Thema
3. Jg., Heft 1
Mai 1998

Thomas Fietz


Das Echte und das Wahre in der Architekturdarstellung

Widerspruch zwischen künstlicher und realer Welt in der Architekturdarstellung

1Hintergrund für diesen Artikel ist eine Besucherbefragung in der INFO BOX am Potsdamer Platz. In der INFO BOX, die von den Investoren und anderen Beteiligten am Baugeschehen der Innenstadt, organisiert und finanziert wurde, wird in Ausstellungen mit Hilfe von verschiedenen Darstellungsmedien versucht, ein Bild von der Zukunft des Potsdamer Platzes zu vermitteln. Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen dabei folgende Fragen zur Anwendung der Architekturdarstellung im Konzept der INFO BOX:

2Welche Mittel sind dabei geeignet und legitim, die Projekte dem interessierten Besucher nahezubringen? In welchem Maße geht es dabei um die Informierung, die Unterhaltung und die Vereinnahmung des Besuchers?

3In den INFO BOX Ausstellungen geht es, nach Aussage der Veranstalter, im wesentlichen um die Vermittlung eines Bildes von der zukünftigen Gestalt des Potsdamer Platzes mit Hilfe verschiedener Medien. Ziel der Vermittlung ist es, den Zustand im Jahre 2005, wenn alle Bauten am Potsdamer Platz fertiggestellt sind, so perfekt zu simulieren, daß man von einer real erscheinenden Vorwegnahme durch eine "neutrale Darstellung" sprechen könnte, die zu einer "neutralen Meinungsbildung" bei den Besuchern der INFO BOX führt. Das Problem der Neutralität beziehungsweise Objektivität in der Architekturdarstellung ist dabei durch zwei Hauptaspekte gekennzeichnet:

4Ein Aspekt ist, weil wir uns als primär visuelle Wesen empfinden, die vorrangige Beschäftigung mit dem Visuellen vor allen anderen Sinnesmodi, die zu erkenntnistheoretischen Problemen geführt hat1. Der andere Aspekt ist ein erkenntnistheoretischer Paradigmenwechsel, welcher durch die Kognitionstheorien des radikalen Konstruktivismus geprägt wurden, bei der eine Abkehr von der Wissenschaft des Seins und der damit verbundenen Vorstellung der Erkennbarkeit einer objektiven Wirklichkeit gefordert wird. Sowohl in der Wahrnehmungsphysiologie wie in der Soziologie kann hier von einem sogenannten blinden Fleck2 gesprochen werden, welcher es uns schwer macht, uns als Beobachter zu beobachten und damit unsere Wahrnehmung beeinträchtigt, um uns zum Beispiel gesellschaftsstrukturelle Muster erkennen zu lassen, die zu unserem individuellen Bild von Wirklichkeit führen.

5Diesen Diskurs möchte ich hier jedoch nicht vertiefen. Vielmehr sollen hier die Motive der INFO BOX Veranstalter bei der Konzeption der Architekturdarstellung und die Reaktionen der INFO BOX Besucher im Mittelpunkt der Betrachtung stehen.

6Die Produzenten von Architekturdarstellung, in der Regel Spezialisten für Darstellung, welche von den Architekten oder Investoren beauftragt werden, bringen dabei die von technischen und vor allem ökonomischen Zielen geprägten Vorstellungen zum Ausdruck. Die Betrachter von Architekturdarstellung, in der Regel zukünftige Bewohner oder Konsumenten der projektierten Bauten, sind von emotionalen und praktischen Vorstellungen geprägt. Hier ist es überaus schwierig, eine hohe allgemeine Übereinstimmung dieser sehr unterschiedlichen Vorstellungswelten zu erhalten.

7Ein Problem unterschiedlicher Vorstellungswelten in der Architekturdarstellung ist die Wahl des Mediums und die damit verbundenen Einschränkungen unserer Wahrnehmung. Architektur ist eine mehr als nur dreidimensionale materielle Kunst, und sie ist, was vielen nicht offensichtlich erscheint, nicht nur eine visuelle Erfahrung3. Die meisten Architekturdarstellungen schließen jedoch andere sinnliche Erfahrungen aus und schränken die Qualität der dargestellten Räume dadurch ein, beziehungsweise schaffen eine dem Medium eigene Qualität von sinnlichen Erfahrungen. Die Frage ist im Falle der INFO BOX, von welcher Art diese Qualität sinnlicher Erfahrung ist und wie beziehungsweise wofür sie eingesetzt wird. Von besonderem Interesse soll dabei sein, inwieweit die Architekturdarstellung dazu dient, ein möglichst neutrales Bild zu vermitteln oder wie mit Hilfe von Architekturdarstellung eine emotionale Vereinnahmung versucht wird.

8Ein Problem von Subjektivität bei der Darstellung von architektonischem Raum durch ein Medium entsteht zwangsläufig, wenn der Produzent der Architekturdarstellung den Blick des Rezipienten leitet. Dies geschieht in allen Darstellungsformen, von der Zeichnung bis zur Computeranimation mit mehr oder minder großer Einflußnahme. Bei den materiellen Medien4, wie beispielsweise bei der Architekturzeichnung und dem Architekturmodell, ist diese Subjektivität und Einflußnahme höher als bei den interaktiven, immateriellen Computermedien. Dies liegt zum Beispiel unter anderem daran, weil man bei interaktiven Medien den Standpunkt der Betrachtung selbst wählen kann, während in der Architekturmalerei der Standpunkt vom Künstler festgelegt ist, was wesentlich auf die komplexe Erlebbarkeit des dargestellten Raumes wirkt. Vor dem Medienzeitalter, als Architektur noch überwiegend durch die Architekturmalerei vermittelt wurde, ist dennoch häufig der Versuch gemacht worden, diese komplexen Eigenschaften sichtbar zu machen. So schreibt Kurt Löcher:

"Bilder überliefern Bauwerke, bestätigen oder bestreiten den Anspruch der Architektur, wetteifern mit ihr, machen ihre schützenden und ordnenden, ihre zwingenden und bedrohlichen Aspekte, ihre erhebenden und bedrückenden Wirkungen, ihre gemeinschaftsbildenden und ihre isolierenden Eigenschaften sichtbar5"

9Hier wird die künstlerische Komponente beleuchtet und deren Vorzüge gegenüber der naturgetreu nachbildenden Vedute hervorgehoben. Die subjektive künstlerische Darstellung spricht den Betrachter dabei unmittelbar an, wo der neutrale Standpunkt zugunsten des persönlichen Engagements aufgegeben wird. Hierdurch werden einige Eigenschaften herausgenommen und verstärkt, weil sie als wesentlich empfunden werden. Es stellt sich jedoch die Frage, was in der jeweiligen Zeit in der Auseinandersetzung mit Architekturdarstellung als wesentlich gilt und ob für den Betrachter eine vergleichbare Wesentlichkeit besteht, wie für den Produzenten eines Architekturbildes. In der frühen Form der Auseinandersetzung des Darstellungskünstlers mit dem Darstellungsgegenstand war die subjektive Form der Aussage von anderer Bedeutung als heute. Durch die persönliche Stellungnahmen des Künstlers in seinen Arbeiten erhält das Dargestellte eine komplexere Aussagekraft, weil das vom Künstler Gesehene nicht nur abgebildet, sondern gleichermaßen interpretiert und damit in einen kulturellen Sinnzusammenhang gestellt wird. Diese Form der Interpretation ist von solcher Wirkung, daß sie in der Lage ist, das Dargestellte zu beeinflussen. Zitat Kurt Löcher:

"Die subjektive Erfahrung von heute ist die objektive Erfahrung von morgen. Das Seherlebnis des Malers und die Identifizierung des Malers mit dem Objekt vervielfältigen sich in denen, die er mit seinen Augen zu sehen lehrt, die überzeugt, sich gleich ihm in einen Gegenstand hineinzuversetzen6"

10Die heutigen Möglichkeiten, sich differenziert über einen Sachverhalt zu erkundigen, nehmen der subjektiven Darstellung den Sinn einer komplexeren, persönlichen Aussage. Da Bilder und Informationen in dem Umfang, wie wir es heute gewohnt sind, erst durch die industrielle Verbreitung der Fotografie und schließlich durch die Entwicklung elektronischer Medien möglich wurden, hatte die subjektive Darstellung eines Künstlerbildes einen anderen Stellenwert als heute. Heute kann sich durch den Vergleich mit verschiedenen Quellen jeder ein "eigenes Bild" von den Dingen machen und dabei den Grad der Tiefe an Informationen selbst wählen. Durch die Vielfalt des Informationsangebotes und die darin liegende Redundanz scheint ein Höchstmaß an subjektiver Übereinstimmung bei allen Betrachtern möglich zu sein.

11Heutzutage haben wir es eher mit einer Überforderung des Betrachters mit der Menge an Informationen im visuellen Bereich zu tun. Dazu meint Georg Franck: (ich zitiere)

"Die Flut an Publikationen und der Programmangebote übersteigt die Aufmerksamkeit, die zur Wahrung des Überblicks nötig wäre, inzwischen um Größenordnungen7"

und an anderer Stelle

"Die Kehrseite dieser Explosion an Wahlmöglichkeiten ist die Verknappung der zu ihrer Wahrnehmung unabdingbaren Ressource: Eben von Aufmerksamkeit"

12Franck spricht von einer zusätzlichen Transformation der subjektiven Erlebniswelt durch das explosionsartige Wachstum an Zuwendungsmöglichkeiten. Bei Franck ist dabei weniger der direkte Eingriff von Bildern in die Vorstellungs- bzw. Erlebniswelt gemeint, sondern die Verfügbarkeit von Techniken, die in der Lage sind, Raum- und Zeitressourcen zu beeinflussen, was ein anderer Ausdruck für die Verfügbarkeit von Wahlmöglichkeiten ist und damit für die Dimensionalität des subjektiven Raumes. Er behauptet schließlich, daß die Simulation die Wirklichkeit sogar ausstechen kann, wenn die Darstellungstechnik eine höhere Ladung mit Attraktivität erlaubt. Das Bild wird im Falle von Architekturdarstellung dann wichtiger als der fertiggestellte Bau.

13Die besondere Bedeutung der Architekturdarstellung und deren Loslösung von der projektierten Architektur, ist in der INFO BOX besonders evident. Um die Wirkung hinsichtlich einer neutralen Informierung versus einer emotionalen Vereinnahmung der verschiedenen Architekturdarstellungsmedien auf den Planungslaien zu untersuchen, wurden die Ergebnisse der Besucherumfrage in der INFO BOX mit früheren Ergebnissen aus ähnlichen Untersuchungen verglichen.

14In der INFO BOX werden sowohl klassische Medien wie Zeichnungen und Modelle, als auch moderne Medien wie Filme und Computeranimationen eingesetzt. Bei der Umfrage in der INFO BOX wurde untersucht, welche Medien bei den Besuchern besonders beliebt sind und wie sie sie bewerten.An der Spitze des Besucherinteresses liegen die Modelle und mit etwas Abstand dahinter die Videopräsentationen.

15Matthias Hirche8 hat in ähnlicher Weise eine Befragung im Jahr 1986 vorgenommen. Hirche hat die Wirkung von Architekturdarstellung auf Planungslaien untersucht. Dabei wurden Modelle, Modellsimulationsvideos und Dias, planimetrische Zeichnungen, wie Grundrisse und Ansichten, Axonometrien und Perspektiven in ihrer Wirkung auf den Betrachter miteinander verglichen. Untersucht wurde beispielsweise, ob das Erscheinungsbild richtig wahrgenommen wurde9 und ob räumliche Zusammenhänge richtig erkannt wurden. Außerdem wurde untersucht, ob die Funktionen der Planung verstanden wurden und wie groß die Begeisterung für die Planung war beziehungsweise welche Identifikation es mit der Planung gab. Der letzte Punkt dieser Untersuchung ist für den Vergleich mit der INFO BOX Befragung von besonderer Bedeutung, da er der These einer möglichen Vereinnahmung durch die Darstellung entspricht.

16So unterschiedlich die Untersuchungen von ihrer Methode und ihren Zielen auch sind, es lassen sich dennoch einige Parallelen ziehen zwischen dieser Untersuchung und der Besucherumfrage in der INFO BOX . Das Ziel von Hirches Untersuchung ist es vor allem festzustellen, welche Formen der Architekturdarstellung sich besonders gut für eine aktive Beteiligung von Planungslaien eignet. In der Untersuchung von Hirche stehen die objektivierbaren Kriterien der Architekturdarstellung im Mittelpunkt der Untersuchung und gewinnen bei der Bewertung ein besonderes Gewicht, die Identifikation und Vereinnahmung durch die Architekturdarstellung wird dem aber als gleichrangig nebenangestellt.

17So wird dem Modellsimulationsvideo die Eigenschaft zugeschrieben, dem Planungslaien eine gute Möglichkeit zu geben, ein Urteil über die Wohnanlage abzugeben und sich besonders für die Projekte zu begeistern. Vom Autor wird unterstellt, daß es sich hier auch um eine Begeisterung für das Darstellungsmedium handelt. Es wird aber auch zu bedenken gegeben, daß frühere Erfahrungen gezeigt haben, daß ein Modellsimulationsvideo bei umstrittenen Architekturprojekten zu besonders heftiger Ablehnung geführt hat, mit der Schlußfolgerung, daß man nicht jedes Architekturprojekt dem Planungslaien durch eine Modellsimulation "verkaufen" kann. Die Terminologie "verkaufen" legt nahe, daß der Autor in der Durchsetzung und Vermarktung von Architekturplanungen eine wichtige Aufgabe und häufig genutzte Anwendung von Architekturdarstellung sieht. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Identifikation mit einem Projekt besonders wichtig.

18Bei der Untersuchung von Hirche werden bei Modellen die räumlichen Zusammenhänge insgesamt am besten erkannt. Die Modellsimulationsvideos sind durch den geführten Blick der Kamera in Fußgängerperspektive gegenüber der reinen Modellaufsicht beim Planungslaien teilweise überlegen gewesen. Die besonders positiven Eigenschaften, welche die Modelle so beliebt machen, sind die unmittelbare Erlebbarkeit und eine einfache Entschlüsselung der optischen Botschaft. Man erhält einen guten Überblick über die Planung, ähnlich dem Überblick auf der Dachterasse auf der INFO BOX. Hier erhält man einen Überblick über das ansonsten unüberschaubare Geschehen auf der Baustelle.

19Die Begeisterung beziehungsweise die Identifikation mit der Planung liegt bei den Modellen in Hirches Untersuchung im Vergleich deutlich unter der Begeisterung bei Modelsimulationsvideos, was man bei der INFO BOX nicht bestätigt findet. Wie vorher jedoch schon erwähnt wurde, können auch Einflüsse, die außerhalb der Darstellungstechnik liegen, dazu führen, daß ein Medium zur Annahme oder zur Ablehnung führen kann. In der INFO BOX war zum Beispiel bei der Filmvorführung von SONY der berlinernde Vogel Gegenstand einer kontroversen Beurteilung. Allein dieses Detail kann sowohl zu einer starken Ablehnung wie zu einer starken Begeisterung führen.

20Die computeranimierten Filme können ihre Verwandtschaft mit den Computerspielen, bei denen die physikalisch erlebbaren Grenzen bewußt überschritten werden, nicht leugnen. Gerade dieser Aspekt führt bei jüngeren Besuchern, welchen eine große Erfahrung im Umgang mit virtuellen Welten unterstellt wird, zu großem Interesse. Vermutlich stellen sie erst gar keinen Vergleich mit der realen Welt an. Bei älteren Besuchern, die offenbar andere Sehgewohnheiten haben, führt die große Abweichung von der realen Welt, sowohl in Textur wie im Inhalt, eher zu Mißtrauen und Ablehnung. Eine Konsensbildung findet hier nicht statt, weil durch andere Sehgewohnheiten und ein fehlendes technisches "Know How" eine Befremdung ausgelöst wird, die eine solche Präsentation zu einem negativen emotionalen Erlebnis macht und keine Identifikation herbeiführt.

21Bei der Medienwand in der INFO BOX Ausstellung wird das mittelmäßige Abschneiden in der Gunst der Besucher dadurch erklärbar, daß auf der einen Seite mit der Filmvorführung mit klischeehaften Bildern von Berlin und den Berlinern, eine emotionale Ebene angesprochen wird, mit der eine gute Identifikation erreicht werden kann. Diese emotionale Ebene wird beim nachfolgenden Cyberflight jedoch wieder verlassen, da hier für die meisten Besucher das vorstellbare Maß an Abstraktion überschritten wird.

22Bei den Architekturzeichungen in der INFO BOX Ausstellung handelt es sich vor allem um die Ansichten der Projekte in der Ausstellung der A & T Gruppe, die durch ihren technischen Charakter auffallen und eher für Planungsprofis geeignet sind, da in ihnen die räumliche Wirkung und die Einbindung in die Umgebung nur schwer nachzuvollziehen sind. Da in dieser Ausstellung die Büsten der Architekten in Glasvitrinen auf erhebliche Kritik gestoßen sind, ist nicht auszuschließen, daß in diesem Zusammenhang die Bewertung der Zeichnungen der Ausstellungen durch einen Sympathiemalus schlechter bewertet worden sind.

23Die Soundbox hat von den angegebenen Medien deutlich am schlechtesten abgeschnitten. Hier werden in einer gläsernen Kabine Geräusche von Bahnhofsituationen aus unterschiedlichen Zeiten simuliert. Interessant ist das Angebot durch den ungewöhnlichen Ansatz. Da der Mensch sich überwiegend visuell in seiner Umwelt orientiert, wird er sich wenn ihm visuelle Informationen fehlen, dennoch ein Bild von seiner Umwelt machen, welche als Fiktion in seinem Kopf entsteht. Dieses Angebot verlangt von ihm sicher ein Höchstmaß an Phantasie und ist gerade für einen Besucher, der in seiner Erwartungshaltung eher visuelle Attraktionen gewohnt ist beziehungsweise die akustische Darbietung eher als Untermalung erwartet, äußerst ungewöhnlich. Besonders bei den Erwachsenen mag diese Erwartungshaltung ein Grund besonders großen Desinteresses sein. Bei Kindern, die noch neugieriger und unbefangener an ein solches Angebot herangehen, ist das Interesse an der Soundbox dagegen wesentlich höher.

24Schluß

Bei der Architekturdarstellung in der INFO BOX geht es nicht um die sachliche Informierung über die Projekte am Potsdamer Platz mit Hilfe von Simulationen, sondern um die emotionale Identifikation der Besucher mit einer gebauten Zukunft, um einen Konsens der Besucher mit den Machern und Verantwortlichen zu erreichen. Der Besucher wird weniger durch eine "neutrale Darstellung" in die Lage versetzt, sich ein Bild zu machen, sondern er wird positiv gestimmt und für die Planung vereinnahmt. Der Bildraum in der Architekturdarstellung wird in dieser Weise nicht mit dem Architekturraum gleichgesetzt, sondern besteht auch unabhängig davon als eigene Welt mit der Funktion, ein positives Image zu vermitteln, welches dann rückübertragen wirkt auf die eigentlichen Projekte. Die Bildwelt in der Architekturdarstellung hat dabei ein solches Eigenleben entwickelt, daß der Zusammenhang mit der Architekturwelt immer schwieriger zu erkennen ist. Das Architekturbild, vermittelt durch multimediale Architekturdarstellung, wird dabei wichtiger als der reale Architekturraum. Der Versuch einer möglichst "neutralen Darstellung" zur Erreichung einer möglichst hohen allgemeinen Übereinstimmung in der Wahrnehmung aller Betrachter wird zugunsten einer emotionalisierten Darstellung zur Erreichung einer Konsensbildung durch Vereinnahmung in den Hintergrund gestellt. Georg Seeßlen10 schreibt dazu in einem anderen Zusammenhang, daß die Gefahr einer solchen Konsensbildung ist, daß sie die "kritische Geste" miteinbezieht und so zu einem vollständigen Politikersatz wird. Die Gesellschaft drückt sich so in ihren Medienereignissen aus, und das Problem eines ästhetischen Produkts löst sich auf in einem sozialen Ritual. Eine Mehrheit der Besucher der INFO BOX scheint dieses Ritual des Infotainments sehr zu schätzen. Einige der Besucher mißtrauen zwar den animierend eingesetzten modernen Medien oder haben Schwierigkeiten, die moderne Technik zu bedienen und ziehen die neutraleren, einfacher zu rezipierenden Medien wie Modell und Film vor. Doch die Mehrheit der Besucher läßt sich gerade von der Mischung der medialen Vermittlung begeistern. Die Besucher wollen zwar das Gefühl haben, neutral informiert zu werden, nehmen die Information aber nur auf, wenn sie auch geeignet ist, Emotionen zu wecken. In diesem Widerspruch verliert eine kritische Reflexion jedoch ihren Gegenstand.

25Anmerkungen

1 Vgl. Roth, Gerhard: Erkenntnis und Realität: Das reale Gehirn und seine Wirklichkeit, S.232, in: Schmidt, Siegfried J.: Der Diskurs des radikalen Konsrutkivismus, 5. Auflage., Frankfurt/ Main 1992, S. 229-255.

2 Vgl. Maturana, Humberto R. und Varela, Francisco J.: Der Baum der Erkenntnis. München 1987, S.23 : "Wir sehen nicht was wir nicht sehen."

3 Vgl. ALLEN, G. und OLIVER, R.: Architectural Drawing - the art and the process, Whitney Library of Design 1981, S.12.

4 Vgl. ALLEN, G. und OLIVER, R.: Architectural Drawing - the art and the proceß. 1981 S.10ff. Allen bezieht sich auf eine klassische Unterteilung in der Kunst zwischen materiellen Medien wie Architektur, Bildhauerei und Malerei im Gegensatz zu immateriellen Medien wie Musik und Poesie.

5 Löcher, Kurt. Vorwort aus: Der Traum vom Raum. (Ausstellungskatalog). Marburg 1986, S.25.

6 Ebd. S.28.

7 Franck, Georg: Aufmerksamkeit, Zeit, Raum in Zeiträume. Hrsg. Bergelt Matthias und Völkers, Hortensia, 1991. S. 78: Franck bezeichnet dieses Überangebot als Zeichen von speziellem Wohlstand. Dieser Form des Wohlstandes bedeutet für ihn eine permanente Qual der Wahl.

8 Hirche, Matthias: Architekturdarstellung und ihre Wirkung auf Planungslaien, Technische Universität Berlin 1986. Aus der Problemstellung S. 6: Mit der zunehmenden Demokratisierung der Entscheidungsprozesse in Stadtplanung und Architektur müssen sich immer mehr Menschen mit zukünftigen Planungen beschäftigen. (...) Es herrscht der allgemeine Eindruck vor, daß vielfach die Pläne und Darstellungen nicht richtig gelesen werden können oder sehr unterschiedliche Vorstellungen in sie hinein interpretiert werden.(...) Im Bereich der Architekturdarstellung soll es sein, die verschiedenen Darstellungsverfahren vergleichend zu untersuchen.

9 Ebd. S. 62.

10 Vgl. Seeßlen, Georg: Untergang als Auferstehung. TAZ, 23.04.98.

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