Abbildung
2:
Peter Eisenman, Greater Columbus Convention Center, Columbus, Ohio, 1990-1993,
Innenaufnahme, Hauptgang Richtung Norden,
Foto: Jeff Goldberg (Eisenman Architects) |
|
Das Convention
Center, das in enger Zusammenarbeit mit Dan Graveline, dem Direktor des
Georgia World Congress Center in Atlanta sowie dem lokalen Architekten
Richard Trott geplant wurde, wurde sehr zügig realisiert. Es übertrumpfte
in seiner Wirkung daher das erste Großprojekt von Frank Gehry, die zur selben
Zeit geplante, aber erst 2003 nach endlosen Hin und Her eröffnete Disney
Hall in Los Angeles. Es markierte den endgültigen Durchbruch Eisenmans als
internationaler Stararchitekt und öffnete ein neues Kapitel in seinem Werk.
Stärker als bei seinen früheren Projekten, die einer autonomen, formalistischen
Logik gehorchen, hat Eisenman für das Convention Center äußere Anlässe berücksichtigt.
Die Form ist nicht aus einem strukturellen Konzept heraus generiert, beziehungsweise
aus einer Lektüre der Architekturgeschichte als Zeichensystem, sondern sie
ist in erster Linie eine Reaktion auf die konkrete, gebaute Umgebung. Das
Zentrum reagiert auf den Fluss der Autobahn einerseits, die Richtung der
Eisenbahnlinie andererseits. Das große Volumen von Konferenzsälen und Messeflächen
wird nicht als starre Box gestaltet, sondern als Vehikel, das in Bewegung
zu sein scheint. Es ist ein Bündel von gekurvten Linien, in denen das Tempo
und die Dimensionen urbaner Infrastrukturen spürbar bleiben. Obwohl sie
nichts direkt abbilden, so evozieren die Formen doch das Spektakel der Anlieferung
der Waren, deren Fluss und Vertrieb. Sie sind gestaucht, gebogen, verschachtelt,
gefaltet, aufgebrochen, zerschnitten und wieder verschmolzen. Die gegen
die Strasse hin zeigenden Fronten – wenn dieser Begriff überhaupt noch trägt
- sind in eine Reihe von kleineren, blinden Fassaden aufgebrochen, die auf
die kleinteiligen Fassaden der Geschäfte und Lagerhäuser der gegenüberliegenden
Straßenseiten reagieren. Die Strukturierung ist durch unterschiedliche Farben,
rosa, blau, gelb, zusätzlich unterstrichen.
Die ikonische Wirkung des Convention Centers ist vor allem den Aufnahmen
aus der Vogelperspektive zu verdanken. Sie zeigen die „fünfte Fassade“[2],
die eigentliche Hauptansicht, eine in verschiedenen Farben gehaltene Dachlandschaft,
die sich vom fragmentarischen Grund der Umgebung als Figur abhebt. Ihr verdankt
das Projekt auch seine Stellung in der Geschichte innerhalb einer Entwicklungslinie,
die gelegentlich als „topologische Architektur“ bezeichnet wird. Dieser
Begriff wird unter anderem von Greg Lynn verwendet, lange Zeit ein enger
Mitarbeiter Eisenmans. Lynns eigene, nicht realisierte Projekte, etwa der
Stranded Sears Tower (1993) oder das Embryologic House (1997)
stützen sich auf die Geometrie des Convention Center. Laut Lynn führt eine
kontinuierliche Entwicklungslinie von der dekonstruktivistischen Architektur
der 1970er und 1980er Jahre hin zu den Faltungen und Kurven dessen, was
er als topologische Architektur bezeichnet. In den 1970er Jahren ging es
laut Lynn um die Darstellung von Diskontinuität, Fragmentierung und Heterogenität.
Zu diesem Zweck hatten Architekten wie Eisenman, Gehry, Daniel Libeskind
und Rem Koolhaas ein Formenvokabular der Inkongruenz und Gegensätzlichkeit
geschaffen. In den frühen 1990er Jahren hingegen, so Lynn, verwandelte sich
diese Komplexität in eine glattere, nahtlosere Formensprache, ohne dass
es dabei um die Darstellung von Einheitlichkeit ging. Für Lynn ist diese
Einheitlichkeit Ziel von, wie er sie nennt, reaktionären und neoklassischen
Ansätzen. Im Unterschied zu diesen verbrämt die topologische Architektur
die Widersprüche nicht, sondern artikuliert sie:
„Smoothing
does not eradicate differences but incorporates free intensities through
fluid tactics of mixing and blending. Smooth mixtures are not homogeneous
and therefore cannot be reduced. (...) For the first time perhaps, complexity
might be aligned with neither unity nor contradiction but with smooth,
pliant mixture.“[3]
Für Lynn scheint Eisenmans
Convention Center, wo sich die Linien der Verkehrsflüsse mit der orthogonalen
Struktur der Säle überlagern, in der Umgebung zu verschwinden und gleichsam
in ihrem Kontext einzutauchen. Auch formal befindet es sich in der Nähe
dessen, was für viele Protagonisten der topologischen Architektur eine
wichtiger Anknüpfungspunkt ist, nämlich René Thoms so genannten Katastrophendiagrammen.
Es handelt sich um Geometrien, welche extrem verformbar sind und sich
den Gegebenheiten elastisch anpassen. In Lynns Worten:
“These
geometries bend and stabilize with viscosity under pressure. Where one
would expect that an architect looking at catastrophes would be interested
in conflicts, ironically, architects are finding new forms of dynamic
stability in these diagrams.“[4]
Ökonomischer Druck
Die Biegsamkeit, die schmiegsame Anpassungsfähigkeit dieser Geometrien
interessiert mich aus heutiger Perspektive weniger unter dem Aspekt der
Chaostheorie, sondern unter dem Aspekt der Globalisierung. Dieser Begriff
war Anfang der 1990er Jahren noch nicht geläufig, und der damals verwendete
Begriff „Spätkapitalismus“ meint nicht dasselbe. Gerade deshalb interessiert
es mich, im Rückblick zu fragen, wie die Architektur damals auf neuartige
ökonomische und soziale Kräfte reagierte, wie sie die Ströme von Kapital,
Waren und Informationen, die Migration von Arbeitern, und die fortwährende
Umwälzung von ökonomischen und politischen Institutionen räumlich artikulierte,
ohne dass es dafür theoretische Begriffe gegeben hätte. Wie hängen damalige
Begriffe der Architekturtheorie wie der „Topologie“ – und ich greife hier
diejenigen von Eisenman und Lynn auf, wohl wissend, dass es sich dabei
stets auch um ein rhetorisches Programm in eigener Sache handelt –, mit
dem zusammen, was erst Ende der 1990er Jahre den Namen Globalisierung
erhielt. Mich interessiert, wie ihre Räumlichkeit zusammenhängt mit der
Veränderung der Produktionsbedingungen – und zwar nicht des Computer Aided
Design und computergesteuerten Werkzeugen, dank denen es Mitte der 1990er
Jahre möglich wurde, tatsächlich nahezu nahtlose Oberflächen zu produzieren,
zuerst in Gehrys Guggenheim Museum in Bilbao. Es geht mir darum zu fragen,
ob uns die Theorie helfen kann, im Rückblick die historischen Veränderungen
klarer zu sehen. Sind die Begriffe tragfähig, beziehungsweise elastisch
genug? Anders gesagt: Kann die Theorie die Geschichtsschreibung prägen?
Bietet die Theorie der Architektur Begriffe, um jene Veränderung der Räumlichkeiten
zu beschreiben, die unser alltägliches Leben prägen und die untrennbar
mit der Globalisierung verwoben sind? Ich meine damit ganz besonders Standardisierung
des internationalen Frachtverkehrs durch Container und Computer ab den
späten 1960er Jahren, eine logistische Innovation, welche die Transportkosten
vernachlässigbar machte und internationalen Firmen ermöglichte, die Produktion
von Konsumgütern in Länder mit billiger Arbeitskraft zu verlagern.[5]
Die meisten Theoretiker setzen der Beginn der Globalisierung in die Zeit
der frühen 1970er Jahre an. Folgt man beispielsweise Luc Boltanski und
Eve Chiapellos Buch Der neue Geist des Kapitalismus dann stand
der Kapitalismus seit damals „in voller Blüte“. Sie zeigen, dass sich
dem Kapital in diesem Zeitabschnitt Investitionsmöglichkeiten mit besonders
hohen Profitraten boten, dass den Finanzdienstleitern eine nie da gewesene
Handlungsfreiheit zugestanden wurde, dass die multinationalen Unternehmen
expandierten, die Regulierung durch die Staaten zurückging und die Arbeit
flexibilisiert wurde.“[6]
Ein Anlass der Untersuchung von Boltanski und Chiapello ist ihre Feststellung,
dass die Kritik, die 1968 in ihrem Zenith stand, „Ende der 70er Jahre
plötzlich von der Bildfläche verschwand und einem Kapitalismus, der sich
neu formierte, fast zwei Jahrzehnte lang das Feld überlassen [...] hat.“[7]
In der Welt der Architektur gibt es eine vergleichbare Entwicklung. Während
der wirtschaftlichen Rezession der 1970er Jahre musste die avancierte
Architektur in den USA das Feld den Developern vom Schlage eines John
Portman oder Donald Trump überlassen, welche über die Mittel verfügten,
von den der Desindustrialisierung zu profitieren und im großen Maßstab
Neubauten zu entwickeln. Protagonisten wie Eisenman, Gehry und Koolhaas
zogen sich auf das Feld der Theorie zurück. Nachdem sie im Sog der Globalisierung
in den 1990er Jahren als Stararchitekten neu geboren wurden, führten sie
ihr theoretisches Engagement weiter – am effektvollsten Rem Koolhaas,
der 1995 sein Büro O.M.A. um einen Thinktank mit dem Titel A.M.O. erweiterte
– und verdrängten dabei die autonome Architekturkritik vollends. Seither
haben Statements von Stararchitekten Diskurs weitgehend absorbiert. Synthetische
Theorien im Sinne eines Manfredo Tafuri oder Rayner Banham sind der Beschäftigung
mit einzelnen Gegenständen gewichen, zwischen denen keine Verbindung besteht.
Die wirtschaftliche Entwicklung, die corporate architecture und
die Starachitektur sind, wie es scheint, nur noch separat verhandelbar.
So untersucht beispielsweise Keller Easterling in ihrem Buch Enduring
Innocence: Global Architecture and its Political Masquerades sehr
präzise die Veränderung der räumlichen Logik seit den 1990er Jahren.[8]
Sie zeigt eindrücklich, dass die dynamischsten Veränderungen in unsichtbaren
Bereichen – Freihandelszonen, Inseln, Containeranlagen, etc. – vor sich
gehen. Sie umreißt die Eigenschaften der globalisierten Räume anhand von
Begriffen wie der Weichheit, der Flachheit, der Elastizität. Aber sie
bringt diese Phänomene nicht in Zusammenhang mit der Stararchitektur.
Der Name Eisenman fällt in ihrem Buch ebenso wenig, wie Eisenman die Dynamik
der globalisierten Wirtschaft erwähnt. Was die topologische Räumlichkeit
formal impliziert – nämlich das Wegfallen der Unterteilungen und das Verweben
der Bereiche, gilt, wie es scheint, für den architektonischen Diskurs
nicht.
Robert Somol gehört zu den wenigen Theoretikern, die Koolhaas und Eisenman
vergleichen. Er interpretierte das diagrammatische Arbeiten von Koolhaas
und Eisenman als generelle Möglichkeit, gesellschaftliche mit rein architektonischen
Anliegen zu verbinden.[9]
Mich interessiert der Vergleich vor allem im Hinblick darauf, wie ihre
Projekte in den 1990er Jahren das Phänomen der Globalisierung artikulieren.
Denn wie für Eisenman stand auch für Koolhaas ein, allerdings nie realisierter,
Großauftrag am der Beginn eines neuen Kapitels seiner Laufbahn. 1995 beauftragte
ihn der Erbe des Seagram-Imperiums, Edgar Bronfman, Jr., ein Konzept für
das Hauptquartier für die Filmstudios und Themenparks von Universal in
Los Angeles, die dieser erworben hatte, zu realisieren. Bronfman hatte
damals den Spirituosenkonzern Seagram mit dem Unterhaltungskonzern Universal
verbunden. Er hatte damit eine jener spektakulären Vereinigungen von riesigen,
traditionsreichen Unternehmen vollzogen, die für die globalisierte Wirtschaft
charakteristisch sind. Im Lauf der Planung veränderte der Konzern fortwährend
sein Gesicht, seine Struktur und seinen Ressourcen. Der Baubeginn wurde
immer wieder aufgeschoben. Im Jahre 2000 wurde Universal, finanziell angeschlagen,
von dem französischen Konsortium Vivendi Universal gekauft, das seinerseits
nach kurzer Zeit zusammenbrach. Seither ist das Projekt, wie es in Koolhaas’
Buch Content lapidar heißt, „on hold, indefinitely“.[10]
Aber gerade dieses Problem der Realisierung war für Koolhaas das erste
Anzeichen für eine grundlegende Veränderung der Architektur:
„Universal
became the first warning of a fundamental change in architecture, a progressive
evaporation of a project’s feasibility simply because the company was
mutating as fast as a virus, at a pace that no architecture could hope
to maintain. There was a conflict between the slowness of architecture
and the volatility of the market.“[11]
Vergleichbar äußerte
sich Eisenman 1993. So betont er, dass für ihn das Projekt von erstrangiger
Bedeutung war:
„I
think that the convention centre will be the monument of today. Every
city is going to have one. It’s the way people are going to meet, the
way business is going to be done and we had better find a way to solve
the problem of monuments and the need for them today. I think it’s very
different from the need in the 19th century or the 15th century for a
monument.“
[12]
In einem Interview machte
er deutlich, dass es zwar darum ging, ein Gebäude mit großem symbolischem
Gehalt zu errichten, aber nicht mit der traditionellen monumentalen Struktur:
„We
didn’t want a single, unified, classically-proportioned building that
would stand apart from its surroundings. [...] Instead we wanted to create
a new kind of monumental building, one which was broken down into parts,
that tried to be like the very fabric of the city, that would integrate
itself with the town but that would also, at the same time, be different.
We tried to devise a new iconography, one which looks to movement and
dynamism rather than to stability and stasis. The Convention Center is
about the idea of an event. It’s something that is in a kind of stop action.
In other words, it’s caught in a moment in time, in its growth, in its
evolution.“[13]
Gerade wegen seiner
inneren Widersprüchlichkeit ist das Kongresszentrum von Eisenman, das
in den letzten Jahren im Schatten der neuen Museen und Konzerthäusern
stand, auch für die aktuelle Diskussion erneut von Belang. Und gerade
weil es innerhalb der globalisierten Wirtschaft einen Ort darstellt, wo
immaterieller Datentransfer und materieller Transport von Waren und Menschen
sich überlagern, ist es ein geeigneter Gegenstand, um die Architektur
der Globalisierung zu untersuchen.
Desorientierung
Die Meinungen anlässlich der Eröffnung des Convention Centers waren gespalten.
Das, was für Eisenman die zentrale Herausforderung war, nämlich den riesigen
Maßstab in ein menschliches Maß zu überführen – „humanizing the scale
of this gigantic building“[14]
–, hielten viele Beobachter für missglückt. Im Inneren sollten laut Eisenman
die Muster von Teppichen sowie unterschiedliche Farben und Wandbemalungen
die Orientierung erleichtern. Einige Kritiker bemängelten, dass die Besucher
im Innern völlig desorientiert seien, dass sie rechts und links, oben
und unten nicht mehr unterscheiden könnten und Ekelgefühle erlebten.
Sie erinnerten
an die Anekdote, dass der Besitzer von Eisenmans House VI ein Bein brach
als er in eine der konzeptuell bedingten Aussparungen stürzte. In einem
unveröffentlichten Vortrag in Zürich kurz nach Eröffnung des Convention
Center betonte Eisenman, wie ich mich erinnern kann, dass es ihm gerade
um diese Desorientierung gegangen sei, um die Aufhebung der räumlichen
Ordnung und Gewohnheiten, um die Destabilisierung der Besucher.
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Abbildung 3:
John Portman, Westin Bonaventure Hotel, Los Angeles, 1977,
Foto: Alexander Georges |
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Die Erfahrung
der Desorientierung ist charakteristisch für jede Art von neuem Raumerlebnis.
So wie die englischen Reisenden im 19. Jahrhundert die Begegnung mit den
Hochalpen als etwas Erhabenes erfuhren, so gehört das Schwindelgefühl zu
den Erfahrungen, welche verschiedene Beobachter angesichts der Phänomene
der Globalisierung machen. Rem Koolhaas erfuhr es angesichts der entfesselten
Kräfte des Kapitalismus in Manhattan.[15]
Jean-Francois Lyotard benutzte es, um die ästhetischen Erfahrungen der Postmoderne
zu beschreiben.[16]
Und Fredric Jameson erfuhr es, als er Ende der 1970er Jahre das Atrium des
Westin Bonaventure Hotels in Los Angeles betrat. Es handelt sich dabei um
eines der ersten Hotels des bereit erwähnten John Portman, einem Architekten,
Developer und Financier aus Atlanta, welcher durch zahlreiche Hotelbauten,
vor allem für die Hyatt Hotels, bekannt wurde. Jamesons Text ist eine der
zentralen Passagen seines Buches Postmodernism, or the Cultural Logic
of Late Capitalism (1991). Das Westin Bonaventure war für ihn ein schlagendes
Beispiel dafür, wie der postmodernistische Raum das Subjekt überforderte:
“I
am more at loss when it comes to conveying the thing itself, the experience
of space you undergo when you step (…) into the lobby or atrium. (…) I
am tempted to say that such space makes it impossible for us to use the
language of volume or volumes any longer, since these are impossible to
seize. Hanging streamers indeed suffuse this empty space in such a way
as to distract systematically and deliberately from whatever form it might
be supposed to have, while a constant busyness gives the feeling that
emptiness is here absolutely packed, that it is an element within which
you yourself are immersed, without any of that distance that formerly
enabled the perception of perspective or volume. You are in this hyperspace
up to your eyes and your body.”[17]
Für Jameson war diese
Immersion charakteristisch für die neue Räumlichkeit. Die Aufzüge empfand
er als emblematisch dafür, dass der Raum nicht mehr flanierend durchschritten
werden konnte, sondern dass die Subjekte sich transportieren liessen.
Er bezeichnete das Erlebnis als „milling confusion“, something like the
vengeance this space takes on those who still seek to walk through it“.[18]
In der Lobby verliere man völlig die Orientierung, es wimmle von Orientierungstafeln
und Pfeilen, die eine ältere, durch Koordinaten strukturierte Räumlichkeit
suggerierten. Der postmoderne Hyperspace hob die menschliche Orientierungsmöglichkeit
auf.”
Ewige Gegenwart
Jamesons Theorie
zur Räumlichkeit findet eine Fortsetzung im Buch Empire von Antonio
Negri und Jamesons Schüler und Kollegen Michael Hardt. Die Autoren entwerfen
darin das Szenario eines Welt umspannenden Reiches, in dem ewige Gegenwart
herrscht. Im Unterschied zum Imperialismus des 19. Jahrhunderts, als einzelne
Nationalstaaten ihre Territorien in Konkurrenz zueinander ausdehnten,
stellen sie das Empire als eine neue Weltordnung dar, welche „die Geschichte
vollständig suspendiert und dadurch die bestehende Lage der Dinge für
die Ewigkeit festschreibt".[19]
Sie sprechen von einer „geglätteten Welt“[20],
sowie davon, dass das Empire den Raum in seiner Totalität vollständig
umfasse und keine territorialen Grenzziehungen kenne. In ihren Worten:
„Das Empire stellt [...] seine Herrschaft nicht als vergängliches Moment
im Verlauf der Geschichte dar, sondern als Regime ohne zeitliche Begrenzung
und in diesem Sinn außerhalb oder am Ende der Geschichte.“ Und: „Aus
der Perspektive des Empire ist alles so, wie es immer sein wird und wie
es immer schon sein sollte.“[21]
Diese Feststellung lässt sich auf strukturelle Eigenheiten der Kunst und
Architektur seit den 1990er Jahren übertragen. So ist beispielsweise der
Loop, also der stetig wiederkehrende Ablauf, charakteristisch für die
Struktur fast alle Videoinstallationen der 1990er Jahre. Und das Möbius-Band
ist ein beliebter Ausgangspunkt des architektonischen Entwurfs, etwa im
Möbius House von UN Studio (Ben van Berkel und Caroline Bos) (1998)[22],
dem Yokohama International Port Terminal
von Foreign Office
Architects (2002) und dem Mercedes-Benz Museum in Stuttgart von UN Studio
(2006).
Eisenmans Interesse für das Möbiusband ist manifest im nicht realisierten
Projekt für das Max Reinhardt Haus in Berlin (1992). Die Frage ist, ob
sich Eisenmans bereits in den 1960er Jahren formulierte Idee, dass die
Geschichte nach dem Holocaust an ihr Ende gekommen sei und architektonischer
Fortschritt im klassisch modernistischen Sinne nicht mehr möglich sei,
ab den 1990er Jahren mit dem ahistorischen Zeitmodell der Globalisierung
überlagert. Gibt es eine Kongruenz zweier Modelle der Verdrängung der
Zeitlichkeit durch den Räumlichkeit, eines, wenn man so will, tragischen
Modells, das sich auf die Geschichte bezieht, und eines zynischen Modells,
das sich auf die ökonomischen Sachzwänge bezieht? Artikulieren Eisenmans
Projekte die Fixiertheit den Dimensionen des Raums, welche die Verbindung
zur Zeit verloren haben. Tatsächlich ziehen sich Begriffe wie das „Winden“
(twisting) und „Verzerren“ (distortion) und „Verweben“ (interweaving)
wie rote Fäden durch Eisenmans Rhetorik.[23]
Ist es eine Architektur, die im Käfig der puren Räumlichkeit gefangen
ist, und die sich, wie ein gefangenes Raubtier, fortwährend hin und herbewegen
muss. Ja, ist es ein Ringen der Architektur mit sich selber? So wie es
Manfredo Tafuri in seinem 1973 erschienenen, 1975 ins Englische übersetzten
Buch Architektur und Utopie beschreibt. Er bezeichnet darin Piranesis
Stiche als "epische Darstellung des Kampfes der Architektur mit
sich selbst in der Phase der frühen Aufklärung, als das Rationale und
das Irrationale sich nicht mehr gegenseitig ausschlossen.“[24]
Innen/Außen
Die Desorientierung
in Zeit und Raum hat Konsequenzen für das Verhältnis von Innen- und Außenraum.
Die Präsenz des Möbius-Bandes sowie die Faltungen der topologischen Architektur,
also die Intention, das Innere nach außen zu stülpen und umgekehrt das
Außen nach innen zu bringen, hängen mit der als diskontinuierlich erfahrenen
Räumlichkeit zusammen. Aber ebenso hängen damit die Auseinandersetzung
mit dem Problem der Fenster und Türen im Werk von Architekten wie beispielsweise
Herzog & de Meuron oder Peter Zumthor zusammen. Auch Jameson war sich
dessen bewusst. Er verglich das Westin Bonaventure Hotel mit dem Centre
Georges Pompidou in Paris oder dem Eaton Center in Toronto, weil es sich
seiner Ansicht nach um in sich geschlossene, „totale“ Räume und „Mikrokosmen“
handelte, ohne Bezug zum Außen. Die Spiegelfassade von Portmans Hotel
empfand er als aggressive Distanzierung, vergleichbar der Sonnenbrille
des Gegenübers. Gemeinsam ist diesen Projekten das Problem, den Ein- und
Ausgang zu finden. Und dies ist, so möchte ich Jameson weiterführen, wiederum
untrennbar mit den ökonomischen Veränderungen im Sog der Globalisierung
verbunden.
Anstatt das Konzept des diskontinuierlichen Raums in abstrakten Kategorien
wie „Migration“ und „Deterritorialisierung“ zu verorten, möchte ich mich
auf einen konkreten Gegenstand beziehen, der eine der Grundelemente der
Globalisierung ist, nämlich den bereits erwähnten Schiffscontainer. Diese
normierten Transportgehäuse, deren Ursprung in den 1930er Jahren liegt,
deren Patent frei gegeben wurde und die sich ab 1970 als Standard im weltweiten
Frachtgeschäft durchsetzen, kennen keine Vermittlung zwischen Innen und
Außen. Sie sind als Objekte reizlos – in Marc Levinsons Worten: „The
standard container has all the romance of a tin can“.[25]
Sie werden auf ihren Reisen zwar von Frachtbriefen begleitet, aber eine
lückenlose Kontrolle des Inhalts ist unmöglich. Selbst Stichproben helfen
nicht weiter, weil es im Innern nichts zu sehen gibt. „Opening the
doors at the end of the box normally reveals only a wall of paperboard
cartons.“[26]
Das Paradebeispiel für eine Architektur der globalisierten Wirtschaft
ist denn auch nicht anderes als eine vergrößerte Version des Containers,
nämlich die blaue IKEA-Box. Ihr Triumphzug verläuft zeitgleich mit dem
Triumph der Container. Die ersten Filialen außerhalb Skandinaviens entstanden
1973 in Spreitenbach, den Toren von Zürich, und seit den 1990er Jahren
verläuft das weltweite Wachstum fast exponentiell. Das Erfolgrezept von
IKEA – erschwingliches, zeitgemäßes, europäisches Design, welches in Billiglohnländern
produziert und von den Konsumenten zu vergleichsweise günstigen Preisen
direkt im Lager abgeholt wird – ist ohne die Standardisierung der Frachtverkehrs
undenkbar. Und die Räumlichkeit der IKEA-Filialen ist unmittelbar daraus
abgeleitet. Es gibt keinerlei Beziehung zwischen dem Innen- und dem Außenraum.
Mit Ausnahme der Restaurants gibt es keine Fenster. Die Eingangsbereiche
sind im Unterschied zu den klassischen Möbelhäusern nüchtern und Platz
sparend entworfen. Und seit den späten 1990er Jahren sind die früher getrennten
Funktionen von Verkauf und Lager in vielen Filialen zu einem Raum verschmolzen.
Jameson fragt in einem 1999 publizierten Aufsatz, ob die Bauten der Stararchitekten
diese neuer Räumlichkeit – und die Ambivalenz der Globalisierung – eigentlich
deutlicher „reflektieren“ als diejenige von Portman, dessen Arbeit als
corporate architecture verschrien sind und die im theoretischen
Kanon keinen Platz haben. „We know what Koolhaas thinks and says; but
how do his buildings tell us, if at all?“[27]
Welches sind, so möchte ich Jamesons Frage weiterführen, die Unterschiede
zwischen Eisenmans Convention Center, Portmans Hotel und den blauen Boxen
von IKEA? Wie unterscheiden sich deren jeweilige Beziehungen zur Globalisierung?
Gibt es, jenseits der offensichtlichen Differenzen der Funktion – Stararchitektur
als Verkörperung eines symbolischen Mehrwerts im Falle von Eisenmans Convention
Center, corporate architecture als Schutzhülle für ein luxuriöses
Ambiente im Falle von Portmans Hotel und der Infrastrukturbau als möglichst
kostengünstiger Träger für Räume, welche Produktion, Lagerung und Konsumption
verbinden im Falle von IKEA – auch Differenzen der räumlichen Logik? Die
Situation im Inneren, also die Erfahrung der Destabilisierung, ist in
den drei Fällen vergleichbar. Zwar ist diese Destabilisierung bei Eisenman
kritisch reflektiert (die Besucher können die Mechanismen der Destablisierung
nachvollziehen und sich des Einflusses der Umgebung auf ihr Körpergefühl
bewusst werden), bei Portman virtuos auf die Spitze getrieben (die Besucher
können den Blick in den Abgrund der Lobby im Sinne des Erhabenen ästhetisch
geniessen) und in den Filialen von IKEA zynisch instrumentalisiert (die
Konsumenten finden den Ausgang nicht). Aber die Besucher sind in jedem
Fall von der Außenwelt hermetisch abgeschottet, von fremden Einflüssen
geschützt und bleiben unter ihresgleichen.
Die Situation des Äußeren hingegen unterscheidet sich grundlegend. Das
Convention Center reagiert auf die vielfältigen, teilweise sichtbaren,
teilweise unsichtbaren Kräfte und Bewegungen der Umgebung. Sein Bau macht
diese erst wahrnehmbar. Gerade mittels der „fünften Fassade“ auf dem Dach
macht er deutlich, dass die Räumlichkeit sich nicht auf den terrestrischen
Raum beschränken lässt, sondern im Zeitalter des Passagierflugs und der
Satellitenaufklärung den Luftraum mit umfasst. Die Diskontinuität des
Raums, die Unvereinbarkeit von Maßstäblichkeiten und Blickwinkeln, ist
das Thema seiner Architektur, er führt sie performativ auf. Portman blendet
diese Diskontinuität aus und verbrämt sie hinter seiner „Innenarchitektur“.
Die Hotelzimmer haben natürlich Fenster. Aber im Inneren gibt es, wie
mir die Kellnerin des Restaurants anlässlich meines Besuchs im Portmans
Hyatt Regency Hotel in Atlanta, als ich einen Platz mit Aussicht wünschte,
kopfschüttelnd sagte, „no view“. Das Dach des Atriums ist verglast, der
Rest dient dazu, die Haustechnik diskret unterzubringen, und die Fassade
verschwindet als transparentes Medium im Bild der gespiegelten Umgebung.
IKEA wiederum feiert die Diskontinuität auf zynische Weise. Die blaue
Box verbirgt ihre Abstammung vom Schiffscontainer nicht. Im Gegenteil,
sie streicht diese Tatsache heraus, indem sie unmissverständlich das Bild
des Containers mit seiner durch Faltung stabil gemachten Blechhaut übernimmt
und sich als Teil eines wachsenden, den Globus überziehenden Fülle von
immer gleichen Containern zu erkennen gibt. Wer sich im Auto einer blauen
Box nähert, sieht die Transportcontainer daneben warten, welche die in
Pappschachteln verpackten, zerlegten Möbel aus Billiglohnländern annähernd
kostenlos herbrachten, so als ob die Fliessbänder der Fabriken gleichsam
ohne Unterbruch bis zu den Förderbändern der Kassen reichten, ja bis ins
eigene Wohnzimmer, wohin man das Regal selber transportiert und wo man
es schließlich selber fertig montiert. Während die luxuriöse Atmosphäre
von Portmans Hotel ein kohärentes Ambiente schafft und die Infrastrukturen
ausblendet, fokussiert IKEA ganz auf die Infrastruktur und stellt sich
als globalen Rampenverkauf dar. Im Unterschied zum einheitlich gestalteten
und deshalb rasch alternden Stil Portmans zerlegt IKEA das Design in flexible
Einzelteile, die erst innerhalb der eigenen vier Wände zum „besseren Alltag“,
wie es in der Werbung heute heißt, zusammengefügt werden und die sich
fortwährend ergänzen und erneuern lassen. Während Eisenman die weltumspannenden
Fliessbänder symbolisch repräsentiert, während Portman sie versteckt,
lässt IKEA sie offen – und vermittelt den Konsumenten dadurch die Illusion,
die Konsumprodukte zum „realen“ Preis zu erhalten, und deshalb zu denjenigen
zu gehören, welche von der Globalisierung profitieren.
Die Stararchitektur kann zwar das Rad der Zeit nicht zurückdrehen.
Indem sie die veränderte Räumlichkeit in ihrer Widersprüchlichkeit darstellt
und etwas artikuliert, wofür noch kein Begriff existiert, ermöglicht sie
das Fortbestehen einer autonomen Architektur mit einer eigenen Geschichte,
einem eigenen Wertesystem. Aber wenn sie die Theorie auf sich selber reduziert,
unterminiert sie ihr eigenes Potenzial. Die Geschichte hat von der Theorie
noch viel zu lernen. Aber diese darf sich nie in der Sicherheit wiegen,
zu wissen, was Architektur ist.
Anmerkungen:
[1]
Dieser Aufsatz basiert auf einem Vortrag, den ich auf Einladung von
Wolfram Pichler und Ralph Ubl Ich danke Ralph Ubl und Wolfram Pichler
am Symposium „Verkehrte Symmetrien, Zur
topologischen Imagination in Kunst und Theorie, Museum Moderner Kunst,
Stiftung Ludwig, Wien, 22.10.05 halten durfte.
[2]
Sanford Kwinter: Challenge Match for the „Information“ Age. Maxwll’s
Demons and Eisenman’s Conventions. In: A + U. Architecture
and Urbanism Nr. 276 (1993) 3, S. 146-147, hier: S. 147.
[3]
Greg Lynn: Architectural Curvilinearity. The Folded, the Pliant
and the Supple. In: Folding in Architecture. Architectural
Design. (Revised Edition). Chichester 2004, S. 24-31, hier: S.
24. Vgl. auch: Alicia Imperiale: New
Flatness: Surface Tension in: Digital Architecture. Basel,
2000.
[5]
„It is better to assume that moving goods is essentially costless
thatn to assume that moving goods is an important component of the
production process.“, zitiert nach Marc Levinson: The Box.
How the Shipping Container Made the World Smaller and the World Economy
Bigger. Princeton 2006, S. 8.
[6]
Vgl. Luc Boltanski, Eve Chiapello: Der neue Geist des Kapitalismus.
Aus dem Französischen von Michael Tillmann. Konstanz 2003, S. 22-24
(Le nouvel Esprit du Capitalisme. Paris 1999).
[8]
Keller Easterling: Enduring Innocence. Global Architecture and
its political masquerades. Cambridge, Mass. 2005.
[9]
Robert Somol: Dummy Text, or, The Diagrammatic Basis of Contemporary
Architecture. In: Peter Eisenman. Diagram Diaries. New
York 1999, S. 6-25.
[10]
Dan Wood: Almost Famous. The story of Universal HQ and all that
could’ve been. In: Content, Ausstellungskatalog, Rotterdam
NAI, Köln, 2004, S. 124-125, hier: S. 125.
[11]
Rem Koolhaas: A Brief History of OMA. Ebd., S. 44-51, hier
S. 44.
[12]
Peter Eisenman: Re: Working Peter Eisenman. AD, Berlin 1993,
S. 167.
[13]
Peter Eisenman: Interview (Columbus Convention Center). In:
A + U. Nr. 276 (1993) 3, S. 124-125, hier: S. 124.
[14]
Peter Eisenman: Interview, 1993 (Anm. 13), S. 125 (meine Übersetzung).
[15]
Rem Koolhaas: Delirious New York: A Retroactive Manifesto of Manhattan,
New York, 1978.
[16]
Jean-Francois Lyotard, Die Analytik des Erhabenen, aus dem
Französischen von Christine Preis München, 1994.
[17]
Fredric Jameson: Postmodernism, or, the Cultural Logic of Late
Capitalism. Durham 1991, S. 43.
[19]
Michael Hardt, Antonio Negri: Empire. Die neue Weltordnung.
Aus dem Englischen von Thomas Atzert und Andreas Wirthensohn. Frankfurt
a. M. 2002, S. 13. (Empire. Cambridge, Mass. 2000).
[22]
Das Haus in bei der holländischen Stadt Naarden wurde in Auftrag gegeben
von einem Ehepaar, die beide zu Hause arbeiten. Arbeit und Wohnen,
Büro und Privatraum verschmelzen in einer endlosen Schleife miteinander.
[23]
Vergleiche das Diagramm in. Peter Eisenman: Diagram Diaries.
New York 1999, S. 328-239
[24]
Manfredo Tafuri: Architecture and Utopia, Design and Capitalist
Development. Translated from the Italian by Barbara Luigia La
Penta. Cambridge, Mass., 1976, S. 15. (Progetto e Utopia. Bari
1973.) (Meine Übersetzung aus dem Englischen).
[25]
Marc Levinson: The Box, 2006, S. 1.
[27]
Fredric Jameson: Aronoff and Ideology. In: Blurrend Zones,
Investigaions of the Interstitial. Eisenman Architects, 1988-1998.
New York 2003, S. 60-68, hier: S. 61.
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