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Vom Ende der Landschaft als Seh- und Gestaltungsmuster war
schon manches zu hören und zu lesen. Ist der Blick erschöpft, die Tradition der
landschaftlichen Gartengestaltung passé? Gibt es keine Landschaften mehr zu entdecken,
weil wir schon alle gesehen haben, weil wir sie zu stark verändern, zerstören? Ist
Landschaft eine Idee des 18. Jahrhunderts, eine Massenbewegung des 19. Jahrhunderts, die
heute nicht mehr aktuell ist? Wer einen Blick in die Zukunft zu werfen gedenkt, der ist
gut beraten, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Leinwand, Italien und Garten
Landschaft ist eine Sichtweise von Natur.
Sie ist kein materielles Ding, sondern existiert nur im Blick ihres Betrachters. Um
Landschaft in der empirischen Natur zu erkennen, muß die schöne Natur wie ein Gemälde
gesehen werden oder - um eine Formulierung Kants abzuwandeln: Die Landschaft kann nur
schön genannt werden, wenn wir uns bewußt sind, sie sei Natur und sie uns doch als Kunst
aussieht (Kant A 178/ B 180). Die Ideale Landschaftsmalerei prägte semantisch und
syntaktisch die Bildidee, der Blick eignete sie sich an. Die Phantasie der Rezipienten
hatte sich mit den landschaftlichen Vorstellungen aus Literatur und Malerei vertraut
gemacht, als erstmals wirkliche Gegenden als Landschaft aufgefaßt wurden.
Auf zwei unterschiedliche Weisen geschah der Schritt von
Landschaft im Kopf zu der in der äußeren Natur. Im Fall der klassischen Landschaft
Italiens wird eine Gegend als von sich aus" den Gemälden ähnelnd empfunden,
was freilich insofern wenig verwundert, als sie mehr oder weniger direkte Vorbilder der
Gemälde waren, die diese zu Ideallandschaften eines Goldenen Zeitalters umgearbeitet
hatten. Diese verklärten Italienlandschaften fanden die Reisenden in den realen Gegenden
wieder, wobei Wetter, Jahres- und Tageszeit oder Hilfsmittel wie das Claude-Glas den
Eindruck unterstützen konnten. Im Landschaftsgarten wurden diese Bilder, die durch
Gemälde, Drucke und Nachahmungen, aber auch durch Italienreisen zum geistigen Besitz der
Gebildeten gehörten, in der Realität dreidimensional nachgebaut. Der semantische Gehalt
erweitert sich dabei um politische, historische und nationale Bedeutungskreise
nichtitalienischer, vor allem englischer Herkunft. Dabei fand eine Anpassung der
Landschaftsidee an die englischen Naturgegebenheiten und in begrenztem Umfang an die
jeweilige Reallandschaft, in der der Garten angelegt wurde, statt.
Die erste gefundene" Landschaft war Italien, das
aufgrund seiner Identifizierung mit der Klassik eine Ausnahmestellung einnahm. Seine
Erfahrung legte den Grundstein zur ästhetischen Entdeckung anderer Gegenden. Auch der
Landschaftsgarten bildet einen Sonderfall, da er als gebaute Landschaft eine bewußt zum
Kunstwerk geformte Naturenklave bleibt. Weil er jedoch an beinahe jedem Ort herstellbar
ist und programmatisch über seine Grenzen hinausgreift, trägt er zu der
Verallgemeinerung bei, daß Landschaft prinzipiell überall gefunden werden kann. In jedem
Fall führen Italien und der Landschaftsgarten den Betrachter hinaus in den
dreidimensionalen Naturraum und machen ihn über die Ideallandschaft mit der nicht oder
wenig kultivierten lebendigen Natur vertraut, die er in der Einheit von Selbstbewegung und
ästhetischer Betrachtung erlebt. Für die Erschließung anderer Reallandschaften
übernehmen beide eine ästhetische Orientierungsfunktion neben den Gemälden.
Die Ideale Landschaftsmalerei bleibt als viel zitiertes
Vorbild an der Erschließung weiterer Reallandschaften beteiligt, doch sie verliert,
nachdem die Landschaft aus den Gemälden in die Empirie getreten ist, ihre
Innovationskraft für die Sehgewohnheiten. Die Ideallandschaft verfestigte sich zum
Muster, das zwar bis heute wirksam ist, jedoch außer einigen thematischen Erweiterungen
kaum mehr Veränderungen in sich aufnahm. Andererseits wird sie von den Vertretern des
Pittoresken zum malerischen Blick verallgemeinert, der vom Bildcharakter auf die Werte von
Licht und Schatten, Flächen und Linien abstrahiert. Eine Beteiligung an der
Sichtbarmachung einzelner Landschaften kommt der zeitgenössischen Malerei insofern zu,
als die Maler oft die ersten waren, die die Schönheit einer Gegend bemerkten und bekannt
machten. Dabei kam es aber nicht auf neue Darstellungsweisen, sondern auf ein Porträt des
wirklichen Orts an. Dessen Wiedergabe im Licht einer idealisierenden Landschaftsauffassung
leistete oft eine Brückenfunktion von den auf die gemalten Vorbilder fixierten
Sehgewohnheiten zu dem realen Naturausschnitt.
Andere Landschaften verdanken ihre Entdeckung der
Literatur, die deren Besonderheiten in ihren Texten herauskristallisierte und durch ihre
Veröffentlichung für die Bekanntheit der Orte sorgte. Der bildhafte Blick
verselbständigte sich aber auch, so daß wandernde Landschaftsbetrachter in immer neuen
Gebieten das wiederfanden, was sie von den sich vervielfachenden Vorbildern kannten.
Leitend für die zweite Generation" von Freilandschaften sind nun über die
gemalten Ideallandschaften hinaus die zuerst entdeckten realen Landschaften, also Italien
und der Landschaftsgarten, doch können auch die später eroberten Gegenden selbst
wiederum zu Leitbildern der weiteren landschaftlichen Erschließung werden.
Hochgebirg, Harz und Heide
Sehen wir uns einmal unter den klassisch schönen
Landschaften um:
Lake District
Am Anfang der Reihe ästhetisierter Gegenden steht der Lake
District im Nordwesten Englands, dessen Entdeckung zum einen durch einen Brief Dr. John
Browns von 1753, zum anderen durch ein Gedicht Dr. Daltons von 1758 dokumentiert ist.
Während das Gedicht nach seiner ersten Veröffentlichung mit wenig Beachtung aufgenommen
wurde, fand der Brief Browns bereits vor seinem späten Druck 1767 ein großes Echo. Er
enthält the earliest critical and comparative examination of romantic scenery"
(Hussey 1927, 99). Hussey nennt 1768, das Jahr, in dem Daltons Gedicht und Browns Brief
noch einmal zusammen erschienen, a landmark in the history of the picturesque"
(Hussey 1927, 100), denn ihre Romantisierung des unkultivierten Naturraums veranlaßte
Arthur Young im gleichen und Thomas Gray im folgenden Jahr, in den wilden Norden Englands
zu reisen, wohin ihnen bald unzählige Besucher folgten. Young veröffentlichte mehrere
Beschreibungen dieser Gegend, in denen sich Berichte von der Landschaft mit solchen über
Landwirtschaft, Landsitze und Gärten mischen. Daß er die Gegend, zu deren Betrachtung er
sich auch des Claude-Glases bediente, als eine Reihe von Bildern sieht, stellt ihn in die
Tradition englischer Landschaftspoesie von Thomson und Dyer. Doch er wendet den bildhaften
Blick auf eine wirkliche Landschaft an, die er durch Vergleiche mit den italienischen
Gemälden und unter Benutzung der Amphitheater-Metapher in Worte zu fassen sucht.
Here is, at least, the paradise of the mediaeval and sixteenth-century
scenic descriptions, viewed distincly as an ideal arcadian, landscape, through the
imaginary frame of a picture." (Hussey 1927, 103) Youngs Bücher über den Lake
District gehörten schnell zur englischen Standardliteratur jener Zeit und verschafften
der Gegend sowohl eine große Bekanntheit als auch viele Besucher. Nach dem Lake District
dehnte sich die Begeisterung für die rauhe Wildnis auf Schottland und Wales aus.
Schweizer Alpen
Bereits Albrecht von Haller hob mit seinem Gedicht von 1729
die Schweizer Alpen ins Bewußtsein des lesenden Publikums, das bis dahin auf den locus
amoenus fixiert gewesen war. Auch Haller greift diese Tradition auf und veredelt die
Bergwelt zu einem Arkadien" der Almbauern. Er ästhetisiert zwar auch die
erschreckenden rauhen Berge, doch gilt sein Interesse der Landschaft eher beiläufig, denn
in erster Linie geht es ihm um Zivilisationskritik und eine Darstellung der Nützlichkeit
auch des Unschönen. Die Alpen selbst bleiben hier die Kulisse, die er anschaulich, aber
noch ohne Empfindungen schildert.
1761 wurde durch Jean Jacques Rousseaus Roman Julie
oder die neue Héloise" zum Schlüsseljahr des empfindsamen Genußes der vom Menschen
unberührten Alpennatur. Die seelische Beziehung zur großen, wilden und kontrastreichen
Gegend ist hier durch die Einsamkeit ihres Besuchers und seine ästhetische Freude am
Schrecken des erhabenen Natur gekennzeichnet, in der er seine Empfindungen gespiegelt
findet. Rousseaus Schilderung der Gegend um den Genfer See gab den Anstoß zu einer wahren
Alpenbegeisterung, auf deren Spuren viele Besucher in die Schweiz reisten. Zwei Bilder des
Malers Caspar Wolf dokumentieren 1773 und 1778 die neue Wahrnehmung der Berge (Großklaus
1983, 179).
Unter der Bezeichnung Alpen versteht man aber zunächst
noch nicht Schneegipfel und Gletscher, sondern die untere noch mit Pflanzengrün
bekleidete, vom tätigen Menschen belebte Gegend" (Gehmlich 1936, 259). Das
eigentliche Eisgebirge oberhalb der Schneegrenze wird erst in den 90ger Jahren des 18.
Jahrhunderts ästhetisch erschlossen und gilt bis dahin als reizlos oder sogar abstoßend.
Vorher lösen die Alpen die Vorstellung eines zivilisationsfernen sittlich guten Lebens in
ländlicher Natur aus. Aufgrund der differierenden Schweizbilder wurden sowohl Gegenden,
die der lieblichen Natur der Anfangszeit entsprechen, als auch solche, die alpinen
Charakter haben, unter dem Vorbild der Schweiz entdeckt und nach ihr benannt.
Die charakteristischen Elemente des Erlebnisses der
Alpenlandschaft sind, wie Raymond anhand von Reisebeschreibungen herausgearbeitet hat, der
nackte, rauhe Fels, Anzeichen aller Jahreszeiten auf kurzer Wegstrecke und besondere
atmosphärische Erscheinungen wie das Alpenglühen (1993, 133-140). Abwechslung,
Mannigfaltigkeit und Kontrast werden von den Reisenden positiv hervorgehoben und die
Bergwelt mit einer Reihe von sich zu Standards verfestigenden Worten in Sprache gefaßt:
die Meermetapher, geometrisch-räumliche Figuren und architektonische Formen und Bauwerke,
Personifizierung und Anthropomorphisierung, aber auch die eigene Sprachlosigkeit und die
Empfindung eines Wechselbads der Gefühle (Raymond 1993, 142-162; 139). Raymond zeigt, wie
sich innerhalb der Alpen einzelne Motive herausbildeten, die für die weitere
Erschließung des Gebiets eine interne Vorbildfunktion hatten. So wurden die Jungfrau und
der Mont Blanc ausschlaggebend für die Literarisierung anderer Berge, Grindelwald,
Montanvert- und Rhonegletscher zu den Gletschern, der Rhein- und der Staubbachfall zu den
wichtigsten Wasserfällen (1993, 166-175), die Via mala und die Schöllenen die
bevorzugten Felsenschluchten (1993, 175-181). Der an den Leitbildern gewonnene
Eindruck wurde zum Erlebnismodell für die Begegnung mit Gegenden des durch sie
repräsentierten Landschaftsmusters, die an ihnen entwickelte Beschreibung zum
Vorstellungsschema und zur Sehanleitung der Leser." (Raymond 1993, 181)
Sächsische, Fränkische, Holsteinische und andere
Schweizen
Die Benennung anderer Gebiete als Schweizen, Siedentop
zählte 116 Schweizen" (1973, 1977, 1983), bezieht sich in Mitteleuropa
weniger auf Hochgebirgslandschaften als auf Niederungen, Hügel- und
Mittelgebirgslandschaften" (Siedentop 1984, 127). Man hat es bei diesen Gebieten
einerseits mit lieblichen, oft von zahllosen Seen durchsetzten Gegenden
(Mecklenburgische Schweiz) andererseits mit romantisch-eindrucksvollen Felspartien
(Neuffener Schweiz) oder auch vielbesuchten Bergregionen (Schönbecker Schweiz) zu tun,
die jedoch nicht im entferntesten an Gebirgspanoramen der Schweiz erinnern"
(Siedentop 1984, 127). Dieses Bild der im zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts ästhetisch
erschlossene Schweiz wurde am Ende des Jahrhunderts zum Vorbild der Entdeckung einiger
Landschaften in Deutschland, also zu einer Zeit, als die Eislandschaft der Alpen bereits
in den Kanon des Erhabenen Aufnahme gefunden hatte.
Als Entdecker der Sächsischen Schweiz gilt Götzinger, der
in seinen Schriften 1786 und 1804 das Elbsandsteingebirge so bezeichnet. Die Benennung
geht auf den Kreis um den Prospektmaler und Kupferstecher Adrian Zingg in Dresden zurück,
zu dem auch einige Schweizer gehörten, so auch Conrad Gessner, der Sohn des
Idyllendichters und -zeichners Salomon Gessner. Zingg und seine Schüler unternahmen
Ausflüge in die Umgebung, zuerst nach Hohnstein, dann nach Liebethal, wo sie die Gegend
zeichneten. Neben den Erlebnissen der Schweiz steht auch diesen Malern die Ideale
Landschaftsmalerei beim Anblick des Elbsandsteingebirges stets vor Augen. In den Briefen
Gessners an seinen Vater erwähnt er 1785 Felsen, wie sie Berghem malte,
Wasserfälle, schöne große Bäume und ganz Everdingsche Gründe", Ruysdaels
schöne Landschaften" und Ruysdaels Colorit" (zit. nach Gehmlich 1936,
257/8). Sobald der Morgen graute, hoben wir uns von unserer Streue und stiegen ins
Tal hinab, da<s> ein kleiner Fluß durchschlängelt, der, über große Steine
plätschernd, kleine Wasserfälle bildet. Ganz tief im Tale, von hohen Felsen, großen
Fichten und breiten Buchen eingeschlossen, sprudelt er über eine pittoreske Felsmasse
herunter; hier an diesem dichterischen Flecke, der das angenehmste Bild von der Welt
ausmacht, war unsere Werkstätte; die Sonne durchbrach malerisch schön hie und da dies
Dunkelgrün, und das Colorit war prächtig, da es schon voller Herbst ist. Alles erscheint
bunt und doch voller Harmonie <...>" (Gessner zit. nach Gehmlich 1936, 258).
Das Charakteristische der Sächsischen Schweiz bilden die
amorph geformten Sandsteinformationen, die auch C. D. Friedrich oft dargestellt hat.
Der ästhetische Eindruck, den Götzinger vom Gebirge empfängt, wird bestimmt durch
die grotesken Felsengebilde, die einsame stille Täler und Gründe belebt, und vor allem
durch die Fernsicht, die vor dem Auge des Beschauers weite, am Horizont von blauen Berge
begrenzte Kulturlandschaften ausbreitet." (Gehmlich 1936, 261/2)
Auch die Fränkische Schweiz zeichnet sich durch
eigenartige Felsformationen, die, hier in Kalkstein, nicht im heutigen Sinn Alpines an
sich haben. Vor der Landschaft machten bereits ihre Höhlen den Landstrich attraktiv, die
seit 1774 in einer regelrechten Höhlenforschung erkundet wurden. 1793 begann die
Entdeckung der schönen Gegend mit der Wanderung Wilhelm Heinrich Wackenroders und Ludwig
Tiecks von Nürnberg aus und erlebte Anfang des 19. Jahrhunderts ihren ersten
literarischen Höhepunkt. 1912 benutzte Johann Christian Fick zuerst die Bezeichnung in
Anlehnung an die Schweiz, die sich in den 30ger Jahren durchsetzte (Schemmel 1988, 3/4)
.Regelrechte Ansichtenwerke der Fränkischen Schweiz erschienen in raschen Folge seit
(Schemmel 1988, 10-12). Wichtige Bestandteile der Landschaft" waren für die
Romantiker die Burgen und Burgruinen, denen sich eigene Darstellungsreihen widmen. Eine
erste, eher naturkundliche Gesamtdarstellung, die auf Höhlen und Felsen, auf Tiere und
Pflanzen eingeht und Auszüge aus der örtlichen Geschichte umfaßt, gibt 1810 Georg
August Goldfuß heraus. 1829 folgt ein Reisehandbuch von Joseph Heller, das zum Vorläufer
der späteren Führer wurde, die sich auf die Bedürfnisse des Fremdenverkehrs
konzentrieren (Schemmel 1988, 10).
Mit noch sanfteren Erhebungen begnügt sich die
Holsteinische Schweiz, deren Entdeckung einige Bilder Ludwig Philipp Stracks
dokumentieren: Der Ukleisee" von 1799, Ukleisee bei Sielbeck"
1809/10 und eine Folge von Ansichten des Herzogtums Oldenburg von 1827. Der Maler stand im
Dienst des Herzogs Peter Friedrich Ludwig von Oldenburg, hatte aber in Georg Friedrich
Baur auch einen wichtigen bürgerlichen Auftraggeber (Kaufmann 1987). Beide legten
Landschaftsgärten an und ließen sie von Strack malen. Dieser blieb nach einem
mehrjährigen Italienaufenthalt dem dort geprägten Stil klassizistischer
Ideallandschaften treu. Mit der Wiedergabe holsteinischer Gegenden ging er aber darüber
hinaus und hatte an der ästhetischen Würdigung Ostholsteins teil, das weder
künstlerisch gestaltet noch klassisch ist. Wenn Stracks Darstellungsweise hier auch nicht
der italienischen Manier folgt, so idealisiert er die Gegend doch durch die bekannten
Rahmungs- und Lichteffekte.
Eine ähnliche Sichtweise des Gebietes um den Ukleisee
findet sich auch bei dem Idyllendichter Johann Heinrich Voß, der wie Friedrich Leopold
Graf von Stolberg mit Strack gut bekannt war. Er entwarf seine literarischen Schauplätze
nicht mehr allein nach dem Arkadien-Motiv, sondern entnahm sie tatsächlichen
Naturbeobachtungen. Beide stellen zwar idealisierte, idyllische Szenen dar, die
Schauplätze sind aber landschaftlich zu orten." (Kaufmann 1987, 23)
Entscheidend für die Erschließung des schönen
Landstrichs um Eutin, Plön und Malente war das Arkadienbild des Landschaftsgartens:
Hügel von mäßiger Höhe, die wellenförmig das Land durchziehen, dazwischen Seen,
Teiche, kleinere Flußläufe und Bäche." (Kaufmann 1987, 12) Dieses Aussehen hatte
1790 den Lübecker Maler Heinrich August Grosch zu dem frühesten Vergleich mit der
Schweiz veranlaßt (Kaufmann 1987, 53). Die Reisebeschreibungen heben immer wieder das
Heitere, Idyllische, Üppige, Liebliche, Mannigfaltige usw. hervor, wobei der Ukleisee
düstere und melancholische Nuancen hinzufügt. Das Bild der Freilandschaft rührt aber
nicht nur von ihrer natürlichen Gestalt, sondern auch von der Agrarreform des 18.
Jahrhunderts her, die einerseits zur Vergrößerung der bewirtschafteten Einzelfläche,
andererseits zur Anlage der Knicks geführt hatte.
Rheintal
Den Rhein, den seit langem viele Reisende auf dem Weg nach
Italien hinuntergefahren waren, ohne an mehr als an seinen fruchtbaren Ebenen Gefallen zu
finden, haben die Engländer als Landschaft" entdeckt. Am Ende des 18. und zu
Beginn des 19. Jahrhunderts waren es Literaten, die sich von der erhaben wilden
Bergkulisse um den Fluß beeindrucken ließen. Die Engländer sahen den Rhein aber auch
als einen erweiterten Landschaftsgarten, der ihnen die von dort bekannten Abwechslungen
von Hügeln, Ebenen, Kornfeldern und Wäldern um den gewundenen Fluß und selbst Ruinen
bot (Dischner 1972, 89; Peters 1992, 241). Ihre Faszination von den Ruinen ging auf das im
Zusammenhang mit dem englischen Garten entstandene Gothic Revival und die im 18.
Jahrhundert verbreitete Ruinenpoesie zurück.
Als Wegbereiter einer Welle der Rheinbegeisterung gilt
William Beckford, der seine Rheinerfahrungen von 1782 ein Jahr später als Roman
veröffentlichte. Er war der erste, der in mehr als einem Gedicht oder in einigen
Sätzen die Rheinlandschaft romantisiert" (Dischner 1972, 126). Ihm gefielen die
Vielfalt und die Farben der Landschaft, die Verbindung von Felsen und Burgen, die seine
Phantasie zum Weiterspinnen der beobachteten Szenen ins Märchenhafte veranlassen. Obwohl
hier keine wirklichen Beschreibungen aufgenommen sind, trug Beckford doch erheblich zur
Popularisierung der Rheinromantik bei (Haberland 1992, 47).
Auch andere Vertreter der Schauerromantik fühlten sich vom
Rhein und seinen Ruinen inspiriert. Ann Radcliff besuchte 1794 den Rhein, den sie
verhältnismäßig realistisch in ihrem veröffentlichten Reisebericht beschrieb, während
Mary Shelley ihre beiden ersten Reisen im Roman Frankenstein" verarbeitete.
1816 schuf Lord Byron in seinem Gedicht Childe Harolds Pilgrimage" eine
Schilderung des Drachenfels, auf deren Spuren viele Engländer nach der Aufhebung
der Kontinentalsperre an den Rhein reisten. Der literarischen Entdeckung folgte eine
verstärkte künstlerische Verarbeitung des Rheins in England erst in den 20ger und 30ger
Jahren des 19. Jahrhunderts (Haberland 1992, 51).
Die deutsche Rheinromantik entstand erst zu Beginn des 19.
Jahrhunderts und knüpfte kaum an die englische an (Dischner 1972, 201-246). Mit Goethes
Rheinreise 1774 deutete sie sich erst an, Heinses Briefe über sein Erlebnis der Gegend
1780 blieben ein vereinzeltes frühes Dokument. Der Reisebericht Aurelio de Giorgi
Bertòlas von 1787 weist schon deutlich auf die Romantik. Als das Entstehungsdatum der
deutschen Rheinromantik kann aber erst das Jahr 1802 gelten, in dem Clemens Brentano und
Achim von Arnim am Rhein wanderten und Friedrich Schlegel über ihn schrieb. Sie standen
begrenzten und äußerlichen Naturbetrachtungsweisen, wie sie ihnen im malerischen Blick
und im Landschaftsgarten gegeben erscheinen, skeptisch gegenüber und zogen die Freiheit
der wilden Natur und vor allem der Berge vor. Für mich sind nur die Gegenden
schön, welche man rauh und wild nennt, nur diese sind erhaben, nur erhabene Gegenden
können schön sein, nur diese erregen den Gedanken der Natur." (Schlegel zit. nach
Haberland 1992, 137)
Wiener Gegenden
In engem Zusammenhang mit dem Landschaftsgarten steht
hingegen die Entdeckung der Gegenden um Wiener, die ihren Ausgang von den um die Stadt
herum angelegten Landsitzen mit ihren Parks nahm. Erst die Versuche, die Landschaft
künstlich neu zu produzieren, brachten das wirklich neue Verständnis für die
Landschaftsräume mit sich." (Hajós 1989, 130) Zwischen 1770 und 1800 wurde der
Kunstwelt eine große Anzahl von Landschaftsgärten zum Vorbereitungsraum für die
Erkundung der Wiener Naturumgebung, indem die Gartengestaltung die Vorgaben der Gegend
aufnahm und sie im Park zum symbolischen Ort verdichtete. Die Wiener Gegend wird der
genius loci für diese Landschaftsgärten, in denen sie schrittweise begreifbar,
ästhetisch anerkannt wurde." (Hajós 1989, 15) Die Gärten greifen zum anderen durch
Ausblicke und verschönernde Eingriffe in ihre Umgebung aus. Außerhalb des
Kernbereichs <der Gärten> wurden <...> nur einige Wege, manche Sichtachsen
für die Aussicht und einige Punkte markiert, die in die vorhandene Struktur dieser
Landschaft nicht verändernd eingriffen, sondern ihre Eigenart (genius loci) ausdrücken
wollten." (Hajós 1989, 122)
Der Prozeß der ästhetischen Anerkennung der ungestalteten
Natur des Wiener Umlands beginnt in den 60ger Jahren des 18. Jahrhunderts, in denen sich
der Maler J. C. Brand der örtlichen Landschaft annimmt. Der Pater Mathias Fuhrmann
würdigt 1766 mit der Historischen Beschreibung
von Wien" die Landschaft
rein ästhetisch und ruft dazu auf, der Leser solle selbst die Aussichtsberge ersteigen
und sich ein eigenes Bild machen (Hajós 1989, 22). 1790-1810 erobert sich die
topographische Literatur den ästhetisch konstituierten Begriff der Wiener Gegend und
trägt zu seiner Verankerung im öffentlichen Bewußtsein, zu seiner Erwanderung und
Erfahrung bei.
Harz
Über den Harz erscheint bereits 1703 ein erster
Reiseführer, der sich noch nicht der Landschaft, sondern den Höhlen, Klippen und Felsen
als kuriosen Einzelobjekten widmet. V. Rohrs Führer von 1739 nimmt schon landschaftliche
Momente wahr, findet aber erst mit der Romantik eine breitere Nachfolge. Für den
Touristen wird etwa zwischen 1750 und 1840 die gebändigte und dem Bergbau nutzbar
gemachte Natur zur Hauptsehenswürdigkeit." (Bodenstein 1972, 24) Das Interesse
richtete sich dabei auf den Oberharz, eine schwachbewegte Hochfläche mit breiten Kuppen
und tief eingeschnittenen Tälern.
Die Romantik, die um die Wende zum 19.
Jahrhundert die Harzlandschaft erschloß, bevorzugte hingegen den niedrigeren Unterharz
mit seiner sanft modellierten Landschaft, die wegen ihrer Vielfältigkeit und ihrer Ruinen
gerühmt wurde. Die ästhetische und historisch orientierte Sichtweise der Romantik prägt
das ganze Jahrhundert, das zunehmend nationale Anknüpfungspunkte für den Besuch des
Harzes sieht.
Der Oberharz gewinnt erst mit dem Aufkommen des
Wintersports an neuerlicher Bedeutung; 1914 erscheint der erste Oberharzer
Winterreiseführer (Bodenstein 1972, 27). Die landschaftliche Entdeckung des
Oberharz fällt der Jugendbewegung zu, die sich von den touristisch überlaufenden
Gebieten ab- und dem herben Ernst der Hochfläche zuwendete.
Heide
Besonders spät entdeckte das ästhetische Interesse das
norddeutsche Flachland, die Marsch- und Geest-, die Heide- und Moorlandschaften, die lange
gegenüber den Mittelgebirgen und selbst gegenüber dem sanfter bewegten Ostholstein als
reizlos galten wie der Oberharz im Vergleich zum idyllischeren Unterharz: Ebenen,
weite Flächen ohne wesentliche Unterbrechung, Gleichförmigkeit der gesamten Oberfläche,
alles beherrscht von der ruhigen Linie eines weiten Horizonts" (Trüper 1928, 6).
1790 vermerkt Georg Forster erstmalig ästhetische Charakteristika, Licht- und
Farbeindrücke und die Ferne, mit Gefallen, das sich jedoch allein auf das
landwirtschaftlich kultivierte Flachland bezieht. In den 30ger Jahren des 19. Jahrhunderts
tauchen Ansätze auf, Westfalen, das seit dem 17. Jahrhundert Gegenstand besonderer
Abneigung gewesen war, zu würdigen. Der Versuch, die noch leicht bewegten Gegenden nach
dem Muster der Mittelgebirge zu betrachten, stand noch in der romantischen Tradition, die
keinen Blick für die Ebene entwickelt hatte.
Immermann gelang es dann, die Anspruchslosigkeit als das
Landschaftstypische herauszuarbeiten, einfache Baumgruppen, kleine umwachsene
Weideplätze, Gesträuch, Gräben und Weiher", und die Atmosphäre des Schweren und
Herben einzufangen (Trüper 1928, 66/67). Zur eigentlichen Dichterin dieser Landschaft
wurde Annette von Droste-Hülshoff, weil sie keinen Wert auf das Schöne legt, sondern
sich ganz dem Charakteristischen verschreibt, das ihre realistische Poesie wiederzugeben
sucht. Freilich begnügte sie sich nicht mit bloßer Beschreibung realer
Landschaftsausschnitte, vielmehr lag ihr daran, über das Zufällige zum Typischen zu
gelangen und das Wirkliche ins Geistige zu erheben (Trüper 1928, 76/77). Doch sie suchte
statt im Jenseits religiöser oder mythischer, arkadischer oder erhabener Vorstellungen im
Sichtbaren nach der Poesie der Gegend. Die Entdeckung dieser Landschaft
war also vor allem die Entdeckung ihrer typischen Stimmung <...> das nordische
Element der norddeutschen Landschaft, all das unromantisch Schwere, breit Gelagerte,
Herbe, Dunkle in ihr trat jetzt notwendigerweise für den Blick des Künstlers ganz in den
Vordergrund" (Trüper 1928, 109). Das Einsamkeitserlebnis steht in der Ebene in
anderen Zusammenhängen als in den Bergen, es ist von Lautlosigkeit geprägt, dem ganzen
Raum ausgeliefert, der weniger etwas Körperhaftes hat, als von der Linie repräsentiert
wird.
Die Hamburger Malerschule griff das Thema des Flachlands
auf und begab sich in der Umgebung Hamburgs auf die Suche nach dem anspruchslosen
Landschaftsmotiv, das einige von ihnen später in Süddeutschland (Dachauer Moos)
wiederfanden (Trüper 1928, 140-142). So wurde nach dem lieblichen Naturort und der
aufregenden Berggegend auch die Ebene ästhetisch erschlossen, die sich dem Idyllischen
und Heroischen des Arkadischen entgegensetzt. Das Ländliche ist hier zwar nicht mehr
ideal gesehen, aber es kann stimmungsvoll betrachtet werden, wobei diese Stimmung freilich
weder rokkokohaft noch romantisch ist.
Landschaft am Ende?
Die Idee der Landschaft hat die Kraft zur zunehmenden
ästhetischen Erschließung des Raums bewiesen, indem stets weitere Gegenden
"entdeckt" wurden. Resümieren wir die in der Geschichte dieser Entdeckungen
bewiesene Dynamik der Landschaft.
Im Anfang war es recht aufwendig, Landschaft zu erleben,
man mußte sich an ausgesuchte Orte begeben, in eigens angelegtem Ambiente wandeln, ja, im
Zweifelsfalle gar bis nach Italien reisen. Dann wurde es einfacher, denn man machte die
Entdeckung, daß Landschaft direkt vor der Haustür liegt. So wurde die Landschaft in
Mitteleuropa entdeckt. Doch irgendwann schienen diese Landschaften visuell verbraucht und
materiell auf dem Weg des Verschwindens - gefährdet, überbaut, zerstört.
Postkartenbilder füllen den Kopf mit Klischees und Staub. Der röhrende Hirsch im
Bayrischen Wald, der Sonnenuntergang auf Capri, die Kreidefelsen auf Rügen usw. Alles
bekannt; man braucht schon lange nicht mehr hinzufahren.
Wieder trat man lange Reisen an, um unberührte Gegenden zu
erleben, die ermüdeten Werte durch Steigerungen zu beleben: Bergsteigerische
Höchstleistungen in dünner Luft, liebliche Natur in exotischer Ferne, Monotonie in der
Wüste. Doch auch die ausgefallensten Ecken dieser Erde sind irgendwann angeeignet und
verflacht, die Reserven schwinden. Mag der Blick sich nun ins Weltall richten und neuen
Dimensionen landschaftlicher Schau entgegensehen.
Der Schluß, daß das Muster Landschaft" nur
durch weitere räumliche Erschließung am Leben zu erhalten sei, scheint eine logische
Folgerung. Wer sie jedoch zieht, der verkennt die Dynamik des Prozesses. Denn plötzlich
ruft jemand: Guck mal aus dem Fenster" und wir beginnen vielleicht erneut zu
erkennen, daß um uns herum Landschaft ist. Nicht die von den Postkarten, nicht die aus
dem Reiseprospekt, sondern eine andere. - Was gibt es hier noch zu entdecken, hier in
einer Gegend, die wir glaubten, wie unsere Westentasche zu kennen?
Machen wir uns auf die Suche. Dabei stellen wir zunächst
einmal fest, daß es offenbar zwei Sorten von Landschaften gibt. Einmal die schönen, vor
denen wir uns sicher sind, daß es sich um Landschaft handelt, und dann die, die wir uns
scheuen, als Landschaft zu bezeichnen. Wenn wir uns bemühen, gelingt es uns, auch sie mit
landschaftlichen Augen zu sehen. Mit großer Wahrscheinlichkeit werden wir zugleich das
Urteil häßlich" fällen. D. h., hier liegt zwar etwas vor, das irgendwie auch
Landschaft ist, aber schön ist sie nicht. Damit haben wir die Erkenntnis gewonnen:
Landschaft zu sehen, ist damit verbunden, ein ästhetisches Urteil zu fällen.
Die ästhetischen Augen geöffnet, sehen wir also vor uns
Landschaft und bleiben bei unserem Urteil, daß diese Landschaft häßlich ist. Wir sind
längst in einer historischen Phase, in der jede Gegend mit landschaftlichen Augen
gesehen werden kann. Es gibt schöne und häßliche, langweilige und aufregende
Landschaften, wir haben die Auswahl und keine prinzipiellen Probleme, landschaftlich auf
diese Gegenden zu gucken. Schönheit ist also nicht das Kriterium für Landschaft.
- Auf dem Weg zu neuen Landschaften sind wir deshalb jedoch noch nicht, wenngleich es
sicher noch viele häßliche Gegenden gibt, die in ihrer Landschaftlichkeit bislang nicht
recht gewürdigt worden sind. Häßlichen Landschaften nämlich mag kaum jemand sein
ästhetisches Feingefühl aussetzen.
Die schönen Landschaften allerdings sind bekannt, hier
gibt es wenig Neues zu entdecken, höchstens etwas aufzuwärmen. Sie sind in unserem
Zusammenhang somit kaum von Interesse. Also wenden wir uns den häßlichen Landschaften
zu. Wir finden sie zwar nicht schön, stellen aber fest, daß wir uns in häßlichen
Landschaften zuhause fühlen können. Wem eine Gegend als Heimat ans Herz gewachsen
ist, der wird sie freilich auch kaum als häßlich bezeichnen. Er urteilt gar nicht nach
ästhetischen Kriterien. Der Fremde hingegen hat es leichter, ein ästhetisches Urteil
über eine Gegend zu fällen, denn er blickt aus der Distanz auf sie. Den Einheimischen
hindert seine heimatliche Verbundenheit meist daran, eine solche Distanz einzunehmen.
Deshalb ist er selten in der Lage, seine heimische Umgebung als Landschaft zu sehen. -
Landschaft findet sich somit eher in der Fremde. - Lassen wir also die heimatliche
Vertrautheit hinter uns und schreiten fort auf dem Weg, neue Landschaften zu entdecken.
Wenn wir den Sonnenuntergang über den Slums der Dritten
Welt schön finden, meldet sich vermutlich das schlechte Gewissen. In unserem
ästhetischen Urteil kümmern wir uns aber weder um soziale Notstände noch um
ökologische Befunde. Ob eine Gegend artenreich, ob sie belastet ist, das interessiert den
landschaftlichen Blick nur, insofern daraus visuelle Folgen entstehen. Sein Interesse
bleibt aber auch dann ästhetisch. Kann man den Artenreichtum nicht sehen, spielt er für
die Charakteristik einer Gegend als Landschaft keine Rolle. Landschaft ist daher ein
Bild.
Landschaftsbilder aufzufinden, die uns gefallen, ist heute
weitgehend Sache von Profis, denn in Werbung und Tourismus lassen sie sich vermarkten. Sie
sind dabei nicht zuletzt deshalb so erfolgreich, weil unser Schönheitsempfinden offenbar
recht gut kalkulierbar ist. Es scheint Idealtypen von Landschaft zu geben, die nicht von
Werbeprospekten erfunden sind, sondern die Basis für deren Erstellung bilden. Beurteilen
wir eine Gegend als häßlich, so entspricht sie nicht diesen Idealen. - Wir haben
mithin Ideallandschaften im Kopf, die unser Urteil prägen.
Das wirft sogleich die Frage auf, wie diese
Landschaftsideale in den Kopf gekommen sind? Gottgegeben sind sie nicht, denn die
Aufnahmen von Meeresbrandung, Gebirgsmassiv und Heide, die unser Herz aufgehen lassen,
hätten frühere Generationen keineswegs mit Glück erfüllt. Im Prozeß der Herausbildung
des Musters Landschaft müssen auch die Ideale entstanden sein, die bis heute in unseren
Köpfen herumgeistern. Wie wir anfangs sahen, hatte vor allem der Malerei einen großen
Einfluß auf die Verbreitung und Festigung der Ideale, auch die Literatur hatte Anteil und
die Gartenkunst. Reiseführer, Postkarten, Drucke, längst auch Fotographie und Film
tragen zur Verbreitung der schönen Bilder bei. - Landschaft ist nicht nur ein
ästhetisches, sondern auch ein kulturhistorisches Ding.
Bei näherer Betrachtung dieses
kulturhistorischen Prozesses, sehen wir das Muster Landschaft in enger Verbindung mit den
Ideallandschaften entstand. Was man auf Gemälden gesehen hatte, die im Atelier und
keineswegs vor der Natur gemalt waren, also das was man für Phantasieprodukte halten
sollte, das fand man plötzlich draußen wieder. Die auf diese Weise entdeckten Gegenden
wandelten sich bald zu Vorbildern und öffneten das landschaftliche Auge für weitere
Gegenden. Die ästhetische Bewertung schlug dabei um, die öde Heide erschien jetzt
schön, die chaotischen Berge erhaben, die langweilige Küste interessant. - Der Blick
auf die Landschaft ist wandelbar.
Wenn sich der ästhetische Wert einer Landschaft aber
ändern kann, dann ist die Anzahl schöner Landschaften nicht prinzipiell begrenzt. Dann
muß der Vorrat solcher Landschaften nicht notwendig zur Neige gehen, wenn Gegenden
verändert, wenn sie, wie wir so gern sagen, zerstört werden. Mit ihrem neuen Aussehen
gewinnen wir die Chance, die Gegend auch neu zu sehen. Häßlich" kann erneut
in schön" umschlagen. Und nun wird die Sache richtig interessant, denn auch
unsere Ideale sind nicht von jener Endgültigkeit, die wir zunächst zu erkennen glaubten.
Lucius Burckhardt spricht von der transistorischen Landschaft" (1994).
Vom Rhein zur Ruhr
So könnte es beispielsweise sein, daß Sie dem noch schwer
verdaulichen Reiz des Ruhrgebiets anheimfallen. Ein Landstrich, der bis vor kurzem als
Inbegriff häßlicher Gegend galt. Alle vertrauten Elemente schöner Landschaft fehlen im
Bild, das wir vom Ruhrgebiet haben, die gewundenen Bachläufe, die lieblichen Hügel, die
natürlichen Baumgruppen usf. - Keine aufregende Naturlandschaft, keine nette
Kulturlandschaft aus vergangenen Zeiten, sondern Industrielandschaft mit unübersehbaren
Spuren vielfacher Überformung, Verfügung, ja Verwüstung. Beileibe kein Stück
abgeschlossene Vergangenheit, der Steinkohleabbau ist noch im Gange, die Kokereien
arbeiten noch, die Hochöfen glühen noch. Aber eben noch", das Ende dieser
Ära ist längst angebrochen. Die Gegenwart hat keine große Zukunft mehr, sie beginnt,
Vergangenheit zu werden.
In dieser Situation fangen wir an, das Ruhrgebiet als
Landschaft zu entdecken. Der wirtschaftliche Niedergang berührt uns dabei nur am Rande,
wir kommen als Fremde in die Gegend, sind nur von dem belastet, was das Image vom
fehlenden blauen Himmel über der Ruhr für ein Bild bei uns geprägt hat. Dieses Bild
hinter uns und den Blick unbelastet schweifen zu lassen, ist beileibe nicht einfach. Es
ist jedoch zu konstatieren, daß ein Prozeß im Gange ist, der einerseits unser
Landschaftsideal verändert und andererseits unser Bild vom Ruhrgebiet wandelt. Die als
häßlich abgestempelte Ruhrregion wird nun als Landschaft akzeptabel.
Was hier abläuft, ist nicht nur für das Ruhrgebiet
interessant, sondern als Beispiel für die gegenwärtige Entdeckung von Stadt- und
Industrielandschaft zu verstehen. Das ästhetische Auge verweilt auf dem realen Anblick
des Ruhrgebiets und bemerkt visuelle Qualitäten in der Häßlichkeit, die vorher nicht
zutagegetreten sind bzw. nicht in gleicher Weise aufgefaßt wurde. Die Geschichte der
Entdeckung der Landschaft gibt eine Fülle vpn Beispielen, wie eine solche Wandlung vor
sich geht: durch raum-zeitliche Distanz (bäuerliche Kulturlandschaft), durch reale
Veränderung der Gegend (Landschaftsgarten, Wiener Gegenden), durch Vergleich mit
vertrauten Formen (Amphitheater), durch Ähnlichkeit mit anderen schönen Landschaften
(Schweizen), durch Identifikation mit einem geistigen Ideal (Italien als Land der
Klassik), durch literarische oder malerische Vorbilder (Lake District).
Und heute? Es ist erst noch zu untersuchen, was hier
eigentlich passiert. Die akutellen Prozesse sind zu verfolgen und zu analysieren, um
Vergleiche zu ziehen, Unterschiede zur Entdeckung anderer Gegenden bzw. zu anderen Phasen
des Entdeckungsprozesses herauszuarbeiten. In Deutschland sind neben dem Ruhrgebiet die
großflächigen Braunkohleabbaugebiete in der Lausitz und die Industrieregion
Halle-Bitterfeld die hervorragensten Beispiele, an denen die Dynamik der Idee der
Landschaft aktuell studiert werden kann.
Zur Zukunft der ästhetischen LandschaftWie in der
Vergangenheit spielen Geschriebenes und Reiselust eine große Rolle. Neu in der Geschichte
der Entdeckung von Landschaften aber ist die staatlich-politische Absicht, die aus
wirtschaftlichen Gründen einen Strukturwandel initiieren muß und dabei neue Wege geht.
Unter dem Titel Internationale Bauausstellung" versucht sie durch umfangreiche
Programme und Fördermittel den Dreck der industriellen Vergangenheit in Gold zu
verwandeln. Eine solche Alchemie kann freilich nicht durch staatliche Intervention
erreicht werden, sie scheint vielmehr zu einem ästhetischen, kultur- und
ideengeschichtlichen Prozeß zu passen, den sie aufgreift und befördert.
Die Überwindung der Ländlichkeit als festgefahrener
Seherwartung von Natur eröffnet noch unausgeschöpfte Potentiale des landschaftlichen
Blicks. Gegenwärtig läßt sich die Entdeckung von Stadt und Industrie als Natur
beobachten. Was einmal das Gegenteil von Landschaft schien, etwa die Stätten der
kapitalistischen Produktion, hat gute Chancen, mit landschaftlichen Augen und sogar als
attraktiv entdeckt zu werden - vor allem wenn es vom industriellen Fortschritt gerade
überholt worden ist wie eben das Ruhrgebiet.
Einer innovativen Landschaftsplanung steht es offen, sich
der außerordentlichen Wandelbarkeit, die das Phänomen in der Vergangenheit bewiesen hat,
zu erinneren und sich ihre Dynamik zu vergegenwärtigen. Die Tradition der Landschaft ist
keineswegs die eines konservativen Blicks, sondern die der Erneuerung eingeschliffener
Sehgewohnheiten oder umgekehrt der Erschließung neuer Gegenstände für den
landschaftlichen Blick. Es gilt Landschaft als kreatives Feld wiederzuentdecken!
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