Zum Wohnen im 21. Jahrhundert |
__Klaus Theo Brenner Berlin / Potsdam |
Die gute Stadt – Rekonstruktion einer Planungsidee oder, wie baue ich eine Stadt? |
Das Thema der
Stadtarchitektur und die Erinnerung an das „Gute“ unserer europäischen Stadt
rückt im Sinne einer rationalen Stadtbaukunst und im Gegensatz zur
allgegenwärtigen, in hektische Metamorphosen verstrickten
Designerarchitektur ins Zentrum der aktuellen Architekturdiskussion.
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Abb. 1: Beirut 1991, Foto: Gabriele Basilico |
Stadtrekonstruktion (Elemente der Stadtarchitektur) Mit Stadtrekonstruktion ist vorrangig die Rekonstruktion einer planerischen Konzeption städtischer Architektur gemeint. Wir rekonstruieren nicht das Vergangene, sondern das, was scheinbar in Vergessenheit geraten ist – die Grammatik und Spielregeln traditioneller europäischer Stadtarchitektur als experimentelle Versuchsanordnung für zeitgenössische Projekte. Die zentralen Begriffe dieser architektonischen Rekonstruktion sind: Stadt, Straße, Block, Haus und Garten; diese führen uns auf einen klassischen architektonischen Rationalismus zurück, der ein zeitloses System von strukturierten, aufeinander aufbauenden Elementen der Stadtarchitektur konstruiert hat, dessen relativ simple Logik die Qualität einer Entwurfsmethode hat, die weniger auf die Kopie historischer Vorbilder abzielt, sondern auf starke Themen und eine übersichtliche Organisation des Entwurfsprozesses nach dem Motto: Je einfacher die Regeln, um so besser das Spiel! Diese rationalistische Komponente städtischer Architektur ist klassisch und modern gleichermaßen, da sie traditionelle und zeitgenössische Gewohnheiten und Ansprüche ebenso verbindet, wie abstrakte und sinnliche Dimensionen des Bauens (in einem gesellschaftlichen Spiel mit vielen Spielern und komplexen Realitäten). Selbst die Bilder aus dem zerstörten Beirut von Gabriele Basilico zeigen die Kraft dieser Planungsidee, deren architektonische Substanz unzerstörbar scheint und mit der Geschichte der europäischen Stadt unverbrüchlich verbunden ist. |
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Abb. 2.1: Berlin, Mietshaustypologie
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Historisches Panorama (Lernen von der Geschichte) Hans Hildebrandt konnte im Jahre 1928 im Vorwort zu Le Corbusiers deutscher Ausgabe von „Städtebau“ noch behaupten, dass „der Zerfall der Architektur im 19. Jahrhundert mit dem Verlust der Fähigkeit Städte zu bauen begann“, und dass „die Stadt von heute und erst recht die von morgen mit der Stadt von gestern kaum etwas gemein habe“[1] – der neue Mensch hätte also mit den alten Städten nichts zu tun. Gehen wir einmal davon aus, dass wir nicht darauf aus sind, im Sinne eines antiquarischen Geschichtsverständnisses historische Bilder zu kopieren, so hat der Blick auf die Geschichte der europäischen Stadt zwei Seiten, die zusammengenommen heute den städtebaulichen Entwurf (den Blick nach vorne also) entscheidend beeinflussen können: Einmal geht es um die eher abstrakte Seite der städtebaulichen Grammatik, die Analyse struktureller und typologischer Erscheinungsformen der europäischen Stadtarchitektur in ihrer morphologischen Vielfalt; andererseits geht es um die konkrete, bildhafte und atmosphärische Dimension von Stadt und städtischem Raum, wie sie in Stadtbildern der Kunst etwa zum Ausdruck kommt. Damit ist das historische Panorama auf zwei Betrachtungsebenen und im internationalen Vergleich für alle Architekten, die sich heute mit der Stadt befassen ein unverzichtbares Bildungsgut, aber auch ein Qualitätsmaßstab, an dem unsere eigenen Entwürfe gemessen werden müssen. Wird die Geschichte als Voraussetzung für unser kreatives Handeln anerkannt, ist der Tod des Avantgardedenkens im Künstlerarchitekten die Voraussetzung zur Wiederbelebung der Stadtarchitektur. Collage City (Heterotope) Der Blick auf die Geschichte kann zur romantischen Falle werden, wenn damit ein sentimentales Bild übergreifender Ordnung und Harmonie suggeriert wird, wie es für die Planungen des 19. Jahrhunderts typisch war (Haussmann in Paris, Hobrecht in Berlin, Cerdà in Barcelona oder Barabino in Genua). Im zeitgenössischen Städtebau beherrscht das Fragmentarische und die Vielfalt der Erscheinungsformen zwangsläufig Methode und Strategie des Entwerfens. Die Methode der Collage basiert auf der Unvollendetheit und Heterogenität der Elemente und kultiviert die Schönheit der Gegensätze. Eine wesentliche Forderung, die aus dieser durchaus problematischen Konstellation heutiger städtebaulicher Phänomene resultiert, ist einerseits die nach einem starken und unverwechselbaren Charakter der Stadt-Teile, bezogen auf die Qualität des öffentlichen Raumes, der Häuser und die Qualität der privaten und öffentlichen Freiflächen. Im Hervortreten eines charakteristischen Quartiersbildes entsteht für den Stadtbewohner Identität, eine Art Heimatgefühl! Aber bezogen auf das Ganze, also die Summe der (Stadt-)Teile, bedeutet Vielfalt und Abwechslung durchaus einen Gewinn an Lebensqualität, denn
„die psychologische Grundlage, auf der der
Typus großstädtischer Individualitäten sich erhebt, ist die Steigerung des
Nervenlebens, die aus dem raschen Wechsel äußerer Eindrücke hervorgeht. Der
Mensch ist ein Unterschiedswesen, d. h. sein Bewusstsein wird durch den
Unterschied des augenblicklichen Eindrucks gegen den vorhergehenden
angeregt.“[2] Schon 1753 hat Marc-Antoine Laugier in seinem Manifest des Klassizismus diese segensreiche Konstellation zwischen Ordnung und Chaos gesehen:
„Es ist also keine Kleinigkeit, den Plan einer Stadt so zu entwerfen,
dass aus einer unendlichen Zahl einzelner, ganz unterschiedlicher
Schönheiten ein prachtvolles Ganzes entsteht, dass man dort so gut wie nie
auf Gleiches trifft, dass man, falls man sie von einem Ende zum anderen
durchstreift, in jedem Viertel etwas Neues, Einmaliges und Fesselndes
entdeckt, dass dort zwar Ordnung, aber auch eine Art Durcheinander herrscht,
[…], und dass aus einer großen Zahl regelmäßiger Teile doch der
Gesamteindruck einer gewissen Regellosigkeit und von Chaos entsteht, der so
gut zum Charakter einer großen Stadt passt.“[3] |
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Abb. 3: Piranesi, Rom
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Besser könnte man das heute nicht ausdrücken. Die Idee der Collage City, wie
sie auch von Colin Rowe formuliert wurde, basiert auf autarken
Stadtteilfiguren mit hohem Identifikationswert und starken Spannungen
dazwischen. Öffentlicher Raum (der harte Kern) Die Struktur und Qualität des öffentlichen Raumes (und seine klare Abgrenzung gegenüber den privaten Wohnräumen) ist das konstituierende Element des neuen Städtebaus. Der öffentliche Raum ist die Bühne der Stadtarchitektur. Straßen, Plätze, Parks, Promenaden, Alleen oder Gassen aller Art sind die zentralen Themen innerhalb der Vorstellungswelt der Stadtrekonstruktion (in Stübbens „Städtebau“ von 1882 sind allein 25 Seiten angefüllt mit unterschiedlichen Straßenquerschnitten). Der öffentliche Raum bildet sozusagen den harten Kern der Debatte um die aktuelle Stadtarchitektur und steht symbolisch für die erhabene Seite eines zeitgenössischen „Stadttheaters“, das durch unterschiedliche Szenarien von der Baulückenschließung, über Verdichtung und Erneuerung vorhandener Strukturen bis zum Entwurf ganzer Stadtteile, geprägt wird. Eine baulich manifeste Kultur des öffentlichen Raumes als symbolische Form ist nach Habermas auch die wichtigste Voraussetzung für den Sozialraum Stadt, da „die Welt des Geistes“ sich erst dann entwickeln kann, „wenn die Flut des Lebens nicht mehr bloß [so] dahin strömt“, sondern „sich zu dauernden Gestalten zusammennimmt und vor sich hinstellt.“[4] Richard Sennett betont mit Bezug auf Kevin Lynch, dass eine Identität der Bewohner mit ihrer Stadt nur über artikulierte architektonische Figuren im öffentlichen Raum, deren klar umrissene Bild- und Charaktereigenschaften hergestellt werden kann,[5] „um [dann nach Aldo Rossi] all das zu ermöglichen, was im Leben unvorhersehbar ist“.[6] Das städtische Reihenhaus (Struktur und Rhythmus)
„Jenseits von sechs Flüssen steht Zora, eine
Stadt, die keiner vergessen kann, der sie einmal gesehen hat. Zora hat die
Eigenschaft, Punkt für Punkt im Gedächtnis zu bleiben mit seiner Abfolge von
Straßen und von Häusern entlang den Straßen, obwohl es dabei keine
besonderen Schönheiten oder Seltenheiten aufzuweisen hat.“[7] Das Ganze also ist wichtiger als seine Teile. Das städtebauliche Ensemble
erhält im öffentlichen Raum seine Bühne und im einzelnen Haus Struktur
und Rhythmus. Voraussetzung ist allerdings, dass wir überhaupt
von Häusern bestimmter Dimension (Breite und Höhe) reden, deren Architektur
aber nicht zwangsläufig bizarr und auffallend sein muss. Die Vorstellung von
einem Haus als (möglichst) eng begrenzte Einheit, als Stadtbaustein
„Wand an Wand“ stehend, war, wie Max Weber sagt, mit dem Siedlungsbau
mit seinen wie bestellt und nicht abgeholt auf der grünen Wiese
herumstehenden Objekten unbestimmter Dimension, weitgehend verschwunden. Das
städtische Reihenhaus, der „erfolgreichste Bautyp aller Zeiten“,[8]
stellt in welcher Größe (vom Einfamilienhaus zum Hochhaus) auch immer, das
Alphabet einer grammatikalischen Ordnung der Stadtarchitektur dar und ist
gleichzeitig deren individuellste Ausprägung. In dieser Rolle weist das
städtische Reihenhaus einige charakteristische Merkmale auf: Es ist
zweigesichtig, hat eine Vorder- und Rückseite, ein Außen und Innen und ein
Oben und Unten. Diese, dem gereihten städtischen Haus innewohnende
Konvention ist endlos variiert worden und bietet heute ein ideales
Experimentierfeld für den zeitgenössischen Entwurf. |
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Abb. 6: Tiergartenvilla, aus: Hugo Licht, Architektur Berlins, 1998 |
Stadtschönheit (die Fassade des städtischen Hauses) |
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Abb. 7: Gio Ponti in Mailand, aus: Annegret Burg, Stadtarchitektur Mailand 1920–1940, 1992. Foto: Barbara Burg |
Das Projekt St. Leonhards Garten in Braunschweig Das Projekt St. Leonhards Garten ist im Sinne einer „guten Stadt“ ein herausragendes Beispiel für Stadtumbau, Stadtverdichtung und Stadtverwandlung in einem bestehenden historischen Kontext. Inmitten eines gründerzeitlichen, relativ homogenen und im frühen 20. Jahrhundert durch Reformwohnungsbau ergänzten Wohngebietes am Rande der Braunschweiger Innenstadt stand ein Straßenbahndepot, das inzwischen abgerissen worden ist. Auf dem nun freigewordenen Gelände wird auf der Grundlage des Ergebnisses eines städtebaulichen Wettbewerbs und des von mir entworfenen Masterplans ein neues Wohnquartier gebaut. Der Kern dieses Projektes ist ein zentraler lang gestreckter und begrünter Platz, der über Zufahrtsstraßen in das bestehende Straßensystem der Umgebung eingehängt ist; also eine harmonische, organische und kontextgebundene Lösung mit hohem Identifikationswert. Das Projekt wird realisiert nach den Kriterien des Universal Design und ist ein Modellprojekt des Bundes für Mehrgenerationenwohnen. Die Bebauung um die neu entstehenden öffentlichen Räume herum besteht aus gereihten, individuellen Häusern kleinerer und mittlerer Dimension von drei bis vier Geschossen als Ein- und Mehrfamilienhäuser. Die Einzelparzellen wurden öffentlich ausgeschrieben und in einem europaweiten Verfahren vergeben. Bauherren sind Einzelpersonen, Baugruppen und im mehrgeschossigen Wohnungsbau auch Wohnungsbaugesellschaften. Die Realisierung der Häuser erfolgt auf der Grundlage einer verbindlichen Gestaltsatzung, deren Einhaltung in einem geregelten Verfahren durch einen von der Stadt eingesetzten Gestaltungsbeirat geprüft wird. Das herausragende ästhetische und räumliche Merkmal des neuen Stadtquartiers wird die grüne Mitte und das strukturierte Nebeneinander individueller, roter Backsteinfassaden sein, die dem öffentlichen Raum eine Kulisse geben. Stadtbewohner unterschiedlichen Alters und mit vielfältigen Aktivitäten befasst (in den Häusern gibt es auch gewerbliche Aktivitäten der Bewohner), werden diesen Raum nach dem Motto: „eine gute Stadt ist eine gute Wohnung“ nutzen und beleben. Dieser Text ist dem Buch „Die gute Stadt“ (2009) von Klaus Theo Brenner entnommen und ist hier ergänzt durch ein abschließendes Kapitel zum Projekt St. Leonhards Garten in Braunschweig.
[1]
Le Corbusier, Städtebau. Vorwort Hans Hildebrandt, Nachdruck
Stuttgart 1979.
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