Thema
4. Jg., Heft 2
Februar 2000

Andreas Muhar

Fragen zur Identität einer Landschaft und ihrer Bewohner am Beispiel der IBA-Region „Fürst Pückler-Land"

Einleitung:

Im Zusammenhang mit einem Projekt wie der Internationalen Bau-Austellung Fürst-Pückler-Land stellt sich die Frage, wodurch die Identität der Projektregion bestimmt wird und was für eine Landschaft eigentlich im Rahmen dieser IBA präsentiert werden soll.

Das persönliche Interesse des Autors als Landschaftsplaner für dieses Thema leitet sich aus der Auseinandersetzung mit der Frage ab, wie Kulturlandschaften der Zukunft aussehen werden, bzw. welche Zielvorstellungen zum Aussehen der Landschaft der Zukunft bei den verschiedenen Akteuren bestehen. Von den planenden Professionen wird erwartet, daß sie Konzepte für die Entwicklung der Kulturlandschaften bereitstellen; um solche Konzepte erstellen zu können, muß man aber auch eine Vorstellung davon haben, wie Landschaften der Zukunft aussehen können, und gerade da fehlt es eigentlich oft an klaren Ideen: Auf die Frage, wie sie sich eine nachhaltige Kulturlandschaft der Zukunft vorstellen, antworten viele Planer mit Bildern, die sich aus der vorindustriellen Agrarlandschaft ableiten. Diese Romantisierung vergangener Produktionsweisen impliziert oft auch eine Romantisierung vergangener gesellschaftlicher Zustände, die nicht mehr herzustellen sind bzw. deren Wiederherstellung aus heutiger Sicht kaum erstrebenswert erscheint (Muhar 1994, Burkhardt 1995). Die Frage der Identität einer Landschaft ist somit nicht nur ein Forschungsthema per se, sondern eine Kernfrage bei der Entwicklung von Zukunftsvisionen für die Kulturlandschaft.

Der vorliegende Beitrag erhebt nicht den Anspruch einer umfassenden systematischen Darstellung der Identitätsbildung oder Identitätsbeschreibung einer Landschaft; es sollen hier lediglich einige Fragen formuliert werden, deren Diskussion dem Autor im Zusammenhang mit der Projektentwicklung der IBA Fürst-Pückler-Land sinnvoll erscheint:

Diese Fragen beziehen sich in ihrem Kern auf folgende Punkte:

Was bestimmt die regionale Identität eines Menschen?

Was bestimmt die Identität einer Landschaft ?

Wozu braucht eine Landschaft eine Identität?

Welche Identität hat das Arbeitsgebiet der IBA Fürst Pückler-Land?

Welche Beiträge kann die IBA zur Entwicklung einer regionalen Identität leisten?

Soferne hier zu einzelnen Fragen der persönliche Standpunkt des Autors eingebracht wird, so ist dies der Zugang eines Außenstehenden, dessen persönliche Kenntnis der Gegebenheiten in der IBA-Projektregion recht beschränkt ist. Die Gefahr, bei einer Diskussion von Fragen der regionalen oder der landschaftlichen Identität bei Allgemeinplätzen zu landen, ist sehr groß, ganz besonders auch die Gefahr, Vorurteile zu reproduzieren. Auch ist klar, daß Landschaften nicht bloß eine einzige Identität aufweisen, da die Zuweisung dieser Identität vom Zugang der Personen abhängt, die diese Zuweisung vornehmen.

 

Identität und Identitätsforschung

Identitätsforschung hat ihre Ausgangspunkte in unterschiedlichen Disziplinen. Seitens der Psychologie und Psychoanalyse ist dabei vor allem das Wechselspiel interessant, welches sich im Zusammenhang mit der Identitätsentwicklung zwischen dem Individuum und der Gruppe ergibt. „Der Begriff ‚Identität‘ drückt also insofern eine wechselseitige Beziehung aus, als er sowohl ein dauerndes inneres Sich-Selbst-Gleichsein wie ein dauerndes Teilhaben an bestimmten gruppenspezifischen Charakterzügen umfaßt" (Erikson 1994). Diese Gruppenzugehörigkeit definiert sich in der psychologischen Literatur überwiegend im Hinblick auf die Familie, die Ethnie, die Religion oder auch auf eine bestimmte Berufsgruppe. Ein konkreter Raumbezug ist dabei üblicherweise nicht gegeben.

Wenn wir den Begriff Identität nun auf eine Landschaft oder auf eine Region anwenden, so bedeutet das auch hier, daß die Identität sowohl von individuellen Eigenschaften als auch von der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Typus bestimmt wird. Im folgenden wird ‚Landschaft‘ umfassend als Bezeichnung für ein Territorium unter Einschluß seiner Bewohner verwendet. (Auf eine nähere Erörterung der Begriffe ‚Landschaft‘ und ‚Region‘ kann im Rahmen dieser Darstellung verzichtet werden, siehe dazu den Beitrag von U.Steinhart im selben Band.)

 

Was bestimmt die regionale Identität eines Menschen?

Auf die Frage „Woher kommen Sie?" erhält man ganz unterschiedliche Antworten: Manche Personen nennen zunächst spontan ihren Heimatort, andere beziehen sich eher auf eine Kleinregion, andere schließlich auf größere Regionen auf der Ebene eines Bundeslandes. Dabei ist auffallend, daß die Maßstabsabhängigkeit der regionalen Identität oft stark räumlich differenziert ist: Ein Tiroler wird meistens sein topographisch definiertes Heimattal nennen (z.B. Zillertal, Ötztal), ein Niederösterreicher hingegen eher viel größere räumliche Einheiten, etwa das „Landesviertel" (Waldviertel, Weinviertel).

Die Faktoren, welche die regionale Identität und ihre Bedeutung im Wertesystem eines Menschen bestimmen, sind sehr vielfältig. Eine wesentliche Rolle spielt dabei sicherlich der Ort, in welchem die Kindheit verbracht wurde, sehr oft wird daher von Befragten die Frage nach der regionalen Identität mit der Frage nach der Heimat gleichgesetzt. Die Bedeutung der Räumlichkeit selbst, also etwa der Topographie, wird im Zusammenhang mit der Identität eines Menschen recht kontroversiell diskutiert. Dies liegt unter anderem daran, daß diese Fragen zunächst eher von nicht räumlich orientierten Disziplinen wie etwa der Soziologie untersucht wurden und erst relativ spät seitens der Geographie (s. dazu Weichhart 1990).

Ohne hier ins Detail gehen zu wollen, läßt sich zumindest teilweise verallgemeinern, daß diese identitätsbestimmenden Faktoren zum Teil auf kulturellen Gegebenheiten beruhen (Zugehörigkeit zu einer Sprachgruppe, einer Religionsgemeinschaft), zum Teil auf der Herrschaftsgeschichte (z.B. Grenzen alter Fürstentümer, Kontinuität der Herrschaft), zum Teil aber auch auf der historischen oder aktuellen Landnutzungsstruktur (z.B. Sondernutzungen wie Weinbau, Bergbau). Viele dieser Aspekte werden in wesentlichem Maße von der räumlichen Lage der betreffenden Region beeinflußt (z.B. topographische Isolation, Nutzungseignung, Ressourcenvorkommen).

In vielen Fällen erklärt sich die raumbezogene Identität aus historischen Bedingungen, nicht immer müssen regionale Identitäten aber in einer langen Geschichte begründet sein: Das östlichste Bundesland Österreichs, das Burgenland, weist eine recht deutlich ausgeprägte regionale Identität auf, obwohl der Begriff Burgenland selbst erst in diesem Jahrhundert eingeführt wurde: In der österreichisch-ungarischen Monarchie war diese Region einfach ein Teil von West-Ungarn und hatte als solche keine eigenständige Identität. Nach dem Zerfall der Habsburger-Monarchie kamen die meisten deutschsprechenden Teile Ungarns zu Österreich und wurden unter der Bezeichnung Burgenland als neuntes Bundesland aufgenommen.

Ganz wesentlich ist nicht nur die Frage, was die regionale Identität bestimmt, sondern auch, wer diese Identität formuliert. Sind es die Bewohner selbst, die für sich selbst eine Identität definieren? Und damit sehr oft die Neuhinzukommenden ausschließen? Sind es Außenstehende, die einer Region einen Stempel aufdrücken? Zum Beispiel den der Rückständigkeit? Sind es die Besucher, Touristen, die bereits mit einem fertigen Bild der Identität herkommen? Oder sind es Politiker, die mit den Schaffen einer Identität auch bestimmte Entwicklungsimpulse auslösen wollen?

So wurden bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts Fragen der regionalen Identität sehr oft mit Fragen der nationalen Identität verknüpft, das heißt, die besondere Identität einer Region wurde oft von der Zugehörigkeit zu einer Nation abgeleitet, die dann möglicherweise auch nicht mit der aktuellen politischen Herrschaftssituation übereinstimmte. Beispiele dafür wären etwa der Umgang mit Elsaß-Lothringen, dem Saarland oder mit Südtirol. Das „Besondere" an der südtiroler Identität war somit, daß Südtirol zwar zu Italien gehört, aber von der Identität her nicht italienisch, sondern überwiegend deutschsprachig, gemeint war: deutsch, ist. Die Diskussion der regionalen Identität war also geprägt von der dahinterstehenden Diskussion um die nationale Identität, die Untersuchung der Bedeutung der regionalen Identität somit oft ein Vehikel zur Betonung nationaler Interessen (Briesen 1994).

Heute wird diese Diskussion ganz anders geführt, die Regionen werden nicht so sehr als Teil einer Nation gesehen, sondern bisweilen sogar als Antithese zur Nation. Der Begriff des „Europa der Regionen" impliziert eindeutig eine Reduktion der Bedeutung der Nationalstaaten. So fördert die EU explizit regionale Aktivitäten in sogenannten EU-Regio-Kooperationen, welche über die Grenzen der Nationalstaaten hinausgehen (z.B. EU-Regio Salzburg – Berchtesgadner Land – Traunstein, übrigens auch hier wieder die Rückbesinnung auf historische Herrschaftsgrenzen, in diesem Fall des Fürsterzbistums Salzburg).

 

Was bestimmt die Identität einer (Kultur-)Landschaft ?

Wenn wir jetzt nach der kurzen Diskussion der regionalen Identität von einer landschaftlichen Identität sprechen, so steht im Mittelpunkt der Betrachtung üblicherweise das, was sich im Bild der Landschaft sichtbar niederschlägt, die Landschaft als Spiegelbild historischer oder aktueller Prozesse. Dieses Bild kann ein real vorhandenes, photographisch belegbares sein, oder auch ein imaginäres, in den Vorstellungen des Betrachters entstandenes. So gesehen, ist auch die Unterscheidung zwischen „Naturlandschaft" und „Kulturlandschaft" hinfällig, da jede Landschaft zur Kulturlandschaft wird, sobald sie ein Mensch wahrgenommen hat: Auch eine antarktische Eiswüste ist Teil unserer Kultur, insofern sie uns als Symbol für unsere Träume, unsere Ängste etc. dient.

Die Befassung mit der Identität einer Kulturlandschaft geht über die üblichen Typisierungsmethoden der Geographie hinaus. Gerade in der deutschsprachigen geographischen bzw. landschaftsökologischen Literatur gibt es eine lange Tradition der Entwicklung von Methoden für die Typisierung von Landschaften. Dabei ging es ursprünglich in erster Linie um die Abgrenzung homogener Raumeinheiten. Das Abgrenzen solcher Raumeinheiten war nicht nur ein wissenschaftliches Anliegen, sondern hatte die planerische Zielsetzung, daß für jede landschaftsökologische Einheit auch eine optimale Landnutzung definiert werden kann. Die Abgrenzungskriterien waren üblicherweise die Morphologie der Landschaft und die Böden, auf deren Basis dann Karten der potentiell natürlichen Vegetation entwickelt wurden, welche sich auch heute noch in vielen Planwerken als Grundlage wiederfinden. Diese Zugangsweise nimmt sehr wenig Rücksicht auf kulturelle Besonderheiten eines Raumes, sie ist insbesondere dann als Planungsgrundlage nur wenig tauglich, wenn es sich um stark von der menschlichen Nutzung geprägte Landschaften handelt (Siedlungsbereiche, Agrarlandschaften etc.).

Seit Mitte der 80er Jahre läuft in Österreich ein großes Projekt zur Typisierung der Kulturlandschaften in einer integrierenden Betrachtung sowohl der natürräumlichen Gegebenheiten als auch der regionalen Traditionen der Landbewirtschaftung (Fink et al. 1989). Dabei wird klar, daß das Erscheinungsbild einer Landschaft zu einem großen Teil ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Gegebenheiten einer Region ist. Das, was wir in der Landschaft sehen, ist das Abbild einer Gesellschaft. Daraus ergibt sich dann auch die Folgerung, daß es nicht viel Sinn macht, Leitbilder für eine Landschaft zu entwickeln, wenn wir nicht wissen, wie die Gesellschaft aussehen soll, die sich in der betreffenden Landschaft widerspiegeln soll.

Erschwerend aus planerischer Sicht ist, daß wir heute an einem neuen Punkt unserer Landschaftsgeschichte angekommen sind: In fast allen Regionen Europas ist das Erscheinungsbild der Landschaft außerhalb der urbanen Ballungsräume nach wie vor im wesentlichen von der Landwirtschaft geprägt. In diesen Regionen war die Landwirtschaft auch stets der wichtigste gesellschaftliche Faktor, das heißt, die Agrarlandschaft war das Spiegelbild einer Agrargesellschaft. Auch heute noch sind die meisten Landschaften Mitteleuropas - wie gesagt, außerhalb der urbanen Ballungsräume - Agrarlandschaften, aber die gesellschaftliche Relevanz der Landwirtschaft ist minimal geworden. Mit anderen Worten, die Landschaft reflektiert nicht mehr das gesamte Spektrum unserer Gesellschaft. Waren früher die wesentlichen Veränderungen in der Gesellschaft auch unmittelbar in der Landschaft ablesbar, so ist dies heute nur mehr mittelbar möglich. Die Informationstechnologie und die Telekommunikationsindustrie als wesentliche Faktoren unserer Gesellschaft spiegeln sich in der Landschaft nur unwesentlich wider (Muhar 1994).

Somit ist es auch sehr schwer, allgemein gültige Typologien aktueller Kulturlandschaftsidentitäten zu entwickeln; im Rahmen dieses Beitrag kann nur versucht werden, einige Kriterien aufzulisten, die nach Meinung des Autors bei der Diskussion der Identität einer Landschaft eine Rolle spielen sollten:

Aktualität der Identität:

Entspricht die Identität der Landschaft der aktuellen Nutzung, der aktuellen Gesellschaftsstruktur? Ist die Identität eine gelebte oder eine museale? Viele Agrarlandschaften weisen heute eine museale Identität auf, das heißt, ihr Erscheinungsbild ist zwar das einer (vorindustriellen) Agrarlandschaft, dieses wird aber nur durch Zahlungen der öffentlichen Hand aufrecht erhalten. Die solcherart konservierte Landschaft ist somit keine Produktionslandschaft wie die historische Agrarlandschaft, sondern eine Dienstleistungs-Landschaft, in der die Landwirte für ihre landschaftspflegerische Arbeiten abgegolten werden.

Im Extremfall kann die Identität der Landschaft sogar kontradiktorisch zu den aktuellen gesellschaftlichen Bedingungen sein, etwa in alpinen Tourismusregionen, in denen den Gästen oft ganz bewußt das Gegenteil dessen vorgespielt wird, was tatsächlich in der Region vorhanden ist.

Kontinuität der Identität:

Wieviele Zeitschichten bestimmen die Identität der Landschaft? Welche Brüche haben sich in der historischen Entwicklung der Identität ergeben? Viele Nutzungsformen, die für die Entwicklung einer Landschaft von großer Bedeutung waren, sind heute nicht mehr allgemein sichtbar (z.B. Köhlerei, Waldweide), daher wird auch die Landschaftsdynamik historischer Epochen oft unterschätzt.

Komplexität der Identität:

Wieviele verschiedene gesellschaftliche und naturräumliche Aspekte spiegeln sich in der Landschaft wider? Manche Landschaften waren und sind sehr stark von einer einzigen, dominanten Nutzung geprägt (z.B. Weinbaulandschaften), in anderen Fällen war gerade die Nutzungsmischung das identitätsprägende Element (z.B. kleinteilige Acker-Grünland-Mischgebiete).

Repräsentativität der Identität:

Inwieweit sind die wesentlichen gesellschaftlichen Faktoren einer Region in der Identität der Landschaft repräsentiert? In einer reinen Agrargesellschaft ist die dazugehörige Produktionslandschaft repräsentativ für die gesellschaftlichen Gegebenheiten. In historischen Agrarlandschaften waren auch viele Aktivitäten des sekundären Sektors in der Landschaft repräsentiert (Mühlen, Hammerwerke), in der globalisierten Informationsgesellschaft ist dies nicht mehr der Fall.

Nachhaltigkeit der Identität:

Ist die aktuelle Identität der Landschaft zukunftsfähig? Welche Entwicklungspotentiale werden durch die Identität der Landschaft eröffnet oder verhindert?

 

 

Braucht eine Landschaft, braucht eine Region eine klare Identität?

Wenn wir den eingangs erwähnten umfassenden Landschaftsbegriff anwenden, so geht es hier vor allem um die Frage, ob es für die Bewohner einer Region von Bedeutung ist, eine Identifikation mit ihrer Region, mit ihrer Landschaft zu haben.

Von Seiten der Raumplanung wurden einige ganz praktische Argumente formuliert, warum regionale Identität als Ziel der Raumordnung relevant ist (Huber 1988):

Kausale Betrachtung: Identität als zentrales menschliches Bedürfnis kann zur Erklärung menschlicher Verhaltensmuster (z.B. Mobilität, Konsumverhalten, politische Partizipation) beitragen.

Finale Betrachtung: Räumliche Identität als wichtiges Element der Lebensqualität ist ein Ziel einer an der Lebensqualität orientierten Regionalpolitik.

Instrumentale Betrachtung: Die Schaffung von Identität kann als Mittel zur emotionalen Absicherung administrativer Konstrukte eingesetzt werden.

Letzteres bedeutet, daß eine regionale Identität, ein gewisses Bewußtsein der Zugehörigkeit zu einer Region, eine wesentliche Voraussetzung ist für die Identifikation von Akteuren in einem Planungsprozeß mit den Zielen dieses Prozesses.

Regionales Bewußtsein ist aber auch ein wesentliches Komplement zu globalem Bewußtsein. Es geht hier nicht um Entweder/Oder, sondern um eine gegenseitige Ergänzung.

Die Frage „Braucht eine Landschaft eine klare Identität?" kann man aber auch aus der Negation heraus diskutieren: Was passiert, wenn eine Landschaft ihre Identität verliert? Gilt das Schlagwort „Identitätsverlust ist Seelenverlust" auch für Regionen, für Landschaften?

Der eingangs zitierte Psychoanalytiker Erikson beschreibt das Krankheitsbild einer Identitäts-Diffusion, einer (vorübergehenden oder dauernden) Unfähigkeit des Ichs zur Bildung einer Identität. Ein Zustand akuter Identitätsdiffusion wird nach Erikson meist dann manifest, wenn der junge Mensch sich vor eine Häufung von Erlebnissen gestellt sieht, die gleichzeitig von ihm die Verpflichtung zur physischen Intimität, zur Berufswahl, zu energischer Teilnahme am Wettbewerb und zu einer psychosozialen Selbstdefinition fordern (Erikson 1994).

Wir können diese Beschreibung des Krankheitsbildes der Identitäts-Diffusion analog durchaus auch auf Landschaften anwenden. Auch das IBA-Projektgebiet befindet sich in einer Umbruchsphase, in der Entscheidungen verlangt werden, klare Festlegungn für die Zukunft, und das alles unter unklaren, nicht ausreichend definierten Rahmenbedingungen.

Die Frage „Was passiert, wenn die identitätsprägende Eigenschaft einer Landschaft verlorengeht?" ist aber keine spezifische Frage der IBA-Region, wir finden in Europa viele weitere Beispiele ehemaliger Bergbaulandschaften oder ehemaliger Industrielandschaften, deren Identität in den vergangenen Jahrzehnten ihre Basis verloren hat.

Die Fragen, die sich für solche Regionen stellen, hat Briesen (1994) wie folgt formuliert:

Wie reagiert eine Region auf die Krise ihrer Leitbranche?

Macht sich diese Krise im sogenannten „kollektiven Bewußtsein" der Bewohner der Region bemerkbar?

Führt die Krise zur „Identitätslosigkeit" oder konstituiert sich dann überhaupt erst ein Regionalbewußtsein?

Mit welcher zeitlichen Verzögerung regiert das „Regionalbewußtsein" auf die Veränderung der „regionalen Realität"?

Und wie wirkt diese transformierte Identifikation weiter auf regionale Kulturen und Lebensweisen, auf Handlungschancen und Handlungsbarrieren?

 

 

Welche Identität hat das Arbeitsgebiet der IBA Fürst Pückler-Land?

Für den Autor als Außenstehenden ist es sehr heikel, diese Frage auch nur annähernd beantworten zu wollen, es ist dies ein Thema, daß vor allem innerhalb der Region diskutiert werden müßte. Die folgenden Absätze sollen daher nur als sehr persönliche Eindrücke aufgefaßt werden:

Schon allein die Tatsache, daß das Projekt nicht „IBA Niederlausitz" genannt wurde, sondern für die Namensgebung auf eine historische Figur zurückgegriffen wurde, ist ein Indiz dafür, daß die hier vorhandene Identität offenbar als nicht geeignet angesehen wurde, um den Bezugspunkt für die Aktivitäten der kommenden zehn Jahre zu bilden. Man könnte dem aber auch entgegenhalten, daß vielleicht manche Aspekte der Identität der Niederlausitz in der aktuellen Diskussion zu kurz gekommen sind. In den zahlreichen Fachgesprächen um die IBA, aber auch in den Fachmedien wird die Niederlausitz meist nur als Bergbaulandschaft oder als Bergbaufolgelandschaft angesprochen; der größte Teil der wirtschaftlichen Aktivitäten dieses Jahrhunderts hatte mittelbar oder unmittelbar Bezug zu Bergbau und Energiewirtschaft. Auch die Projekte der IBA sind überwiegend um diesen Themenbereich zentriert. Es entsteht der Eindruck, die Niederlausitz hätte ihre Identität ausschließlich in den Braunkohlegruben, und mit dem Fluten der Gruben versinke auch die Identität der Region.

Es wird niemand abstreiten, daß der Bergbau der bestimmende Faktor der Entwicklung der Niederlausitz im 20. Jahrhundert war, und daß hier größtenteils irreversible Eingriffe in die Landschaft vorgenommen wurden, deren ökologische und ökonomische Auswirkungen gigantische Dimensionen aufweisen. Tatsächlich ist es aber wahrscheinlich nur etwa ein Fünftel der Regionsfläche, das unmittelbar durch den Bergbau in Anspruch genommen wurde. Die restlichen vier Fünftel werden nach Ansicht des Autors in der aktuellen Diskussion um die Entwicklung der Niederlausitz viel zu wenig beachtet: Ausgedehnte Waldflächen, erstaunlich kleinteilige Reste alter Agrarlandschaften, Heiden, Siedlungen unterschiedlichen Charakters etc. Prägen diese nicht auch die Identität dieser Landschaft?

Im IBA-Gebiet gibt es sicherlich mehr Wald als Bergbauflächen, wieso heißt es nicht, die IBA-Landschaft ist eine Waldlandschaft? Was uns die Landschaft erlebbar macht, sind die landwirtschaftlichen Nutzflächen, die es hier noch in großer Zahl gibt; durch die Felder können wir überhaupt erst die Weite der Landschaft wahrnehmen. Wieso heißt es nicht, die IBA-Landschaft ist eine Agrarlandschaft?

Geht es um das, was da ist, oder um das, was fehlt? Anders gefragt: Sind die Restlöcher das Identitätsstiftende, oder ist es die Landschaft um diese Löcher herum, oder vielleicht gerade die Kombination aus beidem. Wenn diese Landschaft schon so oft mit einem Schweizer Käse verglichen wird, dann sollte man vielleicht auch nicht vergessen, daß ein Emmentaler nicht wegen seiner Löcher gekauft wird, sondern wegen seines unverkennbaren Geschmacks, und der kommt nicht aus den Löchern, sondern aus der Käsemasse.

 

 

Welche Beiträge kann die IBA zur Entwicklung einer regionalen Identität leisten?

Wenn nun in einer Region mit einer im Umbruch befindlichen Identität ein solch großes Projekt wie eine IBA entwickelt wird, so stellt sich natürlich auch die Frage, welche Impulse von diesem Projekt für die Identität der Region ausgehen könnten. Im folgenden werden zunächst mögliche identitätsprägende Wirkungen von IBA-Aktivitäten aufgelistet, danach einige ausgewählte Aspekte aus der Sicht des Autors diskutiert.

Namensgebung:
Betonung bestimmter Teilaspekte der regionalen Identität / Betonung der Gesamtregion
Wiederbelebung alter Identitäten / Schaffung neuer Identitäten

Auswahl der Orte:
Betonung von Zentren / Betonung der Periphere
Bezug zu alten / Bezug zu neuen Nutzungen
Schaffung neuer Bezugspunkte / Wiederbelebung traditioneller Bezugspunkte

Charakter der Aktionen:
spektakuläre Interventionen / behutsame Ergänzungen
Provokation / Integration
Betonung von Brüchen / Förderung von Harmonie
Orientierung auf Vergangenes / Orientierung auf Zukünftiges

Einbeziehung von Akteuren:
Lokale Akteure / Externe „Experten"
Breite Partizipation / Spezifische Fokusgruppen

 

Anmerkungen zur Namensgebung:

Durch das Zuweisen eines Namens wird die Identität einer Sache wesentlich geprägt. Im Falle der IBA in der Niederlausitz wurde der Gartenkünstler und Schriftsteller Hermann Fürst Pückler Muskau als Namensgeber gewählt. Wurde aber mit „Fürst Pückler-Land" ein Begriff geprägt, mit dem sich die Bewohner der Region identifizieren werden? War Fürst Pückler so eine vorbildliche Persönlichkeit, daß er als Identifikationsobjekt einer ganzen Landschaft herhalten kann? Hatte er solch eine Bedeutung für diese Gegend, daß wir sie heute nach ihm benennen sollen? Was signalisieren wir, wenn wir im Jahr 2000 eine Landschaft umbenennen nach einer Person, die vor zweihundert Jahren gelebt hat? Spiegelt sich darin nicht ein Verstecken vor der Zukunft wider? Oder eine Nostalgie bezüglich einer Zeit, die für die damals hier Lebenden wahrscheinlich nicht besonders angenehm war?

Mit welcher der vielen Seiten des Hermann Fürst von Pückler-Muskau soll sich denn diese Landschaft identifizieren? Mit dem Gartenkünstler, der versucht hat, die Realität der Industrialisierung durch eine Selbstdarstellung seiner Person zu verdrängen? Mit dem Weltbürger, der die frühe Globalisierung gesehen hat, sie aber negierte? Mit dem Egomanen, der seine Ehe geopfert hat, um durch eine neuerliche Heirat Geld für die Verwirklichung seiner Gartenideen zu beschaffen? Oder mit dem Schriftsteller, dessen Werke zwar kulturhistorisch bedeutsam sind, aber ansonsten keine überragende literarische Bedeutung aufweisen?

Im Bereich der mitteldeutschen Braunkohlereviere zwischen Leipzig und Dessau wird seit mehreren Jahren ein Projekt mit dem Namen „Industrielles Gartenreich" entwickelt, auch dieser Name bezieht sich auf eine gartenkünstlerische Schöpfung, das Wörlitzer Gartenreich des Dessauer Fürsten Franz. Im Gegensatz zu Fürst Pückler ging es dem dortigen Herrscher aber durchaus um eine ökonomische Nutzung der Landschaft im Sinne des aufgeklärten Absolutismus. Fürst Franz wollte sich nicht nur einen schönen Landschaftsgarten schaffen, sondern auch seine Untertanen in zeitgemäßer Landwirtschaft unterweisen. Wenn sich heute das Bauhaus in Dessau mit dem Begriff Industrielles Gartenreich an diese Ideen anlehnt und gleichzeitig aber damit auch einen Bedeutungswandel signalisiert, so hat das aus Sicht des Autors weitaus mehr Gegenwarts- oder Zukunftsbezug als der Begriff IBA Fürst Pückler-Land.

 

Anmerkungen zum Charakter der geplanten Interventionen:

Beim Studium des IBA-Programmes fällt auf, daß vor allem auf den Bergbau oder die Bergbaufolgenutzung Bezug genommen wird. Kaum ein Projekt bezieht sich auf die Landwirtschaft oder auf den Wald. Eine Einbindung in eine integrative Regionalentwicklung ist zumindest von außen her kaum erkennbar.

Es ist klar, daß eine IBA mit spektakulären Aktionen aufwarten muß, wenn sie eine große Zahl an Besuchern anlocken und ein entsprechendes Medienecho hervorrufen soll. Dafür sind Projekte wie die F60 oder der Cargo-Lifter sicherlich gut geeignet. Daneben sind einige „leisere" Projekte vorgesehen, welche die Chance bieten, eine nachhaltige Identifikation der Bevölkerung mit der Region und mit dem Prozeß IBA zu erzeugen. Hier wird es wesentlich davon abhängen, wie diese Projekte tatsächlich in der Praxis umgesetzt werden, ob beispielsweise die Auseinandersetzung mit dem mehrfach aufgegebenen und dann wieder besiedelten Dorf Prietzen sich in spektakulären Land Art Installationen erschöpft, oder ob die IBA als Anlaß genommen wird, um hier einen sensiblen Neubeginn im Hinblick auf eine integrative Entwicklung der vom Menschen besiedelten Landschaft zu setzen.

 

Literatur:

Briesen, D. (1994): Historische Ausprägung und historischer Wandel von regionaler Identität in ausgewählten Montanregionen. In: Briesen, D., R. Gans, A. Flender (Hg.): Regionalbewußtsein in Montanregionen im 19. und 20.Jahrhundert. Universitätsverlag Brockmeyer, Bochum, S. 7- 47

Burkhardt, L. (1995): Landschaft ist transitorisch. Zur Dynamik der Kulturlandschaft. Laufener Seminarberichte 4/95, Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege, Laufen/Salzach, S. 31-36

Erikson, E.H. (1994): Das Problem der Ich-Identität. In Erikson, E.H.: Identität und Lebenszyklus: Drei Aufsätze. Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, 16, 123-224

Fink, M., Grünweis, F., Wrbka, Th. (1989): Kartierung ausgewählter Kulturlandschaften Österreichs. Monographie 11, Umweltbundesamt Wien

Huber, W. (1988): Sozialräumliche Identität und kulturelle Vielfalt. In: Elsasser, H., W.J. Reith, W.A. Schmid (Hg.): Kulturelle Vielfalt, regionale und örtliche Identität. Institut für Raumplanung und Agrarische Operationen, Universität für Bodenkultur Wien, S. 247-250

Muhar, A. (1994): Landschaft von gestern für die Kultur von morgen? topos 6/94, S. 95-102

Muhar, A. (1999): Sind Kulturlandschaft der Zukunft un-denkbar? Über die Probleme von PlanerInnen bei der Entwicklung umsetzbarer Visionen für den Agrarraum. Land-Berichte 2, Shaker Vlg., Aachen, S.62-74

Norberg-Schulz, Ch. (1982): Genius Loci: Landschaft, Lebensraum, Baukunst. Klett-Cotta, Stuttgart

Prisching, M. (Hg., 1994): Identität und Nachbarschaft. Böhlau Vlg., Wien, Köln

Weichhart, P. (1990): Raumbezogene Identität : Bausteine zu einer Theorie räumlich-sozialer Kognition und Identifikation. Steiner, Stuttgart (Erdkundliches Wissen 102)

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