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1. Der Unterschied zwischen Architektur und einem Bild
Schon in seinem frühen Buch lobt Karsten Harries die Bayerischen
Rococo-Kirchen, weil sie über den Illusionismus hinausgehen, wenn sie auch
durch ihre Raumgestaltung, die Ornamentierung, die Stukkatur, die Malerei,
und durch das indirekte Lichtspiel dem Ideal sehr nahe kommen, das schon
seit der Rezeption des Ps. Dionysius Areopagita das Programm des
Kathedralenbaus bildet, nämlich Licht und Materie verschmelzen zu lassen zu
einer ätherischen Substanz, das Sinnliche so aufhebend in die Emanation des
Göttlichen. Betreten wir die von Cosmas Damian Asam 1720 in Aldersbach
gebaute Kirche, so findet sich der ideale Blickpunkt anders als bei Pozzo
nicht im Zentrum des Freskos, sondern nahe dem Eingang der Kirche, auf die
Bewegung des in die Kirche eintretenden, vom Glauben noch Entfernten
bezogen. Wir sehen in der Kuppel nicht den Himmel selbst, sondern die Vision
eines Heiligen. Eine gemalte Balustrade umgrenzt die illusionistisch gemalte
Vision. An einer Stelle ist die Balustrade unterbrochen, eine balkonähnliche
Öffnung lädt uns ein, in das Gemälde einzutreten, doch der Weg ist
blockiert.
„The space
through which we would have to pass is filled by the sleeping St. Bernard
(...). This reference in the fresco to St. Bernard is somewhat surprising,
another reminder that what we see here is not a representation of an
historical event, but of a vision of that event.“[1]
Viele Elemente unterstreichen, dass wir hier die Vision eines Ereignisses
erleben.
Die
Darstellungsleistung der Architektur wird hervorgehoben und zum Gegenstand
der Erfahrung: „Cosmas Damian Asam’s surreal perspective, his references to
the theatre, his doubling of the familiar world by another above, all make
it difficult to speak of illusionism. Just because the Aldersbach fresco
cannot be seen correctly from any point of view, it cannot be said to extend
that space in which we actually find ourselves illusionistically. If it is a
weakness of Pozzo’s illusionism that only from one particular place is the
illusion powerful enough to take hold of us, Asam presents us with an image
that can never quite convince, that will always remain theatre. The Bavarian
rococo calls its theatricality to our attention. But an illusion that
advertises its illusory character can no longer function as such.
The illusion has been
unmasked.“[2]
Die Realität der kunstvoll in Szene gesetzten Illusion entkräftet die
realistische Allüre des Bildlichen; sie wird als die Realität eines Traumes
in Szene gesetzt, die uns eine Überwirklichkeit schauen lässt, die bildlich
nicht zu fassen ist. Das Kunstwerk wird durch Rahmungen in eine ästhetische
Distanz gesetzt und als solches ausgestellt; doch die Distanz erweist sich
als trügerisch. Es ist keine Distanz des Zweifels, vielmehr soll die
Realität des Betrachtens lediglich als Vorahnung dessen durchschaut werden,
was sich der sinnlichen Darstellung und dem weltlichen Erleben entzieht und
es doch begründet. Die opulente Ornamentierung kann einem rein ästhetischen
Urteil nicht genügen: das Ornament, so resümiert Harries, ist nur
angemessen, wenn es eine Ordnung gibt, bei der ein Teil die anderen regiert,
wir beim menschlichen Körper, der das Modell der Architekturtheorie seit
Vitruv ist. Das Ornament artikuliert eine Hierarchie. Sobald dieses
Körpermodell ebenso wie die Subordination zugunsten einer Koordination
aufgegeben wird, die sich in Reihungen, Wiederholungen, dramatischen
Antithesen gefällt, wirkt das Ornament überflüssig und verfälschend.
„The
death of ornament and the demise of the traditional theory of proportions
belong together (...). Rococo ornament still assumes that a successful
building is a hierarchical order that assigns to each part its proper place,
and it assumes that society is such an order. Ornament contributes to the
articulation of that order (...). In that sense ornament can be said to
possess an ethical, not merely an aesthetic significance; ethical in the
sense of helping to establish the ethos of a society, which assigns to
persons and things their proper places. The transformation of ornament into
mere decoration denies this ethical function.“[3]
Karsten Harries
ist in seinen späteren Schriften immer wieder zu diesem Punkt
zurückgekommen: Ästhetische Präsenz rein genießen und beurteilen zu wollen,
erscheint als Resultat einer Säkularisierung; doch auch wenn man die
traditionellen (griechischen oder christlichen) Interpretationen fallen
lässt, denen zufolge das Schöne eine Figur des Heiligen ist, macht doch der
ästhetische Zugang keinen Sinn ohne ihre ethische, ontologische Rahmung.[4]
Die Rococo Kirche bietet uns noch die bildliche Ruine einer vergangenen
Gemeinschaft; wie kann Architektur heute das Bild einer kommenden
Gemeinschaft in die Welt setzen? Man kann Harries’ Architekturphilosophie
verstehen als eine grundlegende Kritik der Ästhetik. Die ästhetische
Erfahrung des autonomen Kunstwerkes begleitet die Desintegration der
Gemeinschaft in atomisierte Individuen. Harries bringt die performative und
gemeinschaftsbildende Kraft Architektur gegen Kunst in Anschlag.
2. Repräsentation: Die Bergung des Geheimnisses
Um zu erklären, was Repräsentation in der Architektur bedeutet, führt
Karsten Harries das Beispiel neugotischer Kirchen des 19. Jahrhunderts an,
die sich Ornamente wie Bilder an ihre Oberflächen heften, um höhere
Bedeutung zu evozieren.[5]
Aus dieser Argumentation folgt, dass das Gebäude nicht nur aufgrund der an
ihm angebrachten Zeichen, sondern auch aufgrund seiner Größe und Form die
Bedeutung einer Funktion sichtbar macht.[6]
Für Harries ist die Größe nur ein Bild der Versammlungsfunktion, und
spezifischer: der öffentlichen Funktion der Versammlung. Was kann also
Harries zufolge unter der „öffentlichen Funktion“ der Kirche verstanden
werden?
“The church
building signifies a specific ideal of communal dwelling.”[7]
Wenn es die
öffentliche Funktion eines Gebäudes ist, ein bestimmtes Gemeinschaftsideal
abzubilden, dann soll die Größe der Kirche die Universalität der
Gemeinschaft repräsentieren.
Der Wandel von der frühchristlichen Basilika, die noch die römischen Städte
mit ihrer „Eingangstoren und Straßenarkaden“ als von Außen nach Innen
gestülpte Stadt zu imitieren suchte, hin zu den gotischen Kathedralen ist
hauptsächlich der Entwicklung eines neuen Paradigmas geschuldet das stark
genug war, eine gemeinsame architektonische Sprache zu entwickeln und nach
Außen zu tragen. Harries sieht in den gestalterischen Bestrebungen des
Bauhauses den völlig gleichartigen Versuch, ein solches Paradigma für die
Moderne zu entwickeln. Um die neue Struktur der Zukunft zu erschaffen,
bedarf es auch nach Überzeugung von Feininger und Gropius nicht nur der
Zusammenarbeit, sondern auch der Kristallisation des Glaubens in einem
Symbol, das Architektur, Skulptur und Malerei umfasst. Repräsentation spielt
sich nicht nur auf der Ebene der Dekoration oder auch nicht erst auf der
Ebene der Größe und der Form ab, sondern bereits bei der Auswahl der
Materialien. Harries illustriert diese Repräsentationsfunktion mit dem
Gebrauch von wertvollen Materialien wie Gold sowie von transparenten und
metaphorischen Bauelementen in gotischer Architektur als Mittel, eine
spirituelle Perspektive zu eröffnen.[8]
Der vorausgesetzte Sinn, seine Einheit, wird als dem Zugriff des Individuums
entzogen präsentiert und als Geheimnis geborgen.
Eine derartig formierte Perspektive versteht Harries nicht im starken Sinne
als Ursprung, wohl aber als Leitlinie, als kommunal gültige Interpretation
einer Lebensweise. Diese Interpretation als Performanz im Sinne einer
musikalischen Aufführung stützt sich auf die Gültigkeit eines Codes und
setzt einen Sinn voraus, z. B. das Ideal einer Gemeinschaft. Dieses Ideal
impliziert ein archaisches Verständnis menschlichen Wohnens und Bauens:
“I use
'archaic' here not so much to mean 'primitive,' suggesting temporal
priority; rather by 'arché' I mean an origin that does not lose its
power with the passage of time, because it has its foundation in the
very nature of human dwelling. To make their home in the world, that is,
to build, human beings must gain more than physical control: they must
establish spiritual control. To do so they must wrest order from what at
first seems contingent, fleeting, and confusing, transforming chaos into
cosmos. That is to say, to really build is to accomplish something very
much like what god is thought to have done when creating the world.”[9]
Dasjenige, was ein
„genuines Werk der Architektur über ein bloßes Gebäude“ erhebt, ist folglich
in seinem Vermögen zu suchen, ein ideales Gebäude zu repräsentieren.[10]
In dieser Rückbindung an die „arché“ des Sich-Einrichtens in der Welt sei
die Architektur weniger subjektiven Einfällen und Launen ausgesetzt, hofft
Harries. Nur so könne die Architektur „die Bedeutung unseres täglichen
Lebens re-präsentieren und interpretieren.“[11]
Harries zufolge kann auch das Theater nur deshalb den „Kult des schönen
Lebens“ evozieren, weil es von den rituellen Funktionen des Tempels und der
Kirche herrühre. Die ethische Funktion besteht für Harries nun genau in
diesem Feiern der vorausgesetzten Gemeinschaft als das, was Ewigkeit
widerspiegelt und damit zugleich manifestiert. Obgleich seine Äquivokation
von Gott, Natur und täglichem Leben überraschen mag, so sieht Harries doch
in allen drei Begriffen im Grunde nur Namen für das Unsichtbare, für das
Zeitlose, das der Möglichkeit, dass etwas sich durch Manifestation
offenbart, immer schon voraus liegt. An diesem Unsichtbaren misst Harries
auch den Unterschied von Architektur und bloßem Bauen, so dass “Werke der
Architektur als öffentliche Figuren auf dem Grund vergleichsweise privater
Gebäude verstanden werden können.”[12]
Architektur kann aber als öffentliche Figur nur gelesen werden, wenn man
die Einheit des Sinns schon voraussetzt, der alle Gebäude miteinander
verbindet und von diesen im Grunde nur verstellt werden kann. Warum aber
kommt das Gemeinschaftliche als dieser verborgene Sinn gerade durch Bauten
in die Welt? Zunächst, so könnten wir architektonisch argumentieren, weil
gerade Bauten die anarchische Ankunft von Gesetzen, von Macht, von
Erleichterung zeigen.
Genauso wenig, wie Kirchen erst den gemeinsamen Boden stiften, auf dem
Menschen zusammenkommen können, sondern bereits daraus erwachsen, ist das
Haus die Voraussetzung für Gemeinschaftlichkeit: vielmehr manifestiert es
die architektonische Kraft kollektiver Interaktion. Die architektonischen
Vektoren, auf die sich die Akteure dabei einlassen und denen sie partiell
folgen, sind keine Grundgesetze, aber doch zugleich Kräfte, Strukturen und
Symbole. Denn die manifeste Architektur dient einer doppelten Funktion: sie
versammelt und gliedert eine Gesellschaft. Aber sie gibt zugleich auch eine
Interpretation dessen, was die Gesellschaft zusammenbindet. Sie ist sowohl
eine Versammlung wie auch das Bild dieser Versammlung, das auf den
gemeinsamen Boden projiziert ist. Harries verdeutlicht diesen Ansatz in
seinem Anspruch, dass die Architektur eine öffentliche Figur auf
gemeinsamem, aber privat segregiertem Grund sein solle.
Es ist dabei beachtenswert, dass Harries mit seiner Forderung davon
auszugehen scheint, es könne überhaupt ein unethisches Gebäude geben, das
ohne die architektonischen Qualitäten der Figuration und der Repräsentation
auftritt. Die Extremform eines privaten Gebäudes ohne alle architektonische
Qualität in Harries' Sinne wäre nichts anderes als die explizite Negation
einer Figuration von Öffentlichkeit – oder eben, ähnlich wie ein unsinniger
oder unvollständiger Satz, kein Gebäude. Es sind nicht einzelne
Architekturen, die gewissermaßen aus der Mitte einer Ansammlung von Gebäuden
diese überstrahlen und den gemeinsamen Boden allen Einwohnern in Erinnerung
rufen, denn diese Funktion können sie in besonderer Weise nur ausüben, wenn
jedes einzelne Gebäude, wenn jeder einzelne Weg, wenn jedes einzelne
Element sich in sinnvoller Weise auf das materielle und syntaktische Gefüge
möglicher Gemeinsamkeit bezieht und zu dessen Erhaltung und Differenzierung
beiträgt, ähnlich wie jeder geäußerte Satz, und nicht nur das Grammatikbuch,
die Öffentlichkeit und Verbreitung einer Sprache unterstützt.
So gelten für Privaträume dieselben beiden Funktionen, die Harries nur den
großartigen kommunalen Gebäuden zuschreibt. Häuser versammeln Eigenes, sie
adressieren zugleich das Fremde, sie sprechen ihre Umgegend an, artikulieren
Grundlagen und Grenzen des Gemeinsamen. Sie laden ein oder schließen aus,
doch sowohl die Einladung wie der Ausschluss sind gleichsam öffentliche
Akte. In diesem Sinne ist Wittgensteins Villa der architektonische Ausdruck
des Privatsprachenargumentes: Jeder Raum ist eine Sicht auf eine Lebensform,
jeder Raum ist definiert durch seine Ein- und Ausgänge, durch seine
Kommunikationseinrichtungen als Stellungnahmen zum Gewebe der Stadt. Das
Haus steht auf einem Territorium, das in erster Linie durch Sprachspiele
(der Aneignung, des Ausschlusses) markiert worden ist. Privatheit entsteht
in einem Akt der Absonderung. Die Negation (das Verborgene, das Abwesende,
das Unsinnige) ist ein Gliederungselement des sozialen Gefüges, in dem
dieser Akt auftritt.
Das Haus ist ein sozialer Ort, der ein Innen und ein Außen und die
Bewegungen verschiedener Personen von hier nach dort koordiniert.
Architektonisch legt es fest, wann diese Bewegungen sich begegnen werden.
Das Haus ist auch der Ort, an dem man schläft, in dem man träumt, das man
teilt; es ist Schutzhülle und Auftrittsort des Lebendigen, Umkleidekabine
und Bühnenbild. Es ist ein Ort des Essens, der Konversation, es stellt eine
Lebensform aus und dient zugleich als Bollwerk der Ignoranz. Es lässt auch
Platz für den Disput, und zwar dort, wo die Bewegungen zusammengeheftet und
deshalb undefiniert sind: Die Schwelle, der Flur, die Küche, das Wohnzimmer
sind minimale Interpretationen von Begegnung und Kommunalität und als
künstliche, symbolische Welt zugleich deren Verhinderung. Das
Privateigentum, das durch das Haus umhegt und gehütet wird, sammelt sich
darin als Überrest von Geselligkeit, es wird subvertiert und transformiert
vom Gebrauch. Die Kommune, die sich das Haus teilt, ist notwendigerweise
sowohl definiert als auch offen. Obschon einige Häuser wie Bunker aussehen,
verspricht noch das abweisendste Haus ein Wohnen. Dieser utopische Aspekt
der Architektur trotzt jedem nur den Bedürfnissen des Alltags dienenden
Bauen.[13]
Richtig an Harries’ Argument ist, dass es eine öffentliche
Architektur geben kann, die Menschen außerhalb bereits bestehender
Gemeinschaftsstrukturen auf neue Weise assoziiert.
Mit diesem Assoziationsvermögen ist die
Architektur keine Imagination von Luftschlössern, sondern eine
Manifestation. Durch die Architektur treten Dinge zusammen, werden
handgreiflich und offenbar. Architekturen sind Kundgebungen, öffentliche
Erklärungen, Darlegungen von Programmen; sie bilden eine offenbare
Gegenwart, in der sich etwas zu einem Ding verdichtet. Jedes Bauwerk
erhebt sich auf dieser architektonische Grundlage.
4. Architektur als Vorbereitung zum Fest
Für Harries, wie für Sylviane Agacinski[14],
geht eine Gemeinschaft ebenso wie einzelne Gebäude erst aus der Architektur
hervor. Die Architektur sollte daher nicht als Planen und Bauen begriffen
werden, sondern als Projektion des Gemeinsamen. Diese Projektion geht der
Möglichkeit der Repräsentation schon zuvor, sie ist ein Ausgriff ins
Ungewisse, ins Zukünftige.
Daher ist Architektur für Harries auch nicht nur Ausdruck, denn jedes Medium
jedes kulturelle Produkt bringt etwas zum Ausdruck. Für die Architektur ist
die Ausstellung der Absicht dieses Ausdrucks ist entscheidend.[15]
Die Architektur hebt sich als solcher Ausdruck vom bloßen Bauen ab. Den
Bauten des Alltags gegenüber nimmt sich Architektur in diesem emphatischen
Sinne aus wie dasjenige, was das Gemeinsame, die Beziehungsgefüge und
Orientierungsmaßstäbe überhaupt erst greifbar und gestaltbar werden lässt
(wie die Figur auf einem Grund). Architektur besteht daher weniger in
Gebautem, als vielmehr in realen oder imaginären Strukturen[16],
die das Bauen “re-präsentieren”. Das Bindestrichwort “Re-Präsentieren” heißt
hier: Architekturen, stellen das Ideal gemeinschaftlichen Wohnens vor Augen,
vergegenwärtigen es, machen es wirklich. Damit ist nicht gesagt, dass sie
dieses Ideal erfinden und tyrannisch durchsetzen sollen: Harries’
Argumentation zielt vielmehr darauf, dass sie die latent vorhandenen,
Sozialität ermöglichenden Strukturen manifest werden lassen und verstärken
sollen.
Diese Gemeinschaft artikulierende und das Gemeinsame zu Bewusstsein
bringende Funktion der Architektur kann daher am besten von der Kirche her
verstanden werden. Die Kirche ist die Gemeinde, die sich zum Feiern der
Gemeinschaft, zur Feier des Sakramentes versammelt. Die Kirche ist das, was
das Kirchengebäude immer nur repräsentieren kann. Nur abhängig von dieser
Ausstellung des Gemeinsamen gibt es die Möglichkeit für den Einzelnen,
(räumlich und zeitlich) Sinn zu erfahren: “The ethical function of
architecture is inevitably also a public function.
Sacred and public architecture provides the community with a center or
centers. Individuals gain their sense of place in a history, in a community,
by relating their dwelling to the center.”[17]
Um nicht verloren
einen “sense of nonplace” zu vermitteln, muss die Architektur Bezug nehmen
auf die Erde, an der sie steht.
Sie muss, wie die Kirche, sich als Figur auf dem Grund räumlicher und
zeitlicher Gemeinschaft präsentieren: Sequenz und Simultanität, Ausdehnung
und Nebeneinander werden dadurch zwar nicht geschaffen, wohl aber begreifbar
und wirksam. Diese architektonischen Präsentationen sind zugleich
“Wiederholungen paradigmatischer Ereignisse”.[18]
Harries vollzieht an dieser Stelle gleichsam eine Kehre im Denken der
Architektur: sie soll nicht mehr nur als räumliche Repräsentation einer
höheren Ordnung gedacht werden, sondern als Vorbereitung des Ereignisses.
Die Ausdrucksfunktion, die Hegel in seiner Ästhetik mit der Architektur
beginnen lässt, läuft auf die Repräsentation ökonomischer Hierarchien und
leerer Funktionalität heraus, die einst den poetischen Überschuss moderner
Wohnmaschinen ausmachen sollte. Vielleicht lässt sich also Harries’
Architekturphilosophie interpretieren als eine ethische Transformation des
Ereignisdenkens.
In den Zeiten seit der Aufklärung, da die Autorität einer Herrschenden
Erzählung keine ganze Gesellschaft mehr binden kann, muss die Architektur
einerseits der Freiheit, den Erfahrungen und Bedeutungszuschreibungen jedes
Einzelnen vorläufig sein.
“If
perhaps not a center, at least some authority must be recognized, if there
is to be responsible decision.”[19]
Ohne einen überzeitlichen Maßstab sind wir, so fürchtet Harries mit Platon,
den Wechselfällen der leidenschaftlichen Stimmungen ausgeliefert. Dieser
höhere Maßstab muss eine ideale Existenz vorstellen, sie muss uns ein
höheres Bewusstsein dessen vermitteln, worauf es ankommt. Diese Vorstellung
muss sich hüten, als Beschwörung einer Vergangenheit oder als Kompaktheit
totalitärer Gegenwart[20]
aufzutreten. Sie kann nun auch nicht mehr die Symbolisierung der
jungfräulichen Braut sein, von der das Lied der Lieder spricht und deren
figürliche Dimensionen in der Rococo-Kirche ästhetisch erfahren werden
können.[21]
Sie nimmt auf die zeitliche und räumliche Ordnung, die eine Gemeinschaft
etabliert, ebenso wohl Bezug, wie sie diese ereignishaft brechen muss: Der
gemeinsame Grund, die Gründung ist vorläufig, er kommt als die Disparatheit
oder Gegensätzlichkeit des Individuellen, Separierten zur Erscheinung. Wenn
die Architektur die Werte vermitteln und nicht oktroyieren soll, die das
soziale Leben jedes Einzelnen prägen könnten, so darf sie selbst nur prekär
und exemplarisch sein. Wenn Harries schreibt: “One task of architecture is
to preserve at least a piece of utopia”[22],
so könnte man das auch wie folgt reformulieren: Architektur muss dem
Möglichen Geltung verschaffen.
Dieses Mögliche ist die freie Entfaltung des ganzen Menschen. Diese
Entfaltung ist ein Prozess und darf daher nicht im Sinne eines
Geschichtsendes petrifiziert werden. Vielmehr sollte die Architektur eine
dynamische Form aufstellen, die das Irdische, Tierische ebenso wie das
Himmlische, Geistige vor Augen führt und so den ganzen Menschen anspricht.
“Architecture is needed to recall the human being to the whole self: to the
animal and to the ratio, to nature and spirit.”[23]
So kann Architektur nie mehr sein als ein wiederholtes Ereignis,
Antizipation des Utopischen als “precarious conjectures about an ideal
dwelling.”[24]
Dieses Ziel eines idealen Festes, einer Vereinigung des Sinnlichen und des
Geistigen darf die Architektur nicht aufgeben, denn:
“There is a
continuing need for the creation of festal places on the ground of everyday
dwellings, places where individuals come together and affirm themselves as
members of the community, as they join in public reenactments of the
essential: celebrations of those central aspects of our life that maintain
and give meaning to existence. The highest function of architecture remains
what it has always been: to invite such festivals.”[25]
Harries fordert
eine Architektur, die nicht selbst Fest ist: sondern Einladung zum Fest,
Gelegenheit zur sinnlichen Vereinigung der Gegensätze, Schauplatz der
Vergegenwärtigung einer idealen Gemeinschaft. Damit hat er zur Vorbereitung
architektonischer Ereignisse selbst einen visionären Beitrag geleistet.[26]
Anmerkungen:
[1]
Karsten Harries, The Bavarian Rococo Church, Between Faith and
Aestheticism. New Haven: Yale 1983, S. 62.
[2]
Karsten Harries, The Bavarian Rococo Church, ibd., S. 63.
[3]
Karsten Harries, The Bavarian Rococo Church, ibd., S. 246.
[4]
Siehe Karsten Harries, The Bavarian Rococo Church, ibd., S. 256.
[5]
Siehe Karsten Harries, The Ethical Function of Architecture,
Cambridge/Mass: 1997, S. 102f.
[6]
Auch für Hegel ist die Kirche zwar in diesem Sinne nur ein Haus als
Bedeutungsträger einer Gemeinschaftsversammlung, aber darüber hinaus
hat das Gebaute in seiner Materialität die Funktion, das
Invididuelle über das Endliche zu heben. G.W.F. Hegel, Vorlesungen
über die Aesthetik (Glockner Ausg), Werke Bd. 13, Stuttgart 1951, S.
335.
[7]
Harries, ibd., S. 103.
[8]
Siehe Karsten Harries, The Ethical Function of Architecture,
Cambridge/Mass.: 1997, S. 107f.
Vgl. Karsten Harries, The Bavarian Rococo Church, Between Faith and
Aestheticism. Yale 1983, S. 246.
[9]
Siehe Karsten
Harries,
The Ethical Function of Architecture, Cambridge/Mass: 1997, S. 110f.
[10]
Siehe Karsten
Harries,
The Ethical Function of Architecture, Cambridge/Mass: 1997, S. 113.
[11]
Harries, ibd., S. 132.
[12]
“Works of architecture can be understood as public figures on the
ground of comparatively private buildings” [Harries, ibd., S. 365].
[13]
Vgl. Ernst Bloch,
"Bauten, die eine bessere Welt abbilden. Architektonische Utopien",
Das Prinzip Hoffnung, Band 2. Frankfurt am Main 1980, S. 809-872
[14]
Vgl. Sylviane Agacinski, Volume, Philosophies et politiques
del'architecure, Paris: 1992, S. 11f; S. 95ff.
[15]
“Architecture (…) is intended to communicate.” Karsten Harries, The
Ethical Function of Architecture, Cambridge: MIT 1998, S. 285.
[16]
Harries, The ethical function, ibd., S. 286.
[17]
Harries, The ethical function, ibd., S. 287.
[18]
Harries, The ethical function, ibd., S. 288.
[19]
Harries, The ethical function, ibd., S. 291.
[20]
Vgl. Hierzu: Miguel Abensour, De la Compacité.
Architectures et Régimes Totalitaires, Paris 1997, S. 61ff.
[21]
Vgl. Harries, The Bavarian Rococo Church, ibd., S. 256.
[22]
Harries, The ethical function, ibd., S. 291.
[23]
Harries, The ethical function, ibd., S. 362.
[24]
Harries, The ethical function, ibd., S. 264.
[25]
Harries, The ethical function, ibd., S. 365.
[26]
Auch wenn er sich nicht in meinem kleinen Porträt wiedererkennen mag.
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