8. Jg., Heft 2 (März 2004)    

 

___Walter Nägeli & Gudrun Sack
Karlsruhe / Berlin
 

Sieben Fragen von Raumproduzenten an Raumproduzenten

 

 

1. Wo steht unsere Architektur? Für eine Kultur des Vermittelns

Architektur hat eine eigenartige Zwischenstellung: Für die unmittelbaren Bedürfnisse des Menschen stellt sie zwar eine notwendige Ergänzung der Natur dar, ihre materielle Eigengesetzlichkeit aber bildet dazu eine gegenläufige Tendenz.
Architektur steht entwicklungsgeschichtlich auf einer niedrigeren Stufe als die Produkte der heutigen Technologie.
Sie kann zwischen den elementaren Bedürfnissen des Menschen und den Gesetzmäßigkeiten seiner selbst geschaffenen Technologie ähnlich vermitteln wie ursprünglich alleine zwischen dem Menschen und seiner Umwelt.
Architektur ist dem Werkzeug verwandter als dem Werk.


2. Warum sind unsere Gebäude so beliebig? … Für eine Kultur des Verknüpfens

Architektonisches Arbeiten gibt die Möglichkeit – sinngebend und zweckgerichtet – ganz unterschiedliche Wirklichkeitsbereiche durch ein gedankliches Band miteinander zu verknüpfen.
Diese fantastische und einzigartige Möglichkeit der Erzeugung zweckgerichteter Entscheidungsketten ist das wirkungsvollste und zugleich das am wenigsten beachtete Merkmal des Architektonischen.


3. Warum sind Gebäude gläsern, aber nicht durchsichtig? … Für eine Kultur der Nachvollziehbarkeit

Gebäude können durch unmittelbare Anschauung nicht alleine verstanden werden.
Man benötigt geistige „Durchsicht-Möglichkeiten“, Fenster zum inneren Aufbau, um das Verstehen eines Gebäudes im Besonderen und damit der Dinge allgemein zu fördern.
Die NACHVOLLZIEHBARKEIT der bestimmenden Entscheidungen zu einem Bauwerk ist eine elementare (Dienst)-Leistung.


4. Warum sitzen wir immer noch im Gefängnis der Zahlen? … Für eine Kultur der Unschärfe

UNSCHÄRFE bezeichnet den Bereich zwischen subjektiver Wahrnehmung und objektiver Beschaffenheit.
Unschärfe bedeutet die Befreiung von der Herrschaft exakter Zahlen.
Der architektonische Würfel hat ungleiche Kanten.
Nicht die alles klärende Rationalität des geometrischen Ordens wird hier in Frage gestellt, sondern das kleinliche Beharren auf bedeutungslosen physischen Gleichheiten, welche die Zusammenhänge nur scheinbar ordnen, statt sie aufzuhellen.


5. Warum sind unsere Gebäude so unelastisch? … Für eine Kultur der Robustheit

Die robuste Konzeption fasst und formt den Raum für das Bekannte ohne Unbekanntes zu verhindern. Sie moderiert also das bauliche Verhältnis von Einschränkung und Freiheit.
Das robuste Gebäude lässt selbstverliebte Kompliziertheiten hinter sich und steht höflich hinter seiner Fähigkeit zur Anpassung.


6. Warum haben wir das Subjekt vergessen? … Für eine Kultur der Zeitlichkeit

Mündigkeit setzt ein Verankert-Sein in der Welt voraus.
Architektur kann eine Orientierungshilfe sein im subjektiven Raum-Zeit-Kontinuum zwischen erlebter und tatsächlicher Zeit, zwischen Ort (Subjekt) und Raum (Objekt).
Gebäude können Zeit haben … indem sie diese erfahrbar machen.


7. Warum verleihen unsere Gebäude keine Flügel? … Für eine Kultur des baulichen Nachdrucks

Architektur ist Teil des offensiven Umgangs des Menschen mit seiner Lebensumwelt. Diese Welt wird sich unwiderruflich zugunsten neuer gesellschaftlicher Programme verändern.
Den Entwicklern von Technologie räumt man ein, dass sie den Menschen bedenkenlos nach ihren Produkten formen.
Der Praxis der Architektur fehlt der aktive Aspekt, ihr fehlt NACHDRÜCKLICHKEIT, hohe positive Wirksamkeit, als spezifischer Ausdruck der nach vorne gerichteten, risikobereiten Grunddisposition des Menschen.
Architektur kann dem Willen der Gemeinschaft Flügel verleihen.


Nicht vergessen: Die Kultur des Architektonischen muss immer wieder neu geschaffen werden.

 


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8. Jg., Heft 2 (März 2004)