Zum Interpretieren von Architektur
Konkrete Interpretationen

13. Jg., Heft 1, Mai 2009

 

___Lukas Zurfluh
Zürich
  Der ‚fließende Raum‘ des Barcelona-Pavillons – Eine Metamorphose der Interpretation?

 

    flowing | fließend | offen | atmend | fleeting | flüchtig | drifting | dahintreibend | light | leicht | thick | dick | empty | leer | dense dicht | pure | rein | pressed | gepresst | extended | weit | physical | körperlich | bodiless | immateriell | dampfend | fluid | flüssig | liquid | molten | geschmolzen[1]

Der Begriff des ‚fließenden Raums‘ ist ein wichtiger Topos in der Geschichte der Modernen Architektur und es ist wohl nicht übertrieben zu behaupten, das mit dem Barcelona-Pavillon so etwas wie ein Prototyp der damit assoziierten Raumqualität definiert werden kann. Dabei existierte dieses wichtige Bauwerk während einer langen Zeit gar nicht mehr und war nur visuell über ein Konvolut von offiziellen Fotografien
[2] präsent. Diese lange temporäre Abwesenheit des konkreten Objektes, die damit verbundene Dominanz der Bilder, sowie die Kontroversen um seine Rekonstruktion legen darum ein Verständnis des Phänomens ‚Barcelona-Pavillon‘ als Komplex unterschiedlicher Realitäten nahe. So sind unter anderem das zerstörte ‚Original‘ von 1929, die offiziellen Fotografien des Berliner Bild-Berichts, die ‚offizielle‘ Rekonstruktion in Barcelona aus dem Jahr 1986, aber auch die ‚subversive‘ Rekonstruktion von Rem Koolhaas in Mailand,[3] neuere Fotografien der Rekonstruktion, sowie eine schon fast nicht mehr überschaubare Flut von Artikeln und Publikationen unabdingbare Bestandteile des ‚Barcelona-Pavillons‘.

Dieser Artikel geht von der Annahme aus, dass mit der kontrovers diskutierten Rekonstruktion des Barcelona-Pavillons ein entscheidender Anstoß für eine erneute, differenzierte Auseinandersetzung mit seiner Raumqualität gegeben wurde. Anhand einer Text- und Diskursanalyse von fünf Positionen seit 1986 soll die Entwicklung der Interpretation der Raumqualität des Barcelona-Pavillons untersucht und dargestellt werden. Interpretation wird dabei als diskursiver und iterativer Prozess verstanden, der durch das Bauwerk, Bilder und Beschreibungen genährt wird, gleichzeitig aber relativ unabhängig ist von Äußerungen der Architektinnen und Architekten.


Vom Original zur Rekonstruktion

In den vielen Artikeln anlässlich der Weltausstellung von 1929 in Barcelona findet man von Blindheit oder wissentlicher Ignoranz über offene Kritik bis zu tastenden Versuchen zur Umschreibung der neuartigen Phänomen oder gar überschwänglichem Feiern des erahnten Jahrhundertwerkes eine unglaubliche Vielfalt an Reaktionen zum Deutschen Pavillon von Mies van der Rohe. Es wird sichtbar, dass viele Autorinnen und Autoren Schwierigkeiten hatten, die neuartige Raumqualität zu beurteilen und zu beschreiben. Dies erstaunt erst recht nicht, wenn man bedenkt, dass der Barcelona-Pavillon nur kurze Zeit existiert hat und seine Rezeption wohl für Viele vermutlich nur indirekt, nämlich über das Medium der Fotografie, stattgefunden hat. Der Einzige, der sich schon zu diesem Zeitpunkt für die Umschreibung des neuen Raumgefühls auf das Bild des ‚Fließens‘ bezog, war der Musik- und Kunsthistoriker Walter Riezler:

Wie hier die verschiedenen Räume ganz ohne feste Begrenzung ineinander fließen und wie hier der ganze Bau gegen die Umgebung sich öffnet, das hat in der gesamten Baukunst nicht seinesgleichen.“[4]

Nach dem Abbruch des Barcelona-Pavillons im Jahr 1930 dauerte es noch fast dreißig Jahre, bis Philip Johnson 1947 anlässlich der ersten großen Ausstellung zu den Arbeiten Mies van der Rohes im Museum of Modern Art in New York in der begleitenden Monografie den Begriff des ‚fließenden Raums‘ setzte und so eine in der Folge allgemein anerkannte Interpretation der Raumqualität des Barcelona-Pavillons definierte:

Indoors and outdoors are no longer easily defined; the flow into each other. This concept of an architecture of flowing space, channeled by free-standing planes, plays an important rôle in Mies‘s later development and reaches its supreme expression in the Barcelona Pavilion of 1929.“[5]

Der von Johnson gesetzte Begriff des ‚flowing space‘ verbreitete sich rasch; er wurde in den folgenden Monografien aufgenommen und weiterentwickelt. Vor allem die Auseinandersetzung von Mies‘ Freund Ludwig Hilberseimer mit der Thematik des ‚fließenden Raums‘ ist als wichtiger Beitrag in der Weiterentwicklung des Begriffs zu betrachten. Sein Verständnis basiert auf einer Dichotomie von Innen- und Außenraum. Mit dem Fliessen umschreibt er den Vorgang, der schlussendlich zur Verbindung dieser beiden Pole, und zur Schaffung einer neuen Raumqualität führt, die weder Innen- noch Außenraum ist:

The building was embellished not only by the richness of the colorful marbles used but also through the succession of different space compartments. No one was closed. All led form one to the other. The space seemed to be in motion, flowing from one part to another, merging with the enclosed water court and finally with the outside space. As the inside and the outside space united, so did the rational of the structure with the irrational of the space concept, […]“[6]

Im Lauf der Zeit mehrten sich jedoch Äußerungen, die durch die stereotype Wiederholung dieser gesetzten Interpretation und Terminologie zu einer Verwischung und Entleerung des Begriffes führten. 1970, also ein Jahr nach dem Tod Mies van der Rohes, wandte sich schließlich Renato Nicolini als einer der Ersten vehement gegen die Interpretation der Raumqualität als ‚fließender Raum‘:

Lo spazio non ‚fluisce‘ ma è inteso come valore defi nito e defi nitivo – al cui interno non è possibile composizione autonoma.“[7]


Mies und der ‚fließende Raum‘

Mies selber war an der Entwicklung der Interpretation des Barcelona-Pavillons nur indirekt beteiligt: Indem er nämlich streng über die Verwendung der Bilder des Berliner Bild-Berichts wachte und nur Kopien der retuschierten Master-Abzüge zur Publikation frei gab. Die Umschreibung der Raumqualität als ‚fließend‘ stammt auf jeden Fall nicht aus seiner Feder, und es sind auch keine entsprechenden mündlichen Äußerungen bekannt.
[8]

Ludwig Mies van der Rohe wurde oft als ‚Mann der wenigen Worte‘ charakterisiert; und tatsächlich gilt das Motto ‚less is more‘ wohl auch für seine Äußerungen zur Architektur.[9] Trotzdem sind Mies‘ Schriften als Hintergrund zu den Betrachtungen des Topos des ‚fließenden Raumes‘ interessant. Er hat sich in seinen Texten nämlich immer mit den grundsätzlichen Fragen der Architektur – oder in seinen Worten: des Bauens, der Baukunst – auseinandergesetzt. Baukunst war für Mies eine existentielle Tätigkeit des Menschen, ein Ausdruck seines Selbstverständnisses in Raum und Zeit. Wenn er von den Aufgaben der Zeit sprach, so meinte er vor allem den Wohnungsbau, oder in seinen Worten ,die Probleme der Neuen Wohnung‘. Diese Probleme waren laut Mies vor allem geistiger Natur und müssten mit den ,Mitteln der Zeit‘ gelöst werden.[10] Der Skelettbau entspreche beim Bau von Mietwohnungen einerseits der Forderung nach Rationalisierung und Typisierung, und andererseits gewährleiste er die durch die steigende Differenzierung der Wohnbedürfnisse geforderte Freiheit der Benützungsart. Rationalisierung und Typisierung waren dabei für Mies nur Teilprobleme, niemals Ziel der Baukunst.[11] Zur richtigen Geltung komme der Skelettbau gemäß Mies jedoch erst durch den Einsatz von großzügigen Verglasungen.[12]

Wenn etwas aus diesen spärlichen Äußerungen Mies van der Rohes klar wird, dann vielleicht die Einschätzung, dass Raum für ihn nicht primär eine ästhetische sondern eine im wahrsten Sinne des Wortes existentielle Kategorie dargestellt hat. Die Bildung und Gestaltung des architektonischen Raumes war für ihn ein Lebensvorgang, ein Akt der menschlichen Selbstbehauptung in der modernen Welt. Die innere Befreiung des Wohnens, die Behütung des Menschen vor der Umwelt und die Einbindung des Wohnraums in die Landschaft waren bezogen auf das Wohnen – welches für Mies die eigentliche Kernaufgabe des Bauens war – die Hauptforderungen der Zeit.


Fünf Positionen aus der Zeit nach der Rekonstruktion des Barcelona-Pavillons

Fritz Neumeyer – Der 'metaphysische' Raum

Das Jubiläumsjahr 1986 war für die Auseinandersetzung mit Mies van der Rohe und seinem Werk in vielerlei Hinsicht bedeutsam: Einerseits wurde zu seinem hundertsten Geburtstag die Rekonstruktion des Barcelona-Pavillons eröffnet, andererseits erschienen wichtige Publikationen wie Fritz Neumeyers Auseinandersetzung mit der Gedankenwelt Mies van der Rohes
[13] oder Franz Schulzes Biografie.[14] Fritz Neumeyers große Leistung besteht darin, die Neigung zur Polarisierung und Simplifizierung, die die Kritiker und Verehrer in der „Krise um Mies“ verbindet, überwunden und ein differenziertes, vielschichtiges Bild des Architekten vermittelt zu haben. Er hat – zusammen mit Franz Schulze – einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, eine weniger polemische Diskussion um Leben und Werk von Ludwig Mies van der Rohe in Gang zu bringen.

Fritz Neumeyer argumentiert, dass das Jahr 1926 nach Mies van der Rohes eigenen Aussagen das entscheidende Jahr in seiner Entwicklung war. Es sei das Jahr, in dem Mies den Schritt von der Forderung nach Sachlichkeit und Zweckmäßigkeit, nach Rationalisierung und Standardisierung zu einem tieferen, künstlerischen Verständnis des ‚Bauens‘ fand.
[15] Neumeyer ortet in der eigenwilligen und prophetischen Schrift Siegfried Ebelings mit dem Titel „Der Raum als Membran“[16] einen wichtigen Einfluss auf Mies‘ Schaffen. Nach Ebeling habe der Raum des Hauses den „Charakter der Haut“ oder einer „Membran zwischen dem Menschen und dem Außenraum“. Architektur würde dadurch zu einem vermittelnden Organ, sie würde den leiblichen Menschen in den Kosmos der Welt einbetten.

Gemäß Fritz Neumeyer hatte Mies van der Rohe zu Beginn der zwanziger Jahre in einem Prozess der „Umwertung des Raumes“ die Voraussetzungen zur Verwirklichung einer neuen Raumvorstellung geschaffen.
[17] Der Raum sei von aller Symbolik entleert und der so entstandene leere, negative Raum in eine „Raum voller Räume“ verwandelt worden. Mies sah in der Aufgabe, dem neuen – modernen – Leben seinen Raum zu schaffen, die eigentliche soziale Verantwortung der Baukunst. Diese Entwicklung im Schaffen Mies van der Rohes erreicht nach der Überzeugung Fritz Neumeyers um 1930 ihre Vollendung und findet im Barcelona-Pavillon, dem Haus Tugendhat und dem Haus für die Berliner Bauausstellung ihren Höhepunkt. Die Raumqualität des Pavillons beschreibt Neumeyer als von einer komplett neuen Art: sie habe eine Wirkung, die in irritierender Weise offen und begrenzt zugleich sei, und zeige eine „membranhafte Transparenz“. Der Raum sei beschützend aber nicht abgeschlossen, habe keine eindeutigen Grenzen und sei nicht unmittelbar als Einheit fassbar. Zum ersten Mal trete der Raum als aktive Kategorie gleichwertig neben die Materie, die Struktur:

Anstelle der raumbegrenzenden Teile schien jetzt der Raum selber in Bewegung gekommen zu sein. Mies […] verwandelte den Bau in ein ineinandergreifendes Licht und Raum atmendes Gefüge, das sich der Einordnung nach herkömmlichen Kriterien entzog. Mit den alten Begriffen war diese Raumerfahrung nicht mehr zu beschreiben, mit neuen Begriffen aber, wie dem fließenden oder offenen Raum jedoch nur ungenau bezeichnet.“[18]

Die Bewegung des Raumes ist aus Neumeyers Sicht also nur scheinbar. Und so sei der Begriff ‚fließender Raum‘ auch darum ungenügend, da sich in Mies‘ Räumen eigentlich nicht der Raum bewege, sondern eher der Benutzer inspiriert würde sich durch die Räume zu bewegen. Der Barcelona-Pavillon sei ein modernes menschliches Haus, durch das der Benutzer schlendern kann, ein der Alltagswelt enthobener Raum, der für das sorglose Lustwandeln bestimmt ist. Der Raum kann eigentlich nur durch seine Durchquerung wahrgenommen werden. Diese Wahrnehmung ist laut Neumeyer für den Menschen eine existentielle Erfahrung, durch die sich hinter dem empirischen Raum ein metaphysischer Raum öffne, der schon fast eine religiöse Dimension der Welt andeute.

Der Pavillon ist für Fritz Neumeyer Zelle und Universum zugleich, ein Zentrum von Privatheit und gleichzeitig ein Raum, der sich der Außenwelt präsentiert. Ein „transparentes Mikrokosmos, das sich mit der Weite der Landschaft und des Himmels verbindet“.
[19] Die Erfahrungen, die der Mensch im idealen Raum des Barcelona-Pavillon macht, sind laut Neumeyer Wahrnehmungen des Gegensätzlichen: Begrenztheit und innere Weite, Geborgenheit und Freiheit, Statik und Dynamik, Reflektion und Kommunikation – in dieser Wahrnehmung des Gegensätzlichen identifiziert Fritz Neumeyer die moderne Lebenserfahrung schlechthin:

The experience of walking through the architecture is essential to the phenomenology of aesthetics of Mies‘ space, which gives a sense of freedom of movement within it, but also manifests an inherent feeling of inner expansiveness. In this perception of space there is something of a religious dimension for the world, […].
Traversing the architectural space was a kind of existential experience, a re-sensitization which enabled object and soul to come together. The correspondence of the interior to the exterior was what created meaning in the first place. Encountering the opposite, which was what walking through the architecture essentially represented, constituted modern existence. The uninhibited, but at the same time fleeting glance inherent to the restless modern man is just as much a part of Mies‘ architecture as the possibility of quiet reflection amid the busy doings of modern, dynamic life.“
[20]


Robin Evans – Der ‚kristalline‘ Raum

Der in den
AA-Files erschiene Artikel des britischen Architekten und Architekturhistoriker Robin Evans[21] basiert auf einem Vortrag, den dieser im April 1990 an der Architectural Association gehalten hatte. Robin Evans betrachtet den Pavillon in seinem Artikel primär als ästhetisch interessantes Phänomen. Der Barcelona-Pavillon ist für Evans in seiner Struktur und Konstruktion eher täuschend und unsinnig als systematisch und konsequent. Das Dach scheint auf den Wänden zu ruhen und nicht durch die Stützen getragen zu werden. Es könnte laut Evans jeden Augenblick davonfliegen, wenn es nicht durch die Stützen wie durch Bolzen an das Podium gebunden wäre. Decke und Podium würden dabei die Wände einklemmen:

The walls appear to rest on the podium, and the roof appears to rest on the walls. The elements are assembled, but not hold together. The columns appear to perform this task, like bolts tying the roof to the floor and clamping the walls tightly in between.This intuited structural relation between the parts is not, I would maintain, entirely imaginary […], but its relation to the truth is less significant than its coherence as a fiction.“[22]

Wenn Mies einer Logik folge, dann der Logik der Erscheinung oder noch etwas pointierter formuliert: der Logik des Scheins. Erscheinung und objektive Realität entsprechen sich nicht, die Erscheinung wird zu einer eigenen unabhängigen Realität, an der die physischen Gegebenheiten zu messen sind. Evans entdeckt hier eine eigene Rationalität des Scheins oder der Täuschung, die sicher hinter einer Irrationalität der Tatsachen versteckt oder zu ihr in Widerspruch steht, und ganz auf die Wahrnehmung ausgerichtet ist.

Laut Evans wird der Pavillon durch zwei Extreme der Sicht geprägt: Einerseits durch den Schwindel der scheinbar unendlichen Ausdehnung in die Tiefe des Raumes, andererseits durch die klaustrophobische Wirkung der zusammengepressten horizontalen Spalte. Eine horizontale Symmetrieebene befinde sich auf Grund der Raumhöhe ziemlich genau auf der Augenhöhe des Betrachters und zerschneide den Raum in zwei nahezu gleichwertige Hälften. Die Welt könne quasi auf den Kopf gestellt werden; dies erst recht wenn man bedenkt, dass die horizontale Fugenteilung und die gespiegelte Anordnung der gemaserten Steinverkleidung der Onyxwand die Äquivalenz von oben und unten noch weiter verstärken würden. Neben der Spiegelung des Pavillons an dieser horizontalen Symmetrieebene ist für ihn die Reflektivität der Materialien und Oberflächen eine wichtige Eigenschaft des Pavillons. Für Robin Evans führen diese Spiegelungen jedoch nicht automatisch zu einer Fragmentierung und Entstellung des Raums. Spiegel könnten zwar einen Zusammenhang zerstören, gerade so gut aber auch Einheit entstehen oder Verborgenes sichtbar werden lassen:

The mirror finds what is hidden. […] Reflected images in the Barcelona Pavilion work in a similar fashion: they restore a secret that has been erased from the tangible form of the building.
It must be admitted that the usual effects of reflection are disruptive and confusing. However, when a construction reflects itself more than it reflects its surroundings and where, moreover, these reflections are always into plane surfaces parallel or perpendicular to one another, the result is quite different. In such circumstances an asymmetrical arrangement becomes virtually symmetrical, like Siamese twins, whenever a reflective plane cuts through it
.“
[23]

Das Geheimnis, das durch diese Reflexionen enthüllt wird, verbirgt sich für Evans dabei nicht in den Formen oder Materialen, aus denen der Pavillon konstruiert ist. Denn beide – sowohl die Formen wie auch die Materialien – seien bloße Instrumente zur Manipulation von Licht und Tiefe. Die markantesten Eigenschaften des Pavillons führten uns weg von der körperlichen Realität des Pavillons zur Wirklichkeit seiner Wahrnehmung. Evans versteht den Barcelona-Pavillon als reine Wahrnehmungsmaschine, die die menschliche Wahrnehmung durch vielfältige Täuschungen befragen, herausfordern und schärfen will. Er wertet die Realität der Wahrnehmung, oder genauer gesagt die Beziehung zwischen ihr und der physischen Realität, höher als die ‚physische‘ Realität des Barcelona-Pavillons. Das Objekt wird zum reinen Instrument, zur Maschine.

By virtue of its optical properties, and of its disembodied physicality, the pavilion draws us away from consciousness of it as a thing, and draws us towards consciousness of the way we see it. Sensation, forced into the foreground, pushes consciousness into apperception. The pavilion is a perfect vehicle for what Kant calls aesthetic judgement, where consciousness of our own perception dominates all other forms of interest and intelligence.“[24]

Robin Evans erwähnt weder den Begriff des fließenden Raumes, noch nimmt er irgendwie Bezug zu einem Konzept der Bewegung – sei es nun des Raumes oder des Betrachters. Die von Evans selber gemachten Fotografien des Barcelona-Pavillons vermitteln denn auch den Eindruck eines durch Spiegelungen verfestigten Raums, der für den Betrachter gar nicht zugänglich sein muss. Für Evans stellt der Barcelona-Pavillon sozusagen ein Kaleidoskop dar, und ähnlich einem Kaleidoskop sind sowohl der Bau als körperliche Realität als auch sein innerer Raum eigentlich unwichtig. Der Innenraum des Kaleidoskops explodiert zwar durch die Multiplikation der Spiegelungen ins Unendliche und die Spiegelungen entwickeln einen umheimlichen Sog in die Tiefe des Raumes. Der Innenraum als solcher bewegt sich jedoch nicht, er ‚fließt‘ nicht. Viel eher ist es so, dass er durch die unendlichen Refraktionen gewissermaßen in einer inneren Logik des Scheins kristallisiert ist.


Caroline Constant – Der ‚flüchtige‘ Raum

In der auf den Artikel von Evans folgenden Ausgabe der Zeitschrift
AA-Files erschien der Artikel der Architektin und Architekturhistorikerin Caroline Constant.[25] Die unmittelbare zeitliche Nachbarschaft, sowie der Dank von Evans an Constant, den dieser in seinem Artikel äußert, legen einen unmittelbaren Bezug dieser beiden Artikel nahe. Constant schlägt vor, den Barcelona-Pavillon als Landschaft zu verstehen. Die damit verbundene Absicht, auf Mies van der Rohes Verbindung zum Pittoresken hinzuweisen, erscheint ihr subversiv: werde doch Mies eher mit ‚modernen‘ Begriffen wie Rationalismus, Realismus und Ablehnung von Formalismen in Verbindung gebracht als mit emotionalem Zugang, formalem Eklektizismus und trickreichen Kunstgriffen.

Das ‚Pittoreske‘ ist laut Constant das wichtigste Prinzip des englischen Landschaftsgartens. Es hat als Begriff seinen Ursprung in der Landschaftsmalerei des beginnenden 18. Jahrhunderts und ist eigentlich ein widersprüchliches Konzept: einerseits waren damit die ästhetische Qualitäten des Irregulären, Ungeschliffenen oder Komplexen gemeint, andererseits aber auch die psychologischen Effekte, die im sich bewegenden Betrachter ausgelöst wurden. Caroline Constant selber verbindet das Pittoreske jedoch nicht mit den ästhetischen Qualitäten, sie betont vielmehr die Tatsache, dass die Bedeutung der pittoresken Landschaft von der Interpretation der individuellen Imagination abhängig ist. Wesentlich für das Konzept des Pittoresken ist die Herstellung einer ästhetischen Distanz des Objektes zum Betrachter. Die Landschaft soll als Bild wahrgenommen werden.
[26] Das Pittoreske ist für Constant der Schlüssel zum Verständnis des Barcelona-Pavillons als Landschaft. Nicht eine a priori formale Logik oder die Repräsentation einer externen Realität vermittle im Barcelona-Pavillon Bedeutung, sondern die sinnliche und zeitliche Erfahrung während des Durchschreitens des Raumes. In Analogie zum Englischen Landschaftsgarten erhält der Pavillon darum seine Bedeutung in der Wahrnehmung des Rundganges, und nicht durch seinen Status als Objekt, den Mies laut Constant sogar bewusst untergräbt. Vielmehr sei der Pavillon eine Montage widersprüchlicher Tatsachen, ohne Fassade und ohne eindeutige Grenzen zwischen Innen und Außen. Der Pavillon werde zwar durch die Gegebenheiten der Situation bestimmt, distanziert sich jedoch zugleich von Bedingungen des Kontextes:

The Pavilion arises from the particular circumstances of the site, yet distances itself from the classical conditions of its context. It is both a critical reinterpretation of its worldly situation and an affirmation of reality. Irreducibly architectural, the Pavilion was a vehicle for Mies to dismantle the dialectic opposition of the city and the country and to recompose a continuum conceived in terms of landscape.“[27]

In der räumlichen Sequenz des Barcelona-Pavillons seien die Wände die primären Mittel zur Schaffung und Kontrolle eines bildhaften Ablaufes. Das Podium und die Stützen würden oft als klassische Elemente interpretiert, seien jedoch nirgends als Einheit erfassbar. Caroline Constant identifiziert zwei Elemente mit paradoxen Wirkungen: Wasser und Glas. Das Wasser sei für Mies ein Element wie Marmor oder Chromstahl. Sie entdeckt es an zwei Orten mit unterschiedlichen Wirkungen: Einerseits im hellen, äußeren Pool, wo es den Himmel reflektiert, andererseits im dunklen, inneren Pool, wo es die Illusion von unergründlicher Tiefe erweckt. Glas werde von Mies nicht nur als transparentes Medium, sondern auch in unterschiedlicher Farbigkeit und Transparenz verwendet, um den Raum zu formen.[28]

„In its silence Mies‘s architecture is cacophonous. The Pavilion is a montage of independent systems: travertine slab and plaster ceiling, chromium columns and marble partitions […], together with various tints of glass […], all colliding visually in the polished, reflective surfaces. The precision of the materials contrasts with their perceptual instability. […], the reflective surfaces of Mies‘s Pavilion simulate the temporal flux of nature.“[29]

Caroline Constant nimmt keinen Bezug zum Begriff des fließenden Raumes. Wesentlich für ihr Verständnis des Barcelona-Pavillons ist jedoch die Kontinuität zischen Umgebung und Architektur. Dieses Kontinuum wird durch das verbindende Prinzip der Landschaft erreicht, für welches die Wahrnehmung des sich bewegenden Betrachters wichtig ist. Obwohl Constant auf Mies‘ Absicht hinweist, „Natur, Mensch und Architektur in einer höheren Einheit zusammen zu bringen“, scheint ihr Verständnis dieser Bewegung nicht so stark mit einer metaphysischen Bedeutung aufgeladen zu sein, wie dasjenige von Fritz Neumeyer. Während der Betrachter in dessen Argumentation ganz im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen scheint, nimmt er bei Caroline Constant eine vergängliche Rolle ein: Der Raum des Barcelona-Pavillons ist flüchtig, er löst sich zur Umgebung hin auf. In dieser Instabilität widersetze sich der Pavillon der Inbesitznahme durch den Menschen; die Reflexionen absorbieren die menschliche Präsenz und stellen die Substanz des eigenen Körpers in Frage.[30] Auch die Konzeption des Pavillons als Weg in der Landschaft stellt ein Bleiben des Betrachters in Frage. Dieser flüchtige Raum hat laut Constant einen vergleichbaren absoluten Status wie die Natur erreicht und wird den Menschen überdauern: die Architektur wird so zu einer zweiten Natur. Mies Verständnis der Natur war laut Constant abhängig vom Menschen, sie existierte für ihn nur in der fernen Interpretation durch den Menschen. Und über diese Idee der Natur als fernes Bild kehrt Mies in der Auffassung von Caroline Constant zu einer pittoresken Behandlung der Natur zurück.[31]


Josep Quetglas – Der ‚erstarrte‘ Raum

Der Artikel des spanischen Architekturhistorikers Josep Quetglas wird 1988 in einer ersten Version in einer Aufsatzsammlung mit dem Titel „Architectureproduction“ veröffentlicht, bevor er 2001 – erweitert zu einem Buch – in einer deutschen und englischen Version erscheint.
[32] Das Buch ist analog einer tragischen Aufführung aufgebaut: aus drei Akten mit je drei Szenen. Quetglas offeriert neue und bereichernde Sichtweisen auf den Barcelona-Pavillon, er bringt seine persönlichen Wahrnehmungen ins Spiel und stellt unkonventionelle Überlegungen an. Oft argumentiert er jedoch provokativ und nur schwer nachvollziehbar, er belässt viele Punkte seiner Argumentation im Unausgesprochenen, bloß Angedeuteten, ja sogar Widersprüchlichen.

Quetglas vergleicht den Barcelona-Pavillon in seinem Text mit einem dorischen Tempel. Er betont bei der Verwendung dieses Bildes jedoch nicht den Aspekt der klassischen Ordnung oder der syntaktisch organisierten Form, sondern sieht im dorischen Tempel eher das Haus, das seinen Besucher ausschließt. Die dem vorgelagerte Reihe der acht ionischen Säulen
[33] und der Sockel sind laut Quetglas die beiden Elemente, die den Bau aus der Umgebung herauslösen und den Besucher ausschließen. Der dadurch erreichte szenische Charakter der Situation darf laut Quetglas nicht unterschätzt werden. Die acht ionischen Säulen stellen für ihn eine lebende Mauer dar, eine Mauer aus Personen oder – um die Verbindung zur Griechischen Tragödie herzustellen – die Mauer des Chors. Der Pavillon wird so für Quetglas nicht bloß zur Theaterdekoration, sondern zu einer Theateraufführung: jedoch keine atmosphärische Inszenierung, sondern ein versteinertes, tragisches Werk. Denn der Besucher des Pavillons würde in dieser Aufführung eine ganz besondere Rolle einnehmen:

Der Besucher, der die andere Seite der Säulenreihe erreicht – der sich also in das Geschehen hinter dem Chor, in die Handlung, in das Drama einreiht – wird zum Teil der Aufführung, ohne dabei jedoch seine Eigenschaft als Zuschauer zu verlieren. Er ist eine Figur, deren Rolle vor allem darin besteht, seine eigene Spiegelung in dem virtuellen Spiegel, den das Theater darstellt, zu betrachten. […] Er blickt hinein und sieht sich selbst auf der anderen Seite des Glases im Inneren des Pavillons, widergespiegelt vom dunklen Glas vor dem Himmel und den von Bäumen umgebenen Wolken. […] Denjenigen, der die Stufen hinaufsteigt und der ins Innere des Pavillons, auf die andere Seite der Glaswand blickt, wird das, was er sieht, nicht beruhigen: Im Pavillon ist er selbst, aber er befindet sich außerhalb. Hat der Pavillon kein Inneres? Ist das Innere des Pavillons ein Äußeres?[34]

Quetglas wendet sich dezidiert gegen eine Qualifizierung der Raumqualität als ‚fließend‘. Tatsächlich ist der Raum des Pavillons seiner Meinung trotz der fehlenden Begrenzungen geschlossen und wird durch horizontale, vom Boden mehr oder weniger abgehobenen Flächen – den Sockel und die Deckenplatte – scharf vom umgebenden Raum abgegrenzt. Ein weiteres wichtiges Element für die Raumqualität des Barcelona-Pavillons sind laut Josep Quetglas die Stützen. Ihr kreuzförmiger Querschnitt mache sie zu Maschinen einer Aufteilung des Raumes. Im Gegensatz zu Stützen mit einem runden Querschnitt, um die sich der Raum bewegen würde, werde durch die Verlängerungen der vier Flächen der kreuzförmigen Stützen der Raum durchschnitten. Die Folge dieser besonderen Konstellation sei die, dass der Besucher bei der Durchquerung des Barcelona-Pavillons von Raumbehälter zu Raumbehälter schreite. Diese Sichtweise hat zur Folge, dass der Raum des Barcelona-Pavillons in seiner Interpretation weder im Verhältnis zwischen Innen- und Außenraum, noch bezogen auf die Bewegung innerhalb des Pavillons fließt:

Was ist es, das sich im Projekt von Mies entwickelt, fließt und sich nach außen ergießt? Der Raum? Im Gegenteil. Das, was wächst, sind die Mauern, also das genaue Gegenteil des Raums. Bei Mies sind die Räume, wenn sie einmal ihre Form gefunden haben, genau definiert, statisch und begrenzt, sie stehen in Kontakt untereinander, ohne einander jedoch anzustecken. Nur das, was nicht Raum oder negativer Raum ist, in den wir niemals vor dringen können, der uns verwehrt ist – das heißt die Dichte der Wand – zeigt seine Fähigkeit zur Entfaltung, zur organischen Verschmelzung mit den Kraftlinien der Außenwelt.“[35]

Neben den herkömmlichen Materialien wie Naturstein, Glas, Metall und Gips zählt Quetglas auch das Wasser der Pools und das Tuch der großen Fahnen explizit zu den Materialien, aus denen der Pavillon besteht. Das Wasser ist für ihn sogar das wichtigste aller beim Bau verwendeter Materialien. Dies weil es einen geriffelten Schauer des Lichtes an die Decke des Pavillons werfe und so ein Kreisen der Reflexe in Bewegung versetze.

Ohne das Wasser und die Fahnen wäre der Effekt der Spiegelungen längst nicht so groß. Viel Glanz, gewiss, aber dieser wäre statisch. Es würde genügen, dass der Betrachter still stände, damit er innerhalb kurzer Zeit feststellen könnte, wo er steht und woher jede Spiegelung stammt. Die Gegenwart der beiden Mobilisatoren nimmt dem Betrachter diese Möglichkeit. Sein Weg führt ihn durch Landschaften von unendlicher Tiefe – die Maserung des Steins und seine Reflexe, die Durchsichtigkeit des Glases und dessen Reflexe, aus denen jeglicher Bezug zu einem Ursprung oder einer konstruktiven Ordnung verschwunden ist.“[36]

Mit diesen Spiegelungen lassen sich jedoch laut Quetglas nur virtuelle Landschaften bauen. Die Spiegelungen würden durch eine „nicht zu bremsende osmotische Strömung“ jede Figur vor dem Spiegel aufsaugen. Die Spiegel würden den Raum entleeren, ausdörren und sämtliches Interesse auf die andere, nie erreichbare, virtuelle Seite des Spiegels lenken.

Der Besucher hat den Pavillon betreten. Er findet ein leeres Haus vor – leer durch jene osmotischen Effekt, den Rilke in den Spiegeln erkannt hatte, durch die alles, was in einem Innenraum von Wert ist, auf die andere Seite des Spiegels übergeht; leer aber auch, weil es unbewohnt ist. Es ist ein Haus ohne Herr. Wer durch das Innere des Hauses schlendert, erfährt dieselbe Verarmung wie alles andere Anwesende: Seine Werte dringen in die Gläser und Wände ein, verschmelzen mit den Reflexen, den Äderungen, den unendlichen Färbungen, dem Glanz der anderen Seite des Spiegels.“[37]

Diese Metapher eines osmotischen Effektes, der den Raum entleert, erinnert vom Begriff her stark an Siegfried Ebelings Verständnis des Raumes als Membran, das laut Fritz Neumeyer einen so grossen Einfluss auf Mies ausgeübt haben soll. Während Ebeling jedoch die Osmose als Prinzip zur Organisation des Lebens versteht, so wendet Quetglas dieses Bild ins Negative: Der osmotische Effekt der Spieglungen lässt den Raum des Barcelona-Pavillons zur für den Menschen unzugänglichen Substanz erstarren. Josep Quetglas zeigt uns den erstarrten Raum des Barcelona-Pavillons als absolutes Gegenbild zu einem offenen und ‚fließenden‘, dem Leben zugewandten Raum.


Toyo Ito – Der ‚flüssige‘ Raum

Der Artikel von Toyo Ito erscheint 1997 in einer Ausgabe der Zeitschrift
2G mit dem Titel „Toyo Ito: Section 1997“, in der Werke und Projekte des japanischen Architekten vorgestellt werden.[38] Itos Text befasst sich neben dem Barcelona-Pavillon auch mit dem Projekt für die Sendai Mediatheque und der Beziehung des Menschen zur Natur und den neuen Medien. Es handelt sich weniger um eine wissenschaftliche Untersuchung zur Raumqualität als um eine sehr persönliche Auseinandersetzung und eine Reflexion von Erfahrungen,[39] die für ihn als Architekt von Bedeutung sind. Ito schließt an die Tradition der Beschreibung der Raumqualität des Barcelona-Pavillons als ‚fließender Raum‘ an, treibt sie jedoch weiter, in dem er das Bild des ‚Fliessens‘ als ungenügend beurteilt und stattdessen die Begriffe wie ‚fluidity‘, ‚fluid‘ und ‚liquid‘ verwendet:

Everything – glass, stone and metal – appears to fuse and flow out into the space. These interact and create an atmosphere of eroticism within the space by their reverberation with the nearby surface of water. The sensation created by the space is not the lightness of flowing air but the thickness of molten liquid. […] The space composed of glass is given no distinct structure but stands like a pillar made of ice, beginning to melt in the air.“[40]

Und weiter:

„ […] the transparency of the Barcelona Pavilion is not that of clear air. It feels as if we are deep in water looking at things, and may well be described as translucent. The infinite fluidity in the pavilion must arise from this translucent liquid-like space. What we experience here is not the flow of air but the sense of wandering and drifting gently underwater. This very sensation makes the space distinct and unique.“[41]

Dieses Gefühl des Schwebens unter Wasser – das Verständnis des Wassers als Element der Natur und somit des Lebens überhaupt – ist wesentlich für Itos Philosophie. Er argumentiert, dass der menschliche Körper zu einem großen Teil aus Wasser bestehe und mittels dieses Wassers auch mit der Welt verbunden sei. Ito unterscheidet zwischen einem realen, gelebten Körper des Menschen, oder anders gesagt dem Leib, mit dem wir uns in die Natur und in die Gesellschaft einfügen und einem anderen, virtuellen Körper, der losgelöst von jedem Ort und unbegrenzt von Zeit und Raum nach einem vollkommen transparenten und homogenen Raum im euklidischen Sinn strebt:

Der ‚Körper der elektronischen Moderne‘ fordert einen Raum, der noch unabhängiger ist, als der, den die ‚mechanische Moderne‘ bereitstellte. Die elektronische Adresse hat, auch wenn sie sich Adresse nennt, keine räumliche Dimension. Daher können wir den Raum, den sie bezeichnet, auch nicht sehen. Er ist also noch transparenter und homogener als der Raum, den der ‚Körper der mechanischen Moderne‘ verlangt hatte. Der neue Körper übersteigt also die rigorose Transparenz und Homogenität der klassischen Moderne: er verlangt nach ‚einer anderen, nicht sichtbaren Stadt‘. Demnach wohnen wir in zwei völlig getrennt voneinander existierenden Städten: Einer Stadt, der sich der lebende Körper anpasst und einer, nach der sich der Körper sehnt, der durch das elektronische Netz erweitert ist. […] Wenn es ein Wort gibt, das eine Brücke zwischen den beiden Städten schlagen kann, so ist es für mich der Begriff des Fliessens.“[42]

Toyo Ito stellt sich den durch diesen neuen Körper erweiterten Raum als „Überschneidung der Ebenen des unendlich ausgedehnten, homogenen und transparenten Raumes und der fließenden Natur“ vor. Den homogenen Raum sieht er als dreidimensionales kartesianisches Raster, die Ebene der fließenden Natur dagegen als kontinuierliche, gebogene Linien oder Flächen – ähnlich Höhenlinien des Geländes oder Isobaren einer Wetterkarte . Die Verbindung zwischen diesen Strukturen bezeichnet er als ‚Fliessen‘; den Zustand der möglichen Beziehung würde er wohl als ‚flüssig‘ umschreiben. Ito nennt Räume mit diesem flüssigem Charakter ‚Blurring Architecture‘ und versteht sie als Weiterentwicklung der Moderne, als „das gedankliche Bild einer Architektur, die noch keine feste Formen angenommen hat“:

Mit der künstlichen Umgebung als Grundlage muss es unser Ziel sein, wieder auf die Natur zu reagieren und die Elemente (Licht, Wasser, Wind, usw.) aufzunehmen. Das impliziert eine flexible Grenze, die sensibel auf die Natur reagiert. Wir müssen eine Architektur mit Grenzen entwerfen, die wie die menschliche Haut als Sensor fungiert und auf Informationen reagiert, die von diesem Sensor erfasst werden. Dies wäre eine Architektur, die den Austausch von künstlicher und natürlicher Umwelt zulässt und dem neuen Körper eine neue Behaglichkeit garantiert.“[43]

Ito versteht die Architektur also auch als Erweiterung der Funktionen der menschlichen Haut: sie kontrolliert Energieflüsse, beschützt den menschlichen Körper vor den Einflüssen der Außenwelt und verbindet den Menschen mit der Welt und den elektronischen Medien. Entsprechend der Wichtigkeit ihrer Funktion als Membran soll sie sensitiv und empfindsam sein.[44] Diese Auffassung der Architektur als Mittlerin zwischen dem Menschen und seiner Umwelt, oder anders gesagt das Verständnis des architektonischen Raums als von den Bedürfnissen des Menschen bestimmte Membran, erinnert sehr stark Siegfried Ebelings Ideen. Ebeling, Mies und Ito verstehen Architektur als organisch-biologisches Bauen, den architektonischen Raum als „Membran zwischen dem Menschen und dem Außenraum“, wobei Toyo Ito in seinem Verständnis soweit geht, dass er die Biologie des menschlichen Körpers um einen virtuellen, elektronischen Körper erweitert.

Wenn Toyo Ito vom fluiden Charakter der Raumqualität des Barcelona-Pavillons schreibt, so handelt es sich dabei nicht einfach um einen anderen Ausdruck für den Begriff des fließenden Raumes. Ito legt den Schwerpunkt ganz klar auf den flüssigen Zustand des Raumes und nicht auf die Aktivität des Fliessens, eine Bewegung des Raumes oder des Betrachters. Die von ihm gewählte Metapher des Flüssigen beschreibt viel eher den Zustand möglicher Bewegungen unter Wasser. Der Mensch ist in dieser Sicht weniger ein aktiv den Raum Benutzender und Explorierender als ein ruhend den Raum Wahrnehmender. Ito illustriert seinen Artikel denn auch mit Fotografien von Korallen und Seeanemonen, also Unterwasserorganismen, die sich nicht aktiv – und mehr oder weniger selbstbestimmt – durch das Wasser bewegen: sondern sich an Ort vom Wasser bewegen lassen.

Pliant and flexible structures best withstand the flow or pressure of the water. It is better to be receptive to and let oneself go with the forces than resist them. Thus, aqueous fauna and flora sway and dance gracefully.“[45]


Eine Metamorphose der Interpretation

Ein Beitrag über die Interpretation der Raumqualität des Barcelona-Pavillons kann nicht geschrieben werden ohne Verweis auf die Arbeiten von Juan Pablo Bonta,
[46] der anhand des Barcelona-Pavillons die Entwicklung eines phasenweisen Ablaufs der Interpretation von Architektur postuliert hat. Die einzelnen Schritte dieses dialektischen Prozesses führen laut Bonta dabei zu einer abschließenden Interpretation. Eine Eigenschaft, die diese kanonische Interpretation dem Barcelona-Pavillon unter anderen zuschreibe, sei die ‚fließende‘ Charakteristik der Raumqualität. Diese allgemein anerkannte Interpretation bliebe jedoch nicht unverändert gültig, sondern werde selber wieder zum Gegenstand der Neuinterpretation.[47]

Juan Pablo Bonta kann jedoch zum Zeitpunkt der Publikation seiner Betrachtungen noch nicht ahnen, wie stark die Rekonstruktion und die damit wieder ermöglichte konkrete Raumerfahrung eine neue, lebhafte und äußerst differenzierte Interpretation des Barcelona-Pavillons und seiner Raumqualität fördern würde. Die Rekonstruktion aus dem Jahr 1986 war ohne Zweifel ein wichtiger Katalysator, der eine erneute Auseinandersetzung mit der physischen Realität des Bauwerks, mit seiner Raumqualität und deren Wahrnehmung in Gang brachte. So gingen die fünf Autorinnen und Autoren der in diesem Artikel besprochenen Texte denn auch explizit aus von ihrer leiblichen Anwesenheit im Raum und den sinnlichen Erfahrungen, die sie dabei machten. Dass sie dabei zu sehr unterschiedlichen Interpretationen gelangten, erstaunt nicht.

Bemerkenswert ist hingegen die Tatsache, dass sich ihre Charakterisierungen der Raumqualität des Barcelona-Pavillons analog zu unterschiedlichen Aggregatzuständen verstehen lassen. Diese Gemeinsamkeit kann ein Hinweis sein auf eine Bezugnahme der Positionen untereinander, auf jeden Fall aber lädt sie uns dazu ein, die Texte nicht nur als isolierte Versuche der Festschreibung einer Raumqualität zu betrachten, sondern sie als Teile eines Prozesses zu verstehen, der schließlich zu einem offenen, diskursiven Verständnis der Interpretation von Raumqualität führt. Für diese Art des Nachdenkens über Raum sind die verschiedenen Möglichkeiten der Wahrnehmung von Raumqualität zentral:

Über die Effekte, die wiederum Affekte produzieren, soll die Architektur unmittelbar und nicht über den Umweg der Sinndeutung wirken. Damit ist natürlich ein ganzer Bündel architektonischer Mittel bereits impliziert: Materialität, Performanz, Körperwahrnehmung, Taktilität, Stimmung, Sinnlichkeit, Sensibilität und nicht zuletzt Atmosphäre.“[48]

Dieses Verständnis distanziert sich von einer festschreibenden Sichtweise auf das Phänomen Raum. Es vermittelt einen anderen, leiblich-sinnlichen Zugang zur Raumqualität und ist dabei gleichzeitig gerichtet, offen und diffus.[49] Durch diese Betonung der Wichtigkeit des ästhetischen Erlebens wird die Wirkung von Architektur auf den Menschen wieder vermehrt in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt:

Der Raum war schon immer ein Thema der Architektur. Doch heute, jenseits der Moderne, zeichnet sich ab, dass die Architektur den Raum in einer anderen umfassenderen Weise thematisiert, indem sie nämlich die Erzeugung von Atmosphären zu ihrem zentralen Anliegen macht. […]“[50]
 

‚Fließender Raum‘

Diese Betonung der Bedeutung der leiblichen Wahrnehmung führt zu einer Diversifizierung und Bereicherung der vormals so konventionalisierten und erstarrten Interpretationen. Der Topos des ‚fließenden Raums‘ wurde komplexer und vielfältiger, aber auch widersprüchlicher. So dass man sich nun fragen kann, wie tauglich der Begriff ‚fließender Raum‘ in Bezug auf die Interpretation der Raumqualität des Barcelona-Pavillons heute noch ist. Als Qualifizierung einer spezifischen Raumqualität hat er sich in Widersprüchen aufgelöst, er scheint lediglich zur Klassifizierung einer vergangenen Art der Betrachtung des räumlichen Phänomens ‚Barcelona-Pavillons‘ noch eine gewisse Legitimität zu haben. Die Suche nach einem neuen Begriff ist jedoch wahrscheinlich schwierig; und falls sie überhaupt erfolgreich wäre, so hieße das noch lange nicht, dass dieser neue Begriff besser wäre. Denn ein Begriff wird doch erst durch die Bedeutungen festgelegt, die ihm durch die Vielfalt seiner Verwendung, in der Gegenwart und in der Vergangenheit gegeben werden. Und so würde jeder Begriff, den wir neu zur Umschreibung der Raumqualität des Barcelona-Pavillons verwenden würden, den Komplex der zum Teil widersprüchlichen Interpretationen nicht weitertragen. Zudem würde eine zentrale Referenzlinie der Entwicklungen und Auseinandersetzungen in der Architekturtheorie der letzten 80 Jahre, als welche der Begriff des ‚fließenden Raums‘ auch verstanden werden kann, unterbrochen.

Bleiben wir also beim Begriff ‚fließender Raum‘ aber denken wir ihn weit, offen, komplex, wandelbar – eben fließend. Und vor allem beschränken wir ihn nicht auf stilistische oder formale Merkmale, denn ‚fließen‘ ist eigentlich keine Frage der Form, sondern der Wahrnehmung; subjektive Wahrnehmung nämlich, die zwar immer gerichtet ist durch das Objekt der Wahrnehmung, dabei aber Optionen und Ambivalenzen zulässt, die sie vielschichtig, komplex und reich machen. Vielleicht ist eine minimale Anpassung in der Schreibweise des Begriffes hilfreich, um uns diese Öffnung in seiner Bedeutung bewusst zu machen. Betonen wir mit dem Wechsel von ‚fließender Raum‘ zu ‚Fliessender Raum‘ die Abkehr vom Versuch einer endgültigen Interpretation der Raumqualität des Barcelona-Pavillons und die Hinwendung zu ihrem Verständnis als „individuelle, mehrdeutige und synästhetische Rezeptionsmöglichkeit, die die Wahrnehmung und Vorstellungswelt des Betrachters mit einbezieht.“
[51] Durch diese Überlegungen wandelt sich der ‚Barcelona-Pavillon‘ vor unseren Augen von der erstarrten Ikone der Modernen Architekturgeschichte zu einem äußerst lebendigen Modell einer ambivalenten Raumkonstruktion, die die Modalitäten der leiblichen Wahrnehmung berücksichtigt und so einen differenzierten, nie abgeschlossenen Interpretationsprozess in Gang gesetzt hat.


 


 

Im Text erwähnte Quellen / Literatur:

 

Äußerungen von Mies:

Mies 1924: Mies van der Rohe, Ludwig, „Vortrag“, in: Neumeyer 1986, 1924, Datum des Vortrages nicht bekannt, Manuskript vom 19. Juni 1924, S. 308-309

Mies 1927a: Mies van der Rohe, Ludwig, „Vorwort zum amtlichen Katalog der Stuttgarter Werkbund-Ausstellung ,Die Wohnung’“, in: Neumeyer 1986, 1927, S. 319

Mies 1927b: Mies van der Rohe, Ludwig, „Zu meinem Block“, hrsg. v. Deutschen Werkbund, Stuttgart 1927, in: Bau und Wohnung, 1927, S. 77. Siehe auch Neumeyer 1986, S. 321

Mies 1933: Mies van der Rohe, Ludwig, „Was wäre Beton, was Stahl ohne Spiegelglas?“, in: Neumeyer 1986, 1933, Prospektbeitrag vom 13. März 1933, nicht erschienen, S. 378

Mies 1943: Mies van der Rohe, Ludwig, „Museum für eine kleine Stadt“, in: Architectural Forum, Jg. 78, 1943, S. 84-85. Siehe auch Neumeyer 1986, S. 385-386

 

Texte zum Barcelona-Pavillon:

Bonta 1975: Bonta, Juan Pablo, An Anatomy of Architectural Interpretation: A Semiotic Review of the Criticism of Mies van der Rohe’s Barcelona Pavilion, Barcelona: Gustavo Gili, 1975

Constant 1990: Constant, Caroline, „The Barcelona Pavilion as Landscape Architecture: Modernity and the Picturesque“, in: AA Files, Bd. 20, Autumn 1990, S. 46-54

Dodds 2005: Dodds, George, Building Desire: On the Barcelona Pavilion, New York: Routledge, 2005

Evans 1990: Evans, Robin, „Mies van der Rohe’s Paradoxical Symmetries“, in: AA Files, Bd. 19, Spring 1990, S. 56-68

Futagawa 1995: Futagawa, Yukio (Hrsg.), Global Architecture: Mies van der Rohe - Barcelona Pavilion and Tugendhat House, Tokyo: A.D.A. Edita, 1995

Ito 1997: Ito, Toyo, „Tarzans in the Media Forest“, in: 2G, Nr. 2, Januar 1997, S.121-144

Koolhaas 1986: Koolhaas, Rem, „Die Entdeckung des Barcelona-Pavillons: ein modernes Märchen erzählt vom Office for Metropolitan Architecture (OMA)“, in: Bauwelt, V. 77, Nr. 11, 14. März 1986, S. 352-353

Koolhaas 1995: Koolhaas, Rem, „Less is More“, in: S, M, L, XL, Rem Koolhaas und Bruce Mau, Rotterdam: 010 Publishers, 1995, S. 46-61

Neumeyer 1995: Neumeyer, Fritz, „Barcelona Pavilion and Tugendhat House: Spaces of the Century“, in: Global Architecture: Mies van der Rohe - Barcelona Pavilion and Tugendhat House, hrsg. von Yukio Futagawa, Tokyo: A.D.A. Edita, 1995

Quetglas 1988/2001: Quetglas, Josep, Der Gläserne Schrecken: Mies van der Rohes Pavillon in Barcelona, Barcelona: Actar und Basel-Boston-Berlin: Birkhäuser Verlag, 2001. In einer ersten Version erschienen in: Ockman, Joan (Hrsg.), Architectureproduction, New York: Princeton Architectural Press, 1988, S. 122-152

 

Texte zu Mies van der Rohe:

Hilberseimer 1956: Hilberseimer, Ludwig Mies van der Rohe, Chicago: Paul Theobald and Company, 1956

Johnson 1947: Johnson, Philip C., Mies van der Rohe, New York: Museum of Modern Art, 1947

Neumeyer 1986: Neumeyer, Fritz, Mies van der Rohe: Das kunstlose Wort - Gedanken zur Baukunst, Berlin: Siedler Verlag, 1986

Nicolini 1970: Nicolini, Renato, „Mies, l’epilogo“, in: Controspazio, Nr. 4-5, April-Mai 1970, S. 92-95

Schulze 1986: Schulze, Franz, Mies van der Rohe: Leben und Werk, Berlin: Ernst & Sohn, 1986

 

Allgemeine Texte:

Böhme 2006: Böhme, Gernot, „Architektur und Atmosphäre“, in Arch+ (Die Produktion von Präsenz), Nr. 178, Juni 2006, S. 42-45

Bonta 1979/1982: Bonta, Juan Pablo, Über Interpretation von Architektur – Vom Auf und Ab der Formen und die Rolle der Kritik, Berlin: Archibook, 1982. Englische Originalausgabe: Architecture and its interpretation: a study of expressive systems in architecture, London: Humphries, 1979

Ebeling 1926: Ebeling, Siegfried, Der Raum als Membran, Dessau: Bauhaus, 1926

Fischer 2005: Fischer, Ole W., „Critical, Post-Critical, Projective?“, in: Arch+ (OMA Pro-jekte), Nr. 174, Dezember 2005, S. 92-97

Ito 1999: Ito, Toyo, „Blurring Architecture“, in: Toyo Ito: Blurring Architecture, hrsg. von Ulrich Schneider, Milano: electa, 1999

Kuhnert / Ngo 2006: Kuhnert, Nikolaus und Ngo, Anh-Linh, „Die Produktion von Präsenz: Potenziale des Atmosphärischen“, in: Arch+ (Die Produktion von Präsenz), Nr. 178, Juni 2006, S. 22-25

Riezler 1930: Riezler, Walter, „Das neue Raumgefühl in bildender Kunst und Musik“, in: Vierter Kongress für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, Hamburg, 7.-9.10.1930, Beilageheft zur Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, Nr. 1931, S. 179-216

 


 

Anmerkungen:

 

[1] Diese Umschreibungen der Raumqualität des Barcelona-Pavillons sind aus den fünf, in diesem Artikel besprochenen Texten zusammengestellt – alle Texte stammen aus der Zeit nach der Rekonstruktion.

[2] Die Bilder des Berliner Bild-Berichts (16 Abzüge von 14 Fotografien, deren Glas-Negative verschollen sind) stellen seit 1929 die einzigen Dokumente des Original-Pavillons dar. Bis zum Tod Mies van der Rohes befanden sich in dessen Besitz. George Dodds hat sich in einer äußerst interessanten Publikation mit der Wirkung und Bedeutung dieser Bilder auseinandergesetzt. (Siehe Dodds 2005)

[3] Rem Koolhaas und OMA zeigten 1986 an der Triennale in Mailand eine eigenwillige, auf Grund der gegebenen Raumverhältnisse gekrümmte Rekonstruktion des Barcelona Pavillons und erzählten die eigens für diesen Anlass recherchierte Odyssee, die der Pavillons nach seinem Abbruch erlebt haben soll. (Siehe Koolhaas 1986 und Koolhaas 1995, S. 46-61)

[4] Riezler 1930, S. 202.

[5] Johnson 1947. S. 30.

[6] Hilberseimer 1956. S. 42.

[7] Nicolini 1970, S. 95.

[8] Mies hat sich nur bei zwei Projekten konkret zu ihrer Raumqualität geäußert: zum Landhaus in Backstein (1924) und zum Museum für eine kleine Stadt (1942):
Zum Landhaus bemerkte Mies, dass „das bisher übliche Prinzip der Raumumschließung verlassen und statt einer Reihe von Einzelräumen eine Folge von Raumwirkungen angestrebt“ habe. Weiter führt er aus, dass die Wand ihren abschließenden Charakter verliert und der Gliederung des Hausorganismus dient. (Mies van der Rohe 1924)
Das Projekt eines Museums für eine kleine Stadt, zeichnete sich seiner Meinung nach dadurch aus, dass ein Garten zwischen Kunstwerk und Lebensumwelt vermittelt. Eine offene Raumgestaltung vor dem Hintergrund der umgebenden Landschaft führe zu einem „behütenden und nicht umschließenden Raum.“ (Mies van der Rohe 1943)

[9] Zur Spärlichkeit seiner Aussagen kommt erschwerend die Offenheit hinzu, die seine Schriften oft kennzeichnet. Diese Knappheit der Sprache birgt laut Fritz Neumeyer auch die Gefahr der spekulativen Interpretation. (Neumeyer 1986, S. 23-24)

[10] Mies van der Rohe 1927a.

[11] Mies van der Rohe 1927b.

[12] Mies van der Rohe 1933.

[13] Neumeyer 1986. Daneben hat sich Fritz Neumeyer zehn Jahre später in einer weiteren Publikation zum Barcelona Pavillon geäußert: Neumeyer 1995.

[14] Schulze 1986.

[15] Neumeyer 1986, S. 208-219.

[16] Ebeling 1926. Fritz Neumeyer hat diese Publikation in Mies‘ Bibliothek gefunden. Entsprechende Anstreichungen lassen ihn vermuten, dass Mies das Buch intensiv gelesen hat. Die Schrift ist geprägt durch Bezüge zu anthroposophischem und kosmologischem Gedankengut. Der Raum des Hauses habe nach Ebeling den „Charakter der Haut“ oder einer „Membran zwischen dem Menschen und dem Außenraum“. Architektur würde dadurch zum vermittelnden Organ, sie würde den „Menschen von Fleisch und Blut“ – das sinnliche Subjekt – in den Kosmos der Welt einbetten.
(Zitate der Ausdrücke aus Ebeling 1926 nach: Neumeyer 1986, S. 222-223)

[17] Neumeyer 1986, S. 228.

[18] Neumeyer 1986, S. 231.

[19] Übersetzt und zitiert nach: Neumeyer 1995, S. 4.

[20] Neumeyer 1995, S. 5-6.

[21] Evans 1990.

[22] Evans 1990, S. 59.

[23] Evans 1990, S. 65.

[24] Evans 1990, S. 67.

[25] Constant 1990.

[26] Caroline Constant verweist in diesem Zusammenhang auf den ‚Lorrain-Spiegel‘, auch ‚Lorrain-Glas‘ genannt: Es handelt sich dabei um einen vom Landschaftsmaler Claude Lorrain entwickelten konkaven, schwarz unterlegten Weitwinkelspiegel, der die Ansicht der betrachteten Landschaft verkleinert und zugleich die Kontraste der Farben derart vermindert, dass eine größere Harmonie des Farbzusammenklangs erzielt wird. (Constant 1990, S. 46)

[27] Constant 1990, S. 51.

[28] Was Caroline Constant nicht erwähnt, ist die Tatsache, dass durch diese unterschiedlichen Eigenschaften des Glases – genauso wie beim Lorrain-Spiegel – eine ästhetische Distanz geschaffen und die Wahrnehmung des Menschen konditioniert wird.

[29] Constant 1990, S. 48.

[30] Constant 1990, S. 50-51.

[31] Constant 1990, S. 53.

[32] Quetglas 1988/2001.

[33] Diese Säulen gehörten zur Gestaltung des quer gelagerten Platzes, an dessen einen Ende sich der Pavillon befand. Auf der anderen Seite des Platzes, vor dem Pavillon der Stadt Barcelona, stand das Pendant dieser Anlage. Die meisten zeitgenössischen Aufnahmen des Barcelona Pavillons wurden jedoch so gemacht, dass diese Säulenreihe nicht auf den Bildern zu sehen ist. Von den ‚offiziellen‘ Aufnahmen sind einzig auf der Fotografie MMA 1554 die Schatten der Säulen zu sehen. (Dodds 2005, Bildtafel 1)

[34] Quetglas 1988/2001, S. 65.

[35] Quetglas 1988/2001, S. 90.

[36] Quetglas 1988/2001, S. 100.

[37] Quetglas 1988/2001, S. 129.

[38] Ito 1997 (Aus diesem Text stammt auch das Zitat des Arbeitstitels des Textvorschlags.)

[39] Toyo Ito erwähnt in seinem Artikel, dass er den neuen Barcelona Pavillon besucht habe, dort an einem Abend am großen Pool einen Vortrag halten durfte und tief beeindruckt gewesen sei von der speziellen Stimmung, die durch die Reflexion von den auf die Wasseroberfläche projizierten Bildern entstanden sei. (Ito 1997, S. 123)

[40] Ito 1997, S. 123.

[41] Ito 1997, S. 126-128.

[42] Ito 1999, S. 55.

[43] Ito 1999, S. 58.

[44] Ito 1997, S. 140-142.

[45] Ito 1997, S. 129.

[46] Bonta 1975 und Bonta 1979/1982.

[47] Diese allgemein anerkannte Interpretation nennt er ‚kanonische Interpretation‘. Die Schritte dahin sind die folgenden:
Blindheit, Vorkanonische Interpretation, Autoritative Interpretationen, Kanonische Interpretation, Klassifikation. Auf diese Festschreibung folgen laut Bonta die folgenden Schritte: Verbreitung und Verallgemeinerung, Stille und Vergessen, Neuinterpretation. (Siehe dazu Bonta 1979/1982, Kapitel „4 - Schritte zu einer kanonischen Interpretation“ und „5 - Verbreitung, Verallgemeinerung, Vergessen und Neuinterpretation“, S. 143-247)

[48] Kuhnert / Ngo 2006, S. 23.

[49] Der Begriff ‚Atmosphäre‘ spielt in der aktuellen architekturtheoretischen Diskussion um eine post-kritische, ‚projektive Architektur‘ eine wichtige Rolle. Ich kann an dieser Stelle jedoch nicht auf diese Diskussion eingehen, sondern lediglich darauf hinweisen.
Siehe dazu unter anderem: Kuhnert / Ngo 2006, S. 22-25. Böhme 2006, S. 42-45. Fischer 2005, S. 92-97.

[50] Böhme 2006, S. 45.

[51] Mit diesen Worten umschreibt Ole W. Fischer in seinem Artikel über die Debatte um die ‚projektive Architektur‘ (Fischer 2006, S. 95) die Prinzipien des ‚Projektiven‘ von Sarah Whiting und Robert E. Somol.


 


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