Zum Interpretieren von Architektur
Theorie des Interpretierens

12. Jg., Heft 2, Dezember 2008

 

___Thomas Hackenfort
& Stefan Hochstadt
Dortmund
  Architektur, die ich meine –
Wie architektonische Wirklichkeit durch Interpretation konstruiert wird

 

   

1. Einleitung

„Von wegen Symbole und Zeichen, diese Dinge ‚spürt man in den Eingeweiden’, wie Architekten der alten – und neuen – Schule der Empfindungen sagen würden.“
[1] In selbstbewusster Stellvertretung sagt dies allerdings Bruno Reichlin, schweizerischer Architekt und Architekturtheoretiker. Wie weit „Erspüren“ synthetisierte Erfahrung aller Wahrnehmungssinne, Intuition oder gar synästhetische Erfahrung ist, bleibt hier offen. Reichlin spricht aber einen Widerstreit an, mit dem sich beileibe nicht nur Architekten plagen, der aber offenbar in der Architektur seine vielleicht unmittelbarsten Dispute erfahren hat. Denn die Dialektik von Welt und Mensch hat durch die Geschichte eine Vielzahl von Human- und Geisteswissenschaftlern beschäftigt, und Architektur stellt dabei für sie bis heute einen exemplifizierbaren Realitätsbezug, aber auch eine Herausforderung für das Denken der kulturellen Implikationen dieser Dialektik dar.

Im Kern geht es stets darum, zu ergründen, „wie“ und „warum“ Menschen im Anschluss an „rohe“ sinnliche Wahrnehmungen des Vorbegrifflichen ein Verständnis von ihrer Umwelt erhalten, wie sie es formen und mitteilen. Doch diese Frage hat in der Klärung ihres Bezugs bereits eine wesentliche Schwierigkeit. Denn wo die rohe sinnliche Wahrnehmung endet und das Deuten und Verstehen beginnt, welchen Anteil das stets lernende, individuelle Bewusstsein für sich, im Verhältnis zur Welt im Allgemeinen und zum Ding im Besonderen als konstruierte Wirklichkeit hat, ist Gegenstand anhaltender (sprach-) philosophischer Diskurse spätestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts, genauer vielleicht seit dem linguistic turn.
[2] Wird das Wie und Warum des Deutens und Verstehens in der Architektur damit zu einer reinen Frage der Erkenntnistheorie? Allein schon der Philosophie fällt es zunehmend schwer, die Epistemologie aus nur einer Perspektive, wie sie in den inzwischen zahlreichen Turns zum Ausdruck kommen, zu erfassen.[3]

Dabei können wir die Welt nicht anders erfahren, als wir sie erfahren, wir können den Prozess und das Ergebnis dieser Erfahrung aber unterschiedlich bezeichnen und kommunizieren. Dies ist keine Überzeugung der Philosophie allein, vielmehr wird sie seit einigen Jahrzehnten disziplinenübergreifend thematisiert. Der Soziologe Niklas Luhmann etwa würde sie aus der Perspektive der Systemtheorie so formulieren, dass wir uns und die Welt nicht selbst beobachten können, sondern dafür einen Beobachter benötigen, der uns als Individuum oder als Gesellschaft beobachtet – und beschreibt. Worin ihm der neo-pragmatische Philosoph Richard Rorty mit der Feststellung beipflichten könnte, dass damit schlicht „to view the self from the outside“ gemeint ist.
[4] Poststrukturalisten wäre es dann überlassen, auf die große Nähe und die verbindenden Elemente von Semiotik und Hermeneutik hinzuweisen, wenn es um Prozesse der Interpretation, des (gegenseitigen) Verstehens und der Ontologie geht.[5]  Bei Eco, mit Bezug auf Cassirer, ließe sich schließlich die Umschreibung finden, der Mensch mache als symbolisches Wesen die Kultur insgesamt, also die Riten und Bräuche, Institutionen, die Wortsprache und die sozialen Beziehungen zu symbolischen Formen, um darin seine Erfahrungen zu fassen und sie austauschbar zu machen.[6] Das soziale Bindeglied, das Symbolnetz, verwandelt dabei sein ganzes Dasein, er lebt in einer „neuen Dimension der Wirklichkeit“.[7] Ein Symbol könnte dabei als ein Zeichen verstanden werden, das sich selbst als Zeichen bezeichnet,[8] wobei dessen Gebrauch und Verständnis in Gesellschaften kodifiziert ist, sich mithin also als ein Netz der Überzeugungen sowohl unserer Erwartungen als auch unseres Verstehens formalisiert.[9]

Es lassen sich weitere, „modern-konstruktivistische“
[10], epistemologische Gemeinsamkeiten oder Über­einstimmungen in den genannten Wissensgebieten, darüber hinaus auch etwa zur Sprechtakttheorie Austins, zur Psychoanalyse Lacans[11] oder zur Anthropologie von Lévi-Strauss ausmachen.[12] So ist diese Suche nach Schnittmengen in der Systemtheorie, der Erkenntnistheorie, der Sprachphilosophie und nicht zuletzt der Semiotik als Teil des hier verfolgten Ansinnens zu verstehen, die wirklichkeitskonstitutive Rolle der Interpretation am Fallbeispiel der Architektur disziplinenübergreifend zu skizzieren. Denn in den genannten Fachgebieten sind je eigene Modelle zum Interpretationsbegriff entwickelt worden, und auch wenn sie in ihren Facetten und Ausdifferenzierungen kaum erschöpfend darstellbar sind, so lässt er sich mit Blick auf die Schnittmenge nicht nur stabiler konzeptionalisieren, sondern auch in seiner Spannbreite erfassen. In diesen Zusammenhang passt ferner, dass sich beispielsweise Luhmann explizit mit den zeichentheoretischen Aspekten der Systemtheorie[13] und Eco, Putnam u. a. mit den gesellschaftsformierenden Implikationen der Zeichentheorie auseinandergesetzt haben.[14]

Die so skizzierte Interdisziplinarität des Untersuchungsgegenstandes ist jedoch nicht als Distanzierung von der Architekturtheorie zu verstehen. Zahlreiche Protagonisten der genannten Wissensgebiete haben sich in ihren Texten und aus ihrer jeweiligen Perspektive dezidiert mit Architektur beschäftigt, und daher besteht der Versuch an dieser Stelle auch darin, den Blick umzukehren, um folglich aus architekturtheoretischer Sicht zu klären, wie eine Realität der Architektur zurückzuführen ist auf soziale, philosophische oder auch zeichentheoretische Konzeptionen von Interpretation. Es wird noch zu zeigen sein, dass sich Architektur kaum auf etwas anderes zurückführen lässt, vorausgeschickt wird damit aber insbesondere eine notwendige Fassung des hier thematisierten Gegenstandes. Denn insbesondere die Semiotik erhebt den Anspruch, nicht nur etwa Architektur als ein Feld menschlichen Handelns erklären zu wollen, sondern „das Wirkliche“ überhaupt als Zeichenprozess aufzufassen und damit die soziale und kulturelle Welt insgesamt zum Gegenstand der zeichentheoretischen Forschung zu machen.
[15] Folgt man Eco, so muss in der Konsequenz „die ganze Kultur [...] als Kommunikationsphänomen untersucht werden“, und das heißt: „Alle Aspekte einer Kultur können als Inhalte der Kommunikation untersucht werden“.[16] Gegen diese beiden, wie Eco es sagt, Hypothesen ist zunächst nichts einzuwenden, ihre Vermittlung bereitet hingegen schon größeres Missfallen.[17] Aber: Der kulturtheoretische Status der Systemtheorie steht mit diesen Hypothesen der Semiotik durchaus im Einklang, der Soziologe Günter Burkart bezeichnet die Kommunikationstheorie als zentrale Säule der Gesellschaftstheorie,

und damit wird auch der Kultur eine zentrale Rolle zugewiesen, denn Kommunikation stützt sich immer auf semantische Themenvorräte, binäre Codes und Programme, Sprache und Verbreitungsmedien wie Schrift, Buchdruck, Massenmedien, Computer – aber vor allem auf die symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien.[18]

Hier erscheint zugleich die ganze Ambiguität des Medienbegriffs, der sowohl Aspekte der Beobachtung, aber auch der Übermittlung bis hin zur massenhaften Verbreitung des zu Übermittelnden in sich trägt. Damit ist schließlich der Bogen zur (poststrukturalistisch geprägten) sozialen Praxis geschlagen, deren Dichotomie gerade darin besteht, dass individuell konstruierte Wirklichkeit sowohl Ergebnis vorhergehender als auch Grundlage der ihr nachfolgenden Bedeutungszuweisung ist. In diesem System ist, mit anderen Worten, jeder Empfänger zugleich auch Sender semantischer Themenvorräte, ihr Rezipient wie auch ihr Produzent. Diese Auffassung lehnt prinzipielle Unterschiede zwischen den Kommunikationsmedien ab – ihre grundsätzlichen Eigenschaften sind übereinstimmend – und rekurriert stärker auf funktionale Disparitäten.

Wir können somit zunächst einleitend festhalten, dass es in der Systemtheorie wie auch in der Semiotik Konzepte des Interpretationsbegriffs gibt, die weitgehende Analogien aufweisen. Gegen die These des hermeneutischen Universalismus, die beinhaltet, dass „alle menschlichen Aktivitäten als Ausdruck eines Prozesses der Semiose“ zu beschreiben seien und dabei von der „Zeichenhaftigkeit des Verstehensprozesses“ ausgegangen werden müsse,
[19] gibt es allerdings nicht unerheblichen Widerstand. Insbesondere der amerikanische Philosoph Richard Shusterman wirft genötigt die Frage auf, „ob es überhaupt eine Zeit gibt, in der wir nicht interpretieren“.[20] Es ist, so seine Ansicht, dem „Verlust des Glaubens an fundamentalistische realistische Objektivität“ geschuldet, dass die Überzeugung, jede bedeutungsvolle Erfahrung sei ein Fall von und das Ergebnis von Interpretation, sich zum derzeit gültigen Dogma entwickelt habe.[21] Diese von ihm geäußerte Skepsis gegenüber einem als übermächtig empfundenen Interpretationsbegriff lässt ihn – wenn auch nicht ohne Polemik[22] – eintreten für eine Trennung der Auffassung von »Verstehen« und »Interpretieren« in dem Sinne, dass ein Verstehen auch ohne Interpretation möglich sein müsse. Sein Widerstand gegen Hans-Georg Gadamers (und letztlich Nietzsches) These, dass alles Verstehen Interpretation sei, sein Versuch, gegen die Überzeugung der „Anti-Fundamentalisten-Front“ zu argumentieren, die behaupte, es gebe nichts vor der Interpretation, kurz, sein Plädoyer für „bescheidenere Ansprüche an die Interpretation“ lenkt indes erst den Blick darauf, wie umfassend und grundlegend das Konzept der Interpretation offenbar geworden ist, und worin es sich von der (Text-) Auslegung unterscheidet. Hiley, Bohman und Shusterman untersuchen dennoch auch den „Interpretive Turn“,[23] sehen Bezüge zu den Natur- und Humanwissenschaften und erkennen dabei die starken sozialen und politischen Implikationen des so verstandenen hermeneutischen Universalismus an.[24]

Offenbar ist aber der Bedarf damit nur umso dringender geworden, zwischen zwei grundlegenden Begriffskonzepten zu unterscheiden, die beide mit dem Ausdruck Interpretation bezeichnet werden.
[25] Schalk schlägt dazu vor, Interpretation in einen erkenntnistheoretischen und einen technischen Begriff zu differenzieren. Damit könne, im Sinne Nietzsches, zwischen Interpretation als anthropologischem Merkmal des Menschen und der enger gefassten Form der Deutung geschriebener oder gesprochener Texte (aber auch Werken der bildenden Kunst) unterschieden werden.[26] Vermutlich unfreiwillig liefert Shusterman in der Ablehnung des „allumfassenden“ Interpretationsbegriffs wertvolle Hinweise auf mögliche Abgrenzungen, wenn er vom Unterschied zwischen unangestrengtem, nicht denkendem Verstehen einerseits und abwägendem, konzentriertem  Denken andererseits spricht, mit der Konsequenz, nur letzteres könne wirklich als Interpretation bezeichnet werden und hebe sich damit substanziell von unformulierbaren, präreflexiven, nicht diskursiven, gefühlten Hintergründen ab, kurz, von Fähigkeiten, die auf Gewohnheiten und Erfahrungen basierten. Diesen Bereich menschlicher Existenz weist er, in einer Art bewunderungsstarrer Haltung zu Wittgenstein, dem Unaussprechlichen, dem Mystischen zu.[27]

Nachdenken, Klären, Auflösen, überlegtes Entscheiden – diese Tätigkeiten sind tatsächlich mit der Offenlegung unausgesprochener Tiefenstrukturen in Texten in Verbindung zu bringen, mithin also mit dem technischen Interpretationsbegriff. Wenn Shusterman die Ansicht vertritt, dass die Benutzung einer Treppe zwar Entscheidungen zur Manövrierung des eigenen Körpers verlangt, er aber nur im Problemfall abnormaler Bedingungen in diesem Zusammenhang von Interpretation sprechen mag,
[28] dann muss ihm bei diesem Versuch der Begriffsverkürzung die Definition Ecos entgegengehalten werden, wonach eine Treppe zwar einen zwingenden Bewegungsreiz ausüben kann, ihre Bedeutung jedoch erkannt und ihre Benutzung erlernt worden sein muss,[29] um als Benutzer für ihren Gebrauch motorisch disponiert sein zu können. Ihre formalen Eigenschaften teilen somit ihre Funktion mit, die Differenz formaler Eigenschaften (Wendeltreppen, Showtreppen, Palasttreppen) hat wiederum einen unmittelbar sozialen Bezug und ist damit erst recht Gegenstand erkenntnistheoretischer Interpretationen und Bedeutungszuweisungen.

Nach dieser Einleitung und ihrer Ausweisung des (disziplinenübergreifend einschließenden wie definitorisch ausschließenden) Zugangs zum Interpretationsbegriff geht es im nächsten Abschnitt um den Interpretationsprozess und sein wirklichkeitskonstitutives Sein. Im dritten Abschnitt wird – aus einer architekturtheoretischen Perspektive – analysiert, wie weitgehend auch solche Wirklichkeiten, die der Architektur als inhärente Prinzipien zugeschrieben werden, kulturell konstruiert sind. Der vierte Abschnitt löst sich von den prinzipiellen Betrachtungen und erörtert, wie in der sozialen Praxis, also durch menschliches Handeln in Sozialsystemen, durch Architekten, Medien, gesellschaftliche Teilsysteme, Wirklichkeit hergestellt wird. Vielen Architekten ist das Ausmaß der sozialen Dimension der Architektur durchaus bewusst, was etwa der Äußerung Bernard Tschumis zu entnehmen ist, es gebe keine Architektur ohne Handlung.
[30] Insbesondere auf den in seinem Aufsatz in diesem Zusammenhang thematisierten Raumbezug wird dabei noch zurückzukommen sein.

Ohne in diesem Rahmen eine Methodik der Architektur-Interpretation vollständig ausbreiten zu können, ist damit abgeleitet, mit welchen methodischen Mitteln überhaupt die Interpretation von Architektur – oder genauer, die Herstellung architektonischer Wirklichkeit als Ergebnis von Interpretation – analysierbar wird, und wie wichtig eine Unterscheidung und damit Abgrenzung dieses Prozesses von der rein textlichen / bildlichen Auslegung und Deutung architektonischer Werke etwa in der Architekturkritik ist.


2. Selektion, (Vor-)Formatierung der Realität und Interpretation zweiter Ordnung

Wir haben uns also dafür entschieden, von den möglichen Konzeptualisierungen der Interpretation, von denen, die wir zu kennen glauben, hier den erkenntnistheoretischen Interpretationsbegriff zu diskutieren und zu vertiefen. So viel ratio ist jedoch gemeinhin gar nicht nötig, um von Selektion in der Mensch-Welt-Dialektik sprechen zu können. Sie ist vielmehr eine unhintergehbare Notwendigkeit, die im spezielleren Verhältnis Kontext – Differenz des menschlichen Bemühens um Verständnis begründet liegt. Ihre Unhintergehbarkeit impliziert dabei die Nicht-Existenz teleologischer Substanz, mit der Konsequenz, dass Selektion in diesem Sinne, ähnlich wie der erkenntnistheoretische Begriff der Interpretation, kein Ergebnis bewussten Handelns ist, sondern ein Paradigma des Seins – wir selektieren immer schon, ob wir es wollen oder nicht. Die Explikation der wirklichkeitsstiftenden Eigenschaften dieses Verhältnisses ist, wie angedeutet, Gegenstand sowohl der Systemtheorie wie auch der neueren Sprachphilosophie, wobei die wesentliche Gemeinsamkeit in den differenztheoretischen Ansätzen besteht.

Mit dem »Kontext« als einer Seite des Verhältnisses ist eine Behauptung objektiver Realität in dem Sinne, dass es eine interpretierte neben einer autonomen, vorinterpretatorischen Wirklichkeit gebe, nicht in Einklang zu bringen. Vielmehr ist der Kontext immer schon Selektion bzw., wie Max Weber es nennt, ein »Wirklichkeitsausschnitt«, in dem wir „Wirklichkeit als eine in extensiver wie intensiver Hinsicht unendliche Mannigfaltigkeit“ erfahren:

Extensiv bzw. quantitativ unendlich ist die Wirklichkeit, insofern man keine erschöpfende Beschreibung des Ganzen liefern kann. Intensiv bzw. qualitativ unendlich ist sie, insofern es ebenso unmöglich ist, einen einzelnen Aspekt der Wirklichkeit umfassend zu beschreiben. Da jeder Wirklichkeitsausschnitt über eine unbegrenzte Zahl qualitativer Eigenheiten verfügen kann, gibt es kein befriedigendes Kriterium, mittels dessen man entscheiden kann, wann eine Beschreibung als hinreichend gilt. Daher kann weder das Ganze der Wirklichkeit noch irgendeiner ihrer Bestandteile vollständig begriffen werden.[31]

Das gilt kollektiv für die Gesellschaft und insbesondere für das Individuum. Die Unmöglichkeit der begrifflichen Vergegenwärtigung der Welt als Ganzes hat demnach zur Folge, dass wir stets nur über Ausschnitte, über Selektionen sprechen können. Sprachphilosophisch ist mit ‚sprechen können’ gewissermaßen wörtlich die Konstituierung von Wirklichkeit mittels der Sprache gemeint[32], systemtheoretisch geschieht dies, abstrakter formuliert, mittels Kommunikation[33], und die Semiotik rekurriert auf Zeichen als wirklichkeitsstiftende Elemente[34]. Zusammengefasst ergibt sich aus „Sprache, Sprechern, [sozialen] Praktiken und Welt“ damit eine Bedeutungstheorie, die erst aus diesen Einzelaspekten und ihren Interdependenzen ein plausibleres Bild des menschlichen Stands in der Welt zu entwickeln vermag.[35]

Deleuze erweitert die von Weber konstatierte unendliche Mannigfaltigkeit der ‚Dinge’ noch um die Zustände, Zusammenhänge und Gefühle und setzt sie gleich mit dem Chaos als einem „anarchistische[n] Strom der reinen Differenzen und Singularitäten“.
[36] Den Versuch, dieses Chaos zu ordnen, unterscheidet Deleuze in das philosophische Denken in Begriffen, das wissenschaftliche Denken in Funktionen und das künstlerische Denken in Empfindungen. Unbeachtet der Frage der tatsächlichen quantitativen wie qualitativen Unterscheidbarkeit dieser Kategorien sind damit einige grundlegende Felder beschrieben, deren Wesen darin besteht, dass sie überhaupt Unterscheidbarkeit oder mögliche Differenz im Chaos sind.

Selektion ist aber nicht statisch in der Form, dass wir in einem quantitativ wie qualitativ immer gleich bleibenden Wirklichkeitsausschnitt aufgehen, sondern dynamisch, da sich in unserer Beobachtung der Welt auch stets der Ausschnitt verändert, den wir begrifflich abbilden: „Beobachten erzeugt […] den Unterschied, der eine Umgebung schafft.“
[37] Antrieb der Veränderung ist demnach das Beobachten, das deshalb nicht passiv ist, weil es Erkennen und Handeln einschließt.[38] Auf diese Weise erhält es einen prozessartigen Charakter, der die Welt nicht als etwas (weder endliches noch unendliches) Ganzes voraussetzen kann, sondern nur die Gewissheit des in ihr liegenden Unbeobachteten. Die Welt bleibt

das Chaos, die Wildnis, das Unstete und Unständige, das Ephemere, das Gedächtnislose, das Ungebildete und Unbebaute, das Ungehörige und Unzugehörige (Fremde).[39]

Diese Gewissheit ist die erwartbare Seite einer möglichen neuen Differenz, die sich durch das Auftauchen des Neuen, zuvor Unbeobachteten, vervollständigt. Dabei ist der Kontext immer schon mitkonstituiert, wiederum nicht als Ganzes der Welt, sondern als Gesamtheit des partiell und perspektivisch Erkannten und Verstandenen. Der Wirklichkeitsausschnitt ist so in der Welt verschieb- oder veränderbar, der wesentliche Unterschied zwischen Welt und Selektion ist dabei die Nicht-Negierbarkeit der Welt, denn sie wird als „das Unbeobachtbare par excellence vorausgesetzt“[40], sie ist vorbegrifflich bedeutungslos und konstituiert sich erst in einer Selektion als Bedeutungs- bzw. Sinnhorizont.

Die Dynamizität der Beobachtung impliziert darüber hinaus nicht, dass die Wirklichkeit nur eine Frage des Augenblicks ist oder sich in der Beobachtung stets vollständig neu herstellt. Denn als Kontext fungiert nach Ansicht Luhmanns für jeden zunächst einmal das, was das eigene Gedächtnis bereitstellt. »Eigenes« Gedächtnis, darauf weist auch Böhme hin, meint nicht Erinnerung in Form eines memorialen Speichers, aus dem nach Bedarf Wissen abgerufen wird, sondern bezeichnet den Kulturmechanismus der Selbstbeobachtung von Gesellschaften. Eine durch diesen Mechanismus konstituierte Wirklichkeit wird zum unmittelbaren kulturellen Gedächtnis der Gesellschaft, es wird mit all seinen „Normen, Werten, Institutionen, Welt- und Lebensdeutungen zu einer Selbstverständlichkeit, einer schlechthinnigen, alternativlosen Weltordnung naturalisiert und in [seiner] Eigenart und Konventionalität dem Einzelnen unsichtbar.“
[41] „Die Welt“, so sagt es Luhmann, „das ist der blinde Fleck ihrer Selbstbeobachtung“[42] – und das kulturelle Gedächtnis darin gewissermaßen eine vorformatierte Realität, möchten wir ergänzen.

Selbst für Shusterman ist der Zusammenhang zwischen der Partialität der Beobachtung (im doppelten Sinne der Unvollständigkeit und der zweckhaften Unvoreingenommenheit) und damit die Tatsache, dass Verstehen selektiv ist, weitgehend unbestreitbar.
[43] Auch dass Selektion als Wahrnehmungs- und Verstehensakt zu begreifen ist, der automatisch (mechanisch) und unbewusst abläuft, erkennt er an. Wie festgestellt lehnt er es aber ab, hierbei von Interpretation zu sprechen, die in ihrem Alltagsgebrauch ja gerade bewusst und abwägend eingesetzt werde. Festhalten können wir an dieser Stelle damit aber zunächst, dass der Kulturmechanismus der Selbstbeobachtung von Gesellschaften unmittelbar zur Herausbildung von Wirklichkeitsausschnitten führt, die als erkannte und verstandene Selektionen Inhalt des Gedächtnisnetzes dieser Gesellschaften werden und so Zwischenstufen der Fortsetzung der Beobachtung wie auch Ausgangspunkt der Kommunikation über die Inhalte bilden. Nicht nur angesichts der Zweifel Shustermans bleibt indes zu klären, aus welchem Grund dieser Mechanismus als Interpretation bezeichnet werden muss.

Wie gezeigt werden konnte, konstituiert sich Wirklichkeit allgemein gesagt aus der Beobachtung von Differenzen, wobei Beobachten wie auch das dadurch geformte kulturelle Gedächtnis nicht psychisiert, also als Prozess des individuellen Bewusstseins verstanden werden kann. Damit rückt die Frage in den Mittelpunkt, wie sich das Beobachten so materialisiert, dass es zur Basis für Kommunikation werden kann oder anders, wodurch sich eine Differenz erkennbar macht, und welches die Operatoren der Vergegenwärtigung und des Austauschs im ‚Netz der Überzeugungen’ sind. Aus Sicht der (postformalistischen) Sprachphilosophie ist zwar klar, dass es „keine bestimmte Form gibt, in der alle menschlichen Überzeugungen artikuliert sind“
[44], aber damit ist selbstverständlich nur der deterministische Aspekt der Form gemeint, der besagen könnte, Überzeugungen ließen sich etwa nur in der Form einer natürlichen Sprache artikulieren. In der Tat herrscht in der neueren Sprachphilosophie auch ein „Bild von Sprache als einer umfassenden Struktur vor“, die dadurch bestimmt ist, dass ein sprachlicher Ausdruck nicht durch seine Beziehungen zu Elementen nichtsprachlicher Natur, sondern zu einer Vielzahl, im Grunde der Gesamtheit anderer sprachlicher Ausdrücke erst seine wirkliche Bedeutung gewinnt.[45] In der Systemtheorie ist das Beobachten das unterscheidende Bezeichnen, wobei es auf die operative Basis der Kommunikation selbst nicht ankommt, ähnlich wie die Sprache für sich auch keinen Sinn enthält. Die denkende Auseinandersetzung vollzieht sich zunächst einmal in nichtsprachlichen Vorstellungen oder Begriffen und wird erst im (notwendigen) Moment der Mitteilung in Sprachform gehüllt. Voraussetzung ist daher, dass die Beobachtung als (kommunikative) Operation durchgeführt werden kann, und erst auf dieser Ebene kommt „Sinn ins Spiel“.[46] Auch in der Semiotik ist seit längerem klar, dass „alle Erfahrungen in der kulturellen Welt […] zeichenvermittelt [sind]; ihnen liegen Zeichensysteme zugrunde, die die Art und Weise der Wirklichkeitserfahrung bestimmen.“[47] Und auch hier ist zu betonen, dass den Zeichen selbst Identität nicht einfach gegeben ist, nicht als Assoziation und auch nicht in der Lautlichkeit.[48]

Zusammengefasst bekommt der hermeneutische Prozess damit aber eine Struktur, die des sprachlichen Ausdrucks, Operatoren – die Beobachter einer Gesellschaft, Operanden – die Zeichen und sprachlichen Ausdrücke selbst, und einen Namen: den der Interpretation. Zeichensysteme funktionieren nicht ohne Signifikate, und keine Sprache ist durch ihre Laute allein zu verstehen. „Signifikat“ lässt sich in anderer Terminologie mit „Bedeutung“ übersetzen
[49], und mit beiden Ausdrücken sind die im intersubjektiven Gebrauch entstehenden, verbindenden Elemente zwischen der denkenden Auseinandersetzung mit der Welt und der gesellschaftlichen Wirklichkeit gemeint.[50] Dabei ist die Bedeutung eines Sprachzeichens oder -ausdrucks nicht das, was jemand damit gemeint oder ein Gegenüber verstanden haben könnte, denn diese Bedeutung hat es unabhängig von seinem Gebrauch, sie ist bereits Teil des Zeichens. Deshalb kann es erst in der kodifizierten und erlernten Verwendung für etwas anderes stehen, als im Zeichenträger erkennbar ist, und zwar für das bezeichnete Phänomen, das im Zeichen selbst unsichtbar bleibt.[51] Das Wort Tür oder das zugehörige Symbol in der Zeichnung des Architekten sind entsprechend nicht schon Türen, sie haben aber die sinngemäße Bedeutung und verweisen damit auf etwas, was in den Worten und Symbolen selbst nicht sichtbar ist. Sie haben diese Bedeutung auch aufgrund ihrer Differenz zu anderen Sprachzeichen, daher ist nur deshalb verständlich, dass ein Tor etwas anderes als eine Tür ist, weil es eine bedeutungsvolle Bezeichnung dieser Differenz gibt. Die Bedeutung entsteht damit auch in der Sinn-Interdependenz der begrifflichen Teilung von Sprachzeichen, also ihrer Differenz innerhalb des Sprach- oder Zeichensystems.

Der Interpretationsvorgang entsteht damit in der Notwendigkeit, wahrgenommene Differenzen zu erklären. Auslöser hierfür ist das Wahrnehmen und damit Erkennen von etwas Unbekanntem oder von etwas, das als Resultat von etwas Unbekanntem vermutet wird, wobei die Bereitschaft, eine solche Differenz als ein Zeichen wahrzunehmen, stets schon vorhanden ist.
[52] Das gilt sowohl für die vorgeschichtliche Entdeckung der Eignung natürlich vorhandener Hohlräume als Wohnhöhlen wie für das Ausheben einer Baugrube als vermutetes Resultat des begonnenen Neubaus eines Gebäudes. In beiden Fällen entsteht die Bedeutung durch das Schließen des unbekannten Phänomens oder Ereignisses auf Bekanntes in Form vorgängig erworbener Erfahrungen, also auf gesellschaftlich geformtes Wissen. Während es im ersten Fall noch einen größeren Anteil rein natürlicher Phänomene gibt, wie etwa bei der Entdeckung einer zuvor unbekannten Tierart im Amazonas-Dschungel oder auf dem Meeresgrund, handelt es sich im zweiten Fall schon um eine Differenz als Ergebnis einer Neukombination bekannter Phänomene.

Für den Interpretationsprozess ist diese Unterscheidung allerdings unwichtig, da in beiden Beispielen die interpretationsnotwendigen Momente gleichermaßen enthalten sind: ein Phänomen und damit eine wahrgenommene Differenz muss als bedeutsam unterstellt werden, auch wenn eine tatsächliche Bedeutung noch gar nicht bekannt ist. Es hat damit schon Zeichencharakter, der allerdings so lange hypothetisch und deshalb noch nicht wirklichkeitskonstituierend ist, wie keine Erklärung für das Phänomen gefunden ist. Die Suche nach einer Erklärung als Zuweisung einer Bedeutung muss sich dabei auf das kulturelle Gedächtnis stützen, und gerade wenn dabei Unsicherheiten im Sinne von Wahlmöglichkeiten existieren, ist der Rückgriff auf Erinnertes und Gelerntes stets auch mit der Überprüfung auf kontextuelle Gültigkeit verbunden. Dieser Rückgriff geschieht jedoch in jedem Moment des Erkennens, er ist deshalb nicht davon abhängig, wie bewusst er sich vollzieht, und damit immer als Interpretationsprozess wirksam.

Shusterman spitzt den Begriff der Interpretation darauf zu, dass er dann anwendbar werde, wenn es ein Problem beim Verstehen, eine Verwirrung, einen Zweifel oder Mangel an Übereinstimmung gebe, wie dies beim Hören einer unbekannten Sprache der Fall sei, der mich dazu zwinge, Gesagtes nachdenkend oder klärend aufzulösen.
[53] Wie wir gesehen haben, gibt es die Möglichkeit der Interpretation in genau diesem Fall nicht. Einem geäußerten, aber unverständlichen Laut kann Zeichenhaftigkeit unterstellt werden, zur Interpretation fehlt aber der Code des Verstehens, um aus dem, was gesagt wurde, auf das, was gemeint ist, schließen zu können. Dafür ist die Kenntnis des kulturellen Kontextes notwendig, in dem sich die mir unbekannte Lautäußerung vollzogen hat, so dass es selbst dann noch schwierig wäre, sie zu interpretieren, wenn die reine Wortbedeutung bekannt wäre.

Die Sätze müssen sich“, so zitiert Putnam Quine, „nicht einzeln, sondern als geschlossene Formation dem Erfahrungstest stellen“.
[54] Die geschlossene Formation ist, mit anderen Worten, der semantische Holismus, sie dem Erfahrungstest zu unterwerfen, ist dabei der Interpretationsprozess.


3. Die Unwahrscheinlichkeit der Architektur

Versuche, ein paradigmatisches Wesen der Architektur zu ergründen, das unabhängig von diachronischen oder diastratischen Einflüssen abstrahiert werden kann, gab und gibt es zahlreiche. Ihnen ist gemeinsam, einen Objektbezug zu suchen, aus dem heraus alle Prinzipien der Architektur erklärbar werden und ihnen damit Bedeutung und Sinn verleihen. Die Frage lautet dabei letztlich, ob es etwas im ontologischen Sinne gibt, das mindestens vorhanden sein muss, um fortan von Architektur sprechen zu können, und ob dieses Etwas natürlichen oder stets kulturellen Ursprungs ist. Oder: Auf welche Wirklichkeit – mit Baudrillard möchte man es Radikalität nennen
[55] – kann Architektur zurückgeführt werden, die nicht bereits kulturell konstruiert, zumindest vorformatiert ist? Was ist ihre vor-interpretative Urszene, wenn es sie gibt? Denn jede kulturelle Konstruktion ist kontingent, sie ist teilgesellschaftlich kodifiziert, und gerade dadurch alles andere als eine naturgegebene Wirklichkeit. Die Suche nach grundlegenden Prinzipien steht allerdings vor einer Paradoxiehürde: Das Nachdenken über die Konstituierung architektonischer Realität durch Interpretation hat stets das Problem, – einer kantischen Antinomie gleich – selbst Ergebnis einer interpretierten Wirklichkeit zu sein.

Dies zu übersehen, fällt leicht angesichts der Tatsache, dass Architektur ubiquitär ist. Sie ist derart allgegenwärtig, dass selbst der eigentlich in solchen Zusammenhängen verwendete und auch hier prinzipiell zutreffende Begriff der Massenkultur den irritierenden Eindruck  erweckt, es gebe die Möglichkeit eines Verzichts auf Architektur, ähnlich, wie es die Wahl gibt, den Urlaub nicht auf Mallorca zu verbringen oder keine Popmusik zu hören. Aber allein die Tatsache, dass wir – unabhängig von der Gesellschaft, deren Perspektive wir einnehmen – die Nicht-Existenz von Architektur denken können, indem wir ihre kulturelle Bedingtheit zu ihrem Wesensmerkmal machen, schließt die Existenz einer anti-anthropologischen Urszene aus. Denn auch wenn beispielsweise das Wohnen „zentrales Kulturereignis“ ist
[56], dann heißt dies noch lange nicht, dass – wieder abhängig von der gesellschaftlichen Perspektive – dabei auch zwangsläufig Architektur im Spiel ist.

Architektur ist daher mit einigen Unwahrscheinlichkeitsannahmen konfrontiert; einer häufig in Architekturdiskursen geforderten Radikalisierung und damit verbundenen Erweiterung des Architekturbegriffs steht die Weigerung seiner Anwendbarkeit auf alltäglich erscheinende Bauwerke gegenüber. Dieser Konflikt steht im Zentrum dieses Abschnitts und mit ihm die Klärung der Frage, wie selbstverständlich Architektur ist, wie weitgehend sie durch Interpretation konstituiert ist, und damit, ob es einen Ursprung architektonischer Wirklichkeit gibt, der immer schon vorhanden ist, und auf den alle weiteren, in der Folge erst interpretierbaren Ausdifferenzierungen aufbauen. Der Versuch einer Antwort beginnt mit der Umkehrung dieser Ausgangsfrage.

In seinem 1981 erschienenen Aufsatz „Die Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation“
[57] stellt Niklas Luhmann seine gleichnamige These nicht zum Zwecke der Provokation vor, wie es zahlreiche ähnlich klingende Aphorismen vermuten lassen könnten, denen man auch und gerade in Architekturdebatten begegnet; Luhmann erkennt ohne Einschränkung an, dass wir Kommunikation „jeden Tag erleben, praktizieren und ohne sie nicht leben würden“[58], womit sie ebenso zu einem ubiquitären kulturellen Phänomen wird. Ihm ist allerdings daran gelegen, durch contra-phänomenologisches Nachdenken Kommunikation nicht als Phänomen mit dem Ziel der Begriffsklärung aufzufassen, sondern sie als Problem zu verstehen, um so auf Basis der Unwahrscheinlichkeitsannahme zum wissenschaftlichen Aufbau einer Theorie durch die Bestimmung ihrer inneren Zusammenhänge zu gelangen.

Dieses methodische Vorgehen scheint auch in der Architekturtheorie anwendbar zu sein. Architektur ist wie Kommunikation – ohne dass es hier um die Annahme ginge, Architektur sei auch Kommunikation – ebenfalls hochgradig erwartbar, zumindest in ihrer sprachlichen Zuweisung kann man ihr ohne weiteres begegnen. Eine unzweifelhafte und dekonstruierbare Bindung an bestimmte Objektqualitäten ist hingegen schon recht unsicher, eine solche Bindung wird, wie zuvor dargestellt, in aller Regel durch Interpretation erst hergestellt und ist somit ebenfalls kein objektimmanentes Phänomen, sondern vor allem ein Problem (sprach-) philosophischer und somit letztlich gesellschaftlich-diskursiver Emergenz.

Kern dieses Ansatzes ist es deshalb, nach den Hinderungsgründen, der systematischen Problematik zu suchen, die Architektur überwinden muss, um sui generis entstehen zu können. Dies impliziert nicht und muss folglich bezweifeln, dass Architektur – etwa im Duktus des Anti-Realismus –  ohne weiteres auch nicht existieren oder zum Verschwinden gebracht werden könnte
[59]. Es wirkt somit dem Verdacht entgegen, durch Interpretation könne in beliebiger Manier jede architektonische Wirklichkeit hergestellt werden, ungeachtet ihres vorhergehenden, bedeutungslosen, im Sinne von „noch nicht mit architektonischer Wirklichkeit aufgeladenen“ Zustandes. Dieser Ansatz soll zudem sicherstellen, weder reduktionistisch noch komplexitätsanreichernd über das Wesen von Architektur nachzudenken, sondern nur danach zu schauen, was von der Architektur verbleibt, wenn alle mit gesellschaftlicher Bedeutung aufgeladenen, durch Interpretation hergestellten Bezüge abgestreift werden. Er beginnt also mit der Leugnung alles Sozialen in der Architektur, um auf diese Weise den Versuch zu unternehmen, in eine vorinterpretatorische Wirklichkeit der Architektur vorzudringen – oder zu erkennen, dass es eine solche Wirklichkeit nicht gibt.

In der übertragenen methodischen Konsequenz münden dieser Ansatz und die zugehörigen Überlegungen somit in der Hypothese: Architektur ist unwahrscheinlich. Ihr fehlt es, in einer ersten operationalen Annäherung, an einem Weltbezug, der nicht bereits kulturell hergestellt ist. Mit anderen Worten: Keines der so häufig anzutreffenden Grundelemente der Architektur, nicht einmal die Formgesetze bis hin zum „goldenen Schnitt“ (dessen Begriff das semiotische und damit kulturelle Feld ja bereits vorbestellt), nicht einmal der Raum kann als etwas architekturinhärentes, als etwas der Kultur vorausgehendes, als naturalistisch-konstitutives Element der Architektur definiert werden. Positiv formuliert: Alles, was der Architektur als Gesetzmäßigkeit zugeschrieben wird, ist im Ergebnis gesellschaftlich – kulturell – konstruierte Wirklichkeit in der Architektur, mit der als Kontingenz zu bezeichnenden Einsicht, dass alles auch ganz anders hätte kommen können und stets kann. Beliebigkeit ist etwas anderes, Postmoderne auch, warum Architektur unwahrscheinlich ist, aber doch beobachtet werden kann, lässt sich aus den in der Folge diskutierten Zusammenhängen ableiten.

Architektur ist ohne die Kenntnis der sie bestimmenden kulturellen Codes unverständlich. Das meint nicht den Architekturbegriff selbst, sondern beispielsweise die auf ihn bezogenen Formgesetze, wie den goldenen Schnitt, die Fibonacci-Zahlenreihen und ähnliche Proportionssyteme. Die suggestiv-metaphorische Bezeichnung „goldener Schnitt“ für das damit gemeinte Teilungsverhältnis entstand erst im 19. Jahrhundert, auch wenn es schon in der Antike entdeckt worden war.
[60] Da es sich aber um eine zahlentheoretische Teilung in der Mathematik handelt, ist der goldene Schnitt, allen Versuchen zum Trotz, ihn auch bei der Cheopspyramide nachzuweisen, auf architektonische Bauwerke vor der Zeit Euklids nicht anwendbar. Auch in späterer Zeit, etwa der Renaissance, ist häufig nur ex post feststellbar, dass bestimmte Bauwerke Teilungsverhältnisse nach dem goldenen Schnitt aufweisen, lediglich Le Corbusier hat sich in eindeutiger Weise zur Anwendung dieses Bauprinzips geäußert.[61] Die ästhetische Anziehungskraft des goldenen Schnitts ist sicher unverkennbar, wenn auch kognitionswissenschaftlich unerklärt. Er hat seine Anwendung auch in anderen Bereichen der Kunst gefunden, doch insbesondere als ästhetisches Prinzip ist er vor allem kulturell geformt und kein Naturgesetz. Gleiches gilt für die Fibonacci-Zahlen, die zwar einige Naturphänomene zu beschreiben vermögen, wie etwa die Fortpflanzung von Kaninchen, sie entstammen aber ebenfalls vor allem der Mathematik und sind eine gelegentliche kulturelle Verbindung mit der Architektur eingegangen, wie mit Werken der Musik.

Ob Ästhetik, Vitruvs venustas, aber auch die von ihm postulierten utilitas und firmitas, Leon Battista Albertis Wesensbeschreibungen der Architektur oder ähnlich lautende Definitionsversuche mehr oder weniger bzw. qualitativ unterschiedlich konventionalisiert sind, immer sind sie dabei auch kulturell geformt, der Architektur beigegeben, ohne mit ihr untrennbar verbunden, geschweige denn aus ihr heraus erklärbar zu sein. Sie kommen damit als konstitutives Element der Architektur nicht in Frage, und dies ohne den empirisch motivierten Begründungszusammenhang, dass es eine ganze Reihe von Bauwerken gibt, die keines der Formgesetze erfüllen, aber dennoch als Architektur, gelegentlich vielleicht sogar als Stararchitektur bezeichnet werden.

Die Verständlichkeit der kulturellen Codes bezieht sich aber auch auf den Funktionsbegriff in der Architektur, insbesondere unter der Berücksichtigung, dass der Einsatz der Methode funktionaler Analyse häufig ebenfalls nur im Nachhinein möglich ist, wodurch eine bestimmte architektonische Funktion nicht un-bedingt, also ohne von außerhalb einwirkende Einflüsse, planvoll gesetzt, sondern zumeist erst im realisierten Zustand vergleichend festgestellt werden kann.
[62] Dies gilt für eine ganze Reihe von historischen Stätten und Bauwerken, deren Funktion sogar gänzlich unbekannt ist, aber auch umgekehrt, wenn eine geplante Funktion buchstäblich nicht funktioniert hat, wie auch Eco am Beispiel Brasilias beschreibt.[63]

Letztlich lässt sich die Architektur nicht einmal aus einem Raumbegriff deduzieren und damit verständlich machen. Es ist schon unter philosophischen Gesichtspunkten fraglich, ob ein Raum ohne Menschen überhaupt denkbar ist, denn eine solche Vorstellung basiert zwangsläufig auf einem differenztheoretischen Vergleich, der erlernte Raumcharakteristika auf eine hypothetische Zeit projiziert, aus der lediglich alles „Menschsein“ subtrahiert wird. Wir können selbstverständlich den Versuch unternehmen, uns von einer solchen Zeit ein plastisches Bild zu machen, das so gut wie irgend möglich auf wissenschaftlichen Erkenntnissen aller relevanten Disziplinen beruht, doch es bleibt immer ein kulturell geformtes Bild von einem solchen Raum. Und damit nicht genug: Es ist in der Rezeption aus der Perspektive eines Beobachters entstanden, der seine Beobachtung nicht in gleicher Weise mit einem anderen Beobachter teilen kann. Doch diese Perspektivabhängigkeit existiert nicht nur beim Blick auf einen Raum in der Vergangenheit, sondern bei jedem Raum in jeder Zeit. Das Element der Zeit, die Perspektivabhängigkeit der Raumbeobachtung, beides zwingt zur Relativierung des Raumbegriffs. Nimmt man noch hinzu, dass es keine beobachterunabhängige Gleichzeitigkeit der Ereignisse geben kann, wird der Raumbegriff vollends relativistisch.

Aus der notwendigen Präsenz eines aktiven Beobachters bei der Konstitution eines Raumereignisses wird auch Tschumis Feststellung verständlich, dass „Handlungen Räume qualifizieren“, dass „Raum und Handlung untrennbar sind und keine brauchbare Interpretation einer Architektur, Zeichnung oder Notation die Berücksichtigung dieser Tatsache verweigern kann.“
[64] Wenn in den Worten Cassirers zudem alles Handeln symbolisch ist, dann muss Kenzo Tange zugestimmt werden, wenn er sagt, „Raum ist die Welt der Bedeutung“[65] – und damit Ergebnis kultureller (auch wenn dieser Zusatz mehr und mehr zur Tautologie wird) Interpretationsprozesse.

Ein solches kulturell induziertes Raumverständnis lässt sich allerdings nicht mehr auf einzelne Elemente des Wahrnehmungsapparates reduzieren, wie das Sehen, die Bewegung, einer Kombination aus beidem o.ä. Es ist zudem klar zu trennen vom kartesischen Raumbegriff, der immer wieder auf einen Objektbezug rekurriert. Für Lefebvre ist der Raum damit zu eng definiert:

Unfortunately it is also the space of blank sheets of paper, drawing-boards, plans, sections, elevations, scale models, geometrical projections, and the like. Substituting a verbal, semantic or semiotical space for such a space only aggravates its shortcomings. A narrow and desiccated rationality of this kind overlooks the core and foundation of space, the total body, the brain, gestures, and so forth. It forgets that space does not consist in the intellectual representation, does not arise from the visible-readable realm, but that it is first of all heard (listened to) and enacted (through physical gestures and movements).“[66]

Raum ist somit kein Behälter, er ist weder von der Architektur noch durch die Architektur gegeben, sondern durch die Präsenz des Beobachters konstituiert. Er lässt sich durch kulturelle Handlungen formen, die wiederum die Beobachtungen eines Beobachters nachfolgender Ordnung formen, sein ontologischer Status ist aber nicht auf Medien übertragbar. Sie haben als Kommunikationsmittel eine Zweckbestimmung, so dass es wie beim Interpretations- oder Kulturbegriff auch beim Raum eine „weite“ und eine „enge“, oder eine erkenntnistheoretische und eine technische Konzeptionalisierung des Begriffs gibt.

Aus all dem wird klar, dass wenn Architektur in all ihren Grundprinzipien und erst recht in ihren Ausformulierungen und -differenzierungen kulturell konstituierte Wirklichkeit und damit Produkt der Interpretationsprozesse des Menschen ist, dann muss Architektur anerkannt werden, um entstehen zu können. Dies bedeutet vor allem zweierlei: Die Herstellung von architektonischer Realität muss Erfolg in der Rezeption haben und kann, selbst im Falle des Erfolgs, abgelehnt werden. Wenn die Höhle eine Urszene der Architektur sein soll, dann ist klar, dass nicht jede Höhle bewohnt war, sondern nur jene, die sich für die Lebensbedürfnisse der frühgeschichtlichen Bewohner eignete, und nicht jedes Naturphänomen, das als Höhle und damit Behausung prinzipiell erkennbar war. Eine Architekturinterpretation muss daher ebenso anschlussfähig sein, d.h. die Kenntnis bestimmter Architekturcodes ist zwar notwendig, aber nicht hinreichend, um eine architektonische Wirklichkeit zu konstituieren. Anschlussfähigkeit schließt zudem Beliebigkeit und Willkür aus, denn „jedes Auslösen von Unwahrscheinlichem stützt sich auf Artikulation des Wahrscheinlichen“.
[67]

Jede hochindividualistische »Handschrift« des Architekten, jede ureigene »Formensprache« kann damit nur dann Architektur (genannt) werden, wenn sie sich auf ein Verhältnis Redundanz – Information stützt, das Neues an Bekanntem soweit bindet, dass es als architektonische Wirklichkeit verständlich wird. Dieses Verhältnis ist sowohl dynamisches Element des Interpretationsprozesses wie auch Bedingung für seine inhaltliche Fortsetzung. Mit anderen Worten: Architektur lässt sich nur begrenzt erfinden, sondern wird immer auch in der gesellschaftlich hergestellten Wirklichkeit mitgefunden. Was Architekten und die ihnen zustimmende Gesellschaft dabei auffinden, sind keine parallel existierenden Objektsysteme, auch wenn sie auf ihre Weise real sind. Vielmehr liegt ihre dingliche Unterscheidbarkeit und damit Beschreibbarkeit daran, dass „die Beschreibungen selbst als Operationen in der Welt sichtbar sein müssen; denn anderenfalls könnte man nicht sehen, welche Unterscheidungen sie benutzen, um etwas zu bezeichnen, und welchen Unterschied es macht, wenn dies geschieht und wie dies geschieht.“
[68]

Architektur, mit all ihren formalen, ästhetischen, räumlichen oder funktionalen Bestandteilen, deduziert sich aus und induziert selbst damit immer kulturelle Wirklichkeiten, die ihr nicht vorausgehen, sondern sie unmittelbar mitbegründen. Dies löst einen Objektbezug auf, der, „fehlgeleitet durch die Subjektphilosophie
[69], die einen Zusammenhang zwischen Ontologie und menschlichem Handeln ablehnt, annimmt, es gebe keinen notwendigen Zusammenhang zwischen dem Objekt und der Welt, und man könne „sich dann fragen, ob und wie eine solche Beziehung faktisch besteht.“[70] Architektur ist stattdessen immer schon, wie Betram et. al. sagen würden, „welthaltig“, mit den Gegenständen der Welt fest verwoben und damit stets eine durch Interpretation hergestellte Wirklichkeit. Wenn wir auf der Suche nach dem eigentlichen Wesen der Architektur alle kulturell ausdifferenzierten Wirklichkeitsschichten abgetragen haben, all ihre Prinzipien und Paradigmen als Formen menschlichen Handelns durchschauen, dann blicken wir am Ende – auf uns selbst.


4. Produzenten, Produktion und Produkte architektonischer Wirklichkeit

Damit ist es an der Zeit, Ross und Reiter zu benennen, bzw. im Bild bleibend, nur noch die Reiter, nachdem die Art der Fortbewegung und der Parcours in den vorangegangenen Abschnitten diskutiert wurden. Doch von der Metapher bleibt nicht mehr als ihre bildhafte Oberfläche, sobald es um den Reiter geht: Denn es gibt ihn nicht, genauso wenig, wie es den Akteur gibt. Die eigentliche Wirklichkeitskonstituierung vollzieht sich hinter dem Rücken eines einzelnen Akteurs, gewissermaßen akteurslos. Auch Luhmann gibt auf die selbst gestellte Frage, wer denn der konstruierende Beobachter sei, die schlichte Antwort „Niemand selbstverständlich […] Oder jeder.“
[71] Putnam formuliert es plastischer so, dass wenn man im Innern des Gehirns nach hier erörterten Bezügen, Zusammenhängen und Vorstellungen suchen wollte, dann wäre dies schlicht eine Suche am falschen Platz. Den Grund dafür liefert Putnam mit, und er ist zugleich als Ergebnis der Suche nach dem Produzenten zu verstehen: Bedeutungen werden nicht in individuellen Gehirnen, sondern sozial festgelegt.[72]

Einen Produzenten architektonischer Wirklichkeit gibt es demnach nicht, was nicht mit der Behauptung zu verwechseln ist, dass es den Produzenten als Erzeuger eines menschlichen Artefakts nicht gebe. Im Prozess der Herstellung des Artefakts ist es immer auch wandelbares Ergebnis der Verbundenheit mit dem Netz der Überzeugungen, der Sozialisation seines Produzenten, er macht, was er macht und wie er es macht, immer auf Basis seines Verbundenseins mit dem kulturellen Gedächtnis. Doch damit allein ist noch keine Wirklichkeit hergestellt, keine kulturelle, keine künstlerische und ebenso wenig eine architektonische. Das menschliche Artefakt benötigt zu seiner Verwirklichung den Anschluss an die Gesellschaft in Form der Ermöglichung seiner Beobachtbarkeit. Bis dahin handelt es sich um die Produktion eines Zufalls, bei dem der Produzent im Produktionsverlauf immer mehr zu seinem eigenen Beobachter wird, was zur Konsequenz hat, dass er sein Werk schließlich nur noch akzeptieren oder verwerfen kann.
[73]

Für weitere Beobachter ist der Zufall damit aber eine Ausgangsdifferenz, das Werk wird augenblicklich zum Zeichen seiner Unterscheidbarkeit von anderen, vergleichbaren Werken. Das inhärent Vergleichbare ist indes keine Frage objektiver Unterscheidbarkeit, sofern Objektivität einen letztgültigen Weltbezug meint, sondern das Ergebnis des aus der Beobachterperspektive vollzogenen Interpretationsprozesses. Ist in dieser Perspektive Erkennen und Verstehen möglich, dann ist der erste Schritt zur Wirklichkeitskonstituierung getan, und ein Beobachter nunmehr dritter Ordnung erhielte fortan die Möglichkeit, die Interpretation des Beobachters zweiter Ordnung erneut zu interpretieren. Jeder Beobachter ist damit zugleich Interpret und Interpretant, sprich Folgezeichen einer Ausgangsdifferenz, Teil einer unendlichen Semiose sowie der Selbstbeobachtung der Gesellschaft.

Aus diesem Grund kann der Prozess der Wirklichkeitsproduktion als ein iterativ-kumulativer Vorgang bezeichnet werden, der in der Gesellschaft insgesamt vonstatten geht und damit vom Produzenten eines Werkes nicht mehr zu kontrollieren ist. Denn die Iteration besteht nicht nur darin, dass er in seinem Werk auf Vorhandenes, kulturell Vorformatiertes notwendig zurückgreifen muss, sondern auch darin, dass die weiteren Beobachter im Prozess der Interpretation auf Gelerntes und Erfahrenes zurückgreifen und daraus eine Bedeutung ableiten, die mit einer möglicherweise vorhandenen Intention des Produzenten nicht mehr verbunden ist. Dies führt zu der gelegentlich vertretenen Position, „that it is impossible to understand another’s meaning without reliving it.“
[74] Erkennen ist immer Interpretation als Ableitung und Zuweisung einer neuen Bedeutung, die aber selbst durch ihre Verbundenheit mit dem kulturellen Gedächtnis charakterisiert und damit nur zum Teil wirklich neu ist. In jeder Produktion von Differenz und damit Bedeutung liegt damit auch ein erheblicher Teil an Wiederholung, wenn sie sich als Wirklichkeit konstituiert hat. Der Prozess ist zudem kumulativ, indem die Bezeichnungen und Begriffe immer neuer Differenzen, die den Anteil der neuen Information im Werk anerkennen, das kulturelle Gedächtnis immer weiter ausbauen. „And so it goes, on and on: Further layers of understanding are added as each new insight revises prior interpretations in an ever-circular process of making meaning.[75]

Der dem hermeneutischen Zirkel immanente Zeitaspekt kann im Zusammenhang mit der systemisch geschlossenen, gesellschaftlichen Selbstbeobachtung dennoch dazu führen, dass die Bedeutungen menschlicher Artefakte mit dem Untergang der Gesellschaft, die sie hervorgebracht hat, verloren gehen. Sie sind damit umso deutlicher als nur teilgesellschaftlich existente Wirklichkeiten identifizierbar, denn die jeweiligen Zeichenträger – Pyramiden, Steinformationen und sonstige Bauwerke oder Hinterlassenschaften – haben den materiellen Verfall in der Zeit mitunter überlebt, ihre kulturelle Urheberschaft ist also nach wie vor erkennbar, nicht aber die Wirklichkeit, die sie einst waren und die nicht die des erhalten gebliebenen Artefaktes selbst ist. Denn nicht die Gebrauchsfähigkeit ist bereits die bedeutungsvolle Wirklichkeit, sondern erst die Konventionalisierung des Gebrauchs in seinem gesellschaftlichen Sinnhorizont macht es erklärbar. Wir können gar nicht anders, als in den Pyramiden eine bestimmte, häufig astronomisch-naturreligiöse Bedeutung zu erblicken, ihre Auftraggeber und Erbauer als machtvoll und ingeniös zu deuten, aber der Sinnhorizont dieser Kultur ist uns unbekannt bzw. aus dem Wissen konstituiert, das in unserem heutigen Sinnhorizont liegt. Wir interpretieren die Zeichen neu aus der kulturell geformten Perspektive unserer Zeit. Bedeutung kann also in der Zeit verloren gehen und neu gebildet werden, mit ihrer jeweiligen kulturellen Materialisierung, die menschliche Urheberschaft verrät, die dabei unverändert erkennbar bleibt. Von den früheren Sinnhorizonten bleibt aber nur, „was die Gesellschaft in jeder Epoche mit ihrem jeweiligen Bezugsrahmen rekonstruieren kann“.
[76] Nicht immer muss der Zeitabstand derart groß sein, um den Bezug zwischen einer Differenz und ihrer Bedeutung zu verlieren, er macht ihn nur besonders deutlich. Tschumi, der schon davon sprach, dass Handlungen Räume qualifizieren, sieht in der Architektur Referenzpunkte für diejenigen Aktivitäten, die mit ihr, in ihr und durch sie stattfinden, die aber grenzüberschreitend im Sinne von »gesellschaftliche Konventionen negierend« sein können und damit durch Umwandlung eine neue Bedeutung erhalten können – auch ohne dass es dafür des vorhergehenden, völligen Untergangs einer Gesellschaft bedürfte. Das auch von ihm dazu verwendete Beispiel der Bedeutungsumwandlung durch Umnutzung eines kirchlichen Gebäudes[77] ist – das zeigt nicht nur der Blick auf gesellschaftliche Umwandlungen in den Niederlanden – aktueller denn je.

Sinnhorizonte sind damit stets bedroht, negiert, zurückgewiesen, in neue Bedeutungszusammenhänge überführt zu werden. Der Ausdruck der Bedrohung ist deshalb gerechtfertigt, weil die Erinnerungskultur, die mit Traditionen und Riten nur unzulänglich beschrieben wäre, gerade das Ziel verfolgt, eine gesellschaftliche Wirklichkeit als existenziellen Sinnhorizont zu erhalten, was das Beispiel Religion eindrücklich zeigt.
[78] Motiv der Veränderung sind aber auch existierende Ungleichheiten im gesellschaftlichen System. Dieser Aspekt von Differenz als wirklichkeitsstiftendem Ausgangspunkt kam hier bislang nur am Rande zur Sprache. Diskutiert wurde die Vertikalität der Wirklichkeitsproduktion, die durch Zeitbezug und Beobachterhierarchien zur Herausbildung immer neuer Unterscheidungen führt. Ein ebenso wichtiger Motor permanenter Wirklichkeitsproduktion sind aber auch die horizontalen Unterschiede, Unterscheidungen und Unterscheidbarkeiten, die ihre Existenz den gleichzeitig erkennbaren Ungleichheiten gesellschaftlicher Realität verdanken. Es ist fraglich, ob es – motiviert, Ungleichheiten überwinden zu wollen – überhaupt nützlich ist, nach Gründen und materiellen Ursachen hierfür zu suchen, solange sich gesellschaftliche Teilungsprinzipien und die Wahrung darauf beruhender Ordnung als scheinbar objektive Notwendigkeit „in den Köpfen und Gehirnen der Menschen festgesetzt hat“.[79] In jedem Fall sind sie damit eine der gesellschaftlichen Wirklichkeit eingeschriebene und stets aufs Neue reproduzierte Differenz; aus gesellschaftlich organisierten Grenzen wird der Sinn für Grenzen, die praktische Vorwegnahme dieser Grenzen, die immer neue Unterscheidungen und Unterscheidungsmerkmale produziert. Schon dadurch sind Menschen stets dafür disponiert, Differenzen zu erkennen, die ihren eigenen Platz in der Gesellschaft definieren, die „ausschließen, was einen selbst ausschließt“.[80] Kurzum: Der gesellschaftliche Blick richtet sich unentwegt auf Unterschiede, ist geschärft auch für die subtilsten unter ihnen, entziffert sie als Zeichen und Bedeutungen für Ordnung und soziale Realität stiftende Teilungen und richtet den Blick damit schließlich immer auf sich selbst. Interpretation ist damit ein Gesellschaftsprinzip, das Differenz anzeigende Merkmale, Zeichen und Objekte immer erwartet, immer erkennt und ihnen immer eine teilgesellschaftlich konventionalisierte Bedeutung zuweist.

Dennoch ist der menschliche Genius durchaus fähig, etwas radikal Neues zu erzeugen, etwa eine Architektur, die mit allen Konventionen bricht, sich auf keine hergebrachten Verständigungen stützt, keine gesellschaftliche Teilung akzeptiert und auch keine Sinnhorizonte anderer kultureller Wirklichkeiten, etwa der Mode, der Biologie oder der Musik einbindet. Die Paradoxie dieses Ansinnens muss allerdings nach dem zuvor Gesagten unmittelbar einleuchten. Selbst der Versuch, sich einem Jean-Baptiste Grenouille gleich allen Einflüssen der kulturellen Welt zu entziehen, um eine radikal neue Architektur zu erfinden, ist aussichtslos, wenn sein Erschaffer weiß (und er kann gar nicht anders, als es aus seiner Sozialisation heraus zu wissen), dass sie sich gegen irgendeine etablierte Vorstellung von Architektur richtet. Selbst eine Anti-Architektur in diesem Sinne ist für den Beobachter erster Ordnung die durch Interpretation erzeugte neue Ausgangsdifferenz als Vorstellung – von Architektur, denn darauf bezieht sich ja sein Handeln. Ob es aber damit zur Herstellung einer neuen architektonischen Wirklichkeit kommt, liegt dann nicht mehr in seiner Macht. Denn etwas radikal Neues wäre unvermeidlich auch etwas radikal Unverständliches, wenn es sich nicht auf einen Anteil an Wiederholtem stützt, der den Anteil des Neuen erst vor dem Hintergrund des kulturellen Gedächtnisses als Architektur interpretierbar, also verständlich macht. Ist dies nicht der Fall, dann kann sich daraus auch keine Wirklichkeit konstituieren. Das erschaffene Werk bleibt, was es ist, ein menschliches Artefakt. Erst die Selbstbeobachtung der Beobachter wird erkennbar machen, ob es in der Person und / oder dem Werk liegende Unterscheidungsmerkmale gibt, die es ermöglichen, von Architektur zu sprechen, und es damit erst im Prozess der Interpretation dazu zu machen. Der Kontingenz der Selbstbeobachtung wird es zu verdanken sein, dass es Beobachter gibt, die eine solche Möglichkeit nicht sehen. Beobachter niedrigerer Ordnung beobachten das Werk letztlich nicht mehr unmittelbar, sondern vermittelt über vorhergehende Beobachter. Sie tun dies in dem Wissen der Unzulänglichkeit der eigenen Urteilskraft und im Vertrauen auf Beobachter, denen sie im guten Vertrauen genau diese Urteilskraft unterstellen.
[81]

Dies betont die herausragende Stellung des Beobachters zweiter Ordnung, dessen Erkennen und Handeln Interpretation zweiter Ordnung ist, sowie der Selbstbeobachtung insgesamt, die zur Konsequenz hat, dass architektonische Wirklichkeit, „ähnlich wie Leben und Bewusstsein“, eine akteurslose, emergente, im Prozess der Interpretation hergestellte Realität ist.
[82] Die Exemplifizierung anhand des »radikal Neuen« hebt hervor, dass es damit eine Wirklichkeit mit »anti-diastratischem«, also Gesellschaft und ihre Schichtung ignorierendem Absolutheitsanspruch, nicht geben kann. Für den Interpretationsprozess selbst ist dagegen lediglich entscheidend, dass es eine zeichenhafte und beobachtbare Differenz gibt, die bedeutsam sein kann, und nicht, wie groß diese Differenz ist, wie hoch also der Anteil des Neuen im Vergleich zum Bekannten in dieser Differenz ist.

Den Massenmedien kommt in diesem Prozess die herausragende Stellung eines Beobachters zweiter Ordnung zu, mit der zusätzlichen Eigenschaft, dass sie durch ihre massenhafte Präsenz die Selbstbeobachtung der Gesellschaft wesentlich erleichtern. Sie sind in dieser Eigenschaft sowohl Interpret als auch Interpretant. Beobachter zweiter Ordnung, die ihre Beobachtung mit Hilfe und durch Massenmedien verbreiten, werden von Beobachtern dritter Ordnung bei ihrer Beobachtung beobachtet, damit im Prozess der Semiose zum Zeichen einer Differenz, die wiederum interpretiert wird. Massenmedien allein stellen damit keine Realität her, die nicht ebenfalls schon gesellschaftlich vorformatiert wäre – ihr Markt ist der des Verstanden-Werdens – und ihre Beobachtung ist gleichermaßen darauf angewiesen, interpretiert zu werden, um sich als Wirklichkeit etablieren zu können. Die Kontingenz jeder Beobachtung und Interpretation führt im Feuilleton einer Tageszeitung zu einer architektonischen Wirklichkeit, die eine andere als die eines Reiseführers ist, auch wenn sie sich partiell überschneiden mögen.

Architektonische Wirklichkeit braucht damit Produzenten, braucht Produkte und braucht auch den gesamten Produktionsablauf – in holistischer Manier braucht sie aber alles zugleich, um tatsächlich entstehen zu können.


5. Fazit

Dieser kleine Ausflug in die Systemtheorie und die neuere Sprachphilosophie mit einigen ihrer vielleicht einflussreichsten Vertreter lässt deutlich erkennen, dass es ein disziplinenübergreifend stabiles Konzept der Interpretation als wirklichkeitsstiftendes Prinzip menschlichen Daseins gibt. Wirklichkeit ist auf diese Weise als kulturell hergestellt definiert, und damit sind, was nicht unumstritten ist, durchaus auch die Naturwissenschaften gemeint.
[83] Er hat außerdem gezeigt, dass jedes einzelne Element des Interpretationsprozesses, ob Individuum oder Gesellschaft, Vergangenheit oder Gegenwart, Symbole oder Zeichen, Bild oder Schrift, Wahrnehmen oder Verstehen – allgemein formuliert: die Dialektik von Mensch und Welt – notwendig als Teile dieses Prozesses anerkannt werden müssen, erst der Blick auf ihre gleichrangigen Interdependenzen jedoch hinreichend ist, um Interpretation als semantischen Holismus verständlich zu machen.

Damit geht eine ‚Verabschiedung des Subjekts’ einher, der einzelne Mensch steht nicht mehr im Zentrum dieser Prozesse, sondern ist gleichberechtigter Teil von ihnen, wie alle anderen Teile auch. Das Netz der Überzeugungen ließe sich so in gewisser Weise auch als Netz von Gummibändern charakterisieren, als Netz, das jedem Menschen Freiheitsgrade in seinen Handlungen lässt, das ihn aber zugleich stets daran erinnert, dass allzu große Abweichungen am flexiblen Widerstand des Verbundenseins mit anderen Menschen scheitern werden.

Auch die Bourdieu’sche ‚Suche nach Differenz’ gibt den sozial induzierten Prozess der Ausdifferenzierungen vor. Sie werden selbst unmittelbar zu Zeichen ihrer Differenz und stellen damit die Austauschbarkeit sicher, da sie mittels des Verweises auf eine Bedeutung, die nicht in den Zeichen selbst liegt, sondern in der Konventionalisierung ihres Gebrauchs, auf vergleichbare Phänomene übertragbar sind – bis sie sich durch weitere Ausdifferenzierungen erneut teilen. Ein beinahe biologisch anmutender Prozess, den wir hier vorsichtshalber Interpretation der Kultur als Kultur der Interpretation nennen wollen.

Architektur ist als soziale Praxis bis hin zu ihren Ursprüngen eine solche permanente Ausdifferenzierung. Wir haben die gesamte Bandbreite dieser sozialen Praxis anklingen lassen, von Wirklichkeiten, die in ihrer scheinbaren Objektivität kaum in Frage gestellt werden bis zu solchen, deren Bedeutungsinhalte kaum über kleine gesellschaftliche Gruppierungen hinausreichen. Einen auf dem Wege der Unwahrscheinlichkeitsannahme, also der Dekonstruktion analysierbaren, abstrahierbaren und damit kontextunabhängig reproduzierbaren Kern, eine vorkulturelle und damit vorinterpretatorische Phänomenologie der Architektur kann es damit nicht geben. Sie erhält stets durch Interpretation einer Ausgangsdifferenz, die nicht in ihr selbst, sondern in ihrer kulturellen Vorformatierung liegt, einen »Mehrwert«, der sodann das Wesen ihrer kulturellen Wirklichkeit ist. Sie ist damit zugleich gesellschaftliche Realität, da sie als Zeichen der kulturell hergestellten Wirklichkeit wahrnehmbare Eigenschaften hat, die auf nichtwahrnehmbare Sinnhorizonte der sie hervorbringenden Kultur verweisen.

Dieses Verständnis von Architektur als eine durch Interpretation hergestellte Wirklichkeit ist weder durch Reduktion noch durch Komplexität charakterisiert, denn es erkennt die praktisch – im Sinne von: durch soziale Praxis entstandenen und weiter entstehenden – unendlichen Ausdifferenzierungen von Architektur nebst all ihren Merkmalen und Phänomenen vorbehaltlos an – und auch wenn es die soziale Praxis dabei zugleich voraussetzen muss, ist das so definierte Architekturverständnis damit wesentlich vorbehaltloser, als so manche Behauptung architektonischer Wirklichkeit verstehen möchte.

 



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Anmerkungen:

[1] Reichlin, Bruno (Salzburg; 2001) S. 22.

[2] Bertram, Georg W. et. al (Frankfurt am Main; 2008) S. 9.

[3] Yanow, Dvora; Schwartz-Shea, Peregrin (Armonk, London; 2006) S.xi; Schalk, Helge (Würzburg; 2000) S. 67 f.

[4] Rorty, Richard (Ithaca and London; 1991) S. 60.

[5] Bertram, Georg W. et. al (Frankfurt am Main; 2008) S. 10 f.

[6] Eco, Umberto (Frankfurt am Main; 1977) S. 108.

[7] Cassirer, Ernst (Hamburg; 2007) S. 49.

[8] Luhmann, Niklas (Bern; 1992) S. 63.

[9] Putnam, Hilary (Frankfurt am Main; 1991) S. 35.

[10] Diese Formulierung ist dem Versuch geschuldet, eine Position der Neutralität zu wahren beim Bemühen, die (sprach-) philosophische Entwicklung seit Ferdinand de Saussure als Übergang vom Strukturalismus zum Post-Strukturalismus (Münker/Roesler), Formalismus zum Post-Formalismus (Bertram et. al.) oder vom strong holism zum weak holism (Bohman) begrifflich zu erfassen.

[11] Münker, Stefan; Roesler, Alexander (Weimar; 2000) S. 8.

[12] Ebd., S. 10.

[13] Luhmann, Niklas (Bern; 1992) S. 63.

[14] Ulf Harendenski bezeichnet Ecos Interesse an „der Kultur“ als sozialwissenschaftlich geprägt (Harendenski; Gloy 1996 S.67); Nach Putnam ist der differenztheoretische Bezug in einer Sprache ein soziales Phänomen (Putnam 1991, S. 58).

[15] Schalk, Helge (Würzburg; 2000) S. 85.

[16] Eco, Umberto (Paderborn; 2002) S. 33.

[17] Daniel Chandler beklagt in seinem auch im Internet abrufbaren Buch „Semiotics for Beginners“, dass „much of what is written about semiotics is written as if to keep out those who are not already ‚members of the club“. (Chandler, Daniel (1994) [Zugriff am 07/04/2008].

[18] Burkart, Günter; Runkel, Gunter (Frankfurt am Main; 2004) S. 17.

[19] Schalk, Helge (Würzburg; 2000) S. 68.

[20] Shusterman, Richard (Wien; 1996) S. 67.

[21] Ebd.

[22] Polemik ist der Debatte um den Interpretationsbegriff ohnehin nicht fremd. Sie äußert sich beispielsweise in der von Susan Sontag geäußerten Ansicht, die Interpretationspraxis ersticke „jegliches Kunsterlebnis in einem überflüssigen Theorierahmen“, der darauf geäußerten Replik Shustermans, Sontags Positionen verrieten einen „naiven Realismus“ (Shusterman; 1996, S. 70 ff.) – wobei Helge Schalk darauf hinweist, Sontags Kritik lasse sich gar nicht, wie von Shusterman behauptet, auf den weiten Interpretationsbegriff des hermeneutischen Universalismus anwenden – bis hin zur Forderung nach der Abschaffung des Interpretationsbegriffs (Schalk; 2000 S. 11 ff.) Sie offenbart aber auch unserer Auffassung nach, dass eine präzise Begriffsbestimmung und -abgrenzung der Interpretation noch aussteht, mindestens aber noch nicht genügend verbreitet ist.

[23] Bertram, Georg W. et. al (Frankfurt; 2008) S. 10.

[24] Hiley, R. David; Bohman, James F.; Shusterman, Richard (Ithaca and London; 1991) S. 8.

[25] Man mag sich dabei auch an die schwierige Klärung des Kulturbegriffs erinnert fühlen, der in seiner definitorischen Bandbreite vom Sängerabend des Heimatvereins bis zum Horizont jeglichen menschlichen Einflusses reicht.

[26] Schalk, Helge (Würzburg; 2000) S. 13 f.

[27]Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das Mystische.“ So hat es Wittgenstein, „der größte Sprachphilosoph des 20. Jahrhunderts in seinem ersten philosophischen Meisterwerk“ formuliert (Shusterman; 1996, S. 98).

[28] Shusterman, Richard (Wien; 1996) S. 81.

[29] Eco, Umberto (Paderborn; 2002) S. 299.

[30] Tschumi, Bernard (Basel, Boston, Berlin; 2003) S. 169.

[31] Oakes, Guy (Frankfurt am Main, 1990) S. 29.

[32] Bertram, Georg W. et. al (Frankfurt am Main; 2008) S. 169 f.

[33] Luhmann, Niklas (Stuttgart; 2001) S. 97.

[34] Schalk, Helge (Würzburg; 2000) S. 67.

[35] Bertram, Georg W. et. al. (Frankfurt am Main; 2008) S. 21 (Klammerangaben durch die Autoren).

[36] Münker, Stefan; Roesler, Alexander (Weimar; 2000) S. 128.

[37] Luhmann, Niklas (Bielefeld; 1990) S. 8. Luhmann gibt hier eine Formulierung Eva Meyers wieder und führt damit einen dritten Ausdruck für das ein, was er an anderen Stellen selbst synonym als Kontext oder Umwelt bezeichnet. Dieser Form der Begriffsverwendung schließen wir uns im hier gegebenen Rahmen an, ohne damit zum Ausdruck bringen zu wollen, dass eine weitere Differenzierung insbesondere im Verhältnis zum alltagssprachlichen Gebrauch der Begriffe nicht trotzdem ratsam sein kann.

[38] Ebd.

[39] Böhme, Hartmut (2000) [Zugriff am 06/05/2008]; Klammerangabe im Original.

[40] Ebd.

[41] Assmann, Jan (München; 2005) S. 135. Assmann vergisst nicht, die Paradoxie der Verwendung des Naturbegriffs einzuräumen.

[42] Luhmann, Niklas (Bielefeld; 1990) S. 8.

[43] Shusterman, Richard (Wien; 1996) S. 80.

[44] Putnam, Hilary (Frankfurt am Main; 1991) S. 162.

[45] Bertram, Georg W. et. al. (Frankfurt am Main; 2008) S. 13.

[46] Luhmann, Niklas (Stuttgart; 2001) S. 125.

[47] Schalk, Helge (Würzburg; 2000) S. 78.

[48] Bertram, Georg W. et. al. (Frankfurt am Main; 2008) S. 93.

[49] Gloy, Klaus (Aachen, 1996) S. 35.

[50] Schalk, Helge (Würzburg; 2000) S. 112.

[51] Gloy, Klaus (Aachen, 1996) S. 35.

[52] Ebd., S. 50.

[53] Shusterman, Richard (Wien; 1996) S. 83.

[54] Putnam, Hilary (Frankfurt am Main; 1991) S. 35.

[55] Baudrillard, Jean (Graz; 1999) S. 20 f.

[56] Selle, Gert (Frankfurt / New York; 1993) S. 9.

[57] Luhmann, Niklas (Stuttgart; 2001) S. 76 ff.

[58] Ebd., S. 78.

[59] Dies legt, zugegebenermaßen provokativ und ohne die Verfolgung eines gleichlautenden Anspruchs, der Titel des Buchs „Disappearing Architecture“ nahe, in dem – einmal mehr – „a new kind of architecture“ gefordert wird. (Flachbart, Weibel 2005, S. 8)

[60] Beutelspacher, Albrecht; Petri, Bernhard (Mannheim; 1995) S. 10.

[61] Ebd., S.145 ff.

[62] Baecker, Dirk (Bielefeld; 1990) S. 75.

[63] Eco, Umberto (Paderborn; 2002) S. 353 ff.

[64] Tschumi, Bernard (Basel, Boston, Berlin; 2003) S. 169.

[65] Tange, Kenzo (Basel, Boston, Berlin; 2003) S. 157.

[66] Lefebvre, Henri (Malden; 1991) S. 200 (Kursiv im Original).

[67] Eco, Umberto (Paderborn; 2002) S. 310.

[68] Luhmann, Niklas (Bielefeld; 1990) S. 75.

[69] Ebd., S. 16.

[70] Bertram, Georg W. et. al. (Frankfurt am Main; 2008) S. 19.

[71] Luhmann, Niklas (Stuttgart; 2001) S. 278.

[72] Putnam, Hilary (Frankfurt am Main; 1991) S. 63.

[73] Luhmann, Niklas (Bielefeld; 1990) S. 11.

[74] Yanow, Dvora (Armonk, London; 2006) S. 19.

[75] Ebd., S. 16.

[76] Assmann, Jan (München; 5. Auflage, 2005) S. 40.

[77] Tschumi, Bernard (Basel, Boston, Berlin; 2003) S. 173.

[78] Assmann, Jan (München; 5. Auflage, 2005) S. 212.

[79] Bourdieu, Pierre (Frankfurt am Main; 1987) S. 734.

[80] Ebd.

[81] Putnam, Hilary (Frankfurt am Main; 1991) S .58.

[82] Luhmann, Niklas (Stuttgart; 2001) S. 97.

[83] Bohman, James F. (Ithaca and London; 1991) S. 148.
 

 


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