8. Jg., Heft 2 (März 2004)    

 

___Joachim Ganzert
Hannover
 

Zum Bedeutungskontext der Begriffe „Kultur / Baukultur“[1]

 

Plädoyer für eine Wahrnehmung angemessener Komplexitätsdimensionen

Die Begriffe „Kultur“  bzw. „Baukultur“ haben Konjunktur. Mit dieser Feststellung ist implizit auch (zumindest) eine vorkonjunkturelle Phase angesprochen, die offenbar (quasi) ohne diese Begriffe/Begriffsinhalte auskam oder auskommen zu können meinte (von einer vor-vorkonjunkturellen Phase mit vielleicht sehr fest gefügten Vorstellungen zu diesen Begriffen ganz zu schweigen). Es besteht damit die Frage, wieso diese Begriffe nun von Bedeutung sind bzw. es vorher nicht waren? Und daraus folgt natürlich sofort auch die Frage nach der Bedeutung dieser Begriffe bzw. allgemeiner: was muss im Hinblick auf ihren Bedeutungskontext heute bedacht werden?

I

Versuchen wir dazu zunächst anhand einer sehr komprimierten, schematisch zusammenfassenden Überblicksskizze das 20. Jahrhundert zu rekapitulieren, indem wir es in drei Perioden geteilt betrachten: in eine Kriege-/Zwischenkriegsperiode (vor 1945), in eine Nachkriegsperiode (1945-1989) und eine solche nach 1989.

Zur ersten Periode:
Stellvertretend für viele Ereignisse/Manifestationen in der Architektur sei hier für den Jahrhundertbeginn die Kölner Werkbund-Ausstellung von 1914 genannt und als „bunter Jahrmarkt von Weltanschauungen und Gestaltexperimenten“ charakterisiert. Im Zentrum der verschiedenen Ansätze stand nichts Geringeres als die Suche nach einem neuen Welt- und Menschenbild und deren gestalterisches Sichtbarmachen angesichts der ungeheuren Veränderungen/Veränderungsmöglichkeiten, die sich durch Rationalismus, wissenschaftliche Erkenntnisse und Technisierung/Industrialisierung ergeben hatten und wodurch bisherige Weltdeutungen als nicht mehr glaubwürdig empfunden wurden [2]. Nietzsches „Gott ist tot! Wir haben ihn umgebracht!“ kennzeichnete den Seelenzustand des modernen Menschen, der statt des alten Glaubens einen neuen zu suchen hatte, in dessen Zentrum sich der unbedingte Anspruch auf Autonomie des Individuums mit seinem (dem Dogma der Kirche und Ideal eines Jenseits entgegen gesetzten) Ideal eines Diesseits drängte. Doch trotz dieses Drängens war die Suche nach der neuen Weltgestaltung zu dieser Zeit noch weit aufgefächert in unterschiedlichste Richtungen, von naturromantischen über esoterische zu nah- und fernöstlichen, und der Begrenztheit wissenschaftlicher Welterkenntnis wusste sich eine Weltdeutung entgegenzusetzen, die - ob zu Recht oder nicht, sei dahingestellt -  für die künstlerische Intuition bei der Eingliederung in ein nicht seelenloses Weltganzes einen entscheidenden Beitrag zu leisten vorsah, wobei die Analogie der Gestaltungsgesetze der Kunst zu denen der Natur eine wichtige Rolle spielte.

Aus dieser „Ideen-Buntheit“ entwickelten sich dann mit den Jahren des 1. Weltkrieges (und besonders danach) solch unbunte Größen wie „Schwarz“ und „Weiß“ in zunehmend radikalisierendem Kontrast als dominierende heraus. Unbunt wurden solche Ideen vor allem durch ihr ungeduldiges, heroisch-doktrinäres Heraustreten aus einer noch relativ essayistisch-fragmentarischen und unabgeschlossenen Suchbewegung nach dem Neuen, ihr quasi zu Schicksalsfragen hoch propagiertes und polarisiertes Eintreten für oder gegen Wissenschaft/Technik/ Industrie/Typisierung und den damit verbundenen unversöhnlichen Totalitätsanspruch auf die jeweils einzig Heil und Zukunft versprechende neue Wahrheit. Zu ihrem sofortigen Vollzug war man dementsprechend auch bereit, sich Endkampf entschlossen in politisch-ideologische „Parteiuniformen“ zu kleiden. Datieren lässt sich diese Kondensierungs-, Konzentrations- und Entscheidungsphase ungefähr in die Jahre 1923-28 ff. und mit wenigen Beispielen verbinden:

  • 1923 verlässt Johannes Itten (Vorkursleiter am Bauhaus), der übrigens Mazdaznan-Anhänger war, das Bauhaus; man wendet sich nun am Bauhaus von einer Verbindung von Kunst und Handwerk zu einer solchen von Kunst und Technik/Industrie.

  • 1926 wird die Architektenvereinigung „Der Ring“ gegründet,

  • 1928 dazu kontrastierend „Der Block“.

  • 1927 wird die Weißenhofsiedlung errichtet, zugelassen werden nur noch Architekten einer „Moderne“-Richtung,

  • 1933 die Kochenhof-Siedlung, wiederum in direktem Gegensatz.

Mies van der Rohe lässt sich als einer der Exponenten/Repräsentanten einer stetig schärfer futuristisch agitierenden Propaganda zugunsten einer im Vergleich zu Diskussionen vor dem 1.Weltkrieg nun geradezu alternative- und bedenkenlosen, ja zwanghaft-einseitigen Hinwendung zu Technik, Industrie und Typisierung benennen, auch wenn er den von ihm gerufenen Geistern gegenüber gerade in diesen Jahren (1925/26) auch eine kritischere Sicht einzunehmen versucht. Zu sehr ist er jedoch  - und nicht nur er -  homo faber“ („Heute ist die Tat, wir werden morgen Rechenschaft über sie ablegen“) und Nietzsches Heute-und-Jetzt-Erlösungspathos verpflichtet („Die Vergangenheit lassen wir wie einen Kadaver hinter uns. Die Zukunft überlassen wir den Wahrsagern. Wir ergreifen das Heute.“ [3]), als dass man sich eine Pause reflektorischer Vermittlung hätte erlauben können. Der avantgardistische Habitus strebte nicht nach Vermittlung und schon gar nicht nach einer solchen zur Vergangenheit. Seine Auseinandersetzung mit Rudolf Schwarz (der Mies’ doktrinäre Dürftigkeit kritisierte) oder etwa mit Romano Guardini (von dem der kluge Satz stammt: „Nicht ein ganz Neues, sondern ein neues Ganzes [4]) offenbart gerade in so manchem nur Angedachtem eine  - vielleicht tragische -  Unfähigkeit, sich „nur“ mit einem (aber überlegteren/überlegeneren) Beitrag zu einem „neuen Ganzen“ zu begnügen, als ein angeblich „ganz Neues“ mit aller Radikalität herbei zu zwingen. Gespeist wurde solche tabula-rasa-Mentalität durch einen metaphysisch aufgeladenen Glauben an das Schöpferische, an die schöpferische Kraft des Lebens.

Nicht weniger scharf propagandistisch verfährt z. T. übrigens Hugo Häring, Sekretär und Propagandist des „Ring“ und zeitweiliger Diskussionspartner Mies van der Rohes in Berlin. Er war beseelt vom „kreuzzug des neuen bauens [5]. Doch so sehr Häring genauso an das „ganz Neue“ glaubte, so deutlich äußert sich zunehmend aber gerade in ihm (und nicht nur in ihm) der Exponent/Repräsentant einer alternativen Haltung, die das Neue nicht nur in Technik, Industrie und Typisierung zu erwarten mahnte, sondern in einem organischen Umgang mit Mensch und Natur.

Der parteipolitischen Schwarz-Weiß-Malerei, also der Kleidung in „Parteiuniformen“, ging es, wenn überhaupt, nur sekundär um schwierige Inhalte, sie bediente sich ihrer aus primär macht- und vollzugstaktischen Erwägungen mit einem zwanghaften Jetzt-oder-nie-Glauben und setzte opportunistisch-formal entweder auf dieses, oder auf jenes oder auch auf beide Pferde - jeweils allerdings propagandistisch hoch erhitzt.

Zur zweiten Periode:
Verstrickung in die radikalisierte „Schwarz-Weiß-Parteiuniformierung“ mit all ihren unseligen Konsequenzen, Schuld/Unschuld und Entsetzen dem Ungeheuerlichen des 2. Weltkrieges gegenüber lenkte die Nachkriegswahrnehmung nur in eine traumatisch-einäugige Richtung: weg von der politisch-unreinenSchwarz“- und hin zur politisch-reinenWeiß“-Farbe, wobei sich schwarze Kontinuitäten durch Umbenennungen „weiß“ darstellen ließen [6]. In pauschalisierend-formalistischem Rückblick wurde zudem der jeweiligen partei-politischen Entweder-Oder-Farbe eine ganz bestimmte Entweder-Oder-Form zugeordnet (nur z. B.: Flachdach = avantgardistisch/sozialistisch; Satteldach = traditionalistisch/faschistisch) und natürlich die angeblich „schwarze“ kategorisch ausgeschlossen. Dass die simpel-formalistische und scheinbar eindeutige Pauschalzuordnung im so genannten „Dächerkrieg“ mit der einstigen Wirklichkeit historisch-seriös so nicht zu vereinbaren gewesen wäre [7], hatte keine Geltungschance. Diese extrem eindimensionale Perspektive musste konsequenterweise auch in einem völlig ahistorischen und kontextlosen Raum angesiedelt werden, der durch zensorische Ausgrenzung/Ausblendung „aseptisch-weiß“ gehalten wurde [8].
Und so wurde dementsprechend Architektur mit der TrinitasKonstruktion-Funktion-Form“ auf eine fast nichts sagend reduzierte Definitionsform gebracht und durch den (merkwürdigerweise doch und angeblich historischen, jedoch inhaltlich-seriös ganz unzulänglichen [9]) Verweis auf Vitruv („firmitas-utilitas-venustas“) mit scheinbar geschichtlich begründeter Gültigkeit versehen. Damit waren gewissermaßen alle Maßnahmen getroffen, um eine inhaltlich-kritische Auseinandersetzung mit diesen vorschnellen Entscheidungen für das angeblich reine „Weiß“ und den vielen, einst offen gelassenen, hart umkämpften Weltanschauungs- und Gestaltexperimentansätzen/-fragen zu unterbinden. Dass Architektur benutzbar-zweckmäßig (Funktion), statisch-belastbar (Konstruktion) sein und bestimmten Normen (Neufert) folgen musste, konnte als Existenzminimum eigentlich jedem Kinde einleuchten und befriedigte die angeblich wert- und bedeutungsfreie Funktionalisten- und Ingenieurliebe der Nachkriegszeit. Die Form hatte sich daraus von selbst zu ergeben bzw. wurde dem nicht hinterfragbaren, nun aber nur noch formalistisch bewerteten Künstlergenius überantwortet. Bedeutungs- oder Kulturträgerschaft von Architektur zu diskutieren oder gar zu problematisieren verbot sich angesichts des tradierten Hasses auf den „Stilkarneval“ (J. Joedicke [10]) des 19. Jahrhunderts mit seiner ganzen Bedeutungsschwere; letztlich aber auch, weil sich dieses Terrain nicht nur in Bezug auf die Bedeutungslast aus dem 19. Jahrhundert als zu einseitig kontaminiert darbot. Damit war der architektonische Modernebegriff in einem (scheinbar existenzfähigen) Niemandsland angesiedelt, in dem nur mehr die im Sinne von Wert-/Bedeutungsfreiheit reinen Konstruktionen, Funktionen und Formen Geltung hatten. So wurde auch der Begriff „Entwurf“ verstanden und Entwerfen gelehrt. Dass damit aber doch ganz bestimmte Werte  - und sei es nur das lautlose Anerkennen von (DIN-)Normen -, einseitige Mentalitäten und ahistorische Kontinuitäten aus der Zeit vor dem bzw. während des 2. Weltkrieg/es durchaus wertend, aber autoritär wie schicksalsgegebene Axiome festgeschrieben waren, erschien nicht als Problem; insofern war ein Begriff wie Baukultur in solcher Atmosphäre - verständlicher-/ unverständlicherweise -  natürlich ein Tabu.

Zur dritten Periode
So sehr sich (besonders deutsche) Architektur z. T. allzu sehr nur der Utopie der angeblich ungebundenen (ortlosen = utopischen) Form hingab und in der beschränkten TrinitasFunktion-Konstruktion-Form“ mit mono-„kultureller“ Wahrnehmung einrichtete, so sehr wurde sie von inhaltlichen Entwicklungen dramatisch über-/eingeholt. Aus den bis in die 60-er Jahre (und natürlich auch früher) zurückreichenden Wurzeln entwickelten sich nach und nach die unterschiedlichsten Pflänzchen zu Pflanzen für kritisch veränderte Perspektiven im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen/kulturellen Problemen; aber auch in der politischen Wirklichkeit. Für diesen interessanten Paradigmenwechsel mag die Jahreszahl 1989 nur als Stichwort dienen. Jenseits der Beengtheit eindimensionalen Funktionierens unter den Bedingungen der Nachkriegsjahrzehnte öffneten sich zunehmend ganz andere Wahrnehmungsschichten und -horizonte (und eben nicht nur globale Wirtschaftsräume), die unsere „Weltbildstruktur“ - auch dies nur als Stichwort - erweiterten bzw. aufbrachen (nur z. B. auch im Verhältnis zum Islam). Der Paradigmenwechsel macht sich aber auch ganz allgemein in unserem Umgang mit Historie und in der veränderten Art der Geschichtsbetrachtung deutlich. Geschichte stellt sich uns heute kaum noch unter den Vorzeichen einer wie auch immer gearteten Fortschrittsphilosophie („Vom Faustkeil zum Roboter“) und auch nicht als eine solche angeblich kolossaler Persönlichkeiten (Führer, Heroen, stars) dar. Neben dem nicht gering zu schätzenden kritischen Potential sieht man heute eine enorme Bedeutung der Geschichtswissenschaften bei der Ausformung eines sog. „kulturellen Gedächtnisses“ - wiederum nur als Stichwort -, in dessen Erforschung und Darstellung eine ihrer zentralen Aufgaben liegt. Eine solchermaßen zur Kulturwissenschaft geweitete Geschichtswissenschaft basiert aber nach wie vor auf der Grundannahme, dass der Mensch bei aller Verschiedenheit seiner Existenzformen mit sich identisch sei und bleibe. Dies ist die Vergleichsebene, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bindet und als Erinnerungsebene Identität formt. Das gilt auch für den Bereich der Architekturgeschichte, die nicht nur aus angeblich ständig wechselnden Variablen besteht, sondern auch aus Identität stiftenden Konstanten. Vor diesem veränderten, geschichtswissenschaftlichen Hintergrund und mit einer solchen Perspektive auf den Menschen und die geschichtlich gewachsene, menschliche Kultur - und das heißt nicht zuletzt eben Baukultur - wird eine moderne Architektur-Forschung ihren Sinn wohl kaum in einer einseitigen Heroisierung von Architekten-Persönlichkeiten (und deren gerade opportun erscheinender Werksauslese) sehen, sondern, angesichts besagten Paradigmenwechsels, wird man viel eher Akzente im Hinblick auf einen größeren, komplexeren  und differenzierteren Kontext und seiner historisch-kritischen Beurteilung setzen wollen.

II  

Es lässt sich erkennen:

1.   Der Kontext, der für das Selbstverständnis des 20. Jahrhunderts konstituierend ist und innerhalb dessen die so genannte „Moderne“ fühlt, denkt, argumentiert und gestaltet, ist ein mehr als gemeinsamer mit anderen Jahrhunderten und umfasst in Wirklichkeit natürlich auch weit mehr, als eine ahistorische Attitüde bzw. Einstellung vorzugeben bzw. sich einzugestehen gestattet/e. Solche Absetzungshaltung ist zwar innerhalb avantgardistischer Bewegungen ein selbstverständliches und notwendiges Distanzierungsinstrument zu Bisherigem und hat auch im kulturellen Kontext des beginnenden 20. Jahrhunderts seine Notwendigkeit und legitime Berechtigung. Ein entscheidendes Problem dürfte jedoch dadurch entstanden sein, dass die ahistorische Attitüde so sehr mit dem zu fiebernder Radikalisierung neigenden Zeitgeist und dem modernen Unvergleichlichkeitsgefühl in Gleichklang und damit zu rasanter Kulmination bzw. Polarisation kam, dass sich eine anfänglich nur als (ahistorische) „Haltung-zu-etwas“ darstellende, nur Veränderung anstrebende „Position“ zu einer den totalen Ersatz statuierenden „Festung“, also zu einem zur Absolutheit erstarrten „Gesamtkörper-ohne-Bezug-zu-etwas“ hin zu verhärten tendierte bzw. verhärtete; dass sich also - allgemein gesprochen - ein „Teil“ zum „Ganzen“ hin verselbständigen und damit das Ganze zu ersetzen beanspruchen konnte; dass das notwendige Regulativ außer Kraft gesetzt werden konnte (und zwar mit Mitteln weitestgehender Totalität), das nicht nur das Verhältnis von Teil zu Ganzem kritisch bestimmt, sondern auch Anspruch auf angemessenen Inhalt des Ganzen erhebt.

Dazu hat die Kumulation verschiedener Faktoren beigetragen:
-   die in ihrer Gewalt und Stärke tatsächlich ungeheuren Potenzierungs- und Multiplikationsmöglichkeiten durch technische Mittel (motorische Dynamisierung, Industrialisierung/Standardisierung, industrialisiert-mediale Propagandaflut): diese ließen das heroische Pathos des ahistorisch ganz neuartig Empfundenen nicht nur gedeihen, sondern zu Gigantischem (Häring: „maßstab 10 : 1 [11]), Gewalttätigem und Weltkriegerischem explodieren bzw. entzivilisieren;

  • die Zerlegungs- und Selektierungsmöglichkeiten durch wissenschaftlich-rationale Methodik, Eindringtiefe und Erkenntnis und die damit zusammenhängende Verselbständigung von Teilaspekten (Spezialisierung, analytisch-vergrößernde Einbahnoptik): das Verhältnis von Teil zu Ganzem verschob sich in der allgemeinen Wahrnehmung zugunsten einer Vergrößerungs-/Verabsolutierungstendenz des Teilaspektes;

  • und der Verlust metaphysischer Dimensionen und zusammenschauender Perspektiven durch den das 20. Jahrhundert mit der gesamten Neuzeit verbindenden Prozess der Aufklärung und Säkularisierung: daraus folgend inhaltliche Ausdünnung des Begriffes des Ganzen, Vernachlässigung außerweltlich korrigierender Aspekte und irdisch-eindimensionale Hyperbeln.

Diese sich gegenseitig bedingenden und vor allem verstärkenden Faktoren haben unsere Wahrnehmung in radikalen Kriterien und kurzsichtig-weltlicher, selbstreferentieller Hermetik eingeschlossen, der man sich allerdings durch die sich darin scheinbar glänzend bietenden Möglichkeiten allzu willfährig fügte. Denn bei dieser Art Neubestimmung des Verhältnisses von Teil zu Ganzem, also vor allem auch des Verhältnisses von Mensch zu Natur/Welt/Universum lockten Herrschaftsmöglichkeiten, die durch die Verabsolutierung des irdischen Teiles gegenüber dem universalen Ganzen natürlich faszinierend-hochutopische Potentiale in sich trugen und zu komfortablen Phantasien verleiteten: z. B. zum Phantasma einer Freiheit absolutistisch-irdischer, gewissermaßen „sonnenköniglicher“ Position (für jedermann?) jenseits eines historischen Kontextes und außerweltlicher Bindungen, also zur Abschaffung von „Rechte-Pflichten-Verhältnissen“ zwischen irdischem Teil und universalem Ganzen zugunsten möglichst reiner Rechte - d. h. Herr(scher)-Verhältnisse auf Seiten des irdischen Teils.
Die aus der Überdimensionierung der Teil-Perspektive resultierende Komplexitätsreduktion und der den zur Verfügung stehenden technischen Mitteln innewohnende Verstärkungsautomatismus begünstigten also einen Hang zu Unangemessenheit bzw. Maßlosigkeit, der als moderne-typische Problematik benannt werden kann. Unangemessenheit und Maßlosigkeit rechtfertigen aber nicht eine Sonderbehandlung der Moderne im Sinne eines ahistorischen Ausschlusses aus besagtem historischem Kontext, sondern ihre Eingliederung in ihn führt erst zu dem Maßstab, der das kulturelle Selbstverständnis des 20. Jahrhunderts - im Positiven wie im Negativen - angemessen erklärt und dimensioniert; solcher Kontext stellt also einen Vergleichs- und Beurteilungsrahmen, aber auch Bezugsrahmen dar, zu dem sich das Moderneprojekt ja in so Vielem kontrapositorisch-neu zu verhalten vorgenommen hatte und innerhalb dessen die Moderne erst ihren Geltungsanspruch einlösen konnte. Im übrigen geht und kann es nicht nur um das 20. Jahrhundert gehen: denn ein sich nicht nur auf das 20. Jahrhundert beschränkender historischer Kontext ermöglicht ja umgekehrt auch erst eine vom 20. Jahrhundert ausgehende, also moderne historische Beurteilung solchen Gesamtkontextes mit ihrem positiv aufklärerischen Potential.

2.   Mit genannten „Herrschaftsverhältnissen“ sind eminent-zentral „KULTur- und Gerechtigkeits- bzw. Angemessenheitsverhältnisse“ angesprochen, nämlich: wer oder was soll über wen oder was inwieweit „herrschen“, von wem oder was wollen wir uns bewusst „beherrschen“ lassen bzw. werden wir eben unbewusst „beherrscht“; erkennen wir die Realität des Aktiv-Passiv-Verhältnisses von Herrschaft (an) oder erliegen wir der Glaubensherrschaft an die Unilateralität von Herrschaft; wen oder was machen wir zu unseren Göttern oder Götzen; welchen „Kult“ also wollen wir „pflegen“ und damit welche „KULTur“, d.h. welche „Werte/Kriterien/Würde“ wollen wir darin „verehren“; auf welche normativen Orientierungen und Maßstäbe also wollen wir uns im Konsens einigen bzw. qua „Glaubensbekenntnis“ verpflichten bzw. welche Verfassung ist eine gerechte; welcher „Herrschaft“ also wollen wir „dienen“?

Ein kulturhistorischer Gesamtkontext, der uns entgegen aller ahistorischen Gefühle und Vorstellungen paradoxerweise gerade durch moderne (Moderne im positiven Sinne ihres grundsätzlich-fundamentalen Denk- und Gestaltansatzes) Wissensentwicklungen unvergleichlich größer zur Verfügung steht und zu dem auch der philosophie-/religions-/KULTurgeschichtliche Kontext der „Herrschafts-/KULTur-/Gerechtigkeitsverhältnisse“ zwischen Mensch und Natur/Welt/Universum gehört, kann uns als Vergleichshorizont zunächst einmal aufzeigen, wie sehr solch fundamentale Fragenkomplexe zu allen Zeiten den Menschen immer wieder nicht nur beschäftigt haben, sondern zum Menschsein gehören, und wie er sie mit welchen Konsequenzen beantwortet hat; und dass die Weltgeschichte nicht nur ein Beispiel dafür anzubieten hat, dass alte Weltbilder, alte Götter und alte „Herrschafts-/KULTur-/Gerechtigkeitsverhältnisse“ nicht mehr zu überzeugen vermochten. Das gehört in den Bereich der ganz natürlichen und normal-menschlichen Aufklärungs-, Entmythologisierungs- und Neujustierungsnotwendigkeiten und -bedürfnisse.

Aus solchem Vergleichskontext lassen sich aber eben außer Neu-Justierungen, also außer vielerlei Neuem/Variablen auch Konstanten herausdestillieren, ohne die sich nicht nur das Neue/Variable als solches nicht hinreichend definieren bzw. vergleichend erkennen ließe, sondern ohne die die inhaltliche Struktur und Dimension eines Gesamtkontextes nicht angemessen zu bestimmen und zu garantieren wäre. Zu solchen Konstanten gehören nicht nur Naturgesetze, menschlich-funktionale Grundbedürfnisse, technische Erfahrungen, rationalistisch-positivistische Unbedingtheiten, sondern auch metarationale Bedingtheiten, philosophisch-religiöse Erfahrungen und Betrachtungen, Gewohnheiten und Gewöhnliches, Bräuche, Traditionen, Rituale, Kulte, über das Nur-Individuelle/-Menschliche/-Weltliche hinausweisende Dimensionen; und sie gewissermaßen zu allen Zeiten und jenseits einer Philosophie des Fortschritts („das ganz Neue“ oder „Vom Faustkeil zum Roboter“). Solche Konstanten gehören ebenfalls in den Bereich der ganz natürlichen und menschlich-normalen Kontinuitäts-, Gewohnheits- und Ritualnotwendigkeiten und -bedürfnisse. Gerade im KULTur fundamentierenden Bereich der Kult-/Ritualverhältnisse lässt sich erkennen, dass zwar z. B. Götternamen und „Theologien“ verändert oder weiterentwickelt wurden, Göttereigenschaften, Rituale und Liturgien jedoch als Kultkontinuum und Ritualkonstanten - gerade auch in der die „Ritualinfrastruktur“ bereitstellenden und tradierenden Architektur [12] - so „gnadenlos“ durchgängig weiterlebten, wie sich eben auch der Mensch in seinem Bedürfnis nach metaphysischer Ortung bzw. Orientierung, religiöser Erfahrung und philosophischer Betrachtung [13] nicht nur treu geblieben ist, sondern dies zu seinem Identität und Inhalt stiftenden Sein beigetragen hat.

Und damit lassen sich erst vor einem solchen Hintergrund eines sowohl Variablen, als auch Konstanten angemessen einbeziehenden Gesamt-Einschätzungs-Kontextes z. B. U-Topien (Kein-Ort-Bestimmungen) von Eu-Topien (Gut-Ort-Bestimmungen), Eng-/Eindimensionalitäten von Weit-/Mehrdimensionalitäten, Anmaßungen von Maßstäben bei der Neubestimmung von Herrschaftsverhältnissen und Weltbildern scheiden (und damit kulturlose und entzivilisierende Willkürherrschaften erkennen). Vor solchem Hintergrund wird deutlich, dass mit der Verabsolutierung des Neuen/Variablen ein „ganz Neues“, also der (totale) Ersatz (der einen durch die andere Variable) zwar vielleicht denkbar wird, aber Veränderung im Sinne eines Beitrages zu einem „neuen Ganzen“ ausschließt, das die Dimension des Konstanten ja mit beinhalten muss, wenn man nicht alles bislang von Menschen Gedachte/Gemachte und alle Begriffsinhalte als nicht mehr relevant in Abrede stellen will [14]. Spätestens hier würde sich die ganze Maßlosigkeit eines solchen Denkansatzes (des ganz Neuen) erweisen und der „Ersatz des Teils“ anstatt der „Substanz des Ganzen“ zum herrschenden Wertkriterium werden. Im Übrigen kann ein wirklich offen-kritischer - darin eben auch positiv modernetypischer - und Kultgeschichte einbeziehender, historischer Horizont aufzeigen, dass KULTuren synkretistisch neu zusammenfassende Schöpfungen sind und sich eben dadurch „Herrschafts-/KULTurverhältnisse“ am machtvollsten und befried(ig)ensten neu bestimmen lassen und nicht im angeblich ganz Neuen das Heil zu finden ist, sondern vielmehr Unheil.
Das Regulativ für die Neubestimmung des Verhältnisses von Teil zu Ganzem, für die Bestimmung von Gerechtigkeit, von Angemessenheit lässt sich also nicht wirklich Kultur definierend ohne die Konstanz des Einbezugs außerweltlicher Dimensionen und damit eines inhaltlich entsprechend dimensionierten Ganzen finden - letztlich aber auch nicht außer Kraft setzen. Und eben dieses letztere „Nicht-außer-Kraft-setzen-Können“ zwingt zur Auseinandersetzung mit diesem Regulativ und seinen Kriterien, wenn es nicht ganz unkontrolliert seine Macht und Herrschaft im Un(ter)bewussten ausüben soll.

3.   Angesichts der maßlosen Überdimensionierung der Teil-Perspektive, der damit einhergehenden, „gewaltigen“ Komplexitätsreduktion und der sich darauf stützenden Neubestimmung von „Herrschafts-/KULTur-/Gerechtigkeitsverhältnissen“ tritt die Bedeutung solcher Begriffe wie „Angemessenheit“, „Maßstäblichkeit“, „Verhältnismäßigkeit“ (zentrale Begriffe auch der Architekturtheorie) augenscheinlich hervor, wenn man an eine wirklich breite Diskussion eines umfassenden Kultur-/Baukulturbegriffes denkt. Eine solche Debatte hat ja im Übrigen bereits begonnen bzw. wird schon seit einiger Zeit geführt. Durchaus im Sinne einer durch einen grundsätzlich-fundamentalen Denk- und Gestaltansatz definierten Moderne zielt z. B. die dekonstruktivistische Analyse der Strukturen (Strukturalismus) eines solch hermetisch verschlossenen „Haus(halt)es“, wie dem des 20. Jahrhunderts, in diese Richtung. Bisherige Heilslehren (wie z. B. paramilitärische Ausbeute- und Beherrschungs-strategien monotoner Industrialisierungsbegehren) werden von einem alternativen Bewusstsein für „Haushalt“, für Ökologie (oikos-logos = Haushalts-lehre) in Frage gestellt, das den Umgang mit der Umwelt meint; weiter begriffen ist damit aber über die zunächst nur physisch verstandene auch die mentale und metaphysische Umwelt angesprochen.
Damit ließe sich die durch die Radikalisierungen der 20-er bis 40-er Jahre unter- bzw. abgebrochene Diskussion fortführen und an die Angemessenheitsüberlegungen z. B. eines Hugo Häring anknüpfen, in denen es auch darum ging, die technische Welt der Autorität der geistigen zu unterstellen, oder an jene Forderung eines Romano Guardini nicht nach einem „ganz Neuen“, sondern nach einem „neuen Ganzen“. Beiden Denk- und Gestaltansätzen geht es um die angemessene Neubestimmung von Herrschaftsverhältnissen, die nicht ohne den Kontext des Erfahrungswissens um bisherige Herrschaftsverhältnisse gedacht werden kann; das zeigt ja u. a. gerade die Geschichte des 20. Jahrhunderts mit seinen nicht nur politischen „Führergötzen“ als bindungslos-total auftretende Herrscher. Nicht die Vernichtung und Zerstörung, sondern nur die Auseinandersetzung mit Bisherigem und die schöpferische Neuformulierung durch Inkorporierung z. B. bisheriger KULTur-Konstanten führt zu einer Neudefinierung des Kulturbegriffes; und dies nur in den unserem Wissensstand angemessenen Kontextdimensionen.

Ein diese Kontextdimensionen einlösender Wahrnehmungshorizont kann wiederum nur ein „oikoumenischer [15] sein, wenn wir uns nicht nur die Geschichte des Philhellenismus/Eurozentrismus, sondern auch die des Antisemitismus/Antiorientalismus (z. B. unser Verhältnis zum Islam) vergegenwärtigen.
Wenn uns heute für solche Auseinandersetzung durch moderne Wissensentwicklung ein historischer Kontext unvergleichlich größer zur Verfügung steht, dann stellt er nicht nur eine zu seinem Einbezug auffordernde Autorität [16], sondern auch eine solche zur erkennenden Regelung u. U. wiederum einseitig-überdimensionierter Herrschaft eben dieses historischen Kontextes dar, um nicht der Gefahr zu erliegen, sich in kontrapositorischer Abhängigkeit von ahistorischen Phantasien des 20. Jahrhunderts allzu historisch zu verkrampfen [17]. Nicht die hyperaktiv-historisierende Reaktion auf eine einseitig entgegen gerichtete Aktion, sondern nur ein dem Gesamtkontext verpflichtetes Verhalten führt zu angemessenen Verhältnissen. Denn die (nicht nur denkmalpflegerische) Forderung nach historisch-kontextueller Wahrnehmung ist eine kulturell zu berechtigte, als dass man nicht auch sie vor moderne-typischen Einseitigkeiten und Maßlosigkeiten schützen sollte. Doch haben auch hier schon die letzten Jahre/Jahrzehnte Ansätze zu einem Bewusstseinswandel hervorgebracht, denn es ist heute - gerade nach dem zu Ende gegangenen 20. Jahrhundert mit seinem maßlosen Zerstörungsgeist -  unser nicht mehr würdig, solch unsägliche Antagonismen wie „unfreie“ Denkmalpflegespezialisten einerseits und „freie“ Architekturentwerfer andererseits, also den nicht nur die Architektenmentalität bestimmenden Alt-Neu-Dualismus fortzusetzen; oder in der Architektenausbildung Architekturgeschichte einerseits abzulehnen, Architekturtheorie aber zu akklamieren, wobei man darunter ganz offensichtlich nur eine solche der einseitig verstandenen so genannten „modernen“ Architektur und sie nur affirmativ bejahend versteht (wie aber ließe sich Theorie von Geschichte trennen?); oder ein Anerkennen von „Weltkulturerbe“ einerseits, „moderne Baukultur“ aber ohne die die Kreativität angeblich behindernde Auseinandersetzung mit dem historischen Erbe zu sehen; oder, oder, oder … um welch zahlreiche weitere Schizophrenien es sich auch immer handeln mag. Das kann nur Bau-Unkultur zur Folge haben, denn eine ausschließliche und damit ausschließende Konzentration auf nur die eine oder andere Ebene erreicht ganz sicherlich auch hier ein kulturelles Gesamtes nicht.

Dem entspricht in der Wissenschaft der letzten Jahre ganz allgemein auch das Fragen auf unterschiedlichsten Ebenen und interdisziplinäres Arbeiten als Suchebene nach Angemessenheit und Ausgeglichenheit unter den verschiedenen Disziplinen (oder z. B. die allgemeine Forderung nach Breite in der Architektenausbildung [18]); dass zu solcher Interdisziplinarität aber nicht zuletzt z. B. auch die Ebene des Sakralen und der Religionen gehört, wird entweder noch immer zu sehr der jeweils (angeblich) anderen Fakultät überlassen oder es entgeht positivistischem Wahrnehmungsinstrumentarium als zu „irrational“ und damit angeblich zu unwissenschaftlich. Aber nicht der Mensch allein, sondern auch ein außerweltlicher Bezugspunkt spielte immer eine zentrale Rolle in der Geschichte der Weltbilder und muss dies, nicht zuletzt auf kritische Weise, auch auf heutiger weltbildlicher/„weltbaumeisterlicher“ Ebene tun.
Und so trifft dies auch direkt für den Bereich der Architektur zu: nicht die „Zweckform“ allein definiert Architektur hinreichend, sondern auch die „Würdeform“; der Repräsentations- und Sakralbau, einschließlich Bauten sozialer Würde (Arme-Reiche-Verhältnisse), stellte in der Architekturgeschichte oft genug die Avantgardearchitektur schlechthin dar und bot Räume in städtebaulichen Zusammenhängen, die Stadtkultur konstituierend wirkten. Eine Baukulturdiskussion kann sich nicht nur auf den angeblich reinen Profan- und Zweckbau, der im übrigen oft genug durch unmittelbar sakrale Bezüge bestimmt war, beschränken und auch nicht nur auf das, was man heute unter „Repräsentationsbau“ versteht. Angesichts der Herrschaftsverhältnisse im 20. Jahrhundert und der Erfahrungen mit der Willkür, Selbstherrlichkeit und Selbstbezogenheit bindungslos-totaler Herrscher - nicht nur in der Politik - lässt sich heute wohl nur von „Ostentationsbau“ (im Sinne von Selbstdarstellung) sprechen, der sich ja fundamental von dem Begriff „Repräsentationsbau“ (im eigentlichen Sinne von „Stellvertretung“) unterscheidet. Zu eindimensional wird auch hier der Begriff „Repräsentation“ verstanden oder tabuisiert überhaupt gemieden und damit all die ihn angeblich darstellenden baulichen Charakteristika und Formungen, wie z. B. Axialität oder Symmetrie, oder in eine angeblich „fortschrittlich“ und restlos überwunden verkündete Vormoderne abgeschoben. Ganz ähnlich wie sich im so genannten o. a. “Dächerkrieg“ eine von politisch-ideologischen Klischees geprägte Wahrnehmung oberflächlich-formalistischen Ausdruck zu verschaffen sucht, so auch bei dieser Thematik [19].
Hermetische Wahrnehmung aber hat die entsprechende Ästhetik (aisthesis = Wahrnehmung) zur Folge und das ist wohl weder Kultur noch Baukultur. Die Begriffe „Kultur/Baukultur“ haben also hoffentlich deshalb Konjunktur, weil man dringlicher denn je den Verlust der Teile spürt, die zu einem wirklichen Ganzen fehlen, und weil man erahnt, dass der Begriff „Kultur/Baukultur“ dieses Ganze meint bzw. erst durch dieses Ganze hinreichend definiert wird; auch heute. Und weil man die drängend-zentrale Bedeutung einer Auseinandersetzung mit dem Kultur und Baukultur verbindenden und konstituierenden, im übrigen seit je die Architekturtraktate beherrschenden Begriff wie „Angemessenheit“ spürt; und dies gerade heute. Dies ist eine der geistigen Verpflichtungen, die z. B. mit dem Beruf des Architekten zu verbinden ist [20].


Anmerkungen

[1] Dieser Beitrag stellt die veränderte Version eines Artikels dar, den der Verf. für die Publikation der Jahrestagung des Arbeitskreises für Theorie und Lehre der Denkmalpflege 2001 in Graz zum Druck gegeben hat.

[2] Als ein Beispiel mag hier Bruno Tauts Glashaus dienen; dazu s. z. B.: A.Thiekötter u. a., Kristallisationen, Splitterungen. Bruno Tauts Glashaus, Basel 1993.

[3] beide Zitate Fritz Neumeyer, Mies van der Rohe. Das kunstlose Wort, Berlin 1986, S. 179.

[4] Neumeyer (s. Anm. 3), S. 263.

[5] H. LauterbachJ. Joedicke, Hugo Häring. Schriften, Entwürfe, Bauten, Stuttgart 1965, S. 53.

[6] dazu s. a. Werner Durth, Deutsche Architekten, München 1992.

[7] nur z. B.: selbst ein Mies van der Rohe hat noch 1922 Walmdächer (mit Fledermausgauben) und Flachdächer gleichzeitig entworfen und Albert Speer für seine Berliner Nord-Süd-Achse Bauten praktisch nur mit Flachdächern.

[8] nur z. B.: Publikationen der Nachkriegsjahrzehnte zu Mies van der Rohe wiederholen in zahlloser Folge immer nur einen bestimmten und gleichen Flachdach-Ausschnitt aus seinem Werk.

[9] s. dazu Vitruvs 1. Buch (Vitruv. Zehn Bücher über Architektur, Überstzg. Curt Fensterbusch, Darmstadt 1976), in dem nicht nur drei, sondern eine ganze Reihe Architektur definierender Begriffe genannt sind.

[10] J. Joedicke, Geschichte der modernen Architektur, Stuttgart 1958, S. 9.

[11] Lauterbach-Joedicke (s. Anm. 5) S. 52.

[12] s. dazu nur z. B. die Konstanten im Herrscherzeremoniell vom alten Orient bis in unsere Tage (Verf., Im Allerheiligsten des Augustusforums, Mainz 2000, S. 77ff.).

[13] nur z. B.: die „Selbstbetrachtungen“ eines Marc Aurel könnten in Vielem heute geschrieben sein.

[14] wiederum nur z. B. s. dazu die historisch nicht haltbaren, enormen Interpretationskonstruktionen bisherigen Geschichtsverlaufs bei Hugo Häring (wie Anm. 5) S. 68 od. S. 74.

[15] dazu s. Verf. (s. Anm. 12) S. 111.

[16] Sonst müssten wir uns künstlich unwissender erklären, als wir tatsächlich sind.

[17] Ein solch fast martialischer Begriff wie „Denkmalpflege“ z. B. wäre, besonders in Deutschland, daraufhin zu überprüfen, wie weit er zur Heroisierung eines jeglichen historischen Etwas beiträgt und damit ahistorischen Sehnsüchten Einseitigkeits- und Übertreibungsargumente liefert; andere Länder kommen z. B. mit Begriffen wie „Kulturgut“ auch nicht schlechter zurecht.

[18] Solch schwierige Diskussionen müssen weit mehr in die Architekturlehre Eingang finden, erstens, um dem gravierenden Theoriedefizit zu begegnen, und zweitens, wie Häring 1946 [s. Lauterbach-Joedicke (s. Anm. 5) S. 55] formulierte, damit die Studierenden wirklich Studierende werden und sie nicht „in einen fertigen denkraum“ hineingestellt werden, „um dessen praktiken zu erlernen. Daß dieser denkraum eben zusammengebrochen ist, ist in diesen lehranstalten noch nicht zur kenntnis genommen worden.“ „Sie sind in der tat technische hochschulen und keine geistigen.“ Ist es noch nötig, Härings Aktualität darin weiter zu exemplifizieren?

[19] Hierzu gehören auch solch ganz ähnlich formalistische Klischees wie: gebaute Demokratie = gläsern-transparent, selbst wenn es sich um Panzerglas handelt.

[20] s. dazu Häring 1946 [Lauterbach-Joedicke (s. Anm. 5) S. 51] : „Was uns ..  hier zusammenführt, ist, daß wir mit dem beruf des architekten eine reihe geistiger verpflichtungen verbinden, die uns anhalten, überall, wo wir hand anlegen, den forderungen einer aufgabe nicht nur in einem materiellen und technischen sinne zu genügen, sondern den dingen, die wir machen, auch gestalt und gesicht zu geben, d.h. auch ansprüche eines geistigen lebens zu erfüllen. Ich sage ihnen nichts neues, wenn ich sage, dass die katastrophe, in der wir uns befinden, eben eine katastrophe des geistigen lebens ist, eine katastrophe, herbeigeführt dadurch, dass wir uns nicht mehr um die autorität der geistigen kräfte, um die höhere macht einer geistigen welt kümmerten.“

 


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8. Jg., Heft 2 (März 2004)