Thema
3. Jg., Heft
2
Juni 1998

Hans Friesen

Heideggers Architekturtheorie und die Moderne

1Die Relevanz der Philosophie Heideggers für die Architekturtheorie ist seit seinem Aufsatz „Bauen Wohnen Denken", der 1951 in den Darmstädter Gesprächen über Mensch und Raum als Vortrag gehalten wurde, ganz besonders deutlich geworden. Zahlreiche Architekten und Architekturtheoretiker haben sich auf diesen Vortrag berufen. In der Mehrzahl sind sie dabei jedoch nicht über das Niveau eines gutgemeinten Mißverständnisses hinausgekommen. Mein Vortrag soll dazu beitragen, die Stellung und Bedeutung der Architekturtheorie Heideggers in der Geschichte der Architekturtheorie des 20. Jahrhunderts zu klären. Im Vergleich mit der Auffassung von Le Corbusier wird schließlich gezeigt, daß Heideggers Position sich zwar nicht mit dem Selbstverständnis der Moderne verknüpfen läßt, aber durchaus in einem produktiven Kontrast-Bezug zur Moderne gedacht werden kann.

2Das gegenwärtige Zeitalter des Gestells, d. h. das technologische Zeitalter, zeichnet sich für Heidegger durch eine zunehmende Vergessenheit des Seins aus. Diese hat bereits bei den Griechen begonnen. Durch die Geschichte der Metaphysik hindurch setzt sie sich fort und mündet in die gegenwärtig höchste Bedrohung der Menschheit. Diese Bedrohung ergibt sich aus den Verführungsmöglichkeiten der Technik. Angesichts des heutigen Wesens der Technik fällt dem Denker nach Heidegger die Aufgabe zu, ein anderes Denken zu entfalten. Dieses andere Denken soll die Wahrheit entbergen und die Existenz des Menschen einlösen. Bei dieser Aufgabe fällt den Dichtern und Denkern eine besondere Bedeutung zu. Denn sie sollen das, was ist, zur Sprache bringen. Dadurch soll das Verlorene wieder erfahrbar und das Künftige vorbereitet werden. Der Mensch soll nicht mehr versuchen, Herr über die Dinge zu werden, sondern sie in ihrem Wesen zu belassen. Hiermit ist für Heidegger eine Wende angesprochen. Diese soll eine Freisetzung, die ohne Katastrophe ausgeht, bewirken. Heidegger entwickelt sie mit dem Topos vom Hören auf die Sprache. Das neuzeitliche Wesen der Technik lief seiner Ansicht nach auf eine Katastrophe hinaus: die Katastrophe der Vergessenheit des Seins. Diese Katastrophe kann allein durch das Geschehen des dichterischen Tuns rückgängig gemacht werden. Es gilt den eigentlichen Zuspruch über das Wesen einer Sache zu erfahren. Auf einem solchen philologischen Ansatz beruht auch der Gedankengang des Aufsatzes „Bauen Wohnen Denken", in dem sich Heidegger die Frage stellt, was das Wohnen sei und inwiefern das Bauen in das Wohnen gehöre. Das Hören auf das Wort Bauen erschließt dieses als eine Grundbefindlichkeit des Menschen. Bauen ist nicht nur zur Sicherung des Sich-Aufhaltens und Bleibens auf der Erde und in der Welt gedacht, sondern wird auch als Hegen und Pflegen verstanden. Das Hegen und Pflegen wird vom Herstellen und Benutzen unterschieden. Bauen ist nicht nur Mittel zum Wohnen, sondern in sich selber bereits ein Wohnen. Bauen markiert die Weise, in welcher sich der Mensch auf der Erde einrichtet. Das Bauen als Wohnen verstanden entfaltet erst ein Bauen, das pflegt, und ein Bauen, das Bauten errichtet. Dieser Zusammenhang von Bauen und Wohnen bestimmt das Wohnen als einen Grundzug des Seins. Die Eigenart dieses Wohnens wird bei Heidegger auch als ein Schonen verstanden. Schonen meint hier, die Dinge in ihr Wesen kommen zu lassen. Aus dem Wohnen ergibt sich eine Aufgabe. Sie besteht darin, das Wohnen in das Volle seines Wesens zu bringen. Das Wohnen in das Volle seines Wesens bringen heißt, aus dem richtig verstandenen Wohnen bauen und für das Wohnen denken. Dies wiederum heißt, die vorgegebenen Bedingungen der zeitlichen Existenz anzunehmen. Das Wohnen als ein Schonen bezieht sich also auf den zeitlichen Aufenthalt der Menschen, d. h. der Sterblichen, auf der Erde. Für Heidegger erweist sich dabei, daß Himmel und Erde, die Göttlichen und die Sterblichen untrennbar zusammengehören. Dieses Zusammengehören, das Heidegger als eine Einfalt der Vier beschreibt, nennt er auch das Geviert. Mit diesem Begriff markiert er die existentialontologische Bestimmung des Menschen.

3Ich zitiere Heidegger: „Die Sterblichen wohnen, insofern sie die Erde retten – das Wort in dem alten Sinne genommen, den Lessing noch kannte. Die Rettung entreißt nicht nur einer Gefahr, retten bedeutet eigentlich: etwas in sein eigenes Wesen freilassen. Die Erde retten ist mehr als sie ausnützen oder gar abmühen. Das Retten der Erde meistert die Erde nicht und macht sich die Erde nicht untertan, von wo nur ein Schritt ist zur schrankenlosen Ausbeutung. Die Sterblichen wohnen, insofern sie den Himmel als Himmel empfangen. Sie lassen der Sonne und dem Mond ihre Fahrt, den Gestirnen ihre Bahn, den Zeiten des Jahres ihren Segen und ihre Unbill, sie machen die Nacht nicht zum Tag und den Tag nicht zur gehetzten Unrast. Die Sterblichen wohnen, insofern sie die Göttlichen als die Göttlichen erwarten. Hoffend halten sie ihnen das Unverhoffte entgegen. Sie warten der Winke ihrer Ankunft und verkennen nicht die Zeiten ihres Fehls. Sie machen sich nicht ihre Götter und betreiben nicht den Dienst an Götzen. Im Unheil noch warten sie des entzogenen Heils. Die Sterblichen wohnen, insofern sie ihr eigenes Wesen, daß sie nämlich den Tod als Tod vermögen in den Brauch dieses Vermögens geleiten, damit ein guter Tod sei."

4Heidegger begibt sich mit diesen Ausführungen endgültig in eine andere Sprache, d. h. in eine Sprache, die sich dem diskursiven Begriff entzieht. Ihre Überzeugungskraft versucht diese andere Sprache aus dem poetischen Bild zu entwickeln. Es geht darum, das Wohnen in sein eigenes Wesen freizulassen. Das Wohnen soll ein Bauen begründen, das die Dinge in ihr Wesen kommen läßt. Das Wesen des Bauens ist das Wohnenlassen. Bauen, Wohnen und Denken sollen auf einen Zuspruch weisen. Diesen zu hören erlaubt dem Menschen zuallererst die Sprache. Die Ankunft des Seins vollzieht sich in der Sprache. Die Sprache ist das Haus des Seins. Das Sein jedoch ist vom Seienden zu unterscheiden. Diesen Unterschied nennt Heidegger die ontologische Differenz. Der Gedanke der ontologischen Differenz liegt auch dem Aufsatz „Bauen Wohnen Denken" zugrunde. Hier aktualisiert Heidegger ihn im Verhältnis zwischen dem Geviert und den Dingen. Das Geviert gibt es nämlich nicht ohne die Dinge. Und die Dinge gibt es nicht ohne das Geviert. Heidegger verdeutlicht diesen Zusammenhang am Beispiel einer Brücke.

van Gogh, Brücke in Arles

5Ausgangspunkt für dieses Beispiel ist sehr wahrscheinlich van Goghs Gemälde „Die Brücke in Arles". Dieses Gemälde soll sich zur Zeit der Entstehung des Aufsatzes „Bauen Wohnen Denken" neben dem Arbeitstisch Heideggers in Freiburg befunden haben, wie Dieter Jähnig zu berichten weiß. Für Heidegger ist die Brücke als Versammlung des Gevierts ein Ding. Der Bau einer Brücke ist mehr als eine bloße Zweckerfüllung, wie Dieter Rahn betont. (Ein Stück des folgenden Weges gehe ich gemeinsam mit Jähnig und Rahn. Am Schluß trennen sich unsere Wege jedoch wieder.) Dieses Mehr macht für Heidegger den wesentlichen Charakter der Brücke aus. Der wesentliche Charakter der Brücke besteht darin, ein Ort zu sein. Der Ort ist nicht schon vor der Brücke da. Er entsteht erst von der Brücke selbst her. Obwohl die Brücke vom Herstellen her nicht erklärt werden kann, ist sie gebaut und damit ein Ding. Ein Ding ist die Brücke aber nur als Versammlung des Gevierts. Das Geviert ist das „Spiegelspiel" zwischen Himmel und Erde, den Göttlichen und den Sterblichen. Dieses Spiegelspiel ist ein Ereignis von Welt. Der Begriff der Welt ist in diesem Zusammenhang identisch mit dem Geschehen der „aletheia". Diese Auffassung des Aufsatzes „Bauen Wohnen Denken" unterscheidet sich allerdings erheblich vom Verständnis des „Kunstwerkaufsatzes". Hierin nämlich ist mit Welt nur der eine Pol im zweiseitigen Geschehen der „aletheia" benannt. Der andere Pol dieses Geschehens ist die Erde. Während die Erde im Aufsatz „Bauen Wohnen Denken" nur ein Faktor in der vierfältigen Polarität der Welt ist, ist sie im „Kunstwerkaufsatz" das eine Element in der zweiseitigen Polarität des Wahrheitsgeschehens. Erde und Welt sind im „Kunstwerkaufsatz" also „zwei zusammengehörige, aber gegenwendige Tendenzen", um es mit Dieter Rahn zu sagen. Im „Kunstwerkaufsatz" geht es also um den Streit zwischen einem aufschließenden und einem sich verschließenden Element. Diesen Streit zwischen Welt und Erde im Werk zu bergen nennt Heidegger das Sich-ins-Werk-Setzen der Wahrheit des Seienden. Dieses Geschehen macht das Darstehen des Kunstwerkes aus. Heidegger erklärt das am Beispiel eines antiken Tempels.

6Ich zitiere eine Stelle aus dem „Kunstwerkaufsatz": „Ein Bauwerk, ein griechischer Tempel bildet nichts ab. Er steht einfach da inmitten des zerklüfteten Felsentales. Das Bauwerk umschließt die Gestalt des Gottes und läßt sie in dieser Verbergung durch die offene Säulenhalle hinausstehen in den heiligen Bezirk. ... Das Tempelwerk fügt erst und sammelt zugleich die Einheit jener Bahnen und Bezüge um sich, in denen Geburt und Tod, Unheil und Segen, Sieg und Schmach, Ausharren und Verfall – dem Menschenwesen die Gestalt seines Geschickes gewinnen. Die waltende Weite dieser offenen Bezüge ist die Welt dieses geschichtlichen Volkes. Aus ihr und in ihr kommt es erst auf sich selbst zum Vollbringen seiner Bestimmung zurück. ... Auf der Erde und in sie gründet der geschichtliche Mensch sein Wohnen in der Welt. Indem das Werk eine Welt aufstellt, stellt es die Erde her. ... Das Werk rückt und hält die Erde selbst in das Offene einer Welt. Das Werk läßt die Erde eine Erde sein."

7Heidegger sagt, der griechische Tempel steht einfach da inmitten des zerklüfteten Felsentales. Vermutlich denkt er dabei an den Apollontempel von Bassai, wie es Dieter Jähnig zufolge aus zwei Briefen Heideggers von 1966 zu schließen ist.

Tempel von Bassai

Dieser Tempel bildet nichts ab, sondern steht einfach nur da, er ruht in sich. Er ist also nicht als Bild, sondern als Körper konzipiert. Das soll aber nicht heißen, daß diese Architektur als eine räumliche (weder im Sinne eines Schutzraumes noch eines Versammlungsraumes) verstanden werden kann. Eine solche Architektur gibt es für Hegel und auch für Heidegger, der Hegels Vorlesungen über Ästhetik gründlich studiert hat, erst seit dem Pantheon in Rom. Die umlaufende Säulenhalle weist den griechischen Tempel als ein Gebilde aus, das nicht nur als Umschließung eines Inneren verstanden werden darf. Denn darüberhinaus hat er auch den Charakter des nach allen Seiten hin sich Öffnenden. Dieses Verhältnis von Umschließung und Öffnung wirkt sich auf die Landschaft aus, in der der Tempel steht. Architektur und Landschaft treten nämlich in einen „Kontrast-Bezug", um es mit Dieter Rahn zu formulieren. Die Landschaft tritt der gegliederten Architektur als das Ungegliederte gegenüber. Und genau darin wird sie, wie Dieter Jähnig sagt, als Landschaft anerkannt. Das Aufstellen von Welt vollzieht sich also im Streit mit dem Herstellen der Erde. Als dieser Streit ist die Wahrheit des Werkes ein Geschehen. Der Geschehenscharakter der Wahrheit klingt auch in dem Wort Sein an. Eine Wendung innerhalb des griechischen Weltverhältnisses stellt diesen jedoch in Frage und setzt damit den Beginn der Seinsvergessenheit. Seinsvergessenheit meint, daß der Geschehenscharakter des Seins vergessen wird. Das Sein wird nunmehr als Idee gedacht und damit zu einem Seienden, das als Grund von allem erscheint, gemacht. Im Zusammenhang damit steht die Auslegung der „aletheia" als Idee, d. h. als Präsenz, und nicht mehr als Geschehen. Dieser Wandel des Denkens manifestiert sich Heidegger zufolge im Auftreten der Sophisten und der Philosophie von Sokrates und Platon und macht den Beginn der abendländischen Metaphysik aus. In diesem Kontext zeichnet sich auch ein verändertes Verständnis des Handelns ab, wie Dieter Rahn es gezeigt hat. Handeln wird bei Platon zum Herstellen. Das Herstellen, das an der Idee Maß nimmt, verwirklicht lediglich den mit ihr gesetzten Zweck. Solches Herstellen wird, um es mit Franco Volpi zu sagen, zum epochalen Bestimmungsgrund der modernen Technik. Und in der von Heidegger auch „Gestell" genannten epochalen Konstellation entwickelt sich das Herstellen zu einem Grundverhalten, das das Handeln als Vorgang endgültig ausblendet. Der Mensch wird zu einem Machenden erklärt, sagt Dieter Rahn, der den Stoff der Erde formend zu bezwingen hat und auch bezwingt. Für Heidegger resultiert hieraus die Aufgabe der Destruktion. Destruktion meint das „Abarbeiten der Verkleidungen" (Dieter Rahn), in die das Überlieferungsgeschehen das Denken verhüllt hat. Es geht Heidegger darum, den ursprünglichen Horizont der „aletheia" zurückzugewinnen. Auf diese Weise will er den Verfügungsanspruch des rechnenden Menschen über die Wirklichkeit und über die Sprache verringern. Dem Menschen soll ein Horizont zurückgegeben werden, den heute allein die dichterische Sprache bereithält. In der dichterischen Sprache, die sich dem instrumentellen und rechnenden Verstand entzieht, verbirgt sich eine Hoffnung auf Befreiung. Der Mensch seit der Neuzeit ist in das technische Wesen eingeformt und damit gezwungen, seine eigentliche Sprache preiszugeben. In dieser Situation ermöglicht ihm allein die Kunst ein Heimkehren ins Heimische. Wie für Hegel ist auch für Heidegger die Dichtung die höchste Form der Kunst. Sie kann dem Menschen das Volle seines Wesens zurückgeben, das ihm durch die Technik genommen wurde. Im „Technikaufsatz" zitiert Heidegger Hölderlin, der prognostiziert: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch." Die Gefahr der Technik involviert zugleich die Möglichkeit einer Rettung. Rettung meint hier, einholen ins Wesen. In seinem Aufsatz „Bauen Wohnen Denken" zeigt Heidegger, daß das Wesen des Menschen in jene ontologische Konstellation eingeholt werden kann, die er als Wohnen im Geviert bezeichnet. Als Beispiel eines solchen Wohnens im Geviert wählt Heidegger den Schwarzwaldhof.

Schwarzwaldhof

Schwarzwald

8Auf sonderbare Weise erscheinen das Schwarzwaldhaus und der Schwarzwald für Heidegger eine Exterritorialität im Zeitalter des Gestells zu sein. Der Schwarzwaldhof ist nicht das Produkt einer fortschrittlichen Bautechnik, denn Heidegger zufolge baute den Schwarzwaldhof bäuerliches Wohnen. Mit anderen, Heideggerschen Worten: Der Schwarzwaldhof ist aus dem Vermögen, Himmel und Erde, die Göttlichen und die Sterblichen einfältig in die Dinge einzulassen, errichtet worden. Auf diese Weise bekam er seine charakteristische Ausprägung, wie Heidegger detailliert erklärt. Er wurde nämlich an einer windgeschützten Berglehne nahe einer Quelle errichtet. Er bekam ein weit ausladendes Schindeldach, das in geeigneter Schräge die Schneelasten trägt. Nicht zu vergessen ist Heidegger zufolge der Herrgottswinkel hinter dem gemeinsamen Tisch, desweiteren die geheiligten Plätze für Kindbett und Totenbaum. Wer so baut, vermag bereits das Wohnen. Alle anderen sind heimatlos. Ein das Geviert repräsentierendes Gebäude ist für Heidegger nicht das Hochhaus in der Großstadt, sondern der Bauernhof im Schwarzwald. Die Gebäude, die Heidegger meint, gibt es in der Großstadt nicht. Es gibt sie ausschließlich in der Provinz. Wir müssen also, wie Heidegger ausdrücklich betont, in der Provinz bleiben. Die Entscheidung für die provinzielle Lebensweise bedeutet zugleich die Ablehnung der Großstadt, der Masse und der Technik. Diese reaktionäre Auffassung Heideggers läßt sich mit dem Selbstverständnis der Moderne, die sich den Rückgriff auf die Tradition versagt und ihre Maßstäbe aus sich selber schöpft, nicht vereinbaren. Heidegger und Le Corbusier beispielsweise stehen an entgegengesetzten Ufern, die durch keine Brücke verbunden sind, die aber, so meine ich, von einer kommenden Brücke verbunden werden könnten. Zu diesem Zweck möchte ich im Folgenden dem Schwarzwaldhof die Villa Savoye gegenüberstellen und beide miteinander vergleichen.

Le Corbusier, Villa Savoye

9Die Villa Savoye, ein weißer Rechtkant auf Stelzen, eröffnet dastehend eine Welt; aber sie stellt diese nicht, wie Heidegger es sowohl vom griechischen Tempel als auch vom Schwarzwaldhof sagen würde, auf die Erde zurück. Und darin ist sie ganz und gar modern. Während die sich Licht, Luft und Sonnenschein öffnende Villa Savoye durch einen Verlust der Erde kennzeichnet, charakterisiert sich der Schwarzwaldhof, der sich mitten in der Provinz verschließt, durch einen Verlust von moderner Welt. Im Folgenden möchte ich an diesen beiden Bauwerken zeigen, daß das, was sich in einer phänomenologischen Betrachtung als das „Sich-Selbst-Bekunden der Phänomene" vollzieht, als „aletheia" gedacht werden kann. Während der traditionelle bäuerliche Mensch sein Wohnen in der Welt auf der Erde und in sie gründet, konzipiert der moderne urbane Mensch sein Wohnen in der Welt über der Erde. Das moderne Bauwerk rückt die Erde nicht mehr in das Offene einer Welt und läßt daher die Erde auch nicht mehr eine Erde sein. Andererseits kann das traditionelle Bauwerk heute nicht mehr eine Welt aufstellen. Die historische Konstellation hat sich Anfang des 20. Jahrhunderts grundlegend verändert. Deswegen konnte die Moderne das Bauen auch nicht mehr vom Wohnen her verstehen; sie mußte eine andere Richtung einschlagen und das Wohnen von einem grundsätzlich neu verstandenen Bauen her denken. Architektur wurde ihr damit, wie beispielsweise bei Le Corbusier und Gropius, zum vorausgreifenden Gesellschaftsentwurf, der sich auf keine Tradition zurückbirgt. In diesem Aufgehen ist die traditionelle Erde nicht mehr als das Bergende da. Das Bergende dieses Aufgehens ist vielmehr ein Licht, das von der Zukunft her auf diese Welt zu leuchten scheint. Eine solche Zukunft ist für Le Corbusier nur als Moderne denkbar und nur durch Technik herstellbar. Im Folgenden möchte ich nun zeigen, daß eine bestimmte Lektüre der Texte Heideggers die Möglichkeit eröffnen könnte, zwischen Le Corbusier und Heidegger eine Brücke zu schlagen. Wenn man vom Aufsatz „Bauen Wohnen Denken" korrigierend auf den „Kunstwerkaufsatz" zurückblickt, dann ist Heideggers Kritik der Moderne nicht mehr brauchbar für das, was ich im Folgenden als Kontrast-Bezug vorzuschlagen gedenke. Nicht mehr ganz so unbrauchbar ist sie, wenn man den Blick umkehrt, also wenn man mit dem Aufsatz „Bauen Wohnen Denken" nicht mehr, wie Dieter Jähnig es anstrebte, den „Kunstwerkaufsatz" korrigieren will, d. h. nicht mehr den Weltbegriff aufwertet und den Begriff der Erde abwertet. (Hier trennt sich mein Denkweg endgültig von den Auffassungen von Jähnig und Rahn.) Im Aufsatz „Bauen Wohnen Denken" ist der Weltbegriff identisch mit dem Geschehen der „aletheia", der Begriff der Erde allerdings reduziert auf ein Viertel der Wahrheit. Im „Kunstwerkaufsatz" dagegen macht die Erde noch die Hälfte des Wahrheitsgeschehens aus: hier nämlich ist sie das Bergende eines Aufgehens, das dem Aufgehenden eines Bergens, d. h. der Welt, gegenübertritt. Diese Konzeption Heideggers erscheint mir überzeugender zu sein, insbesondere auch aus einem anderen Grunde. Denn in seinem Geviert hat Heidegger nicht nur die Geltung der Erde eingeschränkt, sondern außerdem das Wasser, auf dessen Bedeutung immerhin schon Thales von Milet hingewiesen hatte, völlig vergessen. Die Heideggerschen Texte so gelesen, könnten eine etwas günstigere Stimmung hinsichtlich meines Vorschlags zulassen. Worauf ich hinaus will, ist Folgendes: Ich bin der Meinung, daß wir heute weder den Schwarzwaldhof noch die Villa Savoye bauen können. Es wäre aber durchaus möglich, diese beiden Gebäude als die beiden sowohl gegenwendigen als auch zusammengehörenden Pole eines grundsätzlich neu verstandenen Baugeschehens zu denken. Es könnte das Baugeschehen einer zweiten Moderne sein, das heißt einer durch den Kontrast-Bezug zu Heideggers Architekturtheorie von ihrer Erdentbundenheit, d. h. von ihrer Leichtigkeit und Abgehobenheit geläuterten Moderne. Eine solche Moderne wäre eine, in der nicht mehr über der Erde, sondern auf der Erde gebaut würde. Bauwerke, die die Erde schonen, könnten in Zukunft auch auf oder unter dem Wasser errichtet werden.

Literatur:

Dieter Jähnig, „Der Ursprung des Kunstwerkes" und die Kunst der Moderne, in: Biemel/v. Hermann (Hg.), Kunst und Technik, Frankfurt 1989.

Franco Volpi, Der Bezug zu Platon und Aristoteles in Heideggers Fundamentalverständnis der Technik, in: Biemel/v. Hermann, a.a.O.

Dieter Rahn, Die Plastik und die Dinge, Freiburg 1993.

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