|
|
Architektur
ist eine der maßgeblichen Determinanten von Lebensqualität. Menschen entwickeln
eine emotionale Beziehung zu Orten (Low & Altman, 1992). Manche davon
– wie das Elternhaus oder die Stadt in der man aufgewachsen ist – können
so wichtig für den Einzelnen sein, dass sie Teil der individuellen Identität
werden (Proshansky, 1978; Cooper, 1976).
Architektur kann als Quelle der Zufriedenheit mit der Wohnsituation sogar
wichtiger werden als soziale Bindungen (Fried, 1982, Handal, Barling, &
Morrissy, 1981). Otto Friedrich Bollnow betont die anthropologische Dimension
des Raums. Die Schutzfunktion des Wohnens ist für ihn Grundvoraussetzung
dafür, dass der Mensch „bei sich" und damit wirklich Mensch sein kann
(Bollnow 1963, 136).
Architektur wirkt mithin direkt auf das körperliche und seelische Wohlbefinden
eines jeden Menschen ein und beeinflusst dessen Verhalten in Bezug auf seine
physische und soziale Umgebung in außergewöhnlich hohem Maße.
Während andere Kulturleistungen wie Musik und Literatur täglich in den Medien
diskutiert werden, kommt die Baukultur im Allgemeinen und die zeitgenössische
Architektur im Besonderen kaum zur Sprache.
Die vom Bereich Medienforschung des ZDF auf Anfrage zur Verfügung gestellten
Daten zeigen die unterschiedliche Medienpräsenz von Beiträgen mit den Themen
Architektur, Literatur und Musik (Sanders & Weber, 2008; Appendix I).
Im Senderverbund des ZDF liefen im 1. Quartal 2008 nur ganze 11 Erstsendungen
mit dem Label Architektur, während im gleichen Zeitraum etwa 4 mal so viele
Literaturerstsendungen (42) und knapp 10 mal so viele Musikerstsendungen
(104) ausgestrahlt wurden.
Betrachtet man die 11 Architektur-Erstsendungen genauer (Sanders & Weber,
2008; Appendix II), stellt man fest, dass zwei Features der Landschaftsarchitektur
gewidmet sind und sich zwei Beiträge mit Baukunst früherer Epochen beschäftigen.
Damit verbleiben für die zeitgenössische Architektur nur mehr ganze 7 Erstsendungen
mit einer Gesamtdauer von 3 Stunden 21 Minuten und 45 Sekunden.
Im Deutschlandradio wurden im selben Zeitraum 17 Beiträge oder 5 Stunden,
21 Minuten und 33 Sekunden Sendezeit mit dem Schwerpunkt Architektur ausgestrahlt
(Michels, 2008; Appendix III).
Die Asymmetrie der medialen Aufmerksamkeit ist, gemessen an der Bedeutung
der Architektur für die Lebensqualität eines jeden Einzelnen, geradezu frappierend.
Dabei kann man sich Literatur und Musik – einmal abgesehen von der penetranten
Bedudelung durch die Warteschleifen der Telefonanlagen – relativ leicht
entziehen. Architektur aber ist unvermeidlich.
Diese Diskrepanz zwischen Architektur und Nutzer, Werk und Rezipient könnte
durch Interpretationen überbrückt werden, da Interpretationen verwendet
werden, wenn etabliertes Wissen nicht mehr ausreicht, um Lücken im Verständnis
von etwas zu füllen (Sontag 1966; Novitz 1999, 5). Denn Interpretationen
bauen auf der möglichst wahren Beschreibung des Objektes auf, stellen Vergleiche
an und äußern Mutmaßungen über die Gründe seiner besonderen Beschaffenheit
(Schnier 2003, 225).
Die folgenden Phasen der Architekturinterpretation beschreibt Juan Pablo
Bonta am Beispiel der Rezeption Mies van der Rohes Barcelona Pavillon:
„Anfängliche
Blindheit gegenüber der Bedeutung des Bauwerkes, vorkanonische Reaktionen,
kanonische Interpretation, autoritative Interpretation, Anerkennung und
Verbreitung, Vergessen und Neuinterpretation" (Bonta 1982, 240).
Wendet man dieses
Phasenmodell auf die Architektur als Ganzes an, kann man sich des Eindrucks
nicht erwehren, dass sich die zeitgenössische Architektur gerade größtenteils
in der präinterpretatorischen Phase der Blindheit gegenüber der Bedeutung
von Architektur befindet.
Architektur braucht demnach gerade heute sehr viel mehr Interpretation,
um in einen lebendigen Diskurs mit dem Nutzer treten zu können.
Warum also findet Architekturinterpretation nicht in viel größerem Maße
statt?
Gibt es architekturinhärente Besonderheiten, die eine Interpretation im
Vergleich zu Feldern mit ausgeprägter Interpretationskultur wie Musik
und Literatur erschweren?
Im Folgenden sollen – in Abgrenzung zu Literatur und Musik – architekturspezifische
Charakteristika der Produktion, Funktion, Vermarktung und Wahrnehmung
von Bauwerken hinsichtlich ihres Einflusses auf die Interpretierbarkeit
von Architektur untersucht werden.
Produktion
Die Hauptproduktionskosten von Literatur liegen in der aufgewendeten Zeit.
Diese vorausgesetzt, kann ein Autor seine Arbeit, ohne größeren materiellen
Aufwand, relativ unabhängig von seiner Umwelt ausführen. In der Musik
ist das nur wenig komplizierter. Seit multimediafähige PCs in fast jedem
Haushalt stehen und gute Musiksoftware als Freeware Download erhältlich
ist, können auch professionelle CD-Aufnahmen mit überschaubarem Aufwand
quasi in Heimarbeit produziert werden.
Im Gegensatz hierzu ist ein Bauprojekt vergleichsweise sehr kostspielig.
Der Architekt ist, ob der zunehmenden Komplexität der Bauaufgaben, zur
Verwirklichung seiner Ideen auch auf eine ständig steigende Anzahl verschiedener
Fachplaner und Behörden angewiesen (Gutmann 1988, 31). Der finanzielle
Imperativ und die Notwendigkeit der Abstimmung mit allen am Bau Beteiligten
erschweren die Arbeit des Architekten spürbar.
Ohne die komplexen Sachzwänge des Planungs- und Bauprozesses ist Architektur
nicht wirklich verständlich und interpretierbar. Aber berücksichtigt eine
Interpretation all diese Faktoren, wird sie schnell zum für den Laien
unverständlichen und uninteressanten Fachdiskurs.
Funktion
Einen entscheidenden Einfluss auf die Möglichkeit der Interpretation hat
die funktionelle Determinierung der Architektur. Literatur und Musik sind,
sieht man von Lehrbüchern, Bedienungsanleitungen, Werbejingles und ähnlichem
einmal ab, normalerweise funktionsfrei. In der Architektur dagegen sind
eindeutige Funktionen der Normalfall. Eine Tankstelle ist eine Tankstelle
und eine Schule ist eine Schule. Die Funktion ist meist sogar der dominierende
Form gebende Einzelfaktor eines Gebäudes, weshalb sich aus ihr ein Großteil
der Bautypologie als wichtiges Klassifizierungssystem von Bauwerken ableitet.
Durch die funktionelle Determinierung eines Gebäudes wird jeder Interpretationsspielraum
bereits signifikant eingegrenzt. Eine Tankstelle kann kaum unabhängig
von ihrer Funktion interpretiert werden.
Diese funktionelle Festgelegtheit eines Bauwerkes schränkt die von Umberto
Eco (1977, 85) geforderte mehrdeutige Offenheit des (Kunst-)Werkes als
Voraussetzung der Interpretierbarkeit sehr stark ein und steht damit der
Möglichkeit des Aufbaus einer Erkenntnisbeziehung als Bedingung für jeden
(Kunst-)Genuss im Wege.
Es ist das Rätselhafte der nicht bis ins letzte Detail geklärten Funktion
und Konstruktion der Pyramiden, das an ihnen fasziniert. Es sind die Spekulationen
des wie und warum, die die Aufmerksamkeit fesseln, die eine Aneignung
in der Interpretation erst ermöglichen. Sobald Imhoteps „Bauhüttenpapyrus“
mit einer detaillierten Beschreibung aller konstruktiven und metaphysischen
Grundlagen des Pyramidenbaus gefunden wird, werden die Pyramiden schlagartig
diesen Reiz verlieren.
Ein „L´art pour l´art" – der Kunst als Selbstzweck – ohne Rücksicht
auf außerkünstlerische Zielsetzungen ist im Gegensatz zu Literatur und
Musik in der Architektur nicht denkbar. Sie muss, wie schon Vitruvius
feststellte, neben der „venustas" immer auch der „firmitas“ und „utilitas“
genügen (Fensterbursch 1996). Deshalb steht vor allem die funktionelle
Determinierung der Mehrdeutigkeit eines Bauwerkes entgegen und schränkt
seine Interpretierbarkeit ein.
Vermarktung
Werke der Literatur und Musik sind Multiples. Mit der Möglichkeit, ein
Buch oder eine CD mehrtausendfach zu verkaufen, wird es für Verleger und
Produzenten sinnvoll, intensiv in die Vermittlung des Produktes an den
Kunden – das Marketing – zu investieren. Bereits der Klappentext eines
Buches oder ein CD-Booklet ist eine Interpretation des Werkes, deren Kommunikation
gut auf die jeweilige Zielgruppe abgestimmt ist. Der Verleger fungiert
als Makler zwischen Werk und Rezipient. Es ist sein Ziel, das Besondere
seiner Ware dem Kunden zu vermitteln. Diese Funktion des Maklers ist überaus
wichtig, da bei nicht einfach vergleichbarer und quantifizierbarer Qualität
der Ware das Marketing den Wert entscheidend beeinflusst. Kunst wird Kunst
durch den Kunstmarkt, wie Marcel Duchamp mit seinem Flaschentrockner zeigte.
Den transitorischen Charakter der den Wert eines Objektes bestimmenden
qualitativen Einschätzungen betont Nelson Goodman (1984, 76) mit seiner
Frage „Wann ist Kunst?".
Diese Marktmechanismen greifen für Architektur nur in geringem Maße –
einmal abgesehen von Gebäuden wie das Guggenheim in Bilbao, die selbst
in erster Linie imagebildende Marketingmaßnahmen sind und daher im Rahmen
der Vermarktung einer Stadt, eines Museums oder eines Produktes immer
wieder veröffentlicht und beworben werden.
Immobilienkauf ist eine längerfristige Geldanlage. Ein bestimmtes Haus
wird nicht so oft wieder verkauft, dass sich eine nachhaltige Marketingkampagne
lohnen würde. Bei einer Reihenhaussiedlung, in der mehrere gleiche Einheiten
verkauft werden, ist es möglich, mehr in die Erstvermarktung zu investieren.
Den größten Marketingaufwand bis hin zur vollständig eingerichteten Musterhaussiedlung
können jedoch in der Regel nur Fertighaushersteller mit ihren bis in die
Hunderte gehenden Produktionszahlen eines Haustyps betreiben.
Dazu kommt, dass neue Gebäude im Gegensatz zu Literatur und Musik ob ihrer
hohen Erstellungskosten zumeist vor ihrer Produktion verkauft werden,
also kein Anlass mehr besteht, Bauwerke nach ihrer Fertigstellung zu bewerben,
um sie eventuell einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln.
Die meisten Architekten lassen ihre Neubauten über Immobilienmakler verkaufen.
Dies mag ursächlich auf die noch bis 1999 bestehenden berufsständischen
strikten Werbeeinschränkungen zurückgehen, deren Aufhebung laut der Website
der Bayerischen Architektenkammer unter den Architekten noch weitgehend
unbekannt ist, wie aktuelle Anfragen zu „erlaubter" und „unerlaubter"
Werbung immer wieder zeigen (Bayerische Architektenkammer, 2008).
Auf der anderen Seite ist es natürlich auch sinnvoll, dass Gebäude nicht
von den Architekten, sondern von Maklern vermarktet werden, da sie die
Spezialisten für den Immobilienmarkt sind. Das hat jedoch wiederum zur
Folge, dass Bauwerke nicht von Fachleuten mit Architekturhintergrund,
sondern von Betriebswirtschaftlern, für die die quantifizierbaren Eigenschaften
wie Quadratmeterpreis und erzielbare Jahresrendite im Vordergrund stehen,
vermakelt werden. Damit bestimmt der Makler als derjenige, der in der
Entscheidungsvorbereitungsphase eines Immobilienkaufes mit dem potentiellen
Kunden kommuniziert, welche Eigenschaften der von ihm angebotenen Bauwerke
er betont. Für den Laien muss dann nach ein paar Gesprächen der Eindruck
entstehen, beim Hauskauf ginge es nur um die Relation von Lage zu Größe
zu Kaufpreis.
Die optimale Vermarktung von Architektur – im Sinne einer vermittelnden
Interpretation ihrer qualitativen Eigenschaften – krankt am relativ kleinen
Werbeetat, der Unerfahrenheit der Architekten auf diesem Gebiet und der
überwiegend betriebswirtschaftlichen Ausrichtung der Immobilienmakler.
Als Folge davon besteht keine effektive Lobby für gerade die Aspekte der
Architektur, welche den Unterschied von Baukunst und Bausünde ausmachen.
Wahrnehmung
Wer sich mit Literatur auseinandersetzen möchte, kauft sich eine Ausgabe
des Werkes. Der Text beziehungsweise die in ihm enthaltene Information
stimmt bei jeder ungekürzten, nicht übersetzten Ausgabe – von eventuellen
Druckfehlern abgesehen – genau überein. Ebenso wie Literatur ist auch
fast jedes Musikstück in Zeiten des Internet-Downloads außerordentlich
leicht verfügbar. Das Wesentliche eines Musikstückes wird offenbar unabhängig
davon, ob sie live gespielt oder per Tonkonserve reproduziert wird, zufrieden
stellend wiedergegeben. Ansonsten gäbe es diesen Multimilliardeneuromarkt
einfach nicht.
Damit ist die Grundvoraussetzung für den öffentlichen Diskurs über ein
Werk, die Kenntnis desselben, bei Literatur und Musik bestens gewährleistet.
Im Falle von Architektur sieht das ganz anders aus. Durch ihre Ortsgebundenheit
ist der Zugang zu Gebäuden sehr eingeschränkt. Auch im Zeitalter des Massentourismus
sind nur die wenigsten Menschen in der Lage, eine signifikante Anzahl
von architektonischen Meisterwerken zu besuchen. Ein Test: Wer von Ihnen
hat schon sowohl die Akropolis, die Pyramiden von Gizeh, das Taj Mahal
sowie die Tempelanlage von Angkor Vat gesehen?
Dabei sind dies alles öffentlich zugängliche Bauten. Viel schwieriger
ist es schon, Einlass zum Dachausbau von Coop Himmelblau in der Falkestraße
in Wien oder dem Baseler Stellwerk von Herzog & DeMeuron zu erhalten.
Der Großteil des Wissens über die Meisterwerke der Architektur ist also
selbst bei Fachleuten, die sich schon beruflich intensiv mit diesem Thema
beschäftigen, indirekter Natur. Opulent bebilderte Fachbücher, Fachzeitschriften
und Internet Plattformen sind die wichtigsten Quellen, um sich über Architektur
zu informieren. Die sinnliche Kommunikation von Architektur wird dadurch
weitgehend auf visuelle Stimuli reduziert. Damit wird der von Rudolf Arnheim
(1972) beschriebene Erkenntnischarakter der Wahrnehmung dramatisch beschnitten.
Schon der Weg hin zu einem Bauwerk ist integraler Bestandteil der Architekturerfahrung.
Das TWA Terminal von Eero Saarinen muss man einfach mit dem Flugzeug erreichen,
da die beschwingte Offenheit des Raumes ihre größte Wirkung auf einen
Besucher ausübt, der gerade noch paketstückgleich für Stunden in einer
engen lauten Röhre über dem Atlantik eingepfercht war. Nur dann wird einem
bewusst, wie die sanften Kurven des Empfangsgebäudes die Jetgeschwindigkeit
langsam auflösen, um den Reisenden wieder auf ein geringeres Tempo einzustimmen.
Im Gegensatz hierzu ist die einzig angemessene Annäherung an die Wallfahrtskirche
von Santiago di Compostella der mehrwöchige Pilgerweg. Die Kirche braucht
das vorangehende Erlebnis der meditativen Wanderung durch pastorale Landschaft
als Kontrast für die bestmögliche Inszenierung ihrer überschwänglichen
Barockarchitektur.
Der architektonische Raum kann nur in der direkten physischen Auseinandersetzung
– dem bewussten körperlichen Erleben – in seiner ganzen Informationsfülle
wahrgenommen werden. Susan Sontag schlägt den Bogen zur Interpretierbarkeit,
indem sie kurz und präzise feststellt: „Die Interpretation setzt ein
sinnliches Erlebnis des Kunstwerkes als selbstverständlich voraus und
basiert darauf.“ (Sonntag 1966)
Aufgrund der Ortsgebundenheit von Architektur konzentriert sich das überwiegend
indirekte Wissen über Bauwerke weitgehend auf ihre visuellen Aspekte.
Damit ist die Notwendigkeit des unmittelbaren Erlebens von Architektur
– als Voraussetzung zu einer intensiven Auseinandersetzung mit ihr – in
der Regel nicht gewährleistet. Über ein Gebäude, das man nicht selbst
gesehen hat, lässt sich nur in demselben – im wahrsten Wortsinne oberflächlichen
– Maße sprechen wie über ein Buch, von dem man nur den Klappentext kennt.
Fazit
Die besonderen Bedingungen der Produktion, Funktion, Vermarktung und Wahrnehmung
von Architektur werfen, im Vergleich zu Literatur und Musik mit ihren
wohl etablierten Interpretationsmethoden, völlig neue Probleme auf, die
nur durch architekturspezifische Interpretationsstrategien bearbeitet
werden können. Fehlen diese wird, wie Ralf-Peter Seippel (1989, 17) feststellt,
auf die Methoden der klassischen Kunstgeschichte zurückgegriffen.
Juan Pablo Bonta (1982, 258) beschreibt den überaus geringen Anteil der
Architekten an der Interpretation ihrer Bauwerke: „Die Leute wollen
nur ihre eigenen Bedeutungen in ihrer Umgebung erkennen - nach ihren eigenen
Maßstäben und ihren eigenen Normen, geprägt von Ausdruckssystemen, die
sie mit der ganzen Gesellschaft teilen, nicht unbedingt aber mit dem Architekten.
Und so geschieht Interpretation, ob es dem Architekten gefällt oder nicht."
Ursache dafür ist laut Philippe Boudon die aus einer Theorieskepsis stammende
Sprachlosigkeit praktizierender Architekten: „Und während andere Disziplinen
sich nach und nach einen Begriffsraum geschaffen haben, der ihnen helfen
soll, sich über ihren Anteil an der Realität klar zu werden, hat der Architekt,
der fast ausschließlich mit konkretem Raum arbeitet, sich kaum dazu bereit
gefunden, diesem konkretem Raum einen begrifflichen Raum beizugesellen,
der es ihm ermöglichen würde, seine Methoden zu überblicken und richtig
einzuschätzen.“ (Boudon, 1991, 14)
Die daraus hervorgehende Sprachlosigkeit der Architekten erschwert es
ihnen, mit autoritativen Interpretationen, aktiv an der Deutung ihrer
Bauten teilzunehmen. Vermarktung ist vielfach da erfolgreich, wo Architekten
sich die Interpretationshoheit zurückerobern, wie es Wolf Prix und Daniel
Liebeskind beispielhaft vorexerzieren.
Eine mögliche Richtung, um „das Schweigen der Häuser“ zu brechen und eine
architekturspezifische Interpretationskultur zu entwickeln, gibt Susan
Sontag in ihrem berühmten Essay Against Interpretation vor: „Das
Ziel aller Kommentierung der Kunst sollte heute darin liegen, die Kunst
– und analog dazu unsere eigene Erfahrung – für uns wirklicher zu machen
statt weniger wirklich“ (Sontag 1966).
Konkret bedeutet dies, dass die Interpretationen von Architektur die sinnlichen
Aspekte der Architekturwahrnehmung betonen sollten. Dies wäre allerdings
mit der Aufgabe des Anspruchs der Objektivität des Kritikers zugunsten
der Beschreibung einer subjektiven Erfahrung und ihrer Bewertung verbunden.
Ein Bekenntnis zur Subjektivität der Kritik beinhaltet die Existenz anderer,
auch divergierender Meinungen, und würde die Interpretationsvielfalt der
vorkanonischen Reaktionen – und der sich in ihr widerspiegelnden Wahrnehmungsvielfalt
– erhalten. Interpretationen können eben nicht als wahr oder falsch, sondern
lediglich als mehr oder weniger plausibel eingeschätzt werden (Schnier
2003). Das mag zwar einer abschließenden Klassifizierung eines Gebäudes
im Wege stehen, würde aber die Vielstimmigkeit als Vorbedingung für einen
lebendigen Architekturdiskurs erhalten.
Darüber hinaus würde dies endlich den Rezipienten von Architekturinterpretationen
aus der Rolle des passiven Konsumenten einer vorgefertigten Expertenmeinung
befreien und ihn dazu anregen, durch die eigene Meinungsbildung eine Erkenntnisbeziehung
zu dem besprochenen Werk aufzubauen.
Literatur:
Arnheim,
R. (1972). Anschauliches Denken. Zur Einheit von Bild und Begriff.
Köln, DuMont Schauberg.
Bayerische
Architektenkammer am 24.04.2008 auf ihrer Website:
http://www.byak.de/architekten/service_berufsausuebung_werbung_einleitung.html.
Bollnow,
O. F. (1963). Mensch und Raum. Stuttgart, Kohlhammer.
Bonta,
J. P. (1982) Über Interpretation von Architektur. Berlin, Archibook.
Boudon,
P. (1991). Der architektonische Raum. Über das Verhältnis von Bauen
und Erkennen. Basel, Birkhäuser.
Cooper,
C. (1976). The house as symbol of the self. In. H. Proshansky,
W. H. Ittelson, & L. G. Rivlin (Eds.), Environmental Psychology. New
York: Holt, Rinehart and Winston.
Eco,
U. (1977). Das Offene Kunstwerk. Frankfurt, Suhrkamp.
Fensterbursch,
C. (1996) Vitruvii de architectura libri decem. / Vitruv. Zehn Bücher
über Architektur. Primus Verlag, Darmstadt (1996).
Fried,
M. (1982). Residential attachment: Sources of residential and community
satisfaction. Journal of Social Issues 38, 107-119.
Goodman,
N. (1984 ). Weisen der Welterzeugung. Frankfurt, Suhrkamp.
Gutman,
R. (1988). Architectural Practice: A critical view. New
York, Princeton Architectural Press.
Handal,
P. J., Barling, P. W., & Morissy, E. (1981). Development of perceived
and preferred measures of physical and social characteristics of the residential
environment and their relationship and satisfaction. Journal of Community
Psychology 9, 118-124.
Low,
S. M. & Altman, I. (1992). Place attachment: A conceptual inquiry.
In I. Altman & S.M. Low (Eds.) Place attachment. New York, Plenum
1-12.
Michels,
M. (2008) Deutschlandradio, Dokumentation und Archive. E-Mail-Auskunft
an den Verfasser vom 24.04.2008.
Novitz,
D. (1999). Interpretation and Justification. In: Margoilis, J.
& Rockmore T. (1999). The philosophy of interpretation. Oxford, Blackwell.
Prohansky,
H. M. (1978) The City and self-identity. Environment And Behaviour
10, 147-169.
Sanders,
A. & Weber. G. (2008) Medienforschung ZDF. E-Mail-Auskunft an den
Verfasser vom 24.04.2008.
Schnier,
J. (2003). Präzisionsarbeit. Ein Plädoyer für die notwendige Radikalität
des wohlbegründeten Urteils. In: Conrad, U., Führ, E. & Gänshirt,
C. (Hrsg.) (2003). Zur Sprache bringen. Eine Kritik der Architekturkritik.
Münster, Waxmann, 223-232.
Seippel,
R.-P. (1989). Architektur und Interpretation. Methoden und Ansätze
der Kunstgeschichte in ihrer Bedeutung für die Architekturinterpretation.
Essen, Die Blaue Eule.
Sontag,
S. (1966) Against Interpretation and Other Essays.
New York, Farrar, Straus & Giroux.
Appendix I:
Sendungen mit Schwerpunkt Architektur, Literatur und Musik
im 1. Quartal 2008 im Senderverbund der ZDF (Sanders & Weber, 2008)
Sender |
Architektur
|
Literatur |
Musik |
|
Alle
Sendungen |
Erst-sendungen |
Alle
Sendungen |
Erst-sendungen |
Alle
Sendungen |
Erst-sendungen |
3sat |
8 |
4 |
53 |
32 |
143 |
68 |
arte |
12 |
5 |
3 |
0 |
10 |
2 |
KIKA |
0 |
0 |
0 |
0 |
106 |
12 |
Phoenix |
5 |
0 |
0 |
0 |
2 |
1 |
ZDF |
1 |
0 |
4 |
2 |
12 |
9 |
ZDF
dokukanal |
0 |
0 |
49 |
1 |
60 |
1 |
ZDF
infokanal |
40 |
2 |
64 |
6 |
18 |
0 |
ZDF
Theaterkanal |
0 |
0 |
70 |
1 |
576 |
11 |
Gesamtanzahl |
66 |
11 |
243 |
42 |
927 |
104 |
Appendix II:
Erstsendungen mit Schwerpunkt Architektur
im 1. Quartal 2008 im Senderverbund der ZDF (Sanders & Weber, 2008)
Sender |
Sendung |
Wochentag |
Datum |
Sendezeit |
Dauer |
ZDF
Info |
Die verlorenen
Schätze der Museumsinsel
Jahrhundertprojekt Museumsinsel |
Samstag |
01.01.2008 |
15:45 |
44'24" |
3
Sat |
Gärten für 1001
Nacht – Ein deutscher Landschaftsarchitekt verzaubert Saudi-Arabien.
Unverschleiert. Die Arabische Halbinsel |
Montag |
07.01.2008 |
1:30 |
28'27" |
3
Sat |
Grünes für die
Wüste – Ein deutscher Landschaftsarchitekt verzaubert Saudi-Arabien.
Unverschleiert. Die Arabische Halbinsel |
Montag |
07.01.2008 |
1:59 |
28'15" |
ZDF
Info |
Planen & Bauen
Neue Ideen, Neue Kunst |
Samstag |
16.02.2008 |
8:31 |
14'00" |
3
Sat |
Albert Brunner
hebt ab
Vom Wahnsinn in Indien einen Flughafen zu bauen |
Samstag |
15.03.2008 |
18:30 |
25'33" |
3
Sat |
Gustav Peichl –
Sinnliche Architektur
Portrait |
Sonntag |
16.03.2008 |
18:30 |
28'29" |
Arte |
Zisternen – Istanbuls
versunkene Paläste |
Dienstag |
15.02.2008 |
19.01 |
42'21" |
Arte |
Moderne Luftschlösser
Flughafen Kansai, Japan |
Sonntag |
10.02.2008 |
20:14 |
25'43" |
Arte |
Moderne Luftschlösser
Flughafen Denver, USA |
Sonntag |
17.02.2008 |
20:15 |
25'39" |
Arte |
Moderne Luftschlösser
Flughafen Shanghai Pudong, China |
Sonntag |
24.02.2008 |
20:15 |
25'40" |
Arte |
Moderne Luftschlösser
Flughafen Madrid-Barajas, Spanien |
Sonntag |
02.03.2008 |
20:15 |
25'36" |
Appendix III:
Sendungen im Deutschlandradio
mit dem Schwerpunkt Architektur im 1. Quartal 2008 (Michels, 2008)
Sendung |
Datum |
Dauer |
Buchkritik: „Die
Zisterzienser und ihre Klöster" |
02.01.2008 |
6'03" |
Die wichtigsten
Baustellen der Architekturdebatte 2008 |
04.01.2008 |
5'51" |
Freistil: Der Keller
– Eine unterirdische Begehung |
06.01.2008 |
54'01" |
Interview mit Benedikt
Schulz über die Lage der Architekten |
16.01.2008 |
5'22" |
Studiozeit: Aus
Kultur- und Sozialwissenschaften |
17.01.2008 |
49'30" |
Profil: Museum
der Woche – Fagus-Gropius-Museum Alfeld |
25.01.2008 |
5'51" |
Studiozeit: Aus
Kultur- und Sozialwissenschaften |
31.01.2008 |
49'30" |
Geschundene Schönheit
- Das Ende von Bella Italia |
06.02.2008 |
23'12" |
Zwischentöne: Meinhard
von Gerkan – Teil 1 |
07.02.2008 |
31'24" |
Zwischentöne: Meinhard
von Gerkan – Teil 2 |
07.02.2008 |
56'30" |
Eine unendliche
Geschichte - das Marx-Relief der Leipziger |
08.02.2008 |
3'56" |
Corso-Gespräch
mit Stephan Wackwitz, Goethe-Institut New York |
12.02.2008 |
8'11" |
Berliner Schlossdebatte
I – Lässt sich Pandoras Büchse nochmal ... |
21.03.2008 |
8'42" |
Berliner Schlossdebatte
II Fassadenarchitektur? |
22.03.2008 |
4'29" |
Berliner Schlossdebatte
III – Warum nicht modern? |
23.03.2008 |
4'09" |
Berliner Stadtschloss
IV – Was wären die Alternativen? |
24.03.2008 |
4'41" |
Zeiten-Wende III |
24.03.2008 |
23'23" |
|