Der
öffentliche Raum |
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8. Jg., Heft 1 (September 2003) |
___Eduard
Führ Cottbus |
Ja, können Städte denn schrumpfen? |
‚Schrumpfende Stadt’ ist in der Stadtplanung und -soziologie ein terminus
technicus, mit dem man Städte klassifiziert, deren Einwohneranzahl in
erheblichem Maße zurückgeht, und es so aussieht, als wäre dies von Dauer. Im
Schrumpfen sieht man eine Gefahr für die Stadt und eine Aufgabe für den
Stadtplaner.
Im letzten Jahrzehnt schrumpfen vor allem die Städte in Ostdeutschland. Das
Phänomen findet sich jedoch überall und zu allen Zeiten. Allen ist Rom
bekannt, dessen Bevölkerung erst im 19. Jahrhundert wieder so groß war wie in
der Antike. Heute ist es eine Metropole voll Leben, in die man gerne für ein
paar Tage fährt, und es steht in einer Reihe mit New York, Paris und London.
Was – nebenbei gesagt - für die schrumpfenden ostdeutschen Städte hoffen
lässt.
Ich glaube, dass die Bezeichnung für die Bewältigung des
Vorganges wichtig wird, deshalb werde ich mich, bevor ich mich dem
bezeichneten Vorgang zuwende, mit der Bezeichnung auseinandersetzen. Versuchen
wir deshalb durch Sprach- und Bilderspiele, Begriff und Vorstellung von
‚Schrumpfen’ zu präzisieren, um zu verstehen, was mit ‚schrumpfenden Städten’
gemeint ist.
Wir sagen, dass ein ‚Vermögen schrumpft’; ist es geschrumpft, dann hat man
weniger als vorher. Geschieht dies in größerem Maße, dann war man vorher reich
und ist nun arm. Wenn man nicht gerade Franziskaner (Bettelorden) ist, ist das
Schrumpfen des Vermögens also etwas, das schlecht ist. Ist man allerdings
Franziskaner, ist es unabdingbar und ethische Pflicht, ist es also gut.
Ein Apfel ist am Ende des Winters geschrumpft; das allerdings tut seinem
Geschmack keinen Abbruch. Auch eine Salami schrumpft, wenn sie abhängt. Sie
reift und schmeckt besser, als wenn sie frisch wäre. Eisbeeren sind
geschrumpft und bringen den besten Wein. Schrumpfen wäre also gar nicht
schlecht.
Wenn ich ein Stück Zucker im Tee auflöse, schrumpft es dann? Schrumpft ein
Baum, wenn er im Herbst seine Blätter verliert? Schrumpft die Apfelsine, wenn
ich sie schäle? Schrumpfe ich, wenn ich mir die Haare schneiden lasse?
Wenn ich einen Krug leer trinke, schrumpft er dann? Wird er nicht einfach
leerer? Bleibt aber Krug?
Wenn ich mit meiner Familie ein kleines Einfamilienhäuschen mit Wohnzimmer,
Küche, einem Eltern- und zwei Kinderschlafzimmern bewohne, schrumpft es dann,
wenn meine beiden Kinder erwachsen werden und ausziehen? Wird das Haus nicht
eher größer? Ziehen nicht viele alte Leute in eine neue, kleinere Wohnung,
weil ihnen die alte Wohnung „zu groß geworden ist“?
Also wachsen denn nicht eigentlich die Städte, wenn die Einwohneranzahl
zurückgeht? Werden sie nicht größer, weil sie von weniger Bewohnern genutzt
werden?
Das ‚Schrumpfen’ ist in den speziellen Fachdiskursen durchaus auch ambivalent
verstanden. So fand im Juli 2001 in Edinburgh die 32. Konferenz der ‚Environmental
Design Research Association’ (EDRA) zu dem Thema ‚Old World – New Ideas’
statt, sie hatte den Untertitel ‚Environmental and cultural change and
tradition in a shrinking world’
[1]. Schaut man sich die Tagungsbeiträge an,
so entdeckt man, dass mit schrumpfender Welt kein Verlust, nicht ein
Kleinerwerden oder ein Wenigerwerden, sondern ein Näherzueinanderrücken
gemeint ist.
In den Diskursen zur ‚schrumpfenden Stadt’ jedoch ist es negativ gemeint. Das
‚Schrumpfen der Stadt’ ruft nach der rettenden Hand der Fachleute.
Um nun abstrakter zu werden: ein quantitatives Wenigerwerden als ‚Schrumpfen’
zu bezeichnen, impliziert eine Bewertung des Vorgangs, einerseits bereits im
Begriff, andererseits durch die lebensweltlichen, aber nicht benannten und
also nicht offen gelegten Konnotationen. Es zeigt sich zudem in den
Sprachspielen, dass ‚Schrumpfen’ ein Vorgang ist, der das, was ‚schrumpft’,
als Ganzes und in seiner eigentlichen Materialität, in seinem begriffenen
Wesen betrifft (deshalb schrumpft der Baum nicht, wenn er Blätter verliert),
der Begriff scheint nur insofern anwendbar zu sein, als die Existenz nicht als
Ganze infrage gestellt ist, denn was ‚schrumpft’, ist nicht verschwunden (wie
das Stück Zucker).
‚Schrumpfen’ ist ein intrinsischer Vorgang, bei dem man äußere Einflüsse zwar
irgendwie mitdenkt (Es ist der äußere Frost, der die Weintrauben zu Eisbeeren
schrumpfen lässt), der Fokus, der Hinblick, der mit dem Wort ‚Schrumpfen’
vorgenommen wird, ist aber auf das Sowerden, bzw. das Sosein des Gegenstands
und nicht mehr auf die Ursachen seines Soseins orientiert. Man sagt nicht ‚die
Stadt wird geschrumpft’ (das ist eigentlich auch sprachlich nicht korrekt,
obwohl es in einem Kinofilmtitel „..wir haben die Kinder geschrumpft“
vorkommt); man sagt, ‚die Stadt schrumpft’, sie scheint so in der Formulierung
autopoietisch. ‚Zusammendrücken’, um irgend ein anderes Wort im ähnlichen
Ereignisfeld zu nehmen, würde hingegen die auf den Gegenstand wirkende Kraft,
die Dynamik der Kraft und die möglichen Krafterzeuger oder -akteure
verbalisieren. Die ‚schrumpfende Stadt’ nimmt den Gegenstand ‚Stadt’ selbst
als Akteur des Schrumpfens, der Begriff nennt keine gegenstandsexternen
Akteure.
Ein Wenigerwerden als ‚Schrumpfen bzw. Größerwerden von X’ zu bezeichnen,
entwirft ‚X’.
Wenn man also zum Beispiel sagt, ‚die Wohnung wird größer, wenn die Kinder aus
dem Haus sind’ dann ist dies erst einmal falsch. Denn der objektiv vorhandene
Wohnraum bleibt konstant, der Umfang der Wohnaktivitäten aller Bewohner nimmt
ab (und nicht zu), hier ließe sich also nicht von ‚Größerwerden’ sprechen. Die
Aussage des ‚Größerwerdens’ der ‚Wohnung’ ist erst dann richtig, wenn mit
‚Wohnung’ eine Beziehung von Wohnraum und Wohnaktivitäten gemeint ist. Die
Abnahme der Einwohnerzahl usw. als ‚Schrumpfen der Stadt’, also ein
Wenigerwerden von einzelnen Faktoren als essentielle Veränderung eines
Gesamtphänomens zu bezeichnen, entwirft mit dem den Vorgang fassenden Begriff
Referenzen, Kausalitäten und die Identität des Ganzen. Einerseits werden
Einwohneranzahl und Steueraufkommen als konstitutive und wesentliche
Bedingungen von Stadt gedacht, andererseits ist Stadt im Wesentlichen von
Einwohneranzahl und Steueraufkommen her konzipiert.
Wissenschaftsgeschichtlich gesehen, tritt der Begriff zum ersten Mal – so weit
ich sehe – 1987 in dem Buch über ‚Neue Urbanität’ von Häußermann und Siebel
als Eindeutschung des soziologischen Begriffs der Deglomeration auf und
bezieht sich auf die damaligen Bevölkerungsverluste westdeutscher(!) Städte.
Er wird dann 1988 in einem Aufsatz dieser beiden Autoren titelwürdig.
[2]
Ebenfalls wohl 1987 stellt Jean McFadden die Überlegungen zu Glasgow vor, das
zwischen 1946 und 1986 ein Drittel seiner Einwohner verloren hatte und benutzt
dafür den Begriff ‚shrinkage’.
[3] Heute bezieht sich der Begriff vor allem auf Städte in
Ostdeutschland und ist zu einem der zentralen Begriffe der Stadtplanung und
Stadtsoziologie geworden.
Stadt
Die obigen Überlegungen zum Begriff
des Schrumpfens führen uns zu der Frage, ob man überhaupt von schrumpfender
Stadt sprechen kann, was ‚Stadt’ ist, die schrumpft?
Wenn man Stadt im administrativen Sinne der Neuzeit versteht, also von der
Quantität der Einwohner her definiert (ein Ort mit mindestens 5.000 Einwohnern
ist eine Stadt, ein Ort mit mindestens 100.000 Einwohnern eine Großstadt) dann
könnte man sagen, daß nicht nur die Einwohneranzahl, sondern auch die Stadt
schrumpft. Wenn nicht mehr 110.000 Einwohner eine bestimmte Stadt bewohnen,
sondern nur noch 85.000 Einwohner, dann ist sie geschrumpft, sie ist nicht
mehr Großstadt, sondern nur noch Stadt.
Wenn man demgegenüber den Stadtbegriff des Mittelalters nähme, und Stadt
versteht als einen Ort, dem der Landesherr eine bestimmte Art und Anzahl von
Stadtrechten verliehen hat, dann würde die Stadt nicht dann schrumpfen, wenn
sie weniger Einwohner hätte, sondern dann, wenn ihr einzelne Rechte wieder
aberkannt würden. Sie würde schrumpfen, wenn ihr etwa das Marktrecht genommen
wäre.
Definierte man Stadt als Territorialmacht, wie etwa italienische Stadtstaaten
der Renaissance, dann würde sie, wenn sie sich Land untertan macht, wachsen,
wenn sie durch andere Mächte verdrängt wird, aber schrumpfen.
Heute sind Städte aber durch Staatsverfassungen eindeutig territorial
umgrenzt, ihre Rechtslage hat sich in den letzten Jahren, in denen man davon
spricht, dass sie schrumpfen, nicht verändert.
Die Einwohnerzahl hat sich zwar verändert: Wenn sie vorher über 100.000
Einwohner hatte und nun darunter fällt, ist sie im administrativen Sinne nicht
mehr Großstadt, sondern nur noch Stadt. Wenn sie 102.000 Einwohner hatte und
fällt nun auf 98.000 Einwohner zurück, dann mag sie geschrumpft sein. Es mag
auch weniger Förderung durch Bund und Länder geben. Allerdings lege ich dann
eine administrative Definition von Stadt an. Dabei würde allerdings eine
Reduktion der Einwohner von 150.000 auf 105.000 ohne Bedeutung sein.
Für die administrative Definition von Stadt ist es wiederum von Bedeutung, ob
die am Stadtrand wohnenden Bürger in den Grenzen des Stadtgebietes wohnen oder
außerhalb. Die Einwohneranzahl verändert sich entsprechend, sie wächst oder
schrumpft, Steuereinnahmen etc, verändern sich. Aber wächst oder schrumpft
deshalb die Stadt?
Es zeigt sich in den Fragen, dass es erforderlich ist, zu bestimmen, was
‚Stadt’ ist. Man muss untersuchen, was wir denn unter ‚Stadt’ verstehen, wenn
wir meinen, sie ‚schrumpfe’; man muss prüfen, ob man mit diesem Stadtbegriff
übereingehen will und man muss diskutieren, welche Rolle sie in unserem Leben
spielen und was sie als Institution in unserem Staate sein soll.
Hier in diesem Aufsatz kann es nicht darum gehen, verbindlich einen
Stadtbegriff vorzugeben, um auf dieser Basis eine Stadtkultur zu entwickeln;
die reflexive Entwicklung eines Stadtbegriffes kann vielmehr selbst nur als
Ergebnis einer bestehenden und entwickelten Stadtkultur geschehen.
Ich möchte aber zumindest in die Richtung weisen: Stadt ist meines Erachtens
Stadtkultur, ist Urbanität. Diese hat zumindest drei Aspekte:
Cerebrierung
Georg Simmel, aber etwa auch
Alexander Mitscherlich, um zwei Klassiker zu benennen, sehen in der Stadt
einen Ort und ein Werkzeug der Cerebrierung. Für Simmel (Die Großstadt und das
Geistesleben, 1903) muss die Fülle der sensorischen und kognitiven Zumutungen
einer Stadt die Rezeptionsfähigkeit der einzelnen Subjekte übersteigen und die
Subjekte so zu kultivierter Reserviertheit, individueller Befreiung,
reflektierter Sozialität und zu Cerebrierung führen. Alexander Mitscherlich
(Die Unwirtlichkeit unserer Städte, 1965) verstand die Stadt als Heimat, die
nur entsteht, wenn es befriedigende zwischenmenschliche Beziehungen gibt und
wenn sie Nicht-Ordnung, Heimliches sowie Unheimliches hat, dem man die eigene
Heimat abringen kann (Mitscherlich 1965, S. 136f). Es ist der Erfolg des
Abringens, der die Heimat macht, die ermöglichten und gelingenden Aktivitäten
der Bürger. Heimat ist für Mitscherlich aber nicht Selbstzweck, in der man
sich verlieren und von der Welt abkapseln soll, sie muß vielmehr insofern
Heimat sein als man „... einen festen Ort zum Abstoßen braucht“ (Mitscherlich
1965, S. 24).
Der „zum Wohnraumverbraucher entwirklichte Bürger“ (Mitscherlich 1965, S. 38)
soll wieder zum Städter werden, der so seine Affekte besser befriedigen kann.
„Befriedigung meint nicht Abwehr der Leidenschaften und Kanalisierung in manipulierten Richtungen, auf manipulierte Objekte hin, sondern höhere Cerebrierung. Mehr Intellektualität, freierer, bewußtseinskontrollierter Umgang mit der Triebnatur, ein festeres Verhältnis von Einsicht und Leidenschaft.“ (Mitscherlich 1965, S. 27)
Soziale und politische Handlungsziele
Häußermann und Siebel versuchen in
dem oben bereits angesprochenen Buch einen neuen Begriff von Urbanität zu
entwickeln und gehen deshalb auf die Bedeutung der Stadt im Mittelalter
zurück:
„Bis zur Herausbildung der Territorialstaaten, die den Städten ihre politische und ökonomische Selbständigkeit nahmen, gab es eine eindeutig bestimmbare und abgrenzbare Stadtkultur. Sie bestand aus dem spezifischen Gemisch von ökonomischen, politischen und sozialen Strukturen, das sich im Gegensatz zum agrarisch-feudalen Land befand. Die Stadt war ‚ein soziales Totalphänomen’ (Gurvitch), das eine andere Gesellschaft darstellte, Vorform der bürgerlichen Gesellschaft, mit allen negativen und positiven Merkmalen, die diese später auszeichnen sollte. Urbanität war damit nicht nur eine Lebens-, sondern eine Gesellschaftsform. Die Grundkategorie, auf die sich alle ihre Charakteristika zurückführen lassen, ist die der Freiheit: Freiheit von politischer Abhängigkeit in Form bürgerlicher Selbstverwaltung, von Ausbeutung in Form des freien Tauschs, von sozialer Deklassierung in Form rechtlicher Gleichheit. All dies war in der Stadt gebunden an Besitz, die bürgerliche Gesellschaft war von Anfang an Klassengesellschaft - aber selbst die Situation der Eigentumslosen, der Armen, des Pöbels unterschied sich von der der Landbevölkerung noch dadurch, daß sie als Personen frei waren, nicht mehr Leibeigene. Selbst wenn es ihnen materiell nicht besser ging als den Untertanen der Feudalherren, so hatten sie als Stadtmenschen doch Anteil an der historischen Perspektive der Emanzipation von persönlicher Unterdrückung und Naturabhängigkeit. Sie gehörten, weil sie in der Stadt lebten, einer anderen Zukunft an.“
(Häußermann / Siebel 1987, S. 238f)
Historisch gesehen ist das natürlich nicht
richtig, die mittelalterliche Stadt war keine Enklave im Feudalismus, sondern
ein spezifischer Teil des Systems; ‚Freiheit’ der Unterschichten mit dem
‚Anteil an der historischen Perspektive’ zu erklären, ist nichts als eine
romantische Verklärung. Trotzdem aber formulieren Häußermann und Siebel
Richtiges. Allerdings handelt es sich hier um einen Traum der Bürger (des 19.
Jahrhunderts) von Stadt, den man heute weiter zu realisieren versuchen sollte.
Häußermann und Siebel sehen weitere Urbanitäten, die sich mit der
industriekapitalistischen Stadt im 19. Jahrhundert entwickelt hätten, die
kleinbürgerliche von Flaneur und Bohemien und die proletarische des Arbeiters.
Diese seien Teilurbanitäten, die sich als Sub- oder Gegenkultur entwickelten.
Deren Verständnis von Urbanität postuliere
„… die politische Freiheit des Bürgers unter den Regeln einer aufgeklärten Rationalität und die ökonomische Gleichheit selbständiger Produzenten unter dem Gesetz des Marktes, eine durch und durch anarchische Utopie. Im Bild der kämpferischen Solidarität proletarischen Milieus ist ebenso eine utopische Perspektive eingeschlossen: die Hoffnung auf eine befreite Solidarität in der kommunistischen Gesellschaft. Und selbst die in ihrer sozialen Perspektive äußerst reduzierte Figur des Flaneurs repräsentiert noch einen Teilaspekt bürgerlicher Kultur: die Befreiung von notwendiger Arbeit, die Entlastung von der Mühsal alltäglicher Reproduktionsarbeit, das Befreitsein für Genuß und Kultur…“
(Häußermann / Siebel 1987, S. 241)
Für Häußermann und Siebel haben beide
Urbanitäten am Ende des 20. Jahrhunderts ihre gesellschaftspolitische
Perspektive verloren, das proletarische Milieu existiere nur noch als
Folklore, die bürgerliche Urbanität habe sich auf Kaufen und Verbrauchen
reduziert und damit jeden emanzipatorischen Gehalt verloren. Bei aller
richtigen Kritik, ‚befreite Solidarität’ und ‚Befreitsein für Genuß und
Kultur’, um die Begriffe wieder aufzunehmen, wären aus meiner Sicht aber auch
heute immer noch Tagträume, an deren Verwirklichung wir arbeiten sollten.
Materiale Ausstattung
Die materiale, infrastrukturelle
und baulich-institutionelle Ausstattung der Stadt dient nicht nur der
Entlastung von überflüssiger Arbeit und Unbequemlichkeit (so Häußermann und
Siebel 1987, S. 246). Theatergebäude und -ensemble, Stadtbibliothek und
Bücherbestand, Schwimmbad, ein dichtes öffentliches Verkehrsnetz und häufig
eingesetzte, preiswerte und auch noch nach Ende der Vorstellung fahrende
Verkehrsmittel entlasten die Menschen nicht nur, damit sie frei werden, sie
sind unabdingbare Werkzeuge zur Herstellung und Verwirklichung von Urbanität.
Wenn man Stadt also als Urbanität begreift, dann muss man festhalten, dass es
nicht notwendig das Städtische ist, das ‚schrumpfen’ muss, wenn
Einwohneranzahl und Steuereinnahmen zurückgehen.
Stadt als Urbanität zu begreifen, heißt nun aber nicht, das Problem
weggezaubert zu haben. Gerade dann wird man feststellen, dass das Städtische
in größerem Ausmaß schrumpft. Der Ort des Schrumpfens des Städtischen ist
einerseits die Stadt, in starkem Maße aber andererseits auch das Land. Ich
halte es deshalb für falsch, die Krise des Städtischen durch eine Migration
des Landes in die Stadt, also durch Ausweisung von innenstadtnahen Gebieten
zum Bau von Einfamilienhaussiedlungen, beheben zu wollen. Dies führt nur zu
einer Desurbanisierung der Stadt, also zu einer weiteren ‚Schrumpfung der
Stadt’. Das Ziel der Aktivitäten muss in der Urbanisierung der Stadt und –
dies muss hervorgehoben werden – ganz besonders auch des Landes liegen.
Schrumpfen
Wenn in der Frühzeit der
menschlichen Kultur ein Ort schrumpfte
[4], wenn die Bewohneranzahl zurück ging,
wenn die Häuser verfielen und nicht wieder aufgebaut wurden, wenn der Handel
abbrach, Jagd und Landwirtschaft sich immer stärker auf das unmittelbare
Umland des Ortes beschränkte, dann – das ist allerdings ein wenig Spekulation
– wurde die Welt der Ortsbewohner kleiner, der von ihnen nicht mehr
angeeignete restliche Raum war unbedacht, gehörte nicht mehr zur Lebenswelt,
so dass man wahrscheinlich tatsächlich von ‚schrumpfen’ sprechen kann.
Heute werden Räume nicht leer, wenn Bewohner wegziehen oder weniger werden.
Schon die Eigentumsrechte – seien es private oder staatliche - bleiben
bestehen. Die Räume stehen den Menschen jederzeit und verhältnismäßig einfach
als Naturreservat, als Urlaubsgebiet und als zukünftiges Erschließungsgebiet
zur Verfügung. Noch was absolut leer ist, wird durch Kartierung,
Katalogisierung und kognitive Ein- und Zuordnung Teil unserer Welt. Was aus
der konkreten Nutzung ausgegliedert ist, wird – um auf ein nahes Extrem wie
die Braunkohlengruben der Lausitz und auf ein fernes wie die Antarktis zu
verweisen – durch Aussichtstürme oder Fernsehberichte zum Teil unserer
Lebenswelt. Es gibt keine ‚Weißen Stellen’ mehr in den Plänen unserer
Lebenswelt; was aus konkreter Aneignung und Alltagswelt ausgegliedert wird,
ist, nun als Natur verstanden, weiterhin Teil unserer Welt.
Unsere Welt schrumpft nicht mehr. Sie sortiert und strukturiert sich um, sie
interpretiert Orte um, sie entdifferenziert, entsublimiert und entzivilisiert
sich.
Schrumpfen der Urbanität der Stadt ist kein intrinsischer Naturprozess und
findet nicht nur da statt, wo die Einwohneranzahl zurückgeht und die
Steuereinnahmen sinken. Es ist Ergebnis einer kulturellen Haltung, Ergebnis
der Lustlosigkeit vieler Bürger, vieler kommunaler und der wirtschaftlicher
Handlungsverantwortlichen auf Urbanität. Das Schrumpfen ist kein
quantitativer, sondern vielmehr ein qualitativer Vorgang, in dem die Welt –
ich will nun nicht sagen: wie sie war; aber vielleicht – wie sie erträumt
worden war, umgebaut wird.
Akteure
Städte – und damit meine ich die Architektur der Stadt und
nicht das Leben durch, mit und in der Stadt – gehen ihren physikalischen Gang,
sie sind nur in geringer Weise Akteur: die Gebäude verfallen, die technische
Infrastruktur verrottet. Die Pflanzungen gehen ihren biologischen Gang: Sie
wachsen und wuchern und zerstören die vorgedachte Ordnung und die technischen
Einrichtungen. Die architektonische Stadt ist darüber hinaus aber nicht
Akteur. Sie ist es nicht – wie ich schon gesagt habe – die schrumpft.
Wer agiert denn?
Es bürgert sich im Moment bei den in den Kommunen verantwortlichen
Stadtplanern, Administratoren und Politikern ein, den Bürgern vorzuhalten,
dass sie weniger fragen sollten, ‚was kann die Stadt für mich tun’, als
vielmehr doch bitte, ‚was kann ich für die Stadt tun’. Damit ist ein Akteur
benannt; in der Tat schrumpfen die Bürger die Stadt.
Gegen die Aufforderung, doch nunmehr zu fragen, ‚was man als Bürger für die
Stadt tun könne’, wäre im Prinzip auch nichts zu sagen, wenn damit also
urbanistische und res-publikanische Haltungen und Aktivitäten gemeint wären.
Sie wäre aber um so richtiger, wenn sie denn an alle anderen Akteure auch
gerichtet wäre.
Es scheint mir aber, als wären damit allein die lohnabhängigen Beschäftigten
und nicht auch das leitende Management, die Unternehmer und die Shareholder
gemeint. Denen sieht man die Flucht aus der Verantwortung für Region und
res-publikanische Kultur nach, trägt die Legitimierung dieser Flucht unter dem
Begriff der Globalisierung mit.
Es scheint mir auch die Stadt zu sein, die nicht fragt, was sie denn für die
Stadt tun kann. Die Stadt(verwaltung) – um den vorgehenden Satz weniger
kryptisch zu formulieren – sieht ihr Ziel darin, ihre historisch gewachsenen
Aufgabenfelder und deren Kosten zu reduzieren und bei den bleibenden Aufgaben
den von ihr betriebenen Aufwand effektiver zu machen, worin sie wiederum
versteht, Sach- und Personalmittel zu reduzieren – wir könnten hier auch von
schrumpfen sprechen – statt bei gegebenen Sach- und Personalmitteln die
Leistungen zu erhöhen, was ja zumindest genauso effizient wäre. Ich sehe
nicht, dass die Stadt(verwaltung) sich besonders nachdrücklich darauf richtet,
die Kultur der Stadt, die Lebensqualität, Partizipation und Demokratie in der
Stadt zu befördern.
Es kann deshalb m. E. nicht darum gehen, was denn die Stadt(bürger) für die
Stadt(verwaltung) und deren Finanzierung tun kann, sondern darum, was
Stadt(bürger) und Stadt(verwaltung) für die res-publikanische Stadt(kultur)
tun können.
Anmerkungen
Environmental Design Research Association (ed); Old World – New World. Environmental and cultural change and tradition in a shrinking world. Proceedings of the 32nd Annual Conference of the Environmental Design Research Association; Edmond, Oklahoma 2001 |
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Häußermann / Siebel 1987, S. 32 und 1988 |
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Im Zusammenhang mit einem Vortrag auf dem Kongress ‘Stadt, Kultur, Natur – Chancen zukünftiger Lebensgestaltung, den die Baden-Württembergische Landesregierung vom 5. bis 7. Oktober 1987 in Stuttgart veranstaltete. Siehe Wildenmann 1989 |
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dazu etwa Maier / Vogt 2001 |
Literatur
Ursula Maier, Richard Vogt; Botanische und pedologische Untersuchungen zur Ufersiedlung Hornstaad; Stuttgart 2001
Hartmut Häußermann, Walter Siebel; Neue Urbanität; Frankfurt/M 1987
Hartmut Häußermann, Walter Siebel; Die schrumpfende Stadt und die Stadtsoziologie; in: Jürgen Friedrichs (Hg); Soziologische Stadtforschung; Opladen 1988, S. 75 – 94 (Sonderheft der ‚Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie’)
Alexander Mitscherlich; Die Unwirtlichkeit unserer Städte (1965); Frankfurt/Main 1980
Georg Simmel; Die Großstadt und das Geistesleben (1903); in: ders. (M. Landmann, Hg.); Brücke und Tür. Essays des Philosophen zur Geschichte, Religion, Kunst und Gesellschaft; Stuttgart 1957
Rudolf Wildenmann
(Hg); Stadt, Kultur, Natur. Chancen zukünftiger Lebensgestaltung; Baden-Baden
1989
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