Thema
1. Jg., Heft 1
Oktober 1996

Eduard Führ

Einige Anmerkungen zur 'Praktischen Ästhetik' in der Architektur





1/ In dem folgenden Beitrag geht es mir um Fragen der Beziehung von Kunst und Alltag in der Architektur. Die Diskussion darum ist in der Architektur natürlich nicht neu, seit mehr als einem Jahrhundert streiten sich ‘Funktionalisten’ und ‘Baukünstler’.
Die Argumente sind nicht immer klar und der Verlauf der Diskussion ist kompliziert und kann hier im Detail auch deshalb nicht nachvollzogen werden, da es vor allem bei dieser ‘Querele’ nicht um einen wissenschaftlichen Diskurs, sondern um ideologische Auseinandersetzungen um die richtige Menschlichkeit und um Marktanteile geht.

2/ Ich möchte die Positionen aber in zwei Sätzen pointieren:
- Die ‘Baukünstler’ verstehen Architektur als Kunst, und Kunst wird als Feier definiert. Sie existiere nur im zweckfreien Raum des Geistigen, der produzierende Künstler und der rezipierende Ästhet müssten sich vom Alltag distanzieren. Die ‘Funktionalisten’ sind in der Meinung der ‘Baukünstler’ schnöde Materialisten, wenn nicht gar Bolschewisten (so Architekten der 20er und 30er Jahre) oder totalitäre Faschisten (so etwa die Postmoderne), die das Geistige verunmöglichen oder gar zerstören.
- Die ‘Baukünstler’ seien vielmehr selber totalitäre und elitäre Verbrecher (Loos), sagen die ‘Funktionalisten’. Die ‘Baukünstler’ beschäftigten sich allein mit formalen Spielereien und mit intellektuellen Spinnereien und würden letztlich eine nachhaltige Befriedigung von Bewohnerbedürfnissen durch Vergeudung von Resourcen sabotieren. (so noch Feldtkeller 1989). Die ‘Funktionalisten’ selbst lehnen - ganz in der Tradition der Bilderstürmer - Kunst generell ab. Sie verstehen Architektur als ein Mittel, die persönlichen und sozialen Bedürfnisse von Menschen zu befriedigen. Der Küstler dürfe nicht aus der Wirklichkeit fliehen und sich in einem Elfenbeinturm isolieren, sondern er müsse die Wirklichkeit fassen und verändern.

3/ Mit meinen Anmerkungen zu einer ‘praktischen Ästhetik’ möchte ich diese beiden Definitionen grundsätzlich infrage stellen. Ich werde dabei jedoch nicht den ‘Baukünstlern’ den fehlenden Bezug zum Alltag und den 'Funktionalisten' nicht den fehlenden Kunstbegriff vorwerfen.

Meine Absicht hier ist es vielmehr
- die Beschränktheit des Verständniss der ‘Funktionalisten’ vom Alltag,
- die Einseitigkeit des Kunstbegriffes der 'Baukünstler’
und die daraus resultierende wechselseitige Ausgrenzung voneinander aufzuzeigen.

Ich werde den Versuch unternehmen, eine phänomenologische (Kap. I) und eine ästhetische (Kap. II) Fundierung für eine Praktische Ästhetik zu liefern, in der der Gegensatz von Kunst und Alltag aufgehoben ist.


Inhalt

  • I. Alltagswelten

    1. Frl Zuckertort
    	A. Dinglichkeit
    	B. Leiblichkeit
    	C. Sinnlichkeit und Kognitionen
    2. Interaktionen
    	A. Die Objekte lauern
    	B. Vom Wohnen in den Dingen
    	C. Polyversum
    	D. Der Spielcharakter der Architektur
    	E. Distanz und Nähe

    II. Über die Symmetrie der Welt

    1. Vitruv 2. Die Entstehung der reinen Architekturästhetik 3. Shaftesbury 4. Adam Müller 5. Architektur als Baukunst? A. Der Spielcharakter der Architektur B. Ästhetik des Widerstands


  • Literatur

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