8. Jg., Heft 2
März 2004
   
   
Redaktion:   Claus Dreyer, Eduard Führ, Susanne Hauser
Organisation, Lektorat und Layout:
 

Tondokument

  Heidrun Bastian, Ehrengard Heinzig


 

Walter Gropius
1. Ansprache zur Eröffnung der Hochschule für Gestaltung in Ulm vom 02. Oktober 1955.

Stream mit freundlicher Genehmigung der 'Bauwelt'.

   

(Downloaden des Players)




Eduard Führ

   




Baukultur - Fragen über Fragen

   
Kampagnen
Ray Huff   Von der Notwendigkeit der Architektur
Matthew Hardy   Das Programm des internationalen Netzwerks für
traditionelles Bauen, Architektur & Urbanismus (INTBAU)
Ulrike Rose
& Ullrich Schwarz
  Auf dem Weg zur Bundesstiftung 'Baukultur'
Stephan Willinger   Die Baukulturen der Gesellschaft.
Bedingungen einer wirkungsvollen Architekturpolitik
Christine Edmaier   "...denn wer will sagen, was Schönheit sei."
Zuständigkeit und Legitimation einer elitären Ästhetik
   
Diskurs
Max Bächer   Viel Lärm um nichts
Hermann Hipp   Perspektiven der Baukultur in Hamburg
Walter Nägeli
& Gudrun Sack
  Sieben Fragen von Raumproduzenten an Raumproduzenten
     
Claus Dreyer   Architektur als Alltags- oder Hochkultur?
Joachim Ganzert   Zum Bedeutungskontext der Begriffe 'Kultur' / 'Baukultur'
Ursula Baus   Zwei Aspekte des Umgangs mit 'Geschichte
Kommerzialisierung und ideologische Ausbeutung
Christine Dissmann   Baukultur - ein Ausdruck herrschender Machtverhältnisse?
Jörn Köppler   Baukultur und Versöhnung
Oxana Makhneva   Die Gesellschaft im Schaffen von Claude-Nicolas Ledoux
   
Uwe Altrock   Stadtbaukultur - Modebegriff oder innovatives Programm?
Friedhelm Fischer   Planungskultur - Beplanungskultur
Ulf Matthiesen   Baukultur in Suburbia
Jürgen Hasse   'Landschaftskultur' - integrales Moment von Bau-, Stadt- und Lebenskultur
   
Katja Pahl
& Silke Voßkötter
  Baukultur als Prozess
Andrea Haase   Kultur der Anlage und Nutzung von Räumen
Walter Prigge   Zur Konstruktion von Atmosphären
 
     


Linkliste zum Thema 'Baukultur'
auf der Internetseite der "Initiative Architektur und Baukultur" des BMVBW

 

   
abstracts:    
___Eduard Führ
Cottbus
 
Baukultur - Fragen über Fragen
Editorial

 

(Artikel auch in Englisch)  


Kampagnen
   
 
___Ray Huff
Charleston
 
Von der Notwendigkeit der Architektur

Wie würde der Maler oder Dichter etwas anderes
als seine Begegnung mit der Welt ausdrücken?
Maurice Merleau-Ponty, Signs

Der Vortrag ist in zwei Teile gegliedert, zuerst erfolgt ein Überblick über das Design Excellence Program in den USA, sodann eine Polemik mit dem Titel „Über die Notwendigkeit der Architektur“, die ich an Hand von zwei neuen Projekten von Huff + Gooden Architects erläutern werde.
 
Das Schaffen von Architektur kann zwischen zwei (manchmal dialektisch entgegengesetzten) Positionen stattfinden. Nach der einen Ansicht wird Architektur vom gesellschaftlichen oder wirtschaftlichem Bedarf getragen, der die Werte einer kulturellen oder politischen Situation spiegelt. Nach der anderen Ansicht wird Architektur als Ideal reiner Vorstellungskraft geschaffen oder als etwas mit einer inneren hermetischen Logik, das bereits abgeschlossen ist, jedoch programmiert werden kann oder auch eben nicht.
Unsere Arbeit versucht, das Schaffen von kritischer Architektur einzubeziehen, unter gleichzeitiger Verwendung von revolutionären Strömungen und evolutionären Bewegungen. Als Grundlage unserer Arbeit besteht die Notwendigkeit der Architektur in der Erfahrung von Architektur, um einen intellektuell, räumlich und spirituell zu bewegen.
 

(Artikel in Englisch)

___Matthew Hardy
London
 
Das Programm des internationalen Netzwerks für
traditionelles Bauen, Architektur & Urbanismus (INTBAU)

INTBAU ist die internationale Schwesternorganisation der Prince’s Foundation, London und versucht, die traditionellen Bauhandwerke, Architektur und Urbanismus zu fördern.
In den meisten Ländern werden die traditionellen Bauformen von der herrschenden Kultur unterdrückt, die ihrerseits versucht, die Moderne zu fördern. Traditionelle Städte werden von der Ausbreitung  multinationaler Architekturstile bedroht, die in den größten Volkswirtschaften der industrialisierten Welt geprägt werden. Traditionelle Handwerksfertigkeit wird durch Bauentwürfe gefährdet, in denen Bauen auf das wiederholte Zusammenfügen industriell vorgefertigter Bauteile durch ungelernte Arbeiter reduziert wird. An Stelle von kultureller und kontextueller Behutsamkeit sehen wir, wie die Hauptvertreter der Moderne Architekturstile zu schöpfen versuchen, die auf einen globalisierten oder Markenstil hinauslaufen. Sorgfältige Instandhaltung von traditionellen Gebäuden ist eine zentrale Strategie für viele erfolgreiche Städte und Regionen, die sich in der neuen Weltwirtschaft herausheben. Kluge Stadtverwaltungen wissen, dass traditionelle Gebäude helfen, eine Umgebung zu schaffen, die hoch mobile Facharbeiter anzieht und dass sie die Flexibilität für Anpassung und Änderungen bieten, um die Netzwerke von kleinen untereinander verbundenen Unternehmen aufzunehmen, die die erfolgreichen Wirtschaften auszeichnen. In weniger erfolgreichen Regionen werden traditionelles Bauen, Architektur und stadtplanerische Fertigkeiten dringend gebraucht, um historische Stätten, Städte und Landschaften zu erneuern und zu erhalten. Traditionen bieten auch Mittel, um die Einzigartigkeit und die Stärken der örtlichen Wirtschaft unter dem wirtschaftlichen Druck, Produktionskosten zu senken, zu erhalten. Tradition ist keine statische oder feste Idee. Traditionen können modern sein, und neue können erfunden werden, wie Hobsbawm‘s wegweisende Arbeit von 1983 "Die Erfindung der Tradition" zeigte. Traditionen ermöglichen die Bestimmung von kulturellen Unterschieden. Tradition gibt Einzelpersonen eine Identität und bietet Mittel, ihre eigene Kultur zu definieren. Traditionen werden als Teil einer Gruppenidentität erschaffen und liefern einen wichtigen Beitrag zur Unterscheidung von örtlichen Regionen. Geschichte wird jedoch in modernistisch geprägten Architekturschulen als tote Materie gelehrt und nicht als Material für das Entwerfen. INTBAU versucht seine Ziele durch das Vernetzen interessierter Einzelpersonen mit vorhandenen nationalen Organisationen, sowie durch eine Reihe von Aktivitäten, wie Konferenzen, Entwurfsworkshops und Gemeindearbeit zu verfolgen.
 

(Artikel in Englisch)

___Ulrike Rose
&

___Ullrich Schwarz
Berlin
 
Auf dem Weg zur Bundesstiftung 'Baukultur'

Wie fing es an? Beginn der Initiative Baukultur 2000. Lenkungskreis und bisherige Aktionen der Initiative (Beispiele)
Die Idee der Stiftung. Warum eine weitere Institution? Bisherige Institutionen/Initiativen haben nicht ausgereichend erreichen können. Kammern und Verbände müssen Lobbyarbeit leisten, können nicht kritisieren. Wer steht hinter der Stiftungsidee. Die vier Moderatoren. Der Gründerkreis und seine Zusammensetzung. Welche Aufgaben will die Stiftung bearbeiten? („Experiment Baukultur“; Wettbewerb „Bundeshauptstadt Baukultur“; „Schwarz-Weiß-Buch“; „Netzwerkgespräch“; „Qualitätsoffensive Baukultur“; „Bericht zur Lage der Baukultur“)

Der Konvent der Baukultur. Die Rolle des Konvents jetzt und zukünftig. Der 1. Konvent der Baukultur im April 2003 in Bonn. Das neu gewählte Präsidium des Konvents. Die Finanzierung der Stiftung. Wer fördert den Aufbau der Stiftung? Welcher Etat wird benötigt? Generierung des Stiftungskapitals. Die 100-Euro-Aktion: Vorgehensweise und Zwischenstand. Die Ansprache der Wirtschaft Weitere Schritte: Bericht an die Bundesregierung. Das Gesetzgebungsverfahren. Geplante Stiftungsgründung: 2005.
 

(Artikel auch in Englisch)

___Stephan Willinger
Bonn
 
Die Baukulturen der Gesellschaft –
Bedingungen einer wirkungsvollen Architekturpolitik

Der Begriff Baukultur wird in der seit einigen Jahren aufkommenden Debatte häufig mit einer Selbstverständlichkeit gebraucht, die nicht der Realität des Planens und Bauens entspricht und kulturtheoretische Erkenntnisse ignoriert. Um den Begriff sinnvoll nutzen zu können, also auf eine Weise, die in den sozialen Gruppen auch Resonanzen erzeugt, muss man ihn auf eine ungewohnte Art und Weise betrachten.

Der Vorschlag lautet, Baukultur im Gegensatz zur traditionellen Sichtweise nicht monozentrisch definieren zu wollen, sondern sie als ein plurales Phänomen zu verstehen. Eine Debatte um Baukultur handelt dann nicht von Kultiviertheit, sondern von Entscheidungsprozessen, von demokratischen Strategien. Und Baukultur kann so auch Teil einer Stadtkultur und Lebenskultur werden, weil sie die Vielfalt des Streitens, Argumentierens, Entscheidens, Bauens und Nutzens in den Städten und damit die handlungsrelevanten Aspekte für das tägliche Leben widerspiegelt.

Bei den Überlegungen dient die Initiative Baukultur als Bezugspunkt, sie wird als konsensorientiertes Verhandlungssystem beschrieben, das gute Ansätze für eine wirkungsvolle Baukulturpolitik bietet.
 

(Kurzversion des Artikels auch in Englisch)

___Christine Edmaier
Berlin
 
„... wer aber will sagen, was Schönheit sei?"
Zuständigkeit und Legitimation einer elitären Ästhetik

"... wer aber will sagen, was Schönheit sei?" – so hieß das Thema beim 7. Berliner Gespräch des BDA-Bundesverbandes im letzten Jahr.
Angesichts dieser Themenstellung soll die historische und aktuelle Rolle des BDA bei der Entstehung architektonischer Leitbilder reflektiert werden. Der BDA ist als elitäre Institution in einer kontinuierlichen Legitimationspflicht, sowohl was die Auswahl der neu zu berufenden Mitglieder betrifft, als auch bezüglich seiner Zuständigkeit für die Baukultur in einer Zeit vieler konkurrierender Initiativen. Die Gültigkeit der jeweiligen ästhetischen Urteile können an Beispielen dargestellt und hinterfragt werden.
Ist ein Verband, der eher wie eine mittelalterliche Zunft organisiert ist  („Meistersinger von Nürnberg“) in der Lage, für eine ästhetische Avantgarde einzutreten, sie überhaupt als solche (an)zu erkennen? Gibt es objektivierbare Kriterien für ein Gütesiegel, als das die BDA-Mitgliedschaft gerne betrachtet wird? Brauchen wir gar anerkannte Leitlinien oder Regeln zur Beurteilung der architektonischen Qualität von Bauwerken?

 

(Artikel auch in Englisch)

Diskurs    
___Max Bächer
Stuttgart
 
Viel Lärm um Nichts!

Der Beitrag kritisiert grundsätzlich die offiziellen und kryptooffiziellen Aktivitäten um eine Baukultur in Deutschland und will zu einem Überdenken aufregen.
 

(Artikel auch in Englisch)

___Hermann Hipp
Hamburg
Perspektiven der Baukultur in Hamburg

Baukultur argumentiert auf architektonischer und alltagsweltlicher Ebene, ist aber im Kern ein politischer Begriff. Dies zeigt ein Rückbezug auf die Diskussion um ‚harmonische Kultur’ in der Architektur an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, die nicht selten mit dezidierten autoritären Vorstellungen von Gesellschaft verbunden war.
Die kulturelle Qualität von realisierter Architektur hingegen entstand zu dieser Zeit nicht selten als Kompromiss aus Architektenentwurf, Behördenauflagen und Eingriffen eines Stadtbaumeisters. Gerade Hamburg ist berühmt für diese Kompromisse (etwa das Chilehaus). Die nüchternen, gemeinwesenorientierten und sozial engagierten Hamburger und ihr Stadtbaumeister, Fritz Schuhmacher, sind denn auch weniger an harmonischen Endzuständen als an Prozessen, Auseinandersetzungen und der Suche nach immer neuen Kompromissen und Konsens interessiert gewesen.
Deshalb kann heutige Baukultur nur aus einem System offener Regeln mit möglichst wenigen Grundwerten bestehen, das ohne Einfluss von Experten- oder Baupflegebeiräten pluralistisch gespielt wird.
 

(Artikel auch in Englisch)

___Walter Nägeli
&
___Gudrun Sack
Karlsruhe
Sieben Fragen von Raumproduzenten an Raumproduzenten

(Artikel auch in Englisch)

___Claus Dreyer
Detmold
Architektur als Alltags- oder Hochkultur?

Die architektonische Alltagskultur in Mitteleuropa lässt sich nur schwer unter philosophisch eindeutige Kategorien subsumieren: die Produktion von „Heimat“ für Menschen (Bloch) folgt so vielen unterschiedlichen Leitbildern und Strategien, wie es gesellschaftliche Gruppen und geografische Regionen gibt. Dass dabei bau- und planungsökonomische Prozesse eine vereinheitlichende Rolle spielen, soll in einer kulturtheoretischen Betrachtung außen vor bleiben.
Unabhängig davon gibt es eine Ebene von ambitionierten und exponierten Bauvorhaben privater und öffentlicher Art, die international und interkulturell orientiert sind, und deren Formen und Strukturen eine gemeinsame „Sprache“ zu sprechen scheinen. Das wird schon durch die überschaubar kleine Gruppe von Architekten verbürgt, die bei prestigeträchtigen Bauten immer wieder gefragt sind: Libeskind, Eisenman, Koolhaas, Nouvel, Gehry.
Die Frage ist, ob es so etwas wie eine gemeinsame euro-amerikanische architektonische Hochkultur gibt, was sie kennzeichnet und was sie bedeutet.

 

(Artikel auch in Englisch)

 

___Joachim Ganzert
Hannover
Zum Bedeutungskontext der Begriffe 'Kultur' / 'Baukultur'

Plädoyer für eine Wahrnehmung angemessener Komplexitätsdimensionen

Die Begriffe „Baukultur“/„Kultur“ haben Konjunktur.
Ein zusammenfassender Blick auf das 20. Jahrhundert, seinen Zeitgeist und die darin angelegte Suche nach einem neuen Weltbild führt zu der Frage nach der anvisierten und erwarteten Beschaffenheit solcher Weltsicht bzw. nach der damit verbundenen (Neu-)Definierung eines Kultur-/Baukulturbegriffes. Und hier schien/scheint – kurz gesprochen – die Suchrichtung nach einem „ganz Neuen“ über eine solche nach einem „neuen Ganzen“ obsiegen zu wollen/müssen.
Damit wird sowohl das Verhältnis von Alt zu Neu als auch das von Teil zu Ganzem, also vor allem auch das Verhältnis von Mensch zu Natur/Welt/Universum angesprochen und dessen Neubestimmung. Und dabei geht es um Herrschaftsverhältnisse.
Die aus der Überdimensionierung von ahistorischen Unvergleichlichkeitsgefühlen und Einmaligkeitsvorstellungen und aus einer solchen der Teilperspektive bzw. die aus der Verabsolutierung des irdischen Teils gegenüber dem universalen Ganzen resultierende Komplexitätsreduktion begünstigt einen Hang zu Unangemessenheit und Maßlosigkeit (einer modernetypischen Problematik), die die Frage nach der Legitimität der einen oder anderen Suchrichtung und deren Wahrnehmungshorizont stellt.
Die Begriffe
„Baukultur“/„Kultur“ haben hoffentlich deshalb Konjunktur, weil man dringlicher denn je den Verlust der Teile spürt, die zu einem wirklichen Ganzen fehlen.
 

(Artikel in Deutsch)

 

___Ursula Baus
Stuttgart
Zwei Aspekte des Umgangs mit 'Geschichte':
Kommerzialisierung und ideologische Ausbeutung
  1. Traditionalismen als Kommerzialisierung der Geschichte

  2. Enthistorisierung von Gebautem und von Ereignissen als Basis der ideologischen Ausbeutung von Geschichte

Beide Thesen sind anhand von Beispielen und Grundsatzfragen in ihrer Relevanz für  Baukultur aufzuzeigen.
Ausgehend vom Stand der Geschichtsphilosophie und Theorie der Geschichtswissenschaften kann verdeutlicht werden, welcher Missbrauch mit vermeintlichem Geschichtswissen gerade in den zeitgenössischen Architektur- und Städtebaudebatten getrieben wird – »Rekonstruktion«, »historische Altstadt« und »alter Glanz« sind Schlagworte dafür.

Wie sehen die Alternativen aus?
 

(Artikel in Deutsch)

 

___Christine Dissmann
Berlin
 
Baukultur - ein Ausdruck herrschender Machtverhältnisse?

Der Untersuchung von Baukultur ist nicht mit einer eindimensionalen Formel beizukommen. Auch das Festschreiben „verbindlicher“ baukultureller Qualitätskriterien kann nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass was und wie gebaut wird, immer und zuallererst eine Aussage über kulturelle Hoheitsverhältnisse und damit über herrschende Machtgefüge trifft.
In dem Beitrag soll anhand von konkreten Beispielen gezeigt werden, wie Baukultur im Kern Ergebnis einer Auseinandersetzung unterschiedlicher Kulturen um die Durchsetzung ihrer jeweiligen Interessen und Sichtweisen ist. In diesem Kräftespiel geht es um die Aneignung und Behauptung von Raum für sich, um das Schaffen und Gewähren von Raum für andere im unmittelbaren wie übertragenen Sinne. Dabei treten Subkultur versus Hochkultur, unterschiedliche nationale und ethnische Kulturen als auch unterschiedliche professionelle Kulturen (Politiker, Investoren, Bauherren, Planer, Nutzer, Historiker, etc.) gegeneinander in den Ring.
Der Konflikt um die Macht kann in vielfältigen Spielarten ausgetragen werden: in seiner primitivsten und radikalsten Form durch kriegerische Aggression oder als terroristischer Akt, als schleichende aber nichtsdestoweniger usurpatorische Besetzung von Räumen durch Zeichen und Regeln bis hin zur Gestaltung von Gesetzesrahmen und Förderinstrumentarien.
Soll Baukultur ihrer großen Verantwortung für die Qualität unserer Gesellschaftskultur gerecht werden, darf sie nicht als „Beglückungsarchitektur“ mit pädagogischem Anspruch durch dominante Gesellschaftsgruppen verordnet werden. Vielmehr muss ein rahmengebendes Regelwerk, das soviel Einschränkung wie nötig und soviel Freiheit wie möglich vorsieht, eine demokratische und im besten Sinne konstruktive Streitkultur für die Gestaltung unserer Lebensräume erlauben.
 

(Artikel auch in Englisch)

 

   
___Jörn Köppler
Graz
Baukultur und Versöhnung

Beschriebe man Baukultur als die räumliche Kunst, einem schönen Dasein Wirklichkeit zu konstruieren, so kann man zu dem paradoxen Schluss kommen, dass wir Spät-Modernen eine solche Kunst nicht brauchen, besser: nicht brauchen können. Wäre Kultur in Anlehnung an den lat. Wortursprung des cultus poetisch gesprochen das große, durch Generationen hindurch weitergereichte Trostgedicht der Trennung von Subjekt und Objekt, in der Aufklärung als Selbsterkenntnis des Geistigen und Nicht-Identität mit der physischen Welt beschrieben, so könnte man unter architektonischer Kultur den räumlichen Versuch eben dieser Dichtung verstehen. Das hieße, dem durch Erkenntnis seiner Vernunft als moralische Begabtheit aus der Welt geratenen Menschen (einst im Erhabenen beschrieben) wäre eine Perspektive der Versöhnung angeboten, deren geglückte Verwirklichung im Werk sich durch Schönheit, ganz im kantischen Sinne derselben, als Aufscheinen eines in der Welt möglichen Seins auszeichnet. Nun scheint heute solche humane Verschiedenheit von Welt durch die Schalldichte des omnipräsenten technischen Apparates, der uns längst an Stelle der Architektur behaust, nachhaltig aus dem Bewusstsein geschafft. Wo jedoch so technisch wohlbehütet gar nicht aus der Welt heraus geraten wird, ist auch keine Versöhnung, was Kultur, bzw. Baukultur hieße, vonnöten. Von Schönheit gar nicht zu reden, die, obwohl für die Bewohner von Architektur sicherlich von größtem Interesse, so gesehen als vollkommen Unmögliches unserer Zeit erscheint. Sie jedoch als Möglichkeit zurückzuerobern, wäre das, noch vor allen Form- und Verfahrensdiskussionen besserer Baukultur, nicht als eigentliche Aufgabe der Architektur zu verstehen?
 

(Artikel in Deutsch)

 

___Oxana Makhneva
Yekaterinburg
Die Gesellschaft im Schaffen von Claude-Nicolas Ledoux

Am Beispiel der Abhandlung „Die Architektur – betrachtet in ihrem Bezug auf Kunst, Sitten, Gebräuche und Gesetzgebung“ können wir uns davon überzeugen, wie tief die Wechselbeziehung zwischen Gesellschaft und Architektur ist. Was muss und kann die Baukultur für die Lebenskultur tun? Genau diese Frage stellt sich der französische Architekt Claude-Nicolas Ledoux. In seiner Abhandlung stellt er eine untrennbare Verbindung zwischen dem Leben der Gesellschaft und den Bauwerken her. Vor allem soll ein Architekt Lehrer für das Leben sein, und seine Bauwerke sollen dazu beitragen, Abneigung gegenüber dem Laster und Achtung vor der Tugend zu empfinden.
Der Architekt tritt als Aufklärer in Erscheinung, der die Sprache geometrischer Symbole spricht. Ledoux erinnert daran, dass selbst das geringfügigste Bauwerk zu einem Musterbeispiel wahrer Proportionen werden kann. Das Leben der Gesellschaft steuert die kreativen Impulse des Architekten. Zukunft ist für Ledoux die Veredelung der Gesellschaft, wobei der Architekt zur Avantgarde dieses Prozesses gehört.
Ledoux misst der Beziehung von Architekt und Werk eine enorme Bedeutung bei. Denn der Schöpfer selbst ist doch ein Teil der Gesellschaft. Die Bedeutung der Architektur als steinerne Chronik der Menschheit hat er in folgende Worte gekleidet: „Denkt daran, dass niemand Achilles kennen würde ohne Homer, und dass die meisten Götter vergessen wären ohne die von Architekten geschaffenen Allegorien aus Marmor.“ Ledoux betont die Unabhängigkeit des kreativen architektonischen Schaffens und dessen Vorrang vor der Politik. Er untersucht die menschlichen Schwächen und schlägt vor, dieses Wissen für die Erziehung zur Architektur anzuwenden. Claude-Nicolas Ledoux macht Skizzen aus dem Leben der Gesellschaft, die für ihn zu einem Reservoir der Inspiration werden. Er beschreibt die Schwierigkeiten eines Architekten als Schöpfer, der unter den Bedingungen einer unvollendeten sozialen Ordnung lebt. In der Architektur sieht Ledoux ein Mittel zur Organisation des gesellschaftlichen Lebens, ein Mittel zur Erziehung der Menschen. Seine Abhandlung, die dem russischen Zaren Alexander I. gewidmet ist, ist bis heute eine Quelle von Ideen geblieben, die für die moderne Gesellschaft lebenswichtig sind
 

(Artikel in Russisch)

 

 
___Uwe Altrock
Cottbus
Stadtbaukultur - Modebegriff oder innovatives Programm

Die große Resonanz, die die Diskussion um den Begriff der „Stadtbaukultur“ derzeit auslöst, verspricht einerseits die immer wieder angemahnte Weiterentwicklung des Planungsalltags und ist andererseits mit Beharrungskräften konfrontiert, die den meisten Politikfeldern eigen sind. Der Beitrag will Hinweise für eine realistische Einschätzung der Möglichkeiten einer gesellschaftlichen „Stadtbaukulturbewegung“ und deren wirkungsvolles Agieren geben. Dazu analysiert er die Hintergründe für das Entstehen einer solchen Bewegung und ihres gesellschaftlichen Umfelds sowie die Konjunkturen ähnlicher Bewegungen in der Vergangenheit. Insbesondere weist er nach, dass um „Nutzungsmischung“ und „Nachhaltigkeit“ ähnliche Debatten geführt wurden und zeigt dazu ihre zeitliche Struktur, die Positionen der beteiligten und adressierten Akteure, das argumentative Fundament der Debatte sowie die auftretenden Hindernisse auf. Er warnt vor übermäßigem Optimismus und versucht, die Gefahren und Potenziale der schwammigen Formulierung von Leitbegriffen zu verdeutlichen, die zwischenzeitlich in der Fachwelt zu Modebegriffen werden.
 

(Artikel in Deutsch)

 

 
___Friedhelm Fischer
Kassel
Planungskultur - Beplanungskultur

Hinter dem abstrakt klingenden Titel verbirgt sich eine Fallstudie, an der sich Charakteristika deutlich unterschiedlicher Bau- und Planungskulturen in einer Klarheit ablesen lassen, die ihresgleichen sucht.
Es handelt sich um das Beispiel der australischen Hauptstadt, Canberra, die in ihrer 100-jährigen Planungsgeschichte zunächst durch autoritäre Expertenplanung, dann durch neoliberale Planungsfeindlichkeit geprägt wurde und sich in jüngerer Zeit durch eine prozess- und partizipationsorientierte Planungskultur auszeichnet.
Dies sind Formen des Umgangs von Bau- und Planungspolitik mit Stadt und Menschen, oder auch Modi der Planungskultur bzw. –unkultur, die sich in vielen Städten wiederfinden. Die herausragende Eigenart Canberras liegt in dem außergewöhnlichen Perfektionismus, mit dem zumindest in den beiden ersten dieser Phasen die jeweils verfolgten Leitbilder umgesetzt wurden.
Spiegelten sich die Charakteristika der „modernen“ Stadtplanung in der von „Störeinflüssen“ freien „Laborsituation“ der Hauptstadt besonders deutlich wider, so traten danach die Konsequenzen von Deregulierung, Privatisierung und economic rationalism (einer australischen Spielart des Neoliberalismus) ebenso klar in Erscheinung.
Die Reparatur der dabei aufgetretenen Schäden und die Entwicklung einer neuen Planungskultur ist seit 2002 das Anliegen der neuen Labor-Stadtregierung. Wenngleich es für eine Evaluation der jüngsten Phase noch zu früh ist – Canberra ist in mancherlei Hinsicht ein Extremfall der Bau- und Planungskultur, der allerlei Anregung für Diskussionen und Vergleiche bieten kann.
 

(Artikel in Englisch)

 

 
___Ulf Matthiesen
Erkner
Baukultur in Suburbia

Historisch und konzeptionell sind Diskurs und Praktiken der Baukultur auf die „kompakte und durchmischte Stadt" geeicht. Die andere, automobilere Raumtextur von Suburbia und Suburbanisierungsprozessen macht hier erhebliche Re-Arrangements in der baukulturellen Stoßrichtung nötig. Der Beitrag prüft einmal die „kompaktstädtischen Hintergrundkodierungen" von Baukultur (Flaneursperspektive, Lesbarkeits-Axiom). In einem nächsten Schritt werden Forschungsfragen zur baukulturellen Alltagsästhetik suburbaner Räume durch Vorschläge zur Verfahrensbeteiligung für Verflechtungsmilieus ergänzt. Schließlich wird das Leitkonzept „Baukultur im Rahmen einer lernenden Stadtregion" umrissen - mit einer Bestimmung seiner möglichen Akteurs- und Trägergruppen.
 

(Artikel in Deutsch)

 

 
___Jürgen Hasse
Frankfurt am Main
'Landschaftskultur' - integrales Moment von
Bau-, Stadt- und Lebenskultur

Die Raumwissenschaften haben ein spannungsreiches Verhältnis zu Begriff und Phänomen der Landschaft. Während die Differenz zwischen Natur- und Kulturlandschaft zugunsten eines allgemein konsensuellen Verständnisses von Kulturlandschaften als aufgehoben betrachtet werden kann, gibt aber auch der Begriff der Kulturlandschaft immer wieder Anlass zum Dissens. Seit Simmel wird Landschaft (und damit insbesondere Kulturlandschaft) als „Kopfgeburt“ und mentale Konstruktion angesehen, die mit Ideologien angereichert und politisch instrumentalisiert oder doch instrumentalisierbar ist. Sie wird als Sache einer „innenweltlichen“ Seele betrachtet oder als „Stimmung“, die man projektionistisch in eine Umgebung gleichsam hineinliest, so dass man letztlich erlebt, was immer schon kulturell vorformatiert war.
„Aufgeklärter“ Szientismus distanziert sich von Begriffen, Konzepten und Phänomenen, die lebensweltlich gefüllt sind. In der Geographie ist kürzlich der Vorschlag gemacht worden, den Begriff ‚Landschaft’ ganz (und endlich) aus dem wissenschaftlichen Begriffsrepertoir zu streichen und ihn nur noch der Lebenswelt vorzubehalten.
Ich würde im Unterschied zu diesen antiquierten szientistischen Fundamentalismen für eine intensivere Reflexion der Erlebnisebene von Landschaft schon im Moment des Planens argumentieren. Der Rückgriff auf verschüttete phänomenologische Denktraditionen soll helfen, Aufmerksamkeiten für das Pathische (Straus) im Mensch-Umwelt-Verhältnis zu kultivieren, um den Diskurs über die Wirkungsebene von Architektur zu intensivieren. Dies als Moment einer ‚Baukultur’ derer, die bauen, einer ‚Stadtkultur’ derer, die den kulturpolitischen Diskurs über die Zukunft der Stadt lenken und schließlich als Moment einer ‚Lebenskultur’ derer, die die Stadt als urbanen Raum leben – oder ihm Umgebungen zurückgegriffen.
 

(Artikel in Deutsch)

 

 
___Katja Pahl
&
___Silke Voßkötter

Dresden
Baukultur als Prozess

"Bauen und reden sind (...) integraler Bestandteil einer Baukultur, deren Zusammenspiel für das kulturelle Gemeinwohl (...) oft besser gelingen würde, käme das Reden noch viel öfter vor dem Bauen."
(Christina Weiss in einer Rede auf dem 1. Konvent der Baukultur 4./5. April 2003)

Ist Baukultur ein Fremdwort in den neuen Einfamilienhaussiedlungen unserer städtischen Randgebiete? Oder sind gerade diese Siedlungen Manifestationen der derzeitigen Baukultur? - einer Kultur, die durch die Gemeinschaftsleistung von Bauherren und Bauwirtschaft bestimmt wird und die meist ohne eine Beteiligung des Architekten oder Planers auskommt.
In einem Entwurfsseminar in Zusammenarbeit mit der Professur für Architekturtheorie, Prof. Hahn, haben wir versucht, die Frage nach Partizipation neu zu stellen: Zusätzlich zum Nutzer sollte in diesem Seminar der Architekt wieder in das „Bauteam" des Einfamilienhauses einge-bunden werden.
Für Bauherren, die ein Einfamilienhaus in der Siedlung Pesterwitz am Rande Dresdens gebaut haben (ohne Beteiligung von Architekten), wurde von unseren Studenten ein weiteres Haus geplant, diesmal auf der Grundlage langer Gespräche mit den Bauherren über ihre Wohnerfah-rungen und -wünsche.
In diesem Projekt partizipierte der Architekt durch die Gespräche am Leben des Bauherrn und der Bauherr partizipierte damit am Planungsprozess. Es ergaben sich überraschende und er-mutigende Ergebnisse aus der Zusammenarbeit, welche ohne die jeweilige „Partizipation" des Anderen nicht möglich gewesen wären.
Ist dies ein Weg zu einer besseren „Baukultur“, einer „Baukultur als Prozess", die sich wirklich an den Lebensvorstellungen und Werteauffassungen der Nutzer orientiert?
In einem Erfahrungsbericht möchten wir über dieses Projekt berichten.
 

(Poster in Deutsch)

 

___Andrea Haase
Aachen / Dessau
 
Kultur der Anlage und Nutzung von Raum

Der Beitrag öffnet einführend den Blick auf die vielfältigen Dimensionen von Siedlungskultur im Sinne von „Anlegen, Bearbeiten, Pflegen, Entwickeln und für die Entwicklung prozess-begleitend Verantwortung tragen“ (lat. „cultivare“).
Danach widmet er sich der Frage, was Baukultur im Sinne einer Kultur der Gestaltung und Nutzung von Räumen vor dem Hintergrund der industriellen Geschichte heute sein kann. Er skizziert hierfür einen Rahmen spätindustrieller Erkenntnisse der Innovations- (s. Mensch, G., 1975), der Modernisierungs- (s. Berger, J., 1986) sowie der Systemtheorie (Luhmann, N., 1988). Diese Skizze wird zu der These hingeführt:
Mit zunehmender Entfaltung industrieller Bedingungen von Gesellschaft und Wirtschaft werden die innovativen Werte der Produkte (so auch Raum) insgesamt geringfügiger; dies entspricht ihren – obsolet werdenden - Vermarktungsbedingungen. Die Differenzierung von Bedingungen (so auch Raum) geht solange und soweit einher mit der Erschöpfung innovativer Kräfte, wie nicht umfassender struktureller Wandel gesellschaftlicher Bedingungen ein Umdenken erfordert und neue Werte einführt. Diese These wird auf den „Stadtumbau Ost“ bezogen, da hier neue Erfordernisse der Siedlungskultur für die spätindustrielle Entwicklung in Europa massiv sichtbar geworden sind.
Die Betrachtung von Architektur-, Kultur-, Gestalt- und Kunsttheorie und Soziologie nimmt für die einzelnen Felder Stellung zu dieser These. Eine kritisch-kreative Kritik an Tendenzen der Differenzierung in Gesellschaft und Raum ist Gegenstand der Schlussfolgerungen: Hierbei umfasst der perspektivische Blick die verloren gegangenen Möglichkeiten der Moderne, Gebrauchs- und Gestaltwerte im Sinne ihres „Nutzwertes“ neu zu bestimmen.
 

(Artikel auch in Englisch)

 

     
___Walter Prigge
Dessau
 
Zur Konstruktion von Atmosphären

In Abwandlung der Frage von Dieter Hoffmann-Axthelm (Wie kommt die Geschichte ins Entwerfen?) lautet die Antwort für alle Elemente, ob nun Geschichte, Stadt oder auch "das Soziale": Diese Elemente sind immer schon im Entwerfen anwesend, jedoch durch einfache Ideologiekritik des Entwurfsprozesses und seiner Prinzipien nicht herauszulösen und als solche zu kritisieren. „Das Soziale“ ist keine eigenständige Substanz, kein soziologisches Ding an sich, das der Architektur selbständig gegenübersteht. Architektur ist vielmehr insgesamt selbständiger, durch eigene Methoden gesellschaftlich anerkannter Teil von Raumproduktion, in der das architektonische Entwerfen durch den Bezug auf Stadt-Bilder und Raum-Programme („Atmosphären“) mit sozialer Realität vermittelt wird. Erst dieser programmatische Einsatz von atmosphärischen Bildern des Stadt-Raumes bestimmt die soziale Dimension von nachmoderner Architektur. Die Diskussion ist also zunächst innerhalb der architektonischen Disziplin zu führen – zum Beispiel als Musterung der atmosphärischen Entwurfsorientierungen von Postmoderne und Zweiter Moderne mit den sich darin realisierenden Bild-Konzepten von städtischer Räumlichkeit.
 

(Artikel in Deutsch)

 


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