Thema
3. Jg., Heft 2 Juni 1998

Bau und Wohnung
Eine Auseinandersetzung mit Heideggers Aufsatz
'Bauen Wohnen Denken' (1951)

Text

 MARTIN
HEIDEGGER

BAUEN WOHNEN DENKEN

(Originaltext, veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Klett-Cotta-Verlags)

Zum Text

Burkhard
Biella

(Duisburg)

Ein Denkweg an den anderen Anfang des Wohnens.
Eine Interpretation von Heideggers Vortrag
'Bauen Wohnen Denken
'

Insbesondere in architektonischen Debatten wird in der Regel stillschweigend der Sinn von Wohnen als bekannt vorausgesetzt; aber wenn das Wohnen hinreichend erörtert würde, sähe die gebaute Architektur anders aus. Ausgehend von dieser These habe ich in meiner Dissertation ‘Eine Spur ins Wohnen legen. Entwurf einer Philosophie des Wohnens nach Heidegger und über Heidegger hinaus’ versucht, rationalitätskritisch im Anschluß an die Philosophie Heideggers eine Struktur des Wohnens zu entfalten.
Heidegger thematisiert das Wohnen vornehmlich in den nach der sogenannten Kehre entstandenen Texten, am nachdrücklichsten in dem 1951 beim Darmstädter Gespräch gehaltenen Vortrag ‘Bauen Wohnen Denken', dessen Interpretation im Zentrum meines Cottbuser Vortrags steh
t und zudem die Bezüge zum Alltag von Architektur und Wohnen - auch visuell dokumentiert - herstellen soll. Der Vortrag wird insofern im Kontext der o.g. Arbeit stehen.

Karsten
Harries

(New Haven)

Unterwegs zur Heimat

Zur Auseinandersetzung mit Heideggers Vortrag "Bauen Wohnen Denken" gehört auch das Bedenken der Situation, aus der heraus und in die hinein diese Worte gesprochen wurden, auch des Abstandes, der uns heute von dieser Situation trennt. Thema dieses Darmstädter Gesprächs war "Mensch und Raum". Die Präambel schloß mit dem Satz: "Die Not unserer Zeit ist die Heimatlosigkeit. - Heidegger fordert die Zuhörer auf, die Heimatlosigkeit erst einmal zu bedenken. Findet der Mensch die ihm einzig gemäße Heimat nicht nur, wenn er einsieht, daß sich die Heimat, von der er träumt und deren Glückseligkeit versprechende Spuren ihm hier und dort begegnen, ihm immer wieder verweigern muß? Es bleibt der Stachel der Heimat, der uns auch in der Fremde die Heimat suchen läßt. Darum lieben wir im Fremden die Heimat, lieben aber auch das Unerwartete und Neue, das in der Fremde an uns herantritt, wissen, daß das Hängen an der Heimat dieser Liebe entgegensteht. Zentrifugale und zentripetale Tendenzen kreuzen sich im Menschen, in seinem Wohnen - sollten sich in unserem Bauen kreuzen. Der Mensch verlöre sich selbst, bliebe er nicht unterwegs zur Heimat.

Svetozar
Zavarihin

(St. Petersburg)

Wohnen als Daseinsweise

Eine existenziale Interpretation des Begriffs ‘Existenz’ sollte davon ausgehen, daß als Folge der Ganzheit, der Unteilbarkeit von Mensch und Welt, jede beliebige Tätigkeit und deren Ergebnisse, aber ebenso die umgebende Natur durch den Menschen durchgeistigt sind. Deshalb ist das Bauen als Tätigkeit und als Ergebnis nicht bloße Umwandlung von Materie, sondern das eigentliche Leben in seiner ganzen geistigen und materiellen Vielfalt. Die Begriffe ‘Wohnung’ und ‘Bauen’ haben eine tiefe Verbindung zum Lebensprozeß selbst. Außerhalb der Lebenssphäre, die ständig im Prozeß der geistigen und materiellen Tätigkeit gebildet wird, lassen sich keinerlei Lebenspotenzen des Menschen verwirklichen. Deshalb kann man behaupten, daß der Prozeß der Schaffung der Lebenssphäre eine Form des Seins darstellt.
Im Artikel werden drei Metatypen der architektonischen Sprache beleuchtet - Ort, Übergang und Weg, die die grundlegende Sinn- und Sprachstruktur des Seins und der Lebenssphäre zum Ausdruck bringen.

Gerd
Achenbach

(Bergisch-Gladbach)

Bauen Wohnen Nachdenken

Die Formulierung des Titels macht eine Vorbemerkung erforderlich: Die Reihung der drei Begriffe erinnert an den Titel des berühmten Vortrags, den Martin Heidegger 1951 im Rahmen des "Darmstädter Gesprächs" zum Thema "Mensch und Raum" gehalten hat. Seine Titelformulierung damals lautete: "Bauen Wohnen Denken".
Die nun unüberhörbar vorgenommene Veränderung legt unzweideutig das Gewicht auf den ersatzweise gewählten Begriff des "Nachdenkens". Nachdenken statt Denken. Warum? Ich werde als These voranstellen, was ich mit dieser Korrektur im Schilde führe:
Die innerste Geschichte, der wir alle angeschlossen sind, als deren Teilnehmer wir uns verstehen müssen, sofern wir uns verstehen wollen – diese innerste Geschichte ist dabei, die Epoche des Denkens abzuschließen und die Epoche des Nachdenkens einzuleiten. Wo einst das Denken an der Macht war, zieht jetzt – mit übrigens denkbar veränderten Machtansprüchen – Nachdenklichkeit ein. Wie die moderne Architektur der Ausdruck des die Moderne bestimmenden Denkens war, so wird eine nach-moderne Architektur Ausdruck der Nachdenklichkeit sein. Wäre an einem Titel gelegen, ließe sich ihr der Name einer "meditativen Architektur" beilegen.

Raum

Georg Christoph
Tholen

(Kassel)

Der Ort des Raums. Heideggers Kant-Lektüre und ihre Aktualität

Nach Kant gibt es zwei Formen sinnlicher Anschauung, die der Erkenntnis von Gegenständen zugrundeliegen: Raum und Zeit.
Wie wird die Räumlichkeit dieses Raumes bei Kant und bei Heidegger in Auseinandersetzung mit Kant gedacht?

Alberto
Pérez-Gómez

(Montreal)

Wohnen mit Heidegger: Architektur als mimetische techno-poiesis

Heidegger's Essay "Bauen Wohnen Denken" ist ein äußerst beliebter und doch häufig falsch verstandener von Architekten gelesener philosophischer Text. In diesem Aufsatz wird versucht, Heideggers Aufsatz unter besonderer Berücksichtigung der historischen Situation der Architektur im späten 20. Jahrhundert zu interpretieren. Gefährliche Mißverständnisse können nur verhindert werden, wenn man sich mit der Geschichte der Architekturtheorie in ihrer europäischen Tradition vertraut macht. Um aus Heideggers Worten mögliche Vorgegehensweisen für die Architektur des neuen Jahrtausends abzuleiten, muß "Bauen Wohnen Denken" im Kontext mit drei weiteren Aufsätzen Heideggers über Technologie, Kunst und Darstellung gelesen werden. Mein Ansatz zu diesen Fragestellungen bezieht auch neuere Interpretationen zu Heidegger von Hans-Georg Gadamer und Gianni Vattimo mit ein.

Eduard
Führ

(Cottbus)

'genius loci'. Phänomen oder Phantom?

Der Beitrag stellt das Konzept des ‘genius loci’, das zwar schon bis in die Gartentheorie des 18. Jahrhunderts zurückreicht, uns heute aber durch Christian Norberg-Schulz im Bezug auf Heidegger eindringlich nahegebracht wurde, dar und kritisiert es inhaltlich und prüft seine Referenz.
Im Rückgang auf Heideggers Text ‘Bauen Wohnen Denken’ wird dann eine Neubestimmung versucht.

Architekturtheorie

Gunter A.
Dittmar

(Minneapolis)

Architektur als Wohnen und Bauen – Entwurf als ontologischer Akt

Heideggers Essay "Bauen Wohnen Denken" ist nun fast 50 Jahre alt. Obwohl es bekannt und verbreitet ist, hat es doch wenig Einfluß auf Architektur und Architekturtheorie gehabt. Der Grund dafür kann darin gesehen werden, daß sich unsere Weltsicht seit der Renaissance gewandelt hat: von einem Schwerpunkt auf dem Subjekt und dessen Schicksal hin zu einer Betonung und Erkundung des Objekts und der objektiven Welt.
Der vorliegende Aufsatz vertritt die These, daß diese Weltsicht und sein Paradigma nicht nur der Weltsicht entgegensteht, wie sie Heidegger in seinem Essay darstellt, sondern daß sie sich mit dem Wesen der Architektur, den Überlegungen dazu und dem Entwurfsprozeß grundsätzlich in Konflikt befindet. Dieses Paradigma ist verantwortlich dafür, daß die Architektur zunehmend Schwierigkeiten damit hat, ihre Bedeutung, ihre soziale Akzeptanz und ihre Identität und Legitimität als Disziplin zu vertreten.
Statt wie so oft als Anachronismus verstanden zu werden, könnte Heideggers Essay der Architektur letztlich dabei helfen, ihre Schwierigkeiten zu überwinden und einen Weg in die Zukunft zu weisen.

Hans
Friesen

(Cottbus)

Heideggers Architekturtheorie und die Moderne

Die Bedeutung der Philosophie Heideggers für die Architekturtheorie ist seit seinem Vortrag 'Bauen Wohnen Denken', der 1951 in den Darmstädter Gesprächen gehalten wurde, immer wieder behauptet worden. Zahlreiche Architekten und Architekturtheoretiker haben sich auf diesen Vortrag berufen. In der Mehrzahl sind sie dabei jedoch nicht über das Niveau eines positiven Mißverständnisses hinausgekommen. Mein Vortrag soll dazu beitragen, die Stellung und Bedeutung der Architekturtheorie Heideggers in der Geschichte der Architekturtheorie des 20. Jahrhunderts zu klären. Im Vergleich mit der Auffassung von Le Corbusier wird schließlich gezeigt, daß Heideggers Position sich zwar nicht mit dem Selbstverständnis der Moderne verknüpfen läßt, aber durchaus in einem produktiven Kontrast-Bezug zur Moderne gedacht werden kann.

David
Seamon

(Kansas)

Heideggers Verständnis von Wohnen konkretisiert:
Die Beiträge von Thomas Thiis-Evensen und Christopher Alexander

In „Bauen Wohnen Denken" diskutiert Martin Heidegger sein Verständis von Wohnen und behauptet, "nur wenn wir wohnen können, können wir bauen" (Heidegger, 1971, S. 160). Ein Grundproblem mit der Idee des Wohnens liegt darin, daß diese sehr allgemein ist und nur schwer in spezifische Entwurfsfragen übertragen werden kann. In diesem Artikel wird diskutiert, wie das Werk zweier Architekturtheoretiker - Thomas Thiis-Evensen und Christopher Alexander - jeweils zwei wichtige, jedoch unterschiedliche Wege aufzeigt, wie Heideggers Wohnen in eine konkretere Architekturrelevanz übersetzt werden kann.

Architekturen

Joseph A.
Burton

(Clemson)

Philosophische Unterschiede in den Gedanken von Louis I. Kahn und Martin Heidegger

Die Architekturhistoriker Christian Norberg-Schulz, Heinrich Klotz und John W. Cook haben Ähnlichkeiten in den Gedanken Kahns und Heideggers festgestellt. Der entscheidende Unterschied in den beiden Weltsichten, unabhängig von ihren ähnlichen romantischen Interessen an Subjektivität, Gefühlen, Vorstellungskraft und individueller Freiheit, liegt darin, daß Heidegger mit Existenz im Unterschied zu Wesenhaftigkeit argumentiert und Kahn mit Existenz im Zusammenhang mit Wesenhaftigkeit. Heideggers existenzialistische Position ist in einer Abyss der Bedeutungslosigkeit verankert, während Kahns mythischer Kosmos in einer Weltseele verwurzelt ist, die er Psyche nannte. Kahns architektonischer Ausdruck physischer Existenz weitet sich romantisch in eine metaphysische, okkulte Poesie aus, wo die subjektive, nicht-körperliche Erfahrung der Psyche über die Metapher des Sonnenlichts spürbar gemacht wird.

Dörte
Kuhlmann

(Weimar)

Der Geist des (W)ortes

In ihrer Ansicht, daß die Architektur die Realität verstärken kann, kommen Architekten wie Mario Botta, Frank Lloyd Wright oder Alvar Aalto Heidegger nahe. In seinem Essay 'Bauen Wohnen Denken' führt er an, daß die Kunst oder die Architektur die Entschleierung der Wahrheit, aletheia, bieten kann.
Diese Ausführung zeigt einen gewissen Widerspruch zur ansonsten propagierten kontextuellen Position der Architektur auf. Anhand des Beispiels einer Brücke zeigte Heidegger die Implikationen dieser Interpretation auf, die seither einen wichtigen Beitrag zum architekturtheoretischen Diskurs stellten. Eine Brücke verbinde nicht nur zwei gegenüberliegende Ufer, sondern definiere erst den Ort, indem sie die spezifischen Eigenarten des Raumes betont:
Die Trennung wird durch den Übergang thematisiert- die Enthüllung der Wahrheit wird zum Angriff auf seine Essenz.
Unter dem vorgestellten Blickwinkel scheint es möglich zu behaupten, daß der Geist des Ortes, der genius loci, keine primäre Eigenschaft ist, sondern ein sekundäres Moment oder vielleicht sogar ein parasitärer Charakter. Um dem einmaligen Charakter des Ortes zu dienen, muß der Architekt den natürlichen Gegebenheiten etwas radikal Fremdes entgegensetzen.

Die abgedruckten Texte sind für die nächsten 6 Monate Diskursangebote. Anmerkungen, Anregungen und Kritiken durch Leser können zu den jeweiligen Texten geäußert werden. Die Texte werden dann gegebenenfalls in den 6 Monaten von den Autoren überarbeitet. Am Ende des Diskurszeitraums wird der Artikel dann eingefroren, ist aber weiter zugänglich.

Die Redaktion behält sich alle Rechte, einschließlich der Übersetzung und der fotomechanischen Wiedergabe vor. Auszugsweiser Nachdruck mit Quellenangabe
Wolkenkuckucksheim,Cloud-Cuckoo-Land,vozdushnyj zamok >/theoriederarchitektur/Wolke/<
ist gestattet, sofern die Redaktion davon informiert wird.

weitere Hefte Heft 1/96: Architektur im Zwischenreich von Kunst und Alltag
Heft 1/97: Modernität der Architektur. Eine kritische Würdigung

Heft 2/97: Architektur - Sprache
Heft 1/98: Architektonik und Ästhetik künstlicher Welten
Titelseite