen zeigt sich immerhin im Zusammenhang mit großen, meist
kulturellen Ereignissen von allgemeinem öffentlichen Interesse und breiter
Medienwirksamkeit, die eine ungewöhnliche Häufung oder Dimension bestimmter
architektonischer Typen mit sich bringen: Während einer EXPO stehen die
einzelnen Länderpavillons und deren Architekten im Fokus zahlreicher
Kulturmagazine und vor einer Fußball-WM befassen sich unzählige Sendungen
unterschiedlichster Formate mit der Architektur der Fußballstadien (und die
Medienpräsenz dieser spezifischen Architekturform erhöht sich selbstredend
noch deutlich, wenn eine kontroverse Debatte über die Sicherheit der Stadien
ausgelöst wird…). Neben der Bedeutung und Resonanz der Großevents, die auf
die Architektur in deren Windschatten abfärbt, ist es aber vor allem die
zeitliche und räumliche Konzentration vergleichbarer Einzelarchitekturen,
die in einem solchen Kontext Dokumentations- und Porträtreihen zu einem
bestimmten Gebäudetyp nahe legt.
Doch auch außerhalb der Zyklen der großen Ereignisse lohnt sich ein zweiter
Blick in die Fernsehzeitschriften. Dort stößt man, wenngleich in deutlich
geringerer Zahl und vorwiegend nur auf den so genannten Dritten oder
Kultursendern, mit einer gewissen Konstanz auch auf Gebäude- und
Architektenporträts. Dennoch: Eigenständige Architektursendungen mit festem
Sendeplatz vermisst man, Dokumentationen finden sich nur in unregelmäßiger
Folge unter übergeordneten Rubriken wie „Kultur“, „Kunst“ oder „Wissen &
Entdeckung“. Bezeichnend ist aber vor allem, dass die „reinen“
Architektursendungen nach wie vor – zumindest was das Senderformat und die
Kategorisierung angeht – für die High-Culture konzipiert zu sein scheinen,
bei der das Interesse am Thema vorausgesetzt wird.
Ein charakteristisches Beispiel hierfür stellt die von Richard Copans und
Stan Neumann produzierte Reihe „Baukunst“ dar, die seit 2001 von ARTE
ausgestrahlt wird. Ausgehend von einer vergleichbaren Serie zur Malerei ist
hier neben zahlreichen Sendungen zu Fotografie, Bildhauerei und Design mit
stets gleichem, vom Sender vorgegeben Format eine Reihe 26-minütiger
Architekturporträts entstanden, in denen sich die beiden Filmemacher jeweils
ausschließlich einem einzigen Gebäude widmen. „Ein Bauwerk“, so Copans,
„birgt genügend Geschichten in sich, sodass man zugleich seine Geschichte
(Wie ist es entstanden? Wer hat es in Auftrag gegeben? Welcher Plan lag
zugrunde? Wer ist der Architekt? Welchen Platz nimmt es in seinem Werk ein?)
und vor allem architektonische Fragen hinsichtlich des Bauwerks aufzeigen
kann.“ (Copans, o. J. / 1) Obligatorische Bestandteile und typische Merkmale
dieser Gebäudeporträts sind zum einen das Verwenden von
Präsentationsmodellen, die teils von Hand demontiert und zusammengesetzt
werden, teils digital animiert sind, und zum anderen die Präsenz der
Architekten. Es ist ein Prinzip der Reihe, dass sie jeweils vier- bis
fünfmal pro Sendung zu Wort kommen – bei zeitgenössischen Architekten
entweder in Form von gefilmten Statements oder zu Standbildern montierten
O-Tönen. Im Falle historischer Gebäude werden – ebenfalls zu einem Standbild
des Architekten – entsprechende Texte von Schauspielern vorgelesen.
Präsentiert werden Bauten vom 18. bis 21. Jahrhundert mit einem Schwerpunkt
auf modernen und zeitgenössischen Gebäuden. Stets handelt es sich dabei um
Ikonen der (vorwiegend europäischen) Architektur: Neben dem Bauhaus in
Dessau von Walter Gropius, dem Jüdischen Museum in Berlin von Daniel
Libeskind, der Saline in Arc-et-Senans von Claude-Nicolas Ledoux, Le
Corbusiers Kloster La Tourette, der Sendai-Mediathek von Toyo Ito, Otto
Wagners Postsparkasse in Wien und Frank O. Gehrys Guggenheim Museum in
Bilbao werden u. a. auch die beiden Wohnriegel Nemausus 1 in Nîmes und die
Therme in Vals von Peter Zumthor porträtiert. Abgesehen von Momenten feiner
Ironie – etwa wenn beim Einzug einer Blaskapelle in die Galleria Umberto in
Neapel in einer gegenmontierten Sequenz auf dem Dach der Galleria
aufgehängte Wäschestücke im Takt der Musik zu schwingen scheinen – ist der
Charakter dieser Sendungen ruhig, sachlich und neutral, ganz in der
gewohnten Tradition von Kunst- und Kulturdokumentationen. Lange
Einstellungen lassen die Bildsequenzen in den Vordergrund treten und den
gesprochenen Kommentar aus dem Off tatsächlich zu begleitenden Erläuterungen
und Anmerkungen dieser Bilder werden.
Haben wir es mit der Reihe „Baukunst“ nun nicht endlich einmal mit einem
Beispiel gelungener Architekturvermittlung im Fernsehen zu tun? Hinter
dieser Frage verbirgt sich eine weitere, tiefer gehende: Da sich relativ
viele Sendungen dieses Formats in den einschlägigen Programmvorschauen unter
der Rubrik Kunstvermittlung finden, Architektursendungen unter Stichworten
wie „Faszination Kunst“[1]
etc. laufen, gilt es zu klären, inwiefern es der Architekturvermittlung
dienlich ist, wenn sie seitens der Kultur- und Bildungssender als Teil der
Kultur- bzw. der Kunstvermittlung aufgefasst wird. Letztere Frage macht
somit zunächst einmal eine Auseinandersetzung mit dem Begriff der
Vermittlung allgemein sowie mit Konzepten der Architektur-, aber auch der
Kunstvermittlung erforderlich.
Architekturvermittlung als Teil der Kunstvermittlung?
Grundsätzlich gilt es beim Begriff Vermittlung zwischen zwei
unterschiedlichen Bedeutungsebenen zu unterscheiden, und zwar zwischen
erstens jener der Wissensvermittlung im Sinne einer Wissenskommunikation in
aufklärerischer Absicht beziehungsweise als Bestandteil von Bildungs- und
Kulturmaßnahmen und zweitens der einer Verhandlungsstrategie im Sinne einer
notwendigen Moderation beziehungsweise Mediation zwischen Konfliktparteien
in Streit- und Krisensituationen.
Im Falle der Architekturvermittlung scheint auf den ersten Blick vor allem
die Ebene der Wissenskommunikation relevant zu sein. Zwar stehen sich mit
Architekten und Nichtarchitekten – Experten und Laien – zwei Parteien
gegenüber, deren unterschiedliche Positionen sich, etwa nach Auffassung des
Architekturpsychologen Riklef Rambow, primär aus einem unterschiedlichen
Fundus an fachlichem Wissen und Erfahrungen sowie aus einer unterschiedlich
trainierten Wahrnehmung ableiten (z. B. Rambow, 2000 / 1). Unüberbrückbare
Differenzen dürften sich – so müsste man meinen – dagegen auf Einzelfälle
beschränken: Rechtsstreitigkeiten um Bauschäden, Abstandsflächen oder auch
emotionale Auseinandersetzungen um ästhetische Auffassungen.
Wenn die unterschiedlichen Positionen zwischen Architekten und Laien also
primär auf Wissensasymmetrien und unterschiedlich differenzierte
Wahrnehmungsmuster zurückzuführen sind, so müsste sich
Architekturvermittlung zunächst einmal auf die Aufbereitung von Fachwissen
und Sensibilisierung der Wahrnehmung von Laien konzentrieren. Bei näherer
Betrachtung zeigt sich aber, dass hier ebenso Aspekte der Mediation zum
Tragen kommen. Die BTU Cottbus fasst beispielsweise für ihren neuen
Master-Studiengang das Konzept der Architekturvermittlung relativ weit. Als
Ziel wird eine funktionierende Zusammenarbeit zwischen Planern und
Öffentlichkeit genannt. Voraussetzung dafür sind Analyse, Aufbereitung,
Darstellung und eben auch Vermittlung der „künstlerischen, technischen und
wirtschaftlichen Grundlagen von Architektur und Stadt“.
Architekturvermittlung finde an allen Schnittstellen zwischen Fachwelt und
Öffentlichkeit statt. Sie richte sich an ein breites Spektrum
unterschiedlicher Zielgruppen und könne sich in Formen wie „Journalismus,
Ausstellungsgestaltung, Eventmanagement, PR-Arbeit, Moderation und Mediation
von Planungsprozessen, Gestaltung von Internetportalen, Konzeption von
Fortbildungsveranstaltungen, Führungen oder Unterrichtseinheiten, etc.“
manifestieren.[2]
Architekturvermittlung wird demnach als fachbezogene Kommunikation
aufgefasst, die nur bei entsprechenden Kommunikationsangeboten, -techniken,
-inhalten und -befähigungen zustande kommt. Unterscheidet man, wie die
amerikanische Soziologin Magali Sarfatti Larson (1993), zwischen autonomem
Fachdiskurs innerhalb der Architektur und heteronomem Diskurs
außerhalb der Disziplin über Architektur, so lässt sich
Architekturvermittlung als gerichtete Bewegung aus dem autonomen Diskurs in
den heteronomen umschreiben. Ein Impuls geht also von der
Architekturdisziplin in Richtung der Gesellschaft aus mit der Intention, die
internen Regeln des autonomen Diskurses transparent zu machen.
Architekturvermittlung ist somit ein wesentlicher Bestandteil der
Experten-Laien-Kommunikation zwischen Architekten (einbezogen natürlich auch
die Architekturtheoretiker, -kritiker und -publizisten) und
Nicht-Architekten. Architekturvermittlung ist in diesem Sinne also jener
Teil der Experten-Laien-Kommunikation, für den die Experten verantwortlich
sind.
Entsprechend lässt sich ebenso für die Kunstvermittlung postulieren, dass es
sich dabei um eine Experten-Laien-Kommunikation mit dem Schwerpunkt auf
Wissenstransfer und Wahrnehmungssensibilisierung handelt. Ein wesentlicher
Unterschied zwischen der Experten-Laien-Kommunikation der Kunst und jener
der Architektur besteht jedoch in den Diskursstrukturen und den jeweiligen
Rollen, welche die verschiedenen Akteure darin innehaben. Im Kunstbereich
besteht eine weitaus stärker ausgeprägte Beziehung zwischen
analytisch-professionellem Rezipienten und Laienrezipienten. Der Produzent –
der Künstler – tritt dagegen bei der Vermittlung bildender Kunst kaum
direkt, sondern hauptsächlich mittelbar über das Werk in Erscheinung. Eine
unmittelbare Beziehung, ein direkter Austausch zwischen Kunstproduzenten und
Laienrezipienten – zwischen Künstler und Ausstellungsbesucher etwa – ist
somit kaum existent (sofern man freilich von Aktionskünstlern absieht).[3]
In der Architektur gestaltet sich dies etwas anders: Die Kommunikation
zwischen analytisch-professionellem und Laienrezipienten – zwischen
Architekturtheoretiker beziehungsweise -kritiker und Nicht-Architekten (sei
es der Nutzer oder der Betrachter) – ist deutlich weniger stark ausgeprägt
als im Kunstbereich. Dafür tritt der Produzent – der Architekt – stärker in
den Vordergrund und übernimmt einen wesentlichen Teil (wenn nicht den
wesentlichen Teil) der Experten-Laien-Kommunikation. Dies trifft sowohl auf
Einzelsituationen, wie etwa das klassische Bauherrengespräch, als auch auf
die (Selbst-)Darstellung in den Printmedien zu: Der Architekt übernimmt sehr
oft eine entscheidende Rolle bei der Beschreibung von Werkmonografien – eine
Praxis, die in der Kunst eher unüblich ist und mit der sich auch die
Regisseure Richard Copans und Stan Neumann bei der Produktion ihrer
Architekturporträts konfrontiert sahen.[4]
Die Experten-Laien-Kommunikation im Kontext der Architektur unterscheidet
sich auch insofern von jener der Kunst, als im letzteren Bereich die Aspekte
Planung, Nutzung/Gebrauch und Dienstleistung weitgehend ausgeblendet sind.
Kunst konzentriert sich bekanntlich vielmehr auf ästhetische (und
bestenfalls soziale oder politische) Fragestellungen, also auf das
expressive Moment. Der Kunstlaie ist deshalb zumindest auf eine
intellektuelle und / oder emotionale Auseinandersetzung vorbereitet, die er
vom Kunstwerk angeregt wissen will. Ästhetische Befriedigung oder auch
Irritation und Schock sind Facetten der Erwartungshaltung des Kunstlaien.
Seine Rolle beschränkt sich in der Kunst auf die Rezeption des Kunstwerks,
die – das wissen wir spätestens seit der Leerstellentheorie und dem Konzept
des impliziten Lesers – zwar keineswegs eine passive ist, die Rezeption
bezieht sich aber in der Regel auf das fertige Kunstwerk. Es besteht also in
der Kunst zumeist keine Notwendigkeit eines direkten Austauschs zwischen
Produzent und Rezipient, und schon gar nicht vor oder während des
Produktionsvorgangs. Eine materielle Aneignung durch den Rezipienten findet
in der Regel nicht statt, ebenso wenig – abgesehen von Kunst im öffentlichen
Raum, die in mehrfacher Hinsicht als Sonderfall gehandelt werden muss – wie
eine Konfrontation des künstlerischen Konzepts mit profanen
Alltagsproblematiken, die vielleicht ein Bedürfnis nachträglicher
Veränderungen am Kunstwerk hervorrufen.
Die Aktivität des Laien in der Architektur ist demgegenüber
mehrdimensionaler Natur: Der Laie muss vor und während des
Produktionsprozesses möglichst detailliert seine Wünsche äußern können, denn
er übernimmt nach Fertigstellung neben der Rolle des Rezipienten auch die
des Nutzers. Dieser ist in der Regel gleichzeitig Finanzier des Bauwerks und
hinterfragt das entstehende Produkt folglich auch unter ökonomischen
Gesichtspunkten. Der heteronome Diskurs über Architektur wird daher ohne
Impulse aus dem autonomen Diskurs unweigerlich zur Fokussierung der Aspekte
Gebrauch, Nutzbarkeit, technische Umsetzung und Wirtschaftlichkeit
tendieren. Dagegen haben Fragen der Raumwirkung und Ästhetik naturgemäß im
autonomen Diskurs einen höheren Stellenwert. Man könnte sogar die These
aufstellen, dass sie hier umso präsenter werden, je weniger sie innerhalb
des heteronomen Diskurses verhandelt werden.
Es handelt sich hierbei also um einen Grundkonflikt, der nicht ohne weiteres
auflösbar ist, zumal beide Positionen aus sich heraus nachvollziehbar sind.
Gerade deshalb sind auch die Aspekte der latenten Konfliktmoderation bei der
Experten-Laien-Kommunikation in der Architektur wichtig. Zur
Rezeptionssensibilisierung und Wissenskommunikation kommt daher bei der
Architekturvermittlung auch die Mediationsfunktion hinzu. Im Vergleich zur
Kunst besteht hier grundsätzlich eine größere Notwendigkeit zur
vielschichtigen Vermittlung, weil Architektur im Alltag die ungleich größere
Relevanz besitzt, der Laie unmittelbarer mit Architektur konfrontiert ist,
der er sich schlechter entziehen kann als der Kunst. Architekturvermittlung
muss also in ihrer inhaltlichen und formalen Ausrichtung über die klassische
Kunstvermittlung hinausgehen.
Kunstvermittlung ist Sensibilisierung für eine bewusste und freiwillige
Rezeption, Architekturvermittlung ist teils mit einer unbewussten, teils mit
einer unfreiwilligen Rezeption konfrontiert. Und weil aus der Omnipräsenz
der Architektur im Alltag aus Gründen der Aufmerksamkeitsökonomie eine
reduzierte Wahrnehmung derselben resultiert[5]
und aus der unfreiwilligen Rezeption unter Umständen Desinteresse oder
Abneigung, so kommt als weitere Funktion der Architekturvermittlung noch die
Animation, das Wecken von Interesse an Architekturthemen, hinzu.
Architekturvermittlung hat also mindestens vier Funktionen zu erfüllen:
-
Wissenskommunikation,
-
Wahrnehmungssensibilisierung,
-
Mediation zwischen autonomem und
heteronomem Diskurs,
-
Animation.
Die Kunstvermittlung kann
sich dagegen unter Umständen[6]
auch ohne negative Konsequenzen auf die beiden ersten Funktionen der
Wissenskommunikation und der Wahrnehmungssensibilisierung zurückziehen.
Kunst- und Kulturfernsehen – um wieder auf das eigentliche Thema zurück zu
kommen – sind traditionsgemäß als Minderheitenprogramme konzipiert, „die
nicht darauf zielen, ein Massenpublikum zu gewinnen“ (Knauer, 2005), sich
also nicht um Breitenwirksamkeit bemühen, welche sich am direktesten in
Einschaltquoten ausdrückt.[7]
Aus diesem Grund reicht es generell – und speziell im Fernsehen – nicht aus,
die Architekturvermittlung den bisher etablierten Instanzen der allgemeinen
Kultur- und Kunstvermittlung zu überlassen, weil sie nur einen Teil dieser
Funktionen zu übernehmen bereit und in der Lage sein werden. Inwiefern aber
ist das Fernsehen grundsätzlich als Medium zur Architekturvermittlung
geeignet?
TV – ein geeignetes Medium der Architekturvermittlung?
Trotz seiner enormen Breitenwirksamkeit fällt auf, dass das Fernsehen als
Vermittlungsinstanz für Architekturfragen so gut wie nicht in Erscheinung
tritt. Eine eigenständige Architekturvermittlung ist derzeit im
deutschsprachigen Fernsehen nicht existent. Auf der Suche nach Gründen für
dieses Phänomen sollte zum einen die Frage gestellt werden, inwiefern die
Architekturdisziplin überhaupt an einem solchen Prozess der Offenlegung der
internen Diskursregeln interessiert ist (und ebenso umgekehrt, inwiefern die
Gesellschaft an einer Offenlegung dieser Regeln Interesse zeigt, folgt doch
der heteronome Diskurs ganz anderen Gepflogenheiten). Zum anderen gilt es zu
klären, inwiefern die Zurückhaltung seitens der Architekturdisziplin
gegenüber dem Fernsehen auf unbegründeten Vorbehalten beruht und ob dessen
mediale Präkonfigurationen den Vermittlungsanliegen grundsätzlich
entgegenstehen oder lediglich eine – vielleicht unbequeme – Herausforderung
für die Architekturexperten darstellen.
Bereits innerhalb des autonomen Diskurses spielen Filme, bewegte Bilder von
Architektur eher eine untergeordnete Rolle. Zwar haben sich in den letzten
Jahren Hard- und Software soweit fortentwickelt, dass auch Filmsequenzen in
Gestalt virtueller Kamerafahrten durch digitale Modelle als Werkzeug des
Entwurfsprozesses genutzt werden können. Für Kunden werden verstärkt
gefällige Filmchen und Animationen produziert und zu Werbezwecken
eingesetzt, verhandelt aber werden die Inhalte und Konzepte
architektonischer Schaffens innerhalb des autonomen Diskurses nach wie vor
anhand von Text, Plan beziehungsweise Skizze und Foto. Dies hat bekanntlich
triftige Gründe: Jedes Medium ist nicht lediglich ein „neutraler
Informationskanal“,[8]
sondern es verstärkt selektiv auf eine ihm immanente Weise bestimmte Aspekte
komplexer Gegenstände oder Sachverhalte. Insbesondere Skizze und Plan (sowie
das Modell) sind gut geeignet, Ideen und Konzepte in ihrer Abstraktheit
freizustellen. Das Foto vom Modell, aber auch das vom Bau, kann diese
Rhetorik unterstützen, sofern bei Letzterem die Konvention der
„jungfräulichen Wiedergabe“ eingehalten wird. Im Film dagegen ist das
Entwurfkonzept in der Regel mit der Banalität und Alltäglichkeit der
Umsetzung konfrontiert. Architekturfilme, die man vor Nutzungsbeginn dreht,
wirken zudem leblos und langweilig, zumal das Fernsehen viel stärker als das
Foto den Anspruch hat, Veränderungen zu thematisieren, stets aktuell zu sein
und davon lebt, Bewegungen festzuhalten.
Die Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Medium zur
Architekturdarstellung – und damit auch für oder gegen den Film
beziehungsweise das Fernsehen als Medium einer eigenständigen
Architekturvermittlung – ist somit eng verbunden mit der Haltung der
Architekten gegenüber Aspekten der Nutzerperspektive oder den zeitlichen
Veränderungen der Architektur in Gestalt von Bauschäden, Abnutzungs- und
Aneignungsspuren. Im Gegensatz zur Fotografie als statischem Medium zeigt
die Filmkamera die Gebäude in der Regel nach ihrer Inbetriebnahme – live und
nicht abgerückt von den Menschen, die sie sich zu eigen machen. Ungeschönt
nimmt sie die Architektur in den Blick und offenbart ebenjene Spuren, die in
den Fotografien so gern wegretuschiert werden, zeigt die „unpassenden“ Möbel
und Einrichtungsgegenstände, die man für das Fernsehen nicht mal eben
schnell wegräumt oder austauscht. Auch die genannten Architekturporträts von
Copans und Neumann stehen so bereits durch die medialen Bedingungen des
Films viel stärker unter dem Motto „Architecture meets life“.[9]
Deutlich wird dies u. a. am Gebäudeporträt von Jean Nouvels Wohnanlage
Nemausus 1 in Nîmes. Bilder und Kommentare enthüllen unverblümt die erfolgte
Aneignung und aktuelle Nutzung der Architektur, wobei von einem neutralen
Standpunkt aus ohne Parteinahme für die eine oder die andere Seite
Differenzen zwischen dem Konzept des Architekten und den Ansprüchen der
Bewohner dokumentiert werden. Wenn etwa eine Standkamera für ein paar
Sekunden einfängt, wie die Balkone der Sozialwohnungen mit Mofas,
Fahrrädern, Wäscheständern, Vogelkäfigen etc. regelrecht „zugemüllt“ worden
sind, wird dies mit dem Hinweis kommentiert, dass die Balkone den Bewohnern
15 Quadratmeter mehr Nutzfläche bieten, „[…] die meist Ersatz für die nicht
vorhandenen Keller oder Dachböden sind.“ (Copans, 1997,
00:11:45) Den Umgang der Bewohner mit dem von Nouvel konzipierten
Rohbaucharakter im Innenraum, der durch ein im Mietvertrag verankertes
Verbot zum Tapezieren der Sichtbetonwände gewahrt bleiben sollte,
dokumentieren die Regisseure ebenfalls mit Festeinstellungen des
Ist-Zustands verschiedener Wohnungen, begleitet von folgendem Kommentar:
„Obwohl es nicht einfach ist, gegen so viel Beton anzukommen, haben es die
Bewohner versucht: Mit Teppichboden, Tapeten, Täfelungen und selbstklebenden
Verkleidungen sind sie ihm zu Leibe gerückt. Sie haben Trennwände
hochgezogen, die Gänge zugemauert, die Treppen verkleidet. Sie haben
Vorhänge angebracht und – je nach Gewohnheit und Möglichkeiten Änderungen
vorgenommen. Und natürlich haben sie diesen lang andauernden Kampf
gewonnen.“ (Ebd., 00:22:00)
Somit werden Architektursendungen im Fernsehen nicht selten zu
Dokumentationen des Scheiterns architektonischer Konzepte, aber nicht
ausschließlich aufgrund der technischen Bedingtheiten des Mediums, sondern
auch, weil sich die Regisseure zum Teil ganz bewusst für dieses Thema
entscheiden. Richard Copans erläutert beispielsweise in einem Interview,
dass seiner Meinung nach „[…] die Konfrontation mit einer nicht
funktionierenden Utopie immer ein besseres Drehbuch liefert, als wenn man
einfach nur ein nettes Gebäude filmt. Das Unglück ist schließlich auch viel
häufiger die Grundlage von Drehbüchern und Erzählungen als das Glück.“ (Vgl.
Copans, o. J. / 2) Tendenziell neigt Architekturdarstellung im
Fernsehen somit zur partiellen Entzauberung – „Entauratisierung“ von
Architektur – was zunächst nicht sonderlich verwundert: Hatte doch auch
Walter Benjamin sein postuliertes Ende der auratischen Kunst im Zeitalter
der Reproduzierbarkeit am Film – wenngleich damals freilich noch nicht am
Fernsehen, sondern am Kino – festgemacht (vgl. Benjamin, 1936).
Resultiert aber tatsächlich die Entauratisierung der Architektur
unweigerlich aus der medialen Bedingtheit von Film und Fernsehen? Einen
Gegenbeweis hat Copans 2001 selbst geliefert mit seinem Porträt der
Felsentherme in Vals – einem der sinnlichsten Beispiele des Architekturfilms
überhaupt. Mit den gleichen filmischen Mitteln werden hier unterschiedliche
Stimmungen, wird hier die Atmosphäre eines Ortes eingefangen. Die langen
Einstellungen versuchen, das Erlebnis inszenierter Räume medial zu
transportieren. Den Arrangements aus Bild, Bewegung und Klang gelingt es –
freilich innerhalb der Grenzen des Mediums – eindrucksvoll das
wiederzugeben, was Hans-Georg Gadamer einmal als „Zuwachs an Sein“ durch die
Architektur bezeichnet hat (vgl. Gadamer, 2006).
Fernsehen scheint also zum einen ein gut geeignetes Medium zu sein, um
Architekturkonzepte kritisch aus der Nutzerperspektive zu hinterfragen –
Nouvels „Sichtbetonzwang“ in einem Sozialwohnungsbau der Achtzigerjahre muss
sich durchaus auch Vorwürfen der Unmenschlichkeit einer anachronistischen
Diktatur stellen. Es kann aber – wie das Beispiel Vals zeigt – ebenso gut
dazu eingesetzt werden, um auf sehr sinnliche Weise die Ästhetik eines
Baukörpers zu transportieren. Das dem Fernsehen zugrunde liegende Medium
Film ist also gleichzeitig in der Lage, sowohl die Schwachpunkte
architektonischer Konzepte und Positionen, Unstimmigkeiten im Bauprozess,
Differenzen unterschiedlicher Akteure oder Veränderungen gesellschaftlicher
Rahmenbedingungen schonungslos aufzudecken als auch die Stärken eines
Entwurfs wirkungsvoll zu inszenieren. Dies ist eine Herausforderung, der
sich eine Architektenschaft stellen muss, die sich lauthals über das
mangelnde Bewusstsein für Baukultur in der breiten Öffentlichkeit beklagt.
Argumente für eine Architekturvermittlung im Fernsehen
Zwar kann durchaus bezweifelt werden, dass eine eigenständige
Architekturvermittlung im Fernsehen sofort widerspruchslos von weiten Teilen
der Disziplin mitgetragen wird,[10]
zumindest gibt es jedoch auch innerhalb des autonomen Diskurses
beziehungsweise an der Grenze zwischen autonomem und heteronomem Diskurs
verschiedene Stimmen, die sich für eine verstärkte Präsenz von Architektur
im Fernsehen aussprechen. Constanze A. Petrow, Geografin und
Landschaftsarchitektin der Bauhaus-Universität Weimar, betont die Chancen
einer Integration von Architekturthemen in den Alltag und bezieht sich dabei
auch explizit auf das Fernsehen (vgl. Petrow, 2006). Die österreichische
Architekturpublizistin Karin Tschavgova, die sich selbst auch als
Architekturvermittlerin sieht, setzt große Hoffnungen in „sachliche, dabei
verständliche Auseinandersetzung mit Architektur“ im TV: „Welch breites
Interesse ließe sich erst durch das Fernsehen wecken, gäbe es dort, was der
Architekt und Lehrer Roland Gnaiger schon vor Jahren regelmäßig im
Vorarlberger Regionalfernsehen praktiziert hat […]“ (Tschavgova, 2003).
Gnaiger der bis 1993 sieben Jahre lang über 150 kurze architekturkritische
Sendebeiträge für den ORF gestaltet hatte, verweist u. a. auf die positiven
Wechselwirkungen von Spitzen- und Breitensport und mahnt damit gerade auch
für die Architektur eine sinnvolle Verknüpfung und Ergänzung der Diskurse
von High- and Low-Culture unter Einbeziehung des Fernsehens an: „So wichtig
die intellektuelle Tiefendebatte ist und die mediale Insiderreflexion, etwa
in diversen Wochenendbeilagen, so sehr brauchen diese eine Ergänzung in die
Breite. Ohne diese Breite werden die Spitzen architektonischer ,Hochkultur‘
zu filigran und angreifbar.“ Dabei müsse man zugeben, dass es sich hier auch
um Versäumnisse der Architektenschaft und der Architekturschulen handle.
Gnaiger betont, „[…] dass Resonanz und Interesse an Architektur sehr breit
gestreut sind und dass Architekturpolitik kein Nullsummenspiel und kein
Minderheitenprogramm sind.“
Es mag zunächst paradox klingen: Gnaigers Architektursendungen wurden nicht
aufgrund einer zu geringen, sondern ihrer außerordentlich großen Resonanz
eingestellt. Nicht der Sender, sondern Gnaiger selbst habe die Arbeit auf
eigenen Wunsch beendet, da er sich als praktizierender Architekt und
Professor in Linz nicht entschließen konnte, „im Interesse der
Architekturkritik“ seine „Entwurfspraxis im erforderlichen Maß
einzuschränken“ und zum „Ombudsmann für Architekturfragen“ zu werden: „Ich
wurde von Bürgerinitiativen kontaktiert, zu Nachbarsstreitigkeiten in Bau-
und Rechtsfragen gerufen, von Gemeinden in heiklen Gestaltungsentscheidungen
beigezogen, von Schulen zu Vermittlung und Diskussion gebeten, aber auch zum
Schiedsrichter in heißen Familiendiskursen gemacht, wenn Vater und Sohn,
wenn Frau und Mann uneins waren, ob das Nachbarhaus, die neue Schule oder
das Gemeindeamt schön oder hässlich seien, gesundheitsschädlich oder
energieverschwendend.“ (Alle Zitate: Gnaiger, o. J.)
Neben diesem Ausnahmebeispiel aus der Praxis, das allein bereits eine große
Nachfrage verdeutlicht – und damit einen tatsächlichen Bedarf für
Architektur-TV-Sendungen vermuten lässt –, untermauern aber auch diverse
medientheoretische und medienkritische Positionen die Sinnfälligkeit einer
systematischern Erweiterung derartiger Programminhalte. Ausmachen lässt sich
dies vor allem an der Bedeutung, die dem Fernsehen seitens der Theorie
beigemessen wird, und zwar unabhängig davon, ob das Medium eher negativ
konnotiert ist – meist als Manipulationsinstrument und Teil des
Herrschaftsdiskurses – oder positiv – etwa als offene, soziale Bühne für ein
pluralistisches Nebeneinander divergierender Standpunkte.
Bereits 1978 hatten John Fiske und John Hartley die so genannte „bardische
Rolle“ des Fernsehens herausgestellt, die Heidemarie Schumacher wie folgt
zusammenfasst: „Fernsehen spielt in unserer Zeit – so die These – eine
ähnliche Rolle wie der Barde, Poet (bei Barthes: der Schamane) oder eine
andere Verbindungsperson in früheren Gesellschaften, die als Mittler
zwischen der Kultur und denjenigen, die dieser kulturellen Umwelt angehören,
fungieren.“ (Schumacher, 2000, 169)[11]
Lorenz Engell, Medienwissenschaftler der Bauhaus-Universität Weimar, geht
noch einen Schritt weiter. Er ist der Auffassung, das Fernsehen sei „nicht
mehr nur ein Fenster zur Welt“, sondern regle „den Zugang zur Welt im
Ganzen. Indem seine äußeren und inneren Kommunikationsstrukturen zunehmend
die Welt formen und definieren [...], wird es selbst nach und nach an die
Stelle der Wirklichkeit gesetzt. Die [...] Menschen verstehen sich nur noch
auf die vom Fernsehen vorgeprägte Weise in der Welt zu bewegen.“ (Engell,
1989, 67)
Ganz ähnlich konstatierte 1996 Pierre Bourdieu: „Das Fernsehen hat eine Art
faktisches Monopol bei der Bildung der Hirne eines Großteils der Menschen.“
Es entscheide „zunehmend darüber, wer und was sozial und politisch
existiert“ – eine Auffassung, die den prominenten französischen
Systemkritiker wohl zu seiner fundamentalen und viel diskutierten Kritik am
Fernsehen geführt hatte. Obwohl – oder gerade weil – das Fernsehen „für
verschiedene Sphären der kulturellen Produktion, für Kunst, Literatur,
Wissenschaft; Philosophie, Recht, eine sehr große Gefahr“ darstelle und
„eine nicht weniger große Gefahr für das politische und demokratische
Leben“, appelliert er an Künstler, Schriftsteller und Wissenschaftler, sich
dem Medium nicht zu entziehen, sondern dieses vielmehr zu nutzen um die
Öffentlichkeit zu erreichen, wenngleich auch unter bestimmten
Voraussetzungen (alle Zitate Bourdieu, 1998, 9ff.).
Etwas neutraler formuliert Knut Hickethier: „Wie die Medien gesellschaftlich
organisiert sind, spielt für die durch sie vermittelten Angebote eine
zentrale Rolle. Die Strukturen der Institutionen prägen das Angebot in
seiner Zusammensetzung, seiner Platzierung und seiner internen Gestaltung.
Entscheidend ist nicht nur, wie Film und Fernsehen etwas zeigen, sondern
auch was sie ausklammern und damit als bedeutungslos für die
gesellschaftliche Auseinandersetzung erklären.“ (Hickethier, 1993, 17). Die
geringe Präsenz der Architektur im Fernsehen verweist daher sowohl auf die
schwache Lobby der Architektur in der Gesellschaft als auch auf deren
bisheriges Desinteresse an diesem Medium, das sich aus den bereits
dargelegten Gründen ableiten mag, aber letztlich einer Selbstschädigung der
Disziplin – einer „unterlassenen Hilfeleistung“ – gleich kommt.
Bourdieu spricht, dieser Logik folgend, von einer „Pflicht zur Äußerung“ (Bourdieu,
1998, 92ff.). In einer Art Gedankenexperiment geht er davon aus, dass
Mallarmé, „das Symbol des hermetischen reinen Dichters schlechthin“, sich –
hätte er heutige Medien zur Verfügung gehabt – folgende Frage gestellt
hätte: „Soll ich im Fernsehen auftreten? Wie kann ich den jeder
wissenschaftlichen oder überhaupt geistigen Tätigkeit immanenten Anspruch
auf ,Reinheit‘ vereinbaren mit der demokratischen Bemühung darum, die
Ergebnisse möglichst vielen zugänglich zu machen?“ (Ebd., 93). Vermutlich
sehen sich viele Architekten, die sich für Baukultur engagieren, heute mit
den gleichen Fragen konfrontiert, die weiteren Ausführungen Bourdieus machen
allerdings implizit deutlich, dass es sich – zumindest bei der ersten Frage
– um eine rhetorische handelt. Das Fernsehen produziere zweierlei Effekte:
„Es senkt den Eintrittspreis in einer gewissen Reihe von Feldern, der
Philosophie, Juristerei usw.: Es kann zu Soziologen, Schriftstellern,
Philosophen usw. Leute ernennen, die unter dem Gesichtspunkt der internen
Definition der Zunft den Eintrittspreis nicht bezahlt haben. Andererseits
ist es in der Lage, das breitestmöglichte Publikum zu erreichen.“ (Ebd.)
Wenn also beispielsweise Inka Bause – in der DDR der Achtzigerjahre als
Schlagerstar Inka bekannt – in ihrer Makler-Soap „Unser neues Zuhause“ mal
eben zwischendurch ein paar Erd- und Höhlenhäuser von Peter Vetsch
präsentiert, dann verdeutlicht das offensichtlich genau diesen Effekt des
Fernsehens – den Kurzschluss zwischen Prominenz und Kompetenz –,[12]
den Bourdieu als „Senken des Eintrittspreises“ bezeichnet. Wenngleich dessen
Forderung, für die „Erhöhung des Eintrittspreises“ einzutreten (vgl.
Bourdieu, 1998, 94), etwas utopisch anmutet – schließlich kann „Inka“
senden, was sie will (solange freilich der Sender dies mit trägt) und auch
kein Architektenverband wird sie daran hindern, solange sie nicht die Zunft
oder einen ihrer Vertreter verleumdet –, so scheint doch nichts nahe
liegender, als auf breiter Ebene den seltenen Beispielen wie dem des
Architekturprofessors Roland Gnaiger in Vorarlberg oder auch dem des
ehemaligen RIBA-Präsidenten Maxwell Hutchinson in London zu folgen und diese
Felder der Medienlandschaft – denen sich offensichtlich jeder bemächtigen
kann – verstärkt durch Fachleute zu besetzten, die sowohl ein hohes Maß an
Architektur- als auch an Medienkompetenz aufweisen.
Zusammenfassend lässt sich somit konstatieren, dass die verschiedenen, in
den vorangegangen Abschnitten wiedergegebenen Position auf der
medientheoretischen Ebene geradezu die Notwendigkeit einer Aneignung des
Mediums durch die Architekturvermittlung unterstreichen: Wer das Fernsehen
als Medium ignoriert, dessen Anliegen wird letztlich selbst ignoriert
werden, dessen Botschaften werden ungehört, dessen Kommunikations- und
Vermittlungsbemühungen erfolglos bleiben.
Geeignete Strategien und Sendeformate zur Architekturvermittlung im
Fernsehen
Setzt man sich mit der Zukunft der Architekturvermittlung auseinander, dann
lautet die Grundsatzfrage also nicht, ob das Fernsehen als Medium
dafür überhaupt geeignet ist, sondern vielmehr, wie es sich am
sinnvollsten hierfür instrumentalisieren lässt. Es muss darüber nachgedacht
werden, welche Grundsatzstrategien und spezifischen medialen Konzepte
seitens der Vertreter des autonomen Architekturdiskurses entwickelt und
verfolgt werden sollten, welche Sendeformate und -plätze denkbar und für
welche Zielgruppe diese besonders prädestiniert sind. Dazu ist zunächst eine
eingehende Auseinandersetzung mit dem Medium Fernsehen erforderlich, für die
sich auch der Austausch und Dialog mit den Kultur-, Medien- und
Kommunikationswissenschaften anbietet.
Beobachtet man die Entwicklung des Fernsehens seit den Fünfzigerjahren, so
ist der ursprünglich vielfach formulierte Bildungsauftrag kaum noch
wahrnehmbar. Klassische Kultursendungen machen neben der Flut an Daily Soaps,
Unterhaltungssendungen und Spielfilmen heutzutage nur noch einen geringen
Anteil aus.[13]
„Vom Fernsehen mit bildungsbürgerlichem Anspruch zum Reklame- und
Unterhaltungsfernsehen könnte man die Entwicklung des deutschen Fernsehens
von den fünfziger Jahren bis heute grob skizzieren. Von einem Programm der
öffentlich-rechtlichen Anstalten und seinem Bildungsauftrag ist nur noch
eine Restgröße in der Programmflut übrig geblieben. Die traditionell
anspruchsvollen Angebote tendieren mehr und mehr dazu, in Spartenkanäle (so
genannte Kulturkanäle, wie Arte oder 3sat) abgedrängt zu werden.“
(Schumacher, 2000, 191)
Damit existiert zumindest bereits eine Plattform, auf der
Architekturvermittlung auf hohem Niveau möglich wäre – und schließlich ja
auch schon praktiziert wird mit Formaten wie der oben genannten Reihe
„Baukunst“. Die Gefahr besteht jedoch darin, dass derartige
Architektursendungen eben nicht über die Spartenangebote hinausgehen, die
wiederum nur von den ohnehin Interessierten innerhalb und an der Peripherie
des autonomen Diskurses wahrgenommen werden. Und wenn auch die
Architekturvermittler die Auffassung vertreten, sie müssten – wie Bourdieu
meint – „gegen die Einschaltquoten kämpfen“ (Bourdieu, 1998, 95), dann wäre
die letzte Konsequenz dieser Haltung wohl die Etablierung eines
eigenständigen Architektursenders für ein kleines, ausgewähltes Publikum.[14]
Primäres Ziel der Architekturvermittlung sollte es jedoch gerade sein, neue
– breitere und heterogenere Zielgruppen zu erschließen. Je mehr
Breitenwirksamkeit also die Vermittlungsangebote im Fernsehen erzielen
wollen, umso mehr müssen sie sich auf die Bedingungen, Mechanismen und
Strukturen des Mediums und der spezifischen Medienpraxis einlassen. Gemäß
Lorenz Engell äußert sich „fernsehgerechtes“ Verhalten in
Unkonzentriertheit, beiläufigem Zuschauen, Amüsieren, Zerstreuung, Zapping –
nicht vergleichbar mit Lesen oder auch einem Kinobesuch (vgl. Engell, 1989,
69). Diesem Verhalten, das zu Zeiten des großen Bildungsanspruchs der Medien
mit Sicherheit noch nicht so ausgeprägt war wie heute, kann u. a. bereits
durch die Länge der Sendungen Rechnung getragen werden – beispielhaft waren
hier bisher wiederum Roland Gnaiger in Österreich und Maxwell Hutchinson in
Großbritannien. Die von der BBC über fünf Jahre ausgestrahlten „Max Files“
hatten eine Dauer von lediglich jeweils drei bis vier Minuten. Erkannt und
erfolgreich genutzt hatte Hutchinson, der mittlerweile Architekturthemen im
Radio vermittelt, auch den Wert einer gewissen Theatralik der Moderation,
weshalb er etwa beim Kurzporträt einer Londoner Kirche durchaus auch selbst
die Kanzel bestieg.[15]
Den Spagat zwischen gewünschter inhaltlicher Tiefe und erforderlicher
Breitenwirksamkeit – zwischen Qualität und Quote –, den die
Architekturvermittlung im TV leisten muss, kann man jedoch keineswegs nur
mit der Avisierung eines Kompromisses – ein bisschen Tiefe, ein bisschen
Breite – meistern, sondern vielmehr durch eine umfassende Ausdifferenzierung
unterschiedlicher Programmsegmente und die gleichzeitige Besetzung mehrerer,
ganz unterschiedlicher Sendeformate. Das heißt, Sendungen wie die „Max
Files“ sind zwar als probates Mittel willkommen, um die große Lücke zwischen
den Dokumentationen und Porträts der Kultursender auf der einen und den
zahlreichen Wohn-Soaps auf der anderen Seite zu besetzen, sie sind aber eben
nur eines unter vielen. Füllen lässt sich diese Lücke jedoch allein mit
unterhaltsamen Dreiminutenfeatures keineswegs. Derzeit fehlt schlichtweg die
Masse, die Präsenz.
Eine effektive Strategie könnte darin bestehen, mehrgleisig im gleichen
Segment zu fahren, womit insgesamt die Präsenz von Architekturthemen im
Fernsehen deutlich erhöht und gleichzeitig mehrere Zielgruppen angesprochen
werden könnten. Hierzu wäre es sicherlich sinnvoll, zunächst einmal drei
abgestufte Zielgruppen-Levels zu bestimmen: „Einsteiger“, „Fortgeschrittene“
und „Profis“. So könnten unterschiedlich anspruchsvolle Architektursendungen
innerhalb der jeweiligen Segmente angeboten werden, die entweder unabhängig
nebeneinander bestehen oder aber auch gezielt aufeinander aufbauen. Und
damit könnte sich möglicherweise auch die Chance bieten, einen Weg zu finden
„sowohl für die jedem Avantgardismus (zwangsläufig) immanente Hermetik
einzutreten, als auch für die Notwendigkeit, das Hermetische aufzubrechen
und dafür zu kämpfen, daß die entsprechenden Mittel zur Verfügung stehen“,
wie Bourdieu (1998, 94) es einfordert. Will Architekturvermittlung im
Fernsehen gleichzeitig anspruchsvoll und erfolgreich sein, ist ein
unvoreingenommenes Nachdenken – ein Brainstorming – über mögliche neue
Sendeformate unumgänglich. Dementsprechend werden im Folgenden einige
denkbare Beispiele für diese Strategie der abgestuften Zielgruppen-Levels
vorgeschlagen.
„Auch im Fernsehen laufen jene Themen gut, die das Publikum selbst
betreffen“, meint Constanze A. Petrow. „Anders als beim Feuilleton, wo der
Leser ,hingeht‘, also schon ein Interesse am Thema mitbringt, ist das TV auf
publikumsträchtige Themen angewiesen.“ (Petrow, 2006, 38) Das erklärt u. a.
die Flut an Talkshows und ähnlichen Sendungen, die hauptsächlich der
Low-Culture zuzuordnen sind. Seit Mitte der Neunzigerjahre schießen sie auf
allen Kanälen – vor allem um die Mittagszeit – wie Pilze aus dem Boden.
Wieso also nicht einmal eine Talkshow, die Architektur ins Zentrum rückt?
Explosiven Stoff gibt es hier sicherlich genug. Man stelle sich also vor,
dass an Stelle von Familienstreitigkeiten die Probleme zwischen Architekten
und Bauherren geklärt würden. Wie weit hierbei das Niveau tatsächlich sinkt,
hängt letztlich nicht nur von Sender und Format der Sendung, sondern auch
vom „Kaliber“ des Moderators ab. Es kann also wohl vorab nicht grundsätzlich
ausgeschlossen werden, dass sich Architekt und Bauherr auch einmal
öffentlich beschimpfen. Ebenso gut können aber Architekturtalkshows auch den
„Fortgeschrittenen“ und „Profis“ angemessen im Sinne eines Sendeformates
aufbereitet werden, wie es zu anderen Themen z. B. mit Christiansen,
Riverboat und Co im Fernsehen bereits vertreten ist.
Ähnlich fließend sind die Grenzen im Falle des folgenden denkbaren
Beispiels: Eine Sendung nach dem Motto „Die witzigsten Architekturen der
Welt“ könnte durch die Möglichkeit der Zuschauerbeteiligung vor allem Laien
dazu anregen, sich mit Architektur auseinanderzusetzen: „Senden Sie uns
Fotos zu – wo haben Sie ein besonders schlechtes oder ein besonders witziges
Bauwerk gesehen?“ Vermeintliche architektonische Fehlgriffe könnten im
Rahmen der Sendung thematisiert werden – und müssen dabei nicht auf reine
„Lacher“ reduziert bleiben. So können die vorgestellten Architekturen durch
einen Fachmann und/oder Laien betrachtet, kommentiert, erläutert und
möglicherweise auch mit unterschiedlichen Zielgruppen diskutiert werden.
Derartige Architektursendungen mit Zuschauerbeteiligung, die eine Plattform
für Diskussion zwischen Laien und Fachleuten über Architektur bieten,
könnten als eigenständige Sendung funktionieren, darüber hinaus aber
durchaus auch als eine Art „Aufwärmphase“ für die so genannten
Architektonischen Quartettrunden dienen, die als Veranstaltungsform in der
letzten Zeit u. a. in Berlin, München, Wismar und Ludwigsburg beachtlichen
Auftrieb erfahren haben.[16]
Letztere sind – nach der beispielgebenden Vorlage des Literarischen
Quartetts – geradezu dafür prädestiniert, im Fernsehen übertragen zu werden.
Inwiefern sich diese rein im Bereich der High-Culture bewegen müssen, wird
wiederum auch vom Unterhaltungswert und Charisma der Diskussionsteilnehmer
sowie von den von ihnen ausgewählten Themen abhängen. Der Literaturbereich
zeigt: Auch nach Beendigung des Literarischen Quartetts, dass über ein
Jahrzehnt lang den Alleinvertretungsanspruch der literarischen High-Culture
inne zu haben schien, aber aufgrund des Unterhaltungswertes der
Selbstinszenierungen des Literaturpapstes Reich-Ranitzky in weiten Teilen
der Gesellschaft Aufmerksamkeit erregte, gibt es durchaus verschiedene
Diskussionssendungen mit hohem Anspruch wie etwa „Literaturclub“ (Schweiz)
und „Literatur im Foyer“.
Denkbar wäre also auch eine „Elke Heidenreich der Architektur“, die ganz im
Sinne von Engells fernsehgemäßem Verhalten, Bücher nahezu innerhalb von
Minuten vorstellt – und damit Bestseller generiert. Und warum sollte Jürgen
von der Lippe, der sich Dirk Bach oder Hella von Sinnen einlädt, statt
neuerdings Literatur nicht auch mal Architektur besprechen? Was spricht
dagegen, erfolgreiche Sendeformate für die Architekturvermittlung zu nutzen?
Warum also nicht auf den Zug der boomenden Rateshows aufspringen und einen
geeigneten Fachmann zum Günther Jauch der Architekturquizsendung ernennen?
Allerdings besteht auch hier wiederum der Spagat darin, wie Manfred Sack im
Kontext der Architekturvermittlung formuliert, „die Kenntnislosen zu
erreichen, ohne die Kenner zu langweilen“ (vgl. Sack, 2003).
Da zu den „Kenntnislosen“ auch die große Zielgruppe der Kinder zählt, lohnt
sich auch der analytische Blick hin zu erfolgreichen Wissenssendungen für
Kinder wie „Sendung mit der Maus“ und „Löwenzahn“. Auch ein „Peter Lustig
der Architektur“ könnte ein weiteres fehlendes Segment besetzen, wobei die
Strategie, „sich einmal janz dumm zu stellen“, nicht nur den Kindersendungen
vorbehalten bleibt. Die Kunst, sich als Vertreter des autonomen Diskurses
auf das Sprach- und Wissensniveau des heteronomen Diskurses einzulassen, ist
eine Grundvoraussetzung für die vierte, oben definierte Funktion der
Architekturvermittlung – die Animation – und somit außerordentlich gut
geeignet, den „Einsteiger“, in den Diskurs einzuführen.
Szenarien für neue Sendungen wären noch viele weitere vorstellbar. „Wie
wär’s mit einer Sendung über die Baugeschichte der Farbe?“[17]
fragt der Journalist Norbert Thomas. Constanze A. Petrow verweist u. a. auf
England, wo Prominente durch verschiedene Gebäude führen und sieht selbst in
den Wohn-Soaps ein gewisses Potenzial, „[…] das Architekturinteresse [zu]
fördern. Alles in allem gilt: Sobald es menschelt und sobald ein
Alltagsbezug hergestellt ist, schalten Laien nicht mehr ab.“ (Petrow, 2006,
38) Die Vorstellung einer in der medialen Öffentlichkeit weinenden Liliane
Kaufmann ist also, übertragen in die heutige Zeit, so abwegig nicht…
Literatur:
Benjamin, W. (1936). Das Kunstwerk im
Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. In: Ders., Das Kunstwerk im Zeitalter
seiner technischen Reproduzierbarkeit. Drei Studien zur Kunstsoziologie (11. Aufl. 1979,
S. 7–44), Frankfurt/Main: Suhrkamp.
Bourdieu, P. (1998). Über das Fernsehen.
Frankfurt/Main: Suhrkamp.
Copans, R. (o. J. / 1).
http://www.arte.tv/de/wissen-entdeckung/baukunst/Videos_20_26_20Interviews/769402,CmC=769408.html
Copans, R. (o. J. / 2).
http://www.arte.tv/de/wissen-entdeckung/baukunst/Videos_20_26_20Interviews/769402,CmC=769394.html
Copans, R. (o. J. / 3).
http://archives.arte-tv.com/de/archive_358429.html
Engell, L. (1989). Vom Widerspruch zur
Langeweile. Logische und temporale Begründungen des Fernsehens.
Frankfurt/Main: Lang.
Copans,
R. (1997). Nemausus 1 – Sozialer Wohnungsbau der 80er Jahre. In R. Copans, &
S. Neumann (2005). Baukunst. 23 Bauwerke in 23 Filmen auf 4 DVD
(Bildtonträger), Baukunst 1. Berlin: Absolut Medien.
Feige, M. (2001). Big
Brother-TV. Wie Reality-Soap das
Fernsehen verändern.
Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf.
Fiske, J. & Hartley, J. (1978).
Reading Television. London: Routledge.
Gadamer, H.-G. (2006). Architektur als
„Zuwachs an Sein“. Hans-Georg Gadamer im Gespräch mit Catherine Hürzeler.
In: R. Blödt, F. Bühler, F. Murat, J. Seifert. Beyond Metropolis. Eine
Auseinandersetzung mit der verstädterten Landschaft (S. 246– 251). Sulgen/Zürich:
Niggli.
Gnaiger R. (o.
J.). Statements – 8. Roland Gnaiger.
In: Anlage zum Bericht der parlamentarischen Enquete-Kommission zum Thema
„Architekturpolitik und Baukultur in Österreich“ (S. 27 ff.).
http://www.parlinkom.gv.at/pls/portal/docs/page/PG/DE/XXII/I/I_00824/FNAMEORIG_035724.HTML
Hickethier, K. (1993): Film- und Fernsehanalyse. Stuttgart/Weimar: Metzler.
Knauer, W. (2005). Rolle der
öffentlich-rechtlichen Medien für die Kultur. Stellungnahme zum
Fragenkatalog.
http://dasganzewerk.de//presse/20050331-ek-kid-knauer.shtml
Larson, M.S. (1993). Behind the
postmodern façade. Architectural change in late twentieth-century America.
Berkeley (CA): University of
California Press.
Leschke, R. (2003). Einführung in die
Medientheorie. Stuttgart: UTB.
Petrow,
C.A. (2006). Architektur und Öffentlichkeit. Garten + Landschaft –
Zeitschrift für Landschaftsarchitektur, 2, 36–38.
Rambow, R. (2000 / 1).
Das Auge des Architekten.
http://wwwpsy.uni-muenster.de/inst3/AEbromme/web/veroef/2000/Arch11.htm
Rambow,
R. (2000 / 2). So nun auch wieder nicht: Verständigungsschwierigkeiten
zwischen Architekten und Laien.
/theoriederarchitektur/Lehrstuhl/deu/rambow/rambow2.htm
Sack, M.
(2003). Komplimente und Verrisse oder: Der neugierige Beobachter.
/theoriederarchitektur/wolke/deu/Themen/022/Sack/sack.htm
Schumacher, H. (2000). Fernsehen fernsehen. Modelle der Fernseh- und
Medientheorie. Köln: DuMont.
Tschavgova, K. (2003). Ach ja, die Experten!
http://www.diepresse.at/textversion_article.aspx?id=393390
Anmerkungen:
[1]
In einer gleichnamigen Reihe fasst das Bayerische Fernsehen neben Sendungen
über Cézanne oder Rembrandt, Kunstsammler, Videokunst und net.art, Schmuck
und Kunsthandwerk auch Beiträge über „ Neues Bauen in der Oberpfalz“, die
„Baustelle München“ oder „Münchener Architekten des 19. Jahrhunderts“
zusammen, vgl. hierzu:
http://www.br-online.de/kultur-szene/sendungen/faszinationkunst/index.xml
[2]
Vgl.
http://www.tu-cottbus.de/fakultaet2/de/studium/fak2-studiengaenge/architekturvermittlung-master-of-science/
[3]
Ebenso wenig kann in der Kunst von einem autonomen Fachdiskurs zwischen
Künstlern untereinander sowie zwischen Künstlern und Kunstkritikern bzw.
-wissenschaftlern ausgegangen werden, der mit demjenigen der Architektur
vergleichbar wäre. Zwar gibt es immer wieder Künstlergruppen und
-vereinigungen, aber trotzdem ist der Künstler viel stärker auf sich selbst
als Individualist zurückgeworfen. Auch Berufs- und Fachverbände etwa haben
nicht den gleichen Stellenwert wie in der Architektur.
[4]
In einem Interview beschreibt Richard Copans die Schwierigkeiten, den
Architekten und Architekturprofessoren – den „Hütern der Architektur“, wie
sie Copans nennt – zu verdeutlichen, dass nicht sie, sondern die Regisseure
die Kommentare zu den Bauten verfassen (vgl. Copans, o. J. / 1).
[5]
Rambow betont diesbezüglich, dass nicht die Wahrnehmung des Laien
abgestumpft, sondern vielmehr die des Experten infolge eines langen
Prozesses von Ausbildung und Praxis verfeinert und ausdifferenziert sei
(vgl. Rambow, 2000 / 2). Mit reduzierter Wahrnehmung ist im vorliegenden
Kontext jedoch weniger die Wahrnehmungsdifferenz zwischen Architekten und
Laien, sondern eher der Unterschied zwischen alltäglicher Konfrontation mit
Architektur und dem bewussten Akt der Kunstrezeption in einem eigens dafür
vorgesehenen Kontext gemeint.
[6]
…sofern man beispielsweise den Kunstproduzenten losgelöst vom Kunstmarkt
betrachtet, andernfalls kommt auch hier zumindest noch die
Animationsfunktion hinzu.
[7]
Im Gegensatz zu den privaten und den großen öffentlich-rechtlichen Kanälen
werden Einschaltquoten der Kultursender und die Marktanteile einzelner
Sendungen nur sehr zurückhaltend preisgegeben.
[8]
Im Gegensatz zu den Kommunikationswissenschaften, durch die die Metapher vom
neutralen Kanal geprägt und vertreten wurde, bestreiten weite Teile der
jüngeren Medienwissenschaft bei aller Vielstimmigkeit der Positionen diese
These. In diesem Kontext ist auch das Diktum ihres Vorreiters Marshall
McLuhan „The medium is the message“ zu lesen. Detailliertere Ausführungen
hierzu finden sich u. a. bei Leschke (2003).
[9]
So lautete das Thema der dritten Ausgabe des Grazer Architektur Magazins, in
dem allerdings das Fernsehen nur am Rande und in einem völlig anderen, hier
nicht relevanten Kontext diskutiert wird (vgl. GAM – Graz Architecture
Magazine 03 und speziell den Beitrag von Knut Birkholz).
[10]
Eine bezeichnende, wenn auch nicht verallgemeinerbare Glosse hierzu liefert
Copans, der von der ablehnenden Haltung Peter Zumthors – „vom Film hält er
nicht viel“ – und dessen Widerständen vor und während der Arbeiten am
erwähnten Porträt berichtet, mit dem die Therme Vals letztlich auch im Sinne
des Architekten gelungen in Szene gesetzt wurde (vgl. Copans, o. J. / 3).
[11]
Vgl. hierzu auch: Fiske & Hartley, 1978, 86ff.
[12]
Inkas „Kollege“, Herbert Grönemeyer, hatte sich übrigens bereits 1988 in
seinem Song „Fragwürdig“ gegen diesen Kurzschluss von Prominenz und
Kompetenz verwahrt
(vgl.
http://portal.herbert-groenemeyer.de/discographie/cds/oe/08.html)
[13]
Eine Studie, die 2004/05 anlässlich einer Anhörung der Enquete-Kommission
des Deutschen Bundestages durchgeführt wurde, hat ergeben, dass auf 19
untersuchten Kanälen täglich von insgesamt 26760 Sendeminuten 2055 Minuten
Kulturthemen gewidmet sind. Dies entspricht knapp acht Prozent der
Gesamtsendezeit (…von denen Architekturthemen dann wiederum nur einen
kleinen Bruchteil ausmachen).
Vgl.
http://www.taz.de/pt/2005/05/06/a0185.1/text
[14]
…der sich so zwar seine inhaltliche Freiheit sichert – Bourdieu würde von
„Reinheit“ sprechen –, der allerdings wiederum mit ganz anderen Problemen
behaftet wäre, beginnend mit den Finanzierbarkeit: Erinnert sei hier nur an
die leeren Kassen der Fachverbände.
[15]
Vgl.
http://www.bbc.co.uk/london/yourlondon/maxfiles/index.shtml
(s. hier: MORE FILES TO WATCH / I
went to visit one of the most beautiful churches in central London - St
Mary-le-Strand)
[16]
Titelte z. B. Ulf Meyer noch 1997 in der Berliner Zeitung: „Ein
Architektonisches Quartett wird es nicht geben“, fand z.B. im Juni 2005 im
NDR Funkhaus Hannover anlässlich des Tages der Architektur in Niedersachsen
ein Architekturquartett statt, nachdem u. a. die Bundesarchitektenkammer
seit Jahren derartige Diskussionsrunden veranstaltet (vgl.:
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/1997/0124/kultur/0025/
http://www1.ndr.de/ndr_pages_std/0,2570,OID1458216_REF166,00.html)
[17]
Vgl.
http://www.sternstadt-forum.de/pdffiles/0_1107446045.pdf
|