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Wir erleben gegenwärtig eine Entwicklung,
in der sich unsere Vorstellungen vom Leben, vom Zusammenleben, von Kommune,
von Lebenszuversicht und -sicherheit ändern. Auf die Gründe dazu kann hier
nicht eingegangen werden, diese Tendenz fordert aber die Entwicklung neuer
Konzepte, neuer Planungsstrukturen und -verfahren. Die Menschen lassen sich
immer weniger von überlieferten Lebensformen beeinflussen und von den
traditionellen Instanzen bestimmen. Sie wollen ihr Leben in ihre eigenen
Hände nehmen und wollen vorsorgen, dass ihnen dies bis ins hohe Alter
gelingt.
Die Frage nach dem Wohnen und dem Quartier der Zukunft stellt sich immer
drängender. Lebensstile und Haushaltstypen werden vielfältiger und sind
heute sehr viel öfter als früher Veränderungen unterworfen. Neue
Wohnkonzepte, die individuelle und flexible Nutzungen ermöglichen, sind
daher gefragt.
Das Verständnis vom „Neuen Wohnen“ geht nachdrücklich über das einzelne Haus
hinaus und richtet sich an den umgebenden Stadtraum. Generelles Ziel ist es,
dem einzelnen Bauherrn auf seinem Baugrund eine individuelle, qualitätvolle
Architektur zu ermöglichen und dabei gleichzeitig den städtebaulichen
gestalterischen Zusammenhang des umgebenden Quartiers im Auge zu behalten.
Es besteht ferner die Tendenz der Bürger, wieder stärker den Kontext mit der
Stadt, mit ihren ökonomischen, sozialen und kulturellen Einrichtungen zu
suchen. Sie resultiert aus der Einsicht, dass das Leben auf dem Lande, das
die Notwendigkeit zu vielen Autofahrten (zweites Auto) mit sich bringt, die
zumeist auf das Familienmitglied, das zeitlich am disponibelsten ist,
zurückfallen, doch nicht so ökologisch und familienfreundlich ist. Zudem
haben viele Menschen erkannt, dass das Leben in der Stadt alters- und
behindertengerechter sein kann.
Vielfalt in der Einheit
Die Menschen sehen die Notwendigkeit, eine Gemeinschaft zu bilden, in der
dies Ziel in Freiheit von Zwang aber mit aller gebotenen Zuverlässigkeit
gemeinsam herausgebildet, umgesetzt und nachhaltig garantiert wird. Die
Kommune, die durch ihre infrastrukturellen, sozialen und kulturellen
Versorgungs- und Vorsorgeleistungen bisher Träger der Gemeinschaft gewesen
ist und Identität von oben nach unten gebildet hat, sieht sich immer mehr in
der Verantwortung für den Rahmen und gibt den Bürgern immer stärker die
Aufgabe, Gemeinschaft von unten nach oben zu bilden. Sie kann und sollte
selbstbestimmt, lebendig, flexibel und nachhaltig sein.
Bei der Entstehung kann die Kommune behilflich sein, etwa indem sie
geeignete Quartiere ausweist oder indem sie entsprechende Prozesse steuert.
In Braunschweig, um ein Beispiel anzusprechen, hat sich die Kommune
entschlossen, zusammen mit möglichst unterschiedlichen privaten
Einzelbauherren ein vielfältiges, lebendiges Quartier zu entwickeln.
Um diesen zahlreichen Ansprüchen an Planung und Durchführung und unserer
neuen Rolle als Projektentwickler gerecht zu werden, mussten neue Wege
beschritten werden. Ich möchte am Beispiel des Wohnprojekts „St. Leonhards
Garten“ einen Überblick über unsere gewählten Verfahrensschritte geben und
damit die Komplexität von Projektentwicklung, Planungsprozess und
Partizipation aufzeigen.
Es ist uns bereits gelungen, im Zuge der Initiative „Neues Wohnen in
Braunschweig“ eine Reihe von Brachflächen sowie kleine und größere Baulücken
wieder in einen Nutzungszusammenhang zu stellen und mit attraktiver
Stadtarchitektur zu bebauen. Allerdings war es bisher nur punktuell möglich,
attraktive innerstädtische Wohn- und Lebensbedingungen zu schaffen. Die
tatsächliche Nachfrage ist weitaus höher. Viele Familien, ältere Paare,
Einzelpersonen und andere Bauwillige sind auf der Suche nach qualitativ
hochwertigem Wohnraum. Die von vielen bevorzugte integrierte Wohnlage
innerhalb der Stadt wird aber allzu oft aus Mangel an geeigneten
Möglichkeiten und Angeboten gegen ein freistehendes Einfamilienhaus am
Stadtrand oder gar im Umland der Stadt eingetauscht. Die bis vor kurzem
beobachtbare Umlandabwanderung von Familien, insbesondere wenn sie Eigentum
erwerben, scheint rational, erfolgt aber tatsächlich überwiegend
unfreiwillig, denn diese Haushalte können das familiengerechte
Wohnungsangebot (Preis-Leistungs-Verhältnis) in den Innenstädten nicht
finden. |
Abb. 2:
Schema der
Lenkungsgruppe
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Moderations- und Planungsteams
Bereits 2005 haben unsere Vorbereitungen für die Planung des neuen urbanen
Stadtquartiers begonnen, eine „Lenkungsgruppe“, die sich aus Mitarbeitern
verschiedener Ressorts des Baudezernats und aus einem externen
Architekturwissenschaftler zusammensetzte, wurde eingerichtet. Diese
Lenkungsgruppe funktionierte als „Motor“ des Projekts. Sie koordinierte
einzelne Verfahrensschritte, bereitete sie zu einem großen Teil selbst vor,
delegierte aber auch Teilleistungen wie professionelle
Öffentlichkeitsarbeit, Moderations- und Koordinationsaufgaben an
entsprechende Büros.
Dass mit „St. Leonhards Garten“ ein „neuer Weg“ beschritten wird,
liegt an der Projektinitiierung durch uns, der Stadt Braunschweig, und der
für einen solchen Prozess notwendigen Öffnung der Verwaltung nach außen,
nicht nur bezogen auf die Öffentlichkeitsarbeit, sondern auch auf der
organisatorischen Ebene. Durch die Zusammenarbeit mit einem Koordinator, der
eine wichtige Schnittstelle zwischen der Stadt und den Bauherren markierte,
und den zusätzlich agierenden Moderatoren stellte sich die Stadt im
fortlaufenden Planungsprozess zunehmend als Planungspartner der Bauherren.
Es galt zunächst, frühzeitig Klarheit zu gewinnen, über die Ausrichtung des
Projekts „St. Leonhards Garten“ hinsichtlich angestrebter Zielsetzungen
ebenso wie über angewandte Planungsverfahren. Die im Rahmen unserer
Exkursionen vorgenommenen Besichtigungen der Wohnungsbauten und
Stadtquartiere waren nicht ohne Einfluss auf unsere Entscheidungen für die
weitere Projektentwicklung bzw. für die bewusste Gestaltung des
Planungsprozesses.
„St. Leonhards Garten“ – ein Bundesmodellprojekt
Es gab also gute Gründe, sich mit dem
Wohnbauprojekt „St. Leonhards Garten“ für das ExWoSt-Forschungsfeld
(Experimenteller Wohnungs- und Städtebau) des Bundesamts für Bauwesen und
Raumordnung (BBR) „Innovation für Familien und altengerechte Stadtquartiere“
zu bewerben. Die von uns formulierten inhaltlichen Bausteine, die mit der
Zielsetzung eingereicht wurden, eine Förderung vom BBR zu erhalten,
bestanden in erster Linie in einer wissenschaftlichen Begleitung, Betreuung
und Dokumentation des komplexen Planungs- und Moderationsprozesses.
Aus ca. 140 Bewerbungen konnten wir uns neben acht anderen Städten mit dem
Projekt „St. Leonhards Garten“ durchsetzen und erhielten bis in das Jahr
2009 hinein Fördermittel aus dem ExWoSt-Programm. Das Auswahlgremium des BBR
hat den innovativen Charakter des Planungsprozesses für „St. Leonhards
Garten“, aber auch die komplexen inhaltlichen Zielsetzungen als beispielhaft
und förderungswürdig anerkannt.
Ein Teil des experimentellen Charakters von „St. Leonhards Garten“
kennzeichnete unser Bemühen, durch strategische Schritte in einem
moderierten Planungsprozess die Herausbildung von nachbarschaftlichen
Strukturen zu unterstützen.
Internationales mehrstufiges
Wettbewerbsverfahren
Die bereits im ExWoSt-Antrag
ausformulierten Zielsetzungen bildeten die Grundlage für den im Oktober 2006
ausgelobten Wettbewerb, der in drei Phasen angelegt war. Begonnen wurde mit
einer für alle teilnahmeberechtigten Personen offenen Bewerbungsphase, bei
der eine Ideenskizze zum Wettbewerb oder eine Liste mit Referenzen zu
realisierten Projekten eingereicht werden musste. Aus den 250 Bewerbern
wurden von der Jury im November 2006 neben acht geladenen Teilnehmern
insgesamt 45 Architekturbüros zur weiteren Bearbeitung für die zweite Phase
des Wettbewerbs empfohlen. In dieser Phase ging es um die Konzeption einer
städtebaulichen Vorzugslösung für das gesamte Planungsgebiet unter den
Prämissen einer Berücksichtigung der bestehenden Baustrukturen und einer
Realisierung in Teilabschnitten sowie einer Anlehnung an die
gründerzeitliche Bebauung.
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Abb. 3:
Städtebaulicher Entwurf von
Klaus Theo Brenner
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Die angemessene Gestaltung und
Dimensionierung der öffentlichen Räume, die Schaffung von Optionen für
vielfältige Wohnungstypologien und von Möglichkeiten zu unterschiedlichen
Arten der Realisierung sind nur einige der allgemeinen Empfehlungen des
Preisgerichts für die Bearbeitung dieser zweiten Planungsphase. Da sowohl
der erste Preis des Architekturbüros Hinrichs Wilkening Architekten (Berlin)
als auch der zweite Preis des Berliner Architekturbüros Klaus Theo Brenner
einen städtebaulich ähnlichen Ansatz zum Ergebnis hatten – im Mittelpunkt
beider Entwürfe steht die Schaffung eines großen gemeinschaftlichen Platzes
mit einer klaren Form und einer hohen atmosphärischen Dichte – wurden beide
Entwürfe zur öffentlichen Diskussion gestellt. Eine erste Bauherrenabfrage
u. a. zur städtebaulichen Präferenz erfolgte über einen Fragebogen, sie
hatte eine deutliche Zustimmung für den Entwurf Klaus Theo Brenners zum
Ergebnis und signifikanten Einfluss auf die Entscheidung der politischen
Gremien der Stadt Braunschweig, diesen Entwurf zur Grundlage für die weitere
Bearbeitung, für den Masterplan und letztendlich für den Bebauungsplan zu
nehmen.
Zur anschließenden dritten Phase des
Wettbewerbsverfahrens, die eine architektonische und typologische Vertiefung
auf Basis der ersten beiden Wettbewerbsgewinner vorsah, wurden die Verfasser
aller zehn prämierten Arbeiten aufgefordert. Die Aufgabenstellung bestand
nun hauptsächlich darin, variierende Haustypologien und Architekturen
innerhalb eines ganzheitlichen Anspruchs zu entwickeln, Beispiele für
Gestaltungsprinzipien abzuleiten, Interpretationsspielräume innerhalb des
stringenten städtebaulichen Grundrisses aufzuzeigen und den Charakter des
Stadtplatzes zu konkretisieren. Mit dieser Erarbeitung von Bau- und
Wohntypologien in der dritten Wettbewerbsphase war ein ungewöhnlich in die
Tiefe recherchiertes, umfangreiches Material mit Grundrissbeispielen zu
Stadthäusern und Geschosswohnungsbauten entstanden. Dementsprechend
beauftragten wir die ersten drei Preisträger damit, eine
gestalterisch-funktionale Rahmenkonzeption zu erarbeiten, die in Form eines
Handbuchs veröffentlicht wurde.
Symposium zum Thema „Zukunft des Wohnens“
Beginnend mit der Auftaktveranstaltung und dem öffentlichen
Rückfragenkolloquium zum Wettbewerb im Dezember 2006 hat die Stadt eine weit
gefächerte Reihe von Veranstaltungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten zum
Thema Neues Wohnen / Zukunft des Wohnens eingeleitet. Den
Publikumsveranstaltungen folgten Fachsymposien, Architektenbörse und
vertiefende Info- und Beteiligungsveranstaltungen mit unterschiedlichen
Schwerpunkten. Insbesondere die Auseinandersetzung mit teils vergleichbaren
Projekten wie die Werkbundsiedlung München, dessen Architekt Kazunari
Sakamoto (Tokio) im Symposium seine Gedanken zur Diskussion gestellt hat,
wie auch die Akteure des Projekts „Französisches Viertel in Tübingen“, haben
Gegenmodelle in die Diskussion eingebracht und damit alternative Horizonte
präsentiert.
Architektenmesse – Kontaktbörse für Bauinteressenten
Neben diversen Informationsveranstaltungen wurde die Öffentlichkeit 2007
in einer mehrtägigen Veranstaltung unter Beteiligung von Architekten,
Fachvertretern (Immobilien, Finanzen) mit breit gefächerten Informationen
und Beteiligungsmöglichkeiten unterrichtet; u. a. wurden andere Planansätze
diskutiert (Werkbundsiedlung München, Loretto-Areal in Tübingen).
Die „Spielregeln“ und die Mitwirkung der privaten Bauherren
Es sollten also in der Planung z. B. Gesichtspunkte des Universal Design
als Gestaltungsprinzip für Mehrgenerationennachbarschaften berücksichtigt
werden. Als Instrument zur Qualitätssicherung wurde in „St. Leonhards
Garten“ mit Spiel- und Gestaltungsregeln gearbeitet, die einerseits eine
architektonische Einheitlichkeit der individuellen Stadt- und Doppelhäuser
unterstützen, zugleich aber individuelle Gestaltungsfreiheit, lebendige
Vielfalt und individuelle Identifikation ermöglichen sollen. Wir wollten
gewissermaßen an unsere Erfahrungen anknüpfen, Antworten zur „Zukunft des
Wohnens“ in Verbindung mit einer verbindlichen Festlegung von „Spielregeln
zum Bauen“ mit unterschiedlichen Wettbewerbskonzepten und konkreten
Projekten zu suchen und zu diskutieren.
Dies geschah auch im Hinblick
darauf, dass eine frühzeitige Mitwirkung der Bürger und eine offen geführte
Diskussion mit ihnen über Regeln, die später für sie verbindlich gelten,
vermutlich zu einer besseren Akzeptanz führen würden. Das „Handbuch zum
Bauen in St. Leonhards Garten“, das in ausführlichen Texten eine Erläuterung
der konkreten und verbindlichen „Spielregeln“ beinhaltet, haben die
Bauinteressenten u. a. mit der Beantwortung der Fragebögen mitgestaltet und
ausformuliert.
Mit der Herausgabe dieses
Gestaltungshandbuchs ist es gelungen, den privaten Bauherren sehr früh einen
kompakten Überblick, insbesondere auch über die wesentlichen
Bewerbungsschritte zum Erhalt einer Grundstücksoption und weitere
Anforderungen, zu vermitteln.
Bereits im Wettbewerbsverfahren wurde der Zusammenschluss zu Baugruppen von
einzelnen privaten Bauinteressenten für den Eigenbedarf als Selbstnutzer
favorisiert. Das Verfahren richtete sich in erster Linie an private
Bauherren, an junge Familien mit Kindern und an die Generation 50+, die sich
zu Baugruppen zusammenschließen mussten. Erst in zweiter Linie werden
Bauträger und andere Modellformen zum Zuge kommen. Unser modellhafter Ansatz
bestand nun darin, die Projektteilnahme der privaten Bauherren, d. h. den
Erhalt einer Grundstücksoption, an die Bildung einer Baugruppe zu binden.
Damit war ein durchgängiger partizipatorischer Ansatz in diesem
Planungsprozess bereits implementiert. Bauinteressierte wurden in mehreren
Schritten von ihrem Interesse bis zur Bildung der eigentlichen Baugruppe
begleitet.
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Abb. 5:
Marketing, Information, Vernetzung
Abb. 6:
:
Webcam Straßenbahndepot
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Öffentlichkeit als Gütesiegel
Die frühzeitige Verschränkung der Öffentlichkeitsarbeit mit
variantenreichen Veranstaltungen und partizipativen Elementen sowie die
begleitenden inhaltlich präzisen Dokumentationen haben zu einer hohen
Beteiligung und Motivation der angesprochenen Zielgruppen geführt, den
einzelnen Prozessschritten über den Zeitraum von zwei Jahren engagiert zu
folgen und Angebote zur Partizipation anzunehmen. Besonders hervorzuheben
ist die Öffnung der Stadtverwaltung nach außen in Form einer ständigen
Dialogbereitschaft mit dem Bürger, die durch diese Form der
Öffentlichkeitsarbeit ermöglicht wurde. Es entstand durch die auch
öffentlich wahrnehmbare Initiierung des Projekts seitens der Stadt
Braunschweig frühzeitig eine Art Gütesiegel für ästhetische Qualität und ein
Signal für Planungssicherheit, nicht unerheblich unterstützt dabei von dem
Status als Bundesmodellvorhaben.
Durch die Übergabe der Moderation und Koordination an einen externen
Ansprechpartner, der weder in Aufgabengebiete der Stadt oder selbst in einer
Baugruppe involviert war, erhielt das Planungsverfahren eine wichtige Mitte.
Neben der kontinuierlichen Präsenz und Ansprachebereitschaft, der Übernahme
von Aufgaben, wie der Konzeption und Moderation von öffentlichen
Veranstaltungen, ist es besonders die Funktion eines Mediators, der zwischen
unterschiedlichen Interessenkonflikten vermittelnd tätig wurde, die diese
Rolle auch für zukünftige Projekte vorbildlich macht.
Das Gelände des Straßenbahndepots ist geräumt, öffentlich erschlossen und es
wird seit Anfang November 2009 gebaut.
Die Baugruppen haben sich gefunden. Unterschiedlichste Planungsvorstellungen
wurden diskutiert, geordnet, die Entwurfsplanungen haben den
Gestaltungsbeirat durchlaufen. Damit konnte sich die Stadt Braunschweig aus
diesem Teil des Verfahrens verabschieden. Nach heutigem Stand sind die zwölf
Baugruppen mit je drei bis zehn Mitgliedern soweit, dass ab 2009 gebaut
wird. Es gibt weiterhin Arbeitsgruppen zum Thema Platzgestaltung und
Quartierstreff. Die Projektentwicklung für institutionelle und gewerbliche
Investoren dauert an.
Die Skizze dieses Braunschweiger Wohnprojekts „St. Leonhards Garten“
macht sehr deutlich, welche Möglichkeiten der Steuerung die Kommune, in
diesem Falle in der Rolle als Urheber und Moderator, bei der Gestaltung des
Rahmens eines innovativen Planungsverfahrens aktiv wahrnehmen kann. Ein
solcher Planungsprozess beansprucht einen langen Zeitraum, bindet
unterschiedlichste Ressourcen der städtischen Verwaltung und wirft natürlich
auch die Frage nach notwendigen und vorhandenen Kompetenzen der
unterschiedlichen internen und externen Projektbeteiligten für die
Gestaltung von Stadt auf.
In diesem Zusammenhang möchte ich abschließend auf die mir wichtigsten
Handlungsfelder eingehen, auch darauf, dass es besonderer Kompetenzen
bedarf, um in einem solchen Planungsprozess organisatorisch, juristisch,
technisch, architektonisch, sozial und klug agieren zu können. Wir haben
fünf Aufgabenfelder definiert, die über die normalen Handlungsfelder von
Architekten und Planern hinausgehen, die uns aber für einen Projekterfolg
ganz wichtig erscheinen.
Kompetenzen und Aufgaben für die Gestaltung eines innovativen
Planungsverfahrens
Das erste Aufgabenfeld ist die Vermittlung der Projektkonzeption und die
Architekturvermittlung gegenüber der Öffentlichkeit und den Medien. Es
besteht daraus, frühzeitig künftige private und institutionelle Investoren,
wie z. B. Baugesellschaften und Bauträger etc., zu informieren, zu
kontaktieren, dabei die kommunalen Gremien zu beteiligen und so den ersten
Schritt für eine professionelle Öffentlichkeitsarbeit für das Projekt auf
den Weg zu bringen.
Das zweite Aufgabenfeld ist ein Aufgabenfeld, das sich normalerweise in den
Kommunen, in den Städten kaum stellt, aber bei einem solchen Modellvorhaben
zwingend notwendig ist: die wissenschaftliche Begleitforschung. Sie kann
natürlich in keinem Falle von den Beteiligten innerhalb des Hauses, der
städtischen Verwaltung, geleistet werden, sondern muss in jedem Falle extern
vorgenommen werden. Organisiert wird dieses Aufgabenfeld jedoch von der
Stadt.
Im konkreten Fall für das Projekt „St. Leonhards Garten“ gab es mehrere
Felder der Begleitforschung, die entsprechend von unterschiedlichen
Forschern übernommen wurden. Dazu musste mit den Begleitforschern der Rahmen
für ein gemeinsames Forschungskonzept entwickelt werden, u. a. mit dem Ziel,
die Übertragbarkeit, die Modellhaftigkeit, einzelner Verfahrensschritte auf
andere Projekte innerhalb der Stadt, aber auch bundesweit und darüber
hinaus, abzuleiten. Dies erfordert eine Begleitforschung, die von Beginn an
jeden einzelnen Schritt des Planungsprozesses begleitet und analysiert sowie
anschließend in einem Forschungsbericht dokumentiert, in dem die
entsprechenden Strategieansätze zusammenfassend aufgezeigt und darüber
hinaus Möglichkeiten für weiteren Entwicklungsbedarf angedacht werden.
Die Impulse, die durch eine kontinuierliche wissenschaftliche Begleitung in
den Planungsprozess einflossen, sind nach unserer Erfahrung positiv zu
beurteilen: insbesondere der kritische Blick von außen auf das Projekt, die
Achtsamkeit der wissenschaftlichen Begleitung, die angestrebten
übergeordneten Zielsetzungen im Verlauf dieses komplexen Planungsprozesses
nicht aus dem Fokus zu verlieren, für die Präsenz der Diskussion
übergeordneter Ziele im Kontext des Projekts zu sorgen.
Das dritte Aufgabenfeld umfasst das Projektmanagement, ein Aufgabenbereich
der Koordination der öffentlichen und privaten Belange räumlicher,
zeitlicher, verwaltungstechnischer und finanzieller Art. Eine
Investitionsplanung und -steuerung gehört ebenso dazu wie beispielsweise der
Entwurf eines Stufenszenarios für die Projektentwicklung.
Im vierten Aufgabenfeld befindet sich die begleitende Moderation des
Planungsprozesses, die sich im Gegensatz zu den Koordinierungsaufgaben von
den jeweiligen Projektinhalten her bestimmt.
Die Moderation wendet sich im Wesentlichen an die Investoren des Gebiets,
wie z. B. zunächst an die privaten Bauherren bzw. später an die Baugruppen.
Wir haben es mit einer hohen Anzahl von Akteuren mit sehr unterschiedlichen
Planungsvorstellungen zu tun, die unter einem übergreifenden Rahmenplan
zusammengeführt werden müssen.
Das fünfte Aufgabenfeld setzt sich aus Aufgaben sowohl aus dem planerischen
als auch aus dem Managementbereich zusammen: die Organisation und
Vermarktung der Baukonzeptionen. Gemeint sind beispielsweise typische
Arbeiten aus dem Bereich der vorbereitenden und verbindlichen
Bauleitplanung, wie die Definition von Baufeldern und Baumassen, die Bildung
von Bauabschnitten etc. Ein Grundstücksvergabeverfahren für die Baugruppen
musste justiziabel gestaltet und durchgeführt werden, parallel dazu wurden
Teilprojekte, die gewerblichen Charakter haben, EU-weit ausgeschrieben und
vergeben. Einzelne Projekte wurden individuell begleitet und in der
Bewältigung der jeweiligen formalen und planerischen Hürden unterstützt.
Diese fünf beschriebenen Aufgabenfelder stellt die Kommune, wenn sie der
Rolle als Initiator und dem Anspruch an Innovation gerecht werden möchte,
vor große Herausforderungen. In einer ressortübergreifenden Lenkungsgruppe
arbeiten wir als städtische Verwaltung mit externen Planungspartnern über
einen langen Zeitraum zusammen, mit Planungspartnern, die es nicht eben
gewohnt sind, zusammen zu arbeiten. Hinzu kommt, dass ich bei 1.400
Mitarbeitern in der Bauverwaltung beispielsweise im Jahr mit einer hohen
personellen Fluktuation rechnen muss. Insgesamt etwa 100 bis 150
Mitarbeiter, etwa die Hälfte davon sind externe Projektmitarbeiter, scheiden
jährlich aus, weil sie in den Ruhestand oder sonst wohin hingehen.
In einem laufenden Planungsprozess findet also zusätzlich ein ständiger
personeller Erneuerungsprozess statt. Von diesen jährlich 100 bis 150 neuen
Mitarbeitern werden ungefähr 20 bis 25 Prozent mit Aufgaben betraut, die man
wirklich als kreativ kennzeichnen kann (Planer, Architekten etc.). Gerade
wenn man sich schwerpunktmäßig auf Modellprojekte konzentriert, die als
Leuchtturmprojekte der Stadt wichtige Impulse liefern sollen, stellt sich
daher gleichzeitig die Frage nach den Kompetenzen bzw. der Qualifikation der
jetzigen und der zukünftigen Mitarbeiter neu.
Urteilsfähigkeit, Verhandlungsgeschick, die Fähigkeit Probleme früh zu
erkennen, zu definieren, aber auch zu lösen, im Sinne von „Troubleshooting“
auch systemimmanente Probleme zu identifizieren, gehören zu den wichtigsten
Grundanforderungen, die ich an dieser Stelle nennen möchte, der
Teamfähigkeit kommt eine besonders große Bedeutung zu.
Für die Kommune als Urheber und Moderator eines von Anfang an offenen und
interaktiven Planungs- und Beteiligungsprozesses heißt das, dass wesentliche
Projektentscheidungen nicht einsam im Rathaus oder anderswo, sondern in
einem Diskurs zwischen Baudezernat als Projektträger, den involvierten
Architekten und Planern, den Bauinteressenten, den Anliegern und vielen
anderen Beteiligten entstehen. Das erfordert ein hohes Maß an Engagement,
die beschriebenen Aufgabenfelder verlangen einen ständigen Perspektivwechsel
der Projektbeteiligten, sie müssen mit hohen Kommunikationsanforderungen
umgehen. Dieses Engagement lohnt sich als Kommune. Entstehen doch
langfristig auf diese Weise Planungs- und Kommunikationsstrukturen, die den
Bürger in seiner Selbstbestimmung unterstützen und einem Anspruch an
Planungs- und Baukultur sowie nachhaltige Stadtentwicklung wirklich nahe
kommen.
Abbildungsnachweis:
Abb. 1: Stadt Braunschweig (Hg.), Handbuch zum Bauen in St. Leonhards
Garten. Braunschweig 2008, Titelblatt
Abb. 2-4: Stadt Braunschweig (2009)
Abb. 5: Heike Wehrmann-Ernst, Wahlverwandtschaften.
Baugruppen in einem Planungsprozess zwischen Qualitätsmanagement und
Partizipation. Masterarbeit BTU Cottbus 2009 (unveröffentlicht), S. 45
Abb. 6: Stadt Braunschweig:
www2.braunschweig.de/webcam/stleogarten.jpg [Stand 22.01.2010]
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