01
this must be the place,
Roy Lichtenstein, 1965
02
München, Frauenkirche |
Vorbemerkung
‚Der öffentliche Raum in Zeiten der
Schrumpfung’ lautet das Motto der Konferenz.
Man fragt sich natürlich, was macht jemand
aus München auf einem Kongress, in dem man sich mit dem Phänomen der
Schrumpfung von Städten auseinandersetzt, denn München gilt ja gemeinhin
als die ‘Stadt des ewigen Wachstums’.
Die Frage ist berechtigt, vergegenwärtigen
wir uns doch die Situation in München: die Stichworte, die in der
aktuellen Diskussion um die Stadtentwicklung genannt werden und diese
Situation charakterisieren, sind Bevölkerungsexplosion, ständige
Baugebietsneuausweisung, steigende Flächenknappheit, Wohnungsnot,
Mietpreisspirale, usw. Jährlich werden in München etwa 7000 Wohnungen neu
errichtet, es werden gleichzeitig mehrere Großsiedlungen entwickelt, auf
ein Wohnungsinserat melden sich zumeist über 100 Interessenten und das
trotz eines Mietpreises von durchschnittlich 15 Euro pro Quadratmeter.
Von
Schrumpfung kann also hier wirklich nicht gesprochen werden. Wenn ich
dennoch mit der antithetischen Situation meines Wohnortes beginne, dann
deshalb, weil ich anhand Münchens eine generelle planerische Strategie zum
Umgang mit Stadt entwickelt habe, die nachfolgend eingehend vorgestellt
wird.
|
03
Flächenverbrauch der Stadt München 1950
04
Flächenverbrauch der Stadt München 1990 |
Situation
In München wird nach einer Phase der
Stagnation aufgrund einer weltweiten konjunkturellen Krise wieder von
weiterem Wachstum für die Stadt ausgegangen. So wird bis 2020 eine Zunahme
von insgesamt bis zu 300.000 Einwohnern und 150.000 Arbeitsplätzen
zusätzlich für die Region prognostiziert. Denn lebten allein im
Verwaltungsbereich der Stadt München 1990 insgesamt 1,26 Millionen
Menschen, so stieg diese Zahl bis 1997 bereits auf 1,34 Millionen an, ein
Bevölkerungsanstieg um 100.000 Einwohner innerhalb von nur sieben Jahren.
Der prognostizierte, regionale Bevölkerungsanstieg folgt damit zugleich
der Kontinuität der vergangenen zwanzig Jahre.
Um diesen hierfür notwendigen Raumbedarf zu
ermöglichen, wird an die Stadt und die Region München die Forderung nach
einer verstärkten Ausweisung von Siedlungsflächen für Wohnen und Arbeiten
mit Folgeinfrastruktur gestellt, und besonders in den letzten Jahren auch
nach baulicher Verdichtung, Sanierung, Konversion und Umstrukturierung
bereits existierender Quartiere.
Dies geschieht speziell unter dem Aspekt zunehmender Flächenverknappung
von Bauflächen bei einem gleichzeitig extremen Anstieg des Preisniveaus.
|
05
Nolliplan von Rom.
Homogenes städtisches Gesamtgefüge
06
e-world von apple.
Architektonische Einzelelemente, ohne räumlichen Kontext, aber mit
funktionaler Spezialisierung |
Im Gegensatz zu vielen anderen
Ballungsräumen hat sich München aufgrund seiner spezifischen Mischung von
weichen und harten Standortfaktoren bislang als relativ stabil und
resistent gegen rezessionelle Einbrüche erwiesen. Denn wenn wir generell
die aktuelle Situation innerhalb Europas betrachten, ist zu verzeichnen,
dass die Realität eine komplett andere ist. Viele Städte registrieren
bereits seit den 90er Jahren einen massiven Rückgang baulicher
Entwicklungen. Besonders der öffentliche Raum befindet sich im Prozess der
Transformation.
Bereits seit Beginn der 80er Jahre wird
unter Architekten, Stadtplanern, Soziologen und Politikern immer wieder
die Zukunft der Stadt diskutiert, die angebliche Auflösung der Zentren,
der Verlust der Urbanität und die Verdrängung von natürlichen
Lebensräumen.
Seit Beginn der 90er Jahre registrieren
viele Städte de facto einen massiven Rückgang baulicher Entwicklungen.
Besonders deutlich wirkt sich diese
Veränderung in den Städten Ostdeutschlands aus. Das traditionelle Bild der
Stadt hat sich dabei grundlegend verändert. Es ist geprägt von Leerstand,
Abriss, Brachflächen, fehlendem Nutzungszusammenhang und dem Phänomen der
Schrumpfung.
|
07, 08, 09, 10
Leerstand, Abriss, brachgefallene Nutzung |
These
Was mit dem Begriff der Schrumpfung aus
planerischer Sicht gemeint ist, das ist ein anhaltender und massiver
Nachfragerückgang nach Wohn- oder Büroraum, sowie generell nach allen
Formen nutzbarer Räume.
Schrumpfung steht für den Leerstand von
bestehender Gebäudesubstanz, die Verringerung der Zahl von Haushalten,
damit einhergehend das Ausdünnen von Funktionen und der Verlust räumlicher
und sozialer Dichte. Dies betrifft besonders die strukturschwachen Orte,
Stadtteile und Grundstücke, die dabei aus der Nutzung herausfallen und
somit dem gesamtem Markt die Dynamik nehmen. Die Bauindustrie und
Immobilienwirtschaft gerät ins Stocken, bis sie stagniert oder gar völlig
zusammenbricht.
Es handelt sich also um einen Prozess der
Umverteilung, der Verdünnung und der Dezentralisierung, denn gleichzeitig
werden immer mehr Neubaugebiete am Stadtrand entwickelt, so dass die
Nutzungsoberfläche immer dünner wird, Lücken aufweist und letztendlich
sogar zerreißt. Die Ursachen hierfür sind äußerst vielfältig, oftmals ist
gerade das Zusammenspiel verschiedener Faktoren verantwortlich, Einflüsse
wirtschaftlicher, demografischer, sozialer oder politischer Natur. Einmal
begonnen, kann ein solcher Prozess sehr schnell in Gang kommen.
Denken wir an Leipzig. Vor wenigen Jahren
noch die boomtown des Ostens, weist die Stadt in ihrem Kernbereich
einen Leerstand von über 40 000 Altbauwohnungen auf. Mit dem Modell der
‘dispersen’ oder der ‘perforierten Stadt’, einem bewussten Leitbild für
Leipzig, versucht die Stadtplanung diese Problematik aufzufangen und den
räumlichen Prozess der Umverteilung zu beeinflussen.
Der Begriff der Perforation bezeichnet in
seiner Anwendung die bewusste Installation von Lücken, Schnittstellen,
Interferenzen, Störungen oder gar Sollbruchstellen in seinem ursprünglich
kompakten, städtischen Kontext. Der kompakte Stadt-Typus scheint
inzwischen immer mehr überkommen, aufgrund dieser gesellschaftlichen und
städtebaulichen Veränderungen.
Die Aufgabe für die Zukunft unserer Städte
wird also sein, ein neues Verständnis zuzulassen, für die Veränderung
wesentlicher städtischer Eigenschaften und hierfür neue Strategien zu
entwickeln, mit denen wir den transformatorischen Prozess steuern können.
|
11
Bebauungsmorphologie
12
Landschaftsmorphologie |
Strategie
Es sind bereits neue Formen von Stadt
entstanden, die mit den herkömmlichen Planungsinstrumenten kaum mehr zu
steuern scheinen. Denn sich verändernde gesellschaftliche Bedürfnisse
bewirken gleichzeitig einen stetigen Erneuerungsprozess urbaner Räume.
Während der traditionelle, öffentliche Raum noch durch Stabilität
charakterisiert ist, sind die heutigen Anforderungen räumliche
Variabilität, funktionale Indeterminiertheit und Neutralität. Dabei bedarf
es neuer Mittel zur Steuerung durch Aktivierung des vorhandenen Potenzials
zur Flexibilisierung von prozessualen Entwicklungen.
Ist Schrumpfen immer gleichbedeutend mit
Verlust? Oder ermöglichen Wegfall und Verschiebung auch einen Neubeginn?
Wie erleben Bewohner von schrumpfenden Städten die starke Veränderung
ihrer Umgebung? Und wie verändert sich dabei der öffentliche Raum? Wird er
seine Bedeutung behalten? Werden offene Räume, wenn sie ungenutzt sind,
immer als negativ empfunden? Oder haben wir nicht die einmalige Chance,
unsere Städte räumlich aufzuwerten, durch Licht und Luft aufzulockern?
Oder gar die Möglichkeit, die Städte stärker zu begrünen und dadurch auch
attraktiver zu gestalten? Oder ist dies schlichtweg eine Utopie, weil aus
wirtschaftlicher Sicht nicht finanzierbar?
Meine Überzeugung, und zugleich die These
des Beitrags ist: Schrumpfen funktioniert wie Wachstum, lediglich mit
umgekehrtem Vorzeichen. Beides sind Formen städtischer
Entwicklungsprozesse. Es erscheint nicht zielführend, vornehmlich entweder
auf städtisches Wachstum oder Schrumpfung zu setzen und hierzu spezielle
Strategien zu entwickeln.
Vielmehr wird m. E. die Zukunft der europäischen Städte darin begründet
sein, dass sie in der Lage sind, neutrale Entwicklungsstrategien zu
formulieren.
In meiner Dissertation ‘Transformation’ habe
ich mich mit Stadtentwicklungsstrategien auseinandergesetzt und nach neuen
Instrumenten geforscht.
Neuzeitliche städtebauliche
Entwicklungsstrategien müssen sowohl auf schrumpfende, als auch wachsende
Städte anzuwenden sein, sie folgen verwandten planerischen Prinzipien und
müssen als solche formuliert werden.
Zahlreiche europäische Großstädte haben
bereits Konzeptionen einer prospektiven statt einer reaktiven Strategie
zur Stadtentwicklung formuliert, zumal sich der gesamte gesellschaftliche
und stadtstrukturelle Kontext in Europa deutlich verändert hat. Denn neben
die bekannten städtebaulichen Herausforderungen mit den vertrauten
Positionen und den bewährten Konzeptionen in der Umsetzung, sind und
werden immer mehr neue Aufgaben, an neuen Standorten mit neuen Konzepten
treten.
Zwar ist keine einheitliche städtebauliche
Position, im Sinne eines Leitbildes, festzustellen, denn es gibt Wachstum
und Schrumpfung zugleich, als ein zentraler Schwerpunkt erscheint jedoch
das Prinzip der Simultaneität parallel existierender Phänomene an
unterschiedlich beeinflussten, europäischen Standorten. Die Vielfalt und
Unterschiedlichkeit von Aufgaben und Orten, die zeitliche und räumliche
Parallelität von Projekten und die Widersprüchlichkeit ihrer Zielsetzungen
sowie die Gegenläufigkeit ihrer Auswirkungen definieren dabei die
gegenwärtige städtebauliche Realität.
Das Bild der europäischen Großstadt befindet
sich derzeit in einem prozesshaften Umbau, in einer Phase der
Neuorientierung aufgrund der beschriebenen Konditionen. Zwei
grundsätzliche Modelle zur Interpretation von Stadt sind einerseits das
Kompaktstadtmodell und andererseits das Netzstadtmodell. Die
Auseinandersetzung mit diesen kontrovers wirkenden Sichtweisen ist wichtig
für die Formulierung und Orientierung zukünftiger
Entwicklungskonzeptionen. Beide Modellkonzepte artikulieren
unterschiedliche Gewichtungen im Verständnis von Stadt:
|
13
Kompaktstadtmodell
14
Netzstadtmodell |
Das Modell der kompakten Stadt steht für die
Vorstellungen, die sich an dem traditionellen Bild der historisch
entwickelten, europäischen Stadtstruktur orientieren. Mit den
städtebaulichen Elementen der Funktionsmischung und der Bebauungsdichte
sollen dabei gestalterisch anspruchsvolle und besonders ökologische
Qualitäten für die öffentlichen Räume entwickelt und geprägt werden, um so
in der kompakten Stadt Urbanität entstehen zu lassen, eingebunden in einen
Maßnahmenkatalog übergreifender Strategien der Steuer-, Verkehrs-,
Umwelt-, Sozial- und Wohnungspolitik.
Das hierzu antithetische Raummodell der
Netzstadt basiert auf dem Prinzip der Überformung und der allmählichen
Auflösung der europäischen Stadtstrukturen in die Region, bei
gleichzeitiger Zunahme der Komplexität interdisziplinärer
Wirkungszusammenhänge. Derzeit erfährt der städtische Dispersionsprozess
einen weiteren Dezentralisierungsschub mit Suburbanisierungstendenzen,
ausgelöst u. a. durch den Anstieg der Mobilität, die Innovationen von
Transport-, Informations- und Kommunikationstechnologien. Neue
Wachstumsbranchen haben sich bereits herausgebildet. Vorhandene Märkte
weiten sich sprunghaft aus, die Mobilität von Mensch, Gütern und
Information steigt gleichzeitig drastisch an und verändert deutlich das
vertraute Bild existierender Siedlungsmuster. Im Netzstadtmodell wird die
Grenze zwischen dem Planbaren und Nichtplanbaren zum Prinzip der
städtebaulichen Konzeption.
In der Gegenüberstellung dieser beiden
Stadtmodelle demonstrieren die Kompaktstadt- und die Netzstadtidee
grundsätzlich nicht nur konträre Positionen, sondern auch widersprüchliche
Vorstellungen davon, was Stadtentwicklung derzeit zu leisten vermag. Beide
Modelle scheinen sich zunächst gegenseitig auszuschließen. Unter dem
Aspekt gesellschaftlicher Veränderungen kann das monozentrale Modell der
kompakten Stadt dabei kaum mehr aufrechterhalten werden.
|
15
Hans Hemmert, Unterwegs, 1996
16
MVRDV, Interpretation nach Guy Debord zum Prinzip der subjektiven
Stadtwahrnehmung |
Bereits in den 60er Jahren haben sich die
Situationisten mit der Wahrnehmung von Stadt beschäftigt und haben
konstatiert, dass Stadt von unterschiedlichen Bewohnern jeweils auch
unterschiedlich empfunden wird. Die Orientierungspunkte sind Orte
innerhalb der Stadt, welche losgelöst voneinander ein Netz aus Beziehungen
aufspannen. Die Verbindungen zwischen diesen Markierungen werden hingegen
nicht empfunden, sondern definieren sich über ihre Entfernung, über
Mobilität und Zeit. Bezogen auf das Verständnis von Stadträumen bedeutet
dies, dass das Bild der Stadt kein geschlossenes Ganzes, keine Kompaktheit
mehr darstellt, sondern dass jeder in seiner eigenen Stadtkarte agiert, in
Abhängigkeit vom individuellen Aktionsradius. Der Stadtraum ist nicht mehr
homogen, sondern er besteht aus einer Vielzahl unterschiedlicher Räume als
Abbild einer Gesellschaft mit vielschichtigen Bedürfnissen, so dass von
einer Stadt zugleich unterschiedliche Images existieren können.
Strukturelle Untersuchungen lassen dabei auf
unterschiedlichen thematischen Ebenen sowohl Teilaspekte des kompakten
Stadtmodells erkennen, jedoch auch Elemente, welche aufgrund ihrer
spezifischen Eigenart netzartige Stadtstrukturen beinhalten. Das
monozentrale Modell der kompakten Stadt kann dabei nicht aufrechterhalten
werden.
Die Verortung der Netzknotenpunkte im
Grundriss des Stadtgefüges erzeugt das neue städtische Bild der so
genannten ‘Kompakten Netzstadt’. In diesem hybriden Modell ist die
Differenzierung zwischen Innenstadt und Peripherie zwar räumlich eindeutig
definiert, gleichzeitig übernehmen Stadtteilzentren allerdings wesentlich
mehr ‘Zentralräte’, so dass eine Netzstruktur mit kompakten Knoten
entstehen kann. Der Prozess der Umstrukturierung von existierenden,
urbanen Ordnungsschemata entwickelt dabei neue räumliche Relationen,
welche in der individuellen Benutzung, in der persönlichen Identifikation
und in der visuellen Wahrnehmung ihren Ausdruck finden. Die
Organisationsform erfordert eine prozesshafte, flexible Strategie, die
allerdings der Definition neuer Instrumente zur Realisierung bedarf.
|
17
öffentlich - privat
18
privat - öffentlich |
Open System
Auf der Basis dieser kompakten Netzstadt
habe ich ein Alternativmodell zur existierenden, planungsrechtlichen
Fixierung entwickelt. Das Modell stellt eine Strategie dar in Form einer
möglichen Handlungsanweisung, für eine morphologisch basierte
Planungsstrategie. Es ist anwendbar auf städtebauliche Entwicklungen, also
auf Wachstum und Schrumpfung zugleich. Der Ausgangspunkt für die
Entwicklung dieser planerischen Strategie ist der Bedeutungswandel im
öffentlichen Raum.
Das statische
Raumverständnis verändert sich durch die Privatisierung von öffentlichen
Lebensbereichen. In diesem Bedeutungswandel kehren sich Öffentlichkeit und
Privatheit um.
Diese Tendenz zur
Privatisierung basiert ursächlich auf der Kommerzialisierung von urbanen
Räumen und deren medialer Inszenierung. Dabei sind drei neue Tendenzen
feststellbar:
Erstens: die traditionellen Formen des
öffentlichen Raums haben sich besonders inhaltlich und strukturell
erweitert. Unterschiedliche Arten öffentlicher Räume werden ablesbar. Sie
sind Abbild der multiplen Gesellschaft und ihrer Bedürfnisse.
Zweitens: öffentliche Räume werden
fortschreitend privatisiert und suggerieren nur noch Öffentlichkeit. Dabei
entsteht eine Verlagerung von Verantwortung und Besitzverhältnis.
Drittens: sich verändernde gesellschaftliche
Bedürfnisse erwirken einen stetigen Erneuerungsprozess von Räumen. Während
der traditionelle, öffentliche Raum von Stabilität charakterisiert ist,
sind seine heutigen Anforderungen Varianz, Neutralität und Flexibilität.
Die vorgestellte planerische Methode soll
die existierende Ordnung der Bauleitplanung, bestehend aus
Flächennutzungsplan und Bebauungsplan, nicht ergänzen, sondern ersetzen.
Das Instrument zur Steuerung ist die
‘Prozessorientierte Morphologieplanung’, sie stellt eine
Konzeption einer zukünftigen
Stadtentwicklung dar und basiert auf drei maßstäblichen Gliederungsebenen.
|
19
Prozessorientierte Morphologieplanung.
Ebene 1: Matrix, Gesamtansicht
20
Matrix, Detailansicht |
1. Matrix
Auf der ersten Betrachtungsstufe geht es um
eine übergeordnete Strategie zur gesamtstädtischen Gliederung, die sich
mit dem Verständnis des gesamten Stadtgebiets beschäftigt und auf die
Entwicklung einer generellen strukturellen Ordnung abzielt. Als
Stadtgebiet wird nicht der städtische Verwaltungsbereich, sondern vielmehr
der morphologische, also interkommunale Siedlungszusammenhang bezeichnet.
2. Open System
Auf der anschließenden zweiten Stufe steht
die daraus resultierende teilräumliche Betrachtung im Blickpunkt der
Auseinandersetzung, mit dem Fokus der Formulierung eines konzeptionellen
Expansionspotenzials innerhalb dieser Struktur.
3. Raummodulation
Auf der dritten Betrachtungsstufe wird die
logische Fortsetzung weiter in die Abbildung objekthafter Stadtbausteine
übertragen und findet ihren Endpunkt in der räumlichen Darstellung
einzelner urbaner Einheiten. Alle drei Darstellungen bedingen sich und
können nur interdependent angewandt werden.
|
21
Prozessorientierte Morphologieplanung.
Ebene 2: Open System, Gesamtansicht
22
Open System, Detailansicht.
Netz aus Freiräumen unterschiedlicher Gewichtung strukturiert den
städtischen Raum
23
Prozessorientierte Morphologieplanung.
Ebene 2: Open System, Gesamtansicht
24
Open System, Detailansicht.
Potenzielle Bebauungsstruktur
|
Die erwähnte, zweite Gliederungsebene, das
‘Open System’, bildet mit der teilräumlichen Betrachtung den Schwerpunkt
der Auseinandersetzung, mit Fokus auf die potenzielle Expansion innerhalb
dieser Struktur.
Das statische Raumverständnis des
öffentlichen Raums wandelt sich durch Privatisierung öffentlicher
Lebensbereiche. In diesem Bedeutungswandel kehren sich Öffentlichkeit und
Privatheit um. Die Strategie zur Umsetzung dieser Zielsetzung sieht die
Umkehrung der traditionellen städtebaulichen Planung vor: statt einer
Formulierung von Gebäuden wird im ‘Open System’ nach dem Umkehrprinzip ein
Netz aus Freiräumen planerisch fixiert.
Der so strukturierte Freiraum formuliert die
Baustruktur, quasi als Negativvolumen, zugunsten einer maximalen
Flexibilität der architektonischen Füllungen. Diese Füllungen müssen
jedoch gar nicht belegt werden, denn die Stabilität des Netzes wird
ausschließlich durch die offenen Räume erreicht, nicht etwa durch eine
Bebauung.
Dabei stellt sich natürlich besonders die
Frage nach dem Aufwand, der Pflege, der Finanzierung und dem Unterhalt
dieser neuen Freiräume. Denn angesichts der finanziellen Situation der
Städte können klassische Parkanlagen und Platzgestaltungen lediglich einen
geringen Anteil definieren, sie erfordern deutlichen Aufwand an
Herstellung und Unterhalt. Allerdings kann nur durch die Einrichtung von
Biotopen und Brachen oder die Anlage von Sukzessionsflächen oder
Ruderalgrün das gestalterische Spektrum der öffentlichen Räume auch nicht
abgedeckt werden.
Hier werden verstärkt die
Landschaftsarchitekten und Freiraumplaner gefordert sein. Es werden neue
Formen einer Freiflächenkultur entstehen müssen, welche die Formulierung
und Nutzungsintensität der gewohnten städtischen Freiräume überwinden,
aber dennoch stadträumlich wirksam sind.
Dabei wird die Freiraumplanung zum Steuerungselement von
Öffentlichkeit, das in seiner vernetzten Struktur zu einem erweiterbaren
und veränderbaren, teilräumlich wirksamen, determinierenden Ordnungssystem
wird.
|
25
Prozessorientierte Morphologie
Ebene 2: Open System, Gesamtansicht
26
Open System, Detailansicht.
Überlagerung der Strukturen: Offene Räume und die Bebauungspotenziale |
Ergebnis
Drei Aspekte charakterisieren die
Unterscheidung der im Zuge der Arbeit entwickelten
Stadtentwicklungsstrategie im Vergleich zur existierenden
Planungshierarchie: Organisation, Struktur und Prozess.
1. Organisatorisch.
Die dreistufige ‘Prozessorientierte
Morphologieplanung’ ist nicht hierarchisch organisiert, sondern
wechselwirkend. Alle drei Stufen sind keine statischen Instrumente,
sondern flexibel anwendbar und jederzeit veränderbar. Sie definieren nicht
mittels Ausschlusskriterien, sondern durch ein Angebot von Möglichkeiten.
Die ‘Prozessorientierte Morphologieplanung’ fokussiert nicht auf die
Funktion, sondern auf die Form. Sie schafft eine Planungsstrategie mit dem
Ziel der Deregulierung innerhalb eines bestimmten vordefinierten Rahmens.
2. Strukturell.
Das Modell der ‘Kompakten Netzstadt’
charakterisiert eine neuartige stadtstrukturelle Konzeption.
In der Darstellung des ‘Open System’ werden
Freiräume anstelle von Bauräumen planerisch fixiert. Die resultierenden
Baufelder sind mit den bisherigen Typologien umzusetzen. Ihre Struktur
erlaubt allerdings ebenso die Entwicklung neuer Typen. Die vorgesehene
Gliederung und Parzellierung auf den unterschiedlichen maßstäblichen
Ebenen ist dabei funktionsneutral und damit typologisch ungebunden.
3. Prozessual.
Die Neutralität, Variabilität und
Flexibilität werden zum System. Die bisherige Aufgabe der Stadtplanung,
langfristig zu planen, wird zugunsten eines weicheren, prospektiven
Entwicklungsprozesses verändert. Der Aufgabenbereich der Genehmigung von
Vorhaben verändert sich demzufolge hin zur Initiierung, Moderation,
Beurteilung und Dokumentation von städtischen Situationen. Die
ausschließliche Binärdenkweise wird dabei zugunsten einer Formulierung
unterschiedlicher Möglichkeiten aufgegeben, die diskursiv,
interdisziplinär und besonders interkommunal entwickelt werden.
Aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen
kommt einer morphologischen Ausprägung und einer typologischen Gestaltung
von Öffentlichkeit und ‘offenen Räumen’ immer mehr Bedeutung zu.
Gleichzeitig liegt in der aktuellen
Entwicklung aber auch die Notwendigkeit zu einem grundsätzlich neuen
Denkansatz begründet, der eine Abkehr von hierarchischen und statischen
Prinzipien fordert und eine Hinwendung zu sehr viel dynamischeren,
diskursiven Prozessen postuliert.
Das gilt insbesondere für planerische
Abläufe. Auf der Basis der ‘Prozessorientierten Morphologieplanung’ mit
ihren Darstellungsebenen kann die Entwicklung prozessorientierter
Stadtplanung diskursiv ermöglicht werden, um auf bereits vorhandene
gesellschaftliche Veränderungen mit zeitgenössischer und nachhaltiger
Umsetzung reagieren zu können.
|
27
Zukunft Stadt |
Ausblick
Ein neues Leitbild oder gar ein neuer
Stadt-Typus? Ich glaube nicht. Viel eher stellt das Planungsmodell eine
Methode dar, die auf gesellschaftliche Phänomene reagiert und diese
stadträumlich formuliert.
Das Modell ermöglicht dabei eine gewisse
Stabilität, sei es in Zeiten der Schrumpfung oder Phasen des Wachstums:
Ausbau, Umbau oder Abbau von Stadt. Die
Stadtplanung
ist
heute mehr als ein räumlicher Prozess, als eine Festschreibung
baulicher
Einheiten zu begreifen.
Wir müssen
uns mit Stadtstrukturen
auseinanderzusetzen lernen, die sich viel eher wie Organismen
verhalten als wie starre Muster.
Dabei wird das traditionelle, europäische
Stadtbild nicht aufgegeben,
es verändert sich vielmehr und wird um eine
weitere Facette erweitert.
Auch wenn wir Stadt immer mehr als
einen ständigen transformatorischen Prozess begreifen, bedeutet dies nicht
das Ende von Planung, sondern die Art der Planung verändert sich in
gleichem Maße wie soziale Bedürfnisse und Verhaltensweisen.
Und darin
ist
zugleich auch
eine
Chance für die Zukunft des öffentlichen Raums und die Bedeutung
von
Öffentlichkeit
begründet.
|