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Kommentar zur Gründung der Bundesstiftung Baukultur
Baukultur ist »in«. Man wäscht sich wieder. Manche umso heftiger, je länger sie
es für überflüssig hielten. Nachdem sich jahrzehntelang Architekten und
Gestalter um die Erhaltung, Pflege und Förderung der Baukultur bemühten, hat
sich diese über Nacht in ein flottes Schlagwort verwandelt und fast die
abgegriffene »Nachhaltigkeit« abgelöst. So wie vor Zeiten um das Sportreferat,
buhlen heute Oberbürgermeister, Dezernenten und Politiker um die Kultur als
Konkubine, wobei Kultur den Vorteil hat, dass sie die Aura höherer Bildung
verleiht, nicht messbar ist, und dass man sich stets im Nebel der Freiheit der
Kunst verbergen kann.
Nun ist sie allenthalben sehr gefragt, gibt Anlass zu öffentlichen
Preisverleihungen, Bekenntnissen zu abendländischer Kultur und zur Kritik an
unserer Umwelt. Von Baukultur glaubt ohnehin jeder etwas zu verstehen, weshalb
nicht definiert zu werden braucht, was man darunter versteht: Der eine hat
Wasser im Keller, der andere ist gegen den Aufbau des Berliner Schlosses. So
schwand der Respekt vor der beruflichen Arbeit des Architekten, während sich der
Begriff Architektur als flotte Mehrzweckmetapher für ganzheitliche Leistungen etablierte:
»der Architekt der Wiedervereinigung«, »die Architektur der Riester-Rente« oder
sogar die »Gesamtarchitektur der Europäischen Verfassung«. Es war vorauszusehen,
dass neben so viel Pathos die reale Gestaltung der Umwelt ihren Stellenwert
verlieren würde, und nun sind es Politiker und selbsternannte Kulturkritiker,
die viel Mühe darauf verwenden, uns klar zu machen, was wir falsch gemacht haben
und dass wir einfach Baukultur brauchen, nachdem sich jahrelang kaum jemand von
ihnen darum gekümmert hat.
Der so genannte »Erste Konvent Baukultur« ist eben vorüber, dicke Protokolle
liegen vor, und schon bald soll sich der Bundestag damit beschäftigen und
»Baukultur« beschließen. Der König rief, und alle, alle kamen zur vorläufigen
Gründung der »Bundesstiftung Baukultur« in den alten Plenarsaal nach Bonn.
Sofern sie namentlich eingeladen waren. Freikarten wurden zwar unter der Hand
verteilt. Aber man hatte schon darauf geachtet, dass möglichst keine Ketzer und
Querdenker darunter waren. Wie zum Beispiel diese eine Berliner Clique. Und noch
so ein paar Dissidenten. Ordnung muss sein. Daran lassen auch die kategorische
Sprache der Appelle und die Traktate zur Aufklärung keinen Zweifel, mit der das
Neue Testament der Baukultur für sich wirbt. Zwar sind die meisten Seiten leer,
aber
immerhin in Leinen gebunden. Auf Inhalte komme es noch nicht an. »Denn eben wo
Begriffe fehlen, da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein« wusste schon
Mephisto. Man möchte sich des Gedankens erwehren, die hochgestochenen Worte
sollten vielleicht deren mangelnde Bedeutung kompensieren. Aber man muss es
nicht. Ein Konvent ist und bleibt ein Kloster, die Zusammenkunft seiner Insassen
oder die Versammlung der Professoren einer Universität. Der studentische Convent
oder der »Kofent« - unter Klosterbrüdern die geläufige Bezeichnung für Dünnbier
- waren wohl nicht gemeint. Die »Gründungsmitglieder« und »die Preisträger der
Baukultur«, wie sich die gemischte Auswahl von Architekten bezeichnen lassen
muss, deren Arbeiten schon bei anderen Verfahren prämiert worden waren, wurde
auch nicht eingeladen, sondern »berufen«, was wohl mit akademischen Gebräuchen
verwechselt wurde. Es stimmt ärgerlich, wenn Begriffe einfach annektiert werden,
um sich selbst mehr Bedeutung zu verleihen. Warum nicht gleich »Konzil« oder
»Konklave«? Der Mangel an Kultur, um den es der aufwändig vorbereiteten
Initiative geht, macht sich jedenfalls bereits in ihren Ankündigungen bemerkbar.
Das soll nun alles besser werden. Ein marodes »Deutsches Architektur Zentrum
Berlin« wurde als »Plattform Baukultur« künstlich beatmet, ein Geschäftsführer
bestellt, der zwar nichts mit dem Thema zu tun hat, sich
aber als Fähnleinführer
frischwärts »auf den Weg zur Stiftung« nach Bonn machte und vielen erstmals das
seltene Erlebnis eines vollbesetzten ehemaligen Plenarsaals vermittelte, dem man
noch lange nachtrauern wird. Aber wozu der ganze Aufwand, und was soll von wem
und wofür gestiftet werden? Doch darüber müsse der Konvent erst beraten.
Verantwortlich für die beklagte Trostlosigkeit unserer Umwelt seien nach
allgemeiner Meinung vor allem die Architekten, waren sie doch vorlaut genug, für
sich den Alleinvertretungsanspruch für die Gestaltung der gebauten Umwelt zu
reklamieren. So etwas rächt sich, und nun sitzen wir seit Jahren schon in der
Löwengrube und warten vergeblich darauf, dass uns einer rauslässt.
Man sagt, dass nur noch 35 Prozent des Bauvolumens in der Bundesrepublik von
ausgebildeten Architekten geplant werde und weniger als die Hälfte von ihnen mit
der Gesamtleistung beauftragt würden, welche für die qualifizierte Planung eines
Bauwerks erforderlich ist. Ungebetene Helfer bieten sich inzwischen an, die
restlichen Leistungen zu übernehmen, Generalunternehmer, Projektsteuerer,
Planungsberater, die sich gegenseitig unterbieten, und der Kampf um die Beute
erinnert an abendliche
Tiersendungen über das »Wild Life« in der Savanne. Nicht anders sehen nachher
die Opfer aus. Architektenwettbewerbe werden ausgeschrieben und die besten
Ergebnisse prämiert. Aber der Gewinner muss froh sein, wenn er noch mit
»Leitdetails« beauftragt oder ihm wenigstens ein Mitspracherecht im Sinn einer
künstlerischen Beratung eingeräumt wird für ein Projekt, das im Original hundert
oder zweihundert mal so groß sein wird wie die Entwurfspläne. Es ist, als ob das
Feinschmeckerrezept eines Spitzenkochs ohne dessen Mitwirkung in der Kantine
einer Strafanstalt zubereitet würde. Es genügt ja heute schon, wenn man jemanden
findet, der als »Planverfasser« eine Zeichnung unterschreibt und bestätigt, dass
die gesetzlichen Bestimmungen eingehalten wurden.
Was sollen da die schönen Worte eines Bundespräsidenten in seiner Festrede zur
Baukultur oder die eines zwischengelagerten Bundesbauministers, dessen Ressort
einem Gemischtwarenladen gleicht, oder eines Savonarola, der sich anbietet,
einen Katastrophenbildvortrag von baulicher Unkultur vorzuführen? Aber
Seismographen sind nicht für die Erdbeben verantwortlich, die sie anzeigen, und
Katastrophen haben
ihre Ursachen. Es geht nicht um ästhetische Rezepte für die Wiederherstellung
einer »Schöngutheit« unserer Umwelt oder gar um die Festlegung von
Qualitätskriterien oder »Tendenzen der Baukultur«, wie dies in einer merkwürdig
verquasten Sprache in den Broschüren der »Plattform Baukultur« nachzulesen ist:
»Der Konvent der Baukultur [ ... ] legt die Richtung fest« oder »berät die
Thesen zur Baukultur im 21. Jahrhundert« oder noch überheblicher, »er stellt die
Weichen«! Es gibt noch eine Generation, der es bei dieser Sprache eiskalt den
Rücken herunter läuft.
Baukultur kann man nicht befehlen, verordnen, festlegen, planen oder kaufen. Sie
ist das Ergebnis von Voraussetzungen und Randbedingungen der jeweiligen Zeit und
insofern immer ein Spiegelbild der Gesellschaft, ihrer Sehnsüchte, ihres
Wollens, ihrer Schwächen, ihrer Stärke, ihrer Irrtümer und ihres Unvermögens.
Sie ist kein Architekturmuseum, in dem die besten Bauten des Jahrhunderts - auch
nicht des Jahrzehnts - unter Glas präsentiert werden. Sie ist ein kultureller
Prozess, der das Große wie das Kleine umfasst. Es geht nicht um Stile oder
erzwungenen Konsens. Nicht das einzelne Werk kündet von der Baukultur einer
Zeit, sondern das bewusste und koordinierte Zusammenwirken aller Teile zu einem
vielfältigen Ganzen.
Nur ist die Unkenntnis der Zusammenhänge von Gesellschaft, Politik und deren
Auswirkungen auf die Baukultur bestürzend, wie einige Worte des
Bundespräsidenten Rau deutlich machen: »Baukultur ist gewiss ein Luxus,
aber sie ist ein Luxus, auf
den ein reiches Land nicht verzichten sollte, das den Anspruch hat, auch eine
Kulturnation zu sein.« Nur zur Erinnerung: die oft geschmähte Weimarer Republik
war viel zu arm, um sich einen Luxus leisten zu können, aber sie leistete sich
eine hohe Baukultur, ästhetisch und sozial. Sie leistete sich den kleinsten und
schönsten Pavillon auf der Weltausstellung 1929 aus geliehenen Materialien, der
zugleich die bedeutendste Demonstration einer neuen Baukultur war, mit der sich
das Deutsche Reich erstmals wieder mit anderen Nationen in Barcelona
repräsentierte.
Die Ulmer Hochschule für Gestaltung schuf die Grundlagen der Visuellen
Kommunikation in der Nachkriegszeit. Ihre Erfolge machten sie weit über
Deutschland hinaus bekannt. Sie wurde geschlossen, weil die
Geschwister-Scholl-Stiftung sie nicht mehr allein finanzieren konnte und weil
sie außerdem ein politisches Ärgernis war. Aber die arme Schule leistete sich
den Luxus der Kreativität, der Qualität und der Unabhängigkeit, die sie berühmt
machte.
Zu den Plattitüden gehört auch die Aufforderung des Herrn Bundespräsidenten, es
sei vielleicht »an der Zeit, dass die Architekten von ihrem hohen Ross kommen
und sich stärker um den Geschmack der Bauherren kümmern und entsprechend bauen«.
Wer hat ihm das bloß vorgesagt? Wusste er noch nicht, dass nach der Umfrage
einer deutschen Zeitung die Schlumpf-Architektur des Malers Hundertwasser die
größte Publikumszustimmung fand? Welche Baukultur mag er wohl im Sinn haben,
wenn er uns dabei mit diesen, seinen Worten an unsere Verantwortung gegenüber
den Bauherren erinnert? Von Baukultur gibt es offensichtlich auch in dieser
Hinsicht recht unterschiedliche Vorstellungen.
Schon vor fast einem Jahrhundert setzte sich der Deutsche Werkbund unter seinem
damaligen Geschäftsführer Theodor Heuss für eine Verbesserung der Gestaltung
unserer Umwelt ein - vom Suppenlöffel bis zur Landschaft. Beispielhafte Beiträge
zur Baukultur entstanden als Antworten auf die jeweiligen Probleme der Zeit, wie
die vorbildlichen Wohnsiedlungen der zwanziger Jahre in Frankfurt am Main und
Berlin oder wie die experimentelle Weißenhofsiedlung in Stuttgart. 1956 schrieb
Richard Neutra Survival Through Design, 1959 wurde das Marler Manifest
Gegen die große Landzerstörung verfasst, 1961 schrieb der Kronjurist der SPD
Adolf Arndt sein vielzitiertes Traktat Bauen in der Demokratie, seit 1963
reiste die kritische Ausstellung Heimat deine Häuser mit einem Katalog
von Forderungen für eine bessere Architektur durch 50 deutsche Städte, 1965
veröffentlichte Alexander Mitscherlich sein Pamphlet Die Unwirtlichkeit der
Städte. Ausstellungen wie Halt bei Grün fanden viel Beachtung, die
provokative Schrift Profitopolis sowie das Manifest für Architektur
erschienen, welches in einige Schulbücher übernommen wurde - fast alles
selbst finanzierte Privatinitiativen. Man hat das Gefühl, dass der
»Gründungskreis der Baukultur« oder ein »Förderverein Deutsches Architektur
Zentrum« davon nie etwas gehört hat.
Der Ruf nach einer Verbesserung der Baukultur ist nicht neu und hatte durchaus
einmal das Wertbewusstsein für Architektur und urban design angehoben. Wir
brauchen heute weder einen Täufer Johannes noch einen Bußprediger zu ihrer
Wiederentdeckung. Offenbar haben
ihre Herolde noch nicht verstanden, dass Baukultur immer ein Spiegelbild der
Gesellschaft ist; sie versuchen Symptome zu beseitigen, ohne nach der Ursache zu
fragen. Die Probleme haben
sich doch längst von der Gestaltung der Umwelt durch qualifizierte Fachleute auf
den Wildwuchs eines kulturlosen Kapitalismus verlagert, welcher Architektur zur
Ware gemacht hat und Immobilienfirmen und Investoren zu Raubrittern, die über
das Land herfallen und nur an dessen Vermarktung interessiert sind. Dabei werden
sie von der Politik und denselben Gruppen unterstützt, die jetzt über die
Zerstörung ihrer Umwelt jammern. Wenn das keine Scheinheiligkeit ist, dann kann
es nur unglaubliche Naivität oder Dummheit sein. Die traurige Erkenntnis dabei
ist, dass die gesetzlichen Grundlagen inzwischen der zunehmenden
Gestaltlosigkeit dieser Umwelt immer mehr Vorschub leisten, weshalb die Chancen
zu ihrer Verbesserung immer geringer werden; fragte sich doch der ehemalige
Stuttgarter Oberbürgermeister Rommel vorwurfsvoll, wo wir denn hinkämen, wenn
ein Investor nicht mehr entscheiden könne, was, wo und wie er bauen wolle. Wer
sich nicht vor der Erkenntnis der Zusammenhänge von Gesellschaft, Gesetz und
Gestalt drückt, muss resigniert feststellen, dass der Staat jedenfalls bisher
nichts dazu beigetragen hat, Baukultur zu fördern, und die etwas selbstherrliche
Initiative wird daran nichts ändern, weil sie offensichtlich die Probleme gar
nicht sehen will oder sehen kann. Wir haben
dem Staat nichts zu verdanken - doch der Staat denen sehr viel, die trotz der
katastrophalen Verschlechterung der Bedingungen sich noch immer für einen
positiven Beitrag zur Baukultur ihrer Zeit engagieren. Es bringt daher gar
nichts, wenn stets wieder Dieselben Denselben Dasselbe sagen, solange »Der
Konvent« glaubt, erst über die Definition von Baukultur und die Festlegung von
Qualitätskriterien diskutieren zu müssen oder sich gar anmaßt, ein Urteil
darüber zu fällen, welche Richtung in der Architektur, Ingenieurkunst oder
Landschaftsgestaltung die richtige sei. Muss man daran erinnern, dass die
Moderne der Zwanziger in den dreißiger Jahren als Kulturbolschewismus
diffamiert, danach unter Denkmalschutz gestellt wurde, und dass heute
rationalistische Architektur von oberflächlichen Kritikern leichtfertig als
faschistisch bezeichnet wird? Wehret den Anfängen! möchte man daher allen
zurufen, die sich von einer solchen Bundesinitiative einen Fingerzeig erwarten,
in welchem Stil sie bauen sollen, denn die Selektion hat doch in den Köpfen
schon begonnen!
Man muss endlich die Missstände auf allen Ebenen ansprechen und ohne falsche
Rücksicht Ross und Reiter öffentlich nennen. In Deutschland scheint man es doch
seit einiger Zeit darauf angelegt zu haben,
sich - nicht nur in der Baukultur - national und international zu blamieren; zum
Beispiel auf Weltausstellungen, die doch dazu dienen, ein Land öffentlich zu
repräsentieren. Große und erfolgreiche Wettbewerbe führten einst zu maßgebenden
Beispielen deutscher Architektur wie in Barcelona, Brüssel und Montreal. Heute
verschwinden solche Projekte in den Schubladen wie die Pläne für Sevilla,
Lissabon oder Hannover, weil kleinlicher Bürokratismus und Faulheit deren
Verwirklichung verhindern oder dilettantische Besserwisser sich die Kompetenz
der Entscheidung anmaßen. Warum nicht kaufen oder leasen? Schlüsselfertige
Dutzendware wird frei Haus geliefert, kein Konzept, kein Kopfzerbrechen, keine
Verantwortung, obwohl es im eigenen Land genug hoch qualifizierte alte und junge
Architektinnen gibt. Und da fragt sich der Herr Bundespräsident besorgt, »Ob die
Präsenz von deutschen Architekten im Ausland ausreichend« sei?«
Die
Architektur öffentlicher Bauten und Konzerne muss sich im Vergleich mit anderen
Ländern insgesamt weder in den Städten noch in der so genannten Provinz
verstecken, und gerade dort finden sich ausgezeichnete Bauten als
Gemeinschaftsleistung aufgeschlossener und verantwortungsbewusster Bauherren mit
ihren Architekten, auch ohne »die Preisträger der Baukultur« zu sein. Viele
kleinere und größere Gemeinden können sich sehen lassen, und man findet landauf,
landab Rathäuser, Museen, Sparkassen, Sportstätten, Jugendhäuser und Wohnbauten,
die mit regionalen Preisen gewürdigt wurden, und mancher Ort wäre ein
architektonisches Wallfahrtsziel, wenn sich die Medien weniger an »Stars« als an
Qualitäten orientieren würden. Wenn dennoch die Landschaft verschandelt wird,
warum fragt denn keiner danach, wer all die Ortserweiterungen, Gewerbegebiete
und Supermärkte an den Ortsrändern geplant und bewilligt hat? Wäre es nicht
wichtiger, Ursachenforschung zu betreiben, um erfahren und belegen zu können,
warum die Dinge sind, wie sie sind, statt danach zu fragen, wie lange
Dekonstruktivismus oder Postmoderne noch toleriert werden dürfen oder was Herr
Rau zum Berliner Kanzleramt meint? Wäre nicht die Aufklärung, wer denn die
»Unwirtlichkeit« zu verantworten hat und wie sie zustande kommt, ein wichtiger
Beitrag zur Baukultur?
In
vielen Städten gibt es Gestaltungsbeiräte mit unabhängigen Architekten. Ihre
Wirksamkeit hängt davon
ab,
ob diese lediglich eine Alibifunktion haben
und den Kommunen zur Absegnung unbequemer Entscheidungen dienen, oder - wie
beispielsweise der vorbildlich organisierte Salzburger Gestaltungsbeirat - in
gesetzlichem Auftrag Projekte vom Bebauungsplan bis zur Ausführung zu beurteilen
haben und ermächtigt sind, sie gegebenenfalls auch
abzulehnen.
Das sind praktische Bausteine, aus denen Baukultur entstehen kann, für die es
weder Bundesstiftungen, noch »Konvente« braucht. Schließlich sei daran erinnert,
dass auch einzelne Architekten durch ihr Wirken die Baukultur einer ganzen Stadt
prägen konnten wie etwa Fritz Schumacher in Hamburg, Ernst May in Frankfurt oder
Karljosef Schattner in Eichstätt.
Wettbewerbe liefern wesentliche Beiträge zur Baukultur einer Zeit. Aber es wäre
ein Irrtum anzunehmen, diese zeige sich nur in gebauten oder prämierten
Projekten. So kam bezeichnenderweise den Gastgebern bei der Bonner Vorstellung
prämierter Bauten gar nicht in den Sinn, darauf hinzuweisen, dass diese
stellvertretend die Werke von Hunderten von Architektinnen und Architekten
repräsentierten, die sich immer wieder der öffentlichen Konkurrenz des
Wettbewerbs stellen. Wer denkt dabei
daran, dass der Wettbewerb eben nicht nur der Ermittlung des Ersten Preises
dient, sondern in seiner Gesamtheit einen Beitrag von enormer kultureller
Bedeutung darstellt, weil er Alternativen aufzeigt und dabei
auch Projekte anregt, die nicht eine Welt
abbilden,
wie sie ist, sondern wie sie sein könnte. Es gibt keinen anderen Berufsstand,
der sich auf eigene Kosten und eigenes Risiko freiwillig einem solch rigorosen
Verfahren stellt, das die Tendenzen einer Zeit besser reflektiert und
durchleuchtet als alle vorgewussten Qualitätskriterien, die zunehmend Baukultur
auf das nur Machbare verkürzen. Reiner Zynismus ist es gar, wenn sich gerade die
»Preisträger der Baukultur« zur Verbesserung der Baukultur ermahnen lassen
müssen, während ihnen gleichzeitig von Staats wegen mit der Sistierung ihrer
Gebührenordnung gedroht wird. Und welche perversen Vorstellungen stehen hinter
dem absurden
Gedanken einer Bundesstiftung Baukultur, wenn sie gerade von denen finanziert
werden soll, die sich von Berufs wegen um Baukultur kümmern und sogar dafür
ausgezeichnet wurden? Das wäre in etwa so, als bäte die Bundesrepublik
Schriftsteller zur Kasse, damit sie gefälligst bessere Bücher schreiben. Mit 100
Euro sind Sie dabei!
Nicht durch Reden, sondern durch konkrete Taten können die beklagten Zustände
verbessert werden, deren Ursachen primär im politischen, gesellschaftlichen und
wirtschaftlichen Chaos liegen. Wenn der Kapitalismus unser Schicksal ist - und
alle Prognosen scheinen das zu bestätigen -, dann bleibt uns nichts anderes
übrig, als auf dieser Basis zu suchen, ob und wie er sich auf das Bild der
Baukultur auswirkt und ob unser Land unter den gegebenen Umständen den Anspruch
auf Kultur erheben kann, wie dies der Bundespräsident einfach als gegeben
voraussetzt. Wir stehen der Macht der Lobbys und der Ohnmacht der Politiker
gegenüber, die das Steuer längst unter dem verheißungsvollen Vorwand aus der
Hand gegeben haben,
dadurch Freiheit für Alles und jedes garantieren zu können. Aber sie verwechseln
dabei
Demokratie mit vulgärer Anarchie ohne Selbstkontrolle. Wir brauchen keine neuen
Programme, Konvente oder einen auf Jahre hin angelegten strategischen Feldzug,
und wir brauchen kein gestalterisches Ermächtigungsgesetz, das wem auch immer
das Recht gäbe, über Baukultur zu verfügen.
Blasen diejenigen, die diese Initiative vom Stapel gelassen haben,
sich nicht nur kräftig Wind in die eigenen Segel? Die Bundesstiftung Baukultur
baut auf der negativen Annahme auf, unsere Umwelt sei schlecht, weil Architekten
und Ingenieure schlecht seien. Niemand hat behauptet, wir seien besser als
andere Gruppen unserer Gesellschaft. Aber niemand sollte die Augen vor dem
Kulturdilettantismus verschließen, der doch allerorten den Sieg der Inkompetenz
über die Kompetenz feiert.
Don Quichotte de la Mancha legte seine Lanze ein, um für eine Idee zu kämpfen,
die nur in seiner Vorstellung existierte. Als er sich am Ende seiner Abenteuer
mit seinen Irrtümern und den Tatsachen konfrontiert sah, brach er zusammen.
Anstatt es so weit kommen zu lassen, könnte man sich überlegen, warum man nicht
das Beispiel Finnlands übernimmt, wo die Verfassung jedem Bürger den Anspruch
auf eine lebenswert gestaltete Umwelt sichert. Das wäre ein effektiver Beitrag
zur Baukultur. Es ist allerdings zu befürchten, dass dieser Vorschlag
hierzulande keine Chance hätte. Dazu wäre er einfach zu einfach.
Erstveröffentlichung in:
'ach, egon', Zeitschrift des Lehrstuhls Gebäudelehre und Entwerfen,
Universität Karlsruhe
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