ARCHITEKTUR DENKEN
40 Jahre kritische Architekturtheorie – 40 Jahre Igma

13. Jg., Heft 2, März 2009

 

___Boris Podrecca
Stuttgart / Wien
  Theorie lateral
Thesenfreie Marginalien und Widersprüche

 

    Haltung
 
Haus Himmer
Maria Enzersdorf, Österreich
1997-2002
Fotos: Miran Kambič

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Haus Himmer (1)

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Haus Himmer (2)

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Haus Himmer (3)
 

Zentrale Baukonzern Primorje
Ajdovščina, Slowenien
2006-2008
Fotos: Miran Kambič


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Primorje (1)

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Primorje (2)

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Primorje (4)


Vienna Bio Center 2
Wien, Österreich,2001-2003
Foto: Gerald Zugmann

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Vienna Bio Center 2



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Piazza Unità
Triest, Italien
1999


Hotel und Konferenzzentrum Mons
Ljubljana, Slowenien
2000-2004
Fotos: Miran Kambič

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Hotel Mons (1)

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Hotel Mons (2)

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Hotel Mons (3)

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Hotel Mons (4)


Palazzo Uffici, Geschäfte und Büros
Conegliano, Italien
2004-2008
Fotos: Marco Zanta

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Conegliano (1)

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Conegliano (3)

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Conegliano (4)


Copyright für sämtliches grafisches Material:
atelier podrecca vienna



 

  Um heutzutage die Bedeutung und Rezeption einer theoretischen Position zu orten, ist es notwendig, ihr gegenwärtiges Setting zu skizzieren. Architektur wird immer mehr zu einem Diskurs, bei dem unter dem Druck der Globalisierung, der Medien und des Konsumdiktats sämtliche Themen wie Film, TV, Werbung, Events, Design, Labels, Politik als smarte Korrelate miteinander ringen.
Der tradierte Begriff der Architektur als Baukunst mit klassischer Tiefe wird in zyklischen Abständen zurückgefordert, greift jedoch nur kurz und nicht richtig. Vielmehr wird unter dem genannten Druck die Analyse der Stilkultur auf sämtliche Massenphänomene, einschließlich der Architektur, ausgedehnt und lässt diese nicht mehr autonom agieren. Deren Silentium verlangt zunehmend nach einem Parlante: Architektur kann heute kaum mehr eine kritische Position einnehmen.

Das digitale Zeitalter hat einen Paradigmenwechsel zwischen Bild und Objekt verursacht. Der Architekturpraxis wurde die Verantwortung gegenüber dem Sozialisierungsprozess der Gesellschaft entrissen und ihre kulturelle Mission dadurch in Frage gestellt. Gerade diese Problematik aber, nämlich Kultur und Bauen in Bezug auf Ethik, Erkenntnistheorie, auf Gesellschaft und Politik hat von Aristoteles bis Kant, von Kirkegaard bis Adorno sämtliche Philosophen beschäftigt. Und es tauchen vertraute Fragen auf, nach Status und Autonomie sowohl von Kunst als auch von Architektur, nach deren Wahrheitsgehalt und aktuell vor allem nach deren gesellschaftlicher Rolle. Nach wie vor liegt aber das gebündelte Licht von Interpretation (der Hermeneutik) und Wertung (des kritischen Normativen) auf dem Werk und die beste Deutung von Architektur findet sich in der Architektur selbst. Theorie als benachbartes Bezugssystem kann mimetisch oder orientierend agieren und sich durch Reflexion entwickeln, wobei auch kritische Reflexion nicht ohne Widerspiegelung auskommt, wie drastisch die Verfremdung des Objekts auch sein mag. Sie ist ein Wieder-Denken aufgrund der übergestülpten Re-Produktion. Der Kritiker, der Denker, der Analytiker oder Ikonograph, sie alle praktizieren ihre mannigfachen Freiheiten als Antwort auf das Werk – Antwort immer nur über den Gegenstand der Betrachtung. Die Bedeutung des resultierenden Textes erschöpft sich in einer Nachzeichnung, wie diese sowohl in Freuds Verfolgung der Spuren des Unbewussten wie auch im Bild des Physikers beim momentanen Durchgang durch die Nebelkammer anklingt. Daraus folgt, dass der echte Erzähler auch ein Selbstleser ist, ein Selbstunterwanderer von besonderer Unverfrorenheit und Schärfe. Er erprobt seine Intuitionen, sein Bedürfnis, die Regeln neu zu schreiben. Bezeichnend für das vorherrschende pluralistische Klima ist auch, dass die persönliche Art der Begegnung mit Architektur, Kunst, Literatur und Musik weitgehend unartikuliert bleibt. Die gängige kritische Theorie findet in ihren Untersuchungen bedeutungserfüllter Form so gut wie nichts über die Tatsachen unserer Erfahrung mit dem Beschriebenen. Was passiert zwischen dem Leben des Textes oder Bauwerks und unserem eigenen? Selbst das, was die Rezeptionstheorie ausspricht, bleibt vornehmlich formal in seinem Überblick über verschiedene Stufen ästhetischer Interpretation. Die Eloquenz entbrannter Reaktionen und Vereinnahmungen durch die Betrachtung der Moderne, durch Gideon, Pevsner, Banham oder Zevi, hat, was das Persönliche betrifft, zugegebenermaßen einen zweifelhaften Geschmack hinterlassen. Wer zu erzählen versucht, was in ihm vorgeht, riskiert sich der ganzen Skala von Wirrnis und Peinlichkeit auszusetzen. Nichtsdestotrotz würde ein aktuelles Engagement für introspektive Klarheit und urteilssichere Offenheit höchsten Grades der theoretischen Szene gut tun. Strukturalistische Semiotik und Dekonstruktion sind Ausdrucksformen einer Kultur und einer Gesellschaft, in der man sich cool gibt und bloß aseptisch hinterfragt.


Metasprache

Theorie macht grundsätzlich Erlebnisprozesse für den Rezipienten erweiterbar. Man könnte behaupten, dass der theoretisierende Philosoph ein Rahmenerzähler ist, der extra-diegetisch als Erzähler außerhalb der Geschichte, die er beschreibt, steht und an der er auch als Adressat teilnimmt. Auto-diegetisch ist der Architekt, der sich als Autor in der Hauptgeschichte befindet, dessen Hauptprotagonist er ebenfalls selbst ist. Diese Feststellung lehnt sich an die Definition von Jerome Hawthorn bezüglich der Differenzierung einer kritischen Haltung.
Der Erzähler, in unserem Fall der Theoretiker, bedient sich einer Metasprache, einer Sprache, die über der Sprache steht. Platon und Aristoteles haben diese mimetische Handlung als ein Nachahmen, Hinweisen und Andeuten bezeichnet, im Sinne einer Erzählung als Transkription der Praxis, deren Ausprägung sowohl in ihrer Verdichtung als auch in ihrer Entschlackung, unter dem Präjudiz der jeweiligen Gegenwart steht. Wenn man Theorie wie in diesem Fall als Mimesis fasst, bedeutet dies, dass Theorie gewissermaßen auch Illusion ist. Es geht also um die Erzählung außerhalb eines Erzählers, der ebenfalls in der Erzählung tätig ist. Der Theoretiker spricht aber von Dingen, von denen weder der Entwerfer noch dessen Rezipienten etwas wissen. Es liegt auf der Hand, dass Verwirrungen entstehen können, wenn dieser Metasprache kein Rahmen gesetzt wird. Der Erzähler handelt dann hypo-diegetisch, mit einem zumeist nur diskursiven und vielschichtigen Kommentar, in dem sich äußerst duftige Kategorien, die sich auch ausschließen können, vermischen. Lyotard äußerte bereits seine Skepsis gegenüber den Metaerzählungen, womit er das Über und nicht das Innerhalb der Erzählung als bloßen Diskurs über den Diskurs gemeint hat. Wir leben, mahnt uns George Steiner, in einer Zeit des Kommentars, der wichtiger wird als Originaltext oder -bild. Das interpretative Fieber ahnend hat z. B. Josef Plečnik in seiner angeborenen Angstpsychose, dem bei Dvořák ausgebildeten France Stelé und obwohl dieser ihn lebenslang begleitet und verehrt hat, jegliche Interpretation über sein Werk verboten. In seinen Biographien finden wir lediglich fremde Texte, die in einem gewissen Bezug zu seinem Werk stehen. Texte, die von Aristoteles bis zu Thomas von Aquin reichen und die er, Plečnik, als Distanzhalter seinem Werk gegenüber aufgestellt haben wollte. Auch Freud spürte – das verdeutlicht schon ein kurzer Blick auf sein Werk – die unüberwindbare Kluft zwischen Interpretation und Basiswerk. In seiner analytischen Theorie finden wir die Auslöschung eines linearen Wirklichkeitsprozesses und die Entkoppelung ihrer referentiellen Repräsentation.

Unabhängig aber davon, ob die Hypothese des Theorieschreibers sich nicht gegenüber der Realität bewahrheiten wird, ist seine Beschreibung trotzdem eine Stimulanz für die Imagination und Orientierung, ja sogar Sinnbildung für den Rezipienten. Die daraus resultierende Navigation zwischen Hypothese und Wirklichkeit ist nicht nur für den Architekten, sondern auch für den Beschreiber, Theoretiker oder Philosophen ein immer wiederkehrendes und spannendes Dilemma in der Adjustierung und Festlegung von vermeintlichen Tatsachen. Und damit zusammenhängend gibt es auch Beispiele einer ethischen Nicht-Wahrheit in der Architektur, die als Ausgangspunkt einer falschen These trotzdem zu einer legitimen Identität und Tradition führen kann. In Wahrheit braucht der Architekt die über das Werk gestülpte Theorie nicht, obwohl er ebenfalls offenherzig bekennt, dass er ungern auf den Glanz der Beschreibung verzichten möchte.

Der Architekt ist meistens not amused, wenn der Erzähler und Beschreiber in den referentiellen Passagen allzu deutliche Zeichen seiner Identität offenbart. Oder wenn Symptome für hypertrophe Selbsteinschätzung des Theoretikers überwiegen, wie uns Hans Belting vermittelt hat. Undeutlich erscheint oft auch die Differenzierung zwischen der Texten oder Essays, die sich als Fall entpuppen – der, um es mit Wittgenstein zu sagen, lediglich einen Vorfall darstellt – und Inhalten, deren Sprecher man nicht ganz trauen kann und die ihn als Geschichtenerzähler enttarnen. Und noch dazu, wo die Ingredienzien so plakativ, so leicht fassbar und unmittelbar gebraucht werden. Der Zeitgeist verlangt immer wieder nach einem Gehry, einer Hadid, einem Rossi oder nach dem am leichtesten und für den Beschreiber so kulinarisch darstellbaren Eisenman. Selten oder nie kommt es zum Beispiel zu einer echten, tiefgreifenden Auseinandersetzung mit Jørn Utzon, dem letzten wirklichen Klassiker der Moderne; einem Architekten, der Raum, Licht, Schatten, Struktur, Textur, das Epische und das Lyrische der Form, das Symbol und seine soziale Verantwortung bis zur Vollendung beherrscht hat. Und da gäbe es viele andere, außerhalb der Mode stehende Persönlichkeiten, die sich nicht lediglich der Linguistik und Ikonographie ergeben haben. Hier versagt die Beschreibung des Theorieherstellers, weil sie den Tiefgang einer elementaren, auf Dauer gezielten Position mit trendigen Urteilsparametern nicht fassen kann.
Was ist also Theorie, wenn nicht eine Nachahmung, ganz im Sinne von Aristoteles, der sie als prägendes Charakteristikum seiner Poetik als die nachahmende Darstellung einer Handlung bezeichnet hat?
Motivation, sagt Aristoteles, finden wir im allgemeinen menschlichen Bedürfnis nach Nachahmung begründet. Dem haben sich die späteren Realos, von den Positivisten ausgehend bis zu Bertolt Brecht entgegengestemmt und sich für das in sich gemachte Werk ohne paradigmatische Echos eingesetzt. Theorie bleibt so oder so Nachdichtung, wie es auch Auerbach aus seiner abendländischen Sicht sah, eine verklärende, aber nie primäre Handlung. Sie systematisiert heute die liquide Wirklichkeit sowohl in ihrem  aufbauenden Impetus als auch im Fall des Ludischen, des Spiels.

Wäre es dann wirklich sinnvoll, im Zeitalter virtueller Realität und digitaler Simulation mehr Mut zu einer neuen Feineinstellung der Theorie einzufordern und mehr Risiko zur Straffung des postmodernen Selbstdesigns und der Konsumästhetik? Sollte man jetzt den Rettungsanker werfen in Form eines generellen Regelwerks von konsensueller Klarheit, wie sie Dvořák mit seinem elementaren Katechismus der Denkmalpflege aufgestellt hatte, um Bodenhaftung zu üben? Würde dies nicht in weiterer Folge zu einem bereits inventarisierten Universalismus und Enzyklopädismus führen, dessen Ornament sich rasch als allzu labiles Konstrukt gegenüber dem polyphonen Nervensystem der Zeit entlarven ließe? Noch nie standen Konsonanzen und Dissonanzen mit ihren unterschiedlichsten Stakkatos so autonom nebeneinander wie heute. Die Stadt ist zu einem Konglomerat von Sprachübungen geworden. Ihre Icons sind miteinander kombinierbar, wie die Instrumente bei einer Jam Session, deren Mitglieder ohne Dirigent oder Partitur, jeder für sich und doch miteinander improvisieren. Eine derart komplexe Harmonie lässt keinen Konflikt zwischen individueller Freiheit und dem Wohl des Ganzen aufkommen. Allein das Zusammenspiel ist von Sinn erfüllt. Wobei hier, wie in der Architektur, der ästhetische Anspruch auf Transgression und Differenz basiert. Ein so vielschichtiges Feld lässt die Überlebensstrategien einer institutionellen Theorie mit ihrem universellen Ordnungsanspruch fragwürdig erscheinen. Die Konsequenz wäre trotzdem eine bloße Beschreibung der Unterschiede und Thesen von nebeneinander gereihten Positionen des neuen Stilpluralismus, ein Abdriften in eine unpraktische Ästhetik.

Der reflexive Theoretiker muss heute mehr denn je im Rahmen eines dichotomischen Verfahrens handeln. Einerseits muss er Theorie von Dogmen und Instabilitäten befreien und auf das Rationale und Sozialverträgliche der Architektur, einer lediglich angewandten Kunst, aufmerksam machen. Andererseits muss er in der Unendlichkeit heutiger Interpretationsräume in die Poren und Falten ihrer Praxis hineinfassen, um im vermeintlich Evidenten das Abstrakte, das der Wirklichkeit Abgezogene herüberzuretten. Das theoretische Kommunikationssystem kann nicht nur zum Guten hin oszillieren, ohne auch die Opazität als eine zu wertende Kategorie auf die Waagschale zu legen, trotz erkenntnistheoretischem Überbau und angewandter Aufklärung.

Vor allem aber darf sich Architekturtheorie nicht allzu ernst nehmen oder gar zu einer   Selbstzweckwissenschaft mutieren. Denken wir nur an die verbrannte Erde, die Tafuri und seine Jünger in Venedig durch die Exkommunikation des Metiers der Architektur hinterlassen haben. Ein paraphilosophisches Netz, bestehend unter anderem aus neumarxistisch getragener Euphorie eines missverstandenen Vienna rossa bis hin zum pensiero negativo Nietzsches, hat das Schamgefühl des elementaren Bauens derart gesteigert, dass es der arme Carlo Scarpa mühsam lediglich bis zum Zeichenprofessor schaffte... Die Auswirkung spürt man an dieser italienischen Durchlaufanstalt noch heute.
Eine intelligente Theorie inmitten der grenzenlosen Diskontinuität der Zeit muss sich ihrer Grenzen bewusst werden und ihr Parfum unterdrücken. Gute Architektur ist immer manifestimmun, trotz des legitimen Bedürfnisses nach Theorie. Im Wesentlichen verhalten sich Architektur und Architekturtheorie zur Message des Bauwerks ineinandergreifend in einem Sinusoid, von oben nach unten und vice versa, verschiedenen Gegenwärtigkeiten und wechselnden Interpretationsprämissen entsprechend, offensiv und defensiv.


Persönliches

Da der Architekt verurteilt ist zu bauen, kann er lediglich ein relatives Verhältnis gegenüber der Kontaminierung durch Theorie aufbauen. Er kann den Schwarzen Peter, der ihm von der Theorie gereicht wird, nicht in die weißen Handschuhe des Beschreibers zurücklegen. Daher muss sich sein Tun der Theorie gegenüber lateral, aber in Reichweite verhalten. Es ist wie das Verhältnis zur Mätresse, das optional auftritt, sonst würde es zu allzu Geregeltem führen und nicht mehr schmecken.
In meinem Fall war der Einzug in die Szene Wiens ein Dornenweg von der mediterranen Formlust, vom offenen Horizont ins Freudsche Labyrinth.

Es war Herbert Silberer, ein ehemaliger junger Sportler und Chronist der Jahrhundertwende in Wien, dem ich in den Ecrits von Lacans begegnet bin und den ich für meine sequentielle Abkühlung verantwortlich mache. Dieser spätere Philosoph und Psychoanalytiker leitete über seine Thesen in seiner Schrift Über die Symbolbildung (vergessen wir nicht, dass die Schrift von Josef Frank auch Architektur als Symbol heißt) eine brauchbare Annäherung zur Praxis her. Silberer reagiert nicht auf das Phänomen der Bewusstheitszustände von Gedankeninhalten, die dann in Symbole umgesetzt werden. Man solle sich nicht mit dem Gedachten, sondern vielmehr mit dem auch im Moment erlebten Bewusstseinsvorgang beschäftigen, um der Freudschen Symbolflickerei zu entgehen. Silberer orientiert sich nicht am manifesten Bild, sondern an der latenten Bedeutung, nicht an der Quelle, sondern am Wesen des Symbolisierten. Diese Schichtung der materialen, funktionalen und somatischen Phänomene durch Silberer hat Lacan als den Sukkus seiner Thesen, als das Drängen der Buchstaben im Unbewussten charakterisiert. Und gerade dieser Buchstabe, alias ein Stein, ein Ziegel, etwas Fassbares, leitete aus der Wiener Unbewusstheit und verdrehten Metaphysik eine Verifikationsproblematik im Sinne einer Reinigung durch das Beweisbare ein.
Es liegt auf der Hand, dass man flankiert von der konzeptuellen Sprachreinigung der Wiener Gruppe durch Kraussche Skepsis und Friedellsche Ironie in die Fußstapfen der Wiener Antimetaphysik treten musste. Allerdings ging diese Reinigung nicht so weit, wie sie Wittgenstein in seinem Traktat formuliert hatte. Dort stellte er die Behauptung auf, dass streng genommen alle philosophischen Aussagen sinnlos seien und höchstens die Tätigkeit des Philosophierens sinnvoll sei. Im Übrigen, so Wittgenstein, sei alles ohnehin durch die Wissenschaft erklärbar. Für eine kleine Gruppe von emerging architects hatte dies zur Folge, dass diese strenge Grundhaltung des wissenschaftlichen Forschens auch als Grundhaltung des Architektur-Theoretischen erstrebt wurde. Eine solchermaßen radikale Säuberung war für mich, der von woanders kam, freilich zu extrem, denn sonst hätte man, so fand ich, die gesamte Renaissance- und Barockarchitektur, die aus dem päpstlich-katholischen Macht- und Darstellungswahn resultierte, abschaffen können.
Auf die Bühne trat also nicht der Dandy Wittgenstein aus begütertem Hause, sondern Rudolf Carnap. Dieser propagierte die Philosophie als wissenschaftlich orientierte Disziplin und sprach ihr allein eine existentielle Berechtigung zu. Jegliche metaphysische Haltung bezeichnete er als Begriffsdichtung. Das Toleranzprinzip seiner Lehre basiert auf dem Freiraum, der individuell zu besetzen ist, vorausgesetzt, dass syntaktische Bestimmungen und nicht philosophische Erörterungen das Basisdenken bestimmen.
Insgesamt war das Wiener Manifest mit Moritz Schlick, Otto Neurath, Rudolf Carnap, Ernst Mach eine freie Bewegung, eine eher akademische, universitäre Angelegenheit. Der logische Empirismus, auf dem eine wissenschaftliche Weltauffassung beruhte, hatte, und das war für uns damals maßgebend, eine grundlegende Umgestaltung der Gesellschaft zum Ziel. Für einen Architekten war diese, wie sie Carnap nannte, eine Reinigung der Erkenntnistheorie von Scheinproblemen, deren Sachhaltigkeit in unmittelbarer Nähe zur Praxis, zu unserer Praxis, zum strukturierten und räumlichen Handeln greifbar wurde, unabhängig von einer Bewertung des philosophischen Ansatzes. Durch diesen Schub einer Art praktischer Ästhetik entdeckten wir auch eine Parallelität – gleich, ob sie wissenschaftlich begründbar gewesen wäre oder nicht – zum rational kompositorischen Prozess von Adolf Loos und seinem Raumplan, zur klaren und hierarchischen Schichtung von Raumkategorien. Es entstand daraus ein Affekt, der auf die Verifikation von Lebensqualität ohne eine besonders ornamentale Gesinnung hinzielte. Da wir von Internationalisten lediglich architektonisch, nicht aber archikulturell erzogen worden waren, war Loos ein brauchbares Vehikel. Dass in der Folge das Weiße der Positivisten mit dem Semperschen polychromen Stoffwechsel verunreinigt wurde, wäre die Fortsetzung dieser Geschichte...



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