8. Jg., Heft 2 (März 2004)    

 

___Eduard Führ
Cottbus
  Baukultur – Fragen über Fragen

 

   

In den vergangenen Monaten wurde in Deutschland viel über ‚Baukultur’ diskutiert. Anlass war die beabsichtigte Gründung der „Bundesstiftung Baukultur“.

Die wichtigen Stationen der heutigen offiziellen Aktivitäten um eine Baukultur sind:

  • Im Herbst 2000 wurde vom Bundesbauminister für Verkehr, Bauwesen und Wohnungswesen die ‚Initiative Baukultur’ gegründet und eine Lenkungsgruppe eingesetzt; Gert Kähler wurde mit der Erarbeitung eines Statusberichtes beauftragt.
  • Im November wurde im Auftrag des ‚Fördervereins Architektur Zentrum Berlin e. V. (DAZ) die in Gesprächen mit Architekten, Planern, Denkmalpflegern und Fachjournalisten u. a. entstandene Schrift ‚Eine Nationale Stiftung Baukultur?’ vorgelegt und im Internet veröffentlicht; verantwortlich zeichnen Karl Ganser und Ulrike Rose. In diesem Werk – wir wollen es ‚Memorandum’ nennen – werden fünf Grundwerte, mit denen jeder aus unserer heutigen, zeitgebundenen Sicht übereinstimmen wird, genannt: Nachhaltigkeit, Achtung der Geschichte, Identität, Regionalität und Schönheit.
  • Vom 3. bis 5. Dezember 2001 wurde in Köln der Kongress ‚Baukultur in Deutschland’ durchgeführt. Veranstalter und Partner waren das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, die Beauftragten der Bundesregierung für die Angelegenheiten der Kultur und der Medien, Bundesarchitektenkammer und Bundesingenieurkammer, weitere Verbände und Vereinigungen der Architekten, Ingenieure und Planer, der Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler (was eine Nähe zur ‚Kunst am Bau’ andeutet), die Deutsche Stiftung Denkmalschutz, das Deutsche Architektur-Museum, das Deutsche Architektur Zentrum und die Stiftung Bauhaus Dessau; zudem wirkten Vertreter der Bauministerkonferenz der Länder, des Städte, der Bauindustrie, der Kreditinstitute, der Wohnungsunternehmen und der Landesentwicklungsgesellschaften mit. Es gab acht Ansprachen und Vorträge (Ungers, Großmann, Conradi, Schwinn, Welsch, Bodewig, Kähler und Ganser); der Statusbericht wurde vorgestellt.
  • Im Mai 2002 wurde der Statusbericht veröffentlicht.
  • Die Bundesregierung übernahm den Bericht und legte ihn dem Deutschen Bundestag zur Diskussion vor (Sommer 2002, Herbst 2003)
  • Im November 2001 wurde ein Förderverein gegründet und vier Moderatoren (Peter Conradi, Bundesarchitektenkammer, Prof. Dr. Karl Ganser, Bundesstiftung Baukultur, Parla­mentarischer Staatssekretär Achim Großmann, Heinrich Schwinn, Bundesingenieurkammer) eingesetzt.
  • Im Frühjahr 2002 wurde ein Gründerkreis von 120 Personen eingesetzt.
  • Zum XXI. Weltkongress des UIA in Berlin im Sommer 2002 wurde ein zweibändiges Werk erstellt, in dessen einem Band die für das Frühjahr 2003 zum 1. Konvent zusammengerufenen Architekturpreisträger und ihre prämierten Werke abgebildet sind und in dessen zweitem Band sehr kurz gefasst die Positionen zu den Kernthemen und zu den Aufgaben, die Deklaration und die Mitglieder des Gründerkreises dargestellt sind.
  • Vom 4. bis 5. April 2003 wurde im ehemaligen Plenarsaal des Deutschen Bundestags der 1. Konvent der Baukultur durchgeführt. Der Teilnehmerkreis wurde nun auf Preisträger von Wettbewerben aus dem Baubereich ausgeweitet (er bestand 2003 aus insgesamt 490 Personen).
  • Im Herbst 2003 wählte der Konvent ein Präsidium aus 20 Mitgliedern, das im November 2003 zum ersten Mal tagte.


Ziel ist die Verbesserung der Baukultur, praktisch geht es um

  • das Aushandeln eines Verhaltenskodex für alle Beteiligten (private und öffentliche Bauherren, ArchitektInnen, StädtebauerInnen und StadtplanerInnen, Bauindustrie, Bauträger) beim Bauen,
  • die Gesellung ausgewiesener Autoritäten der Baukultur,
  • das Vorstellen mustergültiger Bauten und
  • die Durchsetzung von „Qualität“.


Schaut man sich die die Aktivitäten genauer an, so stellen sich grundlegende Fragen:


Autorität

Ein grundsätzliches Problem ist es, wer wodurch legitimiert ist, an der Herstellung von Baukultur mitzuwirken.
In der ersten ausführlicheren Publikation zur Baukultur, dem Memorandum des DAZ vom 15. November 2001, sprechen die Autoren von einem ‚Netzwerk freier Geister’. Die erste Podiumsdiskussionsrunde im Dezember 2001 sieht als ein wichtiges Kriterium für die Entstehung von Baukultur den ‚hohen Rang der Diskussionsteilnehmer’ (Dokumentation ‚Baukultur in Deutschland; Berlin/Bonn Mai 2002, S. 41. Bundespräsident Johannes Rau sucht für die Baukultur Menschen, „die die Fähigkeiten und die persönliche Autorität haben, Orientierungspunkte für gutes Bauen zu setzen und Qualitätsmerkmale zu definieren, hinter die niemand zurückfallen sollte.“ (Punkt VII seiner Rede vom 4. April 2003) Man setzt auf Personen mit  „offenkundigen Leistungen in der Baukultur“ Bd. 1 der Publikation zum Weltkongress der UIA, S. 10).

Wie aber finde ich Geister, die frei sind? Wie die Fähigkeit, Orientierungspunkte zu setzen? Wie offenkundige Leistungen?
Die Initiatoren h
aben sich entschieden, Preisträger aus dem Architekturbereich (dazu siehe unten) zu nehmen.

Muss man
aber nicht darüber diskutieren, inwiefern der Preis etwas mit Baukultur zu tun hat? Muss man also nicht erst einmal prüfen, ob etwa ein Bauwerk, das einen durch eine entsprechende Industrie vergebenen Preis für die gute Anwendung des Baustoffes X etwas mit Baukultur zu tun hat oder nur den Baustoff X gut anwendet (was ja auch schon einmal nicht schlecht ist)?

Die Preise werden unter bestimmten Aspekten vergeben, muss man nicht  darüber diskutieren – wenn man sich denn dazu entschieden hat, dass er etwas mit Baukultur zu tun hat – in welchen Aspekten Baukultur erzielt ist und in welchen Aspekten noch nicht. Ist denn mit Notwendigkeit gegeben, dass ein Objekt, das den Baustoff X Preis erhalten hat, auch einen baukulturell wertvollen Grundriss realisiert?
Muss man nicht diskutieren, ob die Addition der faktisch vergebenen Preise tatsächlich alle Aspekte der Baukultur umfasst oder nicht auch untersuchen, ob es nicht Bereiche gibt, in denen keine Baupreise vergeben werden, die aber zentral wären für eine umfassende Realisierung von Baukultur?

Muss man nicht dem Zusammenhang von Preis für ein Bauwerk und Preisträger nachdenken? Preisträger sind (wenn man von denen absieht, die wegen ihres Lebenswerkes gelobt wurden) keine Ausnahmepersonen, sie haben vielmehr ein Ausnahmeprojekt gemacht. Und zwar eins. Viele andere ihrer Projekte sind ungekürt und damit – wenn man richtig schließt – auch nicht Baukultur. Oder sollten sie als ungekürte dann doch Baukultur sein? Weil der Urheber schon einmal Baukultur hergestellt hat? Das würde die Berufung in Abhängigkeit vom Preistragen aber fragwürdig machen. Und es würde dann doch sehr ins Genetische gehen.
Muss man nicht viel eher über den Zusammenhang von ausgezeichnetem Werk und den auszeichnenden Jurymitglieder nachdenken?
Ich glaube, mit besserem Recht als die Urheber des prämierten Werkes könnte man die Juroren in die Runde der Tafelritter nehmen. Sie schließlich haben erkannt, was Baukultur ist und warum das eine Werk eines Autors eins ist und ein anderes Werk nicht. Nach Verständnis der Baukulturinitiatoren kann eine Jury nicht versagen (Preis = Baukultur). Warum also nicht deren Mitglieder zu einer Metajury Baukultur zusammenbringen?
Oder kann sie doch versagen? Was
aber dann mit den Preiswerken und Preisträgern?

Ist die Fähigkeit, Orientierungspunkte zu setzen, nicht auch unter der Frage gesellschaftlicher Macht zu sehen? Denn eigentlich geht es ja gar nicht um die Fähigkeit, Orientierungspunkte zu setzen, sondern um die Fähigkeiten und  Fertigkeiten, dass die gesetzten Punkte von allen anderen als Orientierungspunkte angesehen und angenommen werden.

Die Initiatoren sehnen sich nach eigen-artigen Menschen, warum wird dann nicht auch ‚dieser Schweizer’ – wie Ganser sagt – der auf der Expo 2000 ‚mit ein paar Holzlatten den anderen die Show stahl’, aufgenommen? Oder dieser Holländer, der von seiner Ausbildung eigentlich Journalist ist?
Endet Baukultur an einer Staatsgrenze? Im Europa des 21. Jahrhunderts?

Einerseits ist man sich einig, dass etwas für die Baukultur getan werden müsse, es also nicht optimal laufe, andererseits schlägt kaum einer an seine eigene Brust (oder die seiner Institution). Besonders deutlich spricht dies der Präsidenten der Bundesingenieurkammer aus, der stolz das neueste Jahrbuch mit den Worten hervorhebt, man ‚wolle damit den Beitrag der Ingenieure zur deutschen Baukultur unter Beweis stellen’. Die dritte Podiumsdiskussionsrunde vom Dezember 2001 steht insgesamt in dieser Tendenz, Sauerbruch findet, dass die deutsche Bauproduktion besser sei als ihr Ruf, Mönninger empfindet das ‚Gejaule und Geklage’ als eine unverständliche Selbstdemütigung.
Sollte man nicht meinen, dass Verbesserung – auch wenn die Situation bereits befriedigend ist  / selbst wenn sie sehr gut wäre - stets detaillierte und analytische Selbstkritik impliziert – wobei davor wiederum noch die Bereitschaft (und Fähigkeit) zur Analyse stehen müsste.


Institutionalisierung

Bereits im Memorandum wird ausführlich auf die Verfahren zur Entwicklung von Baukultur eingegangen, d
abei wird die wichtige Rolle von Wettbewerben und die Beteiligung der Bürger hervorgehoben.
Der Präsident der Ingenieurkammer fordert zur Erhaltung der Baukultur (!!!) Auslobung von mehr Ingenieurwettbewerben und auskömmliche Honorare. (Dokumentation ‚Baukultur in Deutschland; Berlin/Bonn Mai 2002, S. 22)
Die erste Podiumsdiskussionsrunde vom Dezember 2001 sieht „Kooperation aller am Prozess ‚Baukultur’ Beteiligter und Teilh
abe der Stadtverwaltungen als selbstbewusste Partner“ sowie faire Bedingungen für alle als Bedingung für die Entstehung von Baukultur an.
Peter Conradi meint, dass Baukultur sich verankere, wenn der Bundestag darüber diskutiert und wenn die Öffentliche Hand und alle ihre Unternehmen für ihre Bauvorhaben grundsätzlich einen offenen Wettbewerb ausschreibt (Conradi spricht als Präsident der Bundesarchitektenkammer) (Dokumentation ‚Baukultur in Deutschland; Berlin/Bonn Mai 2002, S. 19) Zudem möchte er wieder eine Deutsche Bauakademie haben, sowie in den Ländern regionale Architekturzentren, in denen die „Architektur unserer Zeit der Öffentlichkeit gezeigt und vermittelt wird“.

Nicht etwa, dass er sich vorstellt, dass die Architekten sich miteinander auseinandersetzen, noch dass sie von Nutzern  und vom Publikum lernen (der bekannte Widerwillen der Architekten auf PostOccupancyEvaluations und Ästhetische Rezeptionsanalysen), die Architekten scheinen vielmehr ganz klar und ohne jede Unsicherheit und ohne die Notwendigkeit des internen fachlichen Diskurses zu wissen, was Baukultur ist. Die Frage entsteht nun allerdings, warum es  bisher zuwenig Baukultur g
ab.

Es geht also offensichtlich nicht um die Diskussion und um die gemeinsame Entwicklung von geeigneten Verfahren zur Genese von Baukultur, sondern um eine – bürokratische institutionalisierte – Selbstdarstellung und also Selbstbestätigung.
Man berät sich nicht. Man will nicht lernen, sondern belehren.
Das Thema ist nicht, wie man Baukultur denken und für sich und andere gewinnen könne; die Treffen dienen der Selbstvergewisserung der eigenen Baukultur. Zur Diskussion steht allein, wie man sie anderen beibringe, darauf weist insbesondere der Präsidenten der Ingenieurkammer hin „….erkannt wurde, dass niemand den wesentlichen  Beitrag bestreitet, den die Ingenieure mit ihrer Arbeit, ihrer Kreativität und ihrem Sachverstand zur Gestaltung unserer gebauten Umwelt und damit zur Baukultur in Deutschland leisten.“ (Dokumentation ‚Baukultur in Deutschland; Berlin/Bonn Mai 2002, S. 21)


Kultur

Von welcher Kultur ist bei der Baukultur die Rede? Was hat die „Baukultur“ mit den unterschiedliche „Kulturen“ in einer Stadt zu tun?
Ist Kultur kulturwissenschaftlich gemeint? Wie kann man dann
aber über ästhetisch-normative Maßstäbe sprechen?
Spricht man von Kultur in der Abgrenzung des 19. Jahrhunderts zur Zivilisation? Ist Kultur eine Seelentiefe?

Geht es um eine Baukultur in Deutschland oder um eine Deutsche Baukultur?
Wenn es darum gehen sollte (siehe Vorwort Bodewigs im Statusbericht S. 3), gibt es tatsächlich eine kulturelle Identität des Bauens, der Baukultur in Deutschland? Wie es einmal das niedersächsische Hallenhaus und der süddeutsche Spätbarock war?
Was macht das Deutsche der Baukultur aus? Wie kann man sie erzielen?

Geht es um eine Alltagskultur (etwa Grossmann) oder um eine Hochkultur? Oder um beide? Wie ist dann die Beziehung zu denken? Alltagskultur als Sickerphänomen?

Kann man heute einen so wichtigen Begriff unbestimmt lassen, so dass man ihn für eine  Kunst-, Zunft-, Standes- und Landespolitik zurechtlegen kann?

Meint Baukultur die Qualität eines Objektes, eines das Objekt herstellende Tun oder der Nutzung des Werkes?

Wie können heterogene Ansprüche an die Stadt und sich schnell verändernde soziale Bedingungen in Beziehung zu „Baukultur“ gesetzt werden, wie kann und soll sich „Baukultur“ und Demokratie, wie „Baukultur“ und Aneignung der Stadt als Lebensraum verhalten, was kann und soll ‚Baukultur’ für eine Lebenskultur leisten?


Geschichte

Baukultur sei eine Entdeckungsreise ins 21. Jahrhundert (Memorandum 2001, S. 14).
Wobei die Autoren des Memorandums anerkennen, dass die Menschen immer mehr sich der Kultur der Vergangenheit zuwenden. Dies sei zu akzeptieren und den Menschen zu zeigen, dass man diese Sehnsucht respektiere (s. a. S. 21), denn man fände dann auch Vertrauen für Neues, wenn man es denn einfühlsam entwickle, es erkläre und es repressionsfrei umsetze.
Dieses sei das Manko der Moderne gewesen, fährt Ganser - die Perspektive etwas verschiebend - auf dem Kongress im Dezember 2001 fort und beklagt (mit Welsch), dass sie keine historische Rückbindung akzeptiert habe.
Diese Einstellung der Initiative Baukultur stellt auch Jörg Haspel sehr stark im dem zweiten Band der Publikation der Initiative zum XXI. Weltkongress heraus. Mit Hermann Lübbe, der feststellt, dass die Anstrengungen zur Vergangenheitsvergegen­wärtigung größer werden mit dem Anstieg der Modernität des Lebens (zitiert bei Haspel) sieht Haspel in dem Festhalten an der Geschichte ein notwendiges Korrektiv. Er verlangt ‚Respekt vor der Geschichte’ und ‚Achtung vor historischer Baukultur’.

Die Positionen im inneren Zirkel sind also konträr, die Richtung der Baukultur unentschieden.
Eine Entscheidung täte Not.

Wobei anzumerken wäre, dass die Kritik an der Geschichtslosigkeit der Moderne ein üblicher Vorwurf ist. Was ihn noch nicht falsch macht. Er ist in gewisser Hinsicht sogar richtig. Aber er ist kein Vorwurf, denn die Geschichtslosigkeit ist genau die große positive Leistung der Moderne, in Bezug auf die gängige Reduktion von Geschichte auf Vergangenheit. Die Modernen haben die Flucht der Architekten aus der Gegenwart in funktional, sozial und ästhetisch obsolete Vergangenheiten beendet, die Einbindung ins gegenwärtige gesellschaftliche Geschehen gesucht und Lösungen der einige Jahrzehnte lang von den anderen weggeschobenen Probleme für die Zukunft architektonisch zu entwickeln versucht.
Die Modernen h
aben erkannt, dass Geschichte zwei Dimensionen hat. Respekt vor der Geschichte meint somit nicht nur Respekt vor der vergangenen Geschichte, sondern auch Respekt vor der Möglichkeit von zukünftiger Geschichte, von Zukunft.
Natürlich braucht Zukunft Vergangenheit,
aber doch nur, um einen Ausgangspunkt zu haben, nicht als Heimat, sondern als Hafen, in dem man sich ausstattet, um neue Länder zu entdecken. Was Zukunft vor allem braucht, ist Zukunft.

In der ‚Baukulturinitiative’ ist die Diskussion über Geschichte selbst durch Geschichtslosigkeit geprägt. Die Geschichte der Diskussion von Baukultur – mit Fragen etwa zur ‚querelle’, zu ‚Deutscher Art und Kunst’ und zu den ‚Kulturarbeiten’ oder mit der Suche nach einer deutschdemokratischen Baukultur wird verdrängt.
Ergebnis ist ein leer gespülter (Bau)Kulturbegriff.

Die Entgeschichtlichung der Diskussion über die Baukultur zeigt sich auch in dem allein oberflächigen Bezug zu gegenwärtigen gesellschaftlichen (ökonomischen, sozialen, lebenskulturellen) Veränderungen.


Ästhetik

Welche Kunst- und Schönheitsbegriffe stehen bei der ‚Baukultur’ zur Diskussion? Sind die modernen Kunstbegriffe des 20. Jahrhunderts integriert? Wie ist eine zeitgemäße Ästhetik der Architektur und der Stadt zu formulieren? Wie grenzen sich ‚Baukunst’ und Baukultur’
ab?

Man ist sich einig (siehe etwa die 1. Podiums­diskussion im Dezember 2001), dass es keine „gültigen Definitionen mehr gibt und – der intellektuellen Redlichkeit halber – auch nicht geben darf.“ (Dokumentation ‚Baukultur in Deutschland; Berlin/Bonn Mai 2002, S 39)
Was wird da eigentlich beklagt? Dass es keine Gültigkeit, oder etwa dass es keine Definitionen mehr geben darf? Aber was ist nun anders? Gibt es bei dem von der ‚Initiative’ vorgeschlagenen Verfahren nicht auch gültige Definitionen, nur dass sie nun nicht mehr bewusst gemacht und dezidiert als Definitionen ausgesprochen werden.

Karl Ganser plädiert für ein Schwarz-Weiß-Buch, in dem den guten Beispielen die Schwarzfälle gegenübergestellt werden, ‚von denen die Leute sagen, es ist eine Schande’ (S. 67) Sind das nicht die kritisierten ‚gültigen Definitionen’ durch die Hintertür des Einzelfalls? Kann man überhaupt über Einzelfälle eine verbindliche Ästhetik entwickeln?


Architektur

Was für einen Architekturbegriff impliziert ‚Baukultur’? Welche Beziehungen von Kunst, Funktion, Handlungsfeld, Infrastruktur, Materialität und Virtualität der Architektur sind hier relevant? In welchen Zeichen, Sprachen, Codes, Symbolsystemen kann sich dann ‚Baukultur’ äußern, wie gründet und ermöglicht sie Kommunikation?

Das Verständnis von Architektur (wobei es geht hier allein darum, was sie als ihr Verständnis im Rahmen der Aktivitäten zur Baukultur darstellen und damit in das Verständnis von Baukultur einbringen.) variiert bei den an den Aktivitäten zur Baukultur Beteiligten erheblich.
Manche definieren sie als gebaute Umwelt, manche als Form gebauter Umwelt.
Johannes Rau versteht Architektur von der Funktion für den Nutzer her. Für Peter Conradi  ist Architektur vorrangig ein Instrument zur Befreiung der Menschen und für ein schönes und gutes Leben (Dokumentation ‚Baukultur in Deutschland; Berlin/Bonn Mai 2002, S. 19).
Ist dann nicht Baukultur jeweils etwas anderes?

Was ist eigentlich mit dem Wohnen?
Ohne den Großen Philosophen zu zitieren,
aber ist nicht das Wohnen (im weiteren Sinne das kreative praktische und ästhetische Aneignen) der Sinn der Architektur und damit das Ziel des Bauens. Müsste nicht eigentlich letztlich die Wohnenden begründen und bestimmen, was Baukultur ist?

Aber können sie das? Inwieweit können sie das? Werden sie dazu ertüchtigt?


Ein Vorschlag zur Güte

Das Leitbild von Ort und Institution der Baukultur sollte nicht eine Bauakademie sein, sondern ein Kaffeehaus, so wie es als Wunschbild von Habermas  gesehen wurde: der Diskurs muss prinzipiell für alle zugänglich sein, er muss unabhängig von der gesellschaftlichen Identität der Beteiligten geführt werden, es darf keine Ausgrenzung oder Tabuisierung von Themen geben.
Und wenn ‚Kaffeehaus’ dann nicht irgendwelche Zimmer eines Gasthauses sondern die Räume der Stadt sind, könnten wir uns auf den Weg machen.

Und: Über Baukultur sollten diejenigen verhandeln, die ‚noch – nicht’ wissen, was sie ist.

     

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