Das Konkrete und die Architektur 14. Jg., Heft 1, Oktober 2009 |
__Markus
Heidingsfelder Berlin |
Built on Shifting Sands – Architektur als Kommunikation |
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I.
„Ist Architektur nicht per se die konkreteste aller Kunstformen, so dass es tautologisch wäre, über ihre Konkretion zu reden? Erfordert es nicht eine erhebliche Abstraktion, wenn man in der Architektur ein besonderes Konkretes hervorheben will, und redet man damit nicht gerade vom Gegenteil des Konkreten? In welcher Weise ist die erlebte Architektur konkret? Sind die Stimmungen, die Atmosphären, die Erinnerungen, die Imaginationen, die Interpretationen, die Architektur auslöst, ihr Konkretes? Wieweit bestimmt die Form die architektonische Konkretion? Wieweit ist die sozio-ökonomische Verwertbarkeit Bestandteil der architektonischen Konkretion? Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Konkreten und dem Authentischen, der für den historischen Architekturdiskurs fruchtbar wäre? Ist der Konkretismus ein architektonischer Stil, z.B. ein Schweizer Nationalstil, etwa bei Bill, Herzog & de Meuron, Zumthor? Wie sind Konkretismus und Minimalismus aufeinander bezogen? Ist der Konkretismus ein ästhetisches Programm in der modernen Architektur? Was ist das Konkrete in der Architektur? Ist es ihr Alltagsgebrauch, das Material, die Konstruktion, die Haustechnik?“[1]
Fragen über Fragen, die ganz bestimmte Antworten nahelegen. Vielleicht kann
der Architektur hier ein Theorieangebot weiterhelfen, das diese Fragen anders stellt.[2] Das „Etwas-als-etwas“-Schema ist nicht nur anfällig für Täuschungen, indem
zum Beispiel etwas als etwas bezeichnet wird, das es gar nicht ist.[3] Wer das Sein von etwas statuiert, blockiert damit zugleich auch
Kontingenzen. Dann ist etwas Architektur, weil Architektur nicht das sein
soll, was sie ist. Wir haben es mit einem normativen Postulat zu tun,
das die Frage danach blockiert, wovon sich diese Unterscheidung
unterscheidet, indem sie sich als erste setzt.
Hieran ließe sich anschließen. Nur geht es in der Architektur um ein
Sprechen, das nicht auf Sprachförmigkeit angewiesen ist, nicht um Zeichen,
sondern eher um An-Zeichen – und das selbst dann, wenn sie sich
sprachförmiger Zeichen bedient. Nicht die Übermittlung einer bestimmten
Information steht bei der von Neutelings Riedijk gestalteten Fassade einer
Druckerei im Mittelpunkt, an der die Architekten einen Text des
holländischen Dichters K. Schippers angebracht haben.[12] Lesen lässt sich dieser Text nur unter großem Aufwand. Ein deutlicher
Hinweis darauf, dass es um ihn nicht geht – sondern darum, was das Gebäude
sagt.
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II.
Architektur ist somit ihrem Wesen nach kinetische Kunst im Sinne Vasarelys – damit
man sie erfahren kann, muss auch der Betrachter sich bewegen.[29] Mit einem Blick erfasst man nicht einmal die Gebäudehülle: „Eine
erschöpfende Beschreibung von einem Augenpunkt ist unmöglich.“[30] Es kommt in der Architektur also nicht darauf an, dass ein Gebäude hält –
sondern dass es hält, was es verspricht.[31]
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III.
„Kommunikation
ist ein notwendig reflexiver, sich selbst als Kommunikation einbeziehender
Prozess; aber sie ist dies nur, weil sie immer auch etwas anderes als sich
selbst meint, immer von etwas anderem handeln muss – und sei es nur als
Vorwand für Selbstdarstellung oder für Kommunikation um ihrer selbst
willen.“[38] Mit Blockierung
fremder Referenzen ist also nur gemeint, dass die Architektur keinem anderen
Zweck dient, dass sie für das Beobachten des Beobachtens produziert wird.
Fremdreferenz spielt eine Rolle, aber die Qualität eines Bauwerks liegt
nicht in der Themenwahl. Sondern in der Wahl der Formen, im Umgang mit dem
Thema. Ein Thema macht noch nichts zu Architektur – nicht Themen, allein
Formen sind systemverknüpfungsfähig. Und sei es halbfette Helvetica auf
Glasscheiben.[39]
Architektur funktioniert als Kommunikation nicht obwohl, sondern
gerade weil sie durch Worte nicht adäquat wiedergegeben werden kann.
Die Erlebnisqualitäten, die sie erzeugt, sind inkommunikabel. Natürlich kann
ein Architekt auf die Zwecke seiner Gebäude referieren, darum bitten, an der
Seite der Information anzuschließen – und genau diesem Zweck dient ein
Postskriptum, das den Gebäuden eine „Funktionsform“ unterstellt, dient die
Mythologie der in Architektur übersetzten Diagramme, die das Büro von
Koolhaas kultiviert, dient die Behauptung, eine rechteckige Boxform
garantiere nun einmal die beste Akustik.[43] Aber an der Seite der Zweckerfüllung wird in der Architektur nicht
angeschlossen. „Form follows function“ bedeutete auch für Louis
Sullivan vor allem eines: Bauten zu konstruieren, die durch ihre Nacktheit wirken. |
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Baecker, Dirk: „Die Dekonstruktion der Schachtel. Innen und Außen in der Architektur“, in: Ders.; Luhmann, Niklas; Bunsen, Frederick D. (Hg.): Unbeobachtbare Welt. Über Kunst und Architektur, Bielefeld 1990, S. 67-104. Ders.: Kommunikation über Wahrnehmung, Thesenpapier zur Konferenz „Wahrnehmung und ästhetische Reflexion“, Berlin 1993, S. 67-86. Ders.: „Am Anfang war das Dach“, in: build. Das Architekten-Magazin, H. 1, 2007, S. 16-19. Balmond, Cecil: „Informelles Konstruieren“, in: Arch plus, H. 117, 1993, S. 59. Ders.; Smith, Jannuzzi: Informal, München 2003. Beranek, Leo L.: Concert Halls and Opera Houses. Music, Acoustics, and Architecture, New York 2004. Brown, Dan: Sakrileg, Bergisch-Gladbach 2006. de Bruyn, Gerd: „Undisziplinierte Architekturtheorie(n)“, in: Wolkenkuckucksheim – Cloud-Cuckoo-Land – Vozdushnyi zamok, 9. Jg., H. 2, März 2005; http://www.tu-cottbus.de/openarchive/wolke/deu/Themen/042/deBruyn/de-bruyn.htm (Stand 14.09.2009). Feldtkeller, Christoph: „Architektur“, in: Barck, Karlheinz (Hg.): Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, Stuttgart 2002, S. 286-307. Ferrier, Jean-Louis: Gespräche mit Victor Vasarely, Köln 1971. Fuchs, Peter: Niklas Luhmann – beobachtet, Opladen 1993a. Ders.: Moderne Kommunikation, Frankfurt/M. 1993b. Ders.: Das System „Terror“. Versuch über eine kommunikative Eskalation der Moderne, Bielefeld 2004. Handke, Peter: Mein Jahr in der Niemandsbucht, Frankfurt/M. 2000.Hauser, Susanne: „Das Wissen der Architektur. Ein Essay aus kulturwissenschaftlicher Perspektive“, in: Wolkenkuckucksheim – Cloud-Cuckoo-Land – Vozdushnyi zamok, 9. Jg., H. 2, März 2005; http://www.tu-cottbus.de/openarchive/wolke/deu/Themen/042/Hauser/hauser.htm (Stand 14.09.2009). Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Vorlesungen über die Ästhetik III, Frankfurt/M. 1986. Junge, Kai: Zur räumlichen Einbettung sozialer Strukturen. Einleitende Überlegungen zu einer Topologie sozialer Systeme, Diss., Gießen 1993. Krause, Daniel: Daniel Libeskind – Architektur als „Ereignis“, München 2005. Ders.: „’Misreading Peter Eisenman’ – Architekturtheorie im Prozeß“, in: Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, H. 5/12, 2006, S. 287-296. Luhmann, Niklas: Soziale Systeme, Frankfurt/M. 1984. Ders.: „Zeichen als Form“, in: Baecker, Dirk (Hg.): Probleme der Form, Frankfurt/M. 1993, S. 45-69. Ders.: Die Kunst der Gesellschaft, Frankfurt/M. 1995. Ders.: Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt/M. 1997. Ders.: „Vorbemerkungen zu einer Theorie sozialer Systeme“, in: Ders.: Aufsätze und Reden, hrsg. v. Oliver Jahraus, Stuttgart 2001, S. 7-30. Ders.: „Ideengeschichte in soziologischer Perspektve“, in: Ders.: Ideenevolution. Beiträge zur Wissenssoziologie, Frankfurt/M. 2008, S. 234-252. Merleau-Ponty, Maurice: Das Sichtbare und das Unsichtbare, München 1994. Spencer Brown, George: Laws of Form: Gesetze der Form, Lübeck 1997. White, Harrison C.: Identity and Control. How social formations emerge, 2. Aufl., Princeton 2008. Ziemann, Andreas; Göbel, Andreas: „Die (Re-)Konstruktion des Potsdamer Platzes. Der Potsdamer Platz aus der Perspektive der Systemtheorie“, in: Fischer, Joachim; Makropoulos, Michael (Hg.): Potsdamer Platz. Soziologische Theorien zu einem Ort der Moderne, München 2004, S. 53-80.
[1] Vgl. www.architekturprotokoll.de/?p=305 (Stand 14.09.09) [2] Das könnte sich auch für die Begriffsbestimmung als lohnend erweisen. Man müsste dann nicht mehr auf die ursprüngliche Bedeutung von ars im Sinne von Kunstfertigkeit zurückgreifen, um den Widerspruch Kunst/Technik zur Einheit zu synthetisieren. Vgl. etwa Feldtkeller 2002. Siehe auch Hauser 2005: „Am besten ist der Konnex aufgehoben in dem heute antiquiert klingenden Begriff ‚Baukunst’, der eben auch die Technologie in einem älteren Verständnis des Ausdrucks als ‚Kunst’ umfasst." [3] So die paradoxe Formulierung von Luhmann. Luhmann 1997, S. 896. [4] Vgl. Luhmann 2008, S. 234. [5] Etwa für den Architekten in Peter Handkes Mein Jahr in der Niemandsbucht, einen „Baumenschen“ und „Zimmermann“, dem es vor allem um das „Fachmannsbefingern, -beschnüffeln, -bemessen“ geht. Vgl. Handke 2000, S. 343-362. [6] De Bruyn 2005. Der Autor wählt in seinem Plädoyer für eine „undisziplinierte Architekturtheorie“ das entgegengesetzte Verfahren. Alles Nachdenken über den Gegenstand müsse mit der konkreten Wahrnehmungserfahrung beginnen, so de Bruyn, der leibhaftigen Erfahrung „architektonischer Stille“, die das einzelne Bauwerk realisiere. Da die körpergestützte und die gesellschaftlich formatierte Wahrnehmung sich nicht trennen lassen, kann der Architektur-Phänomenologe nur referieren auf eine Operativität basaler Art, etwa in der Weise, wie wir unseren Körper spüren: als eine Art mitlaufender Vibration. Und wäre damit bereits jenseits von Architektur. Zur Unterscheidung von Unterscheidungsvermögen und Auflösungsvermögen siehe Junge 1993. Vgl. auch Fuchs 2005, S. 64. [7] Mit Susanne Hauser würde ich Architekturtheorie als „Reflexionsmedium“ bzw. Reflexionsinstanz der Architektur begreifen. Fragen der Identität – also die Thematisierung der eigenen Einheit – werden hier verhandelt. Die Architektur selbst operiert naiv: sie tut, was sie tut. Vgl. Hauser 2005. Zur Differenz von blockage/fresh action siehe Harrison C. White 2008, S. 3f. [8] So Dirk Baecker in einem bemerkenswerten differenztheoretischen Bestimmungsversuch, der davon ausgeht, dass Architektur das elementare Gestaltungselement der Abschirmung in Szene setzt. Allerdings begreift Baecker Architektur nicht als Kunst, sondern als Technik. Vgl. Baecker 1990, S. 67-104, hier S. 100. Doch geht es in der Technik wirklich um das „Wie“ der Lösung? Entweder etwas schirmt ab – dann ist es Architektur – oder nicht: dann ist es keine. Dem Einwand, dass so gesehen auch ein Regenschirm zur Architektur zähle, begegnet er mit humorvoller Apodiktik: „Wir antworten: Was man mit sich herumtragen kann, ist keine Architektur." Ebd., S. 102. [9] Vgl. Ziemann/Göbel 2004. [10] Vielleicht jene Autoren, denen schon der Emphasenwechsel selbst – vom spatial zum iconic turn und zurück – als theorietechnische Leistung gilt. Vgl. einige der Beiträge zur „Raumwende“ in: Der Architekt, 3/2008. [11] Ziemann/Göbel 2004, S. 76. Hervorhebung im Original. [12] Vgl. El Croquis: Neutelings Riedijk, 1/99, 94, S. 142-151. [13] Vgl. im Folgenden: Fuchs 1993a, S. 127ff. und Luhmann 1984, S. 194ff. [14] Geringe Schärfe meint hier nur: in Bezug auf das Bewußtsein und die Kommunikation. Die Wahrnehmung einer verschwommenen Kontur ist ja nicht selbst verschwommen. [15] Vgl. Luhmann 1990, S. 231. [16] Merleau-Ponty 1994, S. 273. [17] Vgl. Baecker 1993, Luhmann 1995. [18] Balmond 2003, S. 59. [19] Das Beispiel dient der Anschaulichkeit. Architektur nimmt nicht bei den Psychen – den Wünschen und Absichten der Architekten – ihren Ausgang. [20] Vgl. Balmond 2003, S. 62. [21] Beide Beispiele bei Luhmann 1993, S. 45ff. [22] Luhmann 1993, S. 55. [23] Es trifft sich – und es trifft sich gut – dass Concretus, das Partizip Perfekt von con-crescere, das Zusammengewachsene, Verdichtete, Gegenständliche meint. [24] Solger, zitiert nach Luhmann 1995, S. 246. [25] Wie das Pförtnerhäuschen der Königlichen Salinen von Ledoux. [26] Man könnte dieses Dirigieren als „parasitär“ bezeichnen, insofern es Nebeneffekte des Bauens ausnutzt. Menschen müssen, um zu überleben, typischerweise Unterschlupfe haben: Höhlen, Iglus, Zelte, irgendwann Gebäude aus Lehm und Stein. Aber genau der Umstand, dass gebaut werden muss, eröffnet die Chance, unterschiedliche Gestaltungen zu entwickeln und schließlich auch, die Unterschiede beobachten zu können. Das müsste nicht sein, aber es fällt an als Möglichkeit, die dann ausgenutzt wird. [27] Systemtheoretisch läßt sich das Neue Bauen als „Re-entry“ der Bautechnik auf der Seite der Baukunst bestimmen. Kommuniziert wird die Konstruktion. [28] Balmond 1993, S. 59. [29] Vgl. Ferrier 1971. [30] Sigfried Giedion, zitiert nach Baecker 1990, S. 81. [31] Wenn es nicht hält, wendet man sich denn auch nicht an die Architekten, sondern an die Bauingenieure. [32] Vgl. Hegel 1986, S. 271. [33] Feldtkeller hat darauf aufmerksam gemacht, dass schon bei der metaphorischen Verwendung des Begriffs die Distanz zum gemeinen Begriff des Baus von Bedeutung ist. Feldtkeller 2002, S. 292. Nicht umsonst trennt auch die Kosmetikindustrie gewöhnliche Wimperntusche von „Lash architecture“. [34] Damit ist noch nichts über den Status des Systems gesagt! [35] Vgl. Spencer Brown 1997, S. 10, 12 und Luhmann 1997, S. 75, 143. [36] Im Falle des Eiffelturms wird aus dem „düsteren Fabrikschornstein“ schließlich die „Eiserne Dame“, aus einem Nein ein Ja. [37] Ich beziehe mich lose auf den Begriff des „operativen Displacements“ von Peter Fuchs. Vgl. Fuchs 1993b. [38] Luhmann 2001, S. 15. [39] Siehe erneut El Croquis: Neutelings Riedijk, 1/99, 94, S. 142-151. [40] Ganz im Gegensatz zur gläsernen Pyramide in Dan Browns Sakrileg. Ieoh Ming Peis Gebäude fungiert in der Geschichte als ein Zeichen, informiert über das „Grab des Grals“. Dan Brown 2006, S. 606f. [41] Vgl. Fuchs 1993b, S. 226. [42] Daniel Libeskind, zitiert nach Krause 2005, S. 2f. [43] Folgt man Leo Beranek, weist die Rechteckform – der Schuhkarton – tatsächlich die besten akustischen Eigenschaften auf. Vgl. Beranek 2004. Der Aufwand, der im Konzertsaal der Casa dennoch getrieben werden muss, um eine zufriedenstellende Akustik zu gewährleisten, spricht für sich: So hat die Halle keinerlei Berührung mit der sie umgebenden Hülle, sie lagert auf Hartgummi, es gibt Vorhänge sowie ein bewegliches und transparentes Folienkissen, das über der Bühne schwebt, schließlich hat man in die Wände Schlitze eingeschnitten, sogenannte Schröder-Diffusoren, die für eine Reduktion der Nachhallzeit sorgen. Die „Funktionsform“ ist nur ein Mythos, wie schon Charles Garnier feststellen musste: “A room to have good acoustics must be either long or broad, high or low, of wood or stone, round or square, and so forth […]. Chance seems as dominant in the theatrical world as it is in the dream world in which a child enters Wonder land!” Zitiert nach Beranek 2004, S. 492. [44] Hegel 1986, S. 270. [45] Holger Liebs im Film Rem Koolhaas – A Kind of Architect (D 2007).
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