Zum Interpretieren von Architektur
Theorie des Interpretierens

12. Jg., Heft 2, Dezember 2008

 

___Jörg Schnier
Buffalo, New York
  Das Schweigen der Häuser

 

    Architektur ist eine der maßgeblichen Determinanten von Lebensqualität. Menschen entwickeln eine emotionale Beziehung zu Orten (Low & Altman, 1992). Manche davon – wie das Elternhaus oder die Stadt in der man aufgewachsen ist – können so wichtig für den Einzelnen sein, dass sie Teil der individuellen Identität werden (Proshansky, 1978; Cooper, 1976).

Architektur kann als Quelle der Zufriedenheit mit der Wohnsituation sogar wichtiger werden als soziale Bindungen (Fried, 1982, Handal, Barling, & Morrissy, 1981). Otto Friedrich Bollnow betont die anthropologische Dimension des Raums. Die Schutzfunktion des Wohnens ist für ihn Grundvoraussetzung dafür, dass der Mensch „bei sich" und damit wirklich Mensch sein kann (Bollnow 1963, 136).

Architektur wirkt mithin direkt auf das körperliche und seelische Wohlbefinden eines jeden Menschen ein und beeinflusst dessen Verhalten in Bezug auf seine physische und soziale Umgebung in außergewöhnlich hohem Maße.

Während andere Kulturleistungen wie Musik und Literatur täglich in den Medien diskutiert werden, kommt die Baukultur im Allgemeinen und die zeitgenössische Architektur im Besonderen kaum zur Sprache.
Die vom Bereich Medienforschung des ZDF auf Anfrage zur Verfügung gestellten Daten zeigen die unterschiedliche Medienpräsenz von Beiträgen mit den Themen Architektur, Literatur und Musik (Sanders & Weber, 2008; Appendix I). Im Senderverbund des ZDF liefen im 1. Quartal 2008 nur ganze 11 Erstsendungen mit dem Label Architektur, während im gleichen Zeitraum etwa 4 mal so viele Literaturerstsendungen (42) und knapp 10 mal so viele Musikerstsendungen (104) ausgestrahlt wurden.
Betrachtet man die 11 Architektur-Erstsendungen genauer (Sanders & Weber, 2008; Appendix II), stellt man fest, dass zwei Features der Landschaftsarchitektur gewidmet sind und sich zwei Beiträge mit Baukunst früherer Epochen beschäftigen. Damit verbleiben für die zeitgenössische Architektur nur mehr ganze 7 Erstsendungen mit einer Gesamtdauer von 3 Stunden 21 Minuten und 45 Sekunden.
Im Deutschlandradio wurden im selben Zeitraum 17 Beiträge oder 5 Stunden, 21 Minuten und 33 Sekunden Sendezeit mit dem Schwerpunkt Architektur ausgestrahlt (Michels, 2008; Appendix III).

Die Asymmetrie der medialen Aufmerksamkeit ist, gemessen an der Bedeutung der Architektur für die Lebensqualität eines jeden Einzelnen, geradezu frappierend. Dabei kann man sich Literatur und Musik – einmal abgesehen von der penetranten Bedudelung durch die Warteschleifen der Telefonanlagen – relativ leicht entziehen. Architektur aber ist unvermeidlich.

Diese Diskrepanz zwischen Architektur und Nutzer, Werk und Rezipient könnte durch Interpretationen überbrückt werden, da Interpretationen verwendet werden, wenn etabliertes Wissen nicht mehr ausreicht, um Lücken im Verständnis von etwas zu füllen (Sontag 1966; Novitz 1999, 5). Denn Interpretationen bauen auf der möglichst wahren Beschreibung des Objektes auf, stellen Vergleiche an und äußern Mutmaßungen über die Gründe seiner besonderen Beschaffenheit (Schnier 2003, 225).

Die folgenden Phasen der Architekturinterpretation beschreibt Juan Pablo Bonta am Beispiel der Rezeption Mies van der Rohes Barcelona Pavillon:

Anfängliche Blindheit gegenüber der Bedeutung des Bauwerkes, vorkanonische Reaktionen, kanonische Interpretation, autoritative Interpretation, Anerkennung und Verbreitung, Vergessen und Neuinterpretation" (Bonta 1982, 240).

Wendet man dieses Phasenmodell auf die Architektur als Ganzes an, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich die zeitgenössische Architektur gerade größtenteils in der präinterpretatorischen Phase der Blindheit gegenüber der Bedeutung von Architektur befindet.

Architektur braucht demnach gerade heute sehr viel mehr Interpretation, um in einen lebendigen Diskurs mit dem Nutzer treten zu können.

Warum also findet Architekturinterpretation nicht in viel größerem Maße statt?
Gibt es architekturinhärente Besonderheiten, die eine Interpretation im Vergleich zu Feldern mit ausgeprägter Interpretationskultur wie Musik und Literatur erschweren?

Im Folgenden sollen – in Abgrenzung zu Literatur und Musik – architekturspezifische Charakteristika der Produktion, Funktion, Vermarktung und Wahrnehmung von Bauwerken hinsichtlich ihres Einflusses auf die Interpretierbarkeit von Architektur untersucht werden.


Produktion

Die Hauptproduktionskosten von Literatur liegen in der aufgewendeten Zeit. Diese vorausgesetzt, kann ein Autor seine Arbeit, ohne größeren materiellen Aufwand, relativ unabhängig von seiner Umwelt ausführen. In der Musik ist das nur wenig komplizierter. Seit multimediafähige PCs in fast jedem Haushalt stehen und gute Musiksoftware als Freeware Download erhältlich ist, können auch professionelle CD-Aufnahmen mit überschaubarem Aufwand quasi in Heimarbeit produziert werden.
Im Gegensatz hierzu ist ein Bauprojekt vergleichsweise sehr kostspielig. Der Architekt ist, ob der zunehmenden Komplexität der Bauaufgaben, zur Verwirklichung seiner Ideen auch auf eine ständig steigende Anzahl verschiedener Fachplaner und Behörden angewiesen (Gutmann 1988, 31). Der finanzielle Imperativ und die Notwendigkeit der Abstimmung mit allen am Bau Beteiligten erschweren die Arbeit des Architekten spürbar.

Ohne die komplexen Sachzwänge des Planungs- und Bauprozesses ist Architektur nicht wirklich verständlich und interpretierbar. Aber berücksichtigt eine Interpretation all diese Faktoren, wird sie schnell zum für den Laien unverständlichen und uninteressanten Fachdiskurs.


Funktion

Einen entscheidenden Einfluss auf die Möglichkeit der Interpretation hat die funktionelle Determinierung der Architektur. Literatur und Musik sind, sieht man von Lehrbüchern, Bedienungsanleitungen, Werbejingles und ähnlichem einmal ab, normalerweise funktionsfrei. In der Architektur dagegen sind eindeutige Funktionen der Normalfall. Eine Tankstelle ist eine Tankstelle und eine Schule ist eine Schule. Die Funktion ist meist sogar der dominierende Form gebende Einzelfaktor eines Gebäudes, weshalb sich aus ihr ein Großteil der Bautypologie als wichtiges Klassifizierungssystem von Bauwerken ableitet. Durch die funktionelle Determinierung eines Gebäudes wird jeder Interpretationsspielraum bereits signifikant eingegrenzt. Eine Tankstelle kann kaum unabhängig von ihrer Funktion interpretiert werden.

Diese funktionelle Festgelegtheit eines Bauwerkes schränkt die von Umberto Eco (1977, 85) geforderte mehrdeutige Offenheit des (Kunst-)Werkes als Voraussetzung der Interpretierbarkeit sehr stark ein und steht damit der Möglichkeit des Aufbaus einer Erkenntnisbeziehung als Bedingung für jeden (Kunst-)Genuss im Wege.
Es ist das Rätselhafte der nicht bis ins letzte Detail geklärten Funktion und Konstruktion der Pyramiden, das an ihnen fasziniert. Es sind die Spekulationen des wie und warum, die die Aufmerksamkeit fesseln, die eine Aneignung in der Interpretation erst ermöglichen. Sobald Imhoteps „Bauhüttenpapyrus“ mit einer detaillierten Beschreibung aller konstruktiven und metaphysischen Grundlagen des Pyramidenbaus gefunden wird, werden die Pyramiden schlagartig diesen Reiz verlieren.

Ein „L´art pour l´art" – der Kunst als Selbstzweck – ohne Rücksicht auf außerkünstlerische Zielsetzungen ist im Gegensatz zu Literatur und Musik in der Architektur nicht denkbar. Sie muss, wie schon Vitruvius feststellte, neben der „venustas" immer auch der „firmitas“ und „utilitas“ genügen (Fensterbursch 1996). Deshalb steht vor allem die funktionelle Determinierung der Mehrdeutigkeit eines Bauwerkes entgegen und schränkt seine Interpretierbarkeit ein.


Vermarktung

Werke der Literatur und Musik sind Multiples. Mit der Möglichkeit, ein Buch oder eine CD mehrtausendfach zu verkaufen, wird es für Verleger und Produzenten sinnvoll, intensiv in die Vermittlung des Produktes an den Kunden – das Marketing – zu investieren. Bereits der Klappentext eines Buches oder ein CD-Booklet ist eine Interpretation des Werkes, deren Kommunikation gut auf die jeweilige Zielgruppe abgestimmt ist. Der Verleger fungiert als Makler zwischen Werk und Rezipient. Es ist sein Ziel, das Besondere seiner Ware dem Kunden zu vermitteln. Diese Funktion des Maklers ist überaus wichtig, da bei nicht einfach vergleichbarer und quantifizierbarer Qualität der Ware das Marketing den Wert entscheidend beeinflusst. Kunst wird Kunst durch den Kunstmarkt, wie Marcel Duchamp mit seinem Flaschentrockner zeigte. Den transitorischen Charakter der den Wert eines Objektes bestimmenden qualitativen Einschätzungen betont Nelson Goodman (1984, 76) mit seiner Frage „Wann ist Kunst?".

Diese Marktmechanismen greifen für Architektur nur in geringem Maße – einmal abgesehen von Gebäuden wie das Guggenheim in Bilbao, die selbst in erster Linie imagebildende Marketingmaßnahmen sind und daher im Rahmen der Vermarktung einer Stadt, eines Museums oder eines Produktes immer wieder veröffentlicht und beworben werden.

Immobilienkauf ist eine längerfristige Geldanlage. Ein bestimmtes Haus wird nicht so oft wieder verkauft, dass sich eine nachhaltige Marketingkampagne lohnen würde. Bei einer Reihenhaussiedlung, in der mehrere gleiche Einheiten verkauft werden, ist es möglich, mehr in die Erstvermarktung zu investieren. Den größten Marketingaufwand bis hin zur vollständig eingerichteten Musterhaussiedlung können jedoch in der Regel nur Fertighaushersteller mit ihren bis in die Hunderte gehenden Produktionszahlen eines Haustyps betreiben.
Dazu kommt, dass neue Gebäude im Gegensatz zu Literatur und Musik ob ihrer hohen Erstellungskosten zumeist vor ihrer Produktion verkauft werden, also kein Anlass mehr besteht, Bauwerke nach ihrer Fertigstellung zu bewerben, um sie eventuell einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln.

Die meisten Architekten lassen ihre Neubauten über Immobilienmakler verkaufen. Dies mag ursächlich auf die noch bis 1999 bestehenden berufsständischen strikten Werbeeinschränkungen zurückgehen, deren Aufhebung laut der Website der Bayerischen Architektenkammer unter den Architekten noch weitgehend unbekannt ist, wie aktuelle Anfragen zu „erlaubter" und „unerlaubter" Werbung immer wieder zeigen (Bayerische Architektenkammer, 2008).
Auf der anderen Seite ist es natürlich auch sinnvoll, dass Gebäude nicht von den Architekten, sondern von Maklern vermarktet werden, da sie die Spezialisten für den Immobilienmarkt sind. Das hat jedoch wiederum zur Folge, dass Bauwerke nicht von Fachleuten mit Architekturhintergrund, sondern von Betriebswirtschaftlern, für die die quantifizierbaren Eigenschaften wie Quadratmeterpreis und erzielbare Jahresrendite im Vordergrund stehen, vermakelt werden. Damit bestimmt der Makler als derjenige, der in der Entscheidungsvorbereitungsphase eines Immobilienkaufes mit dem potentiellen Kunden kommuniziert, welche Eigenschaften der von ihm angebotenen Bauwerke er betont. Für den Laien muss dann nach ein paar Gesprächen der Eindruck entstehen, beim Hauskauf ginge es nur um die Relation von Lage zu Größe zu Kaufpreis.

Die optimale Vermarktung von Architektur – im Sinne einer vermittelnden Interpretation ihrer qualitativen Eigenschaften – krankt am relativ kleinen Werbeetat, der Unerfahrenheit der Architekten auf diesem Gebiet und der überwiegend betriebswirtschaftlichen Ausrichtung der Immobilienmakler. Als Folge davon besteht keine effektive Lobby für gerade die Aspekte der Architektur, welche den Unterschied von Baukunst und Bausünde ausmachen.


Wahrnehmung

Wer sich mit Literatur auseinandersetzen möchte, kauft sich eine Ausgabe des Werkes. Der Text beziehungsweise die in ihm enthaltene Information stimmt bei jeder ungekürzten, nicht übersetzten Ausgabe – von eventuellen Druckfehlern abgesehen – genau überein. Ebenso wie Literatur ist auch fast jedes Musikstück in Zeiten des Internet-Downloads außerordentlich leicht verfügbar. Das Wesentliche eines Musikstückes wird offenbar unabhängig davon, ob sie live gespielt oder per Tonkonserve reproduziert wird, zufrieden stellend wiedergegeben. Ansonsten gäbe es diesen Multimilliardeneuromarkt einfach nicht.
Damit ist die Grundvoraussetzung für den öffentlichen Diskurs über ein Werk, die Kenntnis desselben, bei Literatur und Musik bestens gewährleistet.

Im Falle von Architektur sieht das ganz anders aus. Durch ihre Ortsgebundenheit ist der Zugang zu Gebäuden sehr eingeschränkt. Auch im Zeitalter des Massentourismus sind nur die wenigsten Menschen in der Lage, eine signifikante Anzahl von architektonischen Meisterwerken zu besuchen. Ein Test: Wer von Ihnen hat schon sowohl die Akropolis, die Pyramiden von Gizeh, das Taj Mahal sowie die Tempelanlage von Angkor Vat gesehen?
Dabei sind dies alles öffentlich zugängliche Bauten. Viel schwieriger ist es schon, Einlass zum Dachausbau von Coop Himmelblau in der Falkestraße in Wien oder dem Baseler Stellwerk von Herzog & DeMeuron zu erhalten.

Der Großteil des Wissens über die Meisterwerke der Architektur ist also selbst bei Fachleuten, die sich schon beruflich intensiv mit diesem Thema beschäftigen, indirekter Natur. Opulent bebilderte Fachbücher, Fachzeitschriften und Internet Plattformen sind die wichtigsten Quellen, um sich über Architektur zu informieren. Die sinnliche Kommunikation von Architektur wird dadurch weitgehend auf visuelle Stimuli reduziert. Damit wird der von Rudolf Arnheim (1972) beschriebene Erkenntnischarakter der Wahrnehmung dramatisch beschnitten.

Schon der Weg hin zu einem Bauwerk ist integraler Bestandteil der Architekturerfahrung. Das TWA Terminal von Eero Saarinen muss man einfach mit dem Flugzeug erreichen, da die beschwingte Offenheit des Raumes ihre größte Wirkung auf einen Besucher ausübt, der gerade noch paketstückgleich für Stunden in einer engen lauten Röhre über dem Atlantik eingepfercht war. Nur dann wird einem bewusst, wie die sanften Kurven des Empfangsgebäudes die Jetgeschwindigkeit langsam auflösen, um den Reisenden wieder auf ein geringeres Tempo einzustimmen.
Im Gegensatz hierzu ist die einzig angemessene Annäherung an die Wallfahrtskirche von Santiago di Compostella der mehrwöchige Pilgerweg. Die Kirche braucht das vorangehende Erlebnis der meditativen Wanderung durch pastorale Landschaft als Kontrast für die bestmögliche Inszenierung ihrer überschwänglichen Barockarchitektur.

Der architektonische Raum kann nur in der direkten physischen Auseinandersetzung – dem bewussten körperlichen Erleben – in seiner ganzen Informationsfülle wahrgenommen werden. Susan Sontag schlägt den Bogen zur Interpretierbarkeit, indem sie kurz und präzise feststellt: „Die Interpretation setzt ein sinnliches Erlebnis des Kunstwerkes als selbstverständlich voraus und basiert darauf.“ (Sonntag 1966)

Aufgrund der Ortsgebundenheit von Architektur konzentriert sich das überwiegend indirekte Wissen über Bauwerke weitgehend auf ihre visuellen Aspekte. Damit ist die Notwendigkeit des unmittelbaren Erlebens von Architektur – als Voraussetzung zu einer intensiven Auseinandersetzung mit ihr – in der Regel nicht gewährleistet. Über ein Gebäude, das man nicht selbst gesehen hat, lässt sich nur in demselben – im wahrsten Wortsinne oberflächlichen – Maße sprechen wie über ein Buch, von dem man nur den Klappentext kennt.


Fazit

Die besonderen Bedingungen der Produktion, Funktion, Vermarktung und Wahrnehmung von Architektur werfen, im Vergleich zu Literatur und Musik mit ihren wohl etablierten Interpretationsmethoden, völlig neue Probleme auf, die nur durch architekturspezifische Interpretationsstrategien bearbeitet werden können. Fehlen diese wird, wie Ralf-Peter Seippel (1989, 17) feststellt, auf die Methoden der klassischen Kunstgeschichte zurückgegriffen.

Juan Pablo Bonta (1982, 258) beschreibt den überaus geringen Anteil der Architekten an der Interpretation ihrer Bauwerke: „Die Leute wollen nur ihre eigenen Bedeutungen in ihrer Umgebung erkennen - nach ihren eigenen Maßstäben und ihren eigenen Normen, geprägt von Ausdruckssystemen, die sie mit der ganzen Gesellschaft teilen, nicht unbedingt aber mit dem Architekten. Und so geschieht Interpretation, ob es dem Architekten gefällt oder nicht."

Ursache dafür ist laut Philippe Boudon die aus einer Theorieskepsis stammende Sprachlosigkeit praktizierender Architekten: „Und während andere Disziplinen sich nach und nach einen Begriffsraum geschaffen haben, der ihnen helfen soll, sich über ihren Anteil an der Realität klar zu werden, hat der Architekt, der fast ausschließlich mit konkretem Raum arbeitet, sich kaum dazu bereit gefunden, diesem konkretem Raum einen begrifflichen Raum beizugesellen, der es ihm ermöglichen würde, seine Methoden zu überblicken und richtig einzuschätzen.“ (Boudon, 1991, 14)

Die daraus hervorgehende Sprachlosigkeit der Architekten erschwert es ihnen, mit autoritativen Interpretationen, aktiv an der Deutung ihrer Bauten teilzunehmen. Vermarktung ist vielfach da erfolgreich, wo Architekten sich die Interpretationshoheit zurückerobern, wie es Wolf Prix und Daniel Liebeskind beispielhaft vorexerzieren.

Eine mögliche Richtung, um „das Schweigen der Häuser“ zu brechen und eine architekturspezifische Interpretationskultur zu entwickeln, gibt Susan Sontag in ihrem berühmten Essay Against Interpretation vor: „Das Ziel aller Kommentierung der Kunst sollte heute darin liegen, die Kunst – und analog dazu unsere eigene Erfahrung – für uns wirklicher zu machen statt weniger wirklich“ (Sontag 1966).

Konkret bedeutet dies, dass die Interpretationen von Architektur die sinnlichen Aspekte der Architekturwahrnehmung betonen sollten. Dies wäre allerdings mit der Aufgabe des Anspruchs der Objektivität des Kritikers zugunsten der Beschreibung einer subjektiven Erfahrung und ihrer Bewertung verbunden. Ein Bekenntnis zur Subjektivität der Kritik beinhaltet die Existenz anderer, auch divergierender Meinungen, und würde die Interpretationsvielfalt der vorkanonischen Reaktionen – und der sich in ihr widerspiegelnden Wahrnehmungsvielfalt – erhalten. Interpretationen können eben nicht als wahr oder falsch, sondern lediglich als mehr oder weniger plausibel eingeschätzt werden (Schnier 2003). Das mag zwar einer abschließenden Klassifizierung eines Gebäudes im Wege stehen, würde aber die Vielstimmigkeit als Vorbedingung für einen lebendigen Architekturdiskurs erhalten.
Darüber hinaus würde dies endlich den Rezipienten von Architekturinterpretationen aus der Rolle des passiven Konsumenten einer vorgefertigten Expertenmeinung befreien und ihn dazu anregen, durch die eigene Meinungsbildung eine Erkenntnisbeziehung zu dem besprochenen Werk aufzubauen.
 



Literatur: 

Arnheim, R. (1972). Anschauliches Denken. Zur Einheit von Bild und Begriff. Köln, DuMont Schauberg.

Bayerische Architektenkammer am 24.04.2008 auf ihrer Website:
http://www.byak.de/architekten/service_berufsausuebung_werbung_einleitung.html.

Bollnow, O. F. (1963). Mensch und Raum. Stuttgart, Kohlhammer.

Bonta, J. P. (1982) Über Interpretation von Architektur. Berlin, Archibook.

Boudon, P. (1991). Der architektonische Raum. Über das Verhältnis von Bauen und Erkennen. Basel, Birkhäuser.

Cooper, C. (1976). The house as symbol of the self. In. H. Proshansky, W. H. Ittelson, & L. G. Rivlin (Eds.), Environmental Psychology. New York: Holt, Rinehart and Winston.

Eco, U. (1977). Das Offene Kunstwerk. Frankfurt, Suhrkamp.

Fensterbursch, C. (1996) Vitruvii de architectura libri decem. / Vitruv. Zehn Bücher über Architektur. Primus Verlag, Darmstadt (1996).

Fried, M. (1982). Residential attachment: Sources of residential and community satisfaction. Journal of Social Issues 38, 107-119.

Goodman, N. (1984 ). Weisen der Welterzeugung. Frankfurt, Suhrkamp.

Gutman, R. (1988). Architectural Practice: A critical view. New York, Princeton Architectural Press.

Handal, P. J., Barling, P. W., & Morissy, E. (1981). Development of perceived and preferred measures of physical and social characteristics of the residential environment and their relationship and satisfaction. Journal of Community Psychology 9, 118-124.

Low, S. M. & Altman, I. (1992). Place attachment: A conceptual inquiry. In I. Altman & S.M. Low (Eds.) Place attachment. New York, Plenum 1-12.

Michels, M. (2008) Deutschlandradio, Dokumentation und Archive. E-Mail-Auskunft an den Verfasser vom 24.04.2008.

Novitz, D. (1999). Interpretation and Justification. In: Margoilis, J. & Rockmore T. (1999). The philosophy of interpretation. Oxford, Blackwell.

Prohansky, H. M. (1978) The City and self-identity. Environment And Behaviour 10, 147-169.

Sanders, A. & Weber. G. (2008) Medienforschung ZDF. E-Mail-Auskunft an den Verfasser vom 24.04.2008.

Schnier, J. (2003). Präzisionsarbeit. Ein Plädoyer für die notwendige Radikalität des wohlbegründeten Urteils. In: Conrad, U., Führ, E. & Gänshirt, C. (Hrsg.) (2003). Zur Sprache bringen. Eine Kritik der Architekturkritik. Münster, Waxmann, 223-232.

Seippel, R.-P. (1989). Architektur und Interpretation. Methoden und Ansätze der Kunstgeschichte in ihrer Bedeutung für die Architekturinterpretation. Essen, Die Blaue Eule.

Sontag, S. (1966) Against Interpretation and Other Essays. New York, Farrar, Straus & Giroux.


 



Appendix I:
Sendungen mit Schwerpunkt Architektur, Literatur und Musik
im 1. Quartal 2008 im Senderverbund der ZDF (Sanders & Weber, 2008)

Sender Architektur

 

Literatur Musik
  Alle Sendungen Erst-sendungen Alle Sendungen Erst-sendungen Alle Sendungen Erst-sendungen
3sat 8 4 53 32 143 68
arte 12 5 3 0 10 2
KIKA 0 0 0 0 106 12
Phoenix 5 0 0 0 2 1
ZDF 1 0 4 2 12 9
ZDF dokukanal 0 0 49 1 60 1
ZDF infokanal 40 2 64 6 18 0
ZDF Theaterkanal 0 0 70 1 576 11
Gesamtanzahl 66 11 243 42 927 104


Appendix II:
Erstsendungen mit Schwerpunkt Architektur
im 1. Quartal 2008 im Senderverbund der ZDF (Sanders & Weber, 2008)

Sender Sendung Wochentag Datum Sendezeit Dauer
ZDF Info Die verlorenen Schätze der Museumsinsel
Jahrhundertprojekt Museumsinsel
Samstag 01.01.2008 15:45 44'24"
3 Sat Gärten für 1001 Nacht – Ein deutscher Landschaftsarchitekt verzaubert Saudi-Arabien.
Unverschleiert. Die Arabische Halbinsel
Montag 07.01.2008 1:30 28'27"
3 Sat Grünes für die Wüste – Ein deutscher Landschaftsarchitekt verzaubert Saudi-Arabien.
Unverschleiert. Die Arabische Halbinsel
Montag 07.01.2008 1:59 28'15"
ZDF Info Planen & Bauen
Neue Ideen, Neue Kunst
Samstag 16.02.2008 8:31 14'00"
3 Sat Albert Brunner hebt ab
Vom Wahnsinn in Indien einen Flughafen zu bauen
Samstag 15.03.2008 18:30 25'33"
3 Sat Gustav Peichl – Sinnliche Architektur
Portrait
Sonntag 16.03.2008 18:30 28'29"
Arte Zisternen – Istanbuls versunkene Paläste Dienstag 15.02.2008 19.01 42'21"
Arte Moderne Luftschlösser
Flughafen Kansai, Japan
Sonntag 10.02.2008 20:14 25'43"
Arte Moderne Luftschlösser
Flughafen Denver, USA
Sonntag 17.02.2008 20:15 25'39"
Arte Moderne Luftschlösser
Flughafen Shanghai Pudong, China
Sonntag 24.02.2008 20:15 25'40"
Arte Moderne Luftschlösser
Flughafen Madrid-Barajas, Spanien
Sonntag 02.03.2008 20:15 25'36"


Appendix III:
Sendungen im Deutschlandradio
mit dem Schwerpunkt Architektur im 1. Quartal 2008 (Michels, 2008)

Sendung Datum Dauer
Buchkritik: Die Zisterzienser und ihre Klöster" 02.01.2008 6'03"
Die wichtigsten Baustellen der Architekturdebatte 2008 04.01.2008 5'51"
Freistil: Der Keller – Eine unterirdische Begehung 06.01.2008 54'01"
Interview mit Benedikt Schulz über die Lage der Architekten 16.01.2008 5'22"
Studiozeit: Aus Kultur- und Sozialwissenschaften 17.01.2008 49'30"
Profil: Museum der Woche – Fagus-Gropius-Museum Alfeld 25.01.2008 5'51"
Studiozeit: Aus Kultur- und Sozialwissenschaften 31.01.2008 49'30"
Geschundene Schönheit - Das Ende von Bella Italia 06.02.2008 23'12"
Zwischentöne: Meinhard von Gerkan – Teil 1 07.02.2008 31'24"
Zwischentöne: Meinhard von Gerkan – Teil 2 07.02.2008 56'30"
Eine unendliche Geschichte - das Marx-Relief der Leipziger 08.02.2008 3'56"
Corso-Gespräch mit Stephan Wackwitz, Goethe-Institut New York 12.02.2008 8'11"
Berliner Schlossdebatte I – Lässt sich Pandoras Büchse nochmal ... 21.03.2008 8'42"
Berliner Schlossdebatte II Fassadenarchitektur? 22.03.2008 4'29"
Berliner Schlossdebatte III – Warum nicht modern? 23.03.2008 4'09"
Berliner Stadtschloss IV – Was wären die Alternativen? 24.03.2008 4'41"
Zeiten-Wende III 24.03.2008 23'23"


 


feedback