8. Jg., Heft 2 (März 2004)    

 

___Max Bächer
Stuttgart
 

Viel Lärm um nichts

 

Kommentar zur Gründung der Bundesstiftung Baukultur

Baukultur ist »in«. Man wäscht sich wieder. Manche umso heftiger, je länger sie es für überflüssig hielten. Nachdem sich jahrzehntelang Architekten und Gestalter um die Erhaltung, Pflege und Förderung der Baukultur bemühten, hat sich diese über Nacht in ein flottes Schlagwort verwandelt und fast die abgegriffene »Nachhaltigkeit« abgelöst. So wie vor Zeiten um das Sportreferat, buhlen heute Oberbürgermeister, Dezernenten und Politiker um die Kultur als Konkubine, wobei Kultur den Vorteil hat, dass sie die Aura höherer Bildung verleiht, nicht messbar ist, und dass man sich stets im Nebel der Freiheit der Kunst verbergen kann.

Nun ist sie allenthalben sehr gefragt, gibt Anlass zu öffentlichen Preisverleihungen, Bekenntnissen zu abendländischer Kultur und zur Kritik an unserer Umwelt. Von Baukultur glaubt ohnehin jeder etwas zu verstehen, weshalb nicht definiert zu werden braucht, was man darunter versteht: Der eine hat Wasser im Keller, der andere ist gegen den Aufbau des Berliner Schlosses. So schwand der Respekt vor der beruflichen Arbeit des Architekten, während sich der Begriff Architektur als flotte Mehrzweckmetapher für ganzheitliche Leistungen et
ablierte: »der Architekt der Wiedervereinigung«, »die Architektur der Riester-Rente« oder sogar die »Gesamtarchitektur der Europäischen Verfassung«. Es war vorauszusehen, dass neben so viel Pathos die reale Gestaltung der Umwelt ihren Stellenwert verlieren würde, und nun sind es Politiker und selbsternannte Kulturkritiker, die viel Mühe darauf verwenden, uns klar zu machen, was wir falsch gemacht haben und dass wir einfach Baukultur brauchen, nachdem sich jahrelang kaum jemand von ihnen darum gekümmert hat.

Der so genannte »Erste Konvent Baukultur« ist eben vorüber, dicke Protokolle liegen vor, und schon bald soll sich der Bundestag damit beschäftigen und »Baukultur« beschließen. Der König rief, und alle, alle kamen zur vorläufigen Gründung der »Bundesstiftung Baukultur« in den alten Plenarsaal nach Bonn. Sofern sie namentlich eingeladen waren. Freikarten wurden zwar unter der Hand verteilt. Aber man hatte schon darauf geachtet, dass möglichst keine Ketzer und Querdenker darunter waren. Wie zum Beispiel diese eine Berliner Clique. Und noch so ein paar Dissidenten. Ordnung muss sein. Daran lassen auch die kategorische Sprache der Appelle und die Traktate zur Aufklärung keinen Zweifel, mit der das Neue Testament der Baukultur für sich wirbt. Zwar sind die meisten Seiten leer,
aber immerhin in Leinen gebunden. Auf Inhalte komme es noch nicht an. »Denn eben wo Begriffe fehlen, da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein« wusste schon Mephisto. Man möchte sich des Gedankens erwehren, die hochgestochenen Worte sollten vielleicht deren mangelnde Bedeutung kompensieren. Aber man muss es nicht. Ein Konvent ist und bleibt ein Kloster, die Zusammenkunft seiner Insassen oder die Versammlung der Professoren einer Universität. Der studentische Convent oder der »Kofent« - unter Klosterbrüdern die geläufige Bezeichnung für Dünnbier - waren wohl nicht gemeint. Die »Gründungsmitglieder« und »die Preisträger der Baukultur«, wie sich die gemischte Auswahl von Architekten bezeichnen lassen muss, deren Arbeiten schon bei anderen Verfahren prämiert worden waren, wurde auch nicht eingeladen, sondern »berufen«, was wohl mit akademischen Gebräuchen verwechselt wurde. Es stimmt ärgerlich, wenn Begriffe einfach annektiert werden, um sich selbst mehr Bedeutung zu verleihen. Warum nicht gleich »Konzil« oder »Konklave«? Der Mangel an Kultur, um den es der aufwändig vorbereiteten Initiative geht, macht sich jedenfalls bereits in ihren Ankündigungen bemerkbar.

Das soll nun alles besser werden. Ein marodes »Deutsches Architektur Zentrum Berlin« wurde als »Plattform Baukultur« künstlich beatmet, ein Geschäftsführer bestellt, der zwar nichts mit dem Thema zu tun hat, sich
aber als Fähnleinführer frischwärts »auf den Weg zur Stiftung« nach Bonn machte und vielen erstmals das seltene Erlebnis eines vollbesetzten ehemaligen Plenarsaals vermittelte, dem man noch lange nachtrauern wird. Aber wozu der ganze Aufwand, und was soll von wem und wofür gestiftet werden? Doch darüber müsse der Konvent erst beraten. Verantwortlich für die beklagte Trostlosigkeit unserer Umwelt seien nach allgemeiner Meinung vor allem die Architekten, waren sie doch vorlaut genug, für sich den Alleinvertretungsanspruch für die Gestaltung der gebauten Umwelt zu reklamieren. So etwas rächt sich, und nun sitzen wir seit Jahren schon in der Löwengrube und warten vergeblich darauf, dass uns einer rauslässt.

Man sagt, dass nur noch 35 Prozent des Bauvolumens in der Bundesrepublik von ausgebildeten Architekten geplant werde und weniger als die Hälfte von ihnen mit der Gesamtleistung beauftragt würden, welche für die qualifizierte Planung eines Bauwerks erforderlich ist. Ungebetene Helfer bieten sich inzwischen an, die restlichen Leistungen zu übernehmen, Generalunternehmer, Projektsteuerer, Planungsberater, die sich gegenseitig unterbieten, und der Kampf um die Beute erinnert an
abendliche Tiersendungen über das »Wild Life« in der Savanne. Nicht anders sehen nachher die Opfer aus. Architektenwettbewerbe werden ausgeschrieben und die besten Ergebnisse prämiert. Aber der Gewinner muss froh sein, wenn er noch mit »Leitdetails« beauftragt oder ihm wenigstens ein Mitspracherecht im Sinn einer künstlerischen Beratung eingeräumt wird für ein Projekt, das im Original hundert oder zweihundert mal so groß sein wird wie die Entwurfspläne. Es ist, als ob das Feinschmeckerrezept eines Spitzenkochs ohne dessen Mitwirkung in der Kantine einer Strafanstalt zubereitet würde. Es genügt ja heute schon, wenn man jemanden findet, der als »Planverfasser« eine Zeichnung unterschreibt und bestätigt, dass die gesetzlichen Bestimmungen eingehalten wurden.

Was sollen da die schönen Worte eines Bundespräsidenten in seiner Festrede zur Baukultur oder die eines zwischengelagerten Bundesbauministers, dessen Ressort einem Gemischtwarenladen gleicht, oder eines Savonarola, der sich anbietet, einen Katastrophenbildvortrag von baulicher Unkultur vorzuführen? Aber Seismographen sind nicht für die Erdbeben verantwortlich, die sie anzeigen, und Katastrophen h
aben ihre Ursachen. Es geht nicht um ästhetische Rezepte für die Wiederherstellung einer »Schöngutheit« unserer Umwelt oder gar um die Festlegung von Qualitätskriterien oder »Tendenzen der Baukultur«, wie dies in einer merkwürdig verquasten Sprache in den Broschüren der »Plattform Baukultur« nachzulesen ist: »Der Konvent der Baukultur [ ... ] legt die Richtung fest« oder »berät die Thesen zur Baukultur im 21. Jahrhundert« oder noch überheblicher, »er stellt die Weichen«! Es gibt noch eine Generation, der es bei dieser Sprache eiskalt den Rücken herunter läuft.

Baukultur kann man nicht befehlen, verordnen, festlegen, planen oder kaufen. Sie ist das Ergebnis von Voraussetzungen und Randbedingungen der jeweiligen Zeit und insofern immer ein Spiegelbild der Gesellschaft, ihrer Sehnsüchte, ihres Wollens, ihrer Schwächen, ihrer Stärke, ihrer Irrtümer und ihres Unvermögens. Sie ist kein Architekturmuseum, in dem die besten Bauten des Jahrhunderts - auch nicht des Jahrzehnts - unter Glas präsentiert werden. Sie ist ein kultureller Prozess, der das Große wie das Kleine umfasst. Es geht nicht um Stile oder erzwungenen Konsens. Nicht das einzelne Werk kündet von der Baukultur einer Zeit, sondern das bewusste und koordinierte Zusammenwirken aller Teile zu einem vielfältigen Ganzen.

Nur ist die Unkenntnis der Zusammenhänge von Gesellschaft, Politik und deren Auswirkungen auf die Baukultur bestürzend, wie einige Worte des Bundespräsidenten Rau deutlich machen: »Baukultur ist gewiss ein Luxus,
aber sie ist ein Luxus, auf den ein reiches Land nicht verzichten sollte, das den Anspruch hat, auch eine Kulturnation zu sein.« Nur zur Erinnerung: die oft geschmähte Weimarer Republik war viel zu arm, um sich einen Luxus leisten zu können, aber sie leistete sich eine hohe Baukultur, ästhetisch und sozial. Sie leistete sich den kleinsten und schönsten Pavillon auf der Weltausstellung 1929 aus geliehenen Materialien, der zugleich die bedeutendste Demonstration einer neuen Baukultur war, mit der sich das Deutsche Reich erstmals wieder mit anderen Nationen in Barcelona repräsentierte.

Die Ulmer Hochschule für Gestaltung schuf die Grundlagen der Visuellen Kommunikation in der Nachkriegszeit. Ihre Erfolge machten sie weit über Deutschland hinaus bekannt. Sie wurde geschlossen, weil die Geschwister-Scholl-Stiftung sie nicht mehr allein finanzieren konnte und weil sie außerdem ein politisches Ärgernis war. Aber die arme Schule leistete sich den Luxus der Kreativität, der Qualität und der Unabhängigkeit, die sie berühmt machte.

Zu den Plattitüden gehört auch die Aufforderung des Herrn Bundespräsidenten, es sei vielleicht »an der Zeit, dass die Architekten von ihrem hohen Ross kommen und sich stärker um den Geschmack der Bauherren kümmern und entsprechend bauen«. Wer hat ihm das bloß vorgesagt? Wusste er noch nicht, dass nach der Umfrage einer deutschen Zeitung die Schlumpf-Architektur des Malers Hundertwasser die größte Publikumszustimmung fand? Welche Baukultur mag er wohl im Sinn haben, wenn er uns dabei mit diesen, seinen Worten an unsere Verantwortung gegenüber den Bauherren erinnert? Von Baukultur gibt es offensichtlich auch in dieser Hinsicht recht unterschiedliche Vorstellungen.

Schon vor fast einem Jahrhundert setzte sich der Deutsche Werkbund unter seinem damaligen Geschäftsführer Theodor Heuss für eine Verbesserung der Gestaltung unserer Umwelt ein - vom Suppenlöffel bis zur Landschaft. Beispielhafte Beiträge zur Baukultur entstanden als Antworten auf die jeweiligen Probleme der Zeit, wie die vorbildlichen Wohnsiedlungen der zwanziger Jahre in Frankfurt am Main und Berlin oder wie die experimentelle Weißenhofsiedlung in Stuttgart. 1956 schrieb Richard Neutra Survival Through Design, 1959 wurde das Marler Manifest Gegen die große Landzerstörung verfasst, 1961 schrieb der Kronjurist der SPD Adolf Arndt sein vielzitiertes Traktat Bauen in der Demokratie, seit 1963 reiste die kritische Ausstellung Heimat deine Häuser mit einem Katalog von Forderungen für eine bessere Architektur durch 50 deutsche Städte, 1965 veröffentlichte Alexander Mitscherlich sein Pamphlet Die Unwirtlichkeit der Städte. Ausstellungen wie Halt bei Grün fanden viel Beachtung, die provokative Schrift Profitopolis sowie das Manifest für Architektur erschienen, welches in einige Schulbücher übernommen wurde - fast alles selbst finanzierte Privatinitiativen. Man hat das Gefühl, dass der »Gründungskreis der Baukultur« oder ein »Förderverein Deutsches Architektur Zentrum« davon nie etwas gehört hat.

Der Ruf nach einer Verbesserung der Baukultur ist nicht neu und hatte durchaus einmal das Wertbewusstsein für Architektur und urban design angehoben. Wir brauchen heute weder einen Täufer Johannes noch einen Bußprediger zu ihrer Wiederentdeckung. Offenbar h
aben ihre Herolde noch nicht verstanden, dass Baukultur immer ein Spiegelbild der Gesellschaft ist; sie versuchen Symptome zu beseitigen, ohne nach der Ursache zu fragen. Die Probleme haben sich doch längst von der Gestaltung der Umwelt durch qualifizierte Fachleute auf den Wildwuchs eines kulturlosen Kapitalismus verlagert, welcher Architektur zur Ware gemacht hat und Immobilienfirmen und Investoren zu Raubrittern, die über das Land herfallen und nur an dessen Vermarktung interessiert sind. Dabei werden sie von der Politik und denselben Gruppen unterstützt, die jetzt über die Zerstörung ihrer Umwelt jammern. Wenn das keine Scheinheiligkeit ist, dann kann es nur unglaubliche Naivität oder Dummheit sein. Die traurige Erkenntnis dabei ist, dass die gesetzlichen Grundlagen inzwischen der zunehmenden Gestaltlosigkeit dieser Umwelt immer mehr Vorschub leisten, weshalb die Chancen zu ihrer Verbesserung immer geringer werden; fragte sich doch der ehemalige Stuttgarter Oberbürgermeister Rommel vorwurfsvoll, wo wir denn hinkämen, wenn ein Investor nicht mehr entscheiden könne, was, wo und wie er bauen wolle. Wer sich nicht vor der Erkenntnis der Zusammenhänge von Gesellschaft, Gesetz und Gestalt drückt, muss resigniert feststellen, dass der Staat jedenfalls bisher nichts dazu beigetragen hat, Baukultur zu fördern, und die etwas selbstherrliche Initiative wird daran nichts ändern, weil sie offensichtlich die Probleme gar nicht sehen will oder sehen kann. Wir haben dem Staat nichts zu verdanken - doch der Staat denen sehr viel, die trotz der katastrophalen Verschlechterung der Bedingungen sich noch immer für einen positiven Beitrag zur Baukultur ihrer Zeit engagieren. Es bringt daher gar nichts, wenn stets wieder Dieselben Denselben Dasselbe sagen, solange »Der Konvent« glaubt, erst über die Definition von Baukultur und die Festlegung von Qualitätskriterien diskutieren zu müssen oder sich gar anmaßt, ein Urteil darüber zu fällen, welche Richtung in der Architektur, Ingenieurkunst oder Landschaftsgestaltung die richtige sei. Muss man daran erinnern, dass die Moderne der Zwanziger in den dreißiger Jahren als Kulturbolschewismus diffamiert, danach unter Denkmalschutz gestellt wurde, und dass heute rationalistische Architektur von oberflächlichen Kritikern leichtfertig als faschistisch bezeichnet wird? Wehret den Anfängen! möchte man daher allen zurufen, die sich von einer solchen Bundesinitiative einen Fingerzeig erwarten, in welchem Stil sie bauen sollen, denn die Selektion hat doch in den Köpfen schon begonnen!

Man muss endlich die Missstände auf allen Ebenen ansprechen und ohne falsche Rücksicht Ross und Reiter öffentlich nennen. In Deutschland scheint man es doch seit einiger Zeit darauf angelegt zu h
aben, sich - nicht nur in der Baukultur - national und international zu blamieren; zum Beispiel auf Weltausstellungen, die doch dazu dienen, ein Land öffentlich zu repräsentieren. Große und erfolgreiche Wettbewerbe führten einst zu maßgebenden Beispielen deutscher Architektur wie in Barcelona, Brüssel und Montreal. Heute verschwinden solche Projekte in den Schubladen wie die Pläne für Sevilla, Lissabon oder Hannover, weil kleinlicher Bürokratismus und Faulheit deren Verwirklichung verhindern oder dilettantische Besserwisser sich die Kompetenz der Entscheidung anmaßen. Warum nicht kaufen oder leasen? Schlüsselfertige Dutzendware wird frei Haus geliefert, kein Konzept, kein Kopfzerbrechen, keine Verantwortung, obwohl es im eigenen Land genug hoch qualifizierte alte und junge Architektinnen gibt. Und da fragt sich der Herr Bundespräsident besorgt, »Ob die Präsenz von deutschen Architekten im Ausland ausreichend« sei?«

Die Architektur öffentlicher Bauten und Konzerne muss sich im Vergleich mit anderen Ländern insgesamt weder in den Städten noch in der so genannten Provinz verstecken, und gerade dort finden sich ausgezeichnete Bauten als Gemeinschaftsleistung aufgeschlossener und verantwortungsbewusster Bauherren mit ihren Architekten, auch ohne »die Preisträger der Baukultur« zu sein. Viele kleinere und größere Gemeinden können sich sehen lassen, und man findet landauf, landab Rathäuser, Museen, Sparkassen, Sportstätten, Jugendhäuser und Wohnbauten, die mit regionalen Preisen gewürdigt wurden, und mancher Ort wäre ein architektonisches Wallfahrtsziel, wenn sich die Medien weniger an »Stars« als an Qualitäten orientieren würden. Wenn dennoch die Landschaft verschandelt wird, warum fragt denn keiner danach, wer all die Ortserweiterungen, Gewerbegebiete und Supermärkte an den Ortsrändern geplant und bewilligt hat? Wäre es nicht wichtiger, Ursachenforschung zu betreiben, um erfahren und belegen zu können, warum die Dinge sind, wie sie sind, statt danach zu fragen, wie lange Dekonstruktivismus oder Postmoderne noch toleriert werden dürfen oder was Herr Rau zum Berliner Kanzleramt meint? Wäre nicht die Aufklärung, wer denn die »Unwirtlichkeit« zu verantworten hat und wie sie zustande kommt, ein wichtiger Beitrag zur Baukultur?

In vielen Städten gibt es Gestaltungsbeiräte mit unabhängigen Architekten. Ihre Wirksamkeit hängt davon
ab, ob diese lediglich eine Alibifunktion haben und den Kommunen zur Absegnung unbequemer Entscheidungen dienen, oder - wie beispielsweise der vorbildlich organisierte Salzburger Gestaltungsbeirat - in gesetzlichem Auftrag Projekte vom Bebauungsplan bis zur Ausführung zu beurteilen haben und ermächtigt sind, sie gegebenenfalls auch abzulehnen. Das sind praktische Bausteine, aus denen Baukultur entstehen kann, für die es weder Bundesstiftungen, noch »Konvente« braucht. Schließlich sei daran erinnert, dass auch einzelne Architekten durch ihr Wirken die Baukultur einer ganzen Stadt prägen konnten wie etwa Fritz Schumacher in Hamburg, Ernst May in Frankfurt oder Karljosef Schattner in Eichstätt.

Wettbewerbe liefern wesentliche Beiträge zur Baukultur einer Zeit. Aber es wäre ein Irrtum anzunehmen, diese zeige sich nur in gebauten oder prämierten Projekten. So kam bezeichnenderweise den Gastgebern bei der Bonner Vorstellung prämierter Bauten gar nicht in den Sinn, darauf hinzuweisen, dass diese stellvertretend die Werke von Hunderten von Architektinnen und Architekten repräsentierten, die sich immer wieder der öffentlichen Konkurrenz des Wettbewerbs stellen. Wer denkt d
abei daran, dass der Wettbewerb eben nicht nur der Ermittlung des Ersten Preises dient, sondern in seiner Gesamtheit einen Beitrag von enormer kultureller Bedeutung darstellt, weil er Alternativen aufzeigt und dabei auch Projekte anregt, die nicht eine Welt abbilden, wie sie ist, sondern wie sie sein könnte. Es gibt keinen anderen Berufsstand, der sich auf eigene Kosten und eigenes Risiko freiwillig einem solch rigorosen Verfahren stellt, das die Tendenzen einer Zeit besser reflektiert und durchleuchtet als alle vorgewussten Qualitätskriterien, die zunehmend Baukultur auf das nur Machbare verkürzen. Reiner Zynismus ist es gar, wenn sich gerade die »Preisträger der Baukultur« zur Verbesserung der Baukultur ermahnen lassen müssen, während ihnen gleichzeitig von Staats wegen mit der Sistierung ihrer Gebührenordnung gedroht wird. Und welche perversen Vorstellungen stehen hinter dem absurden Gedanken einer Bundesstiftung Baukultur, wenn sie gerade von denen finanziert werden soll, die sich von Berufs wegen um Baukultur kümmern und sogar dafür ausgezeichnet wurden? Das wäre in etwa so, als bäte die Bundesrepublik Schriftsteller zur Kasse, damit sie gefälligst bessere Bücher schreiben. Mit 100 Euro sind Sie dabei!

Nicht durch Reden, sondern durch konkrete Taten können die beklagten Zustände verbessert werden, deren Ursachen primär im politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Chaos liegen. Wenn der Kapitalismus unser Schicksal ist - und alle Prognosen scheinen das zu bestätigen -, dann bleibt uns nichts anderes übrig, als auf dieser Basis zu suchen, ob und wie er sich auf das Bild der Baukultur auswirkt und ob unser Land unter den gegebenen Umständen den Anspruch auf Kultur erheben kann, wie dies der Bundespräsident einfach als gegeben voraussetzt. Wir stehen der Macht der Lobbys und der Ohnmacht der Politiker gegenüber, die das Steuer längst unter dem verheißungsvollen Vorwand aus der Hand gegeben h
aben, dadurch Freiheit für Alles und jedes garantieren zu können. Aber sie verwechseln dabei Demokratie mit vulgärer Anarchie ohne Selbstkontrolle. Wir brauchen keine neuen Programme, Konvente oder einen auf Jahre hin angelegten strategischen Feldzug, und wir brauchen kein gestalterisches Ermächtigungsgesetz, das wem auch immer das Recht gäbe, über Baukultur zu verfügen.

Blasen diejenigen, die diese Initiative vom Stapel gelassen h
aben, sich nicht nur kräftig Wind in die eigenen Segel? Die Bundesstiftung Baukultur baut auf der negativen Annahme auf, unsere Umwelt sei schlecht, weil Architekten und Ingenieure schlecht seien. Niemand hat behauptet, wir seien besser als andere Gruppen unserer Gesellschaft. Aber niemand sollte die Augen vor dem Kulturdilettantismus verschließen, der doch allerorten den Sieg der Inkompetenz über die Kompetenz feiert.

Don Quichotte de la Mancha legte seine Lanze ein, um für eine Idee zu kämpfen, die nur in seiner Vorstellung existierte. Als er sich am Ende seiner Abenteuer mit seinen Irrtümern und den Tatsachen konfrontiert sah, brach er zusammen. Anstatt es so weit kommen zu lassen, könnte man sich überlegen, warum man nicht das Beispiel Finnlands übernimmt, wo die Verfassung jedem Bürger den Anspruch auf eine lebenswert gestaltete Umwelt sichert. Das wäre ein effektiver Beitrag zur Baukultur. Es ist allerdings zu befürchten, dass dieser Vorschlag hierzulande keine Chance hätte. Dazu wäre er einfach zu einfach.


Erstveröffentlichung in:
'ach, egon', Zeitschrift des Lehrstuhls Gebäudelehre und Entwerfen, Universität Karlsruhe
 


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