10. Jg., Heft 2
September 2006

 

 

From Outer Space: Architekturtheorie
außerhalb der Disziplin (Teil 2)

   
Konzeption und Redaktion:   Katharina Fleischmann, Eduard Führ
Organisatorische Vorbereitung:   Katharina Fleischmann
Lektorat und Layout:
 
  Heidrun Bastian, Ehrengard Heinzig
 




Katharina Fleischmann

 




Editorial
 

   


Kunstgeschichte
Christina Threuter   Stoffwechsel:
Moderne Architektur als Bild
Wolfgang Sonne   Die Geburt der Städtebaugeschichte
aus dem Geist der Multidisziplinarität
Regina Göckede   Der koloniale Le Corbusier.
Die Algier-Projekte in postkolonialer Lesart
   
Geographie
Werner Bischoff   "Grenzenlose" Räume - Überlegungen zum Verhältnis
von Architektur und städtischem Geruchsraum
Jürgen Hasse   Der Mensch ist (k)ein Akteur - Zur Überwindung szientistischer Scheuklappen in der Konstruktion eines idealistischen Menschenbildes
 
Geschichte
Thomas Adam   Wohnarchitektur und Vorstellungen über die Gestalt der Familie im transatlantischen Vergleich
 
Politikwissenschaften
Helga Fassbinder   Zur reflexiven Planung urbaner Schönheit




 

   
abstracts:    
Kunstgeschichte
   
 
___Christina Threuter
Trier
 
Stoffwechsel:
Moderne Architektur als Bild


In diesem Beitrag werden anhand von drei Fallbeispielen moderner Wohnhausarchitektur, dem Haus Bloemenwerf (1896) von Henry van de Velde und Maria Sèthe, dem Entwurf eines Hauses für Josephine Baker (1927) von Adolf Loos sowie dem Wohnhaus E.1027 (1929) von Eileen Gray, die Produktion und die Funktionsweisen des Bildes von Architektur analysiert.
Ausgangspunkt der Untersuchung ist die Frage nach der Wirkmacht der Bilder von Architektur und den um sie und mit ihnen geführten Diskursen. Die Wendung Architektur als Bild bezieht sich hierbei nicht auf ein Verständnis vom Bild als einem autoritären Bedeutungsträger sondern sie impliziert die Frage nach seinem Status in der Architektur. Mit ihr verbunden ist die Forderung nach einer kritischen Analyse in Bezug auf mythische Konstruktionen von moderner Architektur und Raum, d. h. den Strategien visueller Repräsentationen, wie sie die Bildproduktionen von Architektur in der Rezeption – der Betrachtung, dem Reden und Schreiben über Architektur - hervorrufen. Besonders beschäftigt mich hier die Frage nach den Vorstellungen vom Körper und seinem Geschlecht als einem Produkt und Effekt des Mediums Bild.

 

(Artikel in Deutsch)

___Wolfgang Sonne
Strathclyde
 
Die Geburt der Städtebaugeschichte
aus dem Geist der Multidisziplinarität


Städtebaugeschichte entstand nicht als ein Fachprodukt der Disziplin Kunstgeschichte. Selbst wenn die erste generelle Darstellung der Geschichte des Städtebaus 1920 vom Kunsthistoriker Albert Erich Brinckmann, einem Schüler Heinrich Wölfflins, publiziert worden war, so war sie doch mindestens ebensoviel vom zeitgenössischen Städtebaudiskurs wie Camillo Sittes Städtebau (1889) angeregt. Zudem waren die ersten allgemeinen Städtebaugeschichten nicht als Geschichtsmonographien erschienen, sondern als umfangreiche Kapitel in zeitgenössischer Planungsliteratur wie in Daniel Burnhams Plan of Chicago (1909) oder in Rudolf Eberstadts Handbuch des Wohnungswesens und der Wohnungsfrage (1909). Die Analyse dieser und weiterer Städtebaugeschichten zeigt nicht nur, dass die Autoren von so unterschiedlichen Fächern wie Architektur, Geschichte, Kunstgeschichte, Ökonomie oder Politik kamen, sondern ebenfalls eine Reihe unterschiedlicher Disziplinen und Faktoren in ihre Analysen der Stadtentwicklung miteinbezogen. Trotz dieses multidisziplinären Zugriffs verloren diese Autoren aber nie ihre zentrale Aufgabe aus den Augen: die gebaute Form der Stadt zu interpretieren.
 

(Artikel in Deutsch)

___Regina Göckede
Cottbus
 
Der koloniale Le Corbusier.
Die Algier-Projekte in postkolonialer Lesart


Unter den so genannten Pionieren der modernen Architektur befinden sich wohl nur wenige, die für sich beanspruchen können, die Praxis der Stadtplanung in einem globalen Maßstab beeinflusst zu haben. Zu diesen Individualgestalten muss zweifelsohne Le Corbusier gezählt werden. Ihm gelang es wie kaum einem anderen, sich als Weltarchitekt zu etablieren.
Die vorliegende Studie untersucht das früheste und zugleich umfangreichste Projekt, das Le Corbusier für einen außereuropäischen Stadtraum entworfen hat. Seit Anfang der 1930er Jahre arbeitete er für mehr als ein Jahrzehnt an zahlreichen Plänen für die nordafrikanische Hafenstadt Algier. Obwohl nichts von alldem tatsächlich gebaut wurde, werden Le Corbusiers Arbeiten für Algier in der Architekturgeschichtsschreibung auch heute noch als eine Phase des Suchens nach neuen architektonischen und urbanistischen Ausdrucksformen jenseits des stilistischen Kanons der europäischen Moderne gewertet. Indem dabei die spezifischen historischen Entstehungsbedingungen ausgeblendet und stattdessen die skulptural-poetischen Qualitäten anhand isolierter Details hervorgehoben werden, reduziert die vorherrschende historiografische Praxis diese Arbeiten auf einen experimentellen Wendepunkt im  humanistischen Schaffensprozess des Künstlers.
Die vorliegende Studie weist diese restringierte Interpretation zurück. Stattdessen führt sie die städtebaulichen Entwürfe zu ihren konkreten Möglichkeitsbedingungen zurück; zur Geschichte des französischen Kolonialismus im Allgemeinen und besonders zur Geschichte des kolonialen Städtebaus in Algier. Meine Lesart will unter Einbeziehung der postkolonialen Theorie, insbesondere der neueren Entwicklungen auf dem interdisziplinären Feld der postcolonial urban studies zeigen, dass Le Corbusiers urbanistische Neuordnung Algiers nicht nur die existierenden kolonialen Machtverhältnisse affirmierte, sondern zudem modernisierte Raumtechnologien der sozialen Überwachung hervorbrachte. Angesichts des ungebrochenen sozialen Einflusses, den die Ideen und Konzepte Le Corbusiers nach wie vor auf die entlegensten Regionen der Welt ausüben, wird abschließend die binäre Aufspaltung zwischen europäischer Metropole und außereuropäischer Kolonie in Frage gestellt. Auf diese Weise sollen aktuelle Konflikte in den europäischen Großstädten nicht länger einfach als Scheitern der multikulturellen Stadtidee skandaliert, sondern als Folge einer städtebaulich sanktionierten Praxis von Segregation und Exklusion diskutiert werden, die über einen kolonialen Ursprung verfügt.
 

(Artikel in Deutsch)

Geographie
___Werner Bischoff
Frankfurt am Main
 
"Grenzenlose" Räume - Überlegungen zum Verhältnis
von Architektur und städtischem Geruchsraum


Geographlnnen analysieren Stadträume vorrangig über deren visuelle Gestalt. Dabei droht die Gegenständlichkeit der Umgebung, das wahrnehmende Subjekt „aus dem Blick“ verlieren zu lassen. Trotz der kulturgeschichtlichen Herausbildung einer Wahrnehmungspräferenz für das Gegenständlich-Visuelle erscheint die Stadt nicht ausschließlich sichtbar. Sie ist vielmehr auch taktil, auditiv, olfaktorisch und gustatorisch präsent und offenbart sich über unterschiedliche Atmosphären. Die olfaktorische Wahrnehmung stellt dabei einen wichtigen Zugang zum Untersuchen der atmosphärischen Wirkung von gestalteter und gebauter Umwelt dar, nicht zuletzt weil der städtische Geruchsraum bereits Ziel von MarketingstrategInnen ist, die behagliche Atmosphären in Büro- und Konsumräumen als ein Instrument zur KundInnenbindung bzw. MitarbeiterInnenmotivation begreifen.
 

(Artikel in Deutsch)

___Jürgen Hasse
Frankfurt am Main
 
Der Mensch ist (k)ein Akteur -
Zur Überwindung szientistischer Scheuklappen in der Konstruktion eines idealistischen Menschenbildes


Der Beitrag setzt sich kritisch mit einem zentralen handlungstheoretischen Konstrukt auseinander – dem Menschenbild des Akteurs, das den Menschen als rationalistisch konstituiertes Verstandeswesen voraussetzt. Diese ideologische Fiktion wird (u. a. in phänomenologischer und lebensphilosophischer Sicht) als anthropologische Reduktion des Menschen der Kritik unterzogen. Kein gelebtes Leben ist ein aseptischer Vollzug geistig beherrschter und verhaltenspraktisch nur noch ausgeführter Handlungsentwürfe. Die Ausklammerung der menschlichen Gefühle wie aller verschwommen und dunkel bewussten Beweggründe für ein Tun hat eine wissenschaftspsychologische und -ideologische Pointe. Wenn das Tun der Menschen als kognitivistisch rein gedacht wird, dann entzieht sich auch der Wissenschaftler in seinen eigenen nicht-rationalen Motiven jeder Kritik. Für die Architekturtheorie folgt daraus die Frage, in welchem Verhältnis akteursspezifisches Handeln und  nicht-akteursspezifisches Tun im Prozess der Rezeption, aber auch dem der Produktion von Architektur zueinander stehen.
 

(Artikel in Deutsch)

Geschichte
___Thomas Adam
Arlington
Wohnarchitektur und Vorstellungen über die Gestalt der Familie im transatlantischen Vergleich


Deutsche und nordamerikanische Wohnungsreformer des neunzehnten Jahrhunderts sahen in der Familie die soziale Basis der Gesellschaft. Ohne deren Abschluss nach außen durch entsprechende architektonische Vorkehrungen konnte, so ihre Überzeugung, keine Stabilisierung der bürgerlichen Gesellschaft erreicht werden. Daher verwandten Wohnungsreformer und Stifter sehr viel Zeit auf die architektonische Planung der Wohnungsstruktur in ihren Wohnungskomplexen. Oberstes Ziel war es, soziale Kontakte zwischen den verschiedenen Familien auf ein absolutes Minimum zu beschränken und jeder Familie eine nach außen abschließbare und abgeschlossene Wohnung bereitzustellen und natürlich sich zu stellen, dass diese Wohnung dann auch abgeschlossen wurde. Die Finanziers des privaten sozialen Wohnungsbaus erhielten damit die Möglichkeit, Einfluss auf die gesellschaftliche Definition der Familie zu nehmen und nutzten diese Macht auch, um ihre Vorstellungen über die „ideale Struktur der Familie“ umzusetzen.
 

(Artikel in Englisch)

 

Politikwissenschaften
___Helga Fassbinder
Dresden
Zur reflexiven Planung urbaner Schönheit


Zentrales Thema der Diskussionen um die “Risikogesellschaft” und um „reflexive Planung“ ist die Notwendigkeit eines neuen Denkens über Städte, das häufig unzureichend mit dem Begriff der Nachhaltigkeit bezeichnet wird.
These des Artikels ist folgende: Nachhaltiges Planen und Bauen kann nur dann erfolgreich sein, wenn damit eine neue Formensprache einhergeht, die all denjenigen, die sich mit Stadt beschäftigen, deren komplexen Inhalt und Gehalt verdeutlicht: den Planenden, den ArchitektInnen, den BewohnerInnen und den PolitikerInnen. Eine Formensprache, die durch neue Schönheit sichtbar macht, in welcher Welt wir leben, und was gut und schlecht für die Erhaltung der Umwelt ist.
Auf der Basis eines grundlegenden Umdenkens bietet die Konzeption von „Biotop City“ die Vision einer derartigen neuen Stadt: Stadt wird dabei nicht nur als ein großes, sich selbst erneuerndes System mit geringen externen Effekten verstanden, sondern auch als eine spezifische Form von Natur. Diesem Konzept ist logischerweise auch eine neue Idee von Schönheit inhärent. So konzipiert „Biotop City“ Form und Inhalt auf eine neue Weise.

 

(Artikel in Deutsch)

 



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