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8. Jg., Heft 2 (März 2004) |
___Jörn Köppler Graz |
Baukultur und Versöhnung |
1. Wo stehen wir? –
Hypothese Fragt man nach Baukultur in unseren Tagen, mag es hilfreich sein, zuerst auf das zu schauen, was zumindest als Bauen unserer Kultur in der Gegenwart beschrieben ist. Was sich jedoch so einfach anhört, birgt die folgerichtige Schwierigkeit in sich, vereinfachen zu müssen, möchte man heutiges Bauen auf überhaupt zu reflektierende Nenner zu bringen, ohne sich in Detailabhandlungen zu verirren. Man wäre also von vornherein zur Unschärfe, im negativen Sinne: zur Unrichtigkeit verurteilt, womit der Nachteil des verkürzenden, essayistischen Rahmen beschrieben ist. Interpretiert man allerdings Unschärfe positiv - was zugleich den gesamten methodischen Ansatz dieses versuchten Nachdenkens des Begriffes der Baukultur beschreibt -, so kann durch Distanz zum allzu Genauen ein größerer Bildausschnitt freiwerden, der idealerweise weiter gefasste, grundlegendere Zusammenhänge deutlich werden lässt. Nimmt man also mit solchen leicht zusammengekniffenen Augen heutiges Bauen wahr, so wäre es möglich, drei verschiedene Tendenzen auszumachen, die, wie man sehen wird, eigentlich nur eine einzige darstellen und in gezeigten drei Beispielen repräsentiert sind: | ||
Abb. 1 Diener und Diener: Wohnanlage Amsterdam Abb. 2 Weber-Haus Abb. 3 Peter Cook; Colin Fournier: Kunsthaus Graz, 2003 |
Zuerst eine im Jahr
2001 von den Schweizer Architekten Diener und Diener in Amsterdam gebaute
Wohnanlage, die sicherlich für die 1996 von Heinrich Klotz einst
postulierte, so genannten „2. Moderne“
[1]
steht, die, wenngleich ohne schlüssige inhaltliche Begründung, seit etwa
Anfang der 90er Jahre bis heute das Bauen der Klassischen Moderne formal
wiederholt, der Sprache also der entpoetisierenden Abstraktion und des in
der Folge technischen Ausdrucks, worauf später noch einzugehen sein wird.
Betrachtet man allein den quantitativen Anteil dieser 2. Moderne an den
gegenwärtigen Architekturpublikationen, wäre diese Strömung sicherlich als
die stärkste der Zeit zu bezeichnen. Eine Spielart dieser 2. Moderne,
ähnlich dem vergangenen, mehr propagierten, als gebauten Dekonstruktivismus,
stellt das rechte Bauwerk dar, das in diesem Herbst fertig gestellte
Kunsthaus in Graz des Britischen Architektenteams Peter Cook und Colin
Fournier. Denn obwohl diese als „Blob-Architektur“ bezeichnete Tendenz
gemeinhin als Gegensatz zur so genannten, wie
bei Diener und Diener gesehenen „Box-Architektur“ dargestellt wird, scheint
doch auch dieses Bauen als eine Art formalisierter Neo-Organik ebenso
nachmodernen Anschluss an das Bauen
Klassischer Moderne zu suchen. In der Mitte schließlich das große X, die
große Unbekannte heutigen Bauens, das anonym-ökonomisierte Bauen, welches -
vielleicht wie seit je? - längst ohne nennenswerten
Einfluss von Architekten den Großteil des heute Gebauten ausmacht.
Zuhause ist dieses Unbekannte, hier als Weber-Fertighaus gezeigt,
vornehmlich in der von Thomas Sieverts so getauften Zwischenstadt, dem
scheinbar schwarzen Loch aller Bemühungen um Baukultur. Das also wäre der vorgeschlagene Querschnitt gegenwärtigen Bauens, der wie gesagt kein Anspruch auf Detailgenauigkeit erhebt, sondern vielmehr das heutige Architekturgeschehen bestimmende Strömungen beschreiben will. Alle diese drei Formaltendenzen zeitgenössischen Bauens verbindet nun, das ist die schlechte Nachricht im Sinne einer Diskussion um Baukultur und gleichzeitig die These dieser Argumentation, dass sie alle den Bereich der Baukultur nicht berühren, ja, nicht berühren können, da sie von der Idee der Kultur denkbar weit entfernt sind. Was bedeutet, dass sie auch der originären Stimmlage gelungener Kultur und deren räumlicher Fassung, der Baukultur, verschlossen sind: der versöhnenden Wirkung der Schönheit. Jener Schönheit, die für die Bewohner von Architektur nach Erfüllung der vitruvianischen Kategorien der firmitas und utilitas den sicherlich wichtigsten Moment des Bauens und damit Ziel aller Baukultur darstellt. Jede zeitgenössische Architektur, die sich innerhalb des Feldes, welches die gezeigten Beispiele aufspannen, bewegt, wäre also das direkte Gegenteil eines Begriffes von Baukultur, einer gedachten und geplanten Stiftung Baukultur somit hoffnungsloses Modell. Dazu, um das Gesagte belegen zu können, ist natürlich der Begriff der Kultur, deren architektonische Ableitung der Baukultur sowie der Begriff der Schönheit näher zu klären. Doch nicht, um durch den Beleg eine Schwarzmalerei der Hoffnungslosigkeit aller Bemühungen um Baukultur entstehen zu lassen, sondern vielmehr um die Perspektive einer Idee von Baukultur zu entdecken, die unter allen aufgeregten und aufgescheuchten Architekturdiskursen der Gegenwart nach wie vor verborgen scheint und als uninstrumentalisierbar, da poetisch, uns mit dem Grundsätzlichsten der griechischen architektoniké, der Höheren Baukunst, wieder bekannt zu machen vermag: Der Raumhüllung des Seins, menschlichen und natürlichen. 2. Die Idee der Kultur: Das schöne Sinn- und Trostgedicht menschlichen Seins Beginnt man mit der Begriffsklärung der Kultur, so sind im, wenn man so sagen kann, gleichsam heideggerianischen Nachhören der Wortbedeutungen des Begriffes der Kultur bereits wichtige Hinweise auf das Wesen der Idee von Kultur zu finden, sagt doch der lateinische Wortgrund des cultus eine interessante Erweiterung unseres umgangssprachlichen Verständnis von Kultur aus. Dieser cultus, ein Begriff den wir zwar noch kennen, der aber in den Zeitläuften längst von dem Substantiv der Kultur abgespalten wurde, bezeichnete die Gesittung, bzw. die Lebensweise, zugleich aber eben auch: die Verehrung. Diese Bedeutung der Verehrung ist auch im zum cultus dazugehörigen Verb aufgehoben, dem colo, was das Bestellen des Landes, das Hegen und Pflegen des Ackerbaues, dass Wohnen selbst so gut wie das Verehren und Anbeten beschrieb. Ein weiterer Blick zurück, in das Altgriechische, bringt einen zusätzlichen, nachdenkenswerten Aspekt zur Beschreibung des Wesens von Kultur zur Sprache, die paideia, die Kultur, schloss gleichzeitig die Bildung und Wissenschaft in ihre Bedeutung mit ein, wobei das mit ihr verknüpfte Verb, paideyo, Erziehen und Belehren sowie auch das Gewöhnen beschrieb. Hebt man sich diese Spuren der Sprache, die ja unmittelbare und damit genaue Abdrücke von Dingen und Ideen in unser Geistesleben bezeichnet, vorerst auf und betrachtet folgende, künstlerische Zeugnisse von Kultur, so mag in der Zusammenschau von beidem deutlicher werden, in welches Wesen von Kultur diese Hinweise zeigen. | |
Abb. 4 Nördlicher Sternenhimmel Abb. 5 Giovanni Antonio da Varese; Giovanni de Vecchi: Sala del Mappamondo, 16. Jh. Palazzo Farnese, Caprarola, Latium |
In dieser Gegenüberstellung eines Blickes in den nächtlichen Sternenhimmel
und dessen im 16. Jahrhundert von den
Künstlern Giovanni Antonio da Varese und Giovanni de Vecchi gemaltes Abbild
in Sternbildern im Deckenfresko des farnesischen Sala del Mappamondo in
Caprarola zeigt Kultur, dessen Zeugnis zu sein dieses Kunstwerk fraglos
beanspruchen kann, sich auf poetische Weise weiter präzisiert: Der Mensch
dichtet sich das reine Bild der Natur, der Welt, die ihn umschließt, hier
als Sternenhimmel gesehen, um, erzählt sich das Fragwürdige in Bezug zu
seiner Existenz sowie seiner Existenz selbst - und wer kennt dieses nicht
beim Blick in die Sterne - in ein Bild von Geschichten, in diesem Falle die
Sternbilder, in denen die Welt als von Göttern beseelt erscheint, unter
deren Schutz und deren Pflicht der Mensch gestellt ist. Der Orionmythos sei
hier nur stellvertretend für die reiche Welt der in Caprarola dargestellten
Sternbildmythen genannt, in dem Orion selbst, ein stolzer, riesenhafter
Jäger, Sohn des Poseidon, die Liebe zu den Plejaden,
den sieben Töchtern des Atlas, durch Zeus
versagt blieb, die er dennoch, obwohl vom Himmelsstier bewacht, Nacht für
Nacht zu erreichen ersucht. | |
Abb. 6 Orion mit den Hyaden und Plejaden Abb. 7 Giovanni Antonio da Varese; Giovanni de Vecchi: Orion, Sala del Mappamondo, Caprarola |
Sich mit beredter
Götterwelt also umhüllend, scheint der Mensch einen Zugang zu der
gegenüberstehenden fragwürdigen Welt zu finden, wobei die Bedeutungen des
cultus, der Verehrung, vor allem aber des colo, des Wohnens und
der paideyo, der Gewöhnung, sich eingeschlossen und verknüpft mit
diesen, man könnte sagen Vertrauen machenden Bildern zeigen. Ein
Zusammenhang, der in der Betrachtung einer anderen Kulturerzählung, einer
der Urszenen der Menschwerdung, der Paradiesvertreibung der Bibel, noch
deutlicher werden mag. | |
Abb. 8 Michelangelo: Sixtinische Kapelle, 1508-1512 Abb. 9 |
Der Mensch, im Paradies ununterschieden von und damit fraglos in der Welt
lebend, isst also, wie von Michelangelo im
Deckenfresko der Sixtinischen Kapelle dargestellt und weithin bekannt, von
der Schlange angestiftet vom Baum des Wissens. Die Wirkung dieser Tat, und
das ist mehr als die Schuldfrage von Interesse, war die menschliche
Selbsterkenntnis, die Unterscheidung des Selbst von der Welt, die sich in
dem frappierend einfachen und einleuchtenden Bild der Bibel, der Erkenntnis
der eigenen Nacktheit ausspricht, über deren Scham Gott auch erst erkannte, dass der Mensch von besagtem Baum gegessenen
hatte: „Aber Gott rief den Menschen: Wo bist du?“ der Mann antwortete:
„Ich hörte dich kommen, da bekam ich Angst und versteckte mich, weil ich
nackt bin!“ „Wer hat dir das gesagt?“ fragte Gott „Hast du etwa von den
verbotenen Früchten gegessen?“ [2].
Damit der Mensch nun nicht auch noch vom zweiten, etwas unbekannteren Baum
des Paradieses, dem Baum der Unsterblichkeit, esse, wird er von Gott aus dem
Paradies vertrieben, mit dem für diese Diskussion interessanten Hinweis,
fortan in karger, feindlicher Welt leben zu müssen, die nur durch Mühe,
Ackerbau und letztlich Gottesdemut - wie in der bald folgenden Sintflut
beschrieben -, durch Kultur im Wortsinne also, bewohnbar wird. Fasst man das bisher Gefundene zusammen, wie es auch in der in Abb. 9 gezeigten Skizze versucht ist, könnte man es also als Anlass von Kultur bezeichnen, dass der Mensch, indem er sich erkennt und überhaupt erst als unterschieden von der Welt wahrnimmt - der Sternenhimmel, in den ich schaue, ist dann eben ein nur physischer Himmel von Sternen, anderem, und ich ich, sich wahrnehmende, nicht unterschiedslose, blinde Materie - damit als denkendes, geistiges Wesen gleichsam aus der Welt fällt, in die er nun, sei es aus Erinnerung der Schönheit des einstigen „eingeweihten“ Aufgehobenseins in Welt, wie in der Philosophie der anamnesis Platons beschrieben [3], oder aus der einfachen Notwendigkeit heraus, in dieser Welt leben zu müssen, nicht zu können oder zu wollen, sondern zu müssen, zurück möchte. Er sucht danach, womit sich die Hinweise der Wortgenealogie der Kultur erklären, in ihr zu wohnen, sich in ihr zurechtfinden, sich ihrer als Fremdes zu gewöhnen. Und genau dieses, dieser Wunsch gebiert nun Kultur als Idee, als gleichsames Versöhnungs- bzw. Trostgedicht der Trennung von Mensch und Welt, welches durch Poetik - nicht Beschreibung - des Soseins einen sinnhaften und damit wohnbaren Raum, ein Drittes zwischen der Welt als nur physischem Objekt und dem in seiner Selbsterkenntnis fragenden, suchenden und auch hoffenden Menschen als geistigem und damit moralischem - also nach dem lateinischen Wortursprung der moralis seinen Charakter reflektierendem - Subjekt schafft. Ähnliches mag in der von Ernst Cassirer vorgestellten „Philosophie der Symbolischen Formen“ beschrieben sein, in deren Zusammenhang er Goethe zitiert: „Man weicht der Welt nicht sicherer aus, als durch die Kunst und man verknüpft sich mit ihr nicht sicherer, als durch die Kunst“ [4], gleiches gilt für den von Adorno in der „Ästhetischen Theorie“ beschriebenen „mimetischen Impuls“ [5], auf die an dieser Stelle hingewiesen sei. Kultur, so verstanden, wäre also die sinnhafte Konstruktion, das Sinngedicht eines Verhältnisses zwischen physischer Welt und geistigem Menschen, Baukultur, als eigentliche Architektur, die, wie durch den Begriff selbst bezeichnet, räumliche Prägung desselben. 3. Seinsgedanke und Baukultur Wie unterschiedlich und doch gleichzeitig ähnlich nun diese Idee von Kultur und die aus ihr errichtete räumliche, baukulturelle Übersetzung interpretiert und mit Leben gefüllt wurde, wird in der Betrachtung ihrer drei großen, die europäische Geschichte bestimmenden Fassungen deutlich: Das antike, das christliche und schließlich das Seinsverständnis der Aufklärung wären diese drei, die in der Folge in ihrem Verhältnis zum Bauen gezeigt sind. Natürlich, was zumindest Antikes und Christliches betrifft, in der schon angesprochenen Unschärfe, ja Verkürzung (was vielleicht gemildert wäre durch das pars pro toto der Beispiele). Doch beides ist in diesem Zusammenhang als eher genealogisch wichtig zu verstehen für die Kultur und das Bauen der Aufklärung, der Moderne, welche im Sinne der eingangs formulierten Hypothese hier von hauptsächlichem Interesse sind. | |
Abb. 10 Nördlicher Sternenhimmel Abb. 11 Zeus-Altar, Pergamon: Athene im Kampf mit dem Giganten Alkyoneus, um 180 v. Chr. |
In der dargestellten Gigantomachie des
Pergamon-Altares ist die erste der drei Kulturkonstruktionen – die der Antike –
eingehend repräsentiert. Verstanden als sinngebende Seinserzählung zeigt sie
sich als Kampf der olympischen Götter, Hüter des Gutes des Geistigen – und
damit also des Menschlichen – mit der rohen und unmäßigen Physis der Welt,
der Naturgewalt, die in den Giganten lebte, ein gleichsames Kulturwerden
also. Indem nun, nach jahrelangem Kampf, schließlich die Olympier die
Oberhand gewinnen, war damit auch gleichnishaft das rein Physische, das für
den Menschen Fremde der Welt gebannt - ein Gigant beispielsweise wurde von
der Athene in das Meer gerammt, wodurch er zur Insel versteinerte, das
heutige Sizilien - und die Welt, der Kosmos, als eine bevorzugt
geistig-moralische, also für den Menschen kultiviert-wohnbare Ordnung
vorgestellt. Ein wichtiger Aspekt der Gigantomachie ist dabei, dass erst ein Menschlicher, halb Gott, halb
Sterblicher, nämlich Herkules die Schlacht entscheiden konnte, womit die
Teilhabe des Menschen selbst an dieser kultureinrichtenden
Weltenmetamorphose bezeichnet war. | |
Abb. 12 Nördlicher Sternenhimmel Abb. 13 Tempel E, Selinunt, Sizilien, um 450 v. Chr. Abb. 14 |
Dieses wie andere
Sinngedichte griechischer und in eingeschränkter Weise römischer Kultur,
fanden dann ihre räumliche, also baukulturelle Fassung in der bis heute
vielleicht bildendsten aller, dem
griechischem Tempel als Haus der beschriebenen Götter: Wie im gezeigten
dorischen Tempel E in Selinunt ist die als allgemeine Idee von Kultur
beschriebene Konstruktion eines Welt-Mensch Verhältnisses über ein
verbindendes, erzähltes Drittes in einen solchen architektonischen Raum
verwandelt, in dem der Mensch den den Sinn des Daseins stiftenden und
gewährenden Göttern begegnen kann und durch diesen idealen Ausschnitt von
Welt hindurch, was das lateinische templum
als „Beobachtungskreis“ einst auch bezeichnete, den geistigen Menschen eine
ihm zugängliche physische Welt begegnen lässt. Eine Bauidee, die, wie man
sehen wird, auch christlicher Baukultur zu Eigen
ist. | |
Abb. 15 Nördlicher Sternenhimmel Abb. 16 Michelangelo: Sixtinische Kapelle, 1508-1512 |
Die der Antike folgende christliche Kulturkonstruktion war ja bereits in der
Paradiesvertreibung angesprochen, nachgeholt sei hier der Blick in die
Sixtinische Kapelle, aus der das in Abb. 8 gezeigte Bild von Michelangelo
genommen war. Auch hier, im christlichen Seinsverständnis also der Weg des
Menschen zur Welt durch und an der Seite nun nur noch einen Gottes, der aber
gleich den griechischen Göttern das geistige Gut des Menschen, seine
Moralität versichert und dazu für menschliche Hybris und Missachtung dieses Geistigen, also Rückfall
in das rein Natürliche, Physische, drastische Strafen bereithielt, man denke
hier nur an die Urszene menschlicher Eifersucht, der Tötung Abels durch
seinen Bruder Kain aus Neid um die Gunst Gottes, der für diese archaische
Unmenschlichkeit mit dem Kainsmal gezeichnet wurde und als nur noch
„heimatloser Flüchtling umherirren“
[6] musste. Heimatlosigkeit, jetzt kann man
sagen: Kulturlosigkeit also als Strafe, ein Verweis aus der Welt, wenn man
so will. Das Gegenbild
aber, die Begegnung mit Gott und durch sie hindurch, durch den Glauben,
auch mit der Welt, ist eigentlicher Gegenstand christlicher wie schon
antiker Baukultur, gleichermaßen eingefasst in den Raumgesängen der
Kathedralen wie auch den baukulturellen Phantasmen des Barock. | |
Abb. 17 Nördlicher Sternenhimmel Abb. 18 Kathedrale von Ely, England, Vierung, 14. Jh. Abb. 19 |
Dann, mit langsamem Verstummen - oder
sollte man sagen: Absterben? - der christlichen Kultur, gründet sich
spätestens gegen Ende des 16. Jahrhunderts
die genannte dritte Kulturkonstruktion europäischer Geschichte, das
Seinsverständnis der Aufklärung, welches, wenn wir es denn wollen, bis heute
gelten mag und deshalb wie gesagt genauer betrachtet ist. Was in Bezug auf
die Konstruktion eines Verhältnisses zwischen Welt und Mensch durch sie
geschah, ist in der untenstehenden Skizze in Abb. 21 festzuhalten versucht:
Vielleicht durch die Einsicht in die Gefahr einer Verwechslung von
erkenntnishafter Welterfahrung, die ja wie gesagt jeder Kulturidee als Anlass zugrunde liegt, mit der einer überhand
nehmenden, rein sekundären Kulturerfahrung, also nunmehrigen Beschäftigung
mit dem eigentlich nur vermittelnden Dritten zwischen Mensch und Welt, der
Seinserzählung, anstatt dem Sein, verlor eben genau dieses Dritte, dass vormals christliche Seinsverständnis
seinen mediatorischen Platz. Mit der Folge, dass
dadurch ein wieder unvermittelter Blick auf die Welt selbst möglich wurde. | |
Abb. 20 Nördlicher Sternenhimmel Abb. 21 |
Warum dieser unvermittelte Blick so wichtig war, bzw. wieder wichtig
wurde, ist in den von Immanuel Kant in der „Kritik der reinen Vernunft“
formulierten, sog. „kanonischen Fragen der Vernunft“
[7]
beschrieben, die nach der in reine Kirchlichkeit und Materialismen sich
verlierenden christlichen Kultur erneut an das Wesen des Menschen als
zuallererst geistiges, selbst denkendes
erinnern. Diese Fragen nach Erkenntnis („Was kann ich wissen?“), nach
Moralität („Was soll ich tun?“) und dem Glauben („Was darf ich hoffen?“)
zielen nämlich als eigentliches Fragen nach Wahrheit mitnichten in die
geschaffene, kulturelle Welt, sondern immer schon in die Welt als solche,
unvermittelt hinein, was nur allzu einleuchtend erscheint, gründen diese
Fragen doch genau in dieser selbst. „Sapere aude! Habe Mut, dich
deines eigenen
Verstandes zu bedienen!“
[8]
war also das delphische gnothi seayton, das „Erkenne dich selbst!“
der Aufklärung. Dabei sollte, bleibt man zumindest
bei der kantischen, als sicherlich einer der bis heute gültigsten
Gedankenarchitekturen der Aufklärung, die Idee eines Gottes, bzw. des
Göttlichen keineswegs verworfen werden, vielmehr wurde sie als eine Art
göttliche Schöpfung zum Metaphysischen Bezugspunkt, der selbst keine
Aussagen mehr trifft, keinerlei Schutz des Menschen übernimmt, aber zum
Maßpunkt aller von unserer Vernunft - nicht zu verwechseln mit dem Verstand,
der hier andere, nämlich subjektive Bezugspunkte hat - gemachten Aussagen
wird. Man könnte sagen, dass das aufgeklärte Bewusstsein diesem Göttlichen als Metaphysik
alles menschlich Hineingebildete nimmt, um ihm dadurch einen wirklichen Ort,
nicht mehr zwischen, sondern - je nach Standpunkt - über, bzw. neben, unter
Mensch und Welt einzuräumen. Indem der Mensch der Aufklärung also von Neuem unvermittelt in die von ihm unterschiedene physische Welt schaut, wird er dieser Welt im eigentlichen und positiven Sinne wieder fremd, was ja als Ausgang aller Selbsterkenntnis beschrieben war und in der Philosophie der Aufklärung als Moment des Erhabenen definiert wurde. Ein Moment, welcher nicht besser als im berühmten Zitat des Bürgers zweier Welten aus der kantischen „Kritik der praktischen Vernunft“ zu fassen ist: „Zwei Dinge erfüllen das Gemüth mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir. (...) Der erstere Anblick einer zahllosen Weltenmenge vernichtet gleichsam meine Wichtigkeit, als eines thierischen Geschöpfs, das die Materie, daraus es ward, dem Planeten (einem bloßen Punkt im Weltall) wieder zurückgeben muß, nachdem es eine kurze Zeit (man weiß nicht wie) mit Lebenskraft versehen gewesen. Der zweite erhebt dagegen meinen Werth, als einer Intelligenz, unendlich durch meine Persönlichkeit, in welcher das moralische Gesetz mir ein von der Thierheit und selbst von der ganzen Sinnenwelt unabhängiges Leben offenbart, wenigstens so viel sich aus der zweckmäßigen Bestimmung meines Daseins durch dieses Gesetz, welche nicht auf Bedingungen und Grenzen dieses Lebens eingeschränkt ist, sondern ins Unendliche geht, abnehmen läßt.“ [9]. Das Interessante an der Kultur der Aufklärung ist nun, dass sie diesen im eigentlichen Sinne vorkulturellen Moment des gleichsamen Wieder-Herausfallens aus der Welt offenhalten will, ihm Dauer verleihen will, als einen wie von Kant im oben stehenden Zitat beschriebenen werthaltigen, von reiner Physis befreienden Moment der Initiation des sich seiner Geistigkeit, seiner Moralität bewusst werdenden Menschen. Eine Konstellation, die, was nun deutlich werden mag, gar nicht neu ist, sondern immer schon dem Denken, das auch in Zeiten antiker und christlicher Kultur das Befragen der Welt nie zugunsten eines wenn auch noch so verführenden Kulturschleiers vergessen hat, zugrunde lag, so sicherlich dem eines Platon, eines Aristoteles, eines Augustinus usf. Oder, so könnte man es – s. Abb. 9 – auch sehen, diese Konstellation beschreibt eigentlich nur wieder den Beginn, den Anlass aller Kulturideen, den Augenblick der Selbsterkenntnis, aus dem heraus erst der Sinn nach Versöhnung, Einwohnung, nach Kultur erwächst. Denn wenn gesagt ist, dass die Aufklärung zwar den Moment des erkennenden Weltfremdseins, des Erhabenen ohne direkt vermittelndes, d. h. anthropomorph erzählendes Drittes Dauer verleihen will, so stellt sich trotz alledem die Frage, wie eine Aufklärung als Kultur den Menschen in dieser Konstruktion mit der Welt dann wieder vertraut machen will, ihn an die Welt gewöhnen will, der er ja, nun als moralisches Wesen, nicht nur gegenübergestellt, sondern als in ihr zu leben festgelegt ist. | |
Abb. 22 Nördlicher Sternenhimmel Abb. 23 Caspar David Friedrich: Der Mönch am Meer, um 1810 |
Einer Welt, die sich für die Menschen in der Hochphase der Aufklärung Ende
des 18.- Anfang des 19. Jahrhunderts ohne
alle religiöse Perspektive christlicher Kultur nun - sozusagen als Realität
der Schemaskizzen der Kultur der Aufklärung aus Abb. 21 - wie in dem Bild
„Der Mönch am Meer“ von Caspar David Friedrich darstellen sollte: als
unversöhnliche, unnahbare, ja drohende Kraft, die dem Menschen zwar sich
selbst erkennen lässt, ihm jedoch ohne
Vermittlung, ohne Sinn, als alogisch und richtungslos gegenübersteht.
Heinrich von Kleist beschrieb diesen Zwiespalt, als er das erste Mal dieses
Bild auf der Berliner Akademie-Ausstellung sah, mit den Worten: „Herrlich
ist es, in einer unendlichen Einsamkeit am Meeresufer, unter trübem Himmel,
auf eine unbegrenzte Wasserwüste hinauszuschauen. Dazu gehört gleichwohl,
daß man dahingegangen sei, daß man zurück muß, daß man hinüber möchte, daß
man es nicht kann, daß man alles zum Leben vermißt und die Stimme des Lebens
dennoch (...) vernimmt (...) Nichts kann trauriger und
unbehaglicher sein als diese Stellung in der Welt: der einzige Lebensfunke
im weiten Reiche des Todes, der einsame Mittelpunkt im einsamen Kreis
(...) so ist es, wenn man es betrachtet, als ob einem die Augenlider
weggeschnitten wären“
[10].
- Womit auch von der Kehrseite der befreienden Emphase des Erhabenen ohne
Kultur, der Selbsterkenntnis ohne Heimat gesprochen ist. Doch auch die Aufklärung fand ihre, den genannten Voraussetzungen gemäße Kultur, ihre symbolische Form. Ihre ganz eigene Konstruktion eines wie gesagt offen gehaltenen und doch vertrauten Verhältnisses zwischen Mensch und Welt und schließlich der räumlichen Prägung desselben, der Baukultur. Sie fand sie in der Schönheit. Dem Begriff, der Idee, dem Moment der Schönheit, der Welt und Mensch, Mensch und Schöpfung in ein wohnbares Ganzes zu bringen mag, und den Begriff des Erhabenen um das mit Adorno gesprochene Versöhnende erweitert. | |
Abb. 24 Nördlicher Sternenhimmel Abb. 25 Caspar David Friedrich: Riesengebirge, um 1830 Abb. 26 |
Caspar David
Friedrich selbst scheint dieses in der gezeigten, seiner Ansicht des
Riesengebirges abzubilden, die, um 1830 gemalt, wie ein Gegenprogramm zum
„Mönch am Meer“ erscheinen will. Und wieder ist es Kant, der die Grundlegung
dieses, wenn man so will, Kulturprogramms der Aufklärung leistet und er in
der schließlich dritten und letzten Kritik, der „Kritik der Urteilskraft“,
Schönheit, und zwar vor allem anderen: die sich zeigende Schönheit der
Natur, als genau das Teilhaftigwerden an Welt beschreibt, welches den
Widerspruch zwischen der Welt als „Naturbegriff“, der reinen Physis, und dem
Menschen als „Freiheitsbegriff“, als sich unabhängig denkendes, geistiges Wesen also, zu überbrücken
vermag: Indem die Natur im Moment des Schönen, wie in Friedrichs Bild des
Riesengebirges sich für uns als eine „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“ zu zeigen
scheint, was heißen soll, dass wir sie als
wie nach einem sinnvollen Plan, dessen Grund wir allerdings, wie schon
gesagt, nur annehmen, nicht kennen können, geschöpft wahrnehmen und wir
diesen Moment selbst mit der Frage, wie und ob wir, als geistige, moralische
Wesen in diese physische, fremde Welt hineinpassen, konfrontieren, eröffnet
sich die Perspektive, die in der Kritik in der „Verknüpfung der
Gesetzgebungen des Verstandes und der Vernunft durch die Urtheilskraft“
[11]
beschrieben ist, dass wir selbst,
als Teil der Schöpfung der wir sind, dann ebenso sinnvoll geschöpft
erscheinen und in dieses Ganze hineingepasst sind, das Geistige, Moralische
unseres Wesens als ebensolche „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“ also sinnhaft,
anstatt nur frei wird. Allerdings, und das ist wichtig zu sagen, ist mit
dieser Einsicht in die Sinnhaftigkeit unseres denkenden Wesens im Moment der
Schönheit keine Handlungsanleitung dafür gegeben, wie wir mit diesem uns zu
Menschen machenden Wesenszug umgehen. Das Schöne ist in diesem Sinne nur
eine Versicherung der Zugehörigkeit zum Sein, wie wir dieses gestalten, ist
uns übertragen, womit ein wichtiger Wesenszug der Kulturidee der Aufklärung
beschrieben ist, dass das Handeln in unserer,
ja weiter sogar in der individuellen Verantwortung des Einzelnen liegt und
nicht delegierbar an das Sein vermittelnde Institutionen ist, was nach der
Auffassung der Aufklärung nur Erfundenes zur Folge haben
kann. So werden wir, nach dem erkennenden, befreienden Weltfremdsein des Erhabenen, der Begründung einer Welt in uns, durch den man könnte sagen: erklärenden Moment der Schönheit auch Bürger der Welt vor uns. Das wäre die aufgeklärte Konstruktion eines Welt-Mensch Verhältnisses, der Kulturgedanke der Aufklärung, den Friedrich Schiller übrigens als „Ästhetische Erziehung“ und Verbindung geistiger und physischer Existenz in seiner Abhandlung „Über das Erhabene“ beschrieb. Eine Konstruktion die, hält man sich das Welt, Menschen und Schöpfung umhüllende Wesen der Schönheit vor Augen, wie es in Abb. 26 zu skizzieren versucht ist, geradezu nach architektonischer Räumlichkeit, also Baukultur ruft, wäre doch Umhüllung die vielleicht am tiefsten reichende Beschreibung von Raum. Hier scheint, das sei vorab gesagt, erstmals der für diese Diskussion noch wichtig werdende Begriff einer Technik auf, die die Baukonstruktion dieser fragilen Hüllung zu leisten hätte. Seinsschau und Heimwerdung in der Welt, diesem Anlass und Moment von Kultur Dauer zu verleihen und damit dem sich erkennenden Menschen ein Wohnen in der Welt zu bauen, wäre zusammengefasst also ein denkbares Programm einer Architektur, bzw. Baukultur der Aufklärung. | |
Abb. 27 Nördlicher Sternenhimmel Abb. 28 Etienne-Louis Boullée: Kenotaph für Newton, 1784 |
Und es gab diese Baukultur der Aufklärung. Fast zeitgleich mit der
Veröffentlichung der Kritiken Kants, dem sozusagen geistigen Grundriss der
Kultur der Aufklärung, baut der französische Architekt Etienne-Louis Boullée
am architektonischen Körper dieser Idee. In den theoretischen Projekten
seines erst in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts
vollständig veröffentlichten „Essai sur l’art“, aus dem hier der berühmte
Entwurf eines Kenotaphen für Newton aus dem Jahr 1784 gezeigt ist, scheint
noch die ganze Wucht der erneuten Weltbefremdung des Menschen spürbar.
Gerichtet sind diese Bauwerke ganz auf das, was eben wie gesagt nicht nur
Erkenntnis, sondern auch die Perspektive von Heimat des Menschen bezeichnet,
auf die Natur also, als Erhabene und Schöne sich zeigend, und in den
paradigmatischen Sätzen Boullées des „l’architecte doit être le metteur
en ouevre de la nature.“
[12],
des Architekten also als dem In-Werksetzer der Natur, und „daß
Architektur nicht nur die Kunst ist, Bilder (...) zu schaffen,
sondern das sie auch in dem Können besteht, die gesamte, verstreute
Schönheit der Natur zu vereinigen, um sie in ein Kunstwerk umzusetzen.“
[13]
aufgehoben scheint, wobei letzterer Satz den angesprochenen, aufgeklärten
Anspruch der Verwandlung des Kulturmomentes des Schönen in Dauerhaftigkeit
durch das Bauen verdeutlicht, wenn er auch in den gezeichneten
Architekturentwürfen Boullées zugunsten des Erhabenen nicht, bzw. nur wenig
eingelöst scheint. An dieser Stelle wäre noch viel über Boullée, den man
fast als Begründer einer Architektur der Aufklärung, und damit im
eigentlichen Sinne, wie Jürgen Habermas sagt, einer Architektur der Moderne
[14]
bezeichnen könnte, verwiesen sei hier auf das Essai
selbst, welches, überaus anregend zu lesen, den erstaunlichen
architektonischen Kosmos Boullées beschreibt. | |
Abb. 29 Nördlicher Sternenhimmel Abb. 30 Karl Friedrich Schinkel: Kasino des Schlosses Klein-Glienicke, 1825 |
Etwa 40 Jahre nach dem Newton-Kenotaphen dann die wirkliche Erweiterung des
Erhabenen durch eine
Architektonik des Schönen im Werk Karl Friedrich Schinkels. Wie im gezeigten
Kasino des Berliner Schlosses Klein-Glienicke aus dem Jahr 1825 und in den
Texten des unvollendet gebliebenen „Architektonischen Lehrbuches“
postuliert, scheint Mensch und Welt, Schöpfung und Mensch in einen
Erkenntnis und Harmonie versprechenden räumlichen Bezirk gefasst. Wie das
steinerne Echo eines gewesenen und gleichermaßen sich wiederholenden
Sonnenunterganges zeigen die Kolonnaden des
Kasinos Richtung Westen, in die Himmelsweite, auf die spiegelnde
Wasserfläche der Havel, die lang geschwungenen Landschaftslinien, dass, wer dort sprachlose Naturmomente
erlebt, vielleicht nachempfindet, welche Kraft in dem Baugedanken
aufgeklärter Architektur geborgen ist. Doch dieser Zweig des Bauens, an dem natürlich noch andere Architekten arbeiteten, wie z. B. Claude-Nicolas Ledoux, Friedrich Gilly, John Soane usf., sollte nicht derjenige werden, der sich in der Folge durchsetzen sollte. | |
4. Modernes Bauen,
vergessenes Sein | ||
Abb. 31 Nördlicher Sternenhimmel Abb. 32 Hochofen des Hüttenwerks Dillingen, Saargebiet, um 1920 |
Denn die im Erhabenen beschriebene geistige Freiheit des Menschen, die einer Kultur der
Aufklärung zugrunde lag, sollte, und das tritt schon in der Zeit Schinkels
langsam, dann fast exponentiell beschleunigt ein, total werden, d. h. auch
physisch werden. Was heißen sollte, dass dem
Physischen gegenüber nicht nur geistig, durch Moralität - wie im kantischen
Zitat des „Bürgers zweier Welten“ noch gesagt - in Reflexion des Erhabenen zu widerstehen und im Moment des Schönen zu trauen wäre,
sondern dieses Physische der Natur, jener „erstere Anblick einer
zahllosen Weltenmenge“ der meine Wichtigkeit „vernichtet“, zu
brechen ist, wobei die Technik, nun nicht mehr als Baukonstruktion von
Schönheit verstanden, als der großer Erlöser dieser Vision auserkoren war.
Grund dieses materiellen Erlösungsgedankens, den Schiller in der erwähnten
Abhandlung „Über das Erhabene“
im Gegensatz zu einer vorgestellten
„Moralischen Kultur“ die Grundlage „Physischer Kultur“ nannte, mag das
Unvermittelte der physischen Gewalt der Natur im Konzept der Aufklärung
sein, die wie beschrieben nicht, wie noch in antiker und christlicher Kultur
sinnvermittelt, also erklärt ist, sondern nur über den Moment des Erhabenen sowie in indirekter Weise im Schönen sinnversichernd ist
und somit direkte Deutung der Naturgewalten, vornehmlich des Todes,
ausgeschlossen ist und diese dem Menschen nur gegenüberstellt sind.
Vielleicht war es da die nur logische Folge, sich dieser physisch
aufgefassten Existenzbedrohung nun auch physisch, durch Technik, Maschinen,
zu erwehren, die als getreue Abbildungen der Naturgesetze nichts weiter als,
wie Martin Heidegger sagt, „bereitgestellte Natur“
[15]
sind und damit als die prädestinierten Mittel der Wehr erscheinen. Doch was
in der maßvollen Bekämpfung von physischen Leiden wie z. B. Hunger und
Krankheiten noch Sinn macht, wird in dem Versuch der Einrichtung einer
wirklichen Unverletzlichkeit, also der
absoluten Unabhängigkeit von der rein physisch verstandenen Natur
zum Verhängnis und gleichzeitigem Ende der Kultur der Aufklärung. | |
Abb. 33 Hochofen des Hüttenwerks Dillingen, Saargebiet, um 1920 Abb. 34 |
Was darin begründet ist, dass der Mensch, der
mythisch gesprochen nun also nicht mehr nur vom
paradiesischen Baum der Erkenntnis, sondern auch vom anderen, dem der
Unsterblichkeit essen will - man denke hier an die Gentechnik -, sich
plötzlich durch die vor physischer Welt beschützende Technik, wie in der
Skizze in Abb. 34 dargestellt, in eine, je besser diese Technik
funktioniert, desto
abgeschlossenere künstliche Welt versetzt sieht. Was
aber geschieht durch diese Operation im Sinne einer Diskussion
um Kultur und die Kultur des Bauens? Man könnte drei Folgen benennen: Erstens entsteht durch diese Art von Konstruktion nur eine doppelte Abhängigkeit von physischer Natur, wie es präzise in der „Dialektik der Aufklärung“ von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer beschrieben ist. „Jeder Versuch, den Naturzwang zu brechen, indem Natur gebrochen wird, gerät nur um so tiefer in den Naturzwang hinein.“ [16], was meint, um im Bild der obigen Skizze zu bleiben, dass innerhalb des um den Menschen gezogenen technischen Rahmens natürlicherweise nur technische Gesetze herrschen können, soll diese Konstruktion ihren Zweck erfüllen, d. h. die Physis der Natur durch Physis der Technik gebannt sein soll. Jede physische Wirkung der Natur auf den Menschen, z. B. eine Krankheit, wird innerhalb dieses technischen Rahmens durch die Maschine zu dessen Abwehr, die in diesem Fall pharmaindustrielle Forschung, dupliziert, denn die Produkte dieser Forschung sind ja nicht frei, sondern nur über Kapital zu erwerben, dessen Bedarf genau in dem Maße steigt, je besser diese Forschungsmaschinerie funktioniert und man immer größere Teile der individuellen Arbeit, die nun mit dem Unwort der Kapitalerwerbsarbeit belegt wird, der Krankheitsvorsorge widmen muss, will man am Unversehrtheitsversprechen dieser Technik teilhaben. Man wird also nicht nur einfach krank im Sinne des physischen Naturzwanges, sondern muss in einer technischen Gesellschaft schon im gesunden Zustand unmäßig, d. h. unter Zwang, der sich also verdoppelt, für diese drohende Krankheit arbeiten. Noch deutlicher wird diese doppelte Naturabhängigkeit in der Gesamtheit der in unserer Zeit vor allem technischen Ökonomie selbst, die die Idee eine steuerbaren, artifiziellen Umwelt beschreibt, was im altgriechischen Wortursprung der oikonomia, die wörtlich übersetzt bezeichnenderweise in etwa die „Satzung des Hauses“, bzw. einfach „Hausordnung“ bedeutet, aufgehoben ist. Denn je mehr versucht wird, die Regeln der in diesem Sinne technisch-künstlichen Umwelt festzulegen und damit kontrollierbar zu machen, desto stärker übt dieses System - anstatt aller Freiheit von unsteuerbarer physischer Natur - selbst Zwang aus, was in der unwürdigen Abhängigkeit unserer Gesellschaften von den Auf- und Abschwüngen der Börsenkurse gezeigt ist, die wie transformierte Naturkatastrophen um die Welt rasen und Menschen, ganz gleich den Erdbeben, Vulkanausbrüchen etc., ohne Sinn und Vorwarnung zerstören können und dies auch zur Genüge tun. Zweitens ist der von der Aufklärung wieder gesuchte, direkte und unvermittelte Dialog mit der Welt, in die die beschriebenen Fragen der kanonischen Vernunft als Suche nach Wahrheit noch gerichtet waren, durch die gleichsamen Wehrwälle der Technik versperrt, die im Sinne der Idee der Aufklärung nichts anderes als ein neues, verstellendes Drittes zwischen Welt und Mensch darstellen. Aus einem vormaligen Reflexionsverhältnis zwischen Welt und Mensch ist also ein wie gesehenes, nach innen gerichtetes Macht- und Kontrollverhältnis gegen alles und jeden geworden, in dem alles Geistige, da nicht zweckmäßig zur physischen Unversehrtheit führend, ja dieser vielleicht sogar entgegenstehend, ohne Bedeutung ist. Der Versuch totaler physischer Befreiung des Menschen führt so gesehen also zu einer Art Schwindsucht seiner geistigen Existenz. Drittens, und das ist für die Reflexion eines Begriffes von Kultur und Baukultur entscheidend, steht dieses neu geschaffene Dritte zwischen Mensch und Welt nun nicht einmal mehr vermittelnd, als Mythos etwa, zwischen diesen beiden, sondern vielmehr trennt dieses technische Abwehrinstrument wie gesagt in seinem Erfolgsfall den Menschen vollständig von Welt sowie der Vorstellung einer Schöpfung, womit er in einen nicht einmal vorkulturellen, sondern vielmehr in einen gleichsamen embryonalen Zustand der Nicht-Kultur eingeschlossen ist, der an die unbeschwerten Paradies-Tage - s. Skizze in Abb. 9 - des noch nicht erkennenden Menschen erinnert. Denn wo wie im Sinne der diskutierten Definition von Kultur der Mensch der Welt gar nicht erkennend fremd wird, aus ihr also gar nicht herausgeraten wird, ist die Sehnsucht nach Versöhnung, der Wunsch, zu dieser fremden Welt ein Verhältnis zu konstruieren, in ihr eine Wohnung, mit Nietzsche gesagt: eine „Architektur der Erkennenden“ [17] zu finden, obsolet, das beschriebene Sinn- und Trostgedicht der Trennung von Welt und Mensch ohne jeden Wert. Von Schönheit, als der beschriebenen Perspektive eines möglichen Seins und damit der originären Stimmlage gelungener Kultur ganz zu schweigen. | |
Abb. 35 Hochofen des Hüttenwerks Dillingen, Saargebiet, um 1920 Abb. 36 Konstantin Melnikow: Arbeiterclub Moskau, um 1927 |
Doch
gleichwohl folgte das Bauen diesem bedenklichen Weg einer nur
technisch-physischen Daseinskonstruktion und schob damit die Idee einer
Architektur der Aufklärung zugunsten einer, wie von Adorno und Horkheimer in
der bereits genannten „Dialektik der Aufklärung“ beschriebenen,
fehlgeleiteten Aufklärung beiseite. Die sich durchsetzenden
Gesetzmäßigkeiten der technischen Welt suchte das Bauen schon im 19. Jh. in
eine Ästhetik der Architektur zu überführen, als Hauptbemühung der
Klassischen Moderne des 20. Jahrhunderts ist
dieses dann ausführlich beschrieben und manifestiert, so in der Gründung des
Werkbundes, der nach industrieller Formgebung und Findung suchte, des
Bauhauses in der Fortsetzung desselben, den Schriften Le Corbusiers, seines
epochemachenden „Vers une architecture“, den funktionalistischen Postulaten
Hannes Meyers, der in seinem Aufsatz „Bauen“ von 1928 nicht nur die
Architektur, sondern gleich die ganze Welt auf die Formel „Funktion x
Ökonomie“ bringen wollte usf. Und im Sinne ihres selbst gestellten Anspruches war die Klassische Moderne auch sehr erfolgreich in diesem breit angelegtem Unternehmen technischer Nachahmung, was in der ästhetischen Verwandtschaft etwa des von Konstantin Melnikow entworfenen Arbeiterklubs aus dem Jahr 1927 mit den Maschinen der modernen Stahlerzeugung so gut zu sehen ist, wie in den sich in reine Funktionalität und Rationalität verwandelnden Gebäuden eines Ludwig Hilberseimer aus etwa gleicher Zeit. | |
Abb. 37 Hochofen des Hüttenwerks Dillingen, Saargebiet, um 1920 Abb. 38 Ludwig Hilberseimer: Schema einer Hochhausstadt, um 1924 |
Die technische
Sprache der Physis als „bereitgestellte Natur“, Beherrschbarkeit und
Instrumentalisierung übersetzten sich dabei in die architektonischen
Begriffe z.B. der Abstraktion, deren Wesen Wilhelm Worringer 1908 in seiner
Arbeit „Abstraktion und Einfühlung“ in einer gleichsamen Weltangst
[18]
erkennt - was wie gesehen gut zur Allegorisierung von weltabwehrender
Technik passt -, oder auch in die Begriffe der Zweck- und Leistungsform als
Funktionalismus und schließlich in die Definition der Kernform, die, wie von
Carl Boetticher bereits 1844 in „Die Tektonik der Hellenen“ formuliert, im
Gegensatz zur symbolischen Kunstform, dem Dekor, die rein naturgesetzliche,
statische Konstruktion des Gebauten darstellt: Was natürlich wie der
Schlüssel zu der Verwirklichung einer Idee technischer Architektur wirken musste, würde doch in der Befreiung des
Baukörpers vom Ornament dann die Projektion physischer Freiheitsphantasien,
nämlich gezähmte, konstruierte Physis frei, als sozusagen Meta-Symbol
Klassischer Moderne. Für die Kulturhaltigkeit dieses Bauens der Klassischen Moderne gilt nun natürlich gleiches wie für die des technisch-künstlichen Weltenbaus, dass nämlich der räumlichen Fassung eines Seinsbildes, das Welt und Schöpfung mit Adorno gesprochen liquidiert und den Menschen in eines Zustand der Nicht-Erkenntnis durch vorgebliche Weltgleichheit setzt, der Gedanke einer Einwohnung in wirklicher Welt aus Perspektive des sich erkennenden und der Welt fremd gewordenen Menschen ein ebenfalls ganz und gar unverständlicher ist. Gleich dem Moment der Schönheit, der unmöglich gewordenen Stimmlage sich zeigender Versöhnung, nun auch für das Bauen, welches, so der venustas beraubt, sich nur noch in der firmitas und utilitas erkennt. Ein gutes Merkmal dafür ist übrigens ein Test, der leicht auszuführen ist, indem man Architekten wie Nichtarchitekten nur einmal die hier gezeigten Gebäude Klassischer Moderne zur Beurteilung im Sinne von Schönheit vorlegt, sie z. B. vergleicht mit der Schönheit einer blühenden Obstbaumwiese im Frühling, einem Sommerabend an einem stillen Waldsee oder zugeschneiten, in der Wintersonne liegenden Feldern. Sicherlich wird es einige Charakterisierungen für diese Gebäude geben, dass sie vielleicht interessant, beeindruckend oder einfach nur abweisend, brutal usf. sind, Schönheit, welche zum Unwort unter Architekten geworden ist, als Merkmal wird man kaum zu hören bekommen. | |
Abb. 39 Burkhard Meyer: Verwaltungsbau Baden, Schweiz, 2001 Abb. 40 Ludwig Hilberseimer: Schema einer Hochhausstadt, um 1924 |
Und da stehen wir, mit aller beschriebenen Problematik, wie man in der
Gegenüberstellung eines von Burkhard Meyer entworfenen Verwaltungsbaus in
Baden in der Schweiz mit dem schon gezeigten „Schema einer Hochhausstadt“ von Hilberseimer von 1924
erkennen kann, noch, bzw. wieder heute. Und da kann man sprachlich so reich
ornamentieren wie man es für nötig hält, um aus der erwähnten 2. Moderne
eine sich reflektierende, „Reflexive Moderne“ zu machen, Architektur spricht
sich in letzter Konsequenz in Körperlichkeit wie Räumlichkeit aus und diese
zeigen sich in oben stehenden wie den
folgenden Beispielen 2. Moderne von OMA / Rem Koolhaas und den Schweizer
Architekten Gigon / Guyer als eindeutig, nämlich nur klassisch Modern
gefasst. | |
Abb. 41 OMA, Rem Koolhaas: Universität Utrecht, 1997 Abb. 42 Konstantin Melnikow: Arbeiterclub Moskau, um 1927 |
Die 2. Moderne ist die wiederkehrende Allegorisierung technisch-artifiziell
verstandener Welt mit den erwähnten architektonischen Mitteln der
Abstraktion, Funktionalisierung usf. - die sich übrigens auch in den hier
nicht gezeigten, da das den Rahmen der Argumentation sprengen würde,
Grundrissen und Lageplänen aussprechen würden - was insgesamt verblüffend
erscheint, war doch die vorangegangene Postmoderne in der Kritik der
Klassischen Moderne in genau diesem Punkt längst weitergegangen. | |
Abb. 43 Gigon Guyger: Museumserweiterung Winterthur, Schweiz, 1995 Abb. 44 Walter Gropius: Bauhaus Dessau, 1926 |
Stattdessen
aber die wie gehabte Ästhetik der Technik, der Maschinen und Apparate, die
Enthüllung der Kernform als Projektionen und Symbolsprachen aller rein
physischen Erlösungsphantasien. | |
5. Konklusion An diesem Punkt nun lässt sich die eingangs anhand der drei repräsentativen Vertreter heutigen Bauens aufgestellte Hypothese der Kulturlosigkeit zeitgenössischer Architektur beurteilen, die hier noch einmal wiederholt sei: Das so aufgefasste Architekturen den Bereich der Baukultur nicht nur nicht berühren, sondern gar nicht berühren können, da sie von aller Idee von Kultur denkbar weit entfernt sind und ihnen in der Folge daraus die originäre Stimmlage gelungener Kultur und Baukultur, die Schönheit verschlossen ist. | ||
Abb. 45 Diener und Diener: Wohnanlage Amsterdam, 2001 Abb. 46 Ludwig Hilberseimer: Schema einer Hochhausstadt, um 1924 Abb. 47 |
Wenn also die Sprache
dieser Architektur der 2. Moderne, für die stellvertretend das Amsterdamer
Projekt von Diener und Diener gezeigt war, ein technisches Seinsbild
propagiert, so verräumlicht und verwirklicht sie damit, ob nun in unbewusster oder
bewusster Weise, ganz der Klassischen Moderne gleich die beschriebene
physische Kultur fehlgeleiteter Aufklärung, die ja eigentlich als
selbst gewollte Nicht-Kultur bezeichnet werden sollte. Kultur,
Baukultur und Schönheit sind damit wie gesagt fremde Begriffe dieses Bauens. | |
Abb. 48 Peter Cook; Colin Fournier: Kunsthaus Graz, 2003 Abb. 49 Iwan Iljitsch Leonidow: Entwurf Lenininstitut, 1927 Abb. 50 |
Gleiches gilt für das
zweite Beispiel, die Blob-Architektur des Grazer Kunsthauses, in der die
Ablösung von Welt durch einen technischen Apparat, wie schon in dem 1927 von
Iwan Iljitsch Leonidow verfassten Entwurf des Moskauer Lenininstitutes, noch
auf die Spitze getrieben ist, indem alle Physis der Welt, im Sinne der
Architektur vornehmlich also die Schwerkraft, als gebrochen durch Stahl -
der Rohbau des Kunsthauses gleicht einem atombombensicheren Kraftwerksbau -
verhöhnt erscheint und somit ein fast mustergültiges Exempel physischer
Allmachtsphantasien architektonisch gegeben ist. | |
Abb. 51 Weber-Haus Abb. 52 Abb. 53 Audi-Werbung 2002 Abb. 54 Firmenräume von FHP Wireless, Belmont, Kalifornien, 2001 |
Am interessantesten erscheint da noch das dritte
Beispiel, das Weber-Fertighaus, bzw. die ihm offenbar zugrunde liegenden Wünsche, scheint doch in
ihm, wenn auch zugegebenermaßen völlig unbeholfen und wüst eklektizierend,
in den angedeuteten bauhistorischen Kunstformen, die der reinen Kernform
vorgeblendet sind, eine Erinnerung von Kultur und Baukultur als auch
geistigem, nicht nur physischem Sein gewollt zu sein. Doch da diese
Kunstformen, in denen, was darzustellen allerdings eine ganz eigene
Diskussion verlangte, der geistige Weltdialog in Architektur geführt ist,
aus Seinsvorstellungen vergangener, nämlich der erwähnten antiken und
christliche Kultur und Baukultur entnommen sind - ein ungelöstes Problem
übrigens auch von Boullée und Schinkel -, können sie für uns im Sinne der
Aufklärung den direkten, gesuchten Dialog mit Welt nur noch und wieder
verstellen, es sei denn, wir beendeten das Projekt der Aufklärung und
beschließen wieder an christliche und antike Sinndichtungen menschlichen
Seins zu glauben, was dann
aber auch alles Versprechen des „Sapere aude!“ als Wahlspruch
der Selbsterkenntnis begraben würde. So gesehen berühren also tatsächlich alle drei Formaltendenzen heutigen Bauens den Bereich der Baukultur nicht, bzw. können diese nicht berühren und wären, wie vermutet, als eigentlich nur eine Tendenz zu bezeichnen, als Verräumlichung nämlich nur physisch-technischer Kultur, in der, wie es abschließend noch einmal wiederholt sei, aus der Welt nicht mehr heraus geraten wird und damit alle daraus erwachsende Hoffnung nach Versöhnung und Einwohnung in Welt als Begriff von Kultur und Baukultur, die Konstruktion eines Verhältnisses zwischen Welt und Mensch wie der Moment der Schönheit als umhüllende Perspektive möglichen Seins sinnlos ist, was sich auf deprimierende Art und Weise in dem in Abb. 53 gezeigten, in das Stadium der Unschuld (Idiotie) zurückentwickelten Denken der Werbung und dem in Abb. 54 zu betrachtenden, zerstörten Wohnen der Computergenerationen bestätigt zeigt. | |
6. Epilog, Perspektiven Was nun? Denkbar sind aus dem Gesagten zwei Perspektiven. Die pessimistische wäre, weil aus allem beschriebenen Bauen unserer Zeit aufgrund seines Bezuges auf geradezu alle Gegenbegriffe von Kultur keine Baukultur jemals erwachsen kann, wir also alle Versuche zur Rettung, Würdigung, Definition etc. von Baukultur anhand und durch dieses Bauen hindurch einstellen sollten. Wir vielleicht sogar, schwarze Sicht, das ganze Bauen beenden und den Ingenieuren überlassen sollten, die mit der Grundlage einer physisch-technischen Kultur sicherlich mehr anzufangen wissen. Die optimistische Perspektive aber erinnert an den liegen gelassenen Zweig einer Architektur der Aufklärung, der sich in den Werken Boullées und Schinkels andeutete und zu entwickeln begann. Eine trotz allem Mainstream Klassischer und Zweiter Moderne immer noch denkbare Perspektive des Bauens, die von einigen, wenn auch wenigen Architekten als eigentliche Baukultur immer wieder freigelegt und weitergebildet wurde und wird. | ||
Abb. 55 Nördlicher Sternenhimmel Abb. 56 Mies van der Rohe: Nationalgalerie Berlin, 1968 Abb. 57 |
Wie zum Beispiel im Werk
Mies van der Rohes, der das Potential der Technik immer als ein ganz anderes
erkannt hat, nämlich, wie im Zusammenhang der Diskussion des Schönen schon
angedeutet, in der Konstruktion und damit Ermöglichung einer aufgeklärten
Seinsperspektive
[19].
Die Technik bei ihm also statt eines dämpfenden Ausschlusses von Welt die
auch bei Schinkel gesehene Rolle der Baukonstruktion des zur Dauer
verwandelten Moment der Schönheit der Natur, in dem der erkennende Mensch
seine Seinszugehörigkeit erfährt, übernimmt, womit sich die Wahl des
Augustinus-Zitates „Das Schöne ist der Glanz des Wahren!“
[20]
zum Motto seines Bauens erklären mag. | |
Abb. 58 Nördlicher Sternenhimmel Abb. 59 Daniel Libeskind: Jüdisches Museum Berlin, 1998 Abb. 60 |
Oder im paradigmatisch
im Jüdischen Museum Berlin ins Werk gesetzten,
architektonischen Denken Daniel Libeskinds
[21],
auf das hier hingewiesen sei und welches das einzige der Gegenwart zu sein
scheint, welches Seinsfragen, also Fragen der Erkenntnis, der Moralität und
des Glaubens überhaupt noch stellt und damit in einen wirklichen
Zusammenhang aufgeklärter Kultur und in der Folge ihrer Baukultur kommt. Doch vor allem anderen sollten wir, wollen wir die Idee von Baukultur, die die Idee der architektoniké ist, bewahren, den Blick zurück in die Welt, die wirkliche richten, worin das Vermögen kenntlich werden mag, Sinn und Schönheit den Räumen unserer Häuser einzuzeichnen. „Ich zog in den Wald, weil ich den Wunsch hatte, mit Überlegung zu leben, dem eigentlichen, wirklichen Leben näherzutreten, zu sehen, ob ich nicht lernen konnte, was es zu lehren hatte, damit ich nicht, wenn es zum Sterben ginge, einsehen müßte, daß ich nicht gelebt hatte.“ - Henry David Thoreau aus „Walden, or: Life in the Woods“ | |
[2] Mose 1, Genesis 3 [3] Phaidros, Kap. 30 [4] Cassirer 1993, S. 46f. [5] Adorno 1980, S. 86f. [6] Mose 1, Genesis 4 [7] Kant, Kritik der reinen Vernunft, 1902/10, S. 522ff. [8] Kant 1996, S. 9 [9] Kant, Kritik der praktischen Vernunft, 1902/10, S. 161f. [10] Krieger 1997, S. 29 [11] Kant, Kritik der Urteilskraft, 1902/10, S. 195f. [12] Boullée 1968, S. 73 [13] Boullée 1987, S. 65; im Original: „(...) que l’architecture n’est pas seulement l’art de présenter des images (...), qu’elle consiste aussi à savoir rassembler toutes les beautés éparses de la nature pour les mettre en ouevre.“, Boullée 1968, S. 73 [14] Habermas 1980 [15] Habermas 1967 [16] Adorno; Horkheimer 1947, S. 19 [17] Nietzsche 1887, IV, 280 [18] beschrieben in der „ geistigen Raumscheu“ des Menschen: Worringer 1918, S. 19f. [19] s. hierzu Neumeyer 1986, vor allem S. 248ff. [20] ebd., S. 280
[21]
s. hierzu u. a.
Libeskind 1995 | ||
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