Das Konkrete und die Architektur
14. Jg., Heft 1, Oktober 2009

 

__Markus Heidingsfelder
Berlin
  Built on Shifting Sands – Architektur als Kommunikation

 

Heidingsfelder_01.jpg (395593 Byte)
Christian Hellmich,
Markt, 2007
Öl auf Leinwand


 

 

I.


„Was ist das Konkrete in der Architektur?“ fragen Claus Dreyer und Susanne Hauser in ihrem Call for Papers und schließen eine ganze Reihe anderer Fragen an:
 

„Ist Architektur nicht per se die konkreteste aller Kunstformen, so dass es tautologisch wäre, über ihre Konkretion zu reden? Erfordert es nicht eine erhebliche Abstraktion, wenn man in der Architektur ein besonderes Konkretes hervorheben will, und redet man damit nicht gerade vom Gegenteil des Konkreten? In welcher Weise ist die erlebte Architektur konkret? Sind die Stimmungen, die Atmosphären, die Erinnerungen, die Imaginationen, die Interpretationen, die Architektur auslöst, ihr Konkretes? Wieweit bestimmt die Form die architektonische Konkretion? Wieweit ist die sozio-ökonomische Verwertbarkeit Bestandteil der architektonischen Konkretion? Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Konkreten und dem Authentischen, der für den historischen Architekturdiskurs fruchtbar wäre? Ist der Konkretismus ein architektonischer Stil, z.B. ein Schweizer Nationalstil, etwa bei Bill, Herzog & de Meuron, Zumthor? Wie sind Konkretismus und Minimalismus aufeinander bezogen? Ist der Konkretismus ein ästhetisches Programm in der modernen Architektur? Was ist das Konkrete in der Architektur? Ist es ihr Alltagsgebrauch, das Material, die Konstruktion, die Haustechnik?“[1]


Fragen über Fragen, die ganz bestimmte Antworten nahelegen. Vielleicht kann der Architektur hier ein Theorieangebot weiterhelfen, das diese Fragen anders stellt.[2] Das „Etwas-als-etwas“-Schema ist nicht nur anfällig für Täuschungen, indem zum Beispiel etwas als etwas bezeichnet wird, das es gar nicht ist.[3] Wer das Sein von etwas statuiert, blockiert damit zugleich auch Kontingenzen. Dann ist etwas Architektur, weil Architektur nicht das sein soll, was sie ist. Wir haben es mit einem normativen Postulat zu tun, das die Frage danach blockiert, wovon sich diese Unterscheidung unterscheidet, indem sie sich als erste setzt.

Ich
werde deshalb im Folgenden versuchen, auf Existenzbehauptungen, wenn auch nicht auf Unterscheidungen, so weit wie möglich zu verzichten und das Konkrete der Architektur gesellschaftstheoretisch zu bestimmen. Das Mittel dieser Bestimmung ist Abstraktion – und zwar eine erhebliche. Wer auf die Details achtet, auf die Masse an Einzelheiten, der kommt aus den Details zuletzt nicht mehr zur Architektur zurück.[4] Man sieht dann stets nur Resultate: den geschickten Einsatz von Tages- und Kunstlicht, sandgestrahlte Chromstahlplatten, glatte Flächen aus Kalkstein und Milchglas, um die Mittelachse verdrehte Baukörper, Außenfassaden aus Edelstahlpaneelen. Doch diese Sicht, die immer nur Abschlüsse zeigt, verstellt den Blick auf Sinn und Funktion der Architektur. Ich greife zu ihrer Bestimmung also nicht nach dem Unterschied des Materials. Materialität spielt für Architektur als Reproduktionszusammenhang keine Rolle, so wichtig der Umgang mit sumpfbeständigem Erlenholz, hartklumpiger Roterde, Grauwacke oder Trachyt für den einzelnen Architekten auch sein mag.[5] Diese Unterschiede müssen wir, mit Hegel, als eine „nur untergeordnete Seite“ zunächst liegen lassen, genau wie das einzelne Gebäude. Von allen konkreten Einzelheiten wird in einem ersten Schritt abgesehen: ab-strahiert.

Anschließend können wir dann mit dem gesteigerten Unterscheidungsvermögen auch das Auflösungsvermögen wieder steigern und uns den Details hingeben, an einzelnen Bauteilen schnuppern, „begehrend über unregelmäßige Wände und die reliefartigen Erhebungen der Ornamente“ streichen.
[6] Vielleicht ist es auf diese Weise möglich, die Blockadesituation, in der sich die Architekturtheorie nun schon seit mehreren Jahren befindet, ein Stück weit aufzuheben und für „fresh action“ zu sorgen.[7]

Die Grundannahme lautet: Mit einem Gebäude ist mehr verknüpft als nur sein Nutzen als Regen-, Kälte- oder Blickschutz – als Abschirmung.
[8] Offenbar reagieren Gebäude aus verschiedenen Zeiten aufeinander, so sehr, dass man von Stilen sprechen kann, die sich ablösen, und offenbar sind Gebäude Anlässe für eine spezifische Unterscheidungen nutzende Kommunikation: erkennnbar zu diesem Zweck verfertigte Ereignisse, in die ein Beobachter verwickelt wird. Architektur wird genommen als die Realisation einer spezifischen Konnexität von Kommunikationsoperationen, nicht als die Bezeichnung für ihre Resultate: als Einheit, die sich durch diese kommunikative Spezifik von ihrer Umwelt ausgrenzt. Für Einheiten dieses Typs hat sich der Name System eingebürgert. In der Umwelt des Architektursystems kommen zwar ebenfalls Kommunikationen vor, die aber anders spezifiziert sind: wissenschaftliche, rechtliche, politische, massenmediale, literarische usw. Die Funktion der Architektur ist nicht, einen externen Zweck zu befriedigen, sondern als Attraktor für bestimmte Formbildungen zu dienen, die einer Eigendynamik folgen und sich von der Umwelt nur irritieren lassen. Architektur will nur eines abschirmen: Architektur. Die Kommunikation der Architektur wäre die Kommunikation durch – und nicht: über! – Bauwerke.

Dieser Konsequenz sind bisherige systemtheoretische Untersuchungen ausgewichen. So bleibt in einer von Ziemann/Göbel durchgeführten Studie zum Potsdamer Platz das, was der Platz selbst sagt, außen vor.
[9] Mit dem Hinweis auf die systemtheoretische Disprivilegierung der Raumkategorie lässt sich diese Entscheidung kaum begründen. Kommunikative und temporale Ordnungen sind zwar raumgebunden, aber selbst nicht räumlicher Natur – wer wollte das bestreiten?[10] Vermutlich hängt die Zurückhaltung mit dem Fehlen eines adäquaten Kommunikationsbegriffs zusammen, denn dass ein Gebäude etwas zu sagen vermag, wird von den Autoren durchaus gesehen:

„Wenn es auch richtig bleibt, dass ein Gebäude der IG Farben nichts über die IG Farben aussagt, man also ein Gebäude/Bauwerk nicht als Zeichen für eine spezifische Organisationsform nehmen und lesen kann […], so läßt sich doch immerhin behaupten, dass dieses Gebäude etwas darüber aussagt, dass die Organisation, die es baut, etwas damit aussagen möchte.“[11]

Hieran ließe sich anschließen. Nur geht es in der Architektur um ein Sprechen, das nicht auf Sprachförmigkeit angewiesen ist, nicht um Zeichen, sondern eher um An-Zeichen – und das selbst dann, wenn sie sich sprachförmiger Zeichen bedient. Nicht die Übermittlung einer bestimmten Information steht bei der von Neutelings Riedijk gestalteten Fassade einer Druckerei im Mittelpunkt, an der die Architekten einen Text des holländischen Dichters K. Schippers angebracht haben.[12] Lesen lässt sich dieser Text nur unter großem Aufwand. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass es um ihn nicht geht – sondern darum, was das Gebäude sagt.

Wie aber bringt Architektur zur Sprache, was selbst nicht spricht? Wie gelingt es ihr, das, was nicht kommuniziert, in die Kommunikation einzubauen? Schließlich enthält Kommunikation weder Ortbeton noch Spiegelglas. Sie bewegt keine Volumina: keine Weltbestandteile. Aber sie ordnet den Lärm, den die Welt jeden Tag aufs Neue macht, und dieses Ordnen gelingt ihr unter Zuhilfenahme dreier Selektionen: indem sie zwischen Information, Mitteilung und Verstehen unterscheidet.
[13] Alles, was sozial der Fall ist, verdankt sich dieser bewusstseinsfreien, körperfreien Reproduktion von Kommunikation durch Kommunikation. Darin unterscheidet sie sich wesentlich von der Wahrnehmung, die für uns den primären Modus der Informationsgewinnung darstellt. Kommunikation spricht über die Welt, Wahrnehmung dagegen ist die Welt. Sie liefert Kompakteindrücke, die nur geringe Analyseschärfe zulassen, dafür aber kaum negierbar sind.[14] Man sieht, was man sieht, auch wenn man seinen Augen nicht traut.[15] Man kann zwar sagen, dass einem nicht gefällt, wie die
Casa da Música von Rem Koolhaas aussieht – aber erst, nachdem man sie gesehen hat. Wahrnehmung referiert, ohne zu bezeichnen, sie ist positiv. Will man diese kompakte Positivität zum Sprechen bringen, muss man Nein sagen können zu dem, was man eigentlich nicht verneinen kann, weil Wahrnehmung – in einer Formulierung von Merleau-Ponty – „das Sein gibt, ohne dass es gesetzt werden müßte“.[16]

Indem Architektur die unverneinbare Gegenwart mit Negationspotential ausstattet,
kann sie das Defizit der Wahrnehmung kompensieren: sie gibt das Sein – und setzt es. Wahrnehmung wird in die Kommunikation eingeführt.[17] Die Kompaktheit der Wahrnehmung und die Diskontinuität des Zeichengebrauchs, unkonventionelle und konventionelle Präsenz fallen im Bauwerk in eins: in eine kompakte Kommunikation, die Wahrnehmung diskontinuiert und Kommunikation komprimiert. Gegenwart wird austauschbar: potentialisiert. Man kann plötzlich Nein sagen zum eigentlich nicht Verneinbaren, zur Wahrnehmung – zu dem, was eine imitierte Mahagoni-Verkleidung, ein wechselndes Lichtmuster auf Wänden und Böden, ein Gesims aus verzinktem Eisen „gibt“. Was hier geschieht, ist ein Statuswechsel, denn ein Gebäude teilt ja ursprünglich nichts mit. Aber jetzt fordert es dazu auf, an ihm Information und Mitteilung zu unterscheiden. Es fordert dazu auf, obwohl es kompakt ist und nicht sinndurchlässig wie Sprache. Abschirmungen verwandeln sich in utterances: Eventualitäten.

Die erste Selektion, die geschehen muss, damit Architektur entstehen kann, bezeichnet etwas. Ein Designer-Engineer wie Cecil Balmond wählt in seinem Innern einen Systemzustand aus und bezeichnet ihn: Trapped by a Cartesian cage I want to break out.“
[18] Er nimmt also eine Selektion vor: Die symmetrischen Stützen der Kunsthal gefallen mir nicht, ich will dinglich anders fixieren.[19] Will er diese Information mitteilen, muss sie in einer Zweitform mitgeteilt werden. Er muss sich schon äußern bzw. die Stützen synkopieren, wie Balmond dieses Aufbrechen der Symmetrie nennt.[20] Die Mitteilung einer Information ist dabei nicht zu verwechseln mit der Information selbst. Die Information ist, mit Husserl, reines Noema, aus jeder Räumlichkeit gelöst. Die Mitteilung dagegen ist Kundgabe, und diese Kundgabe muss räumlich hergestellt, im Raum „gebunden“ werden. An etwas, das nicht gesagt wurde, kann man schließlich kaum anschließen: an Linien, die nur gedacht, Gebäude, die nie gebaut wurden. Erst die Äußerung in ihrer substrathaften Äußerlichkeit erzeugt die Differenz zwischen sich und dem, wofür dieses Wie steht: dem Was der Information. Sie ist Versinnlichung von Sinn, die Exposition von Information in einer Zweitform, etwa in einem Satz, einer Zeichnung oder in einem Gebäude.

Den Anschluss an die Mitteilung nennt man Verstehen. Wobei Verstehen nicht missverstanden werden darf: es wird nicht psychisch gedacht. Verstehen meint nicht das, was jemand für sich versteht, indem etwas auf Selbstreferenz hin beobachtet wird. Es geht auch nicht darum, was nun wirklich und wahrhaftig gemeint war, also um Hermeneutik. Verstehen heißt hier nur: beide Selektionen – Information und Mitteilung – miteinander vergleichen. Verstehen versteht, indem es ein Gebäude von seiner Bedeutung trennt, die symmetrischen Stützen der Kunsthal in Mitteilung (Stützen) und Information (Descartes) splittet und auf diese Weise eine Externität zum Moment eines internen Vorgangs macht: zu einem Moment der Architektur. Sie weist somit die gleiche Struktur einer autopoietischen Reproduktion der Synthese von Information, Mitteilung und Verstehen auf, erweitert aber den Bereich der Kommunikation über das bloß Sagbare hinaus.

 

Heidingsfelder_02.jpg (627057 Byte)
Christian Hellmich,
Ohne Titel 05 / Untitled 05, 2006
Öl auf Papier

 

II.


Die Abkopplung der Zeichen vom Reichtum der möglichen Sinnselektionen in der Wahrnehmung war die Voraussetzung für die Evolution von Sprache und Schrift. Ohne Frage gibt es Naturzeichen: Dunkle Wolken am Himmel kündigen ein Gewitter an, Knospen eine Blüte.
[21] Gäbe es keine solchen Zusammenhänge auf der Seite des Bezeichneten, eine Zeichentechnik wäre kaum entstanden.[22] Doch in ihrer Evolution löst sich die Entwicklung der Zeichen von allen in der Wahrnehmungswelt auch möglichen Verweisungen. Die Komplexität, der Reichtum der Wahrnehmung wird scharf reduziert, zuletzt in das Schwarzweiß einer Buchstaben- bzw. Zeichenfolge übersetzt.

Architektur ist die Wiedereinführung des Verfransten, Gedrungenen, Konkreten – nicht notwendig: Krausborstigen – in die Kommunikation.
[23]
Sie sucht ein nichtnormales Verhältnis zur Wahrnehmung. Es ist diese Nichtnormalität, die kommuniziert wird. Sie zwingt uns dazu, wahrzunehmen, wie wahrgenommen wird. Wir können diesen Vorgang als Entselbstverständlichung von Wahrnehmung charakterisieren: Wahrnehmung wird reflexiv. Architektur lässt uns an der Kommunikation von Formerfindungen teilhaben, nicht an den Erscheinungen der Dinge „nach der Weise des gemeinen Erkennens“.
[24] Ein Bauwerk ist nicht einfach eine Spur, die menschliche Tätigkeit in der Welt hinterlassen hat. Es entsteht auch nicht als bloßes Relikt zweckgerichteten Verhaltens (einfrieden, abschirmen). Es dient einem anderen Zweck: es will etwas mitteilen. Damit wir das erkennen, muss es sich als Kommunikation zu erkennen geben. Ein Pförtnerhäuschen provoziert in der Regel kaum zur Frage: Wozu? Es sei denn, es weist einen tiefen Portikus aus derben toskanischen Säulen auf – und, um jeden Irrtum auszuschließen: Urnen, aus denen gemeißeltes Wasser fließt.[25] Dreiecksgiebel, Rundbögen, behauene Gesimse, gepaarte Säulen erzwingen geradezu die Unterscheidung von Information und Mitteilung. Ein gewöhnliches Haus dagegen ist kaum interpretationsbedürftig. Und ein Haus, das genauso aussehen will wie ein gewöhnliches Haus, verrät sich schon dadurch!

Es geht um Formen, die von einem Beobachter arrangiert, präpariert werden für Wahrnehmung: um konkrete Zeichen. Im Zentrum steht ein Dirigieren von Sinnlesemöglichkeiten. Wahrgenommen werden Formunterschiede, die das System der Architektur erzeugt, Formen, die Beobachtungsdirektiven enthalten. Diese Direktiven entzünden sich an „Raumstellungs-Leistungen“, für die dann Konditionierungen (Schemata) aus vielen Jahrhunderten zur Verfügung stehen.
[26] Die Architektur der romanischen Kirchen mit ihren kontrastierend unterschiedlichen Raumkörpern, die zu einem vielgliedrigen Gesamtbild komponiert sind, scheint ein solches Abtasten der Formen, eine Reihenfolge des stimulierten Erlebens nachgerade zu erzwingen. Anders der formale Rigorismus und die einfachen, asketischen Formen des Neuen Bauens. Dass die Beschränkung auf typische Grundformen und deren Reihung und Wiederholung als Kommunikation beabsichtigt waren, leuchtete den Zeitgenossen denn auch zunächst nicht ein. Niemand fühlte sich angesprochen, was sich schon an der Vielzahl unterschiedlicher Firmenbezeichnungen ablesen lässt, die sich im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts bemühen, das Unplausible zu plausibilisieren: Bauhaus, De Stijl, Neue Sachlichkeit, Funktionalismus usw. Der Deutsche Werkbund setzte auf ein Geschmackskartell, um die Zeitgenossen aufzuklären: Es handelt sich nicht um Scheunen, sondern um ein neues Mitteilungsformat. Denn das Notwendige mitzuteilen, ist ganz und gar nicht notwendig – es ist nur-möglich.[27]

Ein Architekt möchte adäquates Beobachten seiner Gebäude erreichen. Zu diesem Zweck platziert er Unterscheidungen so, dass er beobachten kann, was ein anderer Beobachter beobachten wird, wenn er das Gebäude sieht. Er berücksichtigt also schon bei der Herstellung, wie man betrachten wird. Wenn man sein Gebäude sieht, sieht man die Entscheidungen oder Beobachtungen, die es produziert haben. Ein bestimmtes Arrangement von Materialien – ein synkopierter Raum, ein flaches Dach – macht einen Unterschied. Die Mitteilung wird schon vom Architekten selbst abgetastet, auf Informationen hin durchsucht: „Was sage ich hier und wie sage ich, was ich sage?“ Aus dem Unterschied zur Mitteilung werden von ihm potentielle Anschlüsse errechnet – und wir müssen am Gebäude die Beobachtungsdirektiven nachvollziehen. Sehen die Stützen inspiriert aus? Und warum? Weil sie asymmetrisch im Raum verteilt sind? Weil man sie zusätzlich in Holzrinde eingekleidet hat? Architektur tritt mit dem Anspruch auf, Erleben zu führen und in eine vorgezeichnete Selektivität zu zwingen. Sie profitiert davon, dass Außen- und Innenräume eines Bauwerks temporal erschlossen werden, durch ein schrittweises Aktualisieren von Unterscheidungen. Beim Rundgang durch die Kunsthal von Rem Koolhaas erfährt der Besucher

„eine Abfolge verschiedener Erfahrungen und Erlebnisse […]. Dramatische Räume […] deren Eigenheit durch die jeweils unterschiedliche Konstruktion verstärkt wird: senkrechte oder schräge Stützen, aus Beton, Stahl oder Holz, quadratisch oder amorph, dick oder schlank; oder statt Stützen nur ein Sheddach mit einer Aussteifung aus orangefarbenen Stahlstreben, die in einem weiten Bogen in die Decke hinein- und wieder hinausschwingen […]“.[28]

Architektur ist somit ihrem Wesen nach kinetische Kunst im Sinne Vasarelys – damit man sie erfahren kann, muss auch der Betrachter sich bewegen.[29] Mit einem Blick erfasst man nicht einmal die Gebäudehülle: „Eine erschöpfende Beschreibung von einem Augenpunkt ist unmöglich.“[30] Es kommt in der Architektur also nicht darauf an, dass ein Gebäude hält – sondern dass es hält, was es verspricht.[31]

Zwar muss, in den Worten Johann Bernhard Fischers, „das Schwächere vom Stärkeren getragen werden“. Aber Architektur ist am Umgang mit Lasten allein nicht interessiert. Warum sollte Palladio die Säulenstellung der Arkaden des Rathauses von Vicenza verdoppeln? Die Bogenzwickel durch Rundfenster öffnen, durch die doch niemand hindurchsehen kann? Warum entscheiden sich Hild und Kaltwasser bei einem ihrer Projekte des sozialen Wohnungsbaus für Mahagoni-Imitat? Allein aus Kostengründen? Laut eigener Auskunft vor allem deshalb, weil das Material „wunderbar kitschig“ wirkt und widersprüchliche Assoziationen weckt, weil es auf etwas anspielt, ohne es zu nennen. Zwecke spielen ohne Frage eine Rolle. Nur kommt es auf sie nicht an. Architektur macht deutlich: das Gebäude könnte auch anders aussehen. Es kann sich in seiner „Dienstbarkeit“ als Museum oder Parkhaus dann zugleich als selbständig zeigen.
[32] Gravitation ist für die Architektur denn auch nichts anderes als eine „Newton’sche Irritation“ (Peter Fuchs). Stets geht es darum, dass ein Eindruck hervorgerufen wird. Nicht nur die Casa da Música, das Blaugoldhaus oder die eingestürzte Bad Reichenhaller Eissporthalle sind für ein solches Beobachtetwerden produziert worden. Nicht einmal Pförtnerhäuschen wollen heute noch darauf verzichten. Um es in der Sprache Kants zu sagen: „Es liegt schon im Begriffe der Architektur, dass sie nicht bloßes Bauen sein kann; die Prinzipien der Architektur müssen daher niemals aus dem Bauen genommen sein.“[33]

Architektur lässt sich begreifen als die Kommunikation von Ordnung in einem Formenarrangement: als Zickzacklinie in einem Titan-Zink-Mantel, als sich aufwärts windende Spirale oder als ein dichtes Liniengeflecht, das einen Innenraum korbförmig umspannt, ohne ihn ganz abzuschließen – als ein Liniengeflecht, das weitere kommunikative Anschlüsse in einem Netzwerk solcher Anschlüsse produziert. Die in den Gebäuden fixierten Beobachtungen, die formalen Arrangements beginnen miteinander zu sprechen, das Ergebnis einer Operation (Gebäude) wird zum Ausgangspunkt der nächsten Operation (des nächsten Gebäudes). Die Zeit einer Aufeinanderfolge von Referenzen entsteht, es kommt zu Rekursionen, zu einem Anschließen, einem Aufeinander-Reagieren, das sich in seinem Operieren auf sich selbst bezieht: als kohärente Totalität, die sich operativ gegen eine Umwelt abschließt, zu der auch die Architekten gehören.
[34] Die Rekursivität der Architektur organisiert sich auf diese Weise selbst, lässt aus beliebigen Zuständen ganz bestimmte Strukturen emergieren.

Dabei ist das einzelne Gebäude keine Information, keine Mitteilung, kein Verstehen. Es ist ein „Kompaktum“: ein konkretes Objekt, in dem Wahrnehmung/Wahrnehmbarkeit einerseits zu Kommunikationszwecken auf eine bestimmte Art und Weise so aufbereitet wird, dass sich eine Welt von Kommunikation über sie entzünden kann – dann sind Gebäude Äquivalente zu Themen –, und die sich andererseits verketten lassen: dann haben wir es mit Architektur zu tun. Eine „Gebäude-Kommunikation“ ist ein zeitkleines Ereignis, das, sobald es vorkommt, wieder verschwindet, das aber andererseits Gebäude, die folgen, selektiv stellen kann, sei es in der Weiterverwendung stilistischer Merkmale oder im Abschneiden dieser Merkmale, sei es im dezidierten Kontrast. Dieser erneute Zugriff erfolgt in immer neuen Situationen, nie an derselben Zeitstelle. Mit Spencer Brown können wir diesen Unterschied fassen mithilfe der Doppelbegrifflichkeit von Kondensation und Konfirmation.
[35] Ein Bauwerk wie der Eiffelturm bleibt in verschiedenen Situationen dasselbe. Aber dieses Kondensat muss in immer neue Situationen eingepasst werden können, wodurch sein Sinn bestätigt wird – oder genau nicht.
[36]



Heidingsfelder_03.jpg (1618180 Byte)
Christian Hellmich,
Zelt, 2008
Öl auf Leinwand
 

III.


Indem Architektur kompakt kommuniziert, nimmt sie ein Moment der Unentschiedenheit in sich auf. Architekturkommunikationen produzieren Informationsüberlasten, die Fremdreferenz wirkt diffus, geballt, ein problematisches Anschlussmanagement ist die Folge. An der Mitteilung wird wie an einer Information angeschlossen und die eigentliche Informativität damit arbiträr oder vieldeutig schwingend gehalten.
[37] Da wir es mit konkreten (im ursprünglichen Sinne: dichten, gepressten) Zeichen zu tun haben, gelingt es nicht, den Informationsaspekt eines Bauwerks festzustellen. Keine Deutung lässt sich als definitive fixieren, keine ist konkurrenzlos, keine sicher. Die Deutungsmöglichkeiten oszillieren, flimmern, schweben. Jede Deutung vollzieht sich am Vieldeutigen, am vervieldeutigten Objekt, am Wahrnehmungsgegenstand Gebäude.

Das lässt den Architekten bei ihren Präsentationen viel Spielraum. Allein die Wahl der Formen verhindert hier Beliebigkeit; der Anschluss bleibt durch das limitiert, was zu sehen ist. Zwar orientiert man sich an der Form des Objekts, an seiner Selbstreferenz, aber das operativ notwendige Maß an Fremdreferenz wird dadurch ja nicht ausgelöscht, nur minimiert. Es ist notwendig, um Formen nahezulegen, etwa die Wahl des Materials zu motivieren. Auch das selbstreferentielle Spiel der Musik oder der abstrakten Malerei operiert mit Hilfe dieser Differenz. Sie ist die operative Grundbedingung:
 

„Kommunikation ist ein notwendig reflexiver, sich selbst als Kommunikation einbeziehender Prozess; aber sie ist dies nur, weil sie immer auch etwas anderes als sich selbst meint, immer von etwas anderem handeln muss – und sei es nur als Vorwand für Selbstdarstellung oder für Kommunikation um ihrer selbst willen.“[38]
 

Mit Blockierung fremder Referenzen ist also nur gemeint, dass die Architektur keinem anderen Zweck dient, dass sie für das Beobachten des Beobachtens produziert wird. Fremdreferenz spielt eine Rolle, aber die Qualität eines Bauwerks liegt nicht in der Themenwahl. Sondern in der Wahl der Formen, im Umgang mit dem Thema. Ein Thema macht noch nichts zu Architektur – nicht Themen, allein Formen sind systemverknüpfungsfähig. Und sei es halbfette Helvetica auf Glasscheiben.[39]

Wenn es um die Kommunikation einer bestimmten Bedeutung ginge, dann müsste diese ja möglichst einfach, möglichst klar verständlich vermittelt werden. Auf einer Fassade leuchtet ein Schriftzug auf: „Die moderne Gesellschaft hat ein eigenes System für Architektur ausdifferenziert.“ Aber Architektur ist nicht primär an der Übermittlung einer bestimmten Information interessiert, was notwendig eine Minimierung der Fremdreferenz bedingt, eine „Verschmierung“ der Information, wie klar gegliedert die Fassade eines Bauwerks auch immer sein mag. Die Führungsverhältnisse einer Selektion gegenüber einer anderen sind klar definiert: das Wie entscheidet im System der Architektur über Anschlussmöglichkeiten, nicht das Thema. Man orientiert sich an der Form des Objekts, die sich mit dem Hinweis auf eine Bedeutung zwar erklären, aber eben nicht erledigen lässt.
[40]

Was eine Zickzackfassade, schräge Wände, schroffe Kanten, eine prismatische Form genau bedeuten, lässt sich schließlich nur unter hohem Aufwand formulieren. Man synkopiert einen Raum, öffnet ihn durch hohe Glaswände und sagt damit sehr viel – ungenau.
[41] Architektur gibt mehr zu denken, als sprachlich und begrifflich damit gefasst werden kann. Den Architekten fällt es denn auch schwer, das, was sie mit einem Gebäude sagen, zu re-verbalisieren:

“As I was thinking about what to say today I realized how difficult it is for an architect to speak about his work without the usual paraphernalia of slide projectors and images. Architecture, which is evoked only by words, makes one almost feel ‘at home’ in language. By surrounding oneself with language one almost comes to believe that one has escaped from the opacity of space and that what remains ‘out there’ is only an empty stage set. […] The experience of alienation from architecture, as a dimension of culture, should be contrasted with the stark and astonished encounter with IT – crowned-out, spewed-out into night – resistant to theorization. For then, one might see that architecture […] can be interpreted, but itself continues to remain oblivious to the interpretation. It continues to live its own existence whether we share it or not.”[42]

Architektur funktioniert als Kommunikation nicht obwohl, sondern gerade weil sie durch Worte nicht adäquat wiedergegeben werden kann. Die Erlebnisqualitäten, die sie erzeugt, sind inkommunikabel. Natürlich kann ein Architekt auf die Zwecke seiner Gebäude referieren, darum bitten, an der Seite der Information anzuschließen – und genau diesem Zweck dient ein Postskriptum, das den Gebäuden eine „Funktionsform“ unterstellt, dient die Mythologie der in Architektur übersetzten Diagramme, die das Büro von Koolhaas kultiviert, dient die Behauptung, eine rechteckige Boxform garantiere nun einmal die beste Akustik.[43] Aber an der Seite der Zweckerfüllung wird in der Architektur nicht angeschlossen. „Form follows function“ bedeutete auch für Louis Sullivan vor allem eines: Bauten zu konstruieren, die durch ihre Nacktheit wirken.

Sobald Wahrnehmung und Kommunikation im Hinblick auf Gebäude reflexiv werden, wir also unterscheiden zwischen Information und Mitteilung und an der Seite der Mitteilung andocken, also danach gefragt wird, wie ein Haus etwas (was immer) mitteilt, wieso ein Gebäude aussieht wie ein Chippendale-Hochschrank, ein anderes einem Schiffsrumpf ähnelt, ein drittes auf frei stehende, durchscheinende glatte Wände setzt; sobald man einem Gebäude also anzusehen glaubt, dass es nicht mehr nur „Stätte der Behausung“ (Dirk Baecker) sein will, sondern eine Form „[…] welche an sich selbst eine Vorstellung anzeigen und ausdrücken soll“,
[44] und an diese Form, nicht an die Vorstellung angeschlossen wird, haben wir es mit Architektur zu tun: dem paradoxen Versuch, Kommunikation wahrnehmungsfähig zu machen. Und sei es mit Hilfe nach außen geneigter, mehrere Geschosse durchschneidender Stützen oder einer auf Schwingungsdämpfern gelagerten Stahlkiste, deren Innenwände aus mit Blattgold verzierten Sperrholzplatten bestehen, so dass ein Beobachter konstatieren kann: „Eine absurde Pointe: das Billige ist zugleich das Teure.“[45]

 

 

 

 

 

 



Literatur:

 

Baecker, Dirk: „Die Dekonstruktion der Schachtel. Innen und Außen in der Architektur“, in: Ders.; Luhmann, Niklas; Bunsen, Frederick D. (Hg.): Unbeobachtbare Welt. Über Kunst und Architektur, Bielefeld 1990, S. 67-104.

Ders.: Kommunikation über Wahrnehmung, Thesenpapier zur Konferenz „Wahrnehmung und ästhetische Reflexion“, Berlin 1993, S. 67-86.

Ders.: „Am Anfang war das Dach“, in: build. Das Architekten-Magazin, H. 1, 2007, S. 16-19.

Balmond, Cecil: „Informelles Konstruieren“, in: Arch plus, H. 117, 1993, S. 59.

Ders.; Smith, Jannuzzi: Informal, München 2003.

Beranek, Leo L.: Concert Halls and Opera Houses. Music, Acoustics, and Architecture, New York 2004.

Brown, Dan: Sakrileg, Bergisch-Gladbach 2006.

de Bruyn, Gerd: „Undisziplinierte Architekturtheorie(n)“, in: Wolkenkuckucksheim – Cloud-Cuckoo-Land – Vozdushnyi zamok, 9. Jg., H. 2, März 2005; http://www.tu-cottbus.de/openarchive/wolke/deu/Themen/042/deBruyn/de-bruyn.htm (Stand 14.09.2009).

Feldtkeller, Christoph: „Architektur“, in: Barck, Karlheinz (Hg.): Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, Stuttgart 2002, S. 286-307.

Ferrier, Jean-Louis: Gespräche mit Victor Vasarely, Köln 1971.

Fuchs, Peter: Niklas Luhmann – beobachtet, Opladen 1993a.

Ders.: Moderne Kommunikation, Frankfurt/M. 1993b.

Ders.: Das System „Terror“. Versuch über eine kommunikative Eskalation der Moderne, Bielefeld 2004.

Handke, Peter: Mein Jahr in der Niemandsbucht, Frankfurt/M. 2000.

Hauser, Susanne: „Das Wissen der Architektur. Ein Essay aus kulturwissenschaftlicher Perspektive“, in: Wolkenkuckucksheim – Cloud-Cuckoo-Land – Vozdushnyi zamok, 9. Jg., H. 2, März 2005; http://www.tu-cottbus.de/openarchive/wolke/deu/Themen/042/Hauser/hauser.htm (Stand 14.09.2009).

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Vorlesungen über die Ästhetik III, Frankfurt/M. 1986.

Junge, Kai: Zur räumlichen Einbettung sozialer Strukturen. Einleitende Überlegungen zu einer Topologie sozialer Systeme, Diss., Gießen 1993.

Krause, Daniel: Daniel Libeskind – Architektur als „Ereignis“, München 2005.

Ders.: „’Misreading Peter Eisenman’ – Architekturtheorie im Prozeß“, in: Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, H. 5/12, 2006, S. 287-296.

Luhmann, Niklas: Soziale Systeme, Frankfurt/M. 1984.

Ders.: „Zeichen als Form“, in: Baecker, Dirk (Hg.): Probleme der Form, Frankfurt/M. 1993, S. 45-69.

Ders.: Die Kunst der Gesellschaft, Frankfurt/M. 1995.

Ders.: Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt/M. 1997.

Ders.: „Vorbemerkungen zu einer Theorie sozialer Systeme“, in: Ders.: Aufsätze und Reden, hrsg. v. Oliver Jahraus, Stuttgart 2001, S. 7-30.

Ders.: „Ideengeschichte in soziologischer Perspektve“, in: Ders.: Ideenevolution. Beiträge zur Wissenssoziologie, Frankfurt/M. 2008, S. 234-252.

Merleau-Ponty, Maurice: Das Sichtbare und das Unsichtbare, München 1994.

Spencer Brown, George: Laws of Form: Gesetze der Form, Lübeck 1997.

White, Harrison C.: Identity and Control. How social formations emerge, 2. Aufl., Princeton 2008.

Ziemann, Andreas; Göbel, Andreas: „Die (Re-)Konstruktion des Potsdamer Platzes. Der Potsdamer Platz aus der Perspektive der Systemtheorie“, in: Fischer, Joachim; Makropoulos, Michael (Hg.): Potsdamer Platz. Soziologische Theorien zu einem Ort der Moderne, München 2004, S. 53-80.






Abbildungsnachweis:

Courtesy Tanja Pol Galerie München


 



Anmerkungen:

 

[2] Das könnte sich auch für die Begriffsbestimmung als lohnend erweisen. Man müsste dann nicht mehr auf die ursprüngliche Bedeutung von ars im Sinne von Kunstfertigkeit zurückgreifen, um den Widerspruch Kunst/Technik zur Einheit zu synthetisieren. Vgl. etwa Feldtkeller 2002. Siehe auch Hauser 2005: „Am besten ist der Konnex aufgehoben in dem heute antiquiert klingenden Begriff ‚Baukunst’, der eben auch die Technologie in einem älteren Verständnis des Ausdrucks als ‚Kunst’ umfasst."

[3] So die paradoxe Formulierung von Luhmann. Luhmann 1997, S. 896.

[4] Vgl. Luhmann 2008, S. 234.

[5] Etwa für den Architekten in Peter Handkes Mein Jahr in der Niemandsbucht, einen „Baumenschen“ und „Zimmermann“, dem es vor allem um das „Fachmannsbefingern, -beschnüffeln, -bemessen“ geht. Vgl. Handke 2000, S. 343-362.

[6] De Bruyn 2005. Der Autor wählt in seinem Plädoyer für eine „undisziplinierte Architekturtheorie“ das entgegengesetzte Verfahren. Alles Nachdenken über den Gegenstand müsse mit der konkreten Wahrnehmungserfahrung beginnen, so de Bruyn, der leibhaftigen Erfahrung „architektonischer Stille“, die das einzelne Bauwerk realisiere. Da die körpergestützte und die gesellschaftlich formatierte Wahrnehmung sich nicht trennen lassen, kann der Architektur-Phänomenologe nur referieren auf eine Operativität basaler Art, etwa in der Weise, wie wir unseren Körper spüren: als eine Art mitlaufender Vibration. Und wäre damit bereits jenseits von Architektur. Zur Unterscheidung von Unterscheidungsvermögen und Auflösungsvermögen siehe Junge 1993. Vgl. auch Fuchs 2005, S. 64.

[7] Mit Susanne Hauser würde ich Architekturtheorie als „Reflexionsmedium“ bzw. Reflexionsinstanz der Architektur begreifen. Fragen der Identität – also die Thematisierung der eigenen Einheit – werden hier verhandelt. Die Architektur selbst operiert naiv: sie tut, was sie tut. Vgl. Hauser 2005. Zur Differenz von blockage/fresh action siehe Harrison C. White 2008, S. 3f.

[8] So Dirk Baecker in einem bemerkenswerten differenztheoretischen Bestimmungsversuch, der davon ausgeht, dass Architektur das elementare Gestaltungselement der Abschirmung in Szene setzt. Allerdings begreift Baecker Architektur nicht als Kunst, sondern als Technik. Vgl. Baecker 1990, S. 67-104, hier S. 100. Doch geht es in der Technik wirklich um das „Wie“ der Lösung? Entweder etwas schirmt ab – dann ist es Architektur – oder nicht: dann ist es keine. Dem Einwand, dass so gesehen auch ein Regenschirm zur Architektur zähle, begegnet er mit humorvoller Apodiktik: „Wir antworten: Was man mit sich herumtragen kann, ist keine Architektur." Ebd., S. 102.

[9] Vgl. Ziemann/Göbel 2004.

[10] Vielleicht jene Autoren, denen schon der Emphasenwechsel selbst – vom spatial zum iconic turn und zurück – als theorietechnische Leistung gilt. Vgl. einige der Beiträge zur „Raumwende“ in: Der Architekt, 3/2008.

[11] Ziemann/Göbel 2004, S. 76. Hervorhebung im Original.

[12] Vgl. El Croquis: Neutelings Riedijk, 1/99, 94, S. 142-151.

[13] Vgl. im Folgenden: Fuchs 1993a, S. 127ff. und Luhmann 1984, S. 194ff.

[14] Geringe Schärfe meint hier nur: in Bezug auf das Bewußtsein und die Kommunikation. Die Wahrnehmung einer verschwommenen Kontur ist ja nicht selbst verschwommen.

[15] Vgl. Luhmann 1990, S. 231.

[16] Merleau-Ponty 1994, S. 273.

[17] Vgl. Baecker 1993, Luhmann 1995.

[18] Balmond 2003, S. 59.

[19] Das Beispiel dient der Anschaulichkeit. Architektur nimmt nicht bei den Psychen – den Wünschen und Absichten der Architekten – ihren Ausgang.

[20] Vgl. Balmond 2003, S. 62.

[21] Beide Beispiele bei Luhmann 1993, S. 45ff.

[22] Luhmann 1993, S. 55.

[23] Es trifft sich – und es trifft sich gut – dass Concretus, das Partizip Perfekt von con-crescere, das Zusammengewachsene, Verdichtete, Gegenständliche meint.

[24] Solger, zitiert nach Luhmann 1995, S. 246.

[25] Wie das Pförtnerhäuschen der Königlichen Salinen von Ledoux.

[26] Man könnte dieses Dirigieren als „parasitär“ bezeichnen, insofern es Nebeneffekte des Bauens ausnutzt. Menschen müssen, um zu überleben, typischerweise Unterschlupfe haben: Höhlen, Iglus, Zelte, irgendwann Gebäude aus Lehm und Stein. Aber genau der Umstand, dass gebaut werden muss, eröffnet die Chance, unterschiedliche Gestaltungen zu entwickeln und schließlich auch, die Unterschiede beobachten zu können. Das müsste nicht sein, aber es fällt an als Möglichkeit, die dann ausgenutzt wird.

[27] Systemtheoretisch läßt sich das Neue Bauen als „Re-entry“ der Bautechnik auf der Seite der Baukunst bestimmen. Kommuniziert wird die Konstruktion.

[28] Balmond 1993, S. 59.

[29] Vgl. Ferrier 1971.

[30] Sigfried Giedion, zitiert nach Baecker 1990, S. 81.

[31] Wenn es nicht hält, wendet man sich denn auch nicht an die Architekten, sondern an die Bauingenieure.

[32] Vgl. Hegel 1986, S. 271.

[33] Feldtkeller hat darauf aufmerksam gemacht, dass schon bei der metaphorischen Verwendung des Begriffs die Distanz zum gemeinen Begriff des Baus von Bedeutung ist. Feldtkeller 2002, S. 292. Nicht umsonst trennt auch die Kosmetikindustrie gewöhnliche Wimperntusche von „Lash architecture“.

[34] Damit ist noch nichts über den Status des Systems gesagt!

[35] Vgl. Spencer Brown 1997, S. 10, 12 und Luhmann 1997, S. 75, 143.

[36] Im Falle des Eiffelturms wird aus dem „düsteren Fabrikschornstein“ schließlich die „Eiserne Dame“, aus einem Nein ein Ja.

[37] Ich beziehe mich lose auf den Begriff des „operativen Displacements“ von Peter Fuchs. Vgl. Fuchs 1993b.

[38] Luhmann 2001, S. 15.

[39] Siehe erneut El Croquis: Neutelings Riedijk, 1/99, 94, S. 142-151.

[40] Ganz im Gegensatz zur gläsernen Pyramide in Dan Browns Sakrileg. Ieoh Ming Peis Gebäude fungiert in der Geschichte als ein Zeichen, informiert über das „Grab des Grals“. Dan Brown 2006, S. 606f.

[41] Vgl. Fuchs 1993b, S. 226.

[42] Daniel Libeskind, zitiert nach Krause 2005, S. 2f.

[43] Folgt man Leo Beranek, weist die Rechteckform – der Schuhkarton – tatsächlich die besten akustischen Eigenschaften auf. Vgl. Beranek 2004. Der Aufwand, der im Konzertsaal der Casa dennoch getrieben werden muss, um eine zufriedenstellende Akustik zu gewährleisten, spricht für sich: So hat die Halle keinerlei Berührung mit der sie umgebenden Hülle, sie lagert auf Hartgummi, es gibt Vorhänge sowie ein bewegliches und transparentes Folienkissen, das über der Bühne schwebt, schließlich hat man in die Wände Schlitze eingeschnitten, sogenannte Schröder-Diffusoren, die für eine Reduktion der Nachhallzeit sorgen. Die „Funktionsform“ ist nur ein Mythos, wie schon Charles Garnier feststellen musste: “A room to have good acoustics must be either long or broad, high or low, of wood or stone, round or square, and so forth […]. Chance seems as dominant in the theatrical world as it is in the dream world in which a child enters Wonder land!” Zitiert nach Beranek 2004, S. 492.

[44] Hegel 1986, S. 270.

[45] Holger Liebs im Film Rem Koolhaas – A Kind of Architect (D 2007).





feedback